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Angekommen: Eine Reise zu meiner inneren Weiblichkeit
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Angekommen: Eine Reise zu meiner inneren Weiblichkeit
eBook263 Seiten2 Stunden

Angekommen: Eine Reise zu meiner inneren Weiblichkeit

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Über dieses E-Book

Angekommen: Eine Reise zu meiner Inneren Weiblichkeit.

Aufgewachsen in Südafrika mit indischen Wurzeln, fest verankert in einer konservativen Gemeinschaft, großgezogen von einer alleinerziehenden Mutter, kämpft sich ein Mädchen ihren Weg zur Frau.

Denn Priyanka weiß, dass der Körper, der ihrer ist und eben doch nicht, nicht zu ihrem Bewusstsein passt. Auf ihrem Weg zur radikalen Geschlechtsumwandlung begegnet sie Menschen, die sie und ihren Weg ablehnen, aber auch Menschen, die sie aufbauen und lieben werden.

Es ist ein Weg der Extreme, ein Marathon der Ups und Downs. Eine Geschichte, die erzählt werden muss, damit die Menschen den Mut fassen, sich und andere so zu akzeptieren und anzunehmen, wie sie sind.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum11. Juni 2024
ISBN9783759763907
Angekommen: Eine Reise zu meiner inneren Weiblichkeit
Autor

Priyanka S. Ramdheen

Priyanka Santanah Ramdheen wurde 1971 geboren und wuchs in Südafrika auf. Ihr Buch "Angekommen" ist ihr biografischer Debütroman in Deutschland. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Ehemann, einem gebürtigen Dänen, in Berlin.

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    Buchvorschau

    Angekommen - Priyanka S. Ramdheen

    To those who were, whose stories echo through time.

    To those who are, crafting their own chapters.

    To those who are yet to become –

    may this journey inspire your unwritten tales!

    This book is dedicated to the ever-evolving tapestry of lives.

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Prolog: Der Spiegel (22)

    Glitzernde Faszination (5)

    Grannys kleines Mädchen (6)

    Wer ist falsch? (7)

    Seltener Besuch

    Kleine Bardame

    Unklare Identität (8)

    Spott tut weh

    Peinlicher Friseurbesuch

    Mit den Mädchen

    Mobbing (9)

    Träumerei in der Disco

    Erste Wut des Bruders (10)

    Entsetzter Pageboy

    Das Ende einer Freundschaft (12)

    Voyeur

    Meine zweite Familie

    Ein Lied nur für mich

    Sein Mädchen (13)

    Emanzipation

    Eine Mädchenfreundschaft

    Was war nur mit mir? (14)

    Zu Besuch bei meinem Großvater (15)

    Genau dahin! (16)

    Spielball der Liebe

    Druck von allen Seiten

    Nicht mehr zu ertragen

    Ein weiterer Selbstmordversuch (17)

    Eine andere Identität

    Im geschützten Raum

    Eine neue Welt in Johannesburg (19)

    Romeo

    Geschwister, so vertraut und fremd

    Eine neue Welt

    Die Hautfarbe wird zum Problem

    Ich bin deine Schwester

    Mein Geheimnis

    Du kannst durchstarten

    Im Kleid auf die Party

    Stimmübungen (21)

    Bunte Bekenntnisse

    Wie ich leben wollte (22)

    Wo ist mein Platz? (23)

    Coming-out

    Unverständnis

    Angekommen bei Santanah (24)

    Doppelleben

    Brutaler Überfall (25)

    Die Gefahr erkennen

    Noch eine Schwester (26)

    James

    Rupaul (28)

    Romeo stirbt

    Ein wirklicher Freund (29)

    Mein Vater ist tot

    Der Mann in meinem Leben? (31)

    Ich bin eine Tochter (38)

    Eine Vertraute

    Im Stich gelassen (40)

    Der falsche Arzt

    Ungewollte Veränderung

    Der Weg zur Frau (41)

    Die Transition geht weiter (42)

    Die große OP

    Meine Mutter

    Telefonate ohne Austausch

    Zurück als Frau

    Neue Wahrhaftigkeit

    Metamorphose

    Abschied von der Vergangenheit

    Verschiedene Reaktionen (43)

    Kontext

    Ausprobieren

    Damian

    Kein Respekt

    Mein Traummann (45)

    Andere haben auch dunkle Seiten

    Mein Bruder

    Unangenehme Erfahrungen (46)

    Noch heute fühle ich die Erschütterung

    Es gibt Unterschiede (47)

    Reduziert (48)

    Schwierige Offenheit

    Als Frau unter Frauen (49)

    Ein Exkurs

    Zurück in Südafrika (51)

    Ich helfe meiner Mutter

    Die schwarze Schlange

    Epilog: Mutter-Tochter-Gespräch

    Vorwort

    Dieses Buch erzählt als autobiografische Empfindungsreise die authentische Geschichte einer Frau, die schmerzlich erfuhr, dass es ebenso wichtig ist, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen wie durchzuatmen. Es ist ein Buch darüber, sich selbst treu zu bleiben, in den Spiegel zu schauen und zu lieben, was man sieht. Es wird bei jedem Anklang finden, der seinen Weg allein gehen, Selbstzweifel, Geschlechtsidentitätskrisen und Mobbing bewältigen musste. Das Gefühl der Verlassenheit ist allgegenwärtig, wenn man erfährt und glaubt, ein sozialer Außenseiter zu sein.

    „Werde, wie du gemeint bist", ist ein Satz, der mich auf meinem Weg begleitet hat.

    Dieses Buch kann Betroffene unterstützen, die Wahrheit ihres Wesens anzunehmen und sich selbst zu befähigen, sich mit Liebe und Frieden leidenschaftlich in Selbstachtung und Würde auszuleben. Es ist ein Buch, das besagt, dass es auf dieser Erde genug Platz gibt, damit wir alle angenehm leben und einander respektieren können, unabhängig davon wie wir uns der Welt präsentieren.

    Noch eine Erfahrung möchte ich persönlich weitergeben. Durch die Unsicherheit angesichts der Tatsache, dass ich schon sehr früh merkte im falschen Körper gefangen zu sein, habe ich häufig meinen Wert als Frau, die ich in mir spürte, von der Validierung der Männer abhängig gemacht. Das geschah meist über körperliche Anziehungskraft. Eine Frau ist aber mehr als ihr Körper. Ich war immer mehr als meine rein körperliche Ausstrahlung. Ich war Frau im Denken, Fühlen und Handeln. Doch die Bestätigung als Frau habe ich meist durch meinen Körper erfahren. Das hat den Männern eine Macht über mich gegeben, die mich oftmals in ungute bis gefährliche Situationen gebracht hat und die sie sich nicht scheuten, schamlos auszunutzen. Es hat lange Jahre gedauert und viele schmerzliche Erfahrungen gekostet, bis ich mich davon befreien konnte.

    Wenn meine Geschichte helfen kann, dass Menschen selbstbewusster und liebevoller mit sich selbst umgehen, lassen sich viele schmerzliche Erfahrungen verhindern, die ich noch machen musste zu einer ganz anderen Zeit und in einem ganz anderen Land.

    Priyanka S. Ramdheen

    Hinweis: Die Zahlen hinter den Überschriften auf den folgenden Seiten beziehen sich auf mein jeweiliges Alter.

    Prolog: Der Spiegel (22)

    Zuerst erschien es mir wie ein sich schnell wieder verflüchtigender Augenblick. Angezogen von einem Leuchten, denn mehr war es anfangs nicht, schaute ich noch einmal genauer hin und hielt diesmal ihrem, meinem Blick stand, verharrte, solange es ging, in diesem brüchigen Moment. Nun sah ich mich, eingefasst von dem rahmenlosen zwei Meter hohen Spiegel, der von einem verzierten goldenen Ständer gehalten wurde. Ein Adrenalinstoß durchzuckte mich vom Kopf bis in die großen Zehen und gleichzeitig kehrte Ruhe ein; eine tiefe innere Ruhe, wie ich sie noch nie empfunden hatte.

    Es war mein freier Tag. Ich hatte ausgeschlafen, dann ein Brot mit Erdnussbutter gegessen und lümmelte mich nun mit einer Tasse Tee auf dem Bett, das ich mir – wie dieses Appartement in Johannesburg – mit Romeo, meinem acht Jahre älteren besten Freund, teilte. Wir hatten uns bei der Ausbildung in der Schule erst vor wenigen Monaten kennengelernt. Romeo war der Erste gewesen, der mich als Marc kennenlernte, mich ansah und mich sehen konnte, so wie ich wirklich war. Romeo war androgyn und bestärkte mich darin, am Wochenende in Frauenklamotten auf Partys zu gehen. Das gefiel mir. Allein hätte ich mich das nie getraut. Das waren die Momente, in denen ich mich Santanah nannte – nach dem Vorbild einer starken Frau, die ich einmal getroffen hatte.

    An diesem Tag langweilte ich mich fürchterlich in dem kleinen Studio und hatte weder Lust, mich an die Hausaufgaben zu setzen, noch zu waschen oder gar die Wohnung zu putzen. Das Badezimmer um die Ecke war dreckig. In der Kochnische stapelte sich das schmutzige Geschirr. Das Bett war ungemacht. Es war kalt in der Wohnung und ich fröstelte ein wenig. Ich hatte nur eine kurze Hose und ein T-Shirt an und wollte mir einen Hoodie überstreifen. Barfuß schlurfte ich zum Schrank, der in der Ecke stand. Als ich die knarrende Tür öffnete, stach mir die goldene Schrift auf der schwarzen Tülle des Lippenstifts, der Romeo gehörte, ins Auge. Das ist nicht meine Farbe, dachte ich kurz, als sich auch schon meine Finger nach dem Lippenstift ausstreckten. Romeo stand dieses leuchtende Rot. Seiner dunklen Haut kamen wärmere Töne entgegen.

    Die kühle Plastikhülle brannte in meiner Hand. Hier könnte ich mich trauen. Ich wäre geschützt in diesem schmuddeligen Raum in dem heruntergekommenen Betonkomplex, den wir unser Zuhause nannten. Keiner würde es sehen. Warum es also nicht wagen? Es wäre lustig. Ich betrachtete den Lippenstift und meine Hand. „Grazil" hatte Romeo Tage zuvor meine Finger genannt. Die grazilen Finger einer eleganten Frau.

    Ich näherte mich dem Spiegel und streifte eine freche Welle meines langsam wachsenden Haares aus dem Gesicht. Ich sah mir noch einmal in die Augen. Vorsichtig nahm ich die Kappe ab und drehte das Rot nach oben. Und schon bewegte sich meine Hand in Richtung meiner vollen Lippen. Langsam und erwartungsvoll öffnete ich den Mund, führte die cremige Stiftspitze entlang der Oberlippe hin und her, zog sorgfältig die Kontur nach, presste sodann die Lippen zusammen und rollte sie aufeinander ab. Als letztes zog ich die Unterlippe mit der roten Farbe nach.

    Im Glanz meiner erstrahlten Augen sah ich SIE. Das erste Mal in meinem Leben erkannte ich mich selbst. Die Person im Spiegel war ich! Und ich wusste: Ich würde diese Frau sein.

    Glitzernde Faszination (5)

    Fünf Jahre alt zu sein, nicht viele Freunde zu haben und mit Mutter und Bruder in einem Zimmer zu leben, hinterlässt einen neugierigen Geist, mit dem es viel zu entdecken gibt, wenn die Zeit reif ist.

    Mein fünfjähriges Ich suchte nicht nur nach Möglichkeiten, sich zu beschäftigen, sondern war auch verblüfft und verwirrt darüber, wie ich mich im Inneren fühlte.

    Meine Mutter, mein Bruder und ich bewohnten zu dieser Zeit ein Zimmer bei einer sehr netten Familie. Die anderen erzählten und lachten unten. Mich jedoch langweilten die Gespräche der Erwachsenen und so fand ich mich schließlich in unserem Schlafzimmer wieder.

    Was sollte ich tun? Zwischen dem Modeschmuck und Make-up meiner Mutter fiel mein Blick auf die oberste Schublade ihres Schminktischs. Da gab es bestimmt interessante Dinge zu entdecken!

    Wenn Mutti, vorzugsweise an den Wochenenden, vor dem dreigeteilten Spiegel saß und sich langsam mit dem Mascara die Wimpern tuschte, die Haut mit Puder bedeckte, sorgfältig die Lippen mit dem von ihr favorisierten, hellen Ton nachzog und schließlich einen Tupfer Rouge über ihre Wangen verteilte, stand ich staunend neben ihr. Ich war fasziniert von ihrer Verwandlung und wollte Teil dieses Prozesses sein. Dann, wenn sie sich ganz fein machte, legte sie sich noch ihren Schmuck aus Glas, Plastik und Goldimitat an, als wären es Brillanten. Ganz andächtig streifte sie die billigen Armbänder über ihre Hände mit den sorgsam lackierten Fingernägeln, legte die Kette mit den schwarzen runden Perlen um ihren Hals und klippte die Ohrringe über ihre Ohrläppchen. Dann klappte sie die zwei Außenflügel des Spiegels in einem bestimmten Winkel zusammen, so dass sie sich prüfend von allen Seiten betrachten konnte.

    An diesem Mittag stand die Schminkkommode aus dunkelbraunem Holz mit ihren zwei Schubladen oben, direkt auf dem Tisch vor dem Spiegel. Die obere Schublade erschien mir besonders verheißungsvoll, denn ich wusste, diese besondere Schublade barg all die Preziosen, die ich an meiner Mutter so bewunderte. Langsam näherte ich mich dieser geheimnisvollen Schublade, strich einmal langsam mit meinen Fingern über das anmutende, glatte Holz und zog sie vorsichtig auf. In der Mitte stach mir die pinkweiße Quality Street Blechdose ins Auge, in der sich keine Toffees mehr, sondern all die so kostbare Schmuckutensilien befanden. Achtsam öffnete ich die Dose und sah mir andächtig den glitzernden Inhalt an. Armbänder, Gold und Silber, bunte Ketten, Ketten aus gefärbtem Glas und Ohrringe verschiedener Größen: all diese Kostbarkeiten glitzerten mir in diesem kleinen blechernen Behältnis entgegen.

    Nahezu eine Aufforderung für mich, etwas anzulegen. Etwa zuerst den grünen Ohrring links und den goldenen rechts? Dann griffen meine Finger immer mehr, einmal die schwarze Kette, im nächsten Moment die klirrenden Armbänder. Im Spiegel verfolgte ich meine Verwandlung und war begeistert.

    Plötzlich entdeckte ich den Lippenstift. Die viel zu großen Armreifen klimperten melodisch, als ich meine Hand nach dem verheißungsvollen Zauberstift ausstreckte. Vorsichtig zog ich die Plastikhülle ab. Und schon im nächsten Moment strich ich ausgelassen mit dem cremigen Rot über meine Lippen. Es war ein richtiger Rausch: mein Bildnis im Spiegel, das kühle Gefühl des Schmucks auf meiner Haut und die tiefroten Lippen, die mich so aussehen ließen wie Mutti, wenn sie in den Spiegel sah. Das war ein Spaß!

    Ich hatte sie vor lauter Aufregung gar nicht bemerkt. Aber im nächsten Moment stand meine Mutter lachend hinter mir. Sie fasste meine Schultern und ihr Kopf erschien neben meinem im Spiegel. Aus ihrem breiten vollen Mund kam ein fröhliches Glucksen. Mein kleiner Streich amüsierte sie: „Was machst du denn da, mein Lieber? Na, jetzt geh ins Bad, mach dich sauber und komm runter zum Essen."

    Grannys kleines Mädchen (6)

    Im Nachbarhaus wohnte eine ältere Frau mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die ihre drei Kinder allein großzog. Wir nannten sie Granny, was Großmutter bedeutete. Granny mochte mich sehr und passte oft auf uns auf. Ich liebte sie, sie gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Sie sah, was mit mir war und beschützte mich, wo sie konnte. Wann immer es ging, suchte ich ihre Nähe. Granny war eine gutmütige Person. Sie trug immer ihren Sari und schnupfte Tabak. Für uns Kinder war sie die Größte.

    Granny half meiner Mutter bei unserer Erziehung, mit einer Weitsicht, in einer Zeit, in der es für das, was mit mir war, nicht wirklich eine Begrifflichkeit gab. Ganz selbst-verständlich teilte sie meinen Bruder und mich wie Bruder und Schwester ein. Mein Bruder spielte meist im Garten. Mich hingegen nahm sie immer beschützend an ihre Seite. Sie verstand mich völlig selbstverständlich in meinem Sein, so wie ich war.

    Bei ihr durfte ich ein kleines Mädchen sein. Sie bestärkte mich darin, indem sie mich drinnen Hausarbeit machen ließ und die Jungen zur Gartenarbeit nach draußen schickte. Ich fühlte mich so wohl an ihrer Seite.

    Grannys Enkeltochter Molly behandelte mich wie eine Schwester. Wir beide hatten viel Spaß, tauschten Kleider und kümmerten uns gemeinsam um die Belange im Haus. Für sie war mein feminines Verhalten ganz natürlich. Sie akzeptierte mich als ihre Schwester.

    Ganz anders verhielt sich Grannys Sohn. Er war ein Alkoholiker und kam selten nach Hause. War er aber da, so störte er sich an mir und daran, dass seine Mutter sich zu viel um mich kümmerte. Er war unsicher, stand seiner Mutter sehr nah und unsere Anwesenheit und die Aufmerksamkeit, die sie uns schenkte, verärgerten ihn sehr. Wenn er ins Haus kam, hatten wir zu gehen. Er teilte uns dann auf die eine oder andere charmante Weise mit, dass wir zu verschwinden hatten. Wir gehörten nicht zur Familie und würden das auch nie tun.

    Wer ist falsch? (7)

    Es war mein erstes Schuljahr. Ich war gerade sieben geworden und freute mich, zu entdecken wo mein Platz in der Welt war.

    Eines Morgens, als ich gerade dabei war mich anzuziehen und mir mein Oberteil glattzustreichen, ging meine Mutti vor mir in die Hocke und sah mir fest in die Augen.

    „Pravindra, sagte meine Mutter mit fester Stimme, in der Ärger, aber auch Verunsicherung mitschwangen, „Pravindra, du gehst heute nicht in die Schule. Wir müssen zum Familiengericht. Dort wirst du auch deinen Vater treffen.

    Meinen Vater. Eine Mischung aus Aufregung und Verunsicherung überkam mich. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Weder hatte ich eine Vorstellung von dem Ort noch von ihm. Klar wusste ich, dass alle Kinder einen Vater hatten. Mein Vater war nur nie dagewesen. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn nie gesehen. Mutti hatte immer nur verächtlich mit den Schultern gezuckt und die Augen verdreht, wenn von ihm die Rede war, was selten vorkam. Andere Kinder in der Schule lebten mit beiden Eltern zusammen oder besuchten ihre Väter an den Wochenenden und in den Ferien.

    Ich hatte kaum Zeit darüber nachzudenken, da saßen wir auch schon in dem schmutzigen Bus auf dem Weg zu diesem Familiengericht. Die Fahrt dauerte sehr lang und in der Zeit dachte ich die ganze Zeit: Was sollte ich sagen? Wie wird er sein? Wird er sich freuen, mich zu sehen? Worum hat er mich nicht besucht? Wie er wohl aussieht?

    Als der Bus in der Stadt ankam, liefen wir zehn Minuten, in denen mich meine Mutter wortlos an der Hand hinter sich herzog. „Ich sollte nicht so trödeln", war das Einzige, was sie immer wieder sagte.

    Wir erreichten ein mächtiges graues Gebäude mit schmuddeligem Stuck. Der Linoleumboden glänzte klinisch rein und scharfes Putzmittelgeruch brannte mir in der Nase, und ich musste blinzeln, weil sich meine Augen mit Wasser füllten. Jetzt nur nicht weinen, betete ich. Angst

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