Schule und Supervision: Held:innenkräfte kultivieren
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Über dieses E-Book
Das praxisnahe Sachbuch betrachtet das Beratungsformat Supervision beziehungsweise Coaching im staatlichen Schulsystem als ein gefordertes, wirksames, jedoch nach wie vor (zu) selten realisiertes Beratungsangebot. Zudem bietet es anhand vieler Falldarstellungen Einblick in ein einzigartiges System organisationsinterner, arbeitsweltlicher Beratung.
Viktoria Munk-Oppenhäuser
Dr. Viktoria Munk-Oppenhäuser, Diplom-Psychologin, hat im Bereich der Psychosozialen Notfallversorgung an Schulen promoviert sowie an den Lehrstühlen für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie und für Pädagogische Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena gelehrt. Sie leitet das Referat „Schulentwicklung, Lehrerbildung und Schulpsychologischer Dienst“ am Staatlichen Schulamt Ostthüringen. Zudem ist sie als DGSv-zertifizierte Supervisorin in freier Praxis tätig.
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Buchvorschau
Schule und Supervision - Viktoria Munk-Oppenhäuser
1
Schule, Schulpsychologie und Supervision als ein Beratungssystem
Das Feld der Beratung oder auch das Beratungssystem (nach Rappe-Giesecke, 2009), das wir betrachten möchten, ist ein sehr spezifisches. Das Rat suchende Subsystem ist in unserem Fall die Schule, konkreter können es einzelne Pädagog:innen, Erzieher:innen oder Führungskräfte ebenso wie Teams oder Gruppen dieser und angrenzender Professionen sein. Sie können personell identisch mit dem Auftrag gebenden Part sein. Beispielsweise kann sich ein:e Lehrer:in selbst um Supervision bemühen, es kann aber ebenso eine Schulleitung für das Kollegium Supervision anfragen. Das auftraggebende Subsystem können nicht nur die Klient:innen selbst oder ihre direkten Vorgesetzten sein, sondern auch die schulaufsichtlich-ministerielle Behörde, die den Schulen übergeordnet ist, da diese gleichzeitig auch Träger des schulpsychologischen Berater:innensystems für Schulen sein kann (siehe Abbildung 1 auf der folgenden Seite). Das dritte Subsystem ist das der beziehungsweise des Beratenden, in unserem speziellen Fokus steht hier als systeminterner Supervisionsanbieter der Schulpsychologische Dienst.
Unser erster Schwerpunkt in den folgenden Kapiteln betrachtet Supervision als ein wirksames Beratungsformat zur Reflexion beruflichen Handelns von Pädagog:innen beziehungsweise pädagogischen Fachkräften. Ziele sind die Wiederherstellung, der Erhalt oder die Erweiterung der Handlungsfähigkeit einzelner Pädagog:innen oder pädagogischer Gruppen, Teams und ganzer Kollegien, und die Erhaltung beziehungsweise Förderung der Qualität von Arbeitsbeziehungen. Bestenfalls können hier Impulse für die Organisation Schule in Richtung einer Lernenden Organisation gesetzt werden (Senge, 2021), erfahrungsgemäß vor allem an kleineren Schulen mit vergleichsweise wenigen Kolleg:innen, an neu gegründeten Standorten oder in Kombination mit weiteren Beratungsformaten.
Abbildung 1: Das Beratungssystem Supervision und Schule
(angelehnt an Rappe- Giesecke, 2009)
2
Schule von heute und die Notwendigkeit der Etablierung von Supervision
2.1 Schule heute
Warum sollte aus unserer Sicht Supervision für Pädagog:innen und Erzieher:innen verpflichtend eingeführt werden (siehe auch Mikula, 2008; Deppe, 2021)? Das supervisorische Arbeitsfeld Schule ist ein besonderes: Jede:r kennt es quasi von innen heraus, jede:r hat eine Art »Insiderwissen« darüber, wie es hier zugeht, wie es sich anfühlt und vor allem, was bei den pädagogischen Akteur:innen alles »gut läuft«, »nicht läuft«, »schon längst ganz anders sein könnte« oder »schon immer so war«. Hierbei verknüpfen sich die Erinnerungen an die eigene Schulzeit bei vielen mit den Erfahrungen als Eltern und dem Blick »von der Seite« auf pädagogisches Handeln. Die seit 1919 in Deutschland gesetzlich verankerte Schulpflicht anstelle des zuvor bestehenden »Unterrichtsrechts« ist bei ihren Befürworter:innen eine der bedeutsamsten Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft (Tenorth, 2014). Sie sichert das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Bildung unabhängig von den sozialen und ökonomischen Voraussetzungen und den Überzeugungen ihrer Eltern und ist die Basis eines selbstbestimmten Lebens im Erwachsenenalter.
Lehrkräfte sollen die kindlichen Persönlichkeiten fördern, gut ausgebildete Fachkräfte in die Welt entlassen und mit ihrer Arbeit langfristig dazu beitragen, Frieden und Demokratie durch die Bildung gesellschaftsfähiger junger Erwachsener zu sichern. Schule soll zukünftige mündige Bürger:innen in ihrem individuellen Wachsen begleiten und gleichzeitig auf normierte Schulabschlüsse bestmöglich vorbereiten. Die bildungsaffine Welt um die Schule herum spricht von Kooperation und Ko-Konstruktion, dem Mehrwert von Vielfalt und Diversity Management, der Notwendigkeit von Digitalität und hybridem Lernen, inklusionsorientierter Bildungsgerechtigkeit und individuellem Lerncoaching bei wachsender Nutzung künstlicher Intelligenz im Alltag. Innovative Schulen und reformpädagogische Teams bieten heutzutage Fächer wie »Neuland«, »Herausforderung«, »Verantwortung« und »Glück«, oder bearbeiten am »Frei Day« mit ihren Schülern die 17 Ziele der Bildung für nachhaltige Entwicklung und sind längst auf einem transformativen Weg zu neuem Lernen.
Parallel zu diesen fantastischen pädagogischen Entwicklungen an einigen wenigen, oft preisgekrönten Schulen gibt es noch immer schulische Landschaften, in denen das sogenannte »Bulimielernen« (schnell viel Lernstoff auswendig lernen) sowie Arbeitsblattbearbeitung am Fließband vorherrschen und auf Leistung und Kognition weit vor Werte vermittlung, Beziehungsfähigkeit, Empathie und Reflexionsfähigkeit gebaut wird. Die schulische Welt beschreibt häufig unpassende gesetzliche und strukturelle Bedingungen, kaum bezwingbare Verwaltungsaufgaben, Personal- und Ressourcenmangel, hohe Heterogenität in großen Klassen, der man pädagogisch nicht gerecht werden kann, und große Teile der Elternschaft, die schulisch nicht erreicht werden. Schulleitungen berichten aus ihrem Arbeitsalltag, dass sie mehr mit polizeilichen Ermittlungen und der Deeskalation von Krisensituationen beschäftigt sind, als sich mit ihrem Kollegium gemeinsam Gedanken über Vision und Leitbild ihrer Arbeit für die nächsten Jahre zu