Freiheitsdressur und Zirkuslektionen: Eine Anleitung für Freizeitreiter
Von Franco Gorgi
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Buchvorschau
Freiheitsdressur und Zirkuslektionen - Franco Gorgi
VORWORT
Mehr als 30.000 Jahre alt ist der gemeinsame Weg von Pferden und Menschen seit der ältesten Kultur des Jungpaläolithikums. Als wesentliches Beutewild sicherten Wildpferde das Überleben unserer nacheiszeitlichen Vorfahren. Als Kriegsgeräte der Machtzentren zwischen Euphrat und Tigris gelangten sie in die ganze damals bekannte Welt. Im Transportwesen, in der Treidelwirtschaft und auch im Ackerbau dienten sie als Zugtiere und waren Jahrtausende geritten und angespannt das einzige Verkehrsmittel. Mit der Lieferung von Fleisch, Leder, Haaren und Milch wurden Pferde so universell genutzt wie keine andere Tierart.
Pferdehaltung und -nutzung wurden nach reinen Rentabilitätskriterien betrieben. Auf ihre Bedürfnisse als eine hochsozialisierte Tierart mit ihren Ansprüchen an Sozialkontakt, Licht, Luft und Bewegung und ihrer speziellen Ernährungsgewohnheit nahm man keine Rücksicht.
Die Verhaltensforschung und vor allem die Tierschutzgesetzgebung hat sich erst spät dem Thema Pferd angenommen. So dauerte es sehr lange, bis man begann, verbreitet auf die Bedürfnisse der Pferde einzugehen. Nach dem zweiten Weltkrieg schien das Schicksal der Pferde zunächst besiegelt. Doch ausgehend von den USA wurden eine Fülle von Rassen, Reitstilen, Wettbewerben und Sportarten auch in Europa bekannt und riefen eine Vielzahl von Ausbildern, Gurus und Medien auf den Plan. Mit dem neu auflebenden Pferdesport wurde eine bisher ungeahnte Wiedergeburt der Pferdeszene in Rassen- und Einsatzvielfalt möglich. So haben auch bei uns neue sportliche Aktivitäten Fuß gefasst, wie zum Beispiel das Westernreiten oder die Gangartenturniere.
Prof. Dr. med. vet. Ewald Isenbügel
Foto © Boekhaus
Die Beziehung der Menschen zum Pferd verwandelte sich aber auf dem langen gemeinsamen Weg immer mehr vom Gebrauchs- und Sporttier zu einem geschätzten Kumpan in der Freizeit. Mittlerweile sind über die Hälfte aller in der Schweiz registrierten Pferde Freizeitgefährten. Auch in dieser Szene entstehen immer wieder neue Ideen, sich mit Pferden zu beschäftigen.
Dadurch kommt viel Neues an Ausrüstung und Hilfsmitteln auf den Markt. Verschiedene Reitstile werden übernommen, angepasst oder gar neu erfunden. Die Reiterei besinnt sich aber in einer wahren Renaissance auch wieder auf alte Schulen und Meister.
Neben der reiterlichen Betätigung ist vor allem der Umgang und nahe Kontakt mit dem Pferd, der Beziehungsreichtum ein Grund ständig steigender Zahlen an Pferdehaltern.
DER WERTVOLLSTE ASPEKT DER FREIHEITSDRESSUR LIEGT IN DER VERFEINERUNG UND VERTIEFUNG DER KOMMUNIKATION ZWISCHEN MENSCHEN UND PFERDEN SOWIE DEM AUFBAU VON GEGENSEITIGEM RESPEKT UND VERTRAUEN.
Wir wissen heute über Pferde so viel wie nie zuvor. Wir haben Kenntnis über ihr Verhalten, ihre Ansprüche an Bewegung, Sozialkontakte und Ernährung. Wir erforschen die physische und psychische Entwicklung der Pferde und versuchen, alle Ergebnisse in der Ausbildung von Sport- und Freizeitpferden umzusetzen.
Leider haben wir Menschen oft den intuitiven Zugang zu den Pferden vor lauter Wissen verloren. Wir sind „Kopfreiter" geworden, wie der Isländer sagt, und unsere Beziehungen zum Pferd sind kompliziert geworden.
Wir leben nicht mehr in vertrauensvoller, beobachtender täglicher Nähe mit ihnen, sondern unsere Begegnungen mit Pferden sind terminiert und von Erwartungen geprägt. In unserem Umgang mit ihnen sind wir oft überfordert, suchen Hilfe an allen Orten. Wir nutzen Spezialfütterungen, Korrekturbeschläge, Ausrüstungsgegenstände, alternative und komplementäre Heilmethoden. Wir singen und tanzen mit unseren Pferden und finden für jede Frage eine Antwort in Buch, Video, bei Ausrüstern und in Lehrgängen.
Viele dieser neuen Zugänge zum Pferd können die Basis für ein wertvolles Miteinander bieten. Sie können Härte und Dominanz in gegenseitiges Vertrauen wandeln, ein anderes Bewusstsein bei Reiterinnen und Pferden sowie neue Lernkonzepte ermöglichen, um Probleme anzugehen und zu lösen.
Hier bietet die Freiheitsdressur eine faszinierende Möglichkeit, den Zugang zum eigenen Pferd zu finden. Wenn das Training sorgfältig aufgebaut und die subtilen Signale auf der Kenntnis des Pferdeverhaltens basieren, so werden die Beziehung, das gegenseitige Vertrauen und der Respekt zwischen Mensch und Pferd gestärkt.
Franco Gorgi ist kein Guru, aber er hat ein besonderes Flair für Pferde und Menschen und eine lange und umfassende Erfahrung im Umgang und der Ausbildung von Menschen-Pferde-Teams. Er lehrt nicht eine bestimmte Methode, sondern legt Wert auf verständliche und einleuchtend nachvollziehbare Ausbildungsschritte, um Pferde aller Rassen ohne Zwang in der Freiheitsdressur auszubilden. Diese Ausbildungsschritte beschreibt er im vorliegenden Buch.
Das Wichtigste sind seine Aussagen zu Philosophie und Nutzen der Freiheitsdressur, seine Achtung und klare Stellung zum Partner Pferd und sein Credo „Aufmerksamkeit beim Pferd wecken und erhalten".
Auch wer keine zirzensischen Leistungen anstrebt, wird für das tägliche Miteinander und die Ausbildung seines Pferdes in diesem Buch wertvolle Hilfen und Anregungen erfahren.
Prof. Dr. med. vet. E. Isenbügel
Ehemaliger Zootierarzt im Zoo Zürich,
Dozent für Pferdekunde,
Co-Autor von Die Stallapotheke
und vielen anderen Veröffentlichungen
EINLEITUNG
Persönlicher Rückblick auf 20 Jahre als Trainer für Freiheitsdressur und Zirkuslektionen
2001 ist mein Buch „Freiheitsdressur und Zirkuslektionen" erschienen. Es freut mich ausgesprochen, dass das Interesse an diesem Buch immer noch groß ist.
In den vergangenen Jahren habe ich meine Trainertätigkeit ausgebaut und dabei viele weitere Erfahrungen gesammelt. Nun habe ich die erste Ausgabe des Buches überarbeitet und lasse meine Erfahrungen durch Erweiterungen und kleinere Korrekturen einfließen.
Als mein Buch 2001 erschien, hatte sich der Ausdruck „Pferdeflüsterer" bereits weit verbreitet. Wer den feinen, gewaltfreien Umgang mit Pferden vor Publikum demonstrierte, galt als Pferdeflüsterer. Die Trainingsmethoden der Pferdeflüsterer waren den Zuschauenden aber meistens nicht bekannt oder nicht bewusst. Dieser Ausdruck gehört nun in der Pferdewelt immer mehr der Vergangenheit an; darüber bin ich froh. Heute spricht man wieder vermehrt von Pferdetrainern, was der Realität entspricht.
In den letzten zwanzig Jahren wurden zahlreiche Artikel und Bücher über das Verhalten der Pferde veröffentlicht. Zeitgleich entwickelten sich neue Trainingsmethoden. Das Wort „Horsemanship" entstand und ist bis heute in aller Munde. Horsemanship bezeichnet eine Methode, die die physische Gewalt im Training ausschließt. Das war eine große Erneuerung. Viele Menschen haben sich diese Arbeitsweisen angeeignet, was sichtlich ihren Umgang mit den Pferden erleichtert. Leider muss ich feststellen, dass die Methoden häufig unreflektiert übernommen und angewendet werden. Anstelle des physischen Drucks werden diese Pferde oft einem psychischen Druck ausgesetzt. Blinder und motivationsloser Gehorsam des Pferdes sind dann das Resultat des Trainings. Bei einer Präsentation bewundern die Zuschauer die vermeintliche Coolness und den selbstverständlichen Gehorsam der Pferde, wie sie eine geforderte Aufgabe lösen. Das fehlende Leuchten in den Pferdeaugen bleibt leider meistens unbeachtet.
In Diskussionen konnte ich oft nicht erklären, was mich von den Natural-Horsemanship-Trainern unterscheidet. Erst vor Kurzem habe ich eine passende Erklärung gefunden. Viele Horsemanship-Trainer bauen in der Distanzarbeit bewusst Stress auf, um anschließend dem Pferd zu zeigen, dass in ihrer Nähe die stressfreie Zone ist. Ich aber versuche mit verschiedensten Übungen das Pferd zu lehren, dass meine Anwesenheit nie Stress bedeutet. Es soll erfahren, dass ich ihm in allen Situationen ein verlässlicher Partner bin.
Zu meinen Erfahrungen als Trainer gehört der Umgang mit unzählig vielen Pferden und ihren Besitzern. Im Unterricht habe ich die Möglichkeit, das Verhalten der Pferde in verschiedensten Trainingssituationen zu beobachten. Diese Erfahrung ermöglicht mir, die Kursteilnehmenden so anzuleiten, dass sie ihr Pferd zu aktiver Mitarbeit und nicht zu blindem Gehorsam erziehen.
Franco Gorgi mit Bright Eyes.
Foto © Kägi
FÜR UNSERE PARTNERSCHAFT IST ES ENTSCHEIDEND, DASS DAS PFERD ERKENNEN KANN, DASS ES JEDERZEIT UND IN ALLEN SITUATIONEN BEI MIR SICHERHEIT UND RUHE ERLEBEN DARF. ES IST EIN GRUNDLEGEND ANDERER ANSATZ, WENN EIN TRAINER DEM PFERD DIESE ERFAHRUNG DURCH SEIN UNTERSCHIEDLICHES VERHALTEN AUFZWINGT.
Mein Ziel ist es, mit dem Pferd zusammen eine für beide Seiten verständliche Kommunikation aufzubauen. In unserem Team bleibe ich stets Mensch und muss nicht das Verhalten meines Pferdes zu adaptieren versuchen. Als Trainer freue ich mich, mit dem Wesen Pferd in Kontakt zu treten. Das Pferd darf seine Eigenarten und seinen eigenen Willen behalten. Als Trainer gehe ich darauf ein und leite es so, dass wir auf dem Weg der Ausbildung gemeinsam weiterkommen. So bleibt unsere gemeinsame Zeit stets lebendig, wir lernen uns immer besser kennen und kommen uns Schritt für Schritt näher. Aus dem Training sollen letztendlich freudige Aktivitäten entstehen.
Eine wichtige Sache habe ich in all den Jahren ebenfalls gelernt: Nur im Austausch mit anderen Trainern und mit der Bereitschaft, mich und meinen Umgang mit den Pferden immer wieder zu reflektieren, zu hinterfragen und allenfalls anzupassen, kann ich das Training zum Wohl des Pferdes erweitern und positiv verändern.
1
Freiarbeit und zirzensische Lektionen
Vertrauen ist die Basis der Freiheitsdressur
GESCHICHTE
Zirzensische Vorführungen mit Pferden waren schon zu Zeiten der alten Griechen und Römer bekannt und gehörten vor allem während der Barockzeit zum Amüsement des gesamten europäischen Adels.
Berühmt wurde vor allem die Reithalle der Spanischen Hofreitschule in Wien, die einerseits zur Ausbildung der adeligen Jugend und der Pferde für den Kunstritt diente, andererseits aber auch Schauplatz verschiedenster Feste und Veranstaltungen war. Manche Lektionen der Hohen Schule, vor allem die ohne Reiter ausgeführten Schulsprünge, waren Vorläufer der Freiheitsdressur.
Die Vorführung dressierter Pferde gehörte später und bis heute zu den Glanzpunkten großer Zirkusvorstellungen. Die mit verhaltenem Feuer tanzenden Pferde in der Manege, die auf Kommando steigenden blütenweißen Schimmel oder die poliert glänzenden Rappen begeistern jedes Zirkuspublikum.
Pferdeleute freilich sind über Zirkusdressuren geteilter Meinung. Viele belächeln sie als zwar hübsche, aber doch nicht ernst zu nehmende Angelegenheit, andere verurteilen sie sogar als reine Tierquälerei. Die Tierbändiger der alten Schule waren häufig Dompteure, die sich die Tiere mit schmerzhaften, oft sehr trickreichen Gewaltmethoden gefügig machten und sie buchstäblich das Fürchten lehrten.
Im Gegensatz zu dieser harten Methode hat sich schon vor Jahrzehnten die moderne, sogenannte zahme oder weiche Dressur entwickelt. Sie basiert nicht auf Gewalt, sondern auf dem Verstehen der Tierpsyche und gegenseitigem Vertrauen. Der moderne Dresseur kennt sich, intuitiv und erlernt, sehr gut im artgemäßen Schema des Verhaltens aus und weiß, wie seine Tiere instinktiv auf bestimmte Situationen reagieren. Dank seiner geistigen Überlegenheit ist er imstande, dies zu seinen Gunsten einzusetzen. Das Geheimnis des Dressurerfolgs basiert auf der Verlässlichkeit in den Menschen, die die Pferde in der gemeinsamen Beschäftigung jederzeit spüren müssen. Nur so ist es möglich, ein Dutzend kraftstrotzender, feuriger Hengste ohne Zügel oder Longe, nur mit Gesten und akustischen Zeichen zu lenken. Das ist die hohe Kunst der Freiheitsdressur.
Die Idee, dass wir dem Pferd gegenüber dominant sein müssen, um mit ihm frei zu arbeiten, ist meines Erachtens falsch. Ich möchte mein Pferd mit einer natürlichen Autorität anleiten und begleiten. In diesem Wort sind Inhalte wie Respekt, Ehrlichkeit, Sicherheit, Vertrauen, Verlässlichkeit und Führungsqualität in einem Ganzen zusammengefügt.
Mit dem Wort „Freiheitsdressur verbinden viele Menschen auch heute noch meistens Zirkusdarbietungen. Auch den Ausdruck „Showtricks
bringen wir mit dem Zirkus in Zusammenhang, sah man doch sich frei bewegende Pferde, die für eine bestimmte Show ausgebildet wurden, früher nur im Zirkus. Mittlerweile hat sich das jedoch stark geändert. Im Rahmenprogramm vieler Pferdeveranstaltungen sieht man heute Vorführungen mit Elementen aus der Freiarbeit in der Zirkusmanege.
Heute werden oft viel komplexere Darbietungen auf der freien Fläche gezeigt. Diese brauchen einen ganz anderen Trainingsaufbau, da die Begrenzung durch den Manegenrand wegfällt.
In den letzten Jahren hat sich die Bezeichnung Freiheitsdressur in zwei Bereiche aufgeteilt. Heute spricht man von Freiheitsdressur bei die Freiarbeit mit Pferden ohne Raumbegrenzung. Als Zirkuslektionen bezeichnet man alle zirzensischen Übungen, die mehrheitlich am Ort präsentiert werden und meistens das Pferd zum Boden hin bewegen. Dazu gehören Lektionen wie Kompliment, Liegen, Plié etc. Doch auch Steigen und Spanischer Schritt sind bekannte Zirkuslektionen.
Von Kommunikation