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Bienen und Honig: Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart
Bienen und Honig: Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart
Bienen und Honig: Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart
eBook592 Seiten6 Stunden

Bienen und Honig: Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart

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Über dieses E-Book

Menschen und Bienen stehen seit Jahrtausenden in enger Beziehung, da Honig lange Zeit das einzige Süßungsmittel darstellte und auch die gesundheitlichen Wirkungen früh erkannt sowie mannigfaltig genutzt wurden. Der vorliegende Sammelband nimmt dieses Verhältnis von Menschen, Bienen und Honig in den Blick und liefert Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Die unterschiedlichen Perspektiven aus Geschichts- und Kulturwissenschaft sowie Literatur- und Sprachwissenschaft demonstrieren den hohen Stellenwert von Bienen, Honig und Imkereiwesen entlang folgender Themenbereiche: Honiggewinnung und -verarbeitung von der Antike bis heute; Honig in der mittelalterlichen Lebenswelt; Honig in Medizin und Diätetik; Innovationen in der Bienenliteratur der Neuzeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum10. Okt. 2023
ISBN9783706563611
Bienen und Honig: Beiträge zu einer Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart

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    Buchvorschau

    Bienen und Honig - Gerhard Ammerer

    GERHARD AMMERER, MICHAEL BRAUER UND MARLENE ERNST

    Bienen und Honig – eine Kulturgeschichte

    Einleitende Überlegungen

    Die enge Verbindung zwischen Menschen und Bienen, die die Geschichte prägt, ist kulturhistorisch bemerkenswert: Wo sonst haben Menschen Vertreter der Tierwelt, die keine Säugetiere sind, dermaßen intensiv zu Nutztieren gemacht? Während Rinder, Schafe, Pferde und Hunde dem Menschen als Wirbeltiere sowie aufgrund ihres Lebensraums und ihrer Ernährungsgewohnheiten nah verwandt sind, stellen Insekten das große Andere der Tierwelt dar, das aus einer viel früheren Phase der Erdgeschichte stammt. Das beginnt schon mit der unterschiedlichen Körpergröße, die grundsätzlich differierende Prinzipien des Körperbaus1 erlaubt: Säugetiere tragen im Körperinneren ein Skelett, an das über Sehnen die Muskeln angebunden sind und das mit einer recht empfindlichen äußeren Hautschicht endet. Demgegenüber sind Insekten von außen nach innen konstruiert, da Muskeln und innere Organe von einem harten Chitinpanzer umschlossen und gleichzeitig an diesem befestigt sind. Ist es angesichts dieser und vieler weiterer Unterschiede – etwa bei den Sinnesorganen und beim Stoffwechsel – nicht bemerkenswert, dass die Bienen schon 90 Millionen Jahre vor den Menschen eine Form des sozialen Miteinanders gebildet haben, die in der Biologie als „Staat" gilt?2

    Dass Menschen seit der Steinzeit ein großes Interesse an diesen Insekten haben, liegt vorrangig am Honig. Dieser stellte für Jäger und Sammler das einzige reine Süßungsmittel dar, und auf Süßes reagieren die Menschen bekanntlich so stark, da der darin enthaltene Zucker die Energieversorgung des Gehirns sicherstellt. In der Natur findet sich Honig ausschließlich bei Bienen, die ihn zur eigenen Ernährung produzieren. Dabei sammeln sie zuckerhaltigen Blütennektar, reichern ihn mit Enzymen an und dicken ihn durch Verdunstung so lange ein, bis lagerfähiger Honig entstanden ist, den sie in Waben mit Wachs verschließen. Auf diese Tatsache geht zurück, dass Bienen und Honig ein kongruentes Begriffspaar bilden, das sich auch im Titel des vorliegenden Sammelbands3 widerspiegelt.

    Illustration

    Abb. 1: Adam Lonicer, Vollständiges Kräuter-Buch, und künstliche Conterfeyungen der Bäumen, Stauden, Hecken, Kräutern, Geträyde, Gewürzen etc. …, Holzschnitt, altkoloriert aus der ersten Ausgabe Frankfurt 1575 und einer späteren, ergänzten Ausgabe Ulm 1737, 637. Privatbesitz G. Ammerer

    Gleichwohl liegt der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Thema in der Gegenwart. Liest man die vielen Beiträge in den Zeitungen gerade der letzten Jahre, so sind die Artikel zu unserem Thema besonders von zwei Schlagzeilen geprägt: einerseits von der Berichterstattung innovativer Trends in der Bienenhaltung und andererseits und wesentlich häufiger vom Problem des Bienensterbens und den Bemühungen um den Schutz der (nicht nur) so wichtigen Bestäuber. Die Ursachen des Bienensterbens sind vielfältig, neben Belastungen durch Krankheiten, Viren und Parasiten sind die Probleme zu einem gewichtigen Teil vom Menschen „gemacht".4

    So hat die Europäische Gemeinschaft nach dem Bee-Guidance-Dokument von 2013, in dem der wissenschaftliche Standard für die Risikobewertung von Pestiziden für Bienen festgelegt worden war,5 auf der Basis von eingehenden Studien über die Gefährlichkeit von gewissen Insektiziden im April 2018 mehrheitlich für ein Freilandverbot (zumindest) von drei Neonicotinoiden gestimmt6 – den österreichischen Imker:innen ging und geht dieses Verbot allerdings zu wenig weit.7 Die GAP, die Gemeinsame Agrarpolitik, fördert seit der programmatischen Hinwendung und dem Beschluss zu einer „bienenfreundlichen Landwirtschaft 2020 aktuell das Anlegen von Blühmischungen auf Ackerflächen, insbesondere auf Ackerrandstreifen, als effizienteste und am raschesten umsetzbare Methode, um Honig- wie auch Wildbienen den Aufbau arterhaltender Populationen zu ermöglichen. Der Förderung der Vielfalt in Flora und Fauna wird wohl auch in der nächsten GAP-Periode ab 2023 ein besonderes Augenmerk zukommen, nicht zuletzt aus der Absicht, der Honigbiene ein ausreichend vielfältiges Pollen- und Nektarangebot zu gewährleisten. Die regionalen Ideen und Maßnahmen zur „Bienenförderung sind recht unterschiedlich, sind durch Innovationsreichtum geprägt und insgesamt wohl doch effektiv, auch wenn man die Wirkungen nur unvollständig erfassen kann.8 Im Land Salzburg kam es im Jahr 2017 nach einem herben Verlust von 30 bis 50 Prozent der Bienenvölker durch die Varroamilbe, des weltweit meistverbreiteten Bienenschädlings, wieder zu einem Aufwärtstrend und 2.560 Imker betreuten mehr als 25.000 Bienenvölker. Dabei war und ist bei Jungen und Junggebliebenen ein deutlicher Trend zur Imkerei und Bienenhaltung festzustellen.9

    Wenngleich dieser regionale Trend erfreulich ist, lässt er nicht auf die Gesamtsituation in Mitteleuropa oder darüber hinaus schließen. In Szechuan etwa, einem der wichtigsten Obstanbaugebiete Chinas, hat der exzessive Einsatz von Pestiziden zum nahezu vollständigen Aussterben der Tierwelt und das Fehlen der Bienen dazu geführt, dass die Bauern ihre Bäume mühsam mit Pinseln von Hand bestäuben müssen. Um für den schlimmsten Fall des möglichen Aussterbens der Bienen gerüstet zu sein, wird bereits seit Jahren weltweit intensiv an Mini-Robotern geforscht, die von Blüte zu Blüte fliegen und die Bestäubung künstlich vornehmen sollen. So wurden an der Harvard University im US-Bundesstaat Massachusetts ab 2012 die sogenannten Robo-Bees entwickelt, an den britischen Universitäten Sheffield und Sussex arbeiten Forscher:innen am Projekt „Green brain", wobei die Entwicklung das Ziel hat, die Bienenroboter mit einem Geruchsund Geschmackssinn auszustatten.10 Damit die wohl für die meisten Menschen entsetzliche Vorstellung einer Welt ohne Bienen11 nicht Wirklichkeit wird, verzeichnen zahlreiche Länder seit Jahren Protestveranstaltungen ebenso wie Initiativen zu Hilfsmaßnahmen für den Erhalt der Bienenpopulation. So protestierten 2021 etwa in Paris Umweltschützer:innen vor dem Gebäude des französischen Staatsrats gegen die geplante Aufhebung des Neonicotinoid-Verbots, das den Rübenbauern zugutekommen sollte, den Bienenbestand jedoch massiv gefährden würde.12 Dass selbst die Kronenzeitung13 2021 zwei Sonderhefte zum Thema Bienen veröffentlichte (und sogar einige Völker auf dem Dach des Redaktionsgebäudes, des Pressehauses in Wien, unterhält),14 scheint ein deutlicher Hinweis auf das zunehmende allgemeine Problembewusstsein zu sein, das nicht zuletzt die Presse erfasst hat.

    Im Jahr 2019, wurde von Salzburgs Nachbarn, dem Freistaat Bayern, unter dem Motto „Rettet die Bienen ein höchst erfolgreiches Volksbegehren unter dem Titel „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern, abgehalten, das knapp 1,7 Millionen Menschen – das sind mehr als 18 Prozent der Stimmberechtigten – unterschrieben haben und dem fast überraschend rasch bereits am 1. August desselben Jahres tiefgreifende Änderungen im Bayerischen Naturschutzgesetz folgten.15 In Salzburg wurde dieses Volksbegehren als vorbildlich gepriesen und zur Nachahmung aufgerufen.16 Die Sensibilisierung der Bevölkerung wird neben ‚offiziellen‘ Projekten auch durch eine intensive Pressearbeit gefördert. Laufend wird der Anbau von Wiesenblumen und Sträuchern vor allem in urbanen Privatgärten propagiert, um „ein reichhaltiges Nektar- und Pollenangebot"17 für die Bienen zu schaffen.

    In diesem Band möchten wir dem Verhältnis von Menschen und Bienen bzw. der Problematik die historische Dimension geben, die sie verdient. Denn wie erwähnt, fand Honig bereits in der Steinzeit als Nahrungsmittel Verwendung, wie rund 9000 Jahre alte Höhlenzeichnungen in Ostspanien zeigen. Früh schon lässt sich auch die besondere Wertschätzung konstatieren. Honig galt in Ägypten als „Speise der Götter" und Quelle der Unsterblichkeit und diente bereits um 3000 v. Chr. als wertvolle Grabbeigabe. In Europa war Honig bekanntlich bis zum weitgehenden Ersatz durch Zuckerrohr (verstärkt ab dem 17. Jahrhundert) und durch die Zuckerrübe (ab dem 19. Jahrhundert) der einzig verfügbare Süßstoff, der hochgeschätzt war und teuer bezahlt wurde. Der Band will freilich nicht mit den epochenübergreifenden Werken über Bienen und Honig konkurrieren,18 sondern fokussiert auf inhaltliche Gliederungspunkte, die von Epoche zu Epoche variieren können. Auch beginnen die Ausführungen nicht mit Betrachtungen zur Steinzeit, sondern mit der Antike, wo von Griechen und Römern das Thema erstmals auf breiter Basis literarisch behandelt wurde.

    Vorab noch ein Wort zu den Disziplinen, die im Band vertreten sind, und ihrer besonderen Herangehensweise an das Thema Bienen und Honig: Die Geschichtswissenschaften sind für diesen Band die erste Anlaufstelle, wenn es um die groben Umrisse des menschlichen Umgangs mit Bienen und Honig geht. Hier sind Zäsuren wie der Übergang von Wildbienen zu Bienenzucht relevant wie auch technische Fragen der Honiggewinnung und ernährungsgeschichtliche nach dem Einsatz von Honig in Speis und Trank sowie Versorgungs- und Verwaltungsaspekte dieses Themas. Die (vor allem mediävistische) Literaturwissenschaft ist in diesem Band ebenfalls stark vertreten. Das liegt darin begründet, dass Rezeptsammlungen als Sach- und Gebrauchstexte, so sie auf Deutsch verfasst sind, auch in den Zuständigkeitsbereich der Germanistik fallen. Wenn es um das Nahrungsmittel Honig geht, gleichen sich somit geschichts- und literaturwissenschaftliche Fragestellungen, die außerdem fließend in den Bereich der Medizingeschichte übergehen, wenn Honig als Heilmittel eingesetzt wurde. Anders liegt der Fall, wenn Bienen und Honig literarisch oder poetisch thematisiert werden und somit der zeitgenössisch-künstlerische Ausdruck Untersuchungsgegenstand ist. Eine weitere Sichtweise kann die Sprachwissenschaft beisteuern, wenn nicht nur Texte und Textgestalt, sondern auch Fragen nach den Gattungen, in denen Bienen und Honig historisch erwähnt werden, Gegenstand der Analyse sind. Viele Beiträge orientieren sich an der Kulturwissenschaft und ihrer Grundfrage, wie der Mensch in der Welt symbolische Bedeutung produziert. Dabei kommt als Thema vor allem das Verhältnis von Natur und Kultur infrage: Was bedeutet es, wenn wilde Bienen schrittweise domestiziert werden und man von Bienenzucht sprechen kann? Wie lässt sich darüber hinaus das Zusammenleben der Bienen im Bienenstaat mit der menschlichen Gesellschaft vergleichen und als moralisches Exempel nutzen.19 Was bedeutet das Bienensterben für den Menschen und seine Sicht auf die Welt?

    Stephan Lorenz eröffnet den Band mit aktuellen Perspektivierungen der Kulturund Sozialwissenschaften, indem er „Honigbienen als Natur-Kultur-Mediatoren" bezeichnet. Honigbienen seien nämlich zwischen Naturwesen und Kulturwesen anzusiedeln und bildeten dadurch Anknüpfungspunkte für eine vielfältige Bienensymbolik. Bienenfleiß, der Bienenstaat und der Bienenvater sind nur einige dieser Motive, die auch literarisch genutzt werden. Die kulturelle Aufgeladenheit der Honigbienen führt Lorenz auch als Erklärung an, warum in den letzten Jahren ökologische Krisen so oft anhand von Bienen verhandelt wurden.

    Illustration

    Abb. 2: Figürliche Vignette, Kupferstich von Jacobus Buys, ca. 1770. Privatbesitz G. Ammerer

    Der Abschnitt Honiggewinnung und -verarbeitung von der Antike bis heute beschäftigt sich mit den sich wandelnden Praktiken rund um die Erzeugung von Bienenprodukten – vom Sammeln des Rohstoffs in der Antike bis hin zu den Technologien in der Moderne.

    Dominik Berrens startet dabei mit den antiken Darstellungen zur Honigproduktion wie auch -gewinnung. Für Plinius führen vor allem die zahlreichen Honigerzeugnisse wie auch der ihnen zugeschriebene Fleiß zur Bewunderung der Bienen. Die große Bedeutung der Honigbiene wird durch weitere antike Autoren, wie etwa Vergil, unterstrichen. Dabei wird zudem viel zur Entstehung des Honigs theoretisiert (eine große Rolle dabei spielt in der antiken Weltanschauung etwa die Luft). Doch auch die praktischen Ansätze kommen in dem Beitrag nicht zu kurz und geben Aufschluss zur griechisch-römischen Bienenkunde.

    Über die Honiggewinnungs- und -verarbeitungsmethoden im Mittelalter berichtet Astrid Böhm in ihrem Beitrag. Sie spickt diesen mit Beispielen aus dem mittelalterlichen Zeidelwesen ebenso wie mit (haus-)wirtschaftlichen Rezepten und bietet dadurch auch Einblicke in die Verwendung außerhalb der Anwendungsgebiete Medizin und Kulinarik. Im Mittelalter spielte bei der Honiggewinnung vor allem die Waldbienenhaltung, die Zeidlerei, eine zentrale Rolle und bot auch auf Basis der ausgedehnten Waldflächen genügend Rohmaterial für die allgegenwärtigen Honigerzeugnisse in Haus und Garten, als Verpackungsmaterial oder bei der Ungezieferbekämpfung.

    Wie in der Frühen Neuzeit Bienenprodukte weiterverarbeitet wurden und welchen Stellenwert das Lebzelter-Handwerk hatte, erfahren wir von Dominik Maislinger. Die Bedeutung von Wachskerzen und anderen Wachsprodukten ist dabei nicht zu unterschätzen. Insbesondere erstere wurden bei zunehmend opulenteren Hofhaltungen vermehrt zur Repräsentation benötigt, was zu einem Aufschwung im Lebzelterhandwerk in der Frühen Neuzeit führte. Natürlich gehörten nach wie vor auch Lebkuchen und Met zu den Geschäftszweigen. Anhand des Fallbeispiels Salzburg wird in dem Beitrag diesen Entwicklungen genauer auf den Grund gegangen.

    Einen Blick hinter die Kulissen der modernen Imkerei werfen im letzten Beitrag dieser Sektion Marie-Helene Wichmann und Thorsten Kluss. Sie gehen dabei auf die neuen Technologien sowie die Transformation der Mensch-Biene-Beziehung aus der Perspektive von Imker:innen und Insekten gleichermaßen ein. Angefangen mit dem Zeidelwesen über die verschiedenen Bauweisen der Beuten bzw. Stöcke wird auf allen Entwicklungsstufen der Frage nach den Auswirkungen für die Bienen hinsichtlich interner Kommunikation wie auch anderen Verhaltensweisen nachgegangen – insbesondere im Kontext der zunehmenden, effizienzgetriebenen menschlichen Eingriffe in das Schwarmverhalten.

    Der Abschnitt über Honig in der mittelalterlichen Lebenswelt versammelt aus der Feder von Germanist:innen und Historiker:innen Untersuchungen zu Honig in der Ernährung sowohl im Okzident als auch im Orient, zu Honig und Wachs als Verwaltungsgegenstand sowie zu Bienenbeschwörungen.

    Helmut W. Klug analysiert Honig als Zutat im Korpus der mittelalterlichen Kochrezepttexte mit Hilfe von Digital-Humanities-Methoden. Der Befund ist, dass Honig als Süßungsmittel weit vor Zucker rangierte, aber auch für andere Zwecke Verwendung fand, etwa zum Eindicken und Konservieren von Speisen, als Klebstoff und zum Färben. Honig war eine wichtige Zutat in Mus-, Latwerge- und Sülzenrezepten, aber ebenso bei Mehlspeisen und Fleischgerichten. Darüber hinaus zeigt Klug anhand von medizinisch-theoretischen Schriften, dass dem Honig eine ausgleichende Rolle in der Diätetik zugemessen wurde.

    Andrea Hofmeister-Winter geht der Verbreitung von Honig bzw. Zucker in Orient und Okzident anhand des Púchs von den chósten nach, einer (einzigartigen) deutschen Übersetzung von orientalischen Rezepten und diätetischen Anweisungen. Dabei stellt sich heraus, dass Zucker außer in Süßspeisen vor allem in süßsauren Schmorgerichten zur Anwendung kam – zur diätetischen (und geschmacklichen) Abfederung der Säure. Dies steht in starkem Kontrast zur okzidentalen (hier deutschen) Überlieferung, in der Honig zum Süßen präferiert und der teurere Zucker vor allem zur Dekoration (Bestäuben) eingesetzt wurde.

    Barbara Denicolò untersucht das Auftreten von Honig und Wachs in Tiroler Urbaren und Rechnungsbüchern. Dabei kommt sie zu dem Befund, dass Honig und Wachs in dieser Überlieferung kaum eine Rolle spielten, wogegen sie ansonsten im Mittelalter als Zahlungsmittel oder Abgabe hervortraten. Durch minutiöse Rekonstruktion der Rechnungsbücher kann sie plausibel machen, dass Wachs und Honig aus Italien bzw. nordalpinen Gebieten importiert wurden.

    Deutschsprachigen Bienenbeschwörungen zwischen Mittelalter und Neuzeit gilt das Interesse von Wernfried Hofmeister. Ausgangspunkt ist ein lebensweltliches Problem: der Wert von Bienenstöcken und Bienenprodukten in der Wirtschaft und die Sorge, dass ein Bienenschwarm auf angrenzende Gebiete umsiedeln und damit verlorengehen konnte. Bienenbeschwörungen sind als zeitgenössische Versuche zu verstehen, dieses Schwärmen vor dem Hintergrund eines magischen Weltverständnisses zu verhindern, indem höhere Machtinstanzen rituell, in besonderer sprachlicher Form angerufen wurden. Der auf diese Weise neuinterpretierte „Lorscher Bienensegen" wird im Beitrag zusätzlich mit späteren Zeugnissen kontrastiert.

    In dem Abschnitt zu Honig in Medizin und Diätetik sind die Beiträge zu den medizinischen Anwendungsgebieten der Honigerzeugnisse zusammengefasst – von den antiken Vorbildern über mittelalterliche Schriftzeugnisse bis hin zur schulmedizinischen Verwertbarkeit von heute.

    Karl-Heinz Steinmetz eröffnet die Sektion mit den graeco-perso-arabischen Honigmedikamenten in der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM). In diesem vormodernen Medizinsystem konnte Honig sowohl eine therapeutische (wundverschließende, stärkende und auch wärmend-anregende) als auch eine galenische Wirkung als Trägersubstanz haben. Besonders die galenischen Honigzubereitungen – so die Hypothese – haben entscheidend zur Herausbildung der Apotheken im Spätmittelalter beigetragen, da durch sie Arzt, Apotheker und Obrigkeit gleichermaßen verdienten; erst durch sie war ein Apotheker wirklich Apotheker. Als die Honig-Rezepte in der Frühneuzeit „demokratisiert" wurden, kam es zu einer Produktumstellung im Sortiment.

    Als mittelalterliches Fallbeispiel geht Ylva Schwinghammer den Honigrezepten im Admonter Bartholomäus nach, stellt diese in Relation zu weiteren arabischen, europäisch-lateinischen sowie deutschsprachigen Quellen und setzt dadurch den Streifzug durch die Honigarzneigeschichte fort. Dieses Arzneibuch des frühen 15. Jahrhunderts berichtet vor allem davon, wie sehr die Süße des Honigs als Hilfsstoff in vielerlei Medizinprodukten der Zeit Verwendung fand, insbesondere um dem häufig bitteren Geschmack derselben Herr zu werden. Aber auch die entzündungshemmende Wirkung des Honigs wird thematisiert. Zu Latwergen, Zäpfchen oder anderweitigen Tinkturen verarbeitet, galt der Honig als Heilmittel für diverse Gebrechen von Augenbeschwerden über Verstopfung bis hin zu dem noch heute gängigen Anwendungsgebiet des Hustens.

    Welchen Stellenwert der Honig in der modernen Schulmedizin hat, das wird im dritten und letzten Beitrag des Abschnitts von Peter Weiler zusammengefasst. Ohne zu viel zu verraten: Allzu groß sind die Anknüpfungspunkte nicht geblieben und der Honig wird heutzutage auch ausschließlich als Lebensmittel (und nicht Arzneimittel) geführt, wobei medizinische Studien zu Honig wie auch anderen Bienenprodukten rar sind. Dennoch ist die über Jahrhunderte erprobte entzündungshemmende Wirkung von Honig nicht von der Hand zu weisen.

    Der Abschnitt zu Innovationen in der Bienenliteratur der Neuzeit versammelt neben inhaltlichen Befunden auch Untersuchungen zu neuen Gattungen und Medien sowie zu Institutionen und Schlüsselfiguren – häufig Pfarrer, Priester bzw. Ordensleute – der Bienenforschung.

    Der Beitrag von Thomas Gloning über die „Explosion der Bienenliteratur in der Neuzeit nimmt eine Schlüsselposition im Sammelband ein, da er die historische Literatur über Bienen auf einer Meta-Ebene untersucht. Während die antike und mittelalterliche Literatur immer nur einzelne Abschnitte über Bienen enthalten habe, sei es in der Neuzeit zu den ersten monographischen Werken über Bienen gekommen, deren Quantität ab dem 17. Jahrhundert enorm zugenommen habe. Es folgt im ersten Abschnitt eine Erkundung der Themen und Medien (Buchdruck vs. Handschrift, Zeitschriften), die durch die Entstehung von Bienengesellschaften und -vereinen als „Textnutzungs- und Wissensproduktions-Gemeinschaften stimuliert worden seien. Der zweite Abschnitt widmet sich den Darstellungsformen in der Bienen-Literatur der Neuzeit, die Monographien, Artikel, Rezensionen und Bibliographien umfassen. Diese Texte sind nicht selten wie Katechismen mit Hilfe eines Frage-Antwort-Schemas organisiert, andere nach Art von Wörterbüchern. Ab dem 18. Jahrhundert sind Abbildungen nicht mehr nur ornamental, sondern tragen auch eine inhaltliche Funktion.

    Ulrike Kruse untersucht die Hausväterliteratur auf Bienen und Honig, die wegen ihrer ökonomischen Nützlichkeit sowie der vielfältigen Anwendbarkeit von Honig und Wachs in Medizin, Ernährung und Religion zu den wichtigen Themen dieser Literaturgattung gehörten. Die behandelten Punkte umfassen Bienenerwerb und Bienenhaltung, den Umgang mit Bienenkrankheiten, Honig- und Wachsgewinnung sowie deren Verwendung und Weiterverarbeitung. Anhand von ausgewählten Texten von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis um 1700 lassen sich Verschiebungen in den naturkundlichen Betrachtungen wie auch in den kulinarischen Anwendungen ausmachen.

    Im zeitlichen Anschluss daran widmet sich Gisa Bauer dem Verhältnis von Bienenzucht und Theologie im 18. Jahrhundert. Dabei untersucht sie insbesondere die Rolle und die Innovationskraft der Pfarrer, die in ökonomisch schwierigen Zeiten auf die Erträge der Bienenzucht angewiesen waren, aber die Naturforschung gleichwohl als Gotteslob sahen, auf drei Feldern: erstens als Imker in Bezug auf die Geschichte der Bienenhaltung und ihre speziellen Entdeckungen oder Erfindungen, zweitens als Erfinder, wobei der Zusammenhang von Theologie und Naturbegeisterung hergestellt wird, und drittens als Volksaufklärer, die naturwissenschaftliches und landwirtschaftlich-ökonomisches Wissen verbreiteten, aber dabei gleichwohl eine theologische Agenda vertraten.

    Illustration

    Abb. 3: Der Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert zeigt die Technik, Bienenschwärme einzufangen. Privatbesitz G. Ammerer

    Wesentlich für Innovationen waren eine Reihe von Bienenvereinen, die sich um dieses Thema bemühten. Die 1766 gegründete Ökonomische Bienengesellschaft in der Oberlausitz beschreibt Markus Lay als einflussreichste Sozietät näher und geht vor allem der Frage nach, wie die neuen Erkenntnisse vermittelt wurden. 1761 beschrieb der Pfarrer Adam Gottlob Schirach die Methode, Königinnen aus junger Larvenbrut nachzuziehen – die sogenannte Ablegermethode, die noch heute eine gängige Imkerpraxis darstellt. Schirach bemühte sich im Sinn der Volksaufklärung auch mit seinem zu Studienzwecken angelegten Bienengarten um eine Verbesserung und die Verbreitung des Wissens um die Biologie der Biene und die rationelle Bienenhaltung. Neben der Fachliteratur nutzten er und die Sozietät zur Weitergabe des Wissens auch Medien wie Kalender und Katechismen, Journale und Intelligenzblätter.

    Bernadette Kalteis nähert sich dem Thema für das folgende Jahrhundert an, ebenfalls anhand einer Einzelperson. P. Aemilian Pesenböck (1786–1874), der als Konventangehöriger des Klosters Melk von der Bienenzucht fasziniert war, wies schon 1819 auf das durch die Intensivierung der Agrarwirtschaft vorangetriebene „Wiesensterben und damit die Minderung der Nahrungsgrundlage für die Bienen hin. Wegen des immer noch fortschreitenden Niedergangs der Bienenzucht propagierte Pesenböck ab 1860 die Methode nach dem schlesischen Priester und Bienenforscher Johann Dzierzon, dessen Bienenstöcke mit beweglichen Holzleisten ausgestattet und von der Seite und von hinten zu öffnen waren. Dadurch konnte Honig entnommen werden, ohne den Stock zu zerstören, und zudem war die forschende Beobachtung des Inneren desselben möglich. Pesenböck publizierte in diversen Fachblättern und verzeichnete sogar einige persönliche „Schüler innerhalb der Melker Ordensgemeinschaft.

    Illustration

    Abb. 4: Kupferstich des 18. Jahrhunderts: Die H. Ioanna Franc: reizet auch Andere zur Tugend. / Reizend riecht die guldne Veile, / Süsse Schaar der Bienen eile, / Sauge reichen Saft daraus: / Stärker doch, bevor die Jugend / Reizet der Geruch der Tugend: / Wie die Mutter, so das Haus. Privatbesitz G. Ammerer

    Die vielfältigen Perspektiven zum Thema Bienen, Honig und Imkereiwesen zeigen erneut auf, welchen Stellenwert – nicht nur historisch betrachtet – die mit Fleiß identifizierten Insekten in unserem Ökosystem aufweisen. Durch die Zusammenstellung der Beiträge in diesem Band möchten wir den Diskurs dazu um weitere, vielfältige und vor allem nachhaltig wichtige Aspekte ergänzen, sodass wir Bienenwärter:innen bzw. Bienenhüter:innen – die ursprüngliche und in vielen Sprachen nach wie vor übliche Bezeichnung der Imker:innen20 – im wahrsten Sinne des Wortes werden.

    Illustration

    Abb. 5: Bienenstock, Kupferstich-Ornament um 1750. Privatbesitz G. Ammerer

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    Forschungsliteratur

    Julia BURKHARDT, Hg., Von Bienen lernen: Das Bonum universale de apibus des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf: Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (= Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 7, 1–2), Regensburg 2020.

    Eva CRANE, A Book of Honey, Oxford / New York 1980.

    Eva CRANE, The Archaeology of Beekeeping, Ithaca 1983.

    Eva CRANE, The World History of Beekeeping and Honey Hunting, New York 1999.

    Franz LERNER, Blüten, Nektar, Bienenfleiß. Die Geschichte des Honigs, München 1984 [ursprüngliche Ausgabe unter anderem Titel:] Franz LERNER, Aber die Biene nur findet die Süßigkeit. Kleine Kulturgeschichte des Honigs, Düsseldorf / Wien 1963.

    Susanne LÜHN-IRRIGER, Die Biene im deutschen Recht von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Juristische Reihe 129), Münster 1999.

    Lotte MÖLLER, Wie Bienen und Menschen zueinanderfanden. Ein Streifzug durch Jahrhunderte und Jahreszeiten, München 2019.

    Karl WEISS, Bienen und Bienenvölker (= C. H. Beck Wissen), München 1997.

    Internetressourcen & Zeitungsberichte

    Bayerisches Naturschutzgesetz (BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl. S. 82, BayRS 791-1-U), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Dezember 2022 (GVBl. S. 723) geändert worden ist.

    Christian BOIGENZAHN, EU-Kommission beschließt Freilandverbot von Neonicotinoiden, online unter: https://www.biene-oesterreich.at/eu-kommission-beschliesst-freilandverbot-von-neonicotinoiden-agrarpolitik+2500+1138287+1000262?env=YmFjaz0xJm1vZGU9bmV4dCZwYWdpbmc9eWVzX18wJTI1X0FOQ0hPUiUyNQ (21.03.2023).

    Harald Czycholl, BSSSSSSSSHHH, in: Die Welt, 1. Juli 2017, 21.

    „Das Wunder Bienen", Sonderheft der Kronenzeitung vom 19. Juni 2020.

    „Die Welt der Bienen", Sonderheft der Kronenzeitung vom 21. März 2021.

    „Guidance on the risk assessment of plant protection products on bees (Apis mellifera, Bombus spp. and solitary bees) | EFSA", 04.07.2013, online unter: https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/3295 (21.03.2023).

    Thomas HÖDLMOSER, Wie wir die Bienen retten, in: Salzburger Nachrichten vom 25. Mai 2019, 9.

    „Imker", Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793–1801, online unter Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, https://www.woerterbuchnetz.de/Adelung?lemid=I00055 (21.03.2023).

    MARB, Die Bienen in Salzburg waren besonders fleißig, in: Salzburger Nachrichten vom 31. August 2017, 7.

    N. N., 800.000 Bienen vergiftet: Haftstrafe für Obstbaumeister, in: Salzburger Nachrichten vom 27. September 2018, 10.

    N. N., Die Zahl der Imker nimmt zu, in: Tennengauer Nachrichten vom 7. September 2017, 7.

    N. N., Initiator des bayerischen Bienenvolksbegehrens ist zu Gast in Salzburg, in: Salzburger Nachrichten vom 24. April 2019.

    Doris PASCHER, Erfolg für „Rettet die Bienen", in: Salzburger Nachrichten vom 5. April 2019, 4.

    Matthias PETRY, Wildbienen beleben den Löwensternpark, in: Tennengauer Nachrichten vom 30. Mai 2018, 5.

    Thomas STÜBLER, „Gstättn" im Kreisverkehr ist Teil eines Wildbienenprojekts, in: Tennengauer Nachrichten vom 5. Oktober 2017, 13.

    Andreas TRÖSCHER, Den Bienen droht Ungemach, in: Salzburger Nachrichten vom 10. April 2018, 11.

    1Vgl. Karl W EISS , Bienen und Bienenvölker (= C. H. Beck Wissen), München 1997, 19.

    2Dieser Bienenstaat besteht – anders als größere menschliche Gesellschaften – aus einer Familiengemeinschaft, genauer einer Mutterfamilie, die von der Königin abstammt und von einer genauen Arbeitsteilung zwischen Nachwuchserzeugung (Königin) sowie Brutpflege, Nahrungsbeschaffung, Nestbau und Verteidigung (Arbeiterinnen) geprägt ist. Dies trifft allerdings nur auf 15 % der Bienen zu, wogegen die übrigen solitär leben: vgl. Weiss, Bienen und Bienenvölker, 34; 100–105.

    3Der Sammelband geht auf eine gemeinsam von der Gastrosophie an der Universität Salzburg und dem Stift Admont organisierte Tagung im Jahr 2018 zurück. Wir möchten uns bei folgenden Personen und Institutionen für ihre Mitwirkung beim Zustandekommen der Tagung sowie der Publikation der Referate herzlich bedanken: bei der Bibliothekarin Karin Schamberger und dem Prior, Stiftsbibliothekar und -archivar P. Maximilian Schiefermüller OSB des Benediktinerstifts Admont, der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris Lodron Universität (jetzt: Förderverein zur wissenschaftlichen Forschung an der Paris Lodron Universität Salzburg) sowie beim Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg für die finanzielle Unterstützung, schließlich auch bei allen Referent:innen für die Ausarbeitung ihrer Beiträge und ihre Mitarbeit am Open Peer Review. Dem Studienverlag sei für die reibungslose Zusammenarbeit gedankt. Weiters möchten wir uns bei Verena Deisl für die redaktionelle Unterstützung bedanken. Unser besonderer Dank gilt Beate Rödhammer, die von der Gastrosophie aus nicht nur die Tagung organisiert, sondern auch die Referent:innenauswahl und die Beiträge inhaltlich begleitet hat.

    4Vgl. allerdings auch die Hinweise zum Colony Collapse Disorder (CCD), wo Bienenschwärme ohne menschliches Zutun einfach verschwinden, im Beitrag von Stephan Lorenz in diesem Band.

    5„Guidance on the risk assessment of plant protection products on bees (Apis mellifera, Bombus spp. and solitary bees) | EFSA", 04.07.2013, online unter: https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/3295 (21.03.2023).

    6Christian B OIGENZAHN , EU-Kommission beschließt Freilandverbot von Neonicotinoiden, online unter: https://www.biene-oesterreich.at/eu-kommission-beschliesst-freilandverbot-von-neonicotinoiden-agrarpolitik+2500+1138287+1000262?env=YmFjaz0xJm1vZGU9bmV4dCZwYWdpbmc9eWVzX18wJTI1X0FOQ0hPUiUyNQ (21.03.2022). Die Anwendung von verbotenen Spritzmitteln – Österreich weist strengere Gesetze als die EU auf – wird bei offensichtlichem Bienensterben auch streng gerichtlich verfolgt, vgl. z. B.: N. N., 800.000 Bienen vergiftet: Haftstrafe für Obstbaumeister, in: Salzburger Nachrichten vom 27. September 2018, 10 (über einen Urteilsspruch des Landesgerichts Klagenfurt: zwölf Monate Haft, vier davon unbedingt).

    7Vgl. Andreas Tröscher, Den Bienen droht Ungemach, in: Salzburger Nachrichten vom 10. April 2018, 11.

    8Allein im örtlichen Nahebereich des Herausgeberteams findet sich ein wissenschaftlich begleitetes Projekt zur Ansiedelung von Wildbienen mittels Bienenhäusern in einem Oberalmer Privatpark durch eine Initiative der Gemeinde, der Volksschule und des Kindergartens sowie eine nicht gemähte Blumenwiese in einem Halleiner Kreisverkehr als Teil eines Wildbienenprojektes; vgl. Matthias P ETRY , Wildbienen beleben den Löwensternpark, in: Tennengauer Nachrichten vom 30. Mai 2018, 5; Thomas S TÜBLER , „Gstättn" im Kreisverkehr ist Teil eines Wildbienenprojekts, in: Tennengauer Nachrichten vom 5. Oktober 2017, 13.

    9Vgl. N. N., Die Zahl der Imker nimmt zu, in: Tennengauer Nachrichten vom 7. September 2017, 7. – Zum Vergleich: Sieben Jahre davor zählte der Salzburger Landesverein für Imkerei und Bienenzucht erst 1850 Mitglieder in 82 Ortsgruppen. Vgl. auch: MARB , Die Bienen in Salzburg waren besonders fleißig, in: Salzburger Nachrichten vom 31. August 2017, 7.

    10 Vgl. Harald C ZYCHOLL , BSSSSSSSSHHH, in: Die Welt, 1. Juli 2017, 21.

    11 Die Dystopie einer Welt ohne Bienen ist in den letzten Jahren mehrfach Thema der Literatur geworden; vgl. dazu die Hinweise im Beitrag von Stephan Lorenz in diesem Band.

    12 Vgl. „Die Welt der Bienen", Sonderheft der Kronenzeitung vom 21. März 2021, 4 f.

    13 Hinweis für die deutschen Kolleg:innen: Die Kronenzeitung wird im Hinblick auf Anspruch und Breitenwirkung oft mit der BILD-Zeitung verglichen.

    14 Vgl. „Die Welt der Bienen, Sonderheft der Kronenzeitung vom 21. März 2021, und: „Das Wunder Bienen, Sonderheft der Kronenzeitung vom 19. Juni 2020.

    15 Vgl. Doris P ASCHER , Erfolg für „Rettet die Bienen", in: Salzburger Nachrichten vom 5. April 2019, 4; vgl. auch: Bayerisches Naturschutzgesetz (BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl. S. 82, BayRS 791-1-U), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Dezember 2022 (GVBl. S. 723) geändert worden ist.

    16 Vgl. N. N., Initiator des bayerischen Bienenvolksbegehrens ist zu Gast in Salzburg, in: Salzburger Nachrichten vom 24. April 2019.

    17 Thomas H ÖDLMOSER , Wie wir die Bienen retten, in: Salzburger Nachrichten vom 25. Mai 2019, 9.

    18 Vgl. Eva C RANE , The World History of Beekeeping and Honey Hunting, New York 1999, 35–70; dies., The Archaeology of Beekeeping, Ithaca 1983; dies., A Book of Honey, Oxford / New York 1980; Franz L ERNER , Blüten, Nektar, Bienenfleiß. Die Geschichte des Honigs, München 1984 [ursprüngliche Ausgabe unter anderem Titel:] Franz L ERNER , Aber die Biene nur findet die Süßigkeit. Kleine Kulturgeschichte des Honigs, Düsseldorf / Wien 1963; Susanne L ÜHN -I RRIGER , Die Biene im deutschen Recht von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Juristische Reihe 129), Münster 1999.

    19 Vgl. dazu Julia B URKHARDT , Hg., Von Bienen lernen: Das Bonum universale de apibus des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf: Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (= Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 7, 1–2), Regensburg 2020.

    20 „Imker stammt ursprünglich aus dem Niederdeutschen bzw. Niedersachsen und wird beispielsweise im Wörterbuch von Adelung noch mit Bienenwärter erklärt; vgl. „Imker, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793–1801, online unter Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, https://www.woerterbuchnetz.de/Adelung?lemid=I00055 (21.03.2023). Im Englischen oder auch Schwedischen verweist der gängige Worgebrauch ( beekeeper bzw. biskötare ) nach wie vor auf die „Hüter"-Funktion (vgl. Lotte M ÖLLER , Wie Bienen und Menschen zueinanderfanden. Ein Streifzug durch Jahrhunderte und Jahreszeiten, München 2019, 11–12).

    STEPHAN LORENZ

    „Wie die Bienen"

    Honigbienen als Natur-Kultur-Mediatoren

    Etwas „wie die Bienen zu tun oder als „wie bei den Bienen zu beschreiben, dient Menschen seit Jahrtausenden dazu, sich über sich selbst und ihr Verhältnis zur Welt zu verständigen. Dafür gibt es ein reiches Spektrum der Bienensymbolik, das in historisch immer wiederkehrenden, sich dabei aber auch immer wieder wandelnden Formen auftritt. Symboliken der Bienen, ihres Honigs und der Imkerei sind den Menschen kulturell vertraut, oder anders formuliert: Menschen sind gut auf Bienen zu sprechen und pflegen einen intensiven Umgang mit ihnen. Es sollen deshalb an dieser Stelle die Bienen, genauer die gehaltenen Honigbienen, als Mediatoren von Natur und Kultur, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen betrachtet werden.

    Historisch neu ist, dass anhand der Bienen existenzielle Überlebensfragen in der ökologischen Krise verhandelt werden. Denn seit gut zehn Jahren steht das Thema des sogenannten Bienensterbens im Vordergrund. Weit bekannt und öffentlich vielfach verwendet ist das vermeintliche Einstein-Zitat, dass, wenn die Bienen sterben, auch die Pflanzen, Tiere und schließlich die Menschen sterben müssen. Das Zitat konnte Albert Einstein nie zugeordnet werden,1 aber es zählt die Symbolik, dass eines der größten Genies der Naturforschung diese Verbindung von Menschen und Bienen verbürgt. Das Schicksal der Menschheit, so die Aussage, ist auf das Engste an das der Bienen gebunden. Dass die Bienen sterben und Menschen dafür verantwortlich gemacht werden, zeigt die fundamentale Störung des Mensch-Natur-Verhältnisses. Menschen gefährden in ihrem zerstörerischen Naturzugang sich und viele andere Lebewesen existenziell.

    Im Folgenden werden zunächst Gründe für die besondere Eignung der Bienen als Mediatoren in den Kontroversen um ökologische Gefährdungen genannt. Ein wesentlicher Aspekt ist darin zu sehen, dass Honigbienen selbst weder als bloße Naturwesen noch allein als Kulturwesen erscheinen, sondern als beides adressiert werden können. Daraufhin wird allgemeiner in die Bienensymbolik eingeführt, die keineswegs ausschließlich für Naturverhältnisse steht. Kulturhistorische Deutungen und ihre aktuelle Verwendung zeigen dabei, wie Kontinuitäten und Variationen der Motive und Symbole Einsichten in soziokulturellen Wandel vermitteln können. Danach wird noch einmal näher auf die symbolische Kommunikation der neueren Bienengefährdungen eingegangen.

    Honigbienen als Natur-Kultur-Wesen – Mediatoren in der ökologischen Krise

    Wenn hier von Bienen die Rede ist, dann sind in der Regel gehaltene Honigbienen gemeint. Denn es ist gerade die seit Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden geteilte Kulturgeschichte von Menschen und Honigbienen, die sie auch zu Kulturwesen macht. An dieser Stelle wird bereits sichtbar, dass es sprachlich an guter Begrifflichkeit fehlt. Von ‚domestizierten Tieren‘ zu sprechen, ist sicher ein entsprechender Versuch, der aber eher modernistische Beherrschungsassoziationen weckt, das heißt Bienen im Grunde in der Natur belässt und von deren instrumenteller Nutzung durch Menschen ausgeht. Unter der Perspektive einer ökologischen Krise ist aber ein solches Verständnis fragwürdig geworden. Die Probleme im Naturverhältnis weisen darauf hin, dass ein zu einfaches, instrumentelles Nutzungs-verständnis die Rückwirkungen auf die Gesellschaft und die Menschen, die aus ihren ‚Eingriffen‘ in ihre biophysischen Lebensgrundlagen folgen, nicht angemessen berücksichtigt. Es fehlt ein Sinn für die vielfältigen Verflechtungen menschlicher und nicht-menschlicher Wesen. Man kann Honigbienen sicher sowohl als Natur- als auch Kulturwesen beschreiben. Die Konsequenz ist freilich, dass sie oft nur als das eine oder andere adressiert werden können. Das zeigt sich nicht zuletzt an der wissenschaftlichen Forschung, die Bienen typischerweise als naturwissenschaftlichen Gegenstand begreift oder sich deren kulturellen Deutungen widmet, das heißt, das empirische Phänomen entlang disziplinärer Grenzen gewissermaßen aufteilt.

    Das wirft wiederum für die ökologische Diskussion viele Probleme auf, auf die an dieser Stelle allerdings nur hingewiesen werden kann. Von Honigbienen als Mediatoren zu sprechen, soll deshalb vor allem ein entsprechendes Problembewusstsein signalisieren und einen vorläufig praktikablen Vorschlag unterbreiten, der weitergehender Begründungen bedürfte, als sie hier geleistet werden können. ‚Mediatoren‘ soll hier heißen: Auch wenn Honigbienen als Kulturwesen symbolisch kommuniziert werden, so sind sie doch ebenso als physische Wesen in menschlichen Praktiken präsent und Teil ökosystemischer Zusammenhänge – sie bewegen sich sowohl jeweils in Natur und Kultur als auch zwischen diesen.2

    Es sind im Wesentlichen drei Aspekte, die Honigbienen zu Wesen machen, die sie nicht allein als ‚Natur‘ erscheinen lassen können. Das sind zum einen die Imkereipraxis, dann die Landwirtschaft und schließlich das Eingehen der Bienen in Geschichten und kulturelle Deutungen von Menschen.3

    Gehaltene Honigbienen sind als ‚domestizierte Tiere‘ keine reinen Naturwesen, wenn man darunter von Menschen unbeeinflusste Lebewesen versteht.4 Sie mögen als Nutztiere in vieler Hinsicht weniger eingeschränkt sein als andere Tiere, seien es andere Nutztiere, wie Milchkühe und Legehennen, oder das sprichwörtliche Schoßhündchen. Dennoch sind sie bis in ihre Physis hinein durch die Imkereipraxis veränderte Wesen. Ganz offensichtlich ist das für ihre Züchtungen, etwa die gezielte Auslese von Königinnen, um möglichst ertragreiche und sanftmütige Bienenkolonien zu fördern. Aber schon die Haltung in menschengemachten Beuten, deren Aufstellung an ausgewählten Standorten und zahlreiche weitere Aktivitäten, von Überwinterungshilfen und Krankheitsbehandlungen bis zur Honigernte, gehören dazu. Dabei ist festzuhalten, dass es sich nicht um ganz einseitige Prozesse handelt, die sich nur an imkerlichen Interessen ausrichten. Denn wenn es den Bienen nicht gut geht, wird es auch den Imker:innen nicht gut gehen. Sie werden den Bienen also in mancher Hinsicht gute Bedingungen nach deren Maßstäben schaffen müssen, um erfolgreich Imkern zu können. Für bestimmte Imkereiweisen, wie die Ökoimkerei, gehört das zur ausdrücklich erklärten Praxis.5 Betrachtet man in dieser Weise Honigbienen als Teil einer praktischen Imkereikultur, so sind sie jedenfalls ebenso Kulturwesen wie sie Naturwesen sind.

    Dass Bienen Teil landwirtschaftlicher Produktion sind, ist eine Erkenntnis vergleichsweise neueren Datums. Die biologische Erkenntnis der Blütenbestäubung durch Insekten wird in die Mitte des 18. Jahrhunderts datiert und mit dem intendierten Einsatz von Hummeln und Bienen zur Blütenbestäubung wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts begonnen.6 Auch wenn es in anderen Ländern, insbesondere den USA, bereits eine jahrzehntelange intensive Bestäubungsimkerei gibt, machten erst neuere Erfahrungen des Bienen- und Insektensterbens wirklich bewusst, dass Blütenbestäubung nicht einfach fraglos gegeben ist – eine Erkenntnis, die für andere ökologische Lebensbedingungen von Menschen in ähnlicher Weise bereits zuvor gewonnen wurde. Als Bestäuberinnen, für deren Bestäubungsleistung zumal in zunehmendem Maße gezahlt wird,7 sind Honigbienen als Teil landwirtschaftlicher Produktion relevant für menschliche Ernährung und gehen deshalb direkt oder indirekt in verschiedene soziokulturelle Prozesse ein, etwa in Ökonomie und Konsum, Politik, Wissenschaften oder auch Bildung.

    Im engeren Sinne sind Bienen Kulturwesen,

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