KIRSCHMICHELBLUT: Bayernkrimi
Von Kate Delore
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Über dieses E-Book
Währenddessen kämpft Rezeptionistin Lexi Bäumel mit einem Wasserschaden im Wellnesshotel – und das wenige Stunden vor der Sommerfest-Eröffnung. Dabei sticht ihr ein seltsamer Hotellieferant ins Auge, der Päckchen an die Gäste verteilt. Als ein weiterer Toter auftaucht, ahnt Lexi, dass die Morde in Verbindung stehen. Sie ermittelt heimlich und gerät bald ins Visier eines Attentäters. Immer dicht auf der Spur des Blutmörders, stürzt Lexi in ihr bisher gefährlichstes Abenteuer …
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Buchvorschau
KIRSCHMICHELBLUT - Kate Delore
Über den Ort
Herzlich Willkommen in Dacklrain. Bei uns muss man gewesen sein.
So euphorisch begrüßte das am Waldrand aufgestellte, typisch gelbe Ortsschild Durchreisende und Ankömmlinge. Auf den zweiten Blick wirkte es eher abschreckend. Ein schamloser Dreckspatz hatte es mit einem unübersehbaren Fuck you beschmiert, aber Dacklrain scherte das nicht. Im Gegenteil. Das im Jahr 971 gegründete Krautdorf strotzte vor Lebendigkeit und Weltoffenheit und hob sich charakteristisch vom Ortsbild der umliegenden Dörfer ab, was nicht nur am Höhenunterschied lag. Der Hügel befand sich neunhundert Meter über dem Meeresspiegel und sah auf die anderen, die tiefergelegenen Dörfer hinab.
Fotografen und Filmteams nutzten die bunt angestrichenen Häuser und den buckligen Ortskern regelmäßig als Kulisse. Ein malerisches Fleckchen, sechzig Kilometer südlich von München gelegen, das sich über jeden Besucher freute und hauptsächlich vom Geldbeutel der Touristen lebte.
Trotzdem war das 5000-Seelen-Dorf nicht jedermanns Sache. Schon allein deshalb, weil der verträumte Ort als bayerisches Nobel-Kaff bekannt war, in dem sich auch die Gspickten und die regionale Prominenz gerne sehen- und niederließen und sich im Ruhm der Ortschaft aalten. So mancher Nachbarort schimpfte sogar über das reiche Dörflein, weil die Besucher bei ihnen selbst ausblieben. Da Dacklrain nur zwei Zufahrtswege durch einen Tunnel besaß, waren auch solche gezwungen, an dem touristischen Ort vorbeizufahren, die ihn mieden. Mondän ging es auch beim beliebten Wellnesshof Feixl zu – na ja, mehr oder weniger. Zumindest machte es den Anschein. Der landesweit bekannte »bayerische Palast« trug einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Urlauber in den Sommermonaten von überall her pilgerten. Nicht selten kamen sie sogar mit Reisebussen vor dem beliebten Hotel an und spülten richtig viel Geld in die Kassen. Das charmant verzierte Bauernhaus stand von weither sichtbar auf einer begrünten Anhöhe und lockte Gäste und Freunde aus der Ferne an. Und nicht nur die … denn diesmal kam der Monsterschrecken über das Hotel.
»Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, Horatio,
von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen lässt.«
William Shakespeare
Kapitel 1
Menschensinn und Juniwind ändern sich oft sehr geschwind. (Bauernregel)
Die Strahlen der Morgensonne schnitten sich stählern blitzend durch die Zinken der Krautharke. Immer wieder wirbelte Staub durch die Flur. Das Licht blendete dabei so stark, dass man sich auch mitten in der Wüste hätte wähnen können. Schon in der Früh brannte die Junisonne mit einer Intensität herab, als würde sie mit ihrem nächsten Strahl die Erde verbrennen. Die heiße Sofia war schuld daran – eine seit drei Wochen kursierende Hitzewelle, importiert aus der Sahara. Der Himmel sagte nichts Gutes voraus, zumindest wenn man auf Regen hoffte. Ein Himmel so azurblau wie in der Algarve, grelles Kopfschmerz-Sonnenlicht und weit und breit kein Schafswölkchen. Das reinste Bilderbuchwetter für Dauersonnenhungrige und Hitzebeständige. Und doch, wenn man genauer hinspürte, konnte man die drückende Luft fühlen. Der Vorbote, dass sich schon bald etwas Entladendes ankündigen würde. Nein, musste!
»So a Affenhitz, so a damische!« Anni Feixl stand im überschaubaren Dacklrainer Moos, das durch ein angrenzendes Waldstück versteckt hinter dem Wellnesshof lag. Sie trank einen Schluck gelber Orangenlimonade aus einer Glasflasche. Mehrere Mückenschwärme sausten wirr in der Luft umher und umlagerten ihren Kopf, so angriffslustig als würden sie vom klebrigen Saft mittrinken wollen. Oder an ihrem eigenen Blutnektar saugen. Vermutlich gipfelte das aggressive Verhalten der Tierchen just in seinen Höhepunkt.
»Hauts ab, ihr damischen Mistviecher!« Anni schlug mit den Armen um sich und verbuddelte den Flaschenboden in der staubtrockenen Erde. Schließlich flog die Brut des Schwarms über sie hinweg, zu einem anderen Blutopfer: zum süßen Hans. Der kam verschwitzt in dreckig-weißem Tanktop, beigefarbenem Cowboy-Hut und marineblauer Bermudashorts angelaufen.
Hätten noch die Flip-Flops gefehlt und er wäre locker als Strandtourist auf Hawaii durchgegangen. Die heiße Erde war der Sand, das Moos der Strand und der ruhige Bachlauf auf der anderen Seite des Feldes war das sanft wiegende Meer. Von seiner Arbeitseinstellung allerdings war er eher ein Rucksack-Touri-Tramper auf der Suche nach dem Bermudadreieck: Schlupflöcher immer willkommen.
»Gib mir auch was zum Saufen, Mama«, beschwerte sich Hans und lief mit großen Schritten durch die Feldspuren zu ihr hinüber.
»Da, brauchst dir ja bloß nehmen«, sagte sie. »Oder soll ich’s dir als 23-jährigem verwöhnten Hofmonarchen vielleicht noch einflößen?«
»Warum werd ich eigentlich dazu verdonnert, dir bei der Feldarbeit zu helfen? Und des auch noch Samstagfrüh. Eine Strafe für die Freitagstrinker.« Er nahm die Flasche vom Boden und tat ein paar kräftige Schlucke. »Davon war nie die Rede. Nur Hofarbeit hat der Papa ursprünglich gesagt.«
»Mei Hans, sei doch nicht so gstinkert. Du musst uns auch mal aushelfen und was tun für dein Geld.«
»Und die Leute vom Bauhof? Den ganzen Tag lungerns am Schreibtisch rum, fressens und richten nix aus. Arbeitszeiten von 9 bis 10.«
»Ja, mei. Andere Leut, andere Leben«, sagte sie zu Hans. »Dann musst dir eine andere Arbeit suchen, wo du nur daliegst, maximal zwei Finger rührst und trotzdem dein Geld verdienst – so eine Arbeit find einmal.«
»Hmm. Gar nicht so blöd, Mutter.«
Anni Feixl schüttelte den Kopf über das Verhalten ihres Sohnes. Sie wischte sich den Schweiß unter ihrem weinroten Kopftuch ab und umkreiste mit der Harke die zarten Pflänzchen. Die Erde rings um sie war so ausgedörrt, dass der Boden an einigen Stellen aufgesprungen und rissig war. Nur die Pflänzchen hielten den Temperaturen stand, auch gänzlich ohne Wasser. Kraut ist wie Unkraut. Das war das Gute daran, dass Kraut selbst bei Hitze nicht bewässert werden musste.
Im Moos wurde die Feldstille just unterbrochen. Von Weitem war ein knatterndes Motorengeräusch zu hören. Ein himmelblauer Wagen tauchte an der hinteren Wegseite auf und preschte den Feldweg entlang, als sei im Nachbarort eine Seuche ausgebrochen. An der Seitenfront zierte eine weiße Aufschrift Heizung & Sanitär Bichl den Wagen inklusive eines an der Beifahrerseite aufgeklebten Fotos eines Klos mit aufgeklapptem Deckel. Von außen wirkte es so, als würde der Fahrer mit heruntergezogener Hose auf einer Toilette sitzen. Gleichzeitig beugte sich der Fahrer mit dem Kopf nach vorne.
»So was Deppertes.« Hans krümmte sich vor Lachen. »Dass er sich nicht schämt mit dem Aufzug in der Gegend rumzufahren. So ein Kasperl, so ein depperter.«
»Ja, varreck. Des is ja der Heizungs-Fritz Junior«, sagte Anni. »He, du gscherter Hundling!« Durch die rasante Fahrt wurde der Dreck noch mehr aufgewirbelt und staubte ihr Antlitz ein. »Wir sind hier nicht auf der Rennstrecke. Ein bisserl langsamer gefälligst! Ge?« Sie stapfte mit der Harke an den Rand des Feldwegs vor und schimpfte mit erhobenem Zeigefinger dem Fahrzeug hinterher.
»Was hat der denn hier verloren? Den hab ich ja scho ein halbes Jahr nimmer gesehen«, fragte sie ihren Sohn. »Und seit wann ist der Dorfschleicher zu einer Rennsemmel mutiert?«, schrie sie weiter. »Der spinnt doch!«
»Mei, irgendwann kapierens halt die Leut, dass man als Dritschler nicht weit kommt.«
Neben landwirtschaftlichen Maschinen benutzten auch manche Autos den Feldweg – als einzige Abkürzung zur nächsten Bundesstraße und um den viel befahrenen Tunnel von und zu Dacklrain zu umgehen. Auch manche Hotelgäste hatten von dem verkehrsmäßigen Geheimtipp Wind bekommen und fuhren so zum Wellnesshof. Aber seit wann nutzte der lahmarschige Heizungs-Fritz Junior die Strecke? Hatte ihm etwa sein Vater zu diesem Schleichweg geraten? Anni sah dem Kahn nach. Am anderen Ende des Feldwegs stoppte er plötzlich neben dem Bachlauf. Die Sonne reflektierte von Weitem auf dem Blau des stotternden Wagens.
»Des hast jetzt davon«, sagte Hans zu Anni.
»Der neugierige Hund wird doch keinen Ratsch anfangen wollen.«
»Weilst dem auch wie eine Blöde zuwinken musst, sonst hätte der uns doch gar nicht gesehen, so wie der durchgerauscht ist. Den hast du hergelockt mit deiner Winkerei.«
»Ach Schmarrn, hab nur gemeint, dass er langsamer fahren soll«, sagte Anni. »Da möchte ich den sehen, wie der schimpft, wenn ich ihn so bei der Arbeit einstaub!«
»Lass dir ja was einfallen, Mutter. Den kriegen wir doch sonst nimmer los bis wir verbrutzelt sind. Und selbst dann redet der Depp noch weiter.«
»Mei oh mei. Des hätte mir bei der Sauhitze gerade noch gefehlt. Uns von der Arbeit abhalten«, sagte Anni und starrte weiter auf den Wagen. Der Dieselmotor lief noch immer, mit bumpernden Tönen, als stünde er kurz vor dem Verrecken. Niemand stieg aus.
»Herrschaft, was ist denn jetzt? Entweder fährt er wieder oder er geht her zu uns. Der bringt mich ja ganz durcheinander.« Anni näherte sich dem Objekt auf wenige Meter und Hans kam ihr mit der Harke hinterher. Nur ein spanisches Gedudel drang laut aus dem Radio des Fahrzeugs. »Fritz? Was machst denn da, ha?«, schrie Anni, während sie auf den Wagen zulief. Seit wann hörte er so eine Musik?
9 Uhr, die News aus eurem spanischen Lieblingsradiosender mit den feinsten Songs: El Sugato.
Jetzt bewegte sich doch etwas. Die Fahrertür ging ruckartig auf.
»Du Fritz, wir haben überhaupt keine Zeit, ge! Nur dass du‘s gleich weißt«, sagte sie in Richtung der Fahrertür, noch bevor sie den Mann sehen konnte.
Ein Stöhnen drang heraus. Der Mann war aus dem Wagen gepurzelt und lag auf dem Kieselboden, mit dem Gesicht nach unten.
»Jessas, Maria und Josef!«, schrie Anni im nächsten Moment und sah nach unten. Der Mann rührte sich nicht. »Zefix! Fritz?«
»Schau her, auch ein Freitagstrinker«, sagte Hans und deutete einen Schwips an. »Aber der hat‘s durchgezogen, im Gegensatz zu mir. Versoffener Hund, elender.«
»Ge, red nicht.« Anni beugte sich zu ihm hinunter. »Fritz, is dir schlecht geworden?«
»Der soll nicht so viel saufen bei der Arbeit.« Hans piekte ihm mit der Harke in die Hüfte.
»He, was machst denn?«
»Ja, was wohl? Aufwecken von seinem Suff«, sagte er. »Oder willst ihn liegen lassen?«
»Ach na, du mit deinen Schnapsideen.« Anni scheuchte Hans mit einer energischen Handbewegung davon wie früher ihren wilden piekenden Gockel und drehte dann den Körper des Mannes um.
»Heeeeeeilige Maria!«
»Ouuuuuuuh.« Hans gab Geräusche von sich, ähnlich eines jaulenden Wolfs.
»Ja, um Gottes willen! Maria und Josef im Himmel!«
Das Gesicht des Mannes war blutüberströmt, die Haare teilweise verklebt, gemischt mit frischem Dreck vom Boden, ein Teil der Gesichtshaut fehlte.
»Ruf den Notarzt, Hans … hörst du nicht? Schnell!«
Hans zückte sein Handy und wählte eine Nummer.
Der Verletzte sah Anni an, hob den Kopf und packte sie mit letzter Kraft am Handgelenk.
»Eugenia«, nuschelte der Mann.
»Ha? Was?« Anni lauschte an seinen Lippen. »Fritz, red ein bisserl lauter. Ich versteh dich nicht.«
»Eu … genia.«
Dann ließ er von ihr ab. Seine Augen schlossen sich und der Hinterkopf schlug auf dem Boden auf.
Kapitel 2
Was dich am Anfang nicht erwischt, erwischt dich am Ende.
»Einmal Mord genügt – und jetzt hab ich schon drei in meiner Laufbahn erlebt, Herr Kommissar! Dreiii.« Anni Feixl beugte sich zu Nick hinab und hielt drei Finger vor seine Nase.
»Immerhin überlebt.« Er saß in der Hocke und begutachtete die Leiche. Der rechte Gesichtsteil war blutüberströmt samt Loch in der Haut und dadurch unkenntlich. »Außerdem wissen wir ja noch gar nicht, ob der Tote ermordet wurde.« Er sah in Annis geschocktes Gesicht. Nick wusste nur zu gut, wie sich die Bäuerin fühlen musste. Selbst er hatte nachts Probleme, die grausigen Fälle zu verdrängen. Mord ist zwar kein Virus, aber die Brutalität schleicht sich dennoch ins Gehirn und zerstört die Psyche.
»Wonach sieht‘s denn sonst aus?«, fragte Anni. »Ich sag Ihnen, da läuft ein Mörder mitten in Dacklrain herum. Bei uns … ein Blutmörder.«
»Blutmörder … jetzt ganz ruhig, Anni«, sagte Nick. »Vielleicht war es nur ein saudummer Unfall.«
»Na, also weißt es … ich leb nimmer lang. Bald hab ich auch einen Herzinfarkt. Alle bei mir in der Familie ham‘s den gehabt. Des is Tradition.« Anni Feixl hielt sich die Hand auf die Brust, so als könnte sie damit den Herzschlag verlangsamen.
»Ge, Mutter. Stell dich nicht so an«, sagte Hans. »Sieh‘s positiv, endlich ist wieder was los bei uns. Ein Blutmörder … uuuuuuaaaahhhh. Wo gibt’s denn schon mal einen Hautnah-Gratis-Blick auf eine Leiche?«