Deutschland vor der Nacht: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933
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Über dieses E-Book
Hitler wird zum Reichskanzler ernannt.
In Breslau, der Hauptstadt Schlesiens, lauscht das jüdische Mädchen Margot der Rede Hitlers im Radio, die vom tosenden Jubel der Massen begleitet wird. SA-Kolonnen marschieren mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor.
Wie die große Mehrheit der Juden in Deutschland können sich Margot und ihre Eltern nicht die kommende Katastrophe vorstellen. Ihre friedliche Kindheit endet abrupt und sie wird gezwungen, vorzeitig erwachsen zu werden.
Die Verfolgung der Juden durch immer neue Verordnungen zwingen sie, ihre geliebte Heimat Deutschland zu verlassen. Die Geschichte von Margot Littauer, Jahrgang 1918, ist eine wahre Geschichte, basierend auf ihren Tagebüchern. Ihre objektive und wenig emotionale Schreibweise ermöglicht es dem Leser, die Änderungen im Alltag zu begreifen, sowie die Zwänge, unter denen die Menschen - Juden und Nichtjuden - leben mussten, besser zu begreifen. Margots Vater starb 1934 und sie musste ihre kranke Mutter pflegen.
Während ihrer Arbeit bei dem jüdischen Arzt Dr. L. erlebt sie tragikomische Situationen, die Grenzen und Glauben sprengen; Situationen, bei denen das junge Mädchen Margot auch nichtjüdischen Menschen in Not hilft.
Die ständige Gefahr, die über ihr schwebt, zwingt sie, alle ihre Kräfte und ihren Einfallsreichtum zu bündeln, um einige Monate vor Kriegsbeginn die Flucht aus der Hölle zu ergreifen. Das vorliegende Buch wurde bereits 1940 geschrieben und im Archiv der Harvard Universität 2011 von Margots Sohn Uri Bruck zufällig entdeckt. Das Buch wurde von ihm ins Hebräische übersetzt und mit einem Vor- und Nachwort versehen. Es erschien 2013 in Israel.
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Buchvorschau
Deutschland vor der Nacht - Margot Littauer (Bruck)
Vorwort
Margot Littauer (Bruck) geb. Ebstein ist 1918 in Posen geboren. Bis 1931 lebte sie in Königsberg, bevor ihre Familie nach Breslau zog, wo sie bis zu ihrer Auswanderung 1939 lebte. Die erzählte Geschichte stammt aus dem Jahr 1940 und wurde anläßlich eines Wettbewerbs der Harvard University zum Thema: „Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933" verfasst. Es ist die wahre Geschichte, basierend auf Tagebüchern, die sie seit ihrer Kindheit schrieb.
Die Autorin beschreibt ihre unbeschwerte Kindheit bis zu den schicksalhaften Änderungen, die ihr ihre Kindheit raubten und sie schließlich zwangen, das Land, das sie so sehr liebte, zu verlassen.
Sie beschreibt diese Zeit so objektiv wie es nur geht und ermöglicht es dem Leser die Zwänge zu verstehen, unter denen die Menschen damals – Juden und Nichtjuden – lebten. Die große Gefahr, in der sich die Autorin befand und das Leben mit der ständigen Angst und Sorge, verlangten von ihr alle Kräfte und Einfallsreichtum ab um aus der Hölle, in der sie lebte, zu entkommen.
In dem Alter, in dem junge Menschen heute das Internet genießen, um den nächsten Urlaub zu planen, musste sie die furchterregenden Büros der Gestapo aufsuchen und für ihre schwerkranke Mutter sorgen. Gleichzeitig bestand sie mit großem Erfolg ihr Abitur, arbeitete in der Arztpraxis, erledigte den Haushalt und lernte die Malerei.
Die Stadt Breslau, in der der Großteil der Geschichte sich abgespielt hatte, war eine deutsche Stadt mit spannender Geschichte und viel Kultur. Sie wurde erst in den letzten vier Kriegsmonaten fast gänzlich zerstört, als sie von den Nazis zur Festung erklärt wurde, die die Russen stoppen sollte.
Zum besonderen Dank bin ich der Harvard Universität verpflichtet, die den Wettbewerb zu diesem Thema ausrief.
Ich möchte mich ebenso bei meinen Töchtern Rebecca und
Jasmin und bei meinem Sohn Doron für ihre Hilfe bedanken.
Januar 2017
Uri Bruck
Kindheit in Königsberg
Zur Zeit der Machtübernahme der nationalsozialistischen Regierung war ich ein Schulmädchen von fünfzehn Jahren. Mein Leben in Deutschland vor diesem Zeitpunkt spielte sich also nur in dem kleinen Rahmen des Elternhauses und der Schule ab. Von der Politik merkte ich zum ersten Mal etwas, als ich etwa sechs Jahre alt war. In Königsberg in Ostreußen, wohin meine Eltern geflüchtet waren, als meine Geburtsstadt Posen polnisch wurde, tauchten damals schon, also im Jahre 1924, die ersten SA Leute auf der Straße auf. Mir flößten sie wegen ihres strengen Aussehens und der ungewohnten Uniform einen großen Schreck ein, so dass ich, wenn ich sie von weitem sah, auf die andere Straßenseite lief. Merkwürdigerweise hatten auch meine christlichen Freundinnen vor ihnen Angst.
Unserem Hause gegenüber befand sich das Gebäude der Königlichen Staatsbibliothek. An der Bezeichnung „Königlich hatte die Weimarer Republik in ihrer großen Duldsamkeit keinen Anstoß genommen. Des Öfteren kam es vor, dass in diesem Jahre schon die Worte „Heil Hitler
mit Kreide in Riesenbuchstaben an den Zaun des Gebäudes gemalt waren. Meine Eltern erschraken dann immer sehr, aber aus der Art, in der sie sich darüber unterhielten, sah ich, dass sie sich zwar darüber sehr ärgerten, Hitler aber für etwas hielten, was ihrem Leben in keiner Weise zu nahe kommen konnte. Immerhin wurde mir jedoch befohlen, den Kastellan der Bibliothek, dessen Tochter Dora meine Spielgefährtin war, möglichst aus dem Wege zu gehen. Man hielt ihn nämlich für durchaus fähig, die verpönten zwei Worte an den Zaun geschrieben zu haben, obgleich er von der Republik bezahlt wurde. So wirkten sich in dem kleinen Kreis meiner Kinderzeit schon Hitler und die durch ihn drohende Gefahr aus. Vom Münchner Putsch hörte ich damals gar nichts, erst später in der Schule,- dann aber umso mehr.
In der Zeit bis 1933 wurde ich von meinen Eltern oft zu Wahlen mitgenommen, da man mich als Kind nicht allein zu Hause lassen wollte. In den kleinen, abgeschlossenen Wahlzellen, in die ich immer mit hinein kroch,- vor den vielen Männern draußen hatte ich nämlich Angst -, konnte ich mich überzeugen, dass meine Mutter deutschdemokratisch und mein Vater sozialdemokratisch wählten. Der Unterschied zwischen den beiden Parteien bekümmerte mich damals nicht, da ich ganz andere Interessen hatte und mir erst einmal über für mich wichtigere Fragen Aufklärung beschaffen wollte, wie über die Frage meiner Entstehung, der Entstehung der Welt und der Fortentwicklung des Menschengeschlechts.
In meiner Schule, einem Realgymnasium für Mädchen, fühlte ich mich sehr wohl. Lehrer und Mitschülerinnen hatten mich sehr gern. Die Lehrer, weil ich gut lernte, die Mädels, weil ich immer lustig und vergnügt war. Von 35 Schülerinnen waren 7 jüdisch. Von Rassefragen, irgendwelchen Unterscheidungen oder Zurücksetzungen merkten wir nichts. Wir wurden alle gleichmäßig deutsch erzogen. Wenn ich einkaufen geschickt wurde, fragte ich selbstverständlich immer nach, ob ich auch deutsche Eier und deutsche Butter bekommen könnte.
Ostern 1930 wurde ich nach Quarta versetzt, -so heißt die Gymnasialklasse in Deutschland; in die man mit etwa 12 Jahren kommt-, und damit begann mein eigentliches Leben. Freilich hatte es zunächst mit Nationalsozialismus oder Politik überhaupt auch nicht das Geringste zu tun. Für mich war das Leitmotiv: Ich muss sehen, dass etwas aus mir wird, dass ich die Hoffnungen, die meine Eltern auf mich setzten, erfülle, dass ich gute Schulzeugnisse bekomme, damit ich später in die Universität das Ideal meiner Kindheit, Einzug halten kann. Ich war ein zufriedenes Kind, froh, wenn ich mein Buch (etwa: Fridtjof Nansen: „In Nacht und Eis" oder die griechischen Sagen nach Gustav Schwab) ungestört lesen konnte.
Besonders die Sagen liebte ich sehr und hatte sie soweit in mich aufgenommen, dass ich voller Stolz die schönen, schweren, langen Namen der Helden und Götter bei allen sich bietenden Gelegenheiten herzählen konnte.
In dieser Quarta nun gelangte ich zu allem, was mir damals begehrenswert erschien: Zu einer angesehenen Stellung in der Klasse und zu einer guten Freundin. Dass diese Freundin nicht nur arisch, sondern sogar adlig war, war für uns damals ganz belanglos. Außerdem hegte ich eine besondere Bewunderung für meinen damaligen Geschichtslehrer Dr. F., der meiner Kenntnis der griechischen Sagen noch weitere grundlegende Kenntnisse der griechischen und römischen Geschichte hinzufügte. Das waren die Zentralpunkte meines damaligen einfachen Schülerlebens, um die sich noch einige Bekannte meiner Eltern gruppierten.
Am wichtigsten war für mich meine Freundin Gerda v.Z. Sie war ganz einfach, geradezu puritanisch einfach von ihrem Vater, der Witwer war, erzogen worden, und sie schätzte mich wegen einer gewissen Großzügigkeit, die ich damals zeigte, d.h. in Spenden für alle möglichen Zwecke, soweit es mein kleines Taschengeld damals erlaubte. Im Übrigen war ich vor allem von dem Gedanken beherrscht, später einmal Philologie zu studieren und mich zu diesem Zweck frühzeitig vorzubereiten.