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Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen: Das fantastische Finale der Andoria Chroniken
Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen: Das fantastische Finale der Andoria Chroniken
Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen: Das fantastische Finale der Andoria Chroniken
eBook519 Seiten7 Stunden

Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen: Das fantastische Finale der Andoria Chroniken

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Über dieses E-Book

»Wenn Tote kämpfen und Lebende aufgeben,
erst dann ist diese Welt dem Untergang geweiht.«
Aus Andorias verborgenen Chroniken.
Unter Adas Herrschaft und neuen Bedrohungen ist Andorias Zukunft so ungewiss wie nie zuvor. Nia und ihre Verbündeten geben nicht auf, in diesem Kampf, dem sie schon so viel geopfert haben.
Doch wie sollen sie gegen einen Feind bestehen, der stärker zu sein scheint, als der Tod?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Mai 2024
ISBN9783989470095
Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen: Das fantastische Finale der Andoria Chroniken

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    Buchvorschau

    Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen - Franziska Kamberger

    Stürmische See mit Schiff, im Vordergrund schwarzer Drache. Titel: Die Andoria Chroniken - Im Feuer des Drachen

    Copyright 2024 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    Coverdesign: J. Kropmanns

    ISBN: 978-3-98947-009-5

    Alle Rechte vorbehalten

    Für Barbara, Regina, Cordula,

    Sonja und Sabine.

    Weil ihr die schweren Pflegetage

    erträglich gemacht habt.

    Inhalt

    1. Gideon

    2. Aiden

    3.Graham

    4. Gideon

    5. Malenia

    6. Graham

    7. Gideon

    8. Aiden

    9. Graham

    10. Malenia

    11. Gideon

    12. Malenia

    13. Graham

    14. Malenia

    15. Gideon

    16. Malenia

    17. Gideon

    18. Aiden

    19. Graham

    20. Malenia

    21. Gideon

    22. Graham

    23. Malenia

    24.Aiden

    25. Malenia

    26. Graham

    27. Aiden

    28. Malenia

    29. Aiden

    30. Malenia

    31. Graham

    32. Aiden

    33. Malenia

    34. Aiden

    35. Malenia

    36. Malenia

    37. Gideon

    38. Malenia

    39. Malenia

    40. Aiden

    41. Graham

    42. Malenia

    43. Malenia

    44. Aiden

    45. Malenia

    46. Graham

    47. Malenia

    48. Graham

    49. Aiden

    50. Malenia

    51. Gideon

    52. Aiden

    53. Graham

    54. Aus den Erinnerungen von jenen, die am Tag der Hoffnung kämpften

    55. Malenia

    56.Aiden

    57. Aus den Erinnerungen von jenen, die am Tag der Hoffnung kämpften

    58. Malenia

    59. Aus den Erinnerungen von jenen, die am Tag der Hoffnung kämpften

    Epilog

    Danksagung

    Was bisher geschah ...

    Es ist faszinierend, wie schnell man vergessen wird, nur weil man stumm ist. Wie diese Stille es einem ermöglicht, alles zu beobachten, Gespräche zu belauschen und unentdeckte Schlüsse zu ziehen. Ich habe mich daran gewöhnt, habe es mir manches Mal zu Nutze gemacht. Dennoch wurde mein Wunsch, der Stille zu entfliehen und meinen Gedanken eine Stimme zu schenken, im Rahmen der letzten Ereignisse immer stärker. Auslöser dafür war Nia. Nia und ihre Gefährtin Shadow, die jetzt …

    Fangen wir weiter vorne an. Vieles habe ich erst im Nachhinein erfahren, anderes selbst beobachtet. Ich versuche, es für euch zusammenzufassen.

    Nia und Shadow gelang tatsächlich die Flucht in der Seelennacht. Sie mussten mich und die anderen Adler zurücklassen, aber Magie und einiger Rebellen sei Dank, wurden die Anderen gerettet. Unter anderem durch Elysa, das Mädchen, welches Nia einst aus ihrer Zelle befreit hat. Ich blieb vorerst in Adas Fängen zurück. Als Elysa und ihr Bruder Eli zu Hilfe kamen, hatte mich bereits einer von Adas Männern bewusstlos geschlagen. Ich erwachte irgendwann in einem dunklen Zimmer, was, wie ich erfuhr, in all den Jahren zuvor Adas Gefängnis gewesen war.

    Aiden hat sich wohl ziemlich dumm verhalten und sich wegen Nias Magie aufgeregt, aber am Ende haben sie sich wieder vertragen. So hat Shadow es mir später zumindest erzählt. Elysa brachte die Anderen in das Rebellenversteck unter Wasser. Eine unterirdische Höhle, ein glitzernder See. Das hätte ich gerne gesehen. Das Interessanteste war allerdings Béla. Brams Bruder.

    Wie sich herausstellte, hatte Bram allerdings nicht nur einen Bruder, sondern auch eine Schwester. Diese war keine geringere als Nias Mutter Rosa. Als würde das an schockierenden Wahrheiten nicht ausreichen, erfuhr Nia auch noch, dass Bram von ihrer Geburt an geplant hatte, sie für seine Rebellion gegen König Robert zu benutzen. Alles, was er ihr einst beigebracht hatte, diente nur dazu, sie auf diese Aufgabe vorzubereiten. Verständlicherweise war Nia ziemlich außer sich. Trotzdem war sie bereit, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten, um gegen Ada vorzugehen. Vorher mussten die Rebellen ihr aber helfen, mich zu befreien. Ich weiß nicht, wie ich ihr je dafür danken kann. Sie hätte mich zurücklassen können, sie wusste ja nicht einmal, ob ich noch am Leben war. Einst hatten wir sie im Auftrag des Königs gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dennoch ging sie jetzt dieses Bündnis mit den Rebellen ein, um mich zu retten, ohne zu wissen, was sie das eines Tages kosten würde. Nia ist erstaunlich. Gütig. Und wenn ihr mich fragt, stehen wir Adler nach der Seelennacht alle in ihrer Schuld.

    Luan und Shadow wurden verletzt, während Nia und Aiden Roberts Tagebücher gesucht haben. Ach, Gideon, ihren Bruder, haben sie auch noch getroffen und erfahren, dass Esmera ebenfalls überlebt hat, aber sie konnten uns bei unserer Flucht nicht begleiten. Soviel ich weiß, haben sie aber einen neuen Freund und angeblich sogar einen Drachen gefunden.

    Ich war ziemlich geschwächt nach den Tagen in Gefangenschaft, aber die Flucht verlief wohl trotz der Vorkommnisse viel einfacher als gedacht. Die Anderen ahnten ja nicht, dass es dafür einen guten Grund gab, und ich konnte es ihnen nicht verraten. Ada hatte mich mit Blutmagie belegt, die mich dazu zwang, Nia zu attackieren. Ich verbrachte Stunde um Stunde in einem dichten Nebel, getrieben von einem Hunger, den ich mir nicht erklären konnte. Ich lauerte wie ein Tier. Irgendwo hinter der Magie, die sich wie ein dicker und klebriger Schleier anfühlte, war noch mein wahres Ich. Aber so sehr ich es auch versuchte, ich kam nicht gegen die Blutmagie an. So versuchte ich in einer Nacht tatsächlich, Nia zu töten. Zum Glück ist es mir nicht gelungen, aber Aiden wurde schwer verletzt und wäre fast gestorben. Nia war natürlich am Boden zerstört und ist nicht von seiner Seite gewichen, während eine Rebellin die Blutmagie aus meinem Körper brannte und ich langsam zu mir zurückfand. Shadow war bei mir, als Scham und Reue mich zu erdrücken drohten. In ihrer Gegenwart fand ich endlich meine Stimme wieder. Ihr hättet mal die verdutzten Gesichter der Anderen sehen müssen. Allerdings kam es durch meinen Angriff auf Aiden zu Unstimmigkeiten zwischen Nia, den Adlern und den Rebellen. Ich glaube, Béla könnte eines Tages zum Problem für uns werden. Zumindest habe ich ein ganz schlechtes Gefühl in seiner Gegenwart, und das hat nichts damit zu tun, dass er mir wegen der Blutmagie nicht traut.

    Duncan hat in den Tagebüchern des Königs gelesen und herausgefunden, dass dieser ein Seher war. Der einstige König von Andoria, der Begründer der Reinheitsgesetze - ein Magischer? Ich glaube, die Anderen wissen noch nichts davon, aber Shadow hat es mir verraten. Sie erzählt gerne Geschichten, wenn mich die Albträume wachhalten. Deswegen weiß ich auch, was noch in diesen Tagebüchern stand. Als wir schon am Hafen waren, um ein Schiff in Richtung des freien Landes zu betreten, gestand Shadow Nia, dass Robert sie als kleine Kätzin zu ihr geschickt und ein Seelenband zu der Pantherdame geflochten hatte, durch das er sie jederzeit finden konnte.

    Und dann … ich war bei den Anderen, wir betraten gerade die Ruderboote, die uns zu dem großen Schiff bringen sollten. Da sprang Duncan plötzlich auf und schrie etwas von Nia, Shadow und einem Angriff. Er verwandelte sich in einen Bären, bevor einer von uns die Worte komplett verstanden hatte. Als er zurückkam, trug er Nia auf den Armen. Sie war bewusstlos. Später erfuhren wir, dass er ihr einen Schlag verpasst hatte, damit sie aufhörte zu schreien und die Verfolger nicht auf sie aufmerksam machte. Jene Männer, die Shadow mit einem Pfeil verwundet hatten. Shadow, von der nichts zu sehen war, als wir die Ruderboote bestiegen und auf das Schiff zu hielten. Die nicht am Strand auftauchte, während dieser langsam zu einem schmalen Streifen hinter schaukelnden Wellen verblasste. Denn ihre Stimme war längst verstummt, als der Pfeil sie im Wald tötete …

    Teil 1

    Kein Licht ohne

    Dunkelheit

    1. Gideon

    »Sterben gehörte definitiv nicht zu meinem Plan.

    Nicht heute.

    Nicht so.

    Aber wer fragt das wilde Tier schon, wann es sterben will?«

    Aus Shadows Gedanken

    »Und?«

    Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den Anderen. Dabei zog er den Umhang enger um sich. In den letzten Stunden war aus dem warmen, leicht windigen Spätsommertag ein kalter, von Nieselregen durchsetzter Herbstabend geworden und er erinnerte sich wieder, warum er diese Jahreszeit nicht mochte.

    »Ein paar Stunden, mindestens. Vielleicht sogar länger.«

    Rick erhob sich und strich sich das feuchte dunkle Haar aus der Stirn. »Wer auch immer es war, ist sicher längst über alle Berge.«

    Skeptisch blickte Gideon hinab auf die Ansammlung undeutlicher Fußabdrücke, die durch den zunehmenden Regen immer mehr mit dem Rest des schlammigen Waldbodens verschmolzen. Nicht mehr lange und sie wären nicht mehr zu erkennen.

    »Bist du sicher?«

    Rick zog eine Augenbraue hoch. »Liest du schon dein ganzes Leben Spuren?« Er seufzte theatralisch und schlug sich eine Hand gegen die Stirn. »Ach nein, das war ja ich!«

    »Schon gut«, murrte Gideon. Rick hatte natürlich recht. Er hatte keine Ahnung vom Spuren lesen. Im Gegensatz zu Nia hatte er sich nie sonderlich für Brams Lektionen interessiert. Andererseits hatte dieser ihm auch nie so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie seiner vermeintlichen Schwester.

    »Was glaubst du, wie viele es waren?«

    Gideon sah auf. Esmeras Blick glitt von ihm zu Rick, während sie sich die Kapuze ihres Umhangs über das dunkle Haar zog und den kleinen, gestreiften Affen enger an sich drückte. Das Tier vergrub das pelzige Gesicht im Stoff und versuchte, unter den Umhang zu kriechen.

    Kaido, der kleine Drache auf Gideons Schulter, stieß einen beinahe spöttisches und von Rauchkringeln begleitetes Schnauben aus. Als wollte er sagen: »Stell dich nicht so an.«

    »Schwer zu sagen.« Rick runzelte die Stirn und verfolgte mit seinen Augen die Spur, bis sie im dichten Unterholz verschwand. »Vielleicht ein halbes Dutzend.«

    »Das gefällt mir nicht«, meinte Esmera und trat dichter an Gideons Seite. Er spürte die Wärme, die von ihr ausging, und hätte sich am liebsten an sie geschmiegt, um der kühlen Nässe um sie herum zu entfliehen. Irritiert runzelte er die Stirn.

    »Wir sind auf dem Weg zur Küste. Nia ebenfalls?«, fragend sah sie Gideon an.

    Er nickte bestätigend, auch wenn er es nicht sicher wusste. Aber es war die logischste Schlussfolgerung.

    »Und diese Leute, wer auch immer sie waren, sind es ebenfalls?« Ihre Stimme rutschte etwas in die Höhe.

    »Es könnte jeder gewesen sein«, versuchte Gideon sie zu beruhigen. »Niemand sagt, dass es Adas Männer waren. Vielleicht waren es Anwohner aus Dragoterra, die zu fliehen versuchen, solange sie noch können.«

    »Bezweifle ich.«

    Sie wandten sich Rick zu. Der duckte sich und hob etwas auf, das er ihnen dann vor die Nase hielt. »Meinst du, einfache Dragoterranier haben solche Waffen dabei?«

    In der Hand hielt er eine eiserne Pfeilspitze. Sie war scharf geschliffen, glänzend und hatte eine münzgroße Prägung am dickeren Ende, an dem sich noch das abgebrochene Stück eines hölzernen Schafts befand. Ein Kreis aus Händen.

    »Ada«, stieß Esmera angewidert hervor. »Sie muss ihr Wappen echt allem aufzwingen, was?«

    Angst schwang in ihrer Stimme mit. Auch Gideon schluckte. Wenn Nia wirklich auf dem Weg zur Küste gewesen war, wenn Adas Männer sie verfolgt hatten ...

    »Ihr Vorsprung war zu groß«, erwiderte er entschieden. Er musste sich selbst davon überzeugen. »Nia hat Dragoterra mehrere Tage vor uns verlassen. Wahrscheinlich war sie längst auf einem Schiff, als die Rebellen hier entlangkamen.«

    Er wich ihren Blicken aus. Wusste er doch selbst, dass es nur eine Hoffnung war, an die er sich klammerte. Keine Tatsache.

    Rick schaute nachdenklich auf die Pfeilspitze. »Sind es noch Rebellen, wenn sie treu zur Königin stehen?«

    »Sie ist nicht die Königin.« Mit finsterem Gesichtsausdruck streckte Gideon die Hand nach der Waffe aus.

    »Warte!«

    Unerwartet packte Esmera seinen Arm und hielt ihn auf. »Sieh doch, die Spitze!«

    Durch ihren Tonfall alarmiert, besah er sich das Eisen etwas genauer. Rick tat es ihm gleich und kam dem Pfeil dabei so nah, dass Gideon schon fürchtete, er würde sich die Nase daran stechen.

    Ein feiner, heller Rand zog sich um die tödliche Spitze des Pfeils. »Sieht aus, als wäre dort etwas angetrocknet. Etwas anderes als Blut.«

    Vorsichtig, ohne die unbekannte Substanz zu berühren, nahm er Rick den Pfeil ab. Sein Begleiter wischte sich eilig die Hand an seiner Hose ab.

    »Gift?«, überlegte Gideon und schaute Esmera an. Dabei hatte er keine Ahnung, ob sie sich mit sowas auskannte. Aber sie hatte die Stirn gerunzelt, als würde sie konzentriert darüber nachdenken.

    »Möglich«, sagte sie schließlich. »Ich denke, wir sollten…«

    In dieser Sekunde richtete Kaido sich auf Gideons Schulter nervös auf. Er schnüffelte in die Luft, wobei sein roter Kopf leicht auf und ab wippte. Gideon brauchte nicht zu fragen, was mit ihm los war. Denn er hatte es auch wahrgenommen, als eine stärkere Windböe aufgekommen war. Sie hatte diesen Geruch mit sich gebracht. Ganz fein nur, als hätte der Regen ihn schon fast ausgewaschen. Und dennoch stechend. So vertraut, wie er es eigentlich nicht sein sollte. Aber Gideon kannte ihn.

    Er tauschte einen besorgten Blick mit Rick und Esmera.

    »Blut.«

    2. Aiden

    »Es heißt, Andoria erstand aus der Asche.

    Von Drachen bevölkert und verbrannt,

    erhob es sich neu und gestärkt, wie ein Phönix.«

    Aus Andorias verborgenen Chroniken

    »Was bei allen Geistern ist passiert?«

    Aufgebracht schloss er die Tür hinter sich. Nur Nias verstörter Gesichtsausdruck, der sich tief in seine Erinnerung gegraben hatte und ihn wohl nie mehr loslassen würde, hielt ihn davon ab, sie lautstark zuzuknallen. »Das habe ich dir doch schon erklärt«, erwiderte Duncan ruhig.

    Er schob die Füße etwas weiter auseinander, um das leichte Schwanken des Bodens auszugleichen. Aiden tat es ihm nach und stieß die Luft aus.

    »Dann erkläre es mir eben nochmal!«

    Für einen Moment sah Duncan ihn bloß schweigend an. Seine Augen zuckten nachdenklich.

    »Ich hörte Shadows Stimme in meinem Kopf«, sagte er dann ruhig. So, wie er es vor einigen Minuten schon einmal getan hatte. Und noch etwas früher, als er mit der völlig aufgelösten Nia in seinen nackten Armen aus dem Wald gestürmt gekommen war.

    »Sie rief mich um Hilfe. Ich verwandelte mich in einen Bären und rannte in den Wald. Dort fand ich sie.«

    »Tot«, warf Aiden ein, aber Duncan schüttelte den Kopf.

    »Nein, sie war noch nicht tot. Aber ein Pfeil steckte in ihrem Hals. Sie war sehr schwach. Und sie flehte mich an, Nia wegzubringen. Nia wusste nichts davon. Sie verstand es erst nicht. Ich glaube, im ersten Moment hat sie mich gar nicht erkannt.« Er runzelte kurz die Stirn, als wäre er sich da nicht ganz sicher. »Als ich sie erreichte, tauchten gerade die Männer auf.«

    »Adas Männer?«, unterbrach Aiden ihn erneut.

    »Vermutlich. Wer sonst sollte ein Interesse daran haben, sie zu töten?«

    Aiden antwortete nicht darauf. Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts. Nur, dass Nia in der kleinen Kajüte hinter ihm in einer ungemütlichen Koje lag und kaum reagierte, wenn man sie ansprach.

    »Ich schnappte mir Nia. Und rannte mit ihr fort. Hierher.«

    Langsam nickte er. »Und Shadow?«

    Er musste einfach nochmal fragen. Weil er es nicht glauben konnte.

    »Sie war verstummt«, erzählte Duncan mit gesenkter Stimme. »Der Pfeil steckte tief in ihrem Hals. Sie hatte die Augen geschlossen und ... Denkst du, sie hätte mich mit Nia weggeschickt, wenn sie noch gelebt hätte? Wenn sie geglaubt hätte, dass sie das überleben kann?«

    »Sie hätte Nia niemals allein gelassen«, warf Luan mit kratziger Stimme entschieden ein.

    Aiden hatte fast vergessen, dass er nicht mit Duncan allein war. Luan und sein Bruder Leif standen nur wenige Meter entfernt in dem schmalen Gang. Will direkt hinter ihnen. Stumme Tränen rollten über seine Wangen. Der Junge hatte sich von Anfang an gut mit der Pantherdame verstanden.

    »Wahrscheinlich nicht«, stimmte Aiden zu. »Außer, um sie zu schützen.«

    Er hatte gerade erst angefangen, die Beziehung von Nia und diesem Tier zu verstehen. Aber dessen war er sich sicher: Sie würden alles tun, um einander zu schützen. Alles.

    »Du hättest dich vergewissern müssen«, schleuderte er Duncan entgegen. »Du hättest sie nicht einfach zurücklassen dürfen.«

    Duncan blieb so gelassen, dass es in nur noch mehr aufbrachte. Dann verschränkte er die Arme und zog eine Augenbraue hoch.

    »Und riskieren, dass Nia ebenfalls verletzt wird?«, fragte er ernst. »Oder sogar getötet? Wäre dir das lieber gewesen?«

    Natürlich nicht. Aiden brauchte die Worte nicht aussprechen, Duncan kannte die Antwort. Stattdessen presste er nur die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

    In dieser Sekunde gab Leif ein leises Stöhnen von sich. Er war deutlich blass um die Nase geworden und verzog gequält das Gesicht.

    »Ich glaube, ich brauche frische Luft«, murmelte er, bevor er sich abwandte und durch den Gang wankte.

    »Schiffe sind nicht so sein Ding.« Luan sah seinem Bruder nach, wobei seine breiten Schultern gegen die hölzernen Wände stießen. Unter den Rebellen schien es keine Männer mit Luans Statur zu geben, sonst hätten sie andere Schiffe gebaut. »Ich geh‘ mal lieber mit.«

    Will nickte Aiden bloß zu, bevor er sich ebenfalls umdrehte und den Brüdern folgte. Obwohl er kürzlich seine Stimme wiedergefunden hatte, sprach er nur selten. Vielleicht, weil er die stumme Art zu sehr gewohnt war. Vielleicht hielt er es aber auch einfach nicht für wichtig, jeden Gedanken laut auszusprechen.

    »Wieso waren sie überhaupt allein im Wald?«, fragte Aiden und fuhr sich unruhig mit der Hand durchs Haar. »Was haben sie da getan? Wieso ist das niemandem von uns aufgefallen?«

    »Ich weiß es nicht«, antwortete Duncan schlicht, woraufhin Aiden am liebsten aus der Haut gefahren wäre. »Wir waren alle erschöpft und ... ich weiß es nicht.«

    »Weißt du überhaupt irgendwas?« Wütend stierte er Duncan an. Dieser reagierte natürlich mit kühler Ruhe. Er atmete sichtbar tief durch.

    »Ich weiß, du bist aufgebracht. Ich weiß, was Nia dir bedeutet…«

    »Das hat damit überhaupt nichts zu tun!«, erwiderte Aiden barsch.

    Eine glatte Lüge. Es hatte nur damit zu tun. Mit dem Herzklopfen, das sie in ihm auslöste. Mit dem heftigen Bedürfnis, sie schützen zu müssen, das nichts mehr mit Pflichtgefühl zu tun hatte. Mit dem innigen Wunsch, er könnte ihr den Schmerz nehmen, den sie jetzt gerade fühlte.

    »Aber all deine Fragen ändern nichts an einer Tatsache«, fuhr Duncan ungerührt fort. Er wartete, bis Aiden ihn ansah. Dieser hatte eine Hand am Schwert, als könnte er seine Sorge um Nia mit einer Klinge bekämpfen. Mit der Anderen nestelte er unruhig an einem Knopf seines halb geöffneten Hemdes herum.

    »Shadow ist tot.« Duncan betonte jedes Wort einzeln. »Wenn sie es noch nicht war, als ich mit Nia geflohen bin, dann ist sie es jetzt. Wir haben sie verletzt im Wald zurückgelassen. Sie mag klug und magisch ge wesen sein, aber sie konnte sich bestimmt nicht selbst heilen. Noch dazu waren da Adas Männer. Wenn Shadow nicht an der ersten Verletzung gestorben ist, haben sie sicher dafür gesorgt, dass es nicht die letzte war. Es tut mir leid, Aiden«, fügte er etwas sanfter hinzu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Aber all deine Fragen und deine Wut ändern nichts daran. Shadow ist tot. Nia trauert. Und irgendwie müssen wir das bewältigen.«

    Aidens Kehle schnürte sich bei den letzten Worten zu. Voller Sorge blickte er hinter sich, auf die geschlossene Tür, hinter der Nia lag.

    »Ich hab‘ sie noch nie so gesehen«, murmelte er leicht verzweifelt. »Shadow und sie, sie waren ...«, ihm fehlten die Worte, um die besondere Beziehung der beiden zu beschreiben. Schließlich seufzte er. »Was, wenn sie nicht darüber hinwegkommt?«

    Er war mehr als erschrocken gewesen, als Duncan mit Nia auf am Schiff aufgetaucht war. Sie hatte geschrien und um sich geschlagen. Als er Duncan jetzt ansah, bemerkte er, wie sich dessen Wange bereits violett verfärbte, weil sie ihn dort mit ihrer Faust getroffen hatte. Duncan hatte sie dennoch die ganze Zeit fest umklammert gehalten, während sie das Beiboot zum Schiff lenkten und Aiden und die Anderen versuchten aus Nias Schluchzern, Schreien und Duncans Bericht schlau zu werden. Dann, mitten in Duncans Erzählung, während die Wellen ihr kleines Boot emporhoben, verstummte sie urplötzlich und sackte in sich zusammen. Seitdem hatte sie kein Wort mehr gesprochen. Sie war ihnen zu der Kajüte gefolgt, die Béla ihr mit wenigen Worten zugeteilt hatte - obwohl alle anderen in großen Schlafsälen schliefen - hatte sich in die Koje gelegt und sich seitdem nicht mehr bewegt. Seit Stunden starrte sie an die fleckige Holzwand. Zumindest tat sie das jedes Mal, wenn einer von ihnen die Tür öffnete.

    »Gib ihr Zeit«, war alles, was Duncan ihm riet. »Es ist gerade erst geschehen. Sie verdient Zeit, es zu verarbeiten. Wie so vieles anderes. Überleg doch mal, was sie alles durchgemacht hat. Was sie erfahren und herausgefunden hat.«

    Er zögerte, als wollte er etwas hinzufügen, dann drückte er aber nur erneut Aidens Schulter.

    »Ruh dich aus.« Es klang beinah wie ein Befehl. »Das sollten wir alle tun. Bis unsere Reise auf diesem Schiff endet, können wir ohnehin nicht viel anderes machen.«

    Er wartete Aidens knappes Nicken ab, bevor er sich abwandte und ging. Wahrscheinlich in Richtung des Schlafsaals, den sie sich mit einigen Rebellen teilten.

    Aiden zog nicht eine Sekunde lang in Erwägung, ihm zu folgen. Stattdessen ließ er kurz seine Schultern kreisen, bevor er an der Wand hinabglitt und sich neben Nias Tür setzte.

    Im Moment wollte sie vielleicht nicht sprechen. Sich nicht einmal bewegen. Sondern nur allein sein mit ihrer Trauer. Aber sollte sich das ändern, würde er für sie da sein. Egal, wann es so weit war.

    Müde ließ er den Kopf in den Nacken sinken. Und wartete.

    3.Graham

    »Der Prinz wart im Schnee geboren.

    Bestimmt dazu, im Frühling zu siegen

    oder zu sterben.«

    Aus Andorias verborgenen Chroniken

    Auf nackten Füßen stahl er sich lautlos nach draußen. Dabei drückte er seine Kleider an seine verschwitzte Brust und wagte kaum zu atmen. Er konnte nicht riskieren, dass Darkin aufwachte. Darkin, der so viel Wärme ausstrahlte, dass er keine Decke benötigte, wenn sie ein Bett teilten. Eine Wärme, nach der er einst gesucht hatte, die ihn jetzt aber abschreckte, wie ein außer Kontrolle geratenes Feuer.

    Er stieß den Atem aus, als er die Tür hinter sich schloss. Zum Glück war Darkin arrogant genug, um keine Wachen direkt vor seiner Tür positioniert zu haben. Sonst hätte Graham jetzt Schwierigkeiten und müsste erklären, warum er mitten in der Nacht und mit sichtbarer Erleichterung aus der Kajüte seines vermeintlichen Geliebten floh. Aber das konnte er nicht. Noch nicht. Darkin durfte nicht wissen, dass seine Berührungen, die er einst so genossen und die Nähe, die er einst gesucht hatte, ihn jetzt mit Ekel und Selbsthass erfüllten.

    Graham stieg in seine Hose, wobei ein bekannter Schmerz durch sein rechtes Bein zuckte, und zog dann Tunika und Weste über. Ein kompliziertes schwarzes Ding, mit mehreren Laschen und Knöpfen, die er jetzt alle offen ließ. Er hatte seine Stiefel vergessen, aber das war egal. Er würde in Darkins Bett zurückkehren müssen, bevor dieser aufwachte.

    Der Boden bewegte sich leicht unter seinen Füßen, aber er nahm es kaum noch wahr. Es war bereits die zehnte Nacht auf der Loelia. Das Auf und Ab der Wellen und die Art, wie sie das Schiff in die Luft hoben und kurz darauf in die Tiefe zu ziehen schienen, waren ihm mittlerweile so vertraut, wie die Bewegungen beim Ritt auf einem Pferd.

    Er trat an Deck, hinaus in eine Nacht, die nach Eis und Salz roch. Das Holz unter seinen Füßen war von Frost überzogen. Ein kalter Wind wehte ihm vereinzelte Schneeflocken ins Gesicht und noch bevor er an die Reling trat, waren seine Zehen taub.

    Der Winter kam schnell und hart. In anderen Jahren hatte er um diese Zeit noch in der Sonne gelegen. War nachts im nächsten See baden gegangen. Hatte den Geschmack der Pflaumen von Darkins Lippen geküsst.

    Davor.

    Jetzt sah er den plötzlichen Wintereinbruch als ein weiteres Zeichen dafür, dass sich alles geändert hatte. Möglicherweise würde ganz Andoria sich noch einmal verändern, bevor der Winter vorbei war.

    Frierend umfasste er die Reling und starrte in das Schwarz vor sich. Die Nacht auf offener See, mit nichts als dem Himmel über und dem endlosen Wasser unter sich, war mit nichts zu vergleichen. So dunkel, so tief, so endlos schwarz, als würde es nie wieder hell werden. Er fühlte sich blind, und er genoss es. Für einen Moment nichts sehen. Vielleicht konnte er dann vergessen.

    Nur, dass er nicht wusste, was er vergessen wollte. Das, woran er sich erst seit kurzem wieder erinnerte? Oder die Dinge, die er getan hatte, während diese Erinnerungen begraben gewesen waren?

    Mit tiefen Atemzügen sog er die eisige Luft ein, bis sie in seiner Kehle brannte. Bald schon zitterte er, doch er ließ seine gefütterte Weste weiter geöffnet und klammerte sich an diese Kälte, bis er nichts anderes mehr spürte.

    Wir werden unsterblich sein.

    Die Stimme geisterte durch seine Gedanken. Er hörte sein jüngeres Ich lachen. Dann fragte er sich, wie er diesen Moment hatte vergessen können. Damals hatte er sich amüsiert zu Torin umgedreht, ihm das blonde Haar aus der Stirn gestrichen und gefragt: »Wer strebt schon nach Unsterblichkeit?«

    Torins Augen hatten begeistert gefunkelt, bevor er ein Wort gewispert hatte: »Legenden.«

    Es war eine traurige Ironie, dass sich niemand an ihn erinnerte, dass er nicht durch die immer wiederholende Erzählung der Blutnacht unsterblich geworden war, während Graham, der sich diese Art der Un sterblichkeit nie gewünscht hatte, als tot geglaubte Legende auf diesem Schiff stand. Noch dazu an der Seite des einen Mannes, der in der Lage gewesen wäre, Torin echte, wenn auch grausame, Unsterblichkeit zu schenken.

    Er schluckte gegen die Wucht der Erinnerung an, gegen all die Gefühle, die so heftig waren, als wären sie nie verloren gewesen und schloss für einen Moment die Augen. Nur noch wenige Minuten, dann würde er zu Darkin zurückkehren müssen. Nach all den Monaten, die sie gemeinsam verbracht hatten, wusste er, dass der dunkle Prinz noch vor der Dämmerung aufwachte.

    Plötzlich hörte er Schritte. Leise schleifend, fast untergehend im Rauschen der Wellen. Als versuchte sich jemand anzuschleichen. Seine Muskeln spannten sich an. Langsam und dabei wachsam lauschend nahm er die Hände von der Reling. Eine Hand schob er vorsichtig in die Innenseite seiner Weste, jetzt mehr als dankbar, dass er sie nicht geschlossen hatte. Sonst hätte er das verborgene Messer nicht so leicht erreichen können.

    »Ihr braucht mich nicht zu fürchten, mein Prinz.«

    Überrascht verharrte er mitten in der Bewegung. Er kannte diese Stimme. Er hatte sie lange nicht gehört und noch länger vergessen. Aber jetzt trat sie eine Kaskade an Erinnerungen in ihm los. Sein Herz raste. Das war unmöglich. Langsam ließ er die Hand sinken und drehte sich um.

    Sie hielt eine Kerze in der Hand, die ihr Gesicht erleuchtete. Und während er älter, ja erwachsen geworden war und seine Züge von Narben gewandelt, hatte sie sich kaum verändert. Sie sah aus wie immer. Wie in all den Jahren, in denen sie ihn unterrichtet hatte. Wie ein Trugbild, ein Geist, der in der Dunkelheit auf ihn zukam. Er blinzelte ein paar Mal, doch sie verschwand nicht. Sie war immer noch da. Immer noch echt. Er schluckte und rang danach, seine Stimme wiederzufinden.

    »Lady Libra. Was tut Ihr hier?«

    4. Gideon

    »Siehst du Nia?

    Ich hab‘ doch sieben Leben.«

    Aus Shadows Gedanken

    Er hatte alles erwartet. Alles. Tote Soldaten. Hingerichtete Rebellen. Eine abgeschlachtete Armee. Sogar Überreste gejagter Tiere.

    Alles.

    Außer das.

    »Ist das ein Panther?«

    Noch bevor Rick die Worte ausgesprochen hatte, war ihm der schwarze, von Fell bedeckte Körper aufgefallen, der reglos im nassen Laub lag. Sein Herz blieb stehen. Esmera stieß einen schockierten Laut aus.

    »Shadow!«

    Zeitgleich mit Gideon rannte sie los. Er fiel förmlich auf die Knie, ignorierte die Zweige, die sich durch seine Hose und schmerzhaft in seine Haut bohrten.

    Shadow rührte sich nicht. Von ihrem Hals aus ragte der Schaft eines Pfeils in die Luft. Unter ihrem Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet, deren Geruch der Wind zu ihnen getragen hatte.

    »Verdammt, Shadow« entfuhr es ihm gequält.

    Das konnte einfach nicht sein. Nicht Shadow. Sie war immer da gewesen. Immer an Nias Seite. Auf gewisse Weise war die Pantherdame so sehr Teil seines Lebens gewesen wie ein Teil von Nia.

    Langsam legte er eine Hand auf ihren bewegungslosen Körper. Seine Finger durchkämmten behutsam das mit Regentropfen bestickte Fell, während in ihm eine neue Frage erwachte und Angst mit sich trug. Wenn Shadow hier war - tot war - wo war dann Nia?

    »Das ergibt keinen Sinn«, murmelte Esmera mit erstickter Stimme. Sie hatte ihre eigene Hand auf Shadows Stirn abgelegt.

    »Ich weiß.« Er atmete tief durch und schluckte dann schwer. »Das dürfte nicht sein.«

    Esmera runzelte die Stirn und setzte zu einer Erwiderung an. »Erklärt ihr mir, was hier los ist?«, fragte Rick hinter ihnen leicht verwirrt.

    Natürlich. Er kannte Shadow nicht. Hatte vielleicht von ihr gehört. Vielleicht gesehen, wie sie in der Seelennacht aufgetaucht und von Nia beschützt worden war. Aber das reichte nicht, um die Verbindung zu dem Tier zu ziehen, das in diesem Moment getötet vor ihnen lag.

    Gideon streichelte weiter durch Shadows Fell.

    »Das ist…« Er keuchte auf.

    Seine Finger gruben sich tiefer. Verharrten an Shadows Oberkörper, während er sich aufgeregt vorbeugte.

    »Gideon?« Esmera lehnte sich vor, aber Gideon hob eine Hand und brachte sie zum Schweigen.

    Da war etwas gewesen. Ganz sicher. Es war - da!

    Er lachte auf. Erleichtert, schrill, hysterisch. Er lachte, und gleichzeitig liefen ihm Tränen über die Wangen, als er sich vorbeugte und sein Ohr auf die Stelle legte, an der er eben das zaghafte Klopfen gespürt hatte. Er lauschte und es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Dann hörte er es.

    Poch.

    Poch, Poch.

    Unregelmäßig. Leiser, als dieser Laut sein sollte. Aber er war da.

    »Ihr Herz schlägt!«, rief er aus. »Sie lebt noch!«

    Rick trat neugierig näher, während Esmera ihre Hände auf die Stelle legte an die Gideon zuvor sein Ohr gepresst hatte. Ihre Augen weiteten sich.

    »Ich hab‘ es doch gewusst!«

    Er warf ihr einen Blick zu, der irgendwo zwischen Unglaube und Erleichterung lag.

    »Das Blut«, erklärte sie aufgeregt, während sie vorsichtig Shadows Körper abtastete. »Es ist zu wenig Blut. Der Pfeil hat keine wichtige Ader getroffen. Und sie hat keine anderen Verletzungen.«

    Sie hatte Recht. Die Blutlache wirkte im ersten Moment beeindruckend, aber nicht genug für den Tod. Nur was war dann mit ihr? Wieso war sie nicht bei Bewusstsein? Wieso schlug ihr Herz nur kraftlos in einem unregelmäßigen Takt?

    »Erklärt mir mal jemand, was hier los ist?«, mischte Rick sich ein und trat auf die andere Seite des Panthers, um sie anzusehen. »Weshalb diese Aufregung wegen eines toten Tiers?«

    »Sie ist nicht tot!«, zischte Esmera, und ihre Augen blitzten gefährlich. »Und sie gehört zu Nia!«

    Gideon sah an Ricks Stirnrunzeln, dass ihm diese Erklärung nicht ausreichte, doch im Moment musste sie genügen.

    »Was machen wir mit ihr?« Ratlos betrachtete er Shadows geschlossene Augen. Sie konnten sie nicht hierlassen. Aber sie konnten sie auch nicht tragen. Vielleicht konnten sie irgendetwas bauen, womit - irritiert sah er zu, wie Esmera eine Hand um den Pfeil schloss. Bevor Gideon sie davon abhalten konnte, zog sie ihn mit einem Ruck heraus.

    »Verdammt!« Gideon presste eilig die Hände auf die Wunde, aus der frisches Blut quoll. »Bist du verrückt?«

    »Das hört gleich auf«, erwiderte Esmera unbesorgt und besah sich den Pfeil genauer. Dann holte sie scharf Luft.

    »So ein Mist.«

    »Was?« Er verstärkte den Druck auf die Wunde, aber zu seiner Erleichterung ließ die Blutung bereits nach. Scheinbar hatte Esmera recht. Der Pfeil hatte die großen Adern verfehlt. Doch ihr ernster Gesichtsausdruck ließ nicht zu, dass sich Hoffnung in ihm ausbreitete.

    »Deshalb ist sie bewusstlos.« Esmera sah ihn an. »Da war Gift an dem Pfeil.«

    »Gift? Wie an dem Anderen, den wir gefunden haben?« Rick lehnte sich über Shadows Körper hinweg und streckte neugierig die Hand nach dem Pfeil aus. Esmera schlug ihm so fest auf die Finger, dass das Geräusch des Schlags durch den Wald hallte.

    »Autsch, was soll denn das?« Beleidigt drückte er die Hand an sich.

    »Was für Gift?«, fragte Gideon besorgt. »Woher weißt du das?«

    »Seht euch das Blut mal genauer an.« Esmera hielt den Pfeil so, dass sie sich beide die Spitze ansehen konnten. Gideon runzelte die Stirn. Das Blut an der Pfeilspitze, Shadows Blut, war wie erwartet rot. Doch von grünen Schlieren durchzogen.

    Rick stieß einen langgezogenen Pfiff aus.

    »Sowas hab‘ ich schon mal gesehen. Dunkelkraut?«

    Esmera nickte bloß.

    »Was ist Dunkelkraut?« Gideon kam sich ziemlich dumm vor. Hätte er Bram oder Liz auch nur einmal richtig zugehört, wenn sie ihm mehr über den Wald und seine Pflanzen und Kräuter beizubringen versucht hatten, hätte er vielleicht gleich erkannt, dass Shadow vergiftet worden war. Dann würden sie jetzt nicht unnötig Zeit verlieren.

    »Es zieht dich in die Dunkelheit«, erwiderte Esmera, als würde das alles erklären. Auf Gideons ratlosen Blick hin erklärte sie: »Du bist da, du bist wach, aber du kannst dich nicht rühren. Du siehst und hörst nichts. Kannst dich nicht bewegen. Als hätte man dich in deinem Körper eingeschlossen und dir all deine Sinne geraubt.«

    Ein kalter Schauer durchlief seinen Körper bei dieser Vorstellung. Er schluckte und schaute auf Shadow hinab. »Dann ist es nicht tödlich?«

    »Nun, das kommt drauf an.« Diesmal war es Rick, der antwortete. Er rieb sich über die hellen Wangen, auf denen die Bartstoppeln in den letzten Tagen immer länger geworden waren. »Das Gift selbst tötet dich nicht, aber es wirkt mehrere Tage. In dieser Zeit kannst du nichts tun. Nicht essen, nicht trinken, dich nicht schützen. Wenn du Glück hast, überlebst du das. Aber die meisten sterben. Verdursten, verhungern, werden von Tieren angegriffen. Und das Schlimmste daran: Du spürst es. Du spürst jede Sekunde, die du dem Tod näherkommst und…«

    »Ist gut, hab‘ es verstanden«, schnitt Gideon ihm das Wort ab. Bei der Vorstellung, dass Shadow dies gerade durchmachte, wurde ihm ganz anders. Den Gedanken, dass Nia vielleicht ebenfalls von dem Gift getroffen worden war, ließ er gar nicht erst zu.

    »Sie wird nicht sterben«, sagte er entschieden. »Wir sind hier, wir können uns um sie kümmern, sie wird nicht sterben.«

    Eine schmale Hand legte sich auf seine, die noch in Shadows Fell ruhte. Er schluckte und sah auf. »Sie wird nicht sterben«, wiederholte Esmera und nickte bekräftigend. »Ich glaube nicht, dass sie - wer auch immer sie waren - diesen Pfeil für Shadow präpariert hatten. Wahrscheinlich ist die Dosis zu niedrig und die Wirkung hält nicht so lange an, wie gedacht. Außerdem«, ein zuversichtliches Lächeln schlich über ihre Lippen, »kenne ich das Gegengift.«

    5. Malenia

    »Eines Tages werden wir

    auf unsere Geschichte zurückblicken

    und uns fragen, wie wir so viele Fehler begehen konnten.

    Dann werden wir verstehen,

    dass all diese Fehler notwendig waren.«

    Aus Andorias verborgenen Chroniken

    Der Schmerz wollte kein Ende nehmen. Wie ein kalter, dunkler Ozean versuchte er, sie zu ertränken. Er war nicht langsam herangeflossen, sondern hatte sie hinterrücks überwältigt und unter sich begraben wie eine tosende Welle. Egal wie sehr sie es versuchte, sie schaffte es nicht an die Oberfläche, um Luft zu holen. Nia kämpfte, versuchte verzweifelt zu atmen. Dann gab sie auf. Und der Schmerz nahm ihr alles.

    Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dalag. In der Koje, die gerade so lang genug war, dass sie ihre Beine ausstrecken konnte. Auf einem Kissen, das nach Salz und Seetang roch, als hätte man es schon häufiger über Board geworfen und unter einer Decke, die kratzig war wie ein Kartoffelsack.

    »Panthermädchen.«

    Das Wort durchdrang die dumpfe Stille, in die sie sich eingehüllt hatte.

    Sie schluckte. Ihre Kehle brannte. Hatte sie geschrien? Kam es vom Weinen? Als sie ihre Augen öffnete, bemerkte sie die leicht bläuliche Verfärbung ihrer Fingerknöchel.

    »Panther…«

    »Nicht!« Ihre Stimme klang heiser und sie spürte, wie trocken ihr Mund war. Aber das war egal. Alles war egal.

    Nur das nicht. Dieses eine Wort. Sie ertrug es nicht mehr. Dieses Wort, anfangs spöttisch und dann freundlich, ja vielleicht sogar zärtlich aus seinem Mund. Sie hatte sich daran gewöhnt, es lieb gewonnen, und jetzt war ihr, als würde jede Silbe weitere Splitter aus ihrem Inneren brechen.

    »Es tut mir leid.«

    Holz knarzte unter Aidens Schritten, als er näherkam. Jede Bewegung von ihm wirkte unnatürlich laut. Nia sehnte sich nach der Stille zurück und schloss die Augen. Sie nahm wahr, wie Aiden neben der Koje stehen blieb. Sein Blick war wie eine Berührung, die sie am ganzen Körper spürte.

    »Nia.«

    Seine Stimme war ungewohnt leise. Zögernd. Als wüsste er nicht, was er tun sollte.

    Das weiß ich auch nicht, dachte sie erschöpft. Ich

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