Neue Perspektiven im Pferdetraining: Problemverhalten erkennen, lösen und vorbeugen
Von Andrea Kutsch
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Über dieses E-Book
All das lässt sich vermeiden: Ein Perspektivwechsel ist die Lösung. Andrea Kutsch hat durch ihre wissenschaftliche Arbeit tiefere Einblicke in die Denkmuster und das Lernverhalten von Pferden gewonnen und darauf aufbauend die EBEC®-Methode (Evidence Based Equine Communication) entwickelt. Bei diesem pferdezentrischen Training geht es darum, Situationen aus Pferdesicht zu betrachten und das Lernen stressfrei zu gestalten. Das Prinzip: Aus menschlicher Sicht unerwünschtes Verhalten wird zunächst analysiert und als das betrachtet, was es ist: ein (versehentlich) konditioniertes, also antrainiertes Verhalten. Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung werden nun genutzt, um in einer für das Pferd leicht verständlichen Weise zu trainieren, wobei eine stets positive Lernatmosphäre im Vordergrund steht.
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Buchvorschau
Neue Perspektiven im Pferdetraining - Andrea Kutsch
EINLEITUNG
Ein neues Buch zu entwickeln und zu schreiben ist für mich immer wieder ein äußerst spannender Prozess. Dass in der Pferdewelt Bedarf für ein neues Buch besteht, wurde schnell deutlich. Seit 2006 beschäftige ich mich mit wissenschaftlichen Fakten über Pferde und damit, wie wir Problemverhalten von Pferden minimieren oder gar vermeiden können. Genau darum geht es in diesem Buch.
DIE METHODE EBEC®
(Evidence Based Equine Communication)
WIRD DIE WELT FÜR PFERDE VERÄNDERN.
Unsere wissenschaftlich fundierte Trainingsmethode EBEC® (Evidence Based Equine Communication) ermöglicht es uns, die guten und schlechten Erfahrungen eines Pferdes zu kontrollieren. Grundvoraussetzung dafür ist, sich zu bilden und sich damit zu befassen, wie das Pferd unsere Wünsche und Anforderungen aus seinem Blickwinkel wahrnimmt. Jede Erfahrung, die ein Pferd macht, wenn es mit einer ihm unbekannten Sache konfrontiert wird, bestimmt sein späteres Verhalten in vergleichbaren Situationen. Manchmal kauft man Pferde, die bereits eine große „Landkarte mit schlechten, vielleicht sogar angsteinflößenden Erfahrungen angelegt haben. Oft resultieren daraus Probleme. Das können wir mit unserem heutigen Wissen und der EBEC® Methode korrigieren. Dieses Buch hilft, Evidence zu erlangen, also Wissen über Dinge, die für alle Pferde gelten, über die Lernwege und kognitiven Möglichkeiten von Pferden sowie darüber, wie wir Menschen darauf in unserem Sinne Einfluss nehmen können. Ich rede hier nicht von Dingen, die ich mir ausgedacht habe oder von denen ich glaube, dass sie funktionieren, weil sie bei einigen oder sehr vielen Pferden in meinem Leben schon mal funktioniert haben. Dieses Buch erläutert, was „evidenzbasiert
bedeutet und womit man bei jedem einzelnen Pferd und jeder beliebigen Aufgabenstellung zum Erfolg kommt.
Erschütternde Erkenntnis aus einem Leben mit Pferden
Ich habe mein ganzes Leben lang mit Pferden gearbeitet. Wenn ich meine ersten Reiterhof-Ferien mitrechne, sind das mittlerweile 47 Jahre. Die Liste der reiterlichen Nutzungsformen von Pferden, für die ich mich im Lauf dieser Zeit interessiert habe, ist lang. Mein Herz und meine Heimat sehe ich allerdings im Spring- und Dressursport, kurzum im Sportpferdetraining nach der englischen Reitlehre.
Ganz egal jedoch, ob ich mit den argentinischen Gauchos und den besten Polospielern der Welt auf einer Hacienda in Lobos in der argentinischen Provinz Buenos Aires Polo spielte beziehungsweise mich mit dem Training und der Ausbildung von Polopferden befasste oder ob ich beim Dressurreiten, dem Springreiten, der Vielseitigkeit oder beim Jagdreiten in Bad Homburg trainierte, als TT (Turniertrottel) fungierte oder als Zaungast zugegen war – wo immer auf der Welt ich mit Pferden zu tun hatte, es zeigte sich immer das gleiche Bild, nur unter jeweils anderen Umständen: Es wurden Problempferde produziert, und anschließend wurde versucht, sie zu heilen, damit sie wieder funktionierten. Diese Erfahrung machte ich in Pittsburgh, Pennsylvania, USA, wo ich mit einem verlässlichen Jagdpferd von Freunden über feste Natursprünge flog, ebenso in dem Stall in Bad Homburg, wo ich die tollsten Dressurpferde von Olympiasiegern wie Sven Rothenberger trockenreiten durfte. Keine Ausnahme machten die Eindrücke, die ich gewann, als ich auf Quarter Horses in Steamboat Springs, Colorado, USA, Rinder trieb, als ich auf Einladung des Trainers des berühmten Aga Khan die Rennbahn Chantilly nördlich von Paris besuchte und als ich der Einladung seiner Hoheit Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum in seinen Stall nach Dubai folgte. Auch die Jahre, in denen ich auf dem Renngestüt Fährhof nahe Bremen als Praktikantin mitlernen durfte, und die Phase meiner Reise, in der ich hinter die Kulissen der bekanntesten Pferdeflüsterer und Natural-Horsemanship-Trainer blickte, reihen sich hier ein.
Mit dieser Auflistung möchte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, dass ich weit gereist bin, mit sehr vielen namhaften, ausgesprochen erfolgreichen Pferdeexperten zusammengearbeitet habe und dabei letztendlich nichts anderes erlebte als du in deinem Reitstall in einem kleinen Dorf im Irgendwo. Ob professioneller Megastall oder kleiner Freizeitbetrieb, eines hatten sie alle gemeinsam: Ein problematisches Pferd war immer vorhanden – oder auch zehn: die ganz Wilden, die Aggressiven, die, die nicht auf den Anhänger gingen, die Unreitbaren, die, die Angst vor dem Poloschläger hatten, und auch die, die vor dem Richterhäuschen scheuten oder beim Anblick des Longhornrinds stiften gingen. Nicht zu vergessen die vielen Pferde, die aufgrund ihres problematischen Verhaltens irgendwo ihr Gnadenbrot bei einem liebevollen Menschen erhielten. Genau das hat mich 47 Jahre meines Lebens beschäftigt. Genau das beschäftigt mich noch heute. Ich wünschte, ich könnte einmal meinen Zauberstab schwingen, und alle Probleme, die Menschen mit Pferden haben, würden sich in Luft auflösen.
ICH WÜNSCHTE, ICH KÖNNTE MEINEN ZAUBERSTAB SCHWINGEN UND ALLE PROBLEME, DIE MENSCHEN MIT PFERDEN HABEN, IN LUFT AUFLÖSEN.
Den Höhepunkt erreichte meine Erfahrung mit problematischen Pferden, als ich mich in den Jahren 1999 bis 2006 intensiv mit der Pferdeflüsterei und dem Natural Horsemanship beschäftigte. Ich grub mich tief in die Materie ein und jettete mit vielen Vertretern der Cowboyszene, den „Heilsbringern für Problempferde, um die Welt. Es entstand ein Riesen-Hype, ich war Teil einer Welle der neuen Generation: Wir hatten die Lösungen, wir präsentierten und schwangen unsere – teils selbst erfundenen – Werkzeuge vom Buckelstopper über den Karottenstick, Flaggen, Fahnen, Fähnchen und Teleskoppeitschen bis hin zu Schnallen, Gurten, Dummyreitern, Blindmachern und Verladehüten – ein ganzes Repertoire an neuen „Wundertools
, um vollkommen „gewaltfrei" Problemverhalten zu eliminieren. Ich war zunächst begeistert. Eine großartige Epoche. Aufbruchsstimmung. Hört, hört, die Ära der Problempferde ist bald vorüber. Oh, wie mein Herz vor Glück und vor Zukunftsvisionen hüpfte. Seit meinem sechsten Lebensjahr litt ich mit jedem einzelnen Pferd, das Konsequenzen für unerwünschtes Verhalten erfuhr. Nun standen wir endlich am Anfang einer neuen Phase, die Hilfe für diese Problempferde versprach – und ich war mittendrin. Ein Superstar, die Blondine, die jedes Problem beheben konnte. Ich therapierte mit dem zusammengetragenen Wissen aller großen Macher, was das Zeug hielt. Ich schwamm ganz oben auf der Welle, füllte Hallen mit bis zu 20.000 Zuschauern, hatte eine eigene Fernsehserie, mehrere Bestsellerbücher und wurde zur Problempferde-Queen.
Mein Trainingsstall in Alveslohe bei Hamburg platzte aus allen Nähten. Wer auf der Warteliste stand, musste sich bis zu einem Jahr gedulden, um ein Pferd zu mir ins Training bringen zu dürfen. Immer häufiger kam ich ins Grübeln, ob es sich hier noch um die Mission „Problempferdetherapie" handelte oder nur um ein ausgesprochen lukratives Geschäftsmodell für mich. Je mehr Jahre vergingen, umso unsicherer wurde ich, ob der Ausbildungsweg der Pferdeflüsterer den Pferden beim Erlernen dessen, was für die Nutzung durch uns nötig ist, tatsächlich jemals helfen konnte. War es überhaupt möglich, die Problematik eines Pferdes dadurch schwinden zu lassen? Ich überlegte, ob mein Traum von einer Welt ohne Problempferde so eigentlich jemals wahr werden würde. Das Gegenteil schien der Fall zu sein: Je bekannter ich wurde und je präsenter ich war, desto mehr Problempferde sprießten aus der unendlichen Quelle der Pferdewirtschaft hervor. Teilweise Pferde mit Schwierigkeiten, von denen ich noch nie zuvor etwas gehört hatte. Einmal kam ein tüchtiger Geschäftsmann auf die Idee, er könnte auf den Schlachthöfen doch einfach die Pferde einsammeln, die physisch noch taugten, aber aufgrund ihres aggressiven oder problematischen Verhaltens dort abgeliefert wurden. Er könnte sie mir bringen, ich würde sie therapieren, und dann könnte er sie für ein Vermögen weiterverkaufen. Als ich die erste Lkw-Ladung Pferde umtrainiert hatte, rauschte schon der Nächste an und ich schaute in die Abgründe einer Realität, die mich zutiefst erschütterte.
JEDES PFERD, DAS MIR BEGEGNET IST, HAT EINEN HUFABDRUCK IN MEINER SEELE HINTERLASSEN.
Ein niemals endender Strom, wie aus einem Füllhorn, der zwar dem Ego schmeichelte und das Konto füllte, aber nicht das Herz. Je mehr Menschen, Besitzer, Betreuer und Trainer ich kennenlernte, die mit ihren Pferden auf meinen Hof fuhren oder sie zu den öffentlichen Shows in die großen Arenen oder zu meinen Pferdedokumentationen brachten, desto mehr kam ich ins Grübeln. Jedes Füllhorn hat eine Quelle. Jedes Füllhorn hat einen Ursprung. Jedes Problempferd muss irgendwann entstanden sein. Nur wo auf seinem Weg und wie können wir das ändern? Klar war spätestens seit der Pferdeflüstererzeit, dass nirgends ein böses Fohlen auf die Welt kommt und so etwas sagt wie: „Verladen? Mache ich nicht!" Das süße Fohlen ist kein problematisches Pferd. Es ist zart, schüchtern, frech oder eben so, wie es durch das Erbe seiner Mutter, seines Vaters oder der ganzen Linie geworden ist. Die Großen sind die Problempferde, und gemacht werden sie von Menschen – ob Freizeitreiter oder Profi –, auch wenn diese sich dessen nicht bewusst sind, sondern vielmehr nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, zum Wohl der Pferde zu handeln.
Ich wurde zunehmend besorgter, denn ich hatte mittlerweile ein großes Overload in meiner Seele, in meinem Herzen, ein Overload mit all den Pferden, die mir begegnet sind, die sich in mein Herz gebrannt haben und meine Geschichte geschrieben haben. Pferde, die buckelten und stiegen, bissen und traten, bockten und sich losrissen. Manchmal gelang die Korrektur und manchmal nicht. Trial and error eben. Jedes einzelne hat einen Hufabdruck in meiner Seele hinterlassen.
Die Wende
Und dann kam der Tag, an dem sich alles änderte. Eine Wissenschaftlerin konfrontierte mich mit einer Studie, die aufzeigte, dass das