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Der Kaiser ohne Namen
Der Kaiser ohne Namen
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eBook917 Seiten12 Stunden

Der Kaiser ohne Namen

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Über dieses E-Book

Der Roman spielt in einem unbestimmten Land, in einer unbestimmten Zeit. Fantasy also, ohne dass übernatürliche Kräfte wirken.

Woi ist der Sohn des Fürsten Alta. Li ist die Tochter seines Hofschreibers. Beide werden an den Hof des sterbenden Kaisers geschickt und dort in den Kampf um die Thronfolge verwickelt.

SpracheDeutsch
HerausgeberPeter Marnet
Erscheinungsdatum17. Sept. 2011
ISBN9781466099227
Der Kaiser ohne Namen
Autor

Peter Marnet

Bin verheiratet. Habe zwei erwachsene Kinder (die typischen Internet-Junkies). Auf dringenden Wunsch meines familären Umfeldes pseudonym unterwegs. Beruf: bis 05/2011 Einzelhändler in Düsseldorf (25 Jahre selbständig)

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    Buchvorschau

    Der Kaiser ohne Namen - Peter Marnet

    Chapter TEIL 1

    Chapter 1. Die Frau und der Junge mit dem Apfel

    Die anderen Kinder hatten Ritter gespielt und ihn zum Räuber bestimmt. Ein Räuber war immer allein und hatte kein Schwert. Damit sie ihn nicht aufspüren konnten, hatte sich der Junge in dem fremden Baum versteckt. Sollten sie doch beim nächsten Mal einen zum Räuber bestimmen, den sie auch finden konnten!

    Die Frau stand im Garten. Der Morgen hatte ihr freundlich begonnen. Mit ein paar Vogelstimmen hatte er das Fenster berührt. Der Baum hatte soviel Licht hereingereicht, dass es ihr zum Kosten genügte.

    Sie war in den Garten gegangen, ohne gegessen zu haben. Auf der Treppe fiel es ihr ein, aber sie kehrte nicht um. Ihr Haus hatten sie neu bekommen, und sie freuten sich daran. Es waren nicht viele Beamte am Hof des Fürsten, und so waren es nicht mehr als vier Häuser. Sie standen mit dem Rücken und den Gärten zueinander. Obwohl sie gleich aussahen, taten sie, als seien sie nicht miteinander bekannt.

    Vor ihrem Haus war eine schmale Straße mit glänzendem Pflaster und einem schmalen Gehsteig. Die Straße führte um die vier Häuser der höfischen Beamten herum, als wolle sie eine Grenze ziehen zu den Häusern auf der anderen Seite, die dort standen, ohne Atem und um ihren Stand fürchtend, weil sie von den hinteren, die nicht anders zur besseren Gegend gehören wollten, nach vorne gedrängt wurden.

    Die Frau stellte sich den Garten als das Kleider ihres Hauses vor - die Blumen, die wandernden Schatten der Bäume, der lispelnde Brunnen, die feuchten Steine im weichen Gras. Darin unterschied es sich von den anderen.

    Wie jeden Tag stand sie auf der Treppe zum Garten. Wartete als Besucherin, forderte nicht wie eine Herrin ihren Einlass. Wie jeden Tag schritt sie umher und sah zu den Bäumen hoch. Von manchen kannte sie nicht einmal die Früchte. Aber musste sie von allem wissen, worin sein Zweck bestand? Wenn es nur schön war und sich darin ergab, sollte es ihr genügen.

    Sie stand im Garten und teilte mit den Blumen ihre Gedanken. Ein kurzarmiger Wind gesellte sich dazu, bis es sie fröstelte. Sie sah zum Himmel empor. Schatten hatten sich vor das Blau geschoben. Schon immer war sie wetterfühlig gewesen. Ein Stimmung hatte sich auf ihr Herz gelegt. Schwere Wolken würden das Licht verdrängen. Noch einmal würde sie herumgehen, aber eine graue Last drückte auf ihr Herz und die Farben des Gartens.

    Wo der Baum stand, war eine Sandfläche, die glattgestrichen war. Jeden Morgen begann sie mit einem Wort. Demselben oder einem anderen. Dabei sie konnte nicht schreiben wie ein Mann. Aber sie fand Freude daran, etwas zu malen, das einem Worte glich. Vielleicht war es ein Wort und sie wusste es nicht. Sie malte das Zeichen, das sie sich ausgedacht hatte, in den Sand und wieder in ihre Erinnerung.

    Als es gerade begonnen hatte, sich eine Bedeutung zu suchen, fiel vor ihren Augen ein roter Apfel auf den Rasen. Er tupfte zwei, drei Mal auf, wie ein Kinderball auf einem weichen Teppich. Sie sah den Apfel an, ohne sich zu rühren. Sie spürte, wie die Angst Blei in ihre Füße fließen ließ. Ein Apfel durfte ihr keine Angst machen! Sie hatte noch nie den Fall eines Apfels gesehen - das war es!

    Die Schale glänzte. Ein kerngesunder Apfel war zu Ende gewachsen, und vom Baum auf ihren Rasen gefallen. Die Blätter des Baumes raschelten. Sie bewegten sich zur neuen Form. Im Unwohlsein verzog der Baum das Gesicht. Sie vernahm aus ihm ein ihr fremdes Geräusch, ein Ächtzen und dann einen leisen, deutlich gesprochen Fluch. Erst sah sie einen Jungenfuß. Dann eine zweiten. Dem folgte ein Junge nach, der aber in der Luft hing, weil der Baum einen Zipfel von ihm in seinem Maul festhielt. Der Bauch des Jungen war frei und weiß und nicht ganz sauber. Dann spuckt der Baum ihn aus. Wie der Apfel landet der Junge federnd auf ihrem Rasen. Als sie ihm fest in die Augen sah, nahm die Hand in seinem Rücken verstohlen den Apfel auf.

    Hast du mich beobachtet?, fragte sie.

    Der Junge schüttelte stumm den Kopf. Er hatte ja von oben nichts sehen können. Wenn er sie gesehen hätte, dann wäre er dort geblieben, bis sie fort war. Aber das verstand sie nicht. Sie sah ihn nicht einmal streng an.

    Ich bin ein Räuber, sagte er, aber nur im Spiel.

    Ich bin eine Fee, sagte sie, aber nur in meinem Garten.

    Die anderen sind Ritter, erklärte er, weil sie ihm nicht glaubte. Ich muss mich verstecken. Da bin ich eben geklettert, damit sie mich nicht finden.

    Stumm sah die Frau den Jungen an. Er war sich sicher, dass die Frau eine Fremde war. Aber er wusste es nicht genau, weil er Erwachsene immer so schnell vergaß.

    Sind sie auch mal geklettert?, fragte der Junge. Das war ein Trick. Damit sie nicht an den Apfel dachte, den er versteckt in seinem Rücken hielt.

    Sie bemerkte, wie sie einen roten Kopf bekam. Dem Jungen waren einige Strähnen in die Augen gefallen, die sie ihm am liebsten zur Seite gestrichen hätte. Seine Augen sahen tief in die ihren hinein.

    Schämen sie sich, weil sie nicht klettern können? ... Ich konnte auch mal nicht klettern, aber jetzt kann ich es!

    Sie spürte, daß ein Lächeln ihr auf das Gesicht wollte. Sie erlaubte es nicht, aber das Lächeln hatte eine eigene Kraft. So begann sie zu lächeln. Das Gefühl davon breitete sich auf ihrem Gesicht aus und drang kitzelig bis in die Haarspitzen vor.

    Ich gehe jetzt, sagte der Junge. Die Frau nickte, aber der Junge ging nicht.

    Haben sie keine Kinder?, fragte er.

    Sie schüttelte wortlos den Kopf. Mit einem Mal war sie weit weg, und die Traurigkeit war näher als der Junge.

    Dann darf ich den Apfel mitnehmen? Er ist ja nun runtergefallen und weil sie keine Kinder haben ...

    Ja, sagte sie, nimm den Apfel, ich habe keine Kinder. Was soll ich mit einem Apfel? Da kann ich ihn dir gleich schenken.

    Der Junge nahm behutsam den Apfel auf, als könne er ihn zerbrechen.

    Die meisten wollen als Kind einen Jungen, sagte er. Ich bin ja einer, da weiß ich es.

    Ich habe es mir noch nicht überlegt, sagte die Frau und war nicht ehrlich. Der Junge hatte einen Mund, den sie nicht anzuschauen wagte.

    Aber vielleicht bekommen sie einen, sagte der Junge, ich meine, wenn sie wollen ...

    Doch, sagte sie, ein Kind will ich schon - jedenfalls heimlich.

    Ach, sie bekommen bestimmt ein Kind. Ich bin ja auch da, und meine Eltern sagen, sie haben mich gar nicht gewollt. Ich bin einfach so gekommen ... dann gehe ich jetzt.

    Sie sah ihm traurig nach. Er hatte den Apfel in den Mund geschoben, um die Hände frei zu haben. Dann kletterte er über den Zaun. Es war ein schmutziger Junge und ein sauberer Zaun. Aber sie störte sich nicht daran, sondern freute sich, dass er mit ihr gesprochen hatte.

    'Die ist aber ein bisschen komisch', dachte der Junge, 'aber der Apfel ist toll!'

    Chapter 2. Die Hochzeit des Füsten

    Der Fürst saß im Halbdunkel und betrachtete das Gesicht seiner schlafenden Frau. Die Hochzeitsnacht hatte Reste von Stimmen und Musik in seinem Kopf zurückgelassen. Er saß da und fror ein wenig, weil es früh am Morgen und der Kamin kalt war. In den letzten Tagen hatte er ständig gefroren. Seine Haut war gelb und voller Kältepusteln.

    Er war der Fürst von einem sehr unbedeutenden Fürstenhof. Er selber sagte, ein Fürstenhof, der so weit entfernt vom Kaiserhof liege, könne nicht bedeutend sein. Aber die Leute sagten, dass er unbedeutend sei, liege daran, dass er sehr klein sei. Wahrscheinlich wisse der Kaiser nicht einmal, dass es diesen kleinen Fürstenhof gebe. Sagten die Leute und waren für sich froh darüber.

    Das Fürstentum bestand aus einer kleinen Stadt und drei Dörfer, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie hin- oder wegsehen sollten. Es gab sehr viel Wald drumherum und dahinter große Weiten öden Landes. Die dort Ansässigen sagten, dass dies Land nicht mehr zu seinem Fürstenhof gehörte. Aber es waren Herumziehende, die nur wenige Worte verstanden. Der Fürstenhof selbst lag in einer Senke und war erst zu sehen, wenn man davor stand.

    Noch niemals zuvor hatten Hergereiste in den drei Dörfern nach dem Weg dorthin gefragt. 'Der alte Fürst heiratet', wussten die Leute mit einem Mal zu sagen. Sie waren traurig, dass der Fürst so arm war, dass er sie nicht einladen konnte, aber sie wünschten ihm trotzdem Glück. Das sagten sie den Reisenden, die von weither kamen.

    'So unbedeutend kann unser Fürstentum nicht sein, wenn sie es kennen', sagten die Älteren. 'Sicher kommen sie, weil ihnen die Braut bekannt ist', sagten die Jüngeren.

    Niemand hatte gedacht, dass der Fürst einmal heiraten würde. Und wirklich fiel ihnen erst bei seiner Heirat auf, dass der Fürst bis in seine späten Tage hinein vergessen hatte, einen Nachkommen zu zeugen.

    Die Freunde des Fürsten waren alle zu seiner Hochzeit gekommen, hatten mit ihm gefeiert, sich am Wein und an alten Geschichten gewärmt und ihn hochleben lassen. Aber er konnte sich nicht so fühlen wie sonst. Was folgen würde, bedrückte ihn. Seine Freunde hatten ihre Witze über ihn und sein Schicksal gemacht. Nicht mehr als ein wenig wollten sie ihn damit quälen.

    Kendir hatte sich eine Hand vor die Augen gehalten, als seien sie ihm verbunden, und tastete mit der anderen den Fürsten ab, mit Ausrufen des Entzückens. Die beiden anderen Freunde hatten die Szene mit lustvollem Stöhnen begleitet.

    Zieh dich aus, du Schöne!, kam es von Kendir. Er war dem Fürsten durch das wenige Haar gestrichen und hatte gerufen: Was für volles Haar du hast! Ich werde mich damit zudecken.

    Von hinten hatte Tenkho ihm in den Wams gefaßt und in die dünne Brust gekniffen: Das ist Milch genug für ein Geschlecht von Helden und die Söhnen von Helden!

    Nell hatte ihm das Gesicht abgetastet: Deine Haut ist wie das Ufer des Flusses. Die Nase wie eine Weide, der Schatten meiner Jugend!Was hatten sie gelacht, aber dem Fürsten war es nicht leichter geworden.

    Dann - wie es die Sitte verlangte - wurden ihm die Augen verbunden und seine Frau hereingeführt. Es war mit einem Mal still gewesen, als sie den Saal betrat. Seine Freunde waren verstummt. Er hörte noch ihren Atem neben sich und roch den Dunst des Weines.

    Nun musste er sich zu seiner Braut vortasten. Er stieß gegen einen Tisch. Die Hand geriet ihm dabei in die Soße von einem Teller, die andere bekam einen kalten Knochen zu fassen. Die Gäste riefen ihm, wohin seine Schritte ihn führen sollte. Gegen alle vier Wände glaubte er, gerannt zu sein. Er trat auf Füße und Röcke. Betastete Frauenhaar und kam dem Feuer sehr nah. Es dauerte unendlich lang, bis er bei seiner Frau war, die mit zwei spitzen Fingern seine bekleckerte Hand aufnahm und ihn hinaus führte.

    Da wusste er noch nicht, dass sie es war, aber die Gäste hatten geklatscht. Manche Gäste hatten ihr Lachen nicht unterdrücken können. Lachen und Klatschen liefen zusammen und hatten einen falschen Ton.

    Schira hieß seine Braut, und fremd wie ihr Name war ihr Gesicht. Für andere Männer war sie sicherlich eine Schönheit. In ihrem schmalen Gesicht zeichneten sich Brauen und Wimpern mit feinen Tuschestriche ab. Ihre Lippen waren voll, und sie besaßen viel Weiches.

    Wie es Sitte war, hatte er das Tuch nicht von den Augen nehmen dürfen, als er mit ihr allein war. Immer noch blind war er in ihrem Brautzimmer gestanden. Sie hatte ihn losgelassen. Hinter ihm war die Tür leise zugefallen. Sie sagte nichts, während er sich durch den Raum tastete. Es brauchte eine lange Zeit, bis er sie gefunden hatte. Seine Hände berührten zuerst ihr langes Haar. Er fühlte, daß seine Hände noch schmutzig waren von dem vorangegangenen Malheur. Langsam ertastete er sich ihr Gesicht. Sie war nur wenig kleiner als er. Weil es Sitte war, zog er sie aus. Sie ließ es geschehen wie eine Schande, für die sie sich gewappnet hatte. Viel lieber hätte er mit ihr geredet. Und noch viel lieber wäre er bei seinen Freunden geblieben.

    Jetzt im frühen Halbdunkel lag das Gesicht, das sie zur Hochzeit getragen hatte wie eine Maske neben ihr. Das Morgenlicht hatte sich behutsam ihrem Schlaf und ihrem Haar genähert. Sie hielt die Hand geschlossen. Die Haut war weißes Papier, die Tuschestriche darauf Zeichen in ihrer fremden Sprache. Das Erschrecken ließ sein Herz klopfen. Er dachte zum ersten Mal in seinem Leben, daß er etwas völlig falsch gemacht hatte. Da hatte er nach langer Zeit endlich geheiratet und fühlte nichts als schuldschwere Fremdheit!

    Die Bilder der Nacht begannen, das Bild der Schlafenden zu überdecken: Mit verbundenen Augen hatte er sich ausgezogen. Als er damit fertig war, stellte er fest, daß sie ihren Platz verlassen hatte. Wieder tastete er sich durch den Raum auf der Suche nach ihr. Schließlich stand sie vor ihm, ausgezogen und still, und ihre Haut fror. Was für ein Bild er abgab, konnte er sich denken - mit seinen schmutzigen Händen, die den Raum absuchten, ohne ein Kleidungsstück, umweht vom Atem des Weines.

    Der Bauch war ihm schwer. Auf Blase und Darm drückten die Genüsse der letzten Stunden. Er hätte eigentlich ein Geschäft erledigen müssen und spürte dabei, dass sie ihn ansah. Er fror in ihrem Blick. Als er ihren gepressten Atem hörte, berührte er sie nicht, sondern hob die Hände und ließ sie fallen.

    Jetzt am Morgen lächelte ihr Gesicht. In ihren Traum war das Glück ihres Herzens getreten. Er sah eine Frau, die er von dem, was sie geliebt, fortgerissen hatte. Es war nicht seine Schuld, aber mit seinem Namen würde sie ihren Verlust immer verbinden. Ihre Hand hatte sich geöffnet. Ihre Lippen sagten etwas, was er nicht hören durfte.

    Im Nachbarzimmer schnarchten seine Freunde. Das Geräusch kratzte sich die Wände empor und ließ sich von dort erschöpft hinuntergleiten. Immer wieder hinauf die Anstrengung und hinab die Erschöpfung - und hinauf und wieder hinab. Wenn er bei seinen Freunde wäre, dann hätte er wie sie geschlafen. Um die Wette wären sie die Wände emporgeklettert.

    Aber er lag wach und fand zwischen dem Schnarchen seiner Freunde und der unbekannten Stille von Schiras Atems keinen Schlaf.

    Chapter 3. Der Schreiber wünscht sich eine Tochter

    Der Fürstliche Schreiber stand vor dem kleinen Tor des Gartens und hantierte an seinen Schuhen. Das Leder war wie eine Schale hart, und an den Schnallen hatte er sich einmal die Fingernägel abgebrochen. Nach den Schuhen zog er auch die Strümpfe aus und ging zum Haus, nicht auf den Trittsteinen, sondern mit den nackten Sohlen im kitzelnden Weich des Grases.

    Eigentlich mochte er den Garten nicht. Für einen solch kleinen Garten hätte sie nicht einen Gärtner einstellen müssen! Was sah sie in einem Garten, der herumstand wie zum Spaziergang eine Dame mit einer anderen, die nichts zu tun hatten, als darauf zu warten, dass das Wetter schön blieb?

    In den letzten Tagen war seine Frau anders gewesen. Ihre Augen, die ihn anblickten, hielten nichts richtig fest. Die Bewegungen ihrer Hände waren unachtsam, als messe der Kopf ihnen ein falsches Maß. Er hatte sich gefragt, ob seine Arbeit, die so viel geworden war, eine Schuld an ihrem Zustand hatte. Aber es kam von ihr, aus ihr, stellte sich vor sie hin wie eine fremde Person zur Wache gegen die gewöhnlichen Dinge.

    Heute hatte sie nicht auf ihn gewartet. Aber sie war in ihrem Garten gewesen, kurz bevor er gekommen war. Ihr Geruch lag noch in der Luft. Es war der Duft des Waldes. Geschlagenes Holz, dem der Regen die harzigen Tränen abzuwaschen begann.

    Sie würde in ihrem Zimmer sein. Er sah die Treppe hoch. Seine Sachen lagen nicht unten, wo sie sonst immer lagen. Einen Ruf nach ihr gestattete er sich nicht. Er merkte, dass seine Füße die Feuchte des Rasens in das Haus getragen hatten. Stufe um Stufe ging er langsam die Treppe hoch. Mit jedem Tritt ermahnte sie ihn, schonungsvoll und leise zu sein.

    Die Dinge sahen ihn streng für eine Ungehörigkeit an, von der er nichts wusste. Einzig der kleine Affe auf dem Bild, das der Fürst ihm zum Geschenk gemacht hatte, tat es ihnen nicht gleich. Er leckte im hohen Baum an einer Frucht, die seinem roten Hinterteil glich, und wollte ihn nicht bemerkt haben. Schläulich blickte der Affe aus und spürte wohl dabei die Blicke der neidenden Feinde.

    Die Tür zu ihrem Zimmer war einen Spalt offen. Die Schaniere erschreckten sich vor dem eigenen Geräusch. Sie lag im Kleid auf dem Bett, das Gesicht zur Wand. Leise trat er von hinten an sie heran. Machte die Schritte mit den Zügen ihres Atems langsam. Berührte die Haare mit den Augen und besaß keine Hände.

    Der Hegad ist gestorben, sprach er leise. Der Lehrer der Lehrer ist tot. Er war auch mein Lehrer am Kaiserhof. Wie viele hat er unterrichtet!? Nun ist er tot. Die Schreiber sprechen davon.

    Er sprach nicht weiter, weil niemand seiner Stimme zuhörte, nicht einmal er selbst. Das Gesagte hatte er sich auf dem Weg vorgesprochen. Nun war es herausgefallen, als er nicht aufgepasst hatte.

    Ich werde ein Kind bekommen, sagte sie und sah weiter zur Wand. Ich ahne es, ich weiß es - ein Kind.

    Ja, flüsterte er zurück, ein Kind - ich habe es gewusst.

    Du konntest es nicht wissen, sagte sie ärgerlich. Niemand vor mir konnte es wissen. Was redest du da?

    Natürlich, sagte er, um ihr nicht die Freude zu verderben, niemand konnte es wissen.

    Heute war ein Junge in meinem Garten. Er sprang aus dem Baum, so plötzlich. Er hatte sich versteckt, weil er im Spiel ein Räuber war.

    Es wird ein Mädchen, sprach er leise an die Wand. Ich fühle, dass es ein Mädchen wird.

    Er war so schmutzig! Ob er keine Mutter hatte? Ich habe ihm einen Apfel gegeben.

    Wie du soll es sein, flüsterte er in ihr Ohr. Ein kleines Wesen aus Weinen und Lachen, aus Tränen und Sonnenschein. Wie ein Regenbogen, mit dem der Himmel die Blumen berührt, die im Nebelgrund stehen.

    Da hatte der Schlaf schon ihren Atem geglättet und ihm die schönen Worte ungehört zurückgegeben. Sie träumte von einem hohen Baum. Darunter stand sie als kleines Mädchen in einem weißen Kleid. Im Baum ganz oben saß ein Junge.

    'Soll ich zu dir runterrutschen ?', rief er.

    'Ja, aber worauf willst du rutschen?'

    'Siehst du nicht den Regenbogen vor deinen Füßen?'

    Er ließ sich los, und als er zu rutschen begann, da sah sie, dass er wirklich auf einem Regenbogen rutschte und vor ihren Füßen landete.

    'Ich habe einen Apfel in deinem Baum versteckt. Ein Apfel bringt Glück.'

    'Ja', sagte sie, 'nur wir wissen, wo das Glück versteckt ist.'

    'Wie schön du bist', sagte der Junge. 'Ich will dir ein Stück von meinem Regenbogen schenken und dir daraus einen Umhang machen.'

    Der Mann hatte die Decke über seine Frau gebreitet und sich an ihre Seite gesetzt. Er sah, dass ein tiefes Vergessen ihre Schultern bewegte. Leicht glitt ihr Atem immergleichen Täler und Höhen nach. Er wagte nicht, der Schlafenden über das Haar zu streichen. Scham wie von einer Treulosigkeit legte sich heiß auf seine Stirn.

    In der vergangenen Nacht war seine Frau im Schlafen auf seine Seite hinübergerückt. Er hatte es geschehen lassen, war unter dem dünnen Rest eines Traumes herausgeglitten und lautlos aus dem Zimmer getreten.

    Der Affe, der niemals schlief, hatte ihn angesehen und keinen Laut gemacht, nur seine menschengroßen Augen ihm zur Begleitung nachgesandt. Dann war er die Treppe hinuntergeschlichen, wo keine Stufe sich wecken ließ. Wie ein fremdes Tier, ein Schatten in einem Schatten. Draußen die Nacht hatte ihn aus Mondschlitzaugen angesehen.

    So war er in der Tür gestanden und hatte zur Treppe zurückgeschaut, ob seine Frau ihm nicht nachgegangen war. Sie und sich vergessend, hatte er in das Weite hinausgeflüstert: Ich wünsche mir ein Kind, ein Mädchen - ganz für mich!

    'Dein Wunsch soll dir in Erfüllung gehen, träumender, wacher Mann', hatte die Nacht ihn mit ferntönender, dabei seltsam knarzender Stimme angesprochen.

    Schniefend hatte sie die Luft durch windengen Schlund eingesogen und gesagt: 'Hach, Röch. Kannst glauben, was ich dir weissage. Habe nur einen schrecklichen Schnupfen.'

    Stumm hatte er genickt. Wie auch hätte er sie ansprechen sollen? Was hätte er erwidern sollen?

    'Nur soviel sag' ich: Niemand darf von dir und mir wissen - deine Frau nicht und niemand.' So die Stimme der Nacht, waldtiefer Rabenchor hoch in schwer altem Geäst.

    'Es sei dein und mein Kind', hatte die Nacht ihm gedeutet. 'Unser Kind sei es, wenn niemand davon weiß!'

    Ich verspreche mein Schweigen. Das war von ihm so in Hast und leise gesagt, dass er Angst gehabt hatte, sie habe es nicht gehört.

    Nun saß er am Bett seiner Frau und dachte verwundert, dass die Nacht ihr Wort gehalten hatte. Schließlich, in der Langsamkeit des Abends kam das Glück über ihn.

    Chapter 4. Oberer Medith erfüllt seine Pflicht

    Er war Soldat des Fürsten, und als solcher würde er alles ausführen und keine Fragen stellen. Dass der Fürst ihn um diese späte Stunde zu seinen Privatgemächern bestellt hatte, würde ihn nicht wundern. Dass der Fürst ihn bei seinem Namen genannt hatte, darüber sollten sich seine Kameraden nicht den Kopf zerbrechen.

    Rührungslos stand er vor der großen, mit Fabelwesen bemalten Tür, als handele es sich um eine ganz normale Torwache. Es war ein Drache darauf dargestellt. Die anderen Tiere kannte er nicht. Manche hatten Flossen wie Fische. Es war ein einziges Gefresse zwischen ihnen.

    Der Soldat war der einzige auf dem Gang. Die Diener waren längst gegangen, und aus dem Zimmer drang kein Geräusch. Wenn ihn der Fürst vergessen hatte, dann war das nicht weiter schlimm. Er war von Wachen her gewöhnt, dass nichts geschah.

    Da öffnete sich die Tür, leise und heimlich. Der Fürst sah für einen kurzen Augenblick auf den Gang und winkte den Soldaten mit der Hand herein. Als der Soldat eingetreten war, schloss er die Tür und stellte sich von außen davor.

    Sollte der Soldat sich nur wundern, dass er nun allein im Zimmer stand! Der Fürst musste überlegen. Noch war er sich nicht schlüssig, ob er richtig handelte. Er hatte mit seiner späten Heirat einen schlimmen Fehler gemacht. Vielleicht vergrößerte er ihn, mit dem, was er vorhatte.

    Der Soldat stand drinnen ebenso stramm, wie er draußen gestanden hatte. Seine Augen waren zur Decke gerichtet, wo ein Maler mit Tusche kleine Hände gemalt hatte, die Zweige und Blumenkränze

    hielten und sich eine Leier zuwarfen. Die Kinder, denen diese Hände gehörten, hatte der Maler hinter Wolken, die aus Gips geformt waren, versteckt.

    Dann betrachtete der Soldat das riesige Bett, welches in der Mitte des Raumes stand. So ein Bett hatte er noch nie gesehen. Es hatte die Größe eines kleinen Reisfeldhauses. Ein weißer Schleier war darüber geworfen worden, viel größer als jedes Stechmückennetz, das er in seinem Leben gesehen hatte. Einem solchen Bett konnte er nichts abgewinnen. Für dieses Bett schon wollte er ein Fürst nicht sein! Sein Wunsch war, den Schlaf im Stehen zu finden. Eigentlich war das der Traum eines jeden Soldaten.

    'Habe ich wirklich eine Wahl?', dachte der Fürst, während er draußen über den Gang schritt. Ein Fürst musste einen Nachkommen haben. Das war der Zweck seiner Ehe mit Schira gewesen, sein Versprechen an ihren Vater. Einen Sohn zu haben, war auch der Zweck der Zeugung gewesen, die ihn zu einem Fürsten gemacht hatte. Ohne einen Sohn hätte er ein Verbrechen an seinem Vater und dessen Vätern begangen. Ein kleines Fürstentum brauchte einen Sohn dringender als ein großes!

    Wenn er wartete, würden Gerüchte laut werden. Man würde genau hinsehen. Hatte man doch im Stillen erwartet, dass das Fürstentum zu Ende gehen würde. In der Überraschung der Heirat waren all diese Zweifel verstummt.

    Jetzt war der Zeitpunkt günstig für das Vorhaben des Fürsten. Niemand würde argwöhnisch sein. Alle würden ihn geradeheraus beglückwünschen. Dann hatte er seine Ruhe, und auch Schira ihre. Eine Sohn sollte sie bekommen! Den würde sie lieben können und hatte etwas für sich!

    Er kehrte zur Tür zurück. Blieb kurz davor stehen, gab sich dann einen Ruck und öffnete sie mit fürstlichem Schwung. Der Soldat verzog keinen Miene und nichts als Mut stand auf seinen Lippen geschrieben.

    Wie ist euer Name?, fragte der Fürst. Das Kommando für eine lockere Haltung gab er nicht.

    Oberer Medit bin ich, von der Torwache, meldete der Soldat. Im Dienst bei euch im fünften Jahr. Er warf den Kopf zurück und nahm eine noch starrere Haltung an.

    Ich werde etwas sehr Ungewöhnliches von euch verlangen, sagte der Fürst. Seid ihr verschwiegen?

    Ich bin Soldat, Fürst. Ich würde töten und mich töten lassen, wenn ihr es befehlt. Reden ist nicht meine Art.

    Der Soldat war so groß wie der Fürst, aber ganz anders als dieser von kräftiger Statur, die ihn jetzt im besten Mannesalter noch nicht dick erscheinen ließ.

    Es geht nicht um das Töten, entgegnete sanft der Fürst. Seid ihr verheiratet oder steht euch der Sinn danach?

    Ich bin nicht verheiratet und kann sagen, dass ich keine sagen kann, nach der mir für eine Heirat ist. Meint ihr es so?

    So war es gemeint, Oberer Medit. Richtig verstanden habt ihr das! Wie ich gehört habe, habt ihr fünf Brüder.

    Jawohl, Fürst, es sind fünf. Aber ich bin der einzige, der Soldat geworden ist. Die anderen sind Bauern wie mein Vater.

    Fünf Söhne also hat euer Vater bekommen und keine Töchter, nein?

    Oberer Medit schüttelte den Kopf. Fünf Brüder sind wir, alle im Alter von einem Jahr auseinander, und der Jüngste mit zweien dazwischen. Der Älteste bin ich und habe ihnen oft den Vater machen müssen.

    Nehmen wir an, ich würde euch befehlen, zu einer Frau zu gehen, ohne dass ihr wisst oder fragt, wer sie ist. Das würdet ihr tun?

    Das würde ich tun. Mein Bestes würde ich geben, wenn euch das genügt?

    Gut, Medit, ich glaube, ihr seid der richtige Mann. Seht her! Macht eure Haltung locker! Seht her, was ich habe: Es ist ein schwarzer Überzug, der keine Augen hat. Nur eure Hände sind darin frei. Wollt ihr freimachen und ihn überziehen?

    Oberer Medit stand wieder stramm, lockerte seine Glieder aber sofort wieder durch. Auf Zeichen des Fürsten zog er alle seine Kleidungsstücke nach und nach aus und legte sie sorgfältig übereinander. So stand er vor dem Fürsten, der ihn wirklich prächtig gewachsen fand. An den Hüften neigte er ein wenig zur Fülle. Alles andere war mehr als vorzeigbar, ja, musste des Fürsten Neid erregen.

    Der Fürst hatte den schwarzen Überzug nach der eigenen Größe anfertigen lassen, und Medit hatte diese Größe. Der Stoff war schmiegsam und sanft. Von der Hüfte hinab war er weit geschnitten und ließ sich so leicht nach oben streifen. Man sah von Medit nichts als seine breiten Hände mit den Fingern, die ein wenig kurz geraten waren. Seine stramme Körperhaltung ließ sich trotz des Umhanges erahnen.

    Der Fürst führte Medit zum Bett und befahl ihm, Haltung anzunehmen. Er unterwies ihn aufs Neue, sich nicht zu rühren und nichts zu sagen, was immer geschehen möge. Der einzige, der etwas sagen werde, sei er, der Fürst.

    Dann ging er zu dem Gemach seiner Braut. Schira, sagte er, komm, er ist da. Wir sind soweit. Hast du dich fertigemacht?

    Sie trat hinter dem zweiteiligen Schirm hervor. Einen leichten Umhang hatte sie über die Schulter gezogen, den sie vorne mit den Händen geschlossen hielt. Auf dem weißen Stoff waren knospende Weidenkätzchen gezeichnet. Diesen Stoff hatte er für sie und diesen Tag ausgesucht. Fast war ihm, als ahme sie die Haltung seines Soldaten nach.

    Dann komm, sagte er. Wir wollen ihn nicht warten lassen. Du darfst kein Wort sagen. Keinen Laut, nichts. Hast du gehört? Hast du eine Essenz benutzt? Nichts darf dich verraten ... Er beschnupperte sie, konnte aber nichts feststellen. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie hinaus. Sie folgte ihm, ohne Laut und Schwere.

    Niemand begegnete ihnen. Selbst wenn sie jemand gesehen hätte - was war dabei, wenn er die Fürstin in sein Gemach führte?

    Er schloss die Türe hinter sich und schob den unteren, dann den oberen Riegel vor. Schira hatte keinen Blick für die Gestalt, die schwarz und soldatisch am Bett wartete. Sie ging von allein, schob die Vorhänge zur Seite und legte sich so auf das Bett, wie es sein musste. Schwarz zeichnete sich die Scham ab, schärfer noch als die Brauen.

    Der Fürst führte die Hände von Medit. Er führte sie über den Rahmen des Bettes und zeigte ihnen alles - eben alles, worauf es ankam.

    Dann setzte er sich neben seine Braut und nahm ihre Hand. Ein Blick ihrer glühenden Augen stieß einen Dolch in sein Herz. Aber er sah zur Decke und betrachtete die schweren Wolken aus Gips.

    Chapter 5. Die Wahrsager

    Wenn die Frau des Schreibers sich in ihrem Garten aufhielt, dann wurde ihr das Stehen schwer. Sie mied die Blumen, die einen schweren Duft aus den hängenden Blüten absonderten. Die Stelle war ihr die liebste, wo der Apfelbaum sich einen selbstgesprächigen Schatten gab.

    Alle die Äpfel waren heruntergefallen, und der Gärtner hatte sie weggebracht. Leer stand der Baum, sich tröstend in ihrem Versprechen, dass das Fremde in ihrem Körper nichts vergessen machen konnte.

    Ihr Gesicht hatte sich verändert. Die Augen waren hervorgetreten. Flüssigkeit hatte sich unter der Haut gesammelt und die Linien des Gesichtes aufgeweicht. Obwohl sie sich langsamer bewegte, wurde ihr oft der Atem kurz. Die Freude in ihr brauchte keinen Anlass, ebensowenig die Traurigkeit. Sie kamen ungerufen und blieben, als trenne sie nichts.

    Ihr Körper roch jetzt anders. Er hatte den Geruch einer anderen Frau angenommen. Da wusste sie, dass es eine Tochter war, die sie bekommen würde. Sie versuchte, diesen fremden Geruch zu überdecken, aber er war stärker als ihre Duftmittel.

    Ihre geliebten Haare hatten allen Glanz verloren. Manchmal vergaß sie einen Tag lang, sich zu kämmen. Die Hände waren angeschwollen. Sie mochte nicht darüber streichen. 'So', dachte sie, 'muss es sein, wenn ich alt geworden bin.' Es war ein Grauen, dem man den Tod wünschte.

    Am Morgen war sie aufgewacht, hatte sich lange im Spiegel angesehen und auf ein Gefühl des Glücks gewartet. Sie hatte gewartet, dass ihr davon die Röte ins Gesicht stieg. Aber sie fand, dass sie nur immer blasser aussah.

    'Ein Kind ist es', dachte sie. Sie malte ihr Zeichen dafür mit Spucke auf den Spiegel: KIND. Sah ihr Gesicht im Spiegel, auf dem sich Blasen und Tropfen von der Spucke gebildet hatten.

    Der kleine Junge mit dem Apfel war nicht mehr in ihren Garten gewesen. Heute würde sie Besuch von einem Wahrsager bekommen. Sie hatte ihn nicht gewollt. Von ihrem Mann war er herbestellt worden. Was er sich davon versprach? An solche Dinge glaubte er nicht. Es war, als wollte er sie von etwas ablenken.

    'Ein Hellseher', hatte er gesagt, 'ein Arzt der Zukunft, der das Gesicht betrachtet, die Hände, sogar die Fußsohlen, alles mögliche, und danach den Charakter des Kindes bestimmt und auch sein Geschlecht.'

    Die Frau seines Vorstehers sei begeistert gewesen. Er komme aus einem fremden Land und habe ihr geweissagt, dass sie einen Sohn bekommen werde, einen Zehnpfünder. Geld habe er keines genommen, nur Weinbrandt, eine ganze Flasche, und zwei ihrer sehr teuren, geschliffenen Weingläser, weil es zwei Hellseher waren. Der eine habe gesagt, Geldnoten könne er in seinem Land nicht tauschen. Der andere habe geschwiegen, aber er sei der Kluge und Hellsehende gewesen. Das habe die Frau seines Vorstehers gesagt, so ihr Mann.

    Dabei wusste sie, dass sie ein Mädchen bekommen würde. Da brauchte es keinen Hellseher. Das kostete nur Geld. Sie dachte an ihre Mutter, die sie nicht mehr gesehen hatte, seitdem ihr Mann hierher versetzt worden war. Nun musste sie sich für das Kind eine Amme nehmen. Die würde Geld kosten, der Gärtner war nicht zu halten. Ihr schöner Garten würde verfallen.

    Die Nachbarn würden ihr nachsehen und über sie sprechen. 'Ja, ja', würden sie unüberhörbar tuscheln, 'die Frau ist sie, die, welche diesen wunderbaren Garten hatte: die Äpfel wie lackiert, die Bäume, das ahnen sie nicht, und ein Gärtner, ein eigener Gärtner. Eine Tochter hat sie bekommen, jawohl - und ist einmal eine solche Schönheit gewesen, dass man neidisch werden konnte.' So würden die Nachbarn reden, lauter und immer lauter.

    Dürfen wir hereinkommen?, rief in ihren Rücken eine Gestalt, die schon mitten im Garten stand.

    Es waren beim Hinsehen zwei Gestalten, die zu einem tiefbauchenden und hochhagernden Wesen verschmolzen waren. Der Kleine war schwer beladen mit Bündeln, in denen es klirrte, dass man an das Schlimmste denken musste.

    Er verbeugte sich ständig in alle Richtungen und rief flötend: Bitte sehr, beachten sie, meinen Herrn und Meister, er weiß alles über sie. Bitte sehr, ihr Leben, ihre Zukunft, er kennt sie!

    Der andere, dieser sein Herr und Meister, war groß und dürr und besaß lange Zähne, die an den Rändern faul waren. Sein furchiges Kinn war ständig in Bewegung, weil er nicht aufhörte, damit zu kauen. Vor langer Zeit einmal war sein Mantel schwarz gewesen. Nun besaß er den Oberflächenglanz des Speckschiefers.

    Beide sahen sie aus und rochen, als hätten sie die letzte Nacht im Freien verbracht und ihre Einnahmen ausgetrunken. Der Kleine fuchtelte mit den Armen, während der Große sie auf dem Rücken verschränkt hielt.

    Die Frau stand auf und lächelte. Dann setzte sie sich wieder, weil die Kniee sich nicht durchdrücken ließen. Sie sah die beiden an und war nun doch froh über die Abwechslung und darüber, dass sie sich einen Spaß mit ihnen ausgedacht hatte.

    Bitte sehr, flötete der Kleine, wir sind gekommen - bestellt gekommen - wegen der Zukunft zu sagen, die ferne.

    Ja, aber wissen sie denn nicht?, fragte die Frau auf der Bank in völligem Erstaunen. Sie als Hellseher müssten es doch wissen ...

    Der Kleine drehte sich klirrend um und sah zu seinem Meister hoch. Dieser bewegte weiter malmend die Kiefer und hatte nicht zugehört. Der Kleine zog ihn am Rock, worauf der Große ein Nicken spendete.

    ... ääh, sagte der Kleine, solche Dinge, wenn sie nicht sind hell genug, spricht er dunkel aus.

    Der gerade geborene Sohn von der Frau, erklärte sie ihnen, von der Bank hochblickend, die hier wohnte, ist gestorben. Und die Frau ... vor Gram ist sie aus dem Leben gegangen.

    Meine Schuld, welche ich trage, rief der Kleine und deutete auf den anderen. ER hat es gewusst, aber gesprochen mir sehr dunkel davon. Nun ich weiß, er hat gewusst alles. Die Frau, die gnädige, werte Frau des Höflichen Schreibers ist -

    Er wartete das traurige Nicken ab, faltete die Hände und setzte fort, - verstorben ist sie. Unser Beileid, unser Mitgefühl. Das ewige Leben, wir kennen ewiges Läben. Sie wollen wissen die Zukunft der Frau im ewigen Leben? ... Nein? ... Sie wollen Gutes tun der Frau aus diesem Haus, dass sie allein nicht ist in dieser schweren Stunde, für sich allein gelassen im ewigen Leben? ... Nein?

    Der Kleine suchte den Himmel nach einer Weisung ab, während der Große die Augen wie weiche Steine aus dem Gesicht heraushängen ließ. Die Frau auf der Bank war schläfrig geworden. Hatte sie nicht zu schnurren begonnen wie eine Katze, wie eine mittagsmüde Katze? Also gab der Kleine einer letzten Ansprache einen kräftigen Stoß.

    Sie wollen Zukunft für sich alleine gesehen? Wie fürchtet Schicksal von Menschen meinen Meister, weil er sieht hindurch sie wie ein Glas ... nein, ebenso nicht! Er schüttelte traurig das letzte Klirren aus dem Sack heraus.

    Mein Meister und ich, werte Frau, wir haben Kinder zuhause, fünf frierende und hungrige Mäuler, er hielt eine Hand hoch, die Kinder zu zählen. Die Mutter ist gestorben. Die Ernte ist verbrannt. Die Pferde sind davongelaufen. Es ist ein Schicksal! Die Tränen rührt es, wo Herzen sind. Geben sie uns eine kleine Gabe, dass die Kinder leben können... Oh, Meister, sie hat ein Herz nicht von Güte. Hart ist es, haarig wie eine Kokosnuss, nicht ein Tropfen Erbarmen darin. Die Frau, die ist gegangen vom Leben, sie war eine gute Frau ...

    Auseinandergebrochen unter der Erkenntis, dass sie zu spät gekommen waren, die Milde mildtätig zu finden, machte der Kleine eine Kehrtwendung. Er fasste den Meister am Mantelsaum wie an einem Zügel, woraufhin dieser den Hals drehte und sich abwandte. Beide gingen sie müden Wandererschrittes durch den Garten, hinausbegleitet vom Klang der Gläsern und der leeren Flaschen.

    Chapter 6. Medith als Kindmutter

    Der Sohn des Fürsten bekam den Namen Woi. Seine Mutter starb, kaum dass sie ihn geboren hatte.

    Auch der Kaiser erfuhr, dass Fürst Alta einen Sohn bekommen hatte. Dabei ließ er sich nicht anmerken, dass er noch nie von einem Fürsten mit diesem Namen gehört hatte. Aber weil der Kaiser vergesslich geworden war - auch in den Augen der anderen - merkte er sich den Fürsten Alta, gerade weil die anderen diesen Namen gleich wieder vergessen hatten. In Abständen sprach der Kaiser nun von dem Fürsten Alta und sagte, dass man ihm DEN nicht vergessen sollte.

    Augen, Brauen und Wimpern des Fürstenkindes waren schwarz wie bei seiner Mutter. Auch die Zeichnung der Lippen hatte er von ihr, wobei das Gesicht aber breiter in seiner Anlage war. Wie dem Fürsten versichert wurde, war sein Körper, wenn nicht groß, so doch kräftig. Das Kind hatte funkelnde Augen. Die Leute sagten, es wären rechte Fürstenaugen. Sie freuten sich, dass es einen jungen Fürsten gab, und die Frauen wussten sich viel zu erzählen.

    Soldat Medith erwies sich dem Kind als geduldiger und fähiger Ziehvater. 'Was soll ich die Aufgabe an jemanden anderen geben', hatte der Fürst gedacht, 'wo er sich doch als Vater schon bei seinen vier kleineren Brüdern bewiesen hat?' Also wies der Fürst ihm eine ältere Frau zu, die für die körperliche Pflege des Kindes bereitstand. Außerdem bekam Medith ein eigenes Zimmer mit einer angrenzenden Kammer für das Kind.

    Im Ganzen verrichtete Medith gehorsam und wohl auch glücklich seinen neuen Dienst. Für Nachtwachen standen genug andere bereit, und es war nicht unüblich, dass die Erziehung eines Fürstensohnes in die Händen von einem altgedienten Soldaten gelegt wurde.

    Die Kameraden schauten herein und sahen nach dem kleinen Sohn. Da Medith einer von ihnen geblieben war, sahen sie es nicht anders, als dass der Kleine auch ein Soldat und damit einer von ihnen war.

    Woi schlief in einem Bett, das von Medith selbst gezimmert worden war. Es war nicht eines von diesen zugedeckten Betten, so groß wie das Haus eines armen Bauern. Darin hatte sich Medith durchgesetzt. In keiner anderen Frage überging er den Fürsten und mit keinem Blick verriet er, was sie verband.

    Es war nicht Mediths Art, und es war nicht die Art eines Soldaten, den Jungen vor jedem Windhauch zu beschützen. So lernte der Junge schnell, wo es am meisten weh tat. Er konnte heulen vor Wut, dass ein jeder Angst bekam. Er schrie so laut vor Freude, dass Medith sich in Sorge fragte, ob er sich nicht wehgetan hatte.

    Wenn er hochgeworfen wurde, fingen ihn die großen Hände sicher wieder auf. Wie ein kleiner Soldat ließ er nichts über, aß alles auf und kratzte solange den Teller aus, bis Medith sich die Ohren zuhielt und eines von seinen Gesichtern machte. Von Beginn an schlief er die Nächte durch.

    Eines Morgens war Woi einfach aus dem Bett geklettert und hielt sich mit den Händchen am Rand fest, bis ihm die Knie wegknickten. Er fiel hin, war aber zu stolz auf seine Leistung, um den Schmerz zu bemerken.

    Du bist mir einer, flüsterte Medith in sein Ohr, kommst auf deinen Vater und auf wen auch immer. Ein klein wenig waren seine Augen bei diesen Worten feucht geworden.

    Dann hatte Woi versucht, Medith zu füttern. Der hatte einen schön großen Mund, der nach dem Löffel schnappte, sobald er ihn erhoben hatte. Das war einfach. Schwierig war es, den eigenen Mund zu finden. Blöd, dass man ihn nicht sah. Es klatschte so schön, wenn der Brei auf den Boden fiel.

    Nach dem Mittagsschlaf machten sie einen Ausritt auf Mediths Schultern. Sie ritten zu den Soldaten am Tor. Alle wollten sie sehen, wie gut er schon reiten konnte. Und Woi konnte reiten! Selbst Galopp machte ihm nichts aus, wenn er nur mit beiden Händen fest in die Haare von Medith gegriffen hatte.

    Er berührte ganz vorsichtig die glänzenden Spitzen der Speere. Mit einem Stein durfte er solange auf die Rüstung hauen, wie er wollte. Krach machte ihm am meisten Spaß. Die Helme waren alle zu groß für ihn, und die roten Federn durfte er leider nicht ausreissen. Aber er bekam eine weisse Feder, die er nicht mehr aus den Händen gab.

    Schon etwas langsamer ging es mit seinem Pferd weiter. Es fand es nicht toll, wenn Woi ihm die Haare auszog oder mit der Feder piekste. Wenn dem Pferd das Wasser über die Stirne lief, dann war es müde.

    Die richtigen Pferde waren riesig. Aus ihren Nasen kam Dampf, und ihre Gesichter konnte sich Woi gut merken. Sie hatten Schuhe wie die Soldaten, aber eine weiche Rüstung, an der er nicht klopfen durfte. Ihre Zähne waren riesig und gelb. Vor ihnen ging Medith immer ein Stück zurück.

    Wenn sie schnaubten und wieherten, lachte Woi. Das gefiel ihm, und er hätte gerne Medith auch schnauben und wiehern gehört. Das konnten aber nur die richtigen Pferde mit dem langen Hals. Woi durfte auf einem Sattel sitzen, der auf dem Boden im Stall lag. Ganz allein hielt er sich fest. Er zeigte auf ein Pferd, aber das schüttelte den Kopf.

    Nein, nein, sagte auch Medith, zum Reiten ist es viel zu früh. Üb du mal noch ein bißchen auf meinem Rücken. Geritten wird erst, wenn du laufen kannst.

    Wie er aber den Jungen so allein auf dem Sattel sitzen sah, war er richtig stolz. 'Das erste Mal, dass ich ihn sitzen sehe', dachte er, 'sitzt er in einem Sattel. Wenn das nicht etwas heißen will!'

    Dann nahm ihn Medith zum Aufsitzen hoch. Woi durfte dem Pferd einen Bund Hafer geben. Es schmeckte dem Pferd. Es nickte mit dem Kopf, dass Woi auch mal davon probieren sollte. Aber er mußte husten, öchöchich, und es kratzte. Medith schüttelte nur den Kopf über solch einen Unsinn. Er mochte bestimmt auch keinen Hafer essen. In deinem Brei ist genug von dem Zeug drin, sagte er. Woi hob die Nase und versuchte zu schnauben. Medith wischte sich mit einem Tuch über die Haare. So ein Kind war eine feuchte Angelegenheit!

    Sie ritten weiter zur Küche. Auf dem Weg trafen sie einen Gärtner, der Woi eine Blume schenkte, die ihm aber nicht schmeckte. Wois Pferd musste sich ausruhen, und er rollte sich im Gras immer eine Seite weiter, bis die Gärtner schrien, weil er an den Blumen zog. Sie mussten schnell wegreiten.

    In der Küche verbeugte sich Medith mit Woi auf den Schultern. Alle klatschten, dass der Junge sich so gut festhalten konnte. Was auch ein Glück war, denn es war ein bisschen gewagt von Medith, ihm solche Kunststücke zu zeigen! Jede der Frauen durfte ihn einmal auf den Arm nehmen.

    Ist er nicht ein wenig feucht unten herum, Herr Soldat? wurde Medith von einer gefragt. Er fühlte und wusste nicht so recht.

    Wir legen ihn einfach hierhin und machen ihn sauber, sagte die Magd, welche gefühlt hatte. So wurde Woi auf eine krumme Holzbank gelegt und gesäubert. Er betrachtete die schweren Balken an der Decke, von der die Köpfe wie wollige Bälle herabhingen. Zwischen den Mündern flogen die Hände wie Vögel umher, und vom Gehörten nahm er auf, dass sie nur das Beste von ihn dachten.

    Jeden Tag kam Woi einmal in die Küche geritten und hielt Hof. Er durfte mit einem Holzlöffel gegen die Töpfe hauen, und wenn er lachte und schrie und vor Vergnügen mit den Händchen ruderte, dann machten sie alle mit ihm Musik. Die Teller drehten sich im Kreis, die Löffel schlugen sich die Köpfe ein, und Medith haute 'DUMM-DUMM' auf den großen Topf. Jede Flasche hatte einen anderen Ton, und die Hände konnten klatschen, dass es wirbelig wurde. Unübertroffen, das Pfeifen des Kochkessels, erst weit weg, dann immer lauter und größer, bis außer dem Pfeifen nichts mehr zu hören war - da konnten sie alle hauen, wie sie wollten.

    Von einer Näherin bekam er eine Puppe, die Augen hatte, an denen er ziehen konnte. Wenn die Näherin sie hochhielt, dann konnte sie sprechen. Also nahm Woi sie mit. Er setzte sie auf seinen Rücken, damit sie wie er Reiten lernte. Sie bekam von seinem Brei zu essen, aber Medith nahm sie fort und sagte, dass sie seinen Brei nicht möge. Er verzog das Gesicht, und die Puppe verzog das Gesicht. Sie mochte wirklich seinen Brei nicht essen: Es war alles auf ihrem Gesicht geblieben!

    Chapter 7. Selma

    Die alte Frau war stehen geblieben. Sie war eine runde Person, die mit stämmigen Beinen langsame Schritte gemacht hatte. Dabei hatte sie zu den Bäumen gesehen, die kein Laub mehr trugen, und hinauf zum Himmel, an dem sich die Wolken wegen der Kälte eng aneinander schmiegten.

    Sie bewegte ihre Lippen, die Augen, ein wenig die Hände. Was die Leute wohl dachten, wenn sie mit sich selber sprach? Ihr Mann war noch nicht lange tot - das sollten die Leute wissen! - drei Monate, weniger zwei Tage war es her, und nur seine Stimme war ihr geblieben. Es war eine gute und lange Zeit mit ihm gewesen, und sie wollte dankbar sein. Vier Kinder hatten sie großgezogen, das dritte Enkelkind war unterwegs.

    'Mom Selma', sagte sie zu sich, 'halt dich aufrecht! Die Welt braucht dich, grad' wo es ihn nicht mehr gibt.'

    Das war sicherlich so, und sie wollte es damit halten, solange sich ihre Beine noch in Bewegung halten konnten. Und sie wollte weniger Nüsse essen. Die aß sie nur, weil sie keinen zum Reden hatte. Knabberte vor sich hin, ohne es zu merken, und die Erinnerung kam und setzte sich auf ihre Schulter, als wie die Katze von einer alten Hexe, ganz nah am Ohr. Aber schließlich hatte sie soviel geknabbert, dass ihr der Magen schwer geworden war und das Herz noch schwerer, wenn sie einschlafen wollte.

    Immer wenn sie eine Strecke ging, musste sie sich bald hier, bald dort niedersetzen. Dann kehrte der Atem zurück, der mit immer schnelleren Schritten vorausgeeilt war. So war es ihr recht, dass die neue Arbeitsstelle kaum zehn Minuten Weg entfernt sein würde.

    Sie kannte das Haus. Die Nachbarin sagte, dass sie die Frau, die in dem Haus wohnte, niemals auf der Straße gesehen hatte, nicht allein und nicht mit ihrem Kind.

    Die Frau war mit ihrem Mann von weit hergekommen. Er trug die Schuhe der fürstlichen Beamten und konnte lesen und schreiben. Das sagte die Nachbarin, weil er lange Rollen bei sich trug, die ganz leicht waren. Spät kam er nach Hause, und manchmal blieb er fort. Die Nachbarin hörte es bis zu ihrem Haus, wenn er auf dem Pflaster ausschritt.

    Die Frau war allein, keine Mutter oder Schwiegermutter, da war ihr alles zuviel geworden. Es war wohl ihr erstes Kind.

    Manches Mal hatte Selma die Frau gesehen, wie sie in ihrem Garten stand. Selma hatte gewartet, ob die Frau zur Straße hinsah. Aber sie hatte keinen Blick für die Menschen gehabt, die vorbeikamen. Es war eine schöne Frau, aber ein traurige Frau, dass Selma nicht mit ihr hätte tauschen wollen.

    Nein, wie Selma so vor dem weißen Gartentor stand, vollgesogen das Unterkleid mit Schweiß, der ihr kalt auf dem Körper klebte, da wusste sie wieder nicht. Was würde die Frau denken, wenn sie Selma sah? 'Eine alte Frau', würde sie denken, 'vom langsamen Gehen ist sie außer Atem. Eine sonderbare Person vielleicht, die es mit ihrer Einsamkeit nicht aushält.' So würde die Frau denken!

    'Selmchen', sagte da ihr Mann und hatte die Stimme, die ihm eigen war, seid er tot war, 'das ist doch das Richtige für dich. Mach es dir nicht so schwer. Das kannst du doch!'

    Sie nickte. Immer hatte sie ihn für alles entscheiden lassen, und es war nie das schlechteste gewesen. 'Ja', sagte sie leise zu ihm, 'das hast du gut gemacht, immer richtig entschieden und vorher viel nachgedacht. Wirst auch jetzt wohl das Rechte für mich wissen.'

    Einen wunderschönen Garten hatte die Frau, das wollte Selma anerkennen. Es war grün darin, trotzdem dass es Winter wurde. Die Bäume waren nicht groß, aber sie trugen ihr Laub noch, sahen nicht wie abgestorben aus. Der Garten - wie die Frau - kümmerte sich nicht, was draußen war. Von den Bäumen kannte Selma die meisten nicht. Sie waren fremd hier, und es war ein Wunder, dass sie zu Wuchs gekommen waren.

    Die Frau stand begrüßend auf der Treppe. Da hatte sie gestanden und zugesehen, wie Selma sich in ihrem Garten umsah. Als Selma sagte, dass es ein sehr schöner Garten sei, da sagte sie nichts, weil sie ihren Blick auf den Steinen verloren hatte. Da wusste Selma, dass die Frau mit sich selber sprach, wenn sie allein war. 'Manchen Menschen braucht für das Traurige niemand zu sterben', dachte sie für sich.

    Die Frau wandte sich um und ging Selma zum Haus voraus. Sie hatte einen leichten, fast schwebenden Gang über den Steinen, und Selma musste an eine durchscheinende Blume denken, eine Blume, die schön war und doch vom Händler am Abend verschenkt wurde.

    Im kleinen Empfangsraum bot sie einen Platz an und tat, als wäre Selma zu Besuch und auch eine sehr feine Dame. Die Stühle waren schlank und fein, und Selma saß sehr vorsichtig auf dem ihren. Alles war vornehm und nicht für das Berühren bestimmt.

    Die Dame trug ein hellgrünes Kleid. Auf dem weißen Kragen stieß das glänzende Haar in Wellen auf. Nichts in dem Haus ließ die Anwesentheit eines Kindes vermuten.

    Die Frau sagte, dass sie eine Tagmutter für ihre kleine Tochter suche. Selma sprach lange über sich, wobei sie mehrmals vorsichtig ihr Gewicht auf dem Stuhl verlagerte. Sie sprach über ihre Kinder und Enkelkinder. Das Herz und die Füße wurden ihr warm. Sie berichtete vom Tod ihres Mannes, und nur ihre feingliedrige Sitzgelegenheit verhinderte, dass sie die Hände vor das Gesicht schlug.

    Sie erzählte, wie sehr ihr Mann seine Kinder geliebt habe. Dass er ihnen Geschichten erzählt habe, Märchen und Fabeln. Fürchten habe sie sich müssen, so seien ihr die verzauberten Prinzessinnen in ihrer Gruselwelt an den Wänden erschienen. Er habe in seinem Erzählen kein Ende finden können und die Kinder zu spät den Schlaf. Selma schwieg in grausigem Rückerinnern.

    'Selmchen', sagte ihr Mannes mit der anderen Stimme, 'ich bin nicht gestorben, in deinem Herzen lebe ich doch fort.' Ein Nebel von Tränen hatte sich vor Selmas Augen gelegt. Sie hielt die Lippen fest verschlossen. Kein Wort durfte sie ihren Mann sprechen lassen! Die Stille im Raum war undurchdringlich geworden. Selma schwankte auf ihrem Stühlchen, aber sie fiel nicht.

    Da wäre noch die Frage des Lohnes, sagte die Frau. Eine richtige Amme können wir uns nicht erlauben.

    Selma nickte schwach. 'Ja', sagte ihr Mann, 'ich hab es dir gesagt: Die Reichen, die tragen, wo andere ein Herz haben, ihr Gespartes.'

    Von oben hörte sie ein Kindchen weinen. Ihre eigenen Jungens hatten immer wütig gebrüllt. Selbst das Mädchen hatte es ihnen nachgetan wie ein Schwalbennest. Dieses Kindchen da oben schien ihren Namen zu rufen. Es war, als rufe es SEELMAA. Die Frau nannte eine Summe. Selma nickte.

    Es war ein süßes Kind. Tuck, tuck, sagte Selma, und das Kindchen lächelte. Sischi, Sischi, flüsterte Selma in sein Ohr, und das Kind lachte wie eine kleine Sonne. Gna na, sagte es, und Selma nickte.

    Chapter 8. Der Mann auf dem roten Stuhl

    Wois Wagen hatte viele Räder. Der Wagen konnte viel schneller laufen als Woi, aber Medith konnte schneller als der Wagen laufen. Wenn Medith rief, hörte der Wagen nicht auf ihn. Dann lief er einfach weiter. Der Wagen freute sich, wenn Woi in ihm drin war. Wenn er sich freute, dann wippte er. Dann freuten sie sich zusammen und wippten zusammen.

    Manchmal kam ein Mann. Er hatte Füße, die klapperten laut auf dem Boden, und Woi fand es schade, dass sein Wagen nicht auch solche Füsse hatte. Der Mann hatte eine leise Stimme, die er mit der Hand streichelte. Medith hatte eine Stimme, an der er ganz fest kratzte. Manchmal machte er Seife auf seine Stimme und schnitt die Seife mit einem Messer ab. Woi hätte gerne das Messer gehabt, aber Medith legte es oben auf den Schrank.

    Der Mann mit den lauten Füßen fuhr ihn manchmal zu einem Mann, der in einem roten Stuhl saß. Der Stuhl war so hoch, dass Woi beim ersten Mal nicht bemerkt hatte, dass dieser Mann darin war, aber dann hatte er gesprochen. Es waren immer ganz viele Menschen bei ihm, und sie waren sehr still, wenn er etwas sagte.

    Woi wollte zeigen, wie gut er schon aus dem Wagen klettern konnte, aber der Mann mit den lauten Füßen hielt ihn mit der Hand fest. Da lachte der Mann in dem roten Stuhl, aber Woi fand das nicht lustig und machte einen bösen Blick. Auch der Mann in dem Stuhl machte einen bösen Blick, und alle Menschen, die dabeistanden, lachten, so laut, dass sich Woi erschreckte.

    Der Mann war überhaupt ein langweiliger Mann. Die Soldaten machten keine Späße, wenn dieser Mann mit ihnen sprach. Er klapperte nicht mit Töpfen und kannte keine Tierstimmen. Außerdem durfte Woi ihn nicht füttern. Und an den Haaren konnte er ihn nicht ziehen, weil der Mann zu weit weg war. Es waren lange, weiße Haare, die Woi bestimmt gut ausziehen konnte. Das Pferd würde sie mögen, da war sich Woi sicher. Sie sahen aus wie Hafer.

    Woi wurde in eine Ecke des Raumes geschoben und deckte die Puppe dort mit der Gardine zu. Dann wurde er in eine andere Ecke des Raumes geschoben. Da stand eine kleine Vase, die Woi aber nicht fangen konnte, weil sie sehr schnell auf den Boden sprang.

    Der Mann auf dem roten Stuhl schimpfte mit der Vase. Die lauten Füße waren ganz still. Selbst die Vase weinte nicht, obwohl sie sich weh getan hatte.

    Der Mann hatte ein Gesicht wie ein alter Käse. So einen bekam Woi manchmal in der Küche zum Spielen. Meistens sprang ihm der Käse aus den Händen, und alle sprangen zur Seite und hielten sich die Hand vor den Mund. Bestimmt konnte sein Käse auch sprechen, wenn er auf den großen Stuhl saß! Dann würden die Menschen ganz still sein, obwohl es nur ein Käse war, der nicht einmal richtig spielen konnte.

    In der anderen Ecke war eine rote Tür. Da war ein Kopf drauf, der auch rot war. Weil er sich in dem Wagen aufstellt hatte, durfte Woi ihn anfassen. Der Kopf hatte eine lange Stimme mit weißen Zähnen. Die Augen sahen Woi böse an, als er mit den Fingern an ihnen piekste.

    Der Kopf hatte den Mund aufgerissen wie Medith, wenn er ganz laut niesen musste. Aber der Kopf nieste nicht. Er mochte Woi nicht, schaute immer nur böse drein, und alle schienen sich vor ihm zu fürchten, weil er nicht niesen konnte.

    Nur der Mann in dem roten Stuhl war ein Freund von dem Kopf auf der roten Tür. Er zeigte auf ihn und sagte: Drache, Woi, das ist ein DRACHE.

    Metith, sagte Woi und zeigte auf die Puppe, die keinen Namen hatte.

    Der Mann in dem roten Stuhl redete sehr viel. Neben ihm saß ein Mann und hatte eine weiße Fahne in der Hand. Dieser Mann machte die weiße Fahne mit seinem Finger schmutzig. Einer seiner Finger war länger als die anderen, war vorne spitz und kratzte. Mit ihm malte der Mann die Fahne schwarz an. Wenn sie schwarz war, nahm er sich eine neue. Keiner außer Woi wollte bemerken, dass er alle Fahnen schmutzig machte.

    Der Mann auf dem roten Stuhl zeigte auf den Mann mit dem schmutzigen Finger und sagte: Schreiben, Woi. Das ist Schreiben. Das musst du auch einmal lernen.

    Muust, muust, sagte Woi und zeigte allen seinen Finger. Wenn jemand vor dem roten Stuhl stand, sagte er ein sehr langes Wort. Der Mann mit dem Haferhaar redete ein kurzes Wort, dann redeten die anderen immer längere Worte, soviele, wie sie finden konnten. Niemand sah, dass der Mann mit dem kratzenden Finger wieder eine Fahne schmutzig gemacht hatte.

    Niemals redeten sie über Woi. Das spürte er ganz genau. Sie beachteten ihn überhaupt nicht! Wenn er ihnen wenigstens etwas hätte zeigen dürfen. Aber es war nichts da! Er zeigte dem Mann mit den lauten Füßen seine weiße Feder. Der Mann wollte sie ihm abnehmen, aber Woi schrie so laut und böse, dass er sich nicht traute. Seine Feder durfte er behalten.

    Dann wurde Woi zur Seite geschoben. Ein Mann drückte an dem Kopf von der Tür ein Ding herunter, das aussah wie der Schuh von einem Pferd. Jetzt nieste der Kopf, und das ganz fürchterlich. 'Ouuuoii', nieste er. Der Mann, der hereinkam, erschreckte sich so sehr, dass er auf den Boden fiel. Als der Kopf wieder an seinen Platz geschoben wurde, nieste er noch einmal: 'Oouuuuii'. Aber Woi konnte er durch sein Niesen nicht erschrecken. Er hatte keine Angst, nicht vor dem Kopf von einem Pferd, nicht vor dem Kopf von einer Tür.

    Woi zeigte allen, dass nicht einmal seine Puppe Angst vor dem Niesen hatte. Der Mann, der auf den Boden gefallen war, konnte wieder gehen, als ihm der Mann auf dem roten Stuhl einen sehr langen Löffel auf den Rücken gelegt hatte. Ob seine Puppe auch laufen konnte, wenn er ihr einen Löffel auf den Rücken legte?

    Der Mann auf dem roten Stuhl hatte einen so langen Löffel, dass er Woi damit hätte füttern können. Er hatte bestimmt oft Hunger. Alle hatten sie Hunger, und am meisten Woi!

    Hat, hat, rief Woi immer. Sie mussten doch wissen, was er meinte, aber sie verstanden nicht die Sprache der kurzen Worte. Sie sagten Worte, die niemals aufhörten.

    Hathathattathathattat, rief Woi, so laut und so lang er konnte. Dann weinte er. Das mussten sie doch verstehen, dass er Hunger hatte! Nein, sie waren dümmer, viel dümmer als Medith!

    Chapter 9. Selma und Li

    'Li' hatten die Eltern das Kind geheißen. Für Selma war sie die 'kleine Prinzessin'.

    Lange bevor sie laufen konnte, fielen ihre Haare dicht und schwarz. Auch die weiße Haut und die hohe Stirn hatte sie von ihrer Mutter. Zierlich war sie und blieb immer ein gutes Stück kleiner als die Kinder ihres Alters. Vom Vater besaß sie die Augen. Kein Funkeln war in ihnen, keine Glut, eher ein vielfach träumerisch getönter Widerglanz. Als gehöre das, was vor sie hintrat, zu einer schönen Geschichte, zu einem Lied, dass die kleine Li in die Ferne entführen wollte. Das war der Vater in ihr.

    Sie lachte nicht, strahlte nicht vor Glück. Ihre Stimmungen erkannte Selma am weichen Mund, der einzig von ihrem Inneren preisgab. Es war, als gehe die Freude nur die kleine Li etwas an, sei somit unteilbar und für andere wertlos.

    Sie ließ den Dinge, die sich ihr anboten, Zeit. Wenn das Feuer knisterte und knackte, zischte und flüsterte, dann lag sie da, wie erstarrt, hatte die Äuglein geschlossen, um den Lauten nah zu sein.

    Sie liebte das Singen der Vögel. 'Da, da', riefen ihre Händchen. 'Hör nur, Selma, die Vögel sind wieder da.'

    Und waren die Vögel auch nah genug, sie zu sehen, so lag Li doch mit geschlossenen Augen in ihrem Bettchen, als könne ein Blick sie alle verscheuchen. Waren die Vögel fröhlich, dann war ihre Stirn glatt, und die kleinen Augen schienen den Lauten zu folgen. Stritten die Vögel aber, zetterten und zankten, dann zitterte ihr der kleine Mund.

    Nie hatte Selma ihre Prinzessin weinen sehen. Wenn es gegen die Scheiben regnete, ein Vogel nicht bleiben wollte, ein Lärmen sich zu ihr verirrt hatte, dann war sie traurig. Es war, als flössen ihr die Tränen nach innen, um sich in ihrem Herzen zu sammeln.

    Dann wagte Selma nicht, sie anzurühren. 'Warum weint das Kind nicht?', fragte sich Selma. Kinder lachen doch schon wieder, wenn die Tränen noch auf ihren Backen sind! Im kleinen Haus von Lis Kinderseele war die Traurigkeit ein bevorzugt umsorgter Gast.

    Die Mutter ließ Selma gewähren. Wenn sie herbeitrat, näherte sie sich dem Bettchen behutsam, als müsse sie Selmas Zorn fürchten. Das Kind war verwundert, jemanden anderen als Selma zu sehen. Die Mutter sagte kein Wort. Li lag still und schaute, als spreche die Mutter durch ihre Blicke zu ihm. 'Die Gedanken ihrer Mutter wird sie lesen',

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