Lilandra: Vier Märchen
Von Jörg Rothe
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Über dieses E-Book
Um einen wahrhaften Wunsch erfüllt zu bekommen, sucht Lilandra Voiloilà, die Verborgene Blume; mit List besiegt sie den bösen Zauberer Zanextra; im Spiegelland, wo alles verkehrt ist, begegnet sie dem Palindromfisch Otto von Nov, der so gern die Lösung aufgibt und das zugehörige Rätsel wissen will; und als ihr Drache entführt wird, springt sie ohne zu zögern in den Rucksack des Zwergs, um ihn zu befreien.
Jörg Rothe
Jörg Rothe wurde 1966 in Erfurt geboren. Er studierte Mathematik in Jena, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Zwei Jahre forschte er in Rochester, New York, USA. Seit 2000 ist er Professor für Theoretische Informatik an der Universität Düsseldorf, wo er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt. Für sie schrieb er in den letzten Jahren die Märchen von Prinzessin Lilandra und ihrem Drachen.
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Buchvorschau
Lilandra - Jörg Rothe
Drachen
DIE VERBORGENE BLUME
s war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Lilandra. Lilandra war eine Prinzessin und lebte mit ihren Eltern, dem Herrn König und der Frau Königin, auf einem Schloss. Das war ein sehr altes Schloss mit vielen Türmchen und prachtvollen Sälen, die mit Gold, Juwelen und feinen Ornamenten reich verziert waren, vor den hohen Fenstern des Thronsaals hingen samtene Brokatvorhänge schwer herab. Der vorherrschende Farbton im Schloss setzte sich zwar zusammen aus allen Farben der Welt, und Gold und Silber, aber ein Stich ins Violette war dabei nicht zu leugnen.
Es gab verblüffend viele Räume im Schloss, denn von außen sah es eigentlich recht klein aus. In ihm konnte man sich schon verlaufen, und das tat Lilandra gern und oft. Dann mussten ihre Eltern, König hin, Königin her, ihre Regierungsgeschäfte sich selbst überlassen – zum Glück gab es in ihrem winzigen Land nicht viel zu regieren – und sie suchen gehen. „Lilandra!? Wo bist du?!", riefen sie dann, während sie durch die dunklen Gänge des Schlosses eilten und ihre herrschaftlichen Gewänder hinter sich her schleppten. Und auch die Bediensteten im Schloss hörten dann auf zu arbeiten und halfen bei der Suche. Bisher war Lilandra noch stets gefunden worden. Ihr machte das alles jedes Mal großen Spaß.
Eines Tages kam sie in den Thronsaal und sah, dass ihre Mama traurig war. Sehr traurig. Schatten hatten sich tief in ihre Züge gegraben und wollten auch in der flackernden Beleuchtung der Kronleuchter nicht weichen. „Mama, was hast du denn?, fragte Lilandra. Sie war manchmal schon sehr groß und vernünftig. „Ach, nichts, meine Kleine
, sagte die Frau Königin und wischte mit einer würdevollen Bewegung eine kleine Träne von ihrer Wange, bevor diese auf die Marmorfliesen rollte. „Frag nicht. Aber kleine Mädchen sind neugierig und Prinzessinnen erst recht. Lilandra fragte wieder und weiter. Und schließlich erzählte ihr die Frau Königin, dass sie sich sehnlich ein zweites Kind wünschte, einen kleinen Prinzen, aber der kam nicht zu ihr. „Ach
, seufzte Lilandra. Der König eilte währenddessen seinen Regierungsgeschäften nach und machte: „Dum-di-dum-di-dum-da-bum-bum-bum-bum-bum-di-dum." Wie es so seine Art war.
Verwirrt ging Lilandra ihren Hausdrachen füttern. Das war kein richtig gefährlicher Drache, kein echter Märchendrache, sondern nur so ein kleiner, etwa hundsgroßer. Mit seinen knapp zweihundertundsiebzig Jahren war er noch ein verspieltes junges Drachenkind, das übermütig auf Kronleuchtern schaukelte und die drei Köpfe dabei herabhängen ließ. Er konnte kein Feuer speien, sondern nur Funken spucken. Lilandra hatte ihn trotzdem lieb. Er spielte gehorsam mit ihr „Drache und Prinzessin, ein von ihr erfundenes Spiel mit vertauschten Rollen, bei dem die Prinzessin den Drachen gefangen hielt, bis ein Ritter kam, mit ihr kämpfte, sie besiegte und den Drachen befreite. Nach einem solchen Kampf lag sie immer ganz erschöpft am Boden und freute sich mit ihm über seine wiedergewonnene Freiheit. Jetzt sagte Lilandra zu ihm: „Weißt du was, Drache, die Mama will noch ein Kind, einen Jungen. Sie ist ganz traurig, weil sie schon so lange vergeblich wartet. Wenn ich ihr nur helfen könnte.
Der Drache hörte wortlos zu und polierte seine Schuppen. Etwas zu eitel ist er für sein Alter, dachte Lilandra.
Einige Tage später hatte sich Lilandra wieder einmal im Schloss verlaufen. Sie rannte Treppen hinauf und herunter und durch lange, dunkle Gänge, die sie mit ihrer kleinen Laterne kaum erhellen konnte. Manchmal rief sie, so laut sie konnte, aber die einzige Antwort, die zurückkam, war ihr eigenes Echo. Diesmal schien sie sich wirklich verlaufen zu haben. Sie stand vor einer großen hölzernen Tür, die sie noch nie gesehen hatte. Vermutlich war sie in einen der Türme geraten, die weit von dem ihr bekannten Teil des Schlosses entfernt lagen. Lilandra versuchte, die Tür zu öffnen, da sprang diese wie von selbst auf. Dahinter begann eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Lilandra folgte ihr zögernd, es war so unheimlich. Oben erwartete sie eine Reihe weiterer Türen, hier musste der Dachboden des Turmes sein. Von irgendwoher hörte sie ein leichtes Klopfen oder Scharren; war es hinter einer der Türen oder war es der Wind, der um den Schlossturm heulte?
Kurz entschlossen lief Lilandra zu der letzten Tür, von der das Geräusch zu kommen schien, und wollte sie öffnen. Da geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Die Tür öffnete sich wie von selbst und „Phhh-phhhiichchst" blies ein Windstoß die Kerze in ihrer Laterne aus. Nun war es finster.
Nach einer Weile gewöhnten sich Lilandras Augen an die Dunkelheit. Draußen war es Nacht. War sie wirklich den ganzen Tag im Schloss umhergeirrt? Sie konnte den Umriss eines Fensters ausmachen, hinter dem sich schwere Wolken im fahlen Mondlicht jagten. Davor hob sich schwach eine dunkle Form ab, noch schwärzer als die Nacht draußen, und drehte sich leicht zur Seite. Jetzt konnte Lilandra die Gestalt einer alten, gebeugten Frau erkennen, die auf einem hohen Stuhl saß, den Kopf zur Seite geneigt, so dass man ihre Hakennase und das spitze, flaumige Kinn im Profil sah.
„Dum-di-dum-di-dum-da-da-da-da-da-da-bum!, machte derweil, seiner Art entsprechend, der König und eilte durch den Thronsaal. „Wo ist nur Lilandra? Hat einer von euch Lilandra gesehen? Sie wird sich doch nicht wieder verlaufen haben?
Lilandra stand wie erstarrt der Gestalt der alten Frau im Stuhl gegenüber. Die Frau sprach mit harziger, knarziger Stimme, so leise, dass Lilandra sie kaum hören konnte: „Rurrelspungdra, klaah prosfalis, welsch reeh lemmna jorf ka Tramm. Zarpefeehlis fuchtna zaz a Kluchdra, oip ka vobeehs Mungdra kurpsis."
Lilandra verstand kein Wort. „Was?", wollte sie gerade fragen, doch