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Misooks Ring: Kriminalroman
Misooks Ring: Kriminalroman
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eBook330 Seiten3 Stunden

Misooks Ring: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Simone Jaan, die Wiener Neustädter Hobbydetektivin, findet im Schlosspark von Pottendorf, Niederösterreich, einen abgetrenn-ten Finger. Die Spurensuche führt sie, gemeinsam mit ihrer Freundin Luise Winkler, zu einer jungen Südkoreanerin, die ihre geliebte Großmutter vermisst.
Schon bald befindet sich Simone mitten in einem spannenden und rätselhaften Kriminalfall. Sie begibt sich auf die Suche nach einem wertvollen Artefakt, einem Ring der koreanischen Silla-Dynastie ...
SpracheDeutsch
HerausgeberMedimont
Erscheinungsdatum15. Mai 2024
ISBN9783911172684
Misooks Ring: Kriminalroman
Autor

Katharina Durrani

Katharina Durrani, geboren 1971, absolvierte nach der Matura die Buchhandelslehre, danach den Lehrgang Grafikdesign an der Wiener Kunstschule. Seit ihrer Jugend schreibt sie leidenschaftlich gerne, verfasst Gedichte und Geschichten. Sie liebt es, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, neue virtuelle Welten zu erschaffen. Auch in ihrer Kunst – sie malt in verschiedenen Techniken – wird das Fantastische hervorgehoben, spielen die kräftigen Farben eine große Rolle. Katharina Durrani ist glücklich verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Niederösterreich.

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    Buchvorschau

    Misooks Ring - Katharina Durrani

    Pottendorf

    Niederösterreich

    Ende April

    Ein kleiner Hund saust über eine Wiese. Seine Ohren fliegen im Wind, sein Fell ist zottelig und schwarz mit einem weißen Brustfleck. Der Hund wirkt fröhlich und aufgeregt, als er auf sein Frauchen zuläuft.

    Es ist ein schöner Abend, der Schlosspark in der kleinen Gemeinde Pottendorf ist trotzdem menschenleer. Vermutlich liegt es am launischen Aprilwetter. In den letzten Tagen hat es der April ganz schön wild getrieben. Ein abwechslungsreicheres Wetter gibt es kaum. Schneefall, Regengüsse, Sonnenfenster, Temperaturachterbahn. Ja, der April, der macht was er will.

    Simone Jaan geht zum ersten Mal im wunderschönen Schlosspark spazieren. Natürlich begleitet von ihrer Bolonka-Zwetna-Hündin Rala. Es ist eine gute Idee gewesen, einmal etwas Neues zu erkunden. Nicht immer die gleichen Strecken zu gehen, auch einmal wegzufahren. Wiener Neustadt und Pottendorf liegen nur ein paar Kilometer auseinander, also für einen Ausflug immer gut. Außerdem möchte Simone bald heiraten und sucht eifrig nach Locations dafür. Und der Park wäre doch was! Er gehört zu einem romantischen, leider verfallenen Wasserschloss mit einer intakten Kapelle, die für Hochzeiten zur Verfügung steht. Wirklich. Einen schöneren Ort kann sich Simone nicht vorstellen. Ja, sie möchte Markus Heindl heiraten. Irgendwann im Herbst. Wieso? Weil es ihre Lieblingsjahreszeit ist und Markus ihr Traumpartner.

    Simone schlendert gedankenverloren zurück zu ihrem Auto. Sie hat sich alles angesehen und ist fasziniert von der Schönheit des verwilderten Parks mit seinen Gewässern und dem charmanten baufälligen Wasserschloss. Sie wird Markus den Vorschlag machen, hier zu heiraten. Keine Ahnung, was ihr Verlobter davon halten wird …

    »Was hast du da im Maul?«, fragt Simone ihre Hündin verwirrt, als ihr Blick auf das Tier fällt. Schon hat Rala den Gegenstand fallen gelassen und bellt sie an, als wollte sie sagen: »Los spielen wir! Wirf es!« Simone sieht sich das blasse längliche Ding genauer an, Sekunden später taumelt sie zurück und hält sich die Hand vor den Mund. Rala möchte abermals den Gegenstand ins Maul nehmen und damit spielen, aber Simone schreit ihre Hündin an. »Nein, Pfui, Rala! Lass den Finger liegen!«

    Was soll die junge Frau jetzt machen? Zunächst hängt sie wieder ihre Hündin an die Leine, ohne auf Ralas Fund zu sehen. Wenn ihre Schoßhündin noch einmal den Finger ins Maul nimmt, würde sie sie nicht mehr bei sich im Bett schlafen lassen! Simone sieht sich um. Eiskalte Angst lässt sie erschaudern. Wo ist die Person, der der Finger fehlt? Wo jene, die ihn abgetrennt hat? Da sind zu viele Bäume! Überall kann sich jemand versteckt halten. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, ruhig bleiben und nachdenken! Simone atmet einige Male tief durch, um sich zu beruhigen, aber es funktioniert nicht! Sie zieht ihre Hündin zu einer naheliegenden Parkbank und setzt sich. Ihr ist schwindelig und schlecht. Auch wenn sie bereits mit einigen Kriminalfällen zu tun hatte, ist es trotzdem immer wieder entsetzlich mit Leichen oder in diesem Fall mit Leichenteilen zu tun zu haben.

    Was Simone von Beruf ist? Nein, sie arbeitet nicht bei der Polizei, sie ist kaufmännische Angestellte in einer Buchhandlung in Wiener Neustadt. Aber sie ist auch eine Hobbydetektivin. Unfreiwillig, wohlgemerkt. Einmal ging es um den sagenumwobenen Corvinusbecher, einem wertvollen Prunkbecher von Wiener Neustadt. Ein anderes Mal um ein Gemälde von Egon Schiele. Bei Simones letztem Fall hat sie sich in eine Geschichte rund um einen Kunstraub aus der Mayersammlung des Stifts Admont verstrickt. Ein Irrsinn. Fast hätte sie ihre Neugierde mit ihrem Leben bezahlt! Leichen pflastern den Weg der jungen Frau, im wahrsten Sinne des Wortes. Und jetzt hat sie mit einem abgetrennten Finger zu tun! Wieso nur? Sie wollte doch nur spazieren gehen!

    Simone versucht, einen klaren Gedanken zu fassen. Überlegt, was sie machen soll. Nachhause fahren, und zwar schnell, meldet sich eine innere Stimme zu Wort. Und der Finger? Da lassen und vergessen! Er wird verrotten. Oder von einem Tier gefressen. Oder von anderen Spaziergängern gefunden. Nicht ihre Sache. Simones Blick wandert zu Rala, die sich soeben die Pfote leckt. Ekelhaft, ein Finger im Maul ihrer kleinen Schmusehündin. Eine Welle von Übelkeit überrollt sie noch einmal. Sie atmet durch und sieht in den Himmel. Allmählich wird ihr kalt. Es ist April und die Sonne ist hinter dicken grauen schweren Wolken verschwunden. Die junge Frau steht auf. Sie möchte gehen und vergessen. Aber es handelt sich hier mit Sicherheit um ein Verbrechen. Oder? Sollte sie nicht die Polizei über ihren Fund informieren? Und hier warten? Nein, dazu hat Simone im Augenblick keine Lust. Plötzlich hat sie eine Idee, das könnte die Lösung für ihr Debakel sein! Sie nimmt eine der Plastiktüten für den Hundekot aus ihrer Jackentasche, sucht nochmals die Stelle, an der der Finger liegt und packt ihn angeekelt ein. Rala sieht ihr verwundert zu. Was macht ihr Frauchen da? Ihr Spielzeug wegpacken?

    Simone macht sich rasch auf den Heimweg. Sie hofft, dass sie den richtigen Pfad aus dem Park findet und zum Parkplatz gelangt. Der Schlosspark ist groß und Simone fehlt manchmal schlichtweg die Orientierung. Bäume, Wege, Wiesen …

    Schlosspark Pottendorf

    Niederösterreich

    zuvor

    Cho Jae-Sung ist höchstnervös. Wo ist die Großmutter seiner Freundin? Wohin ist sie gegangen? Er eilt die Allee entlang, ohne sie zu finden. Er ruft nach ihr, aber keine Antwort. Wie kann diese alte Frau so schnell sein? Misook hat Demenz und neigt dazu, einfach wegzugehen.

    Er hätte sie begleiten sollen, aber er hat darauf vergessen. Jae-Sung wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er hat versagt. Seine Freundin wird sich womöglich nach diesem Vorfall von ihm trennen. Aber er liebt sie, sie ist sein Ein und Alles.

    Er muss die Großmutter finden! Seit einer Stunde sucht er den Park ab, aber ohne Erfolg. Er bleibt bei dem verfallenen Wasserschloss stehen, geht über die Brücke bis zur Absperrung, sieht auf das spiegelglatte Wasser im Wassergraben. Nichts. Er schaut durch die Gitterstäbe, sucht mit den Augen jeden sichtbaren Zentimeter des verwucherten Innenhofs des Schlosses ab.

    Aber wie soll denn die alte Frau es geschafft haben, das eiserne Gitter auf der Brücke zu überwinden? Gar nicht! Jae-Sung geht rund um das Schloss, suchend, schweigend, verzweifelt. Das Licht der untergehenden Sonne, die sich für einen Augenblick zwischen dunklen Regenwolken hervorgekämpft hat, verfärbt das alte ehemals gelb angestrichene Gemäuer in mildes Orange.

    Der junge Mann atmet durch, als sein Blick über die gemauerte Kapelle schweift. Ein schönes Bauwerk, renoviert. Das einzige Stück des Schlosses, das man betreten darf, aber nur bei Hochzeiten. Nein, Misook hätte den Wassergraben durchqueren müssen, um zur Kapelle zu gelangen. Ja, die Großmutter seiner Freundin ist Katholikin, aber wieso sollte sie das tun? Jae-Sung schüttelt den Kopf. Wohin jetzt? Abermals ruft er nach der Frau. Keine Antwort. Er wendet sich einem schmalen Pfad zu und setzt seine Suche fort.

    Hyeona, seine Freundin wird bald aus Wien heimkommen und feststellen, dass niemand zuhause ist.

    Hyeona ist vor einigen Jahren aus Seoul nach Österreich gekommen. Der Grund dafür war ein überraschendes Stipendium für ein Kunststudium. Misook, ihre geliebte Großmutter hat sie später zu sich nach Österreich geholt, um ihr ein angenehmes Leben zu bieten. Die beiden wohnen gemeinsam mit Hyeonas Lebensgefährten Cho Jae–Sung im kleinen Ort Pottendorf im südlichen Niederösterreich. Eine Gemeinde, die für seine Baumwollspinnerei bekannt ist, oder besser war. Das Gebäude steht noch, beherbergt jedoch mittlerweile das Gemeindeamt. Der Park mit dem Wasserschloss hingegen ist ein Juwel, auch wenn der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hat. Einer der beiden Türme ist verfallen, der andere wurde renoviert. Genauso wie die Schlosskapelle. Es steckt viel Arbeit dahinter und viel Geld …

    Misook geht gerne im Park spazieren, kennt ihn wie ihre Westentasche, aber leider ist sie vergesslich geworden. Bereits zweimal hat die Polizei sie aufgegriffen und die alte Frau wieder heimgebracht. Es ist rapide gegangen. Hyeona hat sich an Ärzte gewandt, diese haben ihr geraten, ihre Oma in eine Pflegeeinrichtung zu geben, aber wer soll die Betreuung bezahlen? Ihre Mutter? Nein, diese lebt in Südkorea und hat genügend Ausgaben. Hyeona würde niemals ihre Mutter um Hilfe bitten …

    Die junge Koreanerin arbeitet neben dem Studium als Kellnerin sowie als Aufsichtskraft eines renommierten Wiener Museums. Zudem wird sie auch von ihrem Freund finanziell unterstützt. Jae-Sung ist Vertreter einer großen koreanischen Firma. So geht sich sogar eine stundenweise Pflegekraft für ihre Großmutter aus. Das ist gut so.

    Einfamilienhaus Familie Winkler

    Bad Sauerbrunn, Burgenland

    gleicher Tag

    Simone steht gegen 21 Uhr vor dem Gartenzaun des schmucken Einfamilienhauses und läutet. Sie hat sich nicht vorangekündigt, was ihr reichlich unangenehm ist. Der Grund hierfür ist einfach, Simones Handy hat wieder einmal keinen Akku. Es ist ein älteres Gerät und die Batterie schon schwach.

    Simone hofft, dass Luise zuhause ist, ihre Freundin, genau für diese Art von Spezialfällen. Sie ist die jüngste Tochter von Peter und Elisabeth Winkler, einem Ärzteehepaar. Nicht ganz gewöhnlich, wie Simone vor einiger Zeit herausgefunden hat. Peter ist Gerichtsmediziner und Elisabeth praktische Ärztin. Luise selbst ist Medizinstudentin, weil sie einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten möchte. Aber egal, momentan braucht Simone eigentlich Luises Vater am dringendsten. Er weiß, was zu tun ist. Simone hält die dunkelgraue Plastiktüte weit von sich weg, während sie noch einmal die Glocke betätigt. Plötzlich surrt die Gartentüre und lässt Simone eintreten. Wurde auch Zeit! Es ist mittlerweile finster und kalt. Simone fröstelt, während sie zur Haustüre eilt. Rala ist auf ihrem Arm. Wo ist eigentlich Cody, der Bordercollie der Familie? Er bellt ja gar nicht.

    »Simone?«, fragt Luise überrascht. »Was führt dich um diese Zeit zu uns?«

    »Das da!« Sie hält die Plastiktüte Luise vors Gesicht.

    »Iiiiih! Hundescheiße? Bist du verrückt? Ist es von deinem Köter?«

    Luise macht eine abwehrende Geste und versperrt Simone die Türe. »Keinen Schritt weiter, du Irre!«, keift Luise. Sie schiebt sich eine dunkle Haarsträhne zurück hinter das Ohr und sieht Simone verärgert an. Rala knurrt.

    »Luise, in diesem Säckchen ist ein abgetrennter Finger«, seufzt Simone kraftlos.

    »Ein was? Sag das nochmal!«

    »Ein Finger, Luise. Bitte, lass mich rein.«

    Luise tritt sofort zur Seite und lässt Simone endlich ins Haus.

    »Ist dein Vater da?«

    »Meine Eltern müssen bald zurückkommen. Sie sind mit Cody spazieren. Du weißt schon, ihre Abendrunde. Heute sind sie etwas später unterwegs.«

    Ja, Simone weiß genau, welche Runde Luise meint. Hat sie sie doch dort im Wald im tiefsten Winter getroffen, als sie den alten Welsh Corgi Rüden rettete …

    Simone ist Luise in die Küche gefolgt. Rala ebenso. Noch immer trägt die junge Frau die Hundekottüte mit sich herum. »Luise, kann ich dir bitte das hier übergeben, ich möchte es endlich loswerden.«

    »Oh ja, das verstehe ich«, grinst Luise. »Es geht sicher jedem Hundebesitzer so.«

    Simone schüttelt den Kopf. »Es ist ein Finger«, erklärt sie ärgerlich.

    »Schon gut. Ich glaube dir.« Luise nimmt das Behältnis aus Simones eiskalten Fingern und bringt es weg. Sekunden später ist sie wieder da. »Du kannst dir jetzt mal die Hände waschen, die Jacke ausziehen und dich an den Kamin setzen. Ich habe vorhin eingeheizt.«

    »Danke«, meint Simone rasch, geht zurück in die Diele und hängt ihre Jacke auf. Die Schuhe hat sie zuvor schon abgestreift, dafür brauchte sie keine Hände. Danach eilt sie ins Badezimmer und anschließend zu Luise ins Kaminzimmer.

    »Willst du was zu trinken, zu essen, Simone?«, fragt Luise ihren Gast nach einer Weile.

    Simone schüttelt den Kopf.

    »Es ist dir schon wieder schlecht, nicht wahr?«, fragt ihre Freundin. »Du verträgst gar nichts.«

    Simone bleibt stumm. Sie wuselt nur durch ihre karottenroten langen dichten Haare, als würde ihr Kopf jucken.

    »Alles in Ordnung?«, fragt Luise verwundert nach.

    Simone nickt, sieht in die lodernden Flammen. Die Nächte sind noch ungewöhnlich kalt in diesem April. Hoffentlich wird der Mai freundlicher.

    »Gut, wenn du dann so weit bist, erzähl mir bitte, was passiert ist«, meint Luise. »Bitte beeile dich. Es ist schon spät. Ich möchte bald schlafen gehen.«

    »Du gehst doch sicher nicht vor 23 Uhr ins Bett.«

    »Normalerweise nicht, aber heute bin ich müde, also leg los.«

    »Ich war spazieren und …«

    »Hallo Simone!«, ertönt Elisabeths Stimme unvermittelt, sodass die Freundinnen erschrocken aufsehen. »Ich habe dein Auto vor der Tür gesehen. Welcher Notfall führt dich um diese Zeit zu uns?« Kaum hat Elisabeth die Worte ausgesprochen, stürmt Cody, der Bordercollie an ihr vorbei auf Simone zu. Er begrüßt sie so überschwänglich, dass Rala sich ein Knurren nicht verkneifen kann.

    »Cody!«, ruft Peter den Hund zurück. »Mal nicht so stürmisch, mein Freund.« Cody kehrt mit hängender Rute und angelegten Ohren zu seinem Herrchen zurück. Rala setzt sich demonstrativ auf Simones Schoß. Ihr Frauchen!

    »Schön, dass du uns mal besuchen kommst, aber es ist etwas spät«, erklärt Peter und reicht Simone die Hand. Elisabeth ebenso. »Also?«, fragt sie. »Was ist passiert?«

    Noch bevor Simone antworten kann, beginnt Luise mit einem Grinsen im Gesicht: »Simone hat euch etwas mitgebracht, eigentlich dir, Papa. Es ist draußen auf der Terrasse in einem Hundekotsackerl.«

    Peter und Elisabeth werfen sich einen verwirrten Blick zu.

    »Nicht von dem Behältnis abschrecken lassen, Simone wusste sich nicht anders zu helfen.«

    Simone wird allmählich heiß. Ihre Wangen beginnen zu glühen. Liegt es an der Wärme vom Kamin oder an ihrer momentanen Situation? War es die richtige Idee gewesen, den Finger herzubringen? Peter wird ihr sicher eine Predigt halten, dass sie zur Polizei hätte gehen müssen.

    »Also ich verstehe gar nichts mehr«, schnaubt Elisabeth.

    »Ich habe einen Finger gefunden«, erklärt Simone endlich.

    »Tatsächlich?« Peter ist nicht überrascht. Simone ist prädestiniert dafür.

    Simone nickt.

    »Und wo?«

    »Im Pottendorfer Schlosspark.«

    »Pottendorf hat ein Schloss?«, überlegt Luise. »Wo ist überhaupt Pottendorf?«

    »Du musst bei der großen Kreuzung in Ebenfurth links abbiegen und über eine Brücke fahren«, erklärt ihre Freundin.

    »Ebenfurth?«, fragt Luise verwirrt.

    »Ja, der Ort, der nach Eggendorf folgt.«

    »Ach so.«

    »Das Wasserschloss ist verborgen in einem teils verwilderten Schlosspark.«

    »Und dort hast du den Finger gefunden?« Elisabeth sieht Simone verwundert an. »Einfach so?«

    »Es war eigentlich Rala. Ich habe sie frei laufen lassen und sie ist auf einer Wiese mit einem abgetrennten Finger zu mir zurückgekehrt und hat ihn vor mich hingelegt.«

    »Braver Hund«, meint Peter nachdenklich. »Dann ist er hoffentlich nicht zerkaut oder so.«

    Simone wird wieder übel.

    »Nein, glaube ich nicht«, murmelt sie. Die Vorstellung ist ja grauenhaft.

    »Rala? Du machst Witze, Papa. Ich glaube nicht, dass sie so eine starke Beißkraft hat.«

    »Unterschätze die Kleinen nicht«, erklärt Peter. »Hast du die Polizei geholt, Simone?«

    Simone ist tiefrosa im Gesicht, sie schüttelt den Kopf.

    »Also nicht«, überlegt Peter. »Hm. Und du willst, dass ich alles übernehme.«

    Simone nickt.

    »Ja, das wird super, endlich mal wieder Abwechslung«, freut sich Luise überschwänglich. »Wir fahren nach Pottendorf und suchen die zum Finger dazugehörige Person.«

    »Ohne Polizei?« Elisabeth ist nicht erfreut. »Das kann deinen Vater den Job kosten.«

    »Ich werde mir mal den Finger ansehen, dann werde ich entscheiden, wie es weiter geht«, stellt Peter sachlich fest. Er spürt ein Interesse an dem Fall. In letzter Zeit wurde er zu keinem kniffligen Verbrechen geholt und allmählich fühlt er sich unterfordert. »Luise, wo ist er noch mal?«

    »Auf der Terrasse. Kühl gelagert. In so einer grauen Plastiktüte.«

    »Das dir immer diese Dinge passieren müssen«, seufzt Elisabeth. Sie hat sich niedergesetzt und streckt die Füße in die behagliche Wärme des Raumes. »Was hat dich zu diesem Park geführt? Wieso warst du dort? Ich meine, in Wiener Neustadt und nächster Umgebung gibt es genügend Grün, findest du nicht auch?«

    »Das möchte ich jetzt aber auch wissen«, stellt Luise neugierig fest. »Du gehst doch immer im Akademiepark spazieren, oder?«

    »Ich habe von einer Kundin erfahren, dass im Pottendorfer Schlosspark geheiratet werden kann.«

    »Oh, die Hochzeit. Natürlich. Wann ist es denn so weit?« Elisabeth schenkt Simone ein Lächeln.

    »Im Herbst. Aber der Schlosspark kommt für mich nicht mehr in Frage.«

    »Wegen des Fingers«, murmelt Luise. »Aber das ist doch kein Grund.«

    »Wer weiß, was dahinter steckt«, meldet sich ihre Mutter erneut zu Wort.

    Luise zuckt mit den Schultern. »Bis zum Herbst ist noch viel Zeit.«

    »Hat dein Vater die Möglichkeit, sich den Finger hier im Haus anzusehen?«

    »Denke schon«, erwidert Luise.

    »Für die erste Analyse wird es reichen«, meint Elisabeth. »Er ist in meiner Ordination.«

    »Ach so«, meint Simone. Langsam entspannt sie sich. Sie streicht gedankenverloren Rala übers weiche Fell. Eigentlich sollte sie sich jetzt auf den Heimweg machen. Sie sieht auf die Uhr. Es ist spät. Markus hat noch Nachtdienst im Krankenhaus. Er kommt erst morgen heim.

    »Ich werde mich auf den Heimweg machen«, gähnt Simone.

    »Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden!« Luise sieht ihre Freundin verärgert an. »Wir stehen am Anfang eines neuen Falls und Papa wird uns sicher bald Einzelheiten verraten können. Außerdem wäre es unfair, einfach zu gehen und uns mit deinem Fundstück alleine zu lassen.«

    »Okay«, seufzt Simone.

    Wenige Augenblicke später kommt Peter ins Kaminzimmer und fordert alle auf, ihm in Elisabeths Ordination zu folgen. Luise kann man die Aufregung ansehen, Simone eher den Ekel.

    »Du hast Neuigkeiten, Papa?«, fragt Luise erfreut.

    »Ja«, erwidert Peter. »Simone, bringst du bitte Rala wieder zurück zu Cody?«

    Simone nickt. Tatsächlich: Rala steht hinter ihr und sieht sie mit ihren braunen großen Hundeaugen an. Ja, die kleine schwarze Hündin hat die Eigenheit, ihrem Frauchen auf Schritt und Tritt zu folgen. Egal wohin diese möchte. Simone nimmt Rala auf den Arm und trägt sie zurück zu Cody ins Kaminzimmer. Sie schließt die Türe und eilt zu den anderen in die Arztpraxis. Sie bleibt hinten, möchte keinen einzigen Blick mehr auf das Corpus Delicti werfen.

    »Also, der Finger gehört zu einer älteren Person, ich schätze mal zwischen siebzig und achtzig Jahre. Ich vermute, dass es sich um eine Frau handelt. Sie war bereits tot, als ihr der Finger abgetrennt wurde. Ach ja und es ist ein Ringfinger.«

    »Wie kommst du darauf, dass es sich um eine Frau gehandelt haben muss?«

    »Die Haut. Gepflegt, aber alt. Irren kann ich mich natürlich schon, ist aber eher unwahrscheinlich.«

    Simone bleibt stumm, blickt zu Boden und hört zu.

    »Also gibt es im Park irgendwo eine Leiche?«, schlussfolgert Luise.

    »Womöglich. Oder sonst wo in Pottendorf und Umgebung.«

    »Ist von einem Tötungsdelikt auszugehen?«

    »Wahrscheinlich. Ich weiß auch, dass diese ältere Dame einen Ring getragen hat, und zwar ziemlich lange.«

    »Heißt das, ihr wurde vielleicht der Finger abgetrennt, um an den Ring zu kommen?«

    »Möglich wäre es. Aber das sind alles meine ersten Erkenntnisse. Jetzt werde ich mal die zuständigen Behörden informieren.«

    »Ach komm«, seufzt Luise. »Gib Simone und mir noch einen Tag Zeit, etwas herauszufinden.«

    »Kommt

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