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Zwischen "ehrbar" und "liederlich": Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
Zwischen "ehrbar" und "liederlich": Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
Zwischen "ehrbar" und "liederlich": Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
eBook671 Seiten8 Stunden

Zwischen "ehrbar" und "liederlich": Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

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Über dieses E-Book

Das Buch »Zwischen "ehrbar" und "liederlich"« schildert Lebenswelten und Lebensbedingungen von Frauen in Oldesloe. Der historische Zeitraum reicht von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert, und die anschaulichen Fallstudien basieren auf systematisch ausgewerteten Archivquellen. Zu den Themen zählen Kindheit und Jugend, Ehe und Familie. Es geht um die Schicksale lediger Frauen und Witwen wie auch um die Rolle von "Hexen". Eine besondere Bedeutung kommt dem weiblichen Körper zu, der unter Aspekten wie Schwangerschaft und Geburt – einschließlich Hebammenwesen –, weibliche Ehre, Sittlichkeit und Unzucht betrachtet wird. Auch Kriminalfälle von Diebstählen bis hin zu Abtreibung und Kindsmord werden behandelt. Eingebettet wird die Geschichte der Frauen in die männlich dominierte Gesellschaft eines kleinstädtisch-ländlichen Milieus. Der Ausblick ins späte 19. Jahrhundert zeigt Aufbrüche: die Zuwanderung von Schwedinnen, die Schaffung neuer Bildungsmöglichkeiten wie auch die sich allmählich verändernde rechtliche Stellung der Frau.
Herausgegeben von der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Bad Oldesloe Marion Gurlit.
SpracheDeutsch
HerausgeberWachholtz Verlag
Erscheinungsdatum15. Mai 2024
ISBN9783529092428
Zwischen "ehrbar" und "liederlich": Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

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    Buchvorschau

    Zwischen "ehrbar" und "liederlich" - Sylvina Zander

    Geleitwort

    Schon lange beschäftigt mich das Thema: Warum kommen Frauen in der Geschichtsschreibung so selten vor?

    Frauen stellen mindestens die Hälfte der Bevölkerung, aber wenn es um die Erinnerung an sie geht, stehen wir beim Lesen von Geschichtsbüchern vor mehr Fragen als Antworten. Die offizielle Geschichtsschreibung ist eher von Männern dominiert. Im Buch von Friedrich Bangert, »Geschichte der Stadt und des Kirchspiels Oldesloe«, erschienen 1925, kommen Frauen fast nicht vor. Karl Sander schrieb zur Stadtgeschichte in den Jahren 1959 und 1960 zwei Bücher mit den Titeln »Männer aus der Geschichte unserer Stadt« und »Männer, deren Namen unsere Straßen tragen«.

    Frauen sind für Regional- und Heimatforscher selten bis gar nicht Forschungsgegenstand. Wissen über Alltags- und Lebenswelten von Frauen unterschiedlicher Zeitepochen anzureichern und für spätere Generationen aufzubereiten, ist eine wichtige Aufgabe. Von diesen Überlegungen ausgehend, entstand die Idee, die Geschichte der Oldesloer Frauen zu erforschen. Ich wandte mich an Frau Dr. Sylvina Zander, profunde Kennerin der Stadtgeschichte, und engagierte sie, die Oldesloer Frauengeschichte zu erforschen und aufzuschreiben. Dabei konnte sie auf eine lange Beschäftigung mit Frauenthemen zurückgreifen. Dazu gehören vor allem die Erforschung der Hebammengeschichte in Oldesloe, die Hexenverfolgung, die Frauen in der jüdischen Gemeinde der Stadt und die Mädchenschulbildung.

    Das Buch antwortet auf meine Fragen zur Frauengeschichte in Oldesloe:

    •Wie lebten Frauen im 17., 18. oder 19. Jahrhundert?

    •Welche politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen prägten ihr Leben?

    •Wie gestaltete sich ihr Alltag mit Krankheiten, Kriegen und Krisen? Womit verdienten sie ihren Lebensunterhalt? Ab wann durften sie eine höhere Schulbildung absolvieren?

    Mit dem vorliegenden Buch wird nun eine wesentliche Lücke in der Geschichtsschreibung der Stadt geschlossen.

    Marion Gurlit

    Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bad Oldesloe

    Grußwort der Stadt Bad Oldesloe

    Die Stadt Bad Oldesloe bedankt sich bei Frau Marion Gurlit für ihre Initiative, zum Abschluss ihrer Dienstzeit als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt ein weiteres Buch über Frauen herauszugeben.

    Unsere ehemalige Stadtarchivarin Frau Dr. Sylvina Zander hat daraus ein Werk geschaffen, das einen interessanten Einblick in die Rolle der Frauen zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert gibt. In vielen Quellen des Stadtarchivs fand sie Berichte über Kindheit, Jugendalter, Ehe und Witwenschaft, über Arbeit, Bildung sowie Kriminalität.

    Aus dem Blickwinkel der Frauen erleben die Leserinnen und Leser die Geschichte der Stadt Bad Oldesloe unter einem ganz anderen Aspekt.

    Vielen Dank an Frau Dr. Sylvina Zander für diese umfangreiche Recherchearbeit!

    Bereits im Jahre 1989 fasste der Magistrat der Stadt den Beschluss, die Geschichte der Frauen in Bad Oldesloe erarbeiten zu lassen. Jetzt liegt endlich ein umfassendes Buch zur Geschichte der Oldesloer Frauen vor.

    Wir wünschen diesem Werk eine hohe Auflage und die nötige Anerkennung!

    Hildegard Pontow

    Bürgerworthalterin

    Jörg Lembke

    Bürgermeister

    Grußwort

    Ehrenbürger der Stadt Bad Oldesloe sind Georg Axt, Ernst Kruetgen, Georg Koch, Walter Busch und Otto Oellrich. Fünf Personen, fünf Männer. Auch bei einem Blick auf die »Persönlichkeiten« Bad Oldesloes wird schnell deutlich, dass Männer im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit stehen: 13 Töchter und 31 Söhne der Stadt nennt Bad Oldesloe. Dabei sind 51,1 Prozent der Bevölkerung Bad Oldesloes weiblich.

    Diese regionale, konkrete Situation ist beispielhaft für die mangelnde Sichtbarkeit der Frau – bundesweit. In der Realität spielen aber Frauen natürlich eine wichtige Rolle. Dies sichtbar zu machen, ist Teil von Gleichstellungsarbeit. »Zwischen ›ehrbar‹ und ›liederlich‹. Lebenswelten Oldesloer Frauen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert« trägt dazu bei, dass neben der Vielzahl an männlichen Beispielen auch Frauen Gehör und ein Gesicht bekommen.

    Die Rolle der Frau in der Gesellschaft wandelt und revolutioniert sich seit Jahrhunderten fließend. In diesem Buch zur Frauengeschichte beleuchtet die Autorin Dr. Sylvina Zander den Stand der Frau in der Gesellschaft besonders anschaulich und regional. Denn Frauen haben die Gesellschaft in der Vergangenheit gestaltet und tun dies auch heute.

    Als Gleichstellungsministerin ist mir dieser Blick auf Frauen ein besonderes Anliegen. Mit dem Koalitionsvertrag 2022–2027 hat sich unsere Regierung verpflichtet, das Thema Gleichstellung weiter voranzutreiben: aktuell insbesondere durch die aktuelle Novellierung des Gleichstellungsgesetzes.

    Was Frauen geleistet und erreicht haben, inspiriert mich täglich, weiter für eine Welt zu werben, in der alle Geschlechter in allen Lebensbereichen – zum Beispiel ökonomisch, sozial, im digitalen Raum und der Medizin – gesehen werden und gleichberechtigt teilhaben und mitwirken.

    Dieses Buch ist ein weiterer Meilenstein in der Gleichstellungsarbeit in Bad Oldesloe: Es wird flankiert von den Aktionen »FrauenLeben – Frauenkalender Bad Oldesloe«, dem Podcast »Frauen gleichberechtigt«, der Vortragsreihe »Frauenleben – Frauenspuren«, den Frauenkulturtagen, den Büchern »Über den Tellerrand« und »100% Bad Oldesloe – Frauen nehmen Einfluss – 1945 bis 2003« und ist damit Teil der beeindruckenden Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten Marion Gurlit.

    Ich möchte allen Beteiligten für ihre Arbeit und ihren Einsatz für Gleichstellung im Großen wie auch im Kleinen danken.

    Aminata Touré

    Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren,

    Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein

    Geleitwort

    Grußwort der Stadt Bad Oldesloe

    Grußwort

    Einleitung

    Teil 1

    1. Die Frühe Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

    1.1 Beschreibung der Stadt Oldesloe: politische, ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

    I.2 Frauen in der Stadt: die rechtlichen Rahmenbedingungen

    Teil 2

    2. Frauenleben von der Kindheit bis ins Alter

    2.1 Kindheit und Jugend

    2.2 Sich wolverhalten müssen – der Gesindedienst

    2.3 Die Ehe

    2.3.1 Die Rahmenbedingungen

    2.3.2 Meine Haußfrau – die Ehe als Arbeitsgemeinschaft

    2.3.3 Schlagen lassen von ihm, das könne sie nicht – Ehekonflikte

    2.4 Ledige Frauen

    2.5 Im Witwenstande – Witwen

    2.6 Alles Entbehrliche verkauft – Armut

    2.6.1 Unnütz Gesindlein – Vagantinnen und Bettlerinnen

    3. Frau-Sein – Der weibliche Körper

    3.1 Es ist sehr leicht, ein Mädchen schlecht zu mache – die weibliche Ehre

    3.2 Geschickte und geübte Wehemütter – Hebammen

    3.3 Glücklich davongekommen – Schwangerschaft und Geburt

    3.4 Die Fleischesverbrechen – Das Delikt der Unzucht

    3.5 Die Leibesfrucht loszuwerden – Abtreibung und Kindsmord

    3.6 Sittlichkeitsvergehen

    4. Frauen vor Gericht – Weibliche Delinquenz

    4.1 Sie wäre eine Zauberin und Hex – Magie, Zauberei und Hexerei

    4.2 Verbrechen, die mit der Todesstrafe geahndet wurden

    4.3 Diebstahl

    4.4 Gräuliche Schimpfworte – »Aufsässigkeit« und Beleidigungen

    Teil 3

    5. Ein Ausblick in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts

    5.1 Nur gesunde und kräftige Dienstboten werden geliefert – schwedische Dienstmädchen in Oldesloe

    5.2 Von der Winterschen Höheren Töchterschule zur Königin-Luise-Schule: die Frauenfrage und die weibliche Schulbildung

    Schluss

    Anhang

    Literaturverzeichnis

    Quellenverzeichnis

    Abbildungen

    Einleitung

    Dieses Buch erzählt von Frauen, die in der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in Oldesloe gelebt haben. Es basiert im Wesentlichen auf Quellenmaterial des Oldesloer Stadtarchivs, des Landesarchivs Schleswig-Holstein und des Kirchenarchivs Oldesloe im Kirchenkreisarchiv Plön-Segeberg. Es beleuchtet in vielen Detailschilderungen die Lebenswelten von Frauen jeden Alters und mit Einschränkungen jeden Standes. Diese Verankerung der Darstellung in den Quellen ermöglicht es, jenseits von zeitgenössischen Theorien über das, wie sich Männer und Frauen zu verhalten und zu sein hatten, auf die tatsächlichen Verhaltensweisen und Lebenswirklichkeiten zu sehen. In vielen Fällen gelingt es, die handelnden Personen in ihre sozialen Beziehungen einzubetten und ihren Lebenslauf zu verfolgen.

    Frauen und ihre Lebensgeschichten waren nicht schwer zu finden: Frauen bevölkern die Akten in ihrer Rolle als Kind, Magd, Ehefrau, Mutter oder Witwe, als Reisende, als Erwerbstätige, als Person, die sich vor Gericht verantworten muss oder eine Klage erhebt, sie erscheint als Bettlerin und als »Hexe«. Die Lebenswelten der Oldesloer Frauen in dem langen Zeitraum sind nicht losgelöst von den politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten zu verstehen. Es muss deutlich benannt werden, welche gesellschaftliche und soziale Position die Herkunftsfamilie des Mädchens und diejenige der Frau hatte, denn sie war entscheidend für die ökonomischen und sozialen Grundlagen des Lebens. In den Quellen erscheinen vor allem die Frauen der unteren Stände, weil sie – stets von Armut bedroht – am wahrscheinlichsten mit der Obrigkeit und ihren Gesetzen oder Normen in Konflikt gerieten.

    Festzustellen ist eine grundsätzliche hierarchische Ungleichheit, eine soziale Asymmetrie im Verhältnis der Geschlechter zueinander. Dies betraf alle Lebensbereiche und ganz besonders die Sexualität, wie im Kapitel über die Unzucht und die Sittlichkeitsvergehen deutlich werden wird. Es betraf auch die politische Mitwirkung von Frauen: Ihr Ausschluss vom aktiven und passiven Wahlrecht blieb im gesamten Untersuchungszeitraum bis in das Jahr 1919 eine Konstante. Auch das liberale Staatsgrundgesetz von 1848 änderte daran nichts. Nur die männlichen Staatsbürger wurden per Gelöbnis zur Beachtung der Verfassung, zum Gehorsam der Gesetze und zur Treue dem Herzoge verpflichtet.¹ In jedem Kapitel dieses Buches wird dieses Gefälle zwischen Männern und Frauen deutlich werden. Andererseits wird aber auch erkennbar, dass es sich dabei nicht um ein starres Ungleichheits-Verhältnis handelte. Frauen treten wie die Männer als Handelnde auf, die ihre Interessen vertreten und Spielräume zu nutzen wissen.

    In diesem Buch ist der frühneuzeitlichen »Arbeitsteilung« zwischen Mann und Frau ein Kapitel gewidmet. Es gilt vor allem für die Haushalte der Handwerker und der Landwirte, in denen die Arbeitssphären von Mann und Frau zwar getrennt, aber als komplementär und gemeinsam als überlebensnotwendig eingeschätzt wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert entstand unter veränderten politischen und ökonomischen Bedingungen im Bürgertum ein Rollenkonzept, das der Frau, nun im Gegensatz zum außer Haus arbeitenden Mann, den Haushalt und die Kinder zuwies: Sie war nun Gattin, Mutter und Hausfrau. Diese Sorgearbeit wurde nicht mehr als Arbeit definiert, sondern sollte aus angeborener Mütterlichkeit und Liebe geschehen. Es war nun eine vermutete »weibliche Natur«, die der Frau ihre Tätigkeitsfelder zuwies und sie von allen anderen ausschloss.²

    So beleuchtet dieses Buch die Lebensumstände von Frauen in fünf Hauptkapiteln. Das erste beschäftigt sich mit der Stadt Oldesloe, ihrer wirtschaftlichen und politischen Lage, aber auch mit ihrem Aussehen und einigen wichtigen geschichtlichen Zäsuren. In dieses Kapitel gehört auch die grundlegende Einführung in die Rechtsstellung der Frau im Untersuchungszeitraum.

    Das zweite Hauptkapitel beschäftigt sich mit dem weiblichen Lebenszyklus von der Kindheit bis zur Witwenschaft. Am Anfang des Kapitels über die Kindheit und Jugend steht eine doppelte Erkenntnis: die Oldesloer Stadtbevölkerung war jung. Es gab viele Kinder in der Stadt, gleichzeitig aber war die Kindersterblichkeit erschreckend hoch. Versuche, die Sterblichkeitsrate zu senken, werden am Beispiel der Blatternimpfung dargestellt, die 1811 als Pflichtimpfung obligatorisch wurde. Kinder wuchsen nicht unbedingt mit ihren leiblichen Eltern auf, denn viele waren früh mit dem Tod eines oder beider Elternteile konfrontiert. Kinder aus armen Haushalten mussten früh zum Lebensunterhalt der Familien beitragen. So nehmen die Kinderarbeit und die Kinderkriminalität in Form von Diebstählen einen breiten Raum ein. Nicht vergessen werden aber auch Kinderspiele und die Darstellung von Fürsorge und Liebe, die den Kindern entgegengebracht wurde. Zur Lebenswirklichkeit von Kindern gehörte ganz wesentlich der Schulbesuch, der hier anhand der Mädchenschulen für Kinder der unteren und höheren Stände einen breiten Raum einnimmt und dem sich eine Untersuchung über die Lese- und Schreibfertigkeiten der aus der Schule entlassenen Kinder anschließt.

    Das Jugendalter wird als Zeitraum von der Konfirmation bis zur Mündigkeit mit 21 Jahren begriffen. Diese Lebensphase hat in den Quellen wenig Spuren hinterlassen. Es war die Zeit der Berufsausbildung (für die Jungen), der Vorbereitung auf den Ehestand (für die Töchter der höheren Stände) und des Eintritts in einen Dienst (für die Mädchen der unteren und zum Teil der mittleren Stände). Es war aber auch das Alter der Geschlechtsreife, der Partnersuche und der Vergnügungen. In der Regel endete die Jugendzeit mit dem Schließen einer Ehe.

    Im Kapitel über die Lebensphase des Gesindedienstes werden die Herkunft, das Alter und die Mobilität der Dienstmädchen untersucht. Einen breiten Raum nehmen die obrigkeitlichen Gesindeordnungen mit ihrem negativen, sanktionierenden Blick auf das Gesinde ein, dem die davon in vielen Fällen abweichende Realität der Dienstverhältnisse entgegengestellt wird.

    Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Ehe, die für die meisten Frauen das angestrebte Ziel war, weil nur die Ehe die Loslösung aus elterlicher, vormundschaftlicher oder dienstherrlicher Kontrolle ermöglichte. Die Ehe erlaubte es der Frau, ihren eigenen Haushalt zu führen, und nur in der Ehe war Geschlechtsverkehr erlaubt und wurde nicht sanktioniert. In der Ehe blieb die Frau dem Mann als dem Haushaltsvorstand untergeordnet. Dies brachte eine Vielzahl an rechtlichen Minderstellungen der Frau besonders in Finanzfragen mit sich. Diese sogenannte »Geschlechtskuratel«, die die Frau unter die Vormundschaft ihres Mannes stellte, wird ebenso behandelt wie die eheliche Arbeitsgemeinschaft von Mann und Frau im Haus, aber auch in Gewerbe und Handwerk. Den Abschluss des Kapitels bilden zum Teil gewaltsam ausgetragene Ehekonflikte. In diesem Zusammenhang wird die Möglichkeit der Ehescheidung diskutiert.

    Nicht alle Frauen heirateten. Es gab durchaus Frauen, die als Ledige auf verschiedene Weise versuchten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten: als Näherin, Tagelöhnerin, Köchin oder Haushälterin. Sie lebten in eigenen Haushalten oder zur Untermiete. Daneben gab es Frauen, die im Elternhaus blieben und dort die Eltern unterstützten. Im Alter drohte vielen dieser Frauen Armut und Einsamkeit.

    Das galt auch für die Witwen, deren Lebensumstände ebenfalls sehr weit auseinanderfielen: Die Spannbreite reichte von der wohlhabenden Witwe, die von ihrem Vermögen lebte, über Witwen, die einem Gewerbe nachgingen, bis zur Bewohnerin des Armenhauses, die mit einem kargen Almosengeld auskommen musste. Gerade Witwen im Armenhaus wurden zur Mitarbeit in der Pflege von Insassen oder zur Lohnspinnerei angehalten. Besonderes Augenmerk wird auf die Witwenversorgung gelegt, die Pastoren- und Lehrerwitwen, vor allem aber den Handwerkerwitwen zuteil wurde, denen es innerhalb einer bestimmten Frist gestattet wurde, den Betrieb ihres Mannes weiterzuführen.

    Sehr alten Witwen, die nicht mehr arbeiten konnten oder die zeitlebens von der Hand in den Mund gelebt hatten und deshalb über keinerlei Rücklagen und Sicherheiten verfügten, fielen oft in bittere Armut. Ihnen ist ein besonderes Kapitel »Armut« gewidmet, das sich mit den Lebensbedingungen in den Oldesloer Armenanstalten auseinandersetzt. Dargestellt werden auch übergreifende Notlagen, wie Viehseuchen und durch Missernten ausgelöste Teuerungen, die viele prekär lebende Familien in Not brachten.

    Zur Armut gehört auch das Kapitel über die Vagantinnen und umherziehenden Bettlerinnen. Sie gehörten allen Altersstufen an, waren Kinder, Ledige, verheiratete Frauen oder Witwen. Sie repräsentierten äußerste Armut und waren in Oldesloe ein vertrauter, wenn auch bekämpfter Anblick. Mithilfe von Bettlerordnungen, Stadtverweisen und Bestrafungen versuchte die Stadtobrigkeit, dieser Menschen Herr zu werden.

    Im dritten Hauptkapitel wird der weibliche Körper in den Blick genommen. Im ersten Kapitel geht es um das Konstrukt der »Ehre«, das in der Frühen Neuzeit besonders in der zünftischen Handwerkerschaft, aber nicht nur dort, eine bedeutende Rolle spielte. Ehre war untrennbar mit Sexualität und dem weiblichen Körper verbunden: Eine Frau hatte »rein« zu sein. Bei Vergehen gegen dieses Reinheitsgebot »befleckte« die Frau, sei es als Ehefrau oder Tochter, die Ehre vor allem des Ehemannes, Vaters und der gesamten Familie. Dargestellt wird an einigen Beispielen, welche Folgen eine angenommene Unehrlichkeit für die Frauen selbst und ihre potenziellen oder tatsächlichen Ehemänner haben konnte.

    Zweck der Ehe war im protestantisch geprägten Norddeutschland nach Luther die Zeugung von Kindern. Sie war der einzige von der Kirche und der Obrigkeit gebilligte Ort, an dem dies geschehen konnte. Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft gehörten für Ehefrauen ganz wesentlich zum Lebenszyklus dazu. In einem ersten Kapitel werden die Hebammen der Stadt vorgestellt, ihre Ausbildung, ihre Pflichten und ihre Arbeitsbedingungen unter der Aufsicht der Obrigkeit und eventuell der Mediziner. Hebammen standen den Frauen bei Geburten bei, Männer traten erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Geburtsraum. Dies wird im dritten Kapitel dargestellt, das sich mit überlieferten unglücklichen Geburten beschäftigt, die aber einen Blick in das Geburtsgeschehen im frühen 19. Jahrhundert erlauben.

    Mit der Frage der Ehre und Schande ist auch das folgende Kapitel verbunden, denn es geht um »Unzucht.« Sogenannte Unzüchtige hatten außerhalb der Ehe Geschlechtsverkehr, aus dem unter Umständen Kinder hervorgingen. Unter die Unzucht fielen auch Paare, die schon vor ihrer Hochzeit ein Kind zeugten und deren antizipierter Beischlaf ebenso bestraft wurde wie der Ehebruch. Bestraft wurden Männer und Frauen, jedoch konzentrierte sich das Delikt auf die Frauen. Sie wurden als liederlich oder als Huren gebrandmarkt, während den Männern voreheliche Sexualität zugebilligt wurde. In diesem Kapitel wird die Bestrafung des Deliktes der Unzucht beleuchtet, vor allem aber die Lebenssituation unehelicher Mütter dargestellt. In engem Zusammenhang mit diesem Komplex werden sowohl die Abtreibung, die heimliche Geburt als auch schließlich der Kindsmord behandelt. Abtreibungen waren schwer nachzuweisen und sind nur als angenommene Versuche überliefert. Anders sah es mit den verheimlichten Geburten aus, derer ausschließlich Dienstmägde verdächtigt wurden.

    Frauen erlebten sexuell geprägte Angriffe auf ihren Körper, sei es durch Belästigungen, versuchte oder vollzogene Vergewaltigungen. Die wenigen in den Quellen fassbaren Beispiele zeigen, dass eine Vergewaltigung auf die Ehre der Frau abfärbte und sie minderte. Zum Schluss dieses Kapitels geht es noch um die Frage der Prostitution, wobei in den Oldesloer Quellen nur wenige Beispiele für sich in der »Lohnhurerei« prostituierende Frauen vorhanden sind.

    Das vierte Hauptkapitel beschäftigt sich mit der Kriminalität von Frauen. Es beginnt mit einem Verbrechen ohne Delikt, der »Hexerei«. Im Oldesloer Archiv sind Hexenprozess-Akten von drei Verfahren erhalten, die den Kern der Darstellung ausmachen. Es folgen Unterkapitel über von Frauen selten begangene Kapitalverbrechen wie Mord. Dagegen sind die Akten gefüllt mit Diebstahlsvergehen. Ihretwegen standen Kinder, Ehefrauen, Witwen, vor allem aber Dienstmägde vor Gericht. Viele Diebstähle, vor allem die Holz- und Felddiebstähle, wurden aus großer Not und Armut begangen. Am Schluss stehen noch diejenigen Frauen im Mittelpunkt des Interesses, die wegen Tätlichkeiten, Beleidigungen und Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit vor Gericht zitiert wurden.

    Das fünfte Hauptkapitel bietet in zwei Unterkapiteln einen Ausblick in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach einer kurzen Einführung in die veränderten verwaltungspolitischen Bedingungen (Schleswig-Holstein war seit 1867 preußische Provinz) wird die beginnende Industrialisierung der Stadt mit ihren Folgen für die Arbeitssituation junger und lediger Frauen behandelt. In diesem Zusammenhang wird im ersten Unterkapitel das vergessene Schicksal schwedischer Arbeitsmigrantinnen dargestellt, die seit 1869 vermehrt nach Schleswig-Holstein und auch nach Oldesloe angeworben wurden und als Dienstmädchen, aber auch als Arbeiterinnen in der Papierfabrik fassbar sind.

    Ein wichtiges Kapitel ist die Diskussion um die Mädchenbildung, die bereits im ersten Unterkapitel des weiblichen Lebenszyklus behandelt wird, und der nun in der zweiten Jahrhunderthälfte mit dem Aufkommen der bürgerlichen Frauenbewegung ein wachsendes Interesse entgegentritt, das in Oldesloe in die Gründung einer städtischen höheren Mädchenschule mündet.

    Am Ende stehen noch einige Anmerkungen zum Text: Zitate aus Archivalien sind kursiv, Zitate aus der Literatur in Anführungszeichen gesetzt. Abkürzungen, soweit sie nicht im Abkürzungsverzeichnis aufgeführt werden, sind bei ihrem ersten Auftreten im Text erklärt.

    Anmerkungen

    1Staatsgrundgesetz für die Herzogthümer Schleswig-Holstein, Rendsburg, den 15. September 1848, III., Art. 10.

    2Die Hausfrauenehe blieb lange bestehen. Noch 1900 hieß es im BGB, dass die Frau dem Mann den Haushalt zu führen habe. Dabei blieb es auch 1957. Eine Frau durfte nur erwerbstätig sein, wenn es mit ihren Pflichten als Hausfrau vereinbar war. Erst seit 1977 regeln die Ehepartner die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen, zitiert nach Andreas Gestrich: Kapitel Neuzeit, in: Andreas Gestrich, Jens-Uwe Krause, Michael Mitterauer: Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 364–652, hier S. 532.

    Teil 1

    1. Die Frühe Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

    1.1 Beschreibung der Stadt Oldesloe: politische, ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

    Am Anfang dieses Buches steht eine kurze – bei Weitem nicht vollständige – Beschreibung der Stadt Oldesloe, um die Lebenswelten der Oldesloer Frauen in die politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen einzubetten.

    Oldesloe war eine kleine Landstadt im Herzogtum Holstein. Die schleswig-holsteinische Landesgeschichte ist kompliziert³, allein weil das Herzogtum Schleswig ein dänisches, Holstein dagegen ein zum Deutschen Reich gehörendes Lehen war. Seit dem Privileg von Ripen aus dem Jahr 1460 standen die beiden Territorien unter einem gemeinsamen Herrscher, der zugleich König von Dänemark war. 1474 wurde die Grafschaft Holstein von Kaiser Friedrich III. zum reichsunmittelbaren Herzogtum erhoben. Ab 1490 kam es in Schleswig-Holstein zu Herrschaftsaufteilungen zwischen dem dänischen König Johann und seinem jüngeren Bruder Herzog Friedrich. Weitere Teilungen folgten 1544, als König Christian III. Schleswig-Holstein unter sich und seinen Halbbrüdern aufteilte. Von nun an gab es neben den Besitzungen der Ritterschaft und der noch bestehenden adeligen Damenstifte (ehemals Klöster) den gottorfschen, wenige Jahrzehnte den Haderslebener und den königlichen Anteil. Der Haderslebener Anteil fiel 1580 an die beiden lebenden Brüder zurück, von nun an gab es die Territorien der dänischen Könige, der Herzöge aus der Gottorfer Linie sowie Gebiete mit »Gemeinschaftlicher Regierung« und der »abgeteilten Herren«.⁴ 1721 gelang es Friedrich IV., den gottorfschen Teil des Herzogtums Schleswig mit dem königlichen Anteil unter seine Herrschaft zu bringen. Mit dem Vertrag von Zarskoje Selo aus dem Jahr 1773 fielen auch die gottorfschen Gebiete Holsteins an den dänischen König. Holstein und Schleswig waren vereint unter dem dänischen König, behielten aber ihre »Sonderstellung im Gesamtstaat«.⁵ Die Personalunion zwischen dänischem König, Herzog von Schleswig und Herzog von Holstein hielt bis zum Jahr 1864 – also bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraumes. Oberster Oldesloer Stadtherr war in der gesamten Untersuchungszeit der jeweilige dänische König, der die Stadt auch mehrmals besuchte.⁶

    Im 17. Jahrhundert wurde Oldesloe durch Kriegsereignisse mehrfach verheert. Sie brachten der Stadt die Pest (1625), Teuerung, Einquartierungen von Truppen, Gewalt und Plünderung. Einquartierte Soldaten, die in den Häusern der Oldesloer untergebracht und verpflegt werden mussten, spielten in vielen, auch gewalttätigen Vorfällen, auch noch in den folgenden Jahrhunderten, eine bedeutende Rolle. 1638 beklagte der Rat in einer Bittschrift, dass die Soldaten die warmen stuben occupiret und jeglicher Handwerksmann seine Handarbeit und nahrung nicht vohrtsetzen können.

    Der Dreißigjährige Krieg erreichte Oldesloe im September 1627, als kaiserliche Truppen in Holstein einmarschierten und die Stadt – wie Bangert es formulierte – »überschwemmten«.⁸ Zwei Jahre später zogen die Truppen ab und hinterließen eine ausgeraubte und verwüstete Stadt. Statt der kaiserlichen kamen nun verbündete Truppen ins Oldesloer Quartier, die die Grenze sichern sollten. Im Juni 1638 wurde ein großes Feldlager für holsteinische Truppen um Oldesloe herum angelegt, das 18 Wochen bestehen blieb. Felder und Weiden wurden zertreten und abgeweidet, Gebäude zerstört. Am 12. Dezember 1643 rückten feindliche schwedische Truppen in Oldesloe ein und stellten hohe Forderungen, zum Beispiel eine Brandschatzung von 9000 Reichsthalern.⁹ Und so ging es immer fort: Mal standen schwedische, dann wieder kaiserliche Truppen in und um die Stadt. Immer waren die Bürger Opfer von Plünderung, wurden die Ernten vernichtet. Nach dem Friedensschluss von Brömsebro im Juli/August 1645 zwischen Schweden und Dänemark verließen die kaiserlichen und die schwedischen Truppen das Land. Ueber 80 der größesten und besten Häuser, worunter auch das Rathhauß, waren eingerissen, diruiret und gantz inhabitabel gemacht worden dergestalt, daß dieselben bey Menschengedencken schwehrlich reedificiret undt zu vorigem stande wieder gelangen können, klagten Bürgermeister und Rat.¹⁰ Viele Häuser blieben leer und verfielen.

    Neben den Kriegsleiden prägte im 17. Jahrhundert die sogenannte Kleine Eiszeit das Wettergeschehen. Sie reichte vom Ende des 16. Jahrhunderts bis in das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts. Diese Kälteperiode verursachte kalte Winter und kühle, feuchte Sommer, die schlechte Ernten nach sich zogen, die zu starken Preiserhöhungen gerade bei Roggen, dem wichtigen Grundnahrungsmittel, führten. Die nassen Weiden verhinderten, dass für das Rindvieh und die Pferde genügend Futtermittel zur Verfügung standen und die Tiere krankheitsanfälliger wurden.¹¹ In der frühneuzeitlichen Subsistenzwirtschaft war dies für breite Bevölkerungsschichten existenzbedrohend. In diese Zeit fielen die Oldesloer Hexenprozesse, die die tiefe Verunsicherung und Ängste der Menschen widerspiegelten.

    Auch 1648, als der Dreißigjährige Krieg durch die Friedensschlüsse in Münster und Osnabrück beendet wurde, kam das Land nicht zur Ruhe. Ruth Mohrmann bilanzierte am Beispiel der Stadt Wilster, dass »die aufwendige und kostspielige dänische Politik der zweiten Jahrhunderthälfte (…) durch ihre gerade den Städten abgezwungenen finanziellen Leistungen (…) auch manch andere holsteinische Stadt verarmen und Handel und Gewerbe darniederliegen (ließ)«.¹² Dieses Schicksal teilte auch Oldesloe. Während des Dänisch-Schwedischen Krieges von 1657 bis 1658, der mit einer Niederlage Dänemarks endete, und darüber hinaus lag in den Häusern wieder Militär, es kam zu teils mörderischen Konflikten zwischen den Wirten und den Soldaten. Auch im 18. Jahrhundert hörten die Einquartierungen nicht auf und belasteten die Oldesloer Bürger durch die Jahrzehnte.

    Hinzu kamen schwere Verluste u.a. durch eine Viehseuche, der 1773 mehr als ein Viertel des Oldesloer Rinderbestandes zum Opfer fiel. Die Seuche war auch eine Begründung für die 1779 abgeschlossene sogenannte Verkoppelung. Dabei handelte es sich um ein großes landwirtschaftliches Urbarmachungsprojekt: Die Gemeindeländereien wurden parzelliert und die vorher ausgemessenen Landteile einem bestimmten Haus im Losverfahren als Pertinenz beigelegt. Die neuen Besitzer mussten ihre Koppeln einfrieden und moorige Landstücke urbar machen. Die Einfriedung der Koppeln diente auch zur Vermeidung der Viehseuche, denn schon 1748 hatten die Bewohner des Besttor-Quartiers die Erfahrung gemacht, dass vor allem die gemeinsam geweideten, in großen Herden zusammengefassten Rinder erkrankten.¹³ In den Testamenten Oldesloer Bürger tauchten nun vermehrt Wohnhäuser mit den dazugehörigen Landtheilen auf.

    Ein schwerer Schicksalsschlag ereilte die Stadt am 22. Mai 1798, als sie fast vollständig abbrannte. Viele Oldesloer Bürger verloren ihre Häuser, ihren Hausrat, ihr Arbeitsgerät und ihre auf den Böden eingelagerten Vorräte.¹⁴ Kaum hatten sie sich erholt und die Stadt wiederaufgebaut, fiel 14 Jahre später im Zuge der napoleonischen Kriege die Nordarmee unter der Führung von Bernadotte (später als Karl XIV. König von Schweden) in Holstein ein. Von Dezember 1813 bis zum Abzug der Truppen im Januar 1814 lagen zunächst feindliche, danach »befreundete« Truppen in der Stadt – mit den gleichen schlimmen Folgen. Diese Zeit ging als »Kosakenwinter« in das kollektive Gedächtnis ein.¹⁵ Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine insgesamt krisenhafte Zeit, sowohl wirtschaftlich wie politisch. Die napoleonischen Kriege, der dänische Staatsbankrott von 1813 und Missernten verursachten ein »erschreckendes Ausmaß der Verelendung«¹⁶ breiter Bevölkerungsschichten.

    1848 bis 1851 waren die Jahre der schleswig-holsteinischen Erhebung, in der es vor dem Hintergrund eines deutsch-dänischen Nationalitätenkonflikts um die zukünftige Zugehörigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein entweder zu Dänemark oder zu einem zukünftigen deutschen Nationalstaat ging. Die Erhebung war mit dem Aufkommen starker nationaler, aber auch liberal-demokratischer Bestrebungen verbunden: Gefordert wurden von der schleswig-holsteinischen Ständeversammlung u.a. Presse- und Versammlungsfreiheit. Das 1839 gegründete »Oldesloer Wochenblatt« musste sich noch regelmäßig Zensur gefallen lassen.¹⁷ Nachdem die schleswig-holsteinische Armee bei Idstedt 1851 eine schwere Niederlage erlitten hatte, war die Erhebung gescheitert. Die Zukunft Schleswig-Holsteins blieb ungewiss. 1863 wurde in Dänemark eine Verfassung angenommen, die letztlich zur Teilung der Herzogtümer führen musste. Gegen die Teilung Schleswig-Holsteins intervenierte der Deutsche Bund und rückte mit Truppen in das von den Dänen bereits verlassene Holstein ein. Bismarcks Ziel war die Einverleibung der beiden Herzogtümer in den preußischen Staat. Vor allem in Holstein (auch in Oldesloe) wünschten sich viele Bürger eine eigenständige Lösung unter dem Augustenburger Herzog Friedrich als Landesherrn, die jedoch keine Chance auf Verwirklichung hatte. Den innerdeutschen Krieg um die Vormachtstellung zwischen Österreich und Preußen gewannen die Preußen. Im Januar 1867 wurden die Herzogtümer als Provinzen in den preußischen Staat eingegliedert.

    Es gehörte bis in das 19. Jahrhundert zu den kontinuierlichen Topoi der Selbstdarstellung gegenüber der Obrigkeit, von Oldesloe als einer nahrlosen Stadt zu sprechen. Dies war während der Kriegszeiten im 17. Jahrhundert so, aber auch 1777, als Bürgermeister Noodt schrieb, dass die meisten Einwohner unter einer Schuldenlast, womit ihre Güther beschweret sind und von manchen Abgaben aus Steuern gedrückt, nur ein nothdürftiges Auskommen haben, und man alsdann leicht verstehen können, wie zu nehmend groß hier die Anzahl der Bedürftigen ist, die ganz oder zum Theile von den Armenanstalten unterhalten werden müssen.¹⁸ Die Klagen hörten nach dem Stadtbrand und nach den Verheerungen der napoleonischen Kriege nicht auf – davon wird im Folgenden immer wieder die Rede sein.

    Die Mehrzahl der Bürger betrieb neben dem Handwerk Landwirtschaft, sodass von einer ackerbürgerlich geprägten Stadt gesprochen werden kann. In einem Fragebogen, der 1770 ausgefüllt wurde, hieß es, dass die Bürger die ihnen gehörenden oder von ihnen gepachteten Ländereien teils nutzen, um Futter für ihr Hornvieh zu gewinnen, teils zum Ackerbau. Indessen wird von dem hier angebauten Getreide nicht viel auswärtig verkauft, sondern das meiste hier in der Stadt consumirt.¹⁹ 1770 gab es nur wenige Bürger, die ihren Lebensunterhalt mit Handel verdienten, die Mehrzahl waren Handwerker, vor allem Schuster. Dabei litt das Handwerk nach den fortwährenden Klagen der jeweiligen Zünfte unter der Konkurrenz der Landhandwerker (Böhnhasen) auf den umliegenden Gütern und Dörfern. Das Stadtbild war durch die Saline geprägt, die bis 1865 zur Salzgewinnung betrieben wurde und lange der größte Arbeitgeber war, allerdings bis zum Mai 1851 nicht zur Oldesloer Gemeinde gehörte. »Fabriken« siedelten sich in der Stadt im 18. Jahrhundert nicht an – außer einigen unbedeutenden Tabakfabriken. Die erste größere Fabrikansiedlung war 1815 die Gründung der Papiermühle, aus der sich in den folgenden Jahrzehnten eine Papierfabrik entwickelte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckte der Apotheker Lorentzen schwefelhaltige Quellen, die er 1813 zur Grundlage eines Bad- und Kurbetriebes auf dem Gelände der Saline machte.²⁰

    Als ein Hemmnis für die Stadtentwicklung erwiesen sich bis weit in das 19. Jahrhundert die schlechten Landstraßenverbindungen. Erst mit dem Bau der Chaussee zwischen Kiel und Altona, die über Oldesloe führte, verbesserte sich die Situation, und die Stadt hoffte dadurch auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Auf dem Vogtding (Bürgerversammlung) von 1836 führte Bürgermeister von Colditz aus: Für das Leben und die Nahrung unserer Stadt sehen wir nach Jahren des Kummers und großer Sorgen die Morgenröte einer besseren Zeit aufgehen.²¹ Anlass zur Sorge fand man erneut nach der Eröffnung einer Eisenbahnverbindung zwischen Lübeck und Hamburg über Büchen, die am 15. Oktober 1851 ihren Betrieb aufnahm und das Leben dieses Ortes verödete, wie der Magistrat klagte.²² Die lang ersehnte Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Großstädten über Oldesloe kam erst 1865 zustande. Bis zu ihrem Bau war die Trave ein wichtiger Handelsweg zwischen Lübeck und Oldesloe gewesen. Die Bootfahrt hatte allerdings schon zuvor an Bedeutung verloren und ging nun endgültig ein.²³ Der Bau der Chaussee zwischen Lübeck und Hamburg von 1840 und mehr noch der Bau der Eisenbahn brachte Arbeitskräfte aus ganz Deutschland (und auch aus dem Ausland) in die Stadt, die seit 1863 in den Akten verstärkt auftauchen: vor allem als »Unruhestifter« mit Schlägereien, aber auch mit Streiks für bessere Arbeitsbedingungen.

    Stadtplan von 1641 aus der 1652 gedruckten »Dankwerth’schen Landesbeschreibung« von Johannes Mejer

    Stadtbeschreibung

    Ursprünglich war Oldesloe – bis die Stadt über den ursprünglichen Inselkern hinauswuchs – in vier Quartiere eingeteilt: Das Lang-Straßen-, das Hamburger-Tor-, das Lübschen-Tor- und das Besten-Tor-Quartier. Eine eindeutige soziale Schichtung lässt sich für diese Quartiere nicht nachweisen. Gewerbe – auch lärmintensive und schmutzige – befanden sich in engster Nachbarschaft zu Wohnhäusern. Auch Mensch und Tier lebten eng beieinander. Erst 1668 wurden die Ziegen in der Stadt abgeschafft²⁴, und noch 1773 liefen Schweine trotz Verbotes frei auf den Straßen herum, während sie auf die Weide aus- oder in die Stadt eingetrieben wurden.²⁵ Auch Schafherden wurden noch 1835 morgens und abends durch die Stadt geführt.²⁶ In den Ställen standen Pferde, Schweine und Rinder, Hühner und Gänse wurden gehalten. 1706 hielt der Stadtsekretär seine Kühe in einem Holzstall am Marktplatz, und der Unrat floss über den Platz.²⁷ Eine Hornvieh-Zählung im Jahr 1774 ergab, dass in der Stadt 646 Kühe gehalten wurden²⁸, auch 1805 gehörte laut Brandkataster zu (fast) jedem Haus ein Stall²⁹, und für 1867 listete die Viehzählung bei 405 bewohnten Häusern 189 Pferde, 524 Rinder und 44 Schafe auf.³⁰ Entsprechend gehörte Vieh auch zur Erbmasse: Dorothea Rossau, Tochter eines Schusters und Krügers, sollte 1794 bei ihrer Mündigkeit u.a. eine junge Kuh, eine zweijährige Starke, und ein mittelmäßiges Schwein erhalten.³¹

    Zu unerträglichen Geruchsbelästigungen führten die Gerbereien, die einen üblen und unangenehmen Geruch in der Stadt verursachten und das Wasser in der Trave verunreinigten. Besonders schlimm muss der Gestank aus der Abdeckerei des Scharfrichters gewesen sein. 1764 beschwerten sich die Bürger der umliegenden Häuser, daß sie für den unleidlichen Geruch des häufigen todten Viehs sich nicht in ihren Häusern zu bergen wüßten, und Landleute führten Klage, weil der Fußsteig zur Kirche nahe am Abdeckerplatz vorbeiführte, daß sie Mühe hätten anhero zu kommen, ungeachtet Mund und Nase zugehalten würden.³² Die Abdeckergrube befand sich mitten in der Stadt, nach Bangert sogar am Marktplatz³³, und sollte vor die Stadt verlegt werden. Dazu kam es aber erst nach dem Stadtbrand von 1798, als der Scharfrichter an den Weg nach Wolkenwehe zog.

    Beständig wurde die Bürgerschaft – gerade wegen der vielen landwirtschaftlichen Betriebe in der Stadt – zur Reinigung der Gassen vor ihren Häusern aufgefordert.³⁴ Auf den Straßen lag u.a. Kot, Kehricht und anderer Schmutz, der wegzufegen und zu spülen war. Geschah das nicht, musste eine Geldstrafe bezahlt werden.³⁵ Es gehörte lange zu den Aufgaben des Scharfrichters, die Bürger in regelmäßigen Abständen zur Reinigung aufzurufen und zu prüfen, ob sie ihren Unrat ordnungsgemäß entsorgt hatten. Dieses Vorgehen verlief nicht immer konfliktfrei, denn die Scharfrichter und ihre Knechte wurden als »unehrliche« Leute angesehen. Später waren die Stadtdiener verantwortlich für die Kontrolle und die Anzeige säumiger Bürger.

    Bis zum großen Stadtbrand vom 22. Mai 1798 war Oldesloe eine Stadt, deren Gebäude in schlechtem Zustand waren. Die Gefache der Fachwerkhäuser waren nicht ausgemauert, sondern mit Reisiggeflecht und Lehmbewurf ausgefüllt. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts trugen die Häuser zwar in der Regel Ziegeldächer, aber die Ziegel lagen in Strohwiepen und nicht in feuersicherem, schwererem Kalk. Außerdem besaßen die Häuser in der Regel keine Schornsteine, sondern offene Schwibbogen-Herde, deren Rauchfänge aus Holz waren. Die Häuser waren durchweg zum Ackerbau eingerichtet. Sie bestehen also fast überall aus einem Stockwerk und sind, um Bodenraum zu gewinnen mit sehr hohen Dächern (…) versehen.³⁶ Auf den Böden lagerte vor allem im Winterhalbjahr unausgedroschenes Korn, Heu, Stroh, Torf und Flachs. In den Häusern wurde mit offenem Licht hantiert und geraucht (beides war verboten!): Alles zusammen verursachte eine hohe Feuersgefahr. Bürgermeister Noodt hatte die Häuser 1770 ähnlich beschrieben: Da bekanntlich auch die Häuser hieselbst fast alle zum Feldbau und um etliche Stück Hornvieh halten zu können, eingerichtet, außerdem aber, nach den Umständen der meisten Eigenthümer, baufällig, schlecht und so klein eingeschränkt sind, dass in vielen Häusern nicht mehr als zwo Kammern befindlich, welche die Bewohner für sich, ihre Kinder und ihr Gesinde nöthig haben.³⁷ Aus den Volkszählregistern noch des 19. Jahrhunderts geht hervor, wie dicht bevölkert manche der von Unterschichtsfamilien bewohnten Häuser waren. Die Nachbarn lebten eng beieinander, die Türen waren offen, Wohnung und öffentlicher Raum eng verflochten. Nachbarn saßen gemeinsam auf Bänken vor ihren Häusern oder besuchten sich. Nach Carola Lipp führte dieses »Nebeneinander von Familie, Arbeit und Alltagsleben« sowohl zu »nachbarschaftlicher Vertrautheit« wie zu einer intimen Kenntnis der »gegenseitigen wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse«.³⁸ Wir werden das im Buch mehrfach sehen.

    Nach dem Wiederaufbau der Stadt unter Federführung des dänischen Architekten Hansen hatte Oldesloe sein Gesicht verändert. Die vormals in krummen Linien verlaufenen Straßen und die im Zickzack stehenden Häuser³⁹ wichen einem Grundriss mit gerade und breiter geführten Straßen. Die Häuser wurden feuersicherer wiederaufgebaut, so sollten zum Beispiel Wände und Giebel zukünftig mit Mauerwerk aufgeführt und nicht mehr mit Holzbrettern verkleidet werden. In einem 1813 verfassten Reisebericht hieß es lobend, dass statt der alten schiefen Häuser jetzt symmetrisch gebaute, mit hellen Fenstern erleuchtete schöne Häuser dastehen, aus der Asche sei eine neue und schöne Schöpfung erwachsen.⁴⁰ Wie bedeutsam der Wiederbau für die Oldesloer war, zeigt ein Eintrag im Taufregister von 1798: Am 25. November wurde Anna Margaretha Mosbach geboren. Sie war das siebente Kind ihrer Eltern und das erste im neuen Hause.⁴¹

    In diesen Häusern und auf diesen Straßen, Gassen und Plätzen verbrachten die Oldesloer Frauen ihre Lebenszeit. Doch ist nicht zu übersehen, dass Männer und Frauen durchaus in unterschiedlichen »Verkehrskreisen«⁴² unterwegs waren. Die vielen Krughäuser und Wirtshäuser der Stadt wurden hauptsächlich von Männern besucht, die anschließend nicht selten lärmend und Unfug treibend durch die Stadt zogen. Frauen trafen sich hingegen an Wasch- und Wasserstegen, ihren Arbeitsplätzen. Sie vermieden, wenn sie es nicht als Dienstmägde mussten, abends und nachts auszugehen. Ihnen drohte, wie es der Ehefrau des Ratsverwandten Roeper am 7. April 1798 geschah, Opfer einer gantz fürchterlichen Beleidigung zu werden. Frau Roeper kam in Nachtmütze, umhüllet von ihrem rothen Pelz und Laterne in der Hand abends um 9 ½ Uhr vom Krankenbesuch bei ihrer Schwester, als sie von Fresenburger Knechten, die ihr Häuselgeld im Krughaus vertrunken hatten, angegriffen wurde. Die Knechte stürzten mit Schreien und Jauchsen aus dem Wirtshaus, umzingelten Frau Roeper, griffen nach der Laterne, schlugen sie mit ihren Hüten über den Kopf und ins Gesicht, rissen an ihrem Pelz. Atemlos schaffte sie es bis in ihr Haus und der Menge zu entkommen.⁴³

    Die Stadtverwaltung und Justiz

    In den Städten Lübischen Rechts – also auch in Oldesloe – gab es eine lokale Selbstverwaltung. Die städtische Obrigkeit bildeten Bürgermeister und Rat, der aus einer wechselnden Anzahl von Ratsmännern bestand. Im 17. Jahrhundert wurden die Ratsmitglieder ohne Einfluss der Bürger vom Magistrat auf Lebenszeit erwählt, seit 1714 wurden sie vom König, wie schon seit 1696 die Bürgermeister, ernannt.⁴⁴ Dieses Verfahren muss als ein Zeichen der erstarkenden absolutistischen Macht des Königtums gewertet werden. Im bürgerlichen 19. Jahrhundert wurde diese Macht wieder geschmälert: Die Allgemeinde Städteordnung von 1854 bestimmte, dass die Ratsverwandten von der Bürgerschaft gewählt und vom König lediglich bestätigt wurden.

    Der Rat besaß eine Doppelfunktion »als oberste (…) Finanz- und Verwaltungsinstanz und Inhaber des höchsten richterlichen Amtes des Gemeinwesens«.⁴⁵ Er war verantwortlich für umfassende Verwaltungsaufgaben: von der Güterverwaltung bis zu Bausachen, Straßenbau, von der Abhaltung des Ratsgerichts und der damit verbundenen Brüchedingung (Strafzahlungen) bis zur Verwaltung testamentarischer Stiftungen. 1686 wählte die Bürgerschaft aus den vier Quartieren jeweils zwei Männer (die Achtmänner), die dem Rat vorgestellt und von ihm in Eid und Pflicht genommen wurden. Ihre Aufgabe war die Kontrolle des Rates, besonders in Finanzangelegenheiten.⁴⁶ Deputierte Bürger wurden aus der Bürgerschaft gewählt, um die Interessen der Bürgerschaft gegenüber dem Rat zu vertreten und zur Sprache zu bringen.

    In Oldesloe galt in Zivilsachen das Lübische Recht, in Kriminalsachen dagegen die 1532 in Regensburg verabschiedete Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., die sogenannte Carolina, die als Reichsgesetz bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit besaß. Allerdings wurde »dieselbe aber ihrer der Jetztzeit nicht mehr angemessenen harten Strafen wegen re vera nicht angewendet (…), sondern (ist) von einem auf die Aussprüche der oberen Gerichtshöfe sich gründenden Gewohnheitsrecht im Wesentlichen verdrängt worden«,⁴⁷ schrieb 1867 Hermann Krüger vom preußischen Justizministerium, der über die Gerichtsverfassung im Herzogtum Holstein nach der Eingliederung in den preußischen Staat berichtete.

    Vom Ende des 16. Jahrhunderts an bildete in den kleineren Städten der Rat, bestehend aus einem gelehrten Bürgermeister und mehreren ungelehrten Ratsverwandten, das ordentliche Gericht. Protokolle dieser Verhandlungen in curia sind für unseren Untersuchungszeitraum – neben einzelnen früheren Kriminalsachen – von 1792 bis 1868 fragmentarisch vorhanden. Bagatellsachen, darunter fielen Streitsachen, deren Streitwert 30 Mk (Mark) nicht überschritt, und die summarischen Sachen (darunter fielen zum Beispiel Beleidigungsklagen, Gesindesachen, Mietsachen) waren der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen und einem Einzelrichter übertragen.⁴⁸ Dies war in Oldesloe der Bürgermeister. Die Protokolle dieser »Consulatsverhandlungen« sind von 1802 bis 1867 erhalten.

    Gegen Urteile des Ratsgerichts konnte mit dem Rechtsmittel der Supplikation vor dem Obergericht geklagt werden, gegen dessen Urteile ab einem bestimmten Streitwert auch vor dem Oberappellationsgericht.⁴⁹

    Es gab in Oldesloe zwei Gefängnisse für kurze züchtliche Haft⁵⁰: das Kriminalgefängnis und der sogenannte Bürgergehorsam. Ersteres befand sich über dem Lübschen Tor. Als 1798 dieses Tor abbrannte, erwiesen sich die verbliebenen Gefängnisräume als zu eng. Ein neues Gefängnis wurde nach der eingeholten Genehmigung der Statthalterschaft zum Ankauf des Lübschen Hauses 1823 dort eingerichtet.⁵¹ In den Quellen wurde mehrfach erwähnt, dass es im alten Kriminalgefängnis kalt und feucht gewesen sei. 1775 bat Elisabeth Winkler ihre 18-tägige Gefängnisstrafe wegen der Kälte etappenweise absitzen zu dürfen, bey der damals angehaltenen gelinden Witterung (hat) sie die Strafe lieber auf einmal ausstehen wollen und ist auch darauf von dem 27. Febr. bis den 16. Mart. mit selbiger belegt worden.⁵² Die mit epileptischen Zufällen behaftete Witwe Maria Hedwig Link wollte der Magistrat 1781 nicht im Winter wegen der angehaltenen kalten Witterung und weil das Gefängnis, welches am Wasser liegt ohnehin kalt ist, ihre Strafe absitzen lassen.⁵³ Auch Männer baten entsprechend um eine Verschiebung ihrer Haftzeit: Der Schneidermeister Rühmland, wegen eines Unzuchtvergehens verurteilt, bat im Januar 1797 um Verschiebung, da es im Gefängnis zu kalt sei und er dort nicht arbeiten könne.⁵⁴

    Der Bürgergehorsam befand sich bis zum Stadtbrand 1798 im Hamburger Tor, er wurde dann ins Rathaus verlegt. In ihm saßen Bürger, die wegen ungehorsamen Verhaltens gegenüber der Obrigkeit bestraft wurden.⁵⁵ Er galt als weniger »ehrenrührig« als das Gefängnis. So weigerte sich 1844 der inhaftierte Bürger Clasen, mit dem Gerichtsdiener mitzugehen. Erst als er erfuhr, dass er ins Bürgergehorsam komme, fügte er sich.⁵⁶ Die längeren und härteren Zuchthausstrafen wurden nicht in Oldesloe verbüßt, sondern in Glückstadt.

    1867 wurde festgestellt, dass die Gefängnisse, sie befanden sich nun alle im Rathaus, in schlechtem Zustand seien, dunkel, ungesund und unzureichend. Die höchste verhängte Gefängnisstrafe betrug acht Mal fünf Tage bei Wasser und Brot, nach fünf Tagen wurde der Verurteilte entweder kurzzeitig freigelassen oder mit warmer Speise versorgt. Beklagt wurde, dass »für eine Beschäftigung der Gefangenen nirgends gesorgt« sei.⁵⁷

    Das Vogtding

    1721 wurde nach langer kriegsbedingter Unterbrechung wieder ein Vogting (Bürgerversammlung) abgehalten.⁵⁸ Diese auch Ding genannten Versammlungen fanden ursprünglich dreimal im Jahr statt. Zu ihnen wurde die auf dem Rathaus versammelte Bürgerschaft (dazu gleich mehr) zusammengerufen und dem Rat zum Gehorsam verpflichtet. Die Teilnahme war Pflicht, denn auf dem Vogtding wurden vor allem allgemeine Stadtangelegenheiten verhandelt und den Bürgern vorgestellt.⁵⁹ Zu Beginn der Versammlung wurden nach einer ausführlichen Bitte um göttlichen Beistand, die die Not der vorangehenden Dekaden widerspiegelte, fünfzehn Gebote vorgelesen. Behütet werden sollte die Stadt vor Krieg, Pest und allen Seuchen und ansteckenden Krankheiten für Mensch und Vieh, vor theurer Zeit, vor dem schädlichen und verderblichen Viehsterben, da mit Er (Gott) die Stadt heimgesuchet von nun gäntzlich aufhören lassen, damit die Bürger sich redlich und fleißig ernähren und sogar noch etwas erübrigen könnten, um den Armen zu geben. Den Bürgern wurde als erster Punkt vorgetragen, dass ein Jeder Bürger mit seinen Frauen, Kindern und Gesinde sich fleißig zu Gott, seinem Worte, und der Kirchen halte. Weiter hatte der Bürger ehrerbietig über die ihm verordneten Obrigkeiten, besonders den König, zu sprechen, dem Bürgermeister und Rat Respekt zu erweisen und gehorsam zu sein, wenn er nicht am Gelde, Leibe und Ehre büßen müße, was er nach seinem Frevel (…) verdient. Handwerkern, namentlich wurden die Bäcker, Schlachter, Brauer und Händler aufgeführt, hatten ihren Beruf redlich, ehrlich und mit den rechten Maßen und Gewichten auszuüben. Weiter gab es Regelungen zum Brandschutz: Schornsteine und Schwibbögen waren sauber zu halten, Flachs und Hanf durften in den Stuben oder Öfen nicht gebacken werden. Jedermann hatte seine Gasse und das Steinpflaster vor dem Haus in gutem Stand zu erhalten. Verboten wurde es, in den städtischen Gehölzen ohne Erlaubnis Holz zu schlagen, und auch Bettler und dergleichen unnützes Gesindel durften nicht ohne Vorwissen und Erlaubnis von Bürgermeister und Rat beherbergt werden. Kinder waren zur öffentlichen Schule zu schicken. Diese Vogtdinge verloren als Versammlungsort zunehmend an Bedeutung, doch lassen sie sich in Oldesloe bis 1849 nachweisen. An ihre Stelle traten nun Polizei-Ordnungen und Kanzelabkündigungen, die auch in Oldesloe zahlreich belegt sind.

    An die Warnung, sich der Obrigkeit gegenüber stets untertänig zu verhalten, haben sich die Oldesloer (Männer wie Frauen) nicht immer gehalten. Auch hier gab es, wie Ruth Mohrmann es für Wilster beschrieben hat, zahlreiche »Mißfallensäußerungen und verbale Angriffe« gegen den Rat und den Bürgermeister.⁶⁰

    Die Stadtbevölkerung

    Oldesloe hatte im Jahr 1769 lediglich 1434 Einwohner, davon 681 Männer und 753 Frauen. Die Einwohnerzahl stieg bis 1827 auf 2407 und bis 1855 auf 3437. 100 Jahre nach der ersten Volkszählung von 1769 lebten 1867 4421 Menschen in der Stadt, davon 2527 Männer (vermutlich viele einquartierte Soldaten) und 1894 Frauen. Die Mehrzahl war evangelisch-lutherisch, 13 waren jüdisch, eine Person reformierten Glaubens und 71 Deutsch- oder Christ-katholisch.⁶¹

    Im Rahmen der Vogtdinge wird von der sämtlichen Bürgerschaft gesprochen, doch diese Bürgerschaft war keine homogene Gruppe. Die Stadtbevölkerung unterteilte sich in die Bürger und die Einwohner. Und – das wird noch ausführlich Gegenstand der Erörterung sein – in der zur ehrenamtlichen Ämterübernahme oder zum Vogtding einberufenen Bürgerschaft waren Frauen grundsätzlich nicht miteingeschlossen.

    Die Stadtbevölkerung, wie sie uns in den Volkszählregistern der Jahre 1769, 1803, 1835, 1840 und 1845 entgegentritt, gliederte sich – grob – in eine schmale Oberschicht, meistens aus Kaufleuten mit einem hohen Steueraufkommen (Besitzbürgertum), und eine ebenso kleine Schicht von Bildungsbürgern, wie den Pastoren, Ärzten, Apothekern und Juristen. Zur städtischen Mittelschicht zählten diejenigen Handwerke und Gewerbe, vornehmlich einige Bäcker, Brauer und Gastwirte, die wohlhabender als andere Handwerker waren. Den größten Teil der Bevölkerung, circa 80 Prozent, machte die aus Handwerkern gebildete Unterschicht aus. Noch darunter befanden sich die Tagelöhner und Arbeitsleute sowie die Armen in den Armenbuden.⁶²

    Bürgermeister und Rat standen der Bürgerschaft als Obrigkeit gegenüber und grenzten sich auch symbolisch von den anderen Stadtbürgern ab. 1653 ließen sie gemeinsam mit einem Oberst Jensen ein neues Kommunionsgestühl beim Altar bauen, in dem beim Abendmahl nur die Ratsverwandten, der Oberst und ihre Ehefrauen stehen durften.⁶³ Pastor Wolf verzierte im Tauf- und Geburtsbuch 1799 ausschließlich die Geburtseinträge für die Töchter des Grafen von Luckner auf Blumendorf und des Gutsherren Christian Ernst Heinrich Polemann auf Nütschau mit Blumen und Girlanden. Alle Rangs-Personen wurden in den Quellen durch die ihnen zukommende Anrede ausgezeichnet. Im 18. Jahrhundert verwandte man das französische Monsieur oder für die Ehefrauen die Anrede Madame beziehungsweise für unverheiratete Frauen die Mademoiselle oder Demoiselle. Im 19. Jahrhundert wählte man zum Beispiel in den Registern der Blatternimpflinge für die entsprechenden Väter die Anrede »Herr«, die sonst fehlte, zum Beispiel hieß es Herr Pastor Mommsen, Herr Justizrat Decker, Herr Controlleur Paulsen, sonst lediglich: Schuster Lienau.

    Vollberechtigte Mitglieder der Gemeinde mit allen Rechten und Pflichten, die eine Stadt Lübischen Rechts ihren Einwohnern bot, waren nur die Bürger. Um Bürger zu werden, musste das Bürgerrecht gewonnen werden.

    »Das lübische Recht bestimmte (…), daß neben den erbgesessenen Bürgern jeder, der sich länger als drei Monate in der Stadt aufhielt und einer selbständigen Arbeit nachging, das Bürgerrecht erlangen konnte. Ein Anspruch auf das Bürgerrecht war daraus aber nicht abzuleiten, da dem Rat ein Prüfungsrecht und damit die Möglichkeit, den Bewerber abzulehnen, zustand. Doch auch ein Zwang zur Gewinnung des Bürgerrechts bestand nicht. Dies führte dazu, daß neben der Gruppe der Bürger eine weitere Gruppe ständiger Stadtbewohner ohne Bürgerrecht stand – die ›Einwohner‹. Hauptsächlich Angehörige der ärmeren und lohnabhängigen Schichten

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