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Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers: Band 1 der epischen High Fantasy Trilogie
Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers: Band 1 der epischen High Fantasy Trilogie
Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers: Band 1 der epischen High Fantasy Trilogie
eBook573 Seiten7 Stunden

Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers: Band 1 der epischen High Fantasy Trilogie

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Über dieses E-Book

Shadows Antwort war ein leises Knurren.
>Sie suchen dich.<

Der große Reinheitskrieg, die düstere Vergangenheit des Landes Andoria, war erst der Anfang einer gnadenlosen Jagd.
Einer Jagd auf alles Magische.
Magisches, wie Malenia es in sich trägt und mit Hilfe ihrer treuen Freundin, der Pantherdame Shadow, zu verbergen versucht. Als sie eines Nachts aus ihrem Dorf in die Hauptstadt eskortiert wird, legt sich der Schatten der Angst auch über ihr Herz. Denn sie kennt die Gesetze des Königs ebenso wie alle Untertanen.
Die Strafe für Magie ist der Tod.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Feb. 2023
ISBN9783910615670
Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers: Band 1 der epischen High Fantasy Trilogie

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    Buchvorschau

    Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers - Franziska Kamberger

    Andoria_1.jpg

    Copyright 2022 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    Umschlagdesign: Jaqueline Kropmanns

    Alle Rechte vorbehalten

    Für Ferris,

    der meine Leidenschaft teilt

    und diese Geschichte zuerst lesen durfte.

    Für Nick,

    der mir immer helfen wird,

    ohne Fragen zu stellen.

    Danke, dass ich eure Schwester sein darf.

    Inhalt

    Teil 1 - Die Adler und der Drache 6

    1. Malenia 7

    2. Malenia 19

    3. Aiden 32

    4. Malenia 38

    5. Malenia 50

    6. Aiden 60

    7. Malenia 64

    8.Malenia 75

    9. Aiden 80

    10. Malenia 89

    11. Malenia 98

    12. Aiden 104

    13. Aiden 109

    14. Malenia 118

    15. Aiden 128

    16.Malenia 133

    Teil 2 - Flammen und Vertrauen 138

    17. Malenia 139

    18. Aiden 148

    19. Malenia 153

    20. Aiden 160

    21. Malenia 167

    22. Malenia 180

    23. Aiden 187

    24. Malenia 199

    25. Aiden 204

    26. Malenia 212

    27. Aiden 220

    28. Malenia 223

    29. Aiden 233

    30. Malenia 238

    31. Aiden 244

    32. Malenia 249

    33. Malenia 253

    34. Aiden 263

    35. Malenia 267

    36. Aiden 271

    37. Malenia 277

    38. Aiden 282

    39. Malenia 290

    40. Aiden 304

    41. Malenia 309

    42. Aiden 314

    43. Malenia 320

    44. Aiden 325

    Teil 3 - Magie und Blut 330

    45. Malenia 331

    46. Aiden 344

    47. Malenia 349

    48. Aiden 357

    49. Malenia 363

    50. Aiden 369

    51. Malenia 374

    52. Aiden 388

    53. Malenia 391

    54. Malenia 395

    55. Malenia 408

    56. Aiden 417

    57. Malenia 425

    58. Aiden 431

    59. Malenia 444

    60. Aiden 454

    61. Malenia 456

    Danksagung 463

    Teil 1

    Die Adler

    und

    der Drache

    1. Malenia

    »Ein Unwetter kommt nie allein.

    Es scheint immer die Vorhut eines großen Unglücks zu sein.«

    Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis

    Warmer Atem traf auf ihr Gesicht. Irritiert zuckte Nia mit der Nase und schlug die Lider auf. Ein Paar stechend blauer Augen schwebte über ihr. Helle Fäden zogen sich wie feine Goldadern durch ihre Iriden. Ein schwarzer Panther blickte auf sie hinab. Den Mund leicht geöffnet offenbarte er spitze, lange Zähne. Ein einziger Biss konnte tödlich enden. Sie stieß den Atem aus.

    »Shadow! Ich habe so gut geschlafen!«

    Sie schubste das Gesicht der Pantherdame zur Seite und drehte sich auf den Bauch.

    Shadow stieß ein leises Schnauben aus. Ihr Schwanz peitschte unruhig durchs hohe Gras.

    Wir sollten langsam zurückgehen, Nia.

    Warm und tief erklang ihre Stimme in ihrem Kopf und hob sich klar von ihren eigenen verschlafenen Gedanken ab.

    Sie schüttelte träge den Kopf und legte ihn auf ihren verschränkten Armen ab.

    In den letzten Tagen hatte der Sommer sich noch einmal aufgebäumt und eine feuchte Hitze über das Land gebracht. Drei Nächte lang hatte Nia schwitzend im Bett gelegen, alle Decken ans Fußende gestrampelt, das rote Haar zu einem Knoten hochgesteckt, und dennoch nicht schlafen können.

    Erst an diesem Nachmittag, im Schatten eines mächtigen Apfelbaums, hatte sie endlich etwas Ruhe gefunden. Eine frische Brise war aufgekommen, die sanft über ihre Haut strich und sie einlud, noch länger unter den ausgestreckten, knotigen Ästen des alten Baums zu schlafen. Bereits nach wenigen Minuten hörte sie erneut die tiefe Stimme der Pantherdame in ihrem Kopf.

    Es wird gleich gewittern.

    Genervt stöhnte sie auf und wälzte sich zurück auf den Rücken. Müde blinzelte sie durch die Zweige des Baums, die sie gerade erst leer gepflückt hatte. Die Äpfel, die am Morgen noch schwer daran gehangen hatten, lagen jetzt in einem von vielen Körben, die sie im Laufe des Tages mit Obst gefüllt hatte.

    Tatsächlich waren tiefgraue Wolken aufgezogen, während sie geschlafen hatte. Nur an wenigen Stellen kämpften sich noch Strahlen des warmen Sonnenlichts zur Erde.

    »Wird auch Zeit«, sagte Nia zu Shadow. »Die Luft ist seit Tagen so schwül, dass ich das Gefühl habe, Wasser zu atmen. Und Liz hat die ganze Zeit Kopfschmerzen.«

    Sie sorgt sich, erwiderte Shadow, während Nia aufstand und lose Grashalme von ihrem leichten Baumwollkleid klopfte. Für die Arbeit war es eigentlich völlig ungeeignet, aber es war das Leichteste an Kleidung, das sie besaß. Schon bei dem Gedanken an die steife Arbeitshose und das langärmelige Hemd, das sie sonst auf der Plantage trug, brach ihr der Schweiß aus.

    Hoffentlich hatte der Rasen keine Flecken in dem hellen Stoff des Kleides hinterlassen. Das würde Liz gar nicht gefallen, bei solchen Dingen war sie ziemlich streng.

    »Wie kommst du darauf?«, fragte sie und streckte sich.

    Beinahe lautlos glitt Shadow neben ihr durchs Gras, während sie die Obstplantage durchquerten. Grashüpfer sirrten durch die Luft und Hummeln stiegen von vertrockneten weißen Blüten auf, aufgeschreckt durch ihre Schritte.

    Ich spüre es. Ich denke, es hat mit diesem Brief zu tun.

    Da runzelte sie die Stirn. In den letzten Tagen hatte sie Liz mehrfach erwischt, wie sie hastig ein Stück Papier verschwinden ließ, wenn Nia nach Hause kam. Aber sie sah darin keinen Grund zur Sorge. Was konnte dort drinstehen, was schlimmer war als die Dinge, die bereits geschehen waren? Nichts, was Liz ihr verheimlichen würde.

    »Das ist sicher nur wieder ein Brief von einem der alleinstehenden Männer aus dem Dorf.« Sie ging zu ihrer Schimmelstute Glory, die sie unter einem nahen Baum zum Grasen stehen gelassen hatte, und strich ihr sanft über den hellen Hals.

    »Du weißt, wie sie hinter ihr her sind, trotz der Schande, seit Bram …«

    Sie verstummte und schüttelte den Kopf. Schmerz begleitete diesen Namen, wann immer sie ihn aussprach. Glory stieß ihre Hand an, auf der Suche nach etwas Obst oder einem Stück Zucker. Sie war das einzige Pferd im Dorf, das vor Shadow nicht zurückschreckte. Ein ledernes Geschirr lag eng um ihren Rumpf. Daran war der hölzerne Karren befestigt, auf dem sich körbeweise Obst stapelte. Nia griff sich einen frisch gepflückten Apfel aus dem obersten Korb und hielt ihn Glory hin. Sanft streichelte sie über den Hals der Stute. Mit laut schmatzenden Geräuschen verschwand der Apfel in ihrem Mund.

    Ich glaube nicht, dass es solch ein Brief ist. Etwas beunruhigt sie. Shadow streckte sich und entblößte dabei einige lange Krallen an ihren Vorderpfoten. Dann sprang sie auf den Karren und machte es sich zwischen den Obstkörben bequem.

    Du solltest sie danach fragen. Sowas tut ihr Menschen doch, oder? Sie blinzelte fragend. Ihr erzählt euch all eure Probleme und teilt euer Leid.

    »Das nennt man Empathie«, erwiderte Nia schnaubend. »Und ohne diese wärst du heute kaum hier.«

    Wohl wahr.

    Sie schwang sich in den Sattel, fasste die Zügel, schnalzte einmal mit der Zunge und Glory lief gemächlich los. Die hölzernen Räder des Karrens knarzten leise, als sie sich in Bewegung setzten. Schweigend ritt sie zwischen den verschiedenen, in sauberen Reihen stehenden Bäumen entlang. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Maronen, Haselnüsse, Walnüsse - diese Plantage versorgte das ganze Dorf mit frischen Lebensmitteln. Alles, was an Bäumen wuchs, hatte Liz versucht anzupflanzen. Viele Versuche waren geglückt. Sie hatte es sogar geschafft, ein paar Zitronenbäumchen gedeihen zu lassen und am schattigen Rand der Plantage, direkt am Wald, hatte Nia im letzten Jahr eine Reihe Himbeerbüsche gepflanzt. .

    Die Plantage war Liz ganzer Stolz.

    Als sie damals mit ihrem Mann Bram, dem gemeinsamen Sohn Gideon und Nia in dieses Dorf zog, hatten sie kaum mehr als das, was sie am Leib trugen. Nach ihrer Ankunft in Karstons River klopften sie an Türen, auf der Suche nach Arbeit. Die ersten Nächte, so hatte Bram es immer erzählt, schliefen sie auf ein paar Decken auf einer Wiese direkt am Fluss. Von den letzten Münzen kaufte Liz auf dem Markt das Nötigste ein, während ihr Mann den anderen Dorfbewohnern seine Dienste als Schreiner anbot. Niemand gab ihm Arbeit. Die Bewohner von Karstons River waren eine eingeschworene Gemeinschaft, vor allem damals, zu der Zeit um den Reinheitskrieg. Sie misstrauten jedem Fremden.

    Nia selbst erinnerte sich nicht daran. Sie war erst wenige Monate alt gewesen. Für sie klang diese Geschichte immer nach Ungewissheit und Einsamkeit. Noch mehr, wenn sie daran dachte, dass ihre eigene Mutter kurz zuvor gestorben war. Brams Augen jedoch hatten jedes Mal geleuchtet, wenn er sie erzählt hatte.

    Weil er keine Arbeit gefunden hatte, waren sie kurz davor gewesen, aufzugeben und mit den Kindern weiterzuziehen, als ein alter, gebeugter Mann am Fluss aufgetaucht war.

    Er erzählte ihnen von seiner Obstplantage am Dorfrand, für die er aufgrund seines Alters helfende Hände brauchte, und von seinem kleinen Haus, in dem ein Zimmer frei war.

    Er nahm die Familie bei sich auf und sicherte so ihre Zukunft. Vor seinem Tod überschrieb er ihnen sein Haus, die Plantage und all seinen Besitz.

    Seitdem ging Liz jeden Tag, egal wie viel sie zu tun hatte, einmal über die Plantage und kontrollierte den Zustand sämtlicher Bäume. Mehr noch. Sie päppelte geschädigte Bäume wieder auf, pflanzte neue Samen ein und vergrößerte die Plantage.

    Shadow und Nia erreichten den Rand der Plantage. Hinter ein paar Bäumen und Sträuchern konnte sie die steinerne Fassade des kleinen Bauernhauses erkennen, in dem sie lebte.

    »Hallo, Nia!«

    Sie wandte sich um und sah Phil mit schnellen Schritten auf sich zu laufen. Er war einer der Jungen, die ihr und Liz in der Hochsaison bei der Ernte halfen.

    Ah, da ist er ja wieder. Ein Kichern schwang in Shadows Stimme mit.

    »Benimm dich!«, zischte Nia und glitt aus dem Sattel.

    Phil kam schnaufend zum Stehen. Das Hemd klebte ihm schweißnass an seinem schmächtigen Körper und er wischte sich das dunkle Haar aus der Stirn, bevor er mit einem Blick auf Shadow einen Schritt zurücktrat.

    Nia spürte die Belustigung der Pantherdame deutlich in ihrer Brust. Sie legte den Kopf leicht schief.

    Feigling. Wie reagiert er wohl, wenn ich herzhaft gähne?

    Unauffällig verpasste Nia ihr einen Tritt gegen die Hinterpfote. Shadow stieß geräuschvoll den Atem aus, woraufhin Phil zusammenzuckte. Beim Anblick ihrer spitzen Zähen würde er wahrscheinlich in Ohnmacht fallen.

    »Hallo, Phil. Was gibt´s?«

    »Hast du es noch nicht gehört?« Aufregung blitzte in seinen hellen Augen auf.

    »Was gehört?«

    »Angeblich sind Soldaten des Königs auf dem Weg zu uns.«

    Erwartungsvoll blickte er sie an. Sicher glaubte er, sie mit dieser Nachricht zu beeindrucken. Schließlich waren Soldaten des Königs so ziemlich das Spannendste, das es in diesem kleinen Dorf je geben würde. Doch Nia runzelte nur skeptisch die Stirn.

    »Wer behauptet das?«

    »Ein fahrender Händler hat sie gesehen. Er meinte, sie hätten Rast gemacht, keine fünf Wegstunden von hier entfernt. Der Kerl verkauft seine Waren auf dem Markt und erzählt es jedem, der vorbeikommt.«

    Da verdrehte sie die Augen. »Natürlich tut er das. Er lügt, um die Leute anzulocken, genau wie all die anderen vor ihm.«

    Langsam ging sie weiter auf das Haus zu. Phil folgte ihr. Sie bemerkte, wie er immer wieder einen Seitenblick auf Shadow warf, und hätte beinahe erneut die Augen verdreht. Man sollte meinen, nach zehn Jahren hätten die Dorfbewohner sich endlich an ihre dunkle Begleiterin gewöhnt. Aber nichts hatte sich in all den Jahren geändert. Sie fürchteten sich. Viele mieden sie sogar.

    »Sicher sagt er die Wahrheit.«

    Nia seufzte. »Wenn sie wirklich hierher unterwegs sind, dann wahrscheinlich zum Wachwechsel. Wir hatten schon länger keinen mehr.«

    Der Gedanke machte sie tatsächlich etwas nervös. Denn man wusste vorher nie, wie die neuen Wachen sich verhalten würden. Vor einigen Jahren hatte es zwei Männer gegeben, die die Suche nach Magie wie einen persönlichen Rachefeldzug betrieben.

    »Nein, nein. Richtige Soldaten sagte er.« Phil wirkte mittlerweile leicht frustriert, weil sie seinen Worten keinen Glauben schenkte. »Er klang ziemlich überzeugend. Konnte sogar ihr Aussehen beschreiben. Einer von ihnen soll ziemlich wild aussehen. Und ein anderer wie ein halber Riese.«

    Er musterte Nia von der Seite her. Als würde er darauf warten, dass sie sich zum Aussehen der Soldaten äußerte. Woher sollte sie wissen, was wild bei einem von ihnen bedeutete? Von den einfachen Wachen abgesehen, hatte sie noch nie einen echten Soldaten gesehen. Karstons River war zu klein und zu unbedeutend, um für sie relevant zu sein.

    In jedem Ort gab es ein paar Wachen, die vor allem die Einhaltung der Reinheitsgesetze überwachten. Hier standen sie am Rand des Marktplatzes und an den beiden Enden der Hauptstraße, die ins Dorf führte. Man konnte sie leicht in ein Gespräch verwickeln oder zu einem Kartenspiel überreden, denn sie langweilten sich. Dennoch waren sie da. Für den Fall eines Verbrechens. Um jedes Anzeichen von Magie zu registrieren und dementsprechend zu handeln. Die letzte Hinrichtung eines Magischen, die es hier je gegeben hatte, war jetzt Jahre her. Nias Kehle verengte sich, als sie daran dachte. Sie schluckte.

    Es war lächerlich. Hier hielten alle zusammen, es sei denn, es gab ein Anzeichen für ein Verbrechen. Dann griff die Angst um sich und verbreitete sich schneller als ein Virus. Die Angst, als mitwissend bestraft zu werden. Oder selbst dem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Die Wachen erfuhren schneller von einem Diebstahl, als er ausgeübt wurde. Bemerkte jemand nur einen Funken von Magie, löschten die Wachen ihn, bevor er zur Flamme werden konnte. Dachten sie. Aber sie waren so blind.

    Trotzdem regte sich leichtes Unbehagen in ihr. Sie räusperte sich und schüttelte es ab.

    »Wenn sie nur noch fünf Wegstunden entfernt waren, wieso machen sie dann noch Rast?«, gab sie betont sorglos zu bedenken. »Das ist Unsinn.«

    Phil sackte ein bisschen in sich zusammen und steckte die Hände in die Taschen seiner Hose. Sie war übersät mit Grasflecken und kleinen Löchern.

    »Wir werden sehen«, murmelte er.

    Ein leises Grollen rollte heran und er sah auf. Als sie den Kopf in den Nacken legte, hatten die Wolken sich noch weiter verdichtet. Dunkel hingen sie über ihnen und so schwer, als würde sie jeden Moment herabfallen.

    »Du solltest gehen«, sagte sie zu Phil und griff die Zügel fester, da Glory bei Gewittern immer nervös wurde. Sie beschleunigte ihre Schritte. »Da kommt ein Unwetter.«

    »Warte noch kurz.« Er griff nach ihrem Arm. Sie spürte seinen klebrigen Schweiß. Wie ihre eigene Haut war seine Hand mit einer leichten Bräune überzogen, von der langen Arbeit in der Sonne.

    Puh, der stinkt ja förmlich nach Hormonen.

    Fast glaubte sie, Phil hätte Shadows Worte auch gehört. Seine Augen zuckten kurz zu ihr und er zog unsicher die Hand zurück.

    »Nächste Woche ist das Sternenfest.« Er zupfte an seinem feuchten Hemd und wich Nias Blick aus. »Ich habe mich gefragt, ob du auch hingehst?«

    Überrascht blieb sie stehen. »Oh.«

    Das Sternenfest fand jedes Jahr in der Nacht des achten Neumonds statt. In dieser Nacht konnte man besonders viele Sterne und insbesondere Sternschnuppen sehen. Das ganze Dorf kam zusammen, es gab jede Menge Leckereien, Musik, Wein und alle lachten und tanzten. Bis Mitternacht. Dann wurden alle Feuer gelöscht. Mit jeder sterbenden Flamme tauchten mehr Sterne am Firmament auf. Mit jedem der funkelnden Punkte wurde den Verstorbenen gedacht. An diesem Tag wurden sie nicht betrauert, sondern gefeiert.

    Es war ein wunderschöner Anblick, den Nia aber meist nicht vom Festplatz, sondern von ihrem Lieblingsplatz am Fluss aus genoss. Manchmal begleitete Liz sie, aber meist war sie mit Shadow allein. Das war ihr lieber als den Blicken ausgesetzt zu sein, dem Gemurmel hinter vorgehaltener Hand. Weil man auf den ersten Blick sah, dass sie mit den feuerroten Haaren und den grünen Augen nicht Liz‘ und Brams Tochter war. Weil sie immer ein wildes Tier an ihrer Seite hatte und viel Zeit im Wald verbrachte, vor dem sich sonst alle fürchteten. Natürlich gab es nur wenige, die ihr Misstrauen offen zeigten. Doch Nia wusste, dass es da war, und manchmal fiel es ihr schwer, es einfach zu ignorieren. Nicht zum ersten Mal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie eigentlich nicht an diesen Ort gehörte. Eines Tages würde sie ihn verlassen und sich die Welt ansehen.

    Phil konnte sie von all diesen Gedanken nichts sagen. Wie sollte er sie verstehen? Außerdem war es mutig von ihm, überhaupt mit ihr über das Fest zu sprechen, wo doch alle anderen einen großen Bogen um sie machten.

    »Ich weiß nicht«, antwortete sie deshalb ausweichend.

    »Wir könnten zusammen tanzen.« Seine Augen glänzten. »Und die Sternschnuppen zählen.«

    Ich sag es ja. Hormone. Totaler Überschuss.

    Shadow vermutete schon länger, dass Phil an Nia interessiert war. Er sprach sie an, wann immer er auf sie traf. Meist musste Nia sich eine Ausrede ausdenken, um ihn wieder loszuwerden. Allerdings war er immer schon gesprächig gewesen, deshalb hatte sie sich nichts weiter dabei gedacht. Bis Shadow ihr diesen Gedanken in den Kopf gesetzt hatte. Seitdem fiel es ihr schwer, nicht darüber nachzudenken und jede Begegnung mit ihm war unangenehm, weil sie dieses Interesse niemals erwidern konnte.

    Als sie Phil ansah, wirkte er so hoffnungsvoll und gleichzeitig nervös, dass Nia nicht einfach ablehnen konnte. »Ich überlege es mir, okay?«

    Er biss sich auf die Lippe. Bestimmt hatte er auf eine andere Antwort gehofft. Trotzdem nickte er und lächelte breit. »In Ordnung. Wir sehen uns morgen, bei der Arbeit.«

    Ein kalter Regentropfen landete auf ihrer Wange. »Bis dann, Phil.«

    Wie nennt ihr empathischen Menschen sowas doch gleich? Achja, peinlich. Ein Kichern schwang in Shadows Stimme mit.

    »Hättest du doch bloß gegähnt«, seufzte Nia, als Phil außer Hörweite war.

    Shadows Lachen hallte in ihrem Kopf nach.

    Sie überquerten die provisorische Brücke, die Bram vor Jahren aus ein paar Holzbalken am Bach errichtet hatte. Er verlief direkt zwischen der Plantage und dem Haus. Ein stetiges Plätschern umgab sie rund um die Uhr. Manchmal stand Nia in den Morgenstunden einfach nur am Fenster. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dann diesem Geräusch und fragte sich, wie es wäre, das Dorf zu verlassen und dem Bach bis zu seinem Ursprung zu folgen. Was würde sie dort finden? Vielleicht einen Ort, an dem sie und Shadow willkommen waren? An dem Magische nicht getötet, sondern geschätzt wurden? Das verheißene Freie Land, das fester Bestandteil von Brams letzten Geschichten war?

    Die Brücke nach der Ernte zu überqueren, war immer wieder schwierig. Sie war gerade so breit wie der Karren. Wenn Nia nicht aufpasste, während sie Glory über die Holzplanken führte, konnte schnell eins der Räder auf einer Seite ins Leere laufen und der ganze Karren umkippen. Bram hatte die Brücke durch eine breitere und stabilere ersetzen wollen. Doch dann …

    Ein lauter Donnerschlag erklang und sie zuckte zusammen. Graue Dunkelheit hatte sich auf das Land gelegt.

    Das dumpfe Geräusch von Regen, der auf umliegendes Laub fiel, mischte sich unter den gewohnten Klang des Baches. Shadow schüttelte sich. Sie war kein Freund von Regen. Nia dagegen genoss das kühle Nass auf ihrer Haut, die den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt gewesen war.

    Sie wandten sich nach links und der Weg führte sie hinters Haus. Regentropfen perlten von den dünnen Blättern der Buschwindröschen ab, die an den unregelmäßig geformten, grauen Steinen emporkletterten. Durch eins der kleinen Fenster konnte sie Liz in der schmalen Kochnische stehen sehen. Zwischen Eichen und Kastanien stand der schmale Stall, den Bram einst gebaut hatte, um Glory und Pip, den schwarzen Hengst, vor dem Wetter zu schützen.

    Mit einem leisen »Brr«, brachte sie Glory zum Stehen. Die Stute schnaubte kurz und suchte in ihrer Hand nach einem weiteren Apfel.

    »Du bist viel zu gefräßig, Süße.« Glory schnaubte erneut.

    Routiniert schnallte sie die Stute vom Karren. Der Regen hatte deutlich zugenommen. Wenn sie das Obst noch abladen wollte, ohne völlig durchnässt zu enden, musste sie sich beeilen.

    Shadow hob prüfend den Kopf. Schnupperte.

    »Gehst du noch auf die Jagd?«

    Mmh. Riecht, als wäre ein Fuchs in der Nähe.

    Angeekelt verzog sie das Gesicht. »Du sollst mir doch nicht sagen, was du jagst.«

    Okay. Riecht nach einem Rosenbusch.

    Nia lachte. Dann spürte sie Shadows kalte Nase an ihrer Hand und einen Moment später verschwand die Pantherdame lautlos im angrenzenden Wald.

    »Komm, Glory. Rein ins Trockene.«

    Die meisten Dorfbewohner fürchteten den Wald. Insbesondere den auf der anderen Seite des Dorfes, hinter dem Fluss. Schon viele waren beim Sammeln von Pilzen und Kräutern von einem Bären oder Wolf überrascht worden und nicht zurückgekehrt. Nur wenige erfahrene Jäger trauten sich in das Dickicht, in dem es nie richtig hell zu werden schien.

    Doch Nia war dankbar für ihr Zuhause, das etwas abseits am Waldrand lag. Ein einzelner Trampelpfad führte einen leichten Abhang hinab, an Getreidefeldern und Weiden vorbei, direkt zum Marktplatz.

    Sie liebte den Wald und seine ganz eigene Stille. Den Geruch von Rinde und Laub, der sie umgab. Außerdem musste sie sich hier keine Sorgen machen, dass jemand sah, wie sie sich mit Shadow unterhielt. Wie sollte sie den anderen erklären, dass Shadow nicht nur ungefährlich war, sondern sie auch ihre Gedanken wie eine Stimme in ihrem Kopf hören konnte, ohne dass dies zu gefährlichen Gerüchten führte?

    Nia wusste, was ihre Verbindung bedeutete. Shadow war ein Purnox. Ein magisches Tier und somit zum Tode verurteilt, sobald es jemand herausfand. Sie bemühte sich, nicht darüber nachzudenken. Nicht nur Shadow würde unter der Wahrheit leiden, sollte sie je enthüllt werden. Die Soldaten konnten auch Nia und wahrscheinlich sogar Liz zur Rechenschaft ziehen. Das Verbergen von Magie war eines der schlimmsten Verbrechen, die man im Land Andoria begehen konnte.

    Die Tatsache, dass sie Shadow als kleines Kätzchen vor dem Tod gerettet hatte, als sie erst ein paar Wochen alt gewesen war, machte die Geschichte vom einfachen zahmen Panther zum Glück sehr glaubhaft. Solange niemand begann, näher hinzusehen und darüber nachzudenken.

    Nia seufzte und führte Glory in den Stall. Pip war schon da und tat sich an frischem Heu gütlich, das den festgestampften, erdigen Boden bedeckte. Er hob kurz den Kopf, als Glory sich zu ihm gesellte und sie fraßen in stiller Eintracht. Ein lautes Donnern ertönte. Das Licht eines hellen Blitzes kroch zwischen den Holzlatten hindurch und tauchte den Stall in grellen Schein. Pip wieherte nervös und sie tätschelte ihm kurz den Hals. Laut trommelte der Regen auf das hölzerne Dach. Bevor sie den Stall verließ, ging sie in die hinterste Ecke, wo - Sattel, Zaumzeug und Decken gelagert wurden. Dort stand auch eine Holztruhe, in der sich einige von Brams Dingen befanden, von denen sie sich nicht hatten trennen können.

    Nia ging in die Knie. Sanft glitten ihre Finger über das dunkle Holz, aus dem die Truhe gefertigt war. Sie hatte sie nicht mehr geöffnet, seit sie die Sachen darin verstaut hatte. Erinnerungen stiegen in ihr auf, an Emily, zu klein, um wirklich zu verstehen, was geschah. Tagelang starrte sie aus dem Fenster und wartete. An Liz, wie sie weinend in ihrem Bett lag und Nia ihr den mit Traumkraut versetzten Tee einflößen musste, damit sie wenigstens für ein paar Stunden zur Ruhe kam. Es war das einzige Mal gewesen, dass sie Schwäche bei ihr gesehen hatte.

    Jeden Tag kam Nia einmal hierher. Nicht, um die Kiste zu öffnen. Diesen Schmerz konnte sie kaum ertragen. Sondern, um sie ein kleines Stück anzuheben, sodass ihre Hand darunter passte.

    So auch jetzt. Ihre Hand glitt über raue Erde und dann ins Nichts. Zufrieden stellte Nia fest, dass das von ihr gegrabene Loch noch da war. Genauso wie Brams letzte Geschenke, die sie darin versteckte.

    2. Malenia

    »Manchmal haben wir nur diesen einen Moment.

    Den letzten, in dem alles perfekt ist.

    Doch wissen wir es nicht.

    Ist das nicht tragisch?«

    Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis.

    Als Nia, beladen mit einem Korb Pflaumen, endlich das Haus betrat, stürzte der Regen draußen auf die Erde wie ein Wasserfall. Es lagen nur ein paar Meter zwischen Stall und Haus, dennoch klebte ihr das Kleid jetzt nass auf der Haut.

    Liz blickte vom Tisch auf, der die Mitte des großen Wohnraums einnahm. Nia sah gerade noch, wie sie ein Stück Papier in den Taschen ihrer schlichten Schürze verschwinden ließ. Besorgt biss sie sich auf die Unterlippe. Vielleicht hatte Shadow recht. War es möglich, dass Liz ihr etwas verheimlichte? Etwas Schlimmes? Fahrig strich Liz sich eine blonde Locke aus dem Gesicht. Ein köstlicher Duft strömte aus dem Topf über der Kochstelle. Nias hungriger Magen knurrte.

    »Da bist du ja endlich«, sagte Liz eine Spur zu laut. »Das Essen ist gleich fertig.«

    »Sehr gut.« Sie ging durch den Raum in den kleinen angrenzenden Flur. Hier gingen drei weitere Räume ab. Nia wandte sich zur rechten Tür, hinter der sich der kleine Lagerraum verbarg, in denen sie Obst, selbstgemachte Marmelade und Kräuter lagerten.

    »Hilfst du mir abladen?«, rief sie über die Schulter und stellte den Korb ab.

    Der Lagerraum hatte nur ein kleines Fenster, nicht groß genug, um den süßen Geruch zu vertreiben, der durch all das Obst dick wie Sirup in der Luft hing.

    »Sicher!«

    Während sie ein Dutzend mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen gefüllte Körbe schleppten, gingen ihr Shadows Worte nicht aus dem Kopf. War Liz wirklich besorgt? Sie musterte ihre Ziehmutter unauffällig, während sie die letzten Körbe hineintrugen. Die vergangenen Tage wirkte sie immer etwas müde und vielleicht hatte ihr kurviger Körper an gesunder Fülle verloren. Aber sie hatte auch viel zu tun gehabt. Den ganzen Tag stand sie auf dem Markt um Obst, Marmelade und Kräutermischungen zu verkaufen. An einem Abend hatte sie dann noch geholfen, das fünfte Kind von Angelika, der Bäckerin, auf die Welt zu bringen. Denn eigentlich war Liz Hebamme. In einem kleinen Dorf wie diesem reichte das jedoch nicht, um die Familie das ganze Jahr durchzubringen. Sie wollte Nia schon länger zu ihrer Assistentin ausbilden. Bisher hatte sie sich davor drücken können. Sie mochte die Arbeit auf der Plantage und in der Natur.

    Mittlerweile hing das Kleid schwer vor Nässe auf ihren Schultern. Auf dem Weg ins Haus überlegte sie, wie sie Liz unauffällig aushorchen konnte. Denn von sich aus berichtete sie nie von ihren Sorgen. Tatsächlich konnte Nia sich nicht darin erinnern, Liz je von ernsthaften Problemen sprechen gehört zu haben. Sie war immer stark, zuversichtlich und fand für alles eine Lösung. Meist hatte sie ein Problem beseitigt, bevor Nia überhaupt wahrgenommen hatte, dass es eins gab.

    Als sie den Lagerraum betrat, kam ihr eine Idee.

    »Ich habe Phil getroffen«, erzählte sie möglichst beiläufig.

    Liz nahm ihr den letzten Korb ab und stellte ihn zu den anderen.

    »Achja?«

    Schon war sie auf dem Weg zurück in den Wohnraum. Sie nahm ein paar Teller aus dem Schrank neben der Feuerstelle.

    »Ja. Er meinte, einer der Händler auf dem Markt erzählt, dass Soldaten auf dem Weg hierher sind.«

    Zum Glück war das Geschirr aus Holz, denn Liz zuckte so heftig zusammen, dass sie einen der Teller fallen ließ.

    »Ach Mist! Ich bin schon den ganzen Tag so ungeschickt!«, schimpfte sie.

    Erschrocken sah Nia sie an. Ihr entging nicht, wie ihre Hand zitterte, als sie den Teller aufhob. Wie blass Liz plötzlich aussah im Licht der brennenden Öllampen, die tapfer gegen die frühzeitige Dunkelheit ankämpften.

    »Liz?« Unsicher suchte Nia ihren Blick.

    Liz pustete sich die regenfeuchten Haare aus dem Gesicht. Ihre blauen Augen wirkten gehetzt.

    »Du weißt doch, wie das ist mit diesen Gerüchten«, antwortete sie schulterzuckend. »Sie kommen immer wieder und nie ist etwas Wahres daran. Wir sind nicht interessant genug für die königlichen Soldaten.«

    Dasselbe hatte Nia zu Phil gesagt. Liz hielt den Blick abgewandt und konzentrierte sich krampfhaft auf das Verteilen der Teller, während sie sprach. Nia kam der Gedanke, dass sie möglicherweise mehr wusste. Vielleicht waren die Gerüchte zum ersten Mal wahr.

    Sie tauschte ihr nasses Kleid gegen ein langärmliges aus grüner Wolle. Wind pfiff unter der Tür hindurch und zwängte sich durch die kleinsten Ritzen in der Wand. Sie holte Emily aus ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, wo das kleine Mädchen frisch gepflückte Blumen auf dem Holzboden verteilte, bis sie einen bunten Teppich bildeten. Sie lagen vor Emilys schmalem Bett an der linken Wand unter dem Fenster, vor der schmalen Leiter, die zu Nias erhöhtem Schlafplatz führte. Mit ihren blonden Locken und den ewig lächelnden Lippen war Emily unverkennbar Liz Tochter. Nur die braunen Augen hatte sie von ihrem Vater geerbt. Immer wenn Nia sie ansah, konnte sie Bram darin entdecken.

    Als Emily sie in der Tür stehen sah, begann sie sofort zu plappern und von ihrem Tag auf dem Markt zu erzählen, wo sie zum ersten Mal selbst Ware angepriesen und verkauft hatte. Sie erzählte mit solch schillernden Worten, dass sich der simple Obstverkauf wie ein richtiges Abenteuer anhörte.

    »Sie hat zu viel von ihrem Vater«, meinte Liz lächelnd, als Nia mit Emily zurückkam.

    Emily runzelte die Stirn. In ihrer schmalen Hand hielt sie immer noch ein paar bunte Blümchen.

    »Ist das denn schlecht?«, fragte sie mit heller Stimme und legte die Blumen neben ihren Teller.

    »Nein, mein Schatz.« Liz strich ihrer Tochter mit einem Lächeln über das Haar. »Im Gegenteil. Das ist ganz wunderbar.«

    Da nickte sie zufrieden.

    Der Duft des Kartoffeleintopfs zog durch den Raum. Eine Weile hörte man nur das Unwetter und das Klappern ihrer Löffel auf den Tellern. Während sie aßen, ertappte Nia sich immer wieder dabei, wie sie Liz beobachtete.

    Ihr Blick wanderte zu der kleinen Tasche, die oben an Liz Schürze eingenäht war. Dort hatte sie vorhin den Brief verstaut. Liz dachte bestimmt nicht sofort daran, ihn aus der Tasche zu nehmen, wenn sie die Schürze nachher über den Haken neben der Kochstelle warf. Vielleicht konnte Nia ihn sich unbemerkt greifen. Bis Liz auffiel, dass der Brief noch darin war, könnte sie ihn längst gelesen haben.

    Nachdenklich kaute sie auf einem Kartoffelstück herum. Es fühlte sich falsch an, so in ihrer Privatsphäre rumzuschnüffeln. Vielleicht sollte sie einfach direkt danach fragen. Aber wenn Liz ihr erzählen wollte, was sie beschäftigte, hätte sie es dann nicht längst getan? Die Angst belogen zu werden war größer als die Angst vor dem Inhalt des Briefs.

    Sie angelte ein Apfelstück aus dem Eintopf und genoss den süßsauren Geschmack, der die besondere Note des Rezepts ausmachte.

    Ein Scharren erklang an der Tür. Sie stand auf und ließ ihre Schultern kreisen, die von dem Arbeitstag ganz verspannt waren. Regen traf sie im Gesicht, als sie die Tür öffnete und ein schlanker, schwarzer Körper durch den Spalt glitt.

    Shadow hob nacheinander ihre Pfoten an und schüttelte sie angeekelt aus. Kleine Schlammspritzer landeten auf dem Fußboden.

    Widerliches Wetter. Hoffentlich ist es bald vorbei.

    »Bestimmt«, murmelte Nia. »Bist du wenigstens erfolgreich gewesen?«

    Bei dem Wetter verkriecht sich jedes kluge Tier. Aber ich habe trotzdem eins gefunden. Sie tapste durch den Raum, hinterließ eine Reihe feuchter Pfotenabdrücke und hielt auf die gepolsterte Sitzbank zu, die neben zwei Sesseln vor dem Kamin stand.

    An der gegenüberliegenden Wand, neben einem kleinen Tisch mit einer Öllampe, stand das große Bücherregal, das Bram über Jahre mit Wissen und Geschichten gefüllt hatte.

    »Wehe du legst dich mit deinem nassen Fell auf die Polster, Shadow!«, mahnte Liz.

    Shadow hielt inne und blickte am Esstisch vorbei zur anderen Seite des Raums.

    »Und von meinen Stoffen hältst du dich auch fern, solange du nicht trocken bist!« Sie deutete auf die Körbe mit Stoffen, Bändern, Garn und Wolle in verschiedenen Farben, die am anderen Zimmerende neben einem Schaukelstuhl und einem Webrahmen standen.

    Die Handarbeit war ihre große Leidenschaft. Wann immer sie nicht arbeitete, nähte sie neue Kleider, webte Ponchos und Decken oder fertigte neue Bezüge für Polster und Kissen an. Nia erinnerte sich noch gut, wie Liz früher Abend für Abend in ihrem Schaukelstuhl gesessen und genäht hatte, während Emily neben ihr im Stubenwagen schlief. Bram saß in einem der Sessel am Kamin, mit Gideon auf der einen und Nia auf der anderen Lehne und las ihnen Geschichten vor. Seit seinem Tod und Gideons Weggang hatte Liz kaum noch Gelegenheit für ihre Handarbeit. Meist reichte die Zeit gerade so, um ein paar Löcher zu stopfen.

    Shadow schnaubte leise. Ich kann ja wieder in den Regen gehen. Dann legte sie sich einfach neben den Esstisch und begann dort ihr Fell zu lecken.

    Nia setzte sich wieder und nahm ihren Löffel.

    Vielleicht hat Phil nicht gelogen.

    Shadow sah von der Pfote auf, die sie gerade putzt.

    Ich habe eine Runde ums Dorf gedreht. Durch den Regen war kaum etwas wahrzunehmen, dennoch habe ich fremde Gerüche bemerkt. Von mehreren Menschen. Sie sind auf dem Weg hierher.

    Nias Löffel fiel zurück in die Schale. Brühe spritzte auf den Tisch »Bist du sicher?«

    Es sind mindestens vier.

    »Was ist los?«, fragte Liz, die nur eine Seite der Unterhaltung hören konnte.

    Nia warf einen Blick auf Emily. Das kleine Mädchen schob mit ihrem Löffel ein letztes Kartoffelstück durch die Brühe.

    »Shadow hat fremde Gerüche wahrgenommen. Sie meint, das Gerücht stimmt vielleicht doch.«

    An Liz starr werdendem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass sie sich an ihr Gespräch von vorhin erinnerte. Sie bemerkte, wie ihre Hand zu der kleinen Tasche an ihrer Schürze zuckte. Dann versuchte sie es zu kaschieren, in dem sie sich das Haar zurückstrich.

    Unbehagen überfiel sie. Ebenso spürte sie Shadows Unruhe in ihrer Brust.

    Da stimmt was nicht, Nia. Hast du sie gefragt, was los ist?

    »Nein«, antwortete sie leise.

    Liz blickte sie an. »Vielleicht solltet ihr heute nicht mehr raus gehen, Schatz.«

    Es klang wie ein Vorschlag. Jedoch mit einem dringlichen Unterton.

    Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Seit sie mit Phil gesprochen hatte, regte sich eine schlimme Befürchtung in ihr. Jetzt mehr denn je.

    Zögernd fragte Nia: »Glaubst du, sie wissen -«

    »Nein«, antwortete Liz eilig. »Aber du solltest jetzt besonders vorsichtig sein.«

    Nia öffnete den Mund. Entschlossen, Liz nach dem Brief zu fragen. Es musste eine Verbindung geben. Aber es drang kein Laut aus ihrem Mund. Denn plötzlich war da die Angst, dass die Antwort alles verändern würde.

    Sie schlafen alle.

    Nia schob ihre Decke beiseite und glitt aus dem Bett. Schon seit einigen Minuten hatte sie Emilys tiefen Atemzügen gelauscht, während Shadow vor Liz Tür ausgeharrt hatte.

    Jetzt schlüpfte sie schnell in eine ihrer älteren Hosen, deren Leder mittlerweile weich und geschmeidig war. Ihr Nachthemd tauschte sie gegen eine lockere Tunika und

    schlüpfte dann barfuß aus dem geöffneten Fenster.

    Shadow blieb dicht an ihrer Seite, während sie den Wald betrat. Zunächst gingen sie am Rand, mit den Bäumen der Plantage zu ihrer Linken. Doch schon bald folgte sie dem schmalen, ausgetretenen Pfad tiefer in den Wald hinein.

    Nia spürte, wie eine Last von ihr abfiel. Die Bürde, sich verbergen und verstellen zu müssen.

    Hier im Wald, wo niemand außer Shadow an ihrer Seite war, konnte sie ganz sie selbst sein. Ihre Barrieren fallen lassen. Zumindest ein Stück weit. Nur ein wenig. Um die Kontrolle nicht zu verlieren. Insofern sie überhaupt von Kontrolle sprechen konnte, denn die hatte sie nie erlernt. Nur das Verbergen. Verstecken. Unterdrücken.

    Die Blätter wirbelten um ihre Füße, als sie ihre inneren Mauern losließ und einen kleinen Magieschwall entließ. Das Gewitter war einem feinen Nieselregen und leise wisperndem Wind gewichen. Shadow bewegte sich neben ihr lautlos, wie ein Schatten.

    Mit der Magie war es ein wenig wie mit Gefühlen. Man musste sie irgendwie rauslassen, sonst fraß sie einen von innen heraus auf. Sie machte einen verrückt und verursachte körperliche Schmerzen. Bram hatte ihr oft Geschichten erzählt von Magischen, die aufgrund unterdrückter Magie wahnsinnig geworden waren. So oft, dass Nia Albträume davon bekam und fürchtete, selbst so zu enden. Sie ließ ihre Magie heraus; in kleinen, stillen Momenten. Doch sie kontrollierte sie nicht. Sie wusste nicht, was für eine Art Magie sie besaß oder was sie damit tun konnte. Das war einer der Gründe, warum unter ihrer Trauer um Bram auch Wut schwelte. Weil er ihr in dieser Sache nicht vertraut hatte. Er hatte seine eigene Magie vor allen, sogar vor Liz, geheim gehalten. Dabei hätte er ihr Lehrer sein müssen.

    Liz dachte, sie würde nachts immer wieder zum Fluss gehen, um dort ungesehen ihre Magie rauszulassen. Doch das tat sie schon lange nicht mehr. Sie hatte einen anderen Ort gefunden, an dem ihre Magie sogar willkommen war.

    Für welches Symbol hast du dich entschieden?

    Die kleine, hölzerne Hütte tauchte zwischen den Bäumen auf, als Shadow diese Frage stellte. Von innen drangen leise Stimmen nach außen. Kerzenschein flackerte im Fenster. Nias Puls beschleunigte sich ein wenig und ein Lächeln erschien in ihrem Gesicht.

    »Wirst schon sehen«, erwiderte sie geheimnisvoll und hielt auf die Hütte zu.

    Die Stimmen verklangen für einen Moment, als sie die leise knarrende Tür öffnete. Dreizehn Männer und Frauen unterschiedlichen Alters blickten sie an.

    Sie saßen auf Kissen und kleinen, zerschlissenen Teppichen auf dem Boden, umgeben von zahlreichen bunten Kerzen.

    »Nia!« Eine kleine Frau mittleren Alters kam auf sie zu. Sie trug ein strahlendes Lächeln im Gesicht und duftete nach Zimt, als sie Nia in eine Umarmung schloss.

    »Hallo Gene.«

    Gene löste sich von ihr und blickte auf die Pantherdame hinab. Shadow verpasste der Tür einen vorsichtigen Schubs mit der Pfote, sodass sie ins Schloss fiel.

    »Ich hab dir deinen Platz frei gehalten«, sagte Gene zu ihr und deutete auf eine kleine Ansammlung von Kissen in einer hinteren Ecke des Raums.

    Shadow streckte sich und trottete dann zu ihrem Lieblingsplatz. Nia spürte, wie ihre Gefährtin sich entspannte. Ihr ging es genauso. Hier in dieser kleinen Hütte, die im Wald verborgen lag, befanden sich die einzigen Menschen, von ihrer Familie abgesehen, die sie vollständig akzeptierten.

    »Komm«, sagte Gene und nahm sie an der Hand. Sie führte sie zu einem freien Platz in der Mitte des Raums, wo sie neben Evie Platz nahm. Diese strich ihr kurzes Haar zurück, sodass Nia die kleine, violette Blüte auf ihrem Hals sehen konnte.

    »Hi.« Evie lächelte. »Was macht das Obst?«

    Sie musste grinsen. Evie war in ihrem Alter und half ihrer Mutter oft auf dem Markt, wo sie Kleidung verkauften. Immer, wenn sie auf den Markt ging, brachte Nia ihr ein Korb frisches Obst mit. Sie wusste, dass sie nicht genug davon bekam.

    Die Stimmen in der Hütte schwollen wieder an. Es war ein ausgelassenes Miteinander und sie fühlte sich so wohl, wie den ganzen Tag nicht. Plötzlich stoben ein paar Funken in die Luft, die Flammen der umstehenden Kerzen schossen in die Höhe und kitzelten das Dach, bis Gene plötzlich »Bryson!«, schrie und das Feuer wieder in sich zusammenfiel.

    Alle blickten sich zu dem kleinen, dunkelhäutigen Jungen um, der nahe der Tür neben zwei anderen Kindern saß und jetzt schuldbewusst dreinblickte.

    »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass wir hier drin nicht mit dem Feuer spielen!« Gene wedelte mit dem Zeigefinger in der Luft.

    »Entschuldige«, murmelte Bryson beinahe schuldbewusst. Nia entging nicht, wie er kichernd mit seinen Freunden tuschelte, sobald Gene sich abwandte.

    »Alles okay?«, fragte Evie und suchte ihren Blick.

    »Klar«, log sie und zwang sich zu lächeln. In Wirklichkeit schlug ihr Herz schmerzhaft schnell. Sie meinte, verbranntes Fleisch zu riechen. In ihrer Erinnerung gellten Schreie. Sie atmete einmal tief durch und versuchte sie abzuschütteln.

    »So! Alle mal herhören!« Gene war auf einen Hocker gestiegen, überragte sie aber dennoch nur wenige Zentimeter. »Schön, dass ihr alle hier seid. Heute nehmen wir eine Initiation vor. Nia hat letzte Woche ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert und ist damit bereit.«

    Applaus erklang, leise und verhalten, denn auch an diesem

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