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Betreutes Morden: Krimikomödie
Betreutes Morden: Krimikomödie
Betreutes Morden: Krimikomödie
eBook368 Seiten4 Stunden

Betreutes Morden: Krimikomödie

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Über dieses E-Book

Man ist nie zu alt zum Morden!
Kati Blum ist frustriert, denn ihr Freund Lars ist seit Wochen von der Bildfläche verschwunden. Ein Besuch bei Marias Tante im Altersheim soll sie auf andere Gedanken bringen – und das funktioniert auch bestens.
Dem Namen „Glücklicher Lebensabend“ zum Trotz, soll ein Bewohner Selbstmord begangen haben. Die übrigen Senioren machen allerdings kein Geheimnis daraus, dass sie anderer Meinung sind, und Kati nimmt nur zu gerne die Ermittlungen auf.
Auf der Faschingsparty der Seniorenresidenz überschlagen sich dann die Ereignisse. Es gibt nicht nur einen weiteren Todesfall, auch Lars taucht plötzlich aus der Versenkung auf und übernimmt die Mordermittlungen. Zeit für Kati zu beweisen, dass sie keineswegs ihren Biss verloren hat …

"Betreutes Morden" ist Band 8 der Serie „Kati Blum ermittelt” von Erfolgsautorin Birgit Gruber. Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum18. März 2024
ISBN9783967144192
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    Buchvorschau

    Betreutes Morden - Birgit Gruber

    EINS

    Katis Fahrrad

    »Kati, sitzt du schon wieder hier herum? Ich hoffe, das wird nicht zur Gewohnheit! Man könnte ja meinen, du wärst hier in der Villa zu Hause!«

    Anke Blum, auch die ›Queen von Bayreuth‹ genannt, stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte unwillig mit dem Kopf.

    Ich zog eine Schnute und seufzte in mich hinein, während ich der Haushälterin Maria weiter dabei zusah, wie sie das Geschirr spülte.

    Es war ungefähr sieben Uhr abends und draußen bereits dunkel. Sosehr es mir auch missfiel, ich musste meiner Schwiegermutter Anke recht geben. In den letzten Wochen hatte ich wirklich viel zu viel Zeit in der Blumschen Villa verbracht. Aber was sollte ich denn sonst tun?

    Von morgens bis mittags arbeitete ich im Hotel Zur Sonne als Servicekraft am Frühstücksbuffet. Nachmittags war ich hin und wieder für die örtliche Tageszeitung als freiberufliche Reporterin unterwegs, was sich spannender anhörte, als es war. In der Regel knipste ich einige Fotos von Jubilaren oder Vereinsversammlungen und verfasste einen Kurztext von drei bis fünf Zeilen dazu. Den Rest meiner Freizeit verbrachte ich normalerweise entweder mit Nina, Lars oder damit, meine Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken.

    Doch Nina, ihres Zeichens flippige Friseurin und meine beste Freundin, hatte wieder mal einen neuen Lover, der sie außerhalb ihrer Arbeitszeit rund um die Uhr mit Beschlag zu belegen schien. Nun ja, ich war gespannt, wie lange die neue große Liebe anhielt. Sie müssen wissen, in Beziehungsdingen war Nina ein wenig wie der Schmetterling im Wind. Sobald das Kribbeln nachließ, flatterte sie meist weiter zum nächsten männlichen Exemplar. Frei nach dem Motto: Man muss viele Frösche küssen … Was sie tat, das stand außer Frage. Und jetzt war es also mal wieder so weit. Aber sonst fiel es mir nie so sehr auf, dass unsere Freundschaft dadurch in den ersten Tagen eine kleine Pause einlegte, denn ich war seit etwa eineinhalb Jahren selbst wieder liiert. Mit einem Mann, der pures Testosteron ausstrahlte und mit dem ich nur allzu gern meine freien Minuten teilte.

    Er war groß und muskulös, hatte braunes Haar und funkelnde blaugraue Augen. Meist trug er einen Dreitagebart, der ihm einen verwegenen Touch verlieh. Was mir besonders gefiel, stand es doch im genauen Gegensatz zu seinem Beruf. Lars Winkelmann war nämlich Kriminalhauptkommissar, ein erstklassiger Ermittler und sorgte in Bayreuth für Recht und Gesetz. Genau genommen hatten wir uns dadurch sogar kennengelernt. Denn auch wenn ich nur eine einfache Bürgerin war, hatte ich doch ein ziemlich gutes Näschen, um Ganoven und Mördern auf die Spur zu kommen, weshalb Lars und ich zwangsläufig aneinandergeraten waren. Schnell hatte sich dann herausgestellt, dass zwischen uns nicht nur in einer Weise die Funken flogen. Allerdings hatte es ein bisschen gedauert, bis wir offiziell ein Paar waren.

    Was aus heutiger Sicht jedoch in Frage stand. Denn seit unserem letzten Fall, bei dem wir gemeinsam ermittelt hatten, schien sich etwas verändert zu haben. Es fühlte sich an, als wäre die Balance zwischen uns in Schieflage gekommen. Was vielleicht daran liegen mochte, dass zuletzt Erik, mein guter Freund und Hausmeister des Blumschen Anwesens, unter Mordverdacht gestanden hatte und ich von Anfang an seine Fürsprecherin gewesen war.

    Das hatte zwangsläufig zu Spannungen zwischen Lars und mir geführt. Die beiden Männer in meinem Leben hatten sich schließlich noch nie besonders gut leiden können, womöglich weil sie beide Alphatiere waren. Eventuell war Lars auch von Eifersucht geplagt – was er niemals zugeben würde! –, weil Erik ein Hüne von Mann war. Ebenfalls groß und mit einem Sixpack ausgestattet, aber mit schulterlangem blonden Haar, das er regelmäßig zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Ja, Erik erinnerte an einen Wikinger, und ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich ihn bei unserer ersten Begegnung nicht genauso schmachtend angeschaut hätte wie jede andere Frau in seinem Dunstkreis. Aber (!) ich hatte mich für Lars entschieden und es nicht bereut! Bis jetzt jedenfalls …

    Da er seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt schien, war ich mir nun jedoch nicht mehr sicher. Hannes, ebenfalls Kriminalkommissar und Lars’ rechte Hand, hatte mir zwar mitgeteilt, dass Lars in ein Sondereinsatzkommando berufen worden sei, aber ich war trotzdem misstrauisch. Seitdem wir uns kannten, war es das erste Mal, dass er zu einer Mission beordert worden war, die als streng geheim galt. Ich für meinen Teil fand, dass es ein seltsamer Zufall war, dass mein Freund ausgerechnet dann für einen derartigen Einsatz abkommandiert wurde, wenn es zwischen uns holperte. War es da nicht viel eher möglich, dass er sich aus dem Staub hatte machen wollen, um unschönen Beziehungsszenen aus dem Weg zu gehen? War es vielleicht seine Art, ›Schluss‹ zu machen? Diese Frage schwirrte mir andauernd im Kopf herum und machte mich ganz kirre. So sehr, dass ich sogar die herablassende Selbstinszenierung meiner Schwiegermutter in Kauf nahm.

    Tatsächlich wohnte ich etwa hundert Meter von der Villa Blum entfernt, gleich neben der Auffahrt zum Anwesen der Familie Blum, das mehrere tausend Quadratmeter umfasste und fast im Herzen Bayreuths lag. Meine kleine Wohnung über den Garagen, die ich liebevoll ›Baumhaus‹ nannte, weil gegenüber eine große alte Eiche stand, die mit ihren Ästen schon an die Fenster kitzelte, lag also durchaus in einem Sicherheitsabstand zu meiner Schwiegermutter. Und der war auch von Nöten, denn Anke wurde nicht umsonst ›die Queen‹ genannt. Sie war herrisch und überheblich, saß im Bayreuther Stadtrat und wurde mehr gefürchtet als geliebt.

    »Also, was ist nun? Gehst du auch mal die paar Meter nach Hause oder futterst du zuerst noch die Kuchenreste vom Nachmittag auf?«, zischte sie und betrachtete mich von der Seite, während ich an einem Faschingskrapfen herumnestelte und mir einen Teigfetzen davon in den Mund schob. »Du scheinst ein paar Kilo zugenommen zu haben. Die Jeans, die du trägst, sitzt ganz schön straff. Ich schlage dir vor, etwas Sport zu treiben, anstatt ständig hier herumzuhängen und mir auf den Geist zu gehen.«

    Kauend schaute ich an mir herab. Laut Waage hatte ich tatsächlich zwei Kilo mehr auf den Rippen, aber dass man das gleich sah? Der Pulli, den ich trug, verdeckte eigentlich die ungeliebten Pölsterchen … Außerdem schlugen sich im Februar doch die meisten mit ein bisschen Winterspeck herum, und momentan brauchte ich einfach etwas Seelenfutter! Schließlich war ich von meinem Freund sitzengelassen worden, wohingegen sich meine beste Freundin prächtig ohne mich amüsierte, und in der Stadt passierte gerade auch nichts Aufregendes, was mich auf andere Gedanken hätte bringen können.

    Aber Anke, wie immer die Liebenswürdigkeit in Person, interessierte das nicht.

    »Du bist eine Blum, vergiss das nicht! Wir repräsentieren immerhin etwas! Wie gut, dass Thorsten dich nicht so sehen muss …«, zeterte sie weiter.

    Thorsten war mein verschiedener Ehemann und ihr einziger Sohn. Er war beim Müllraustragen an einem Herzinfarkt gestorben. Wirklich!

    Damit, dass ich als ungeliebte Schwiegertochter auch über den Tod des geliebten Sohns hinaus hier wohnen blieb – Sie müssen wissen, ich war erst durch die Heirat in die Stadt gekommen –, hatte Anke anfänglich so ihre Probleme gehabt. Doch ich hatte im schönen Bayreuth inzwischen Wurzeln geschlagen und mich an die Allüren der Queen gewöhnt. Meine Eltern waren nach Australien ausgewandert, weshalb es keinen Grund für mich gab, meine neugewonnenen Freundschaften aufzugeben. Allen voran Maria, die wie eine zweite Mutter für mich geworden war.

    Vermutlich saß ich deshalb in letzter Zeit so oft bei ihr, weil ich mich etwas einsam fühlte.

    Das dampfig warme Wasser, dazu das leise Geklapper der Töpfe und Pfannen, die sie abwusch, sowie ihre rhythmischen Bewegungen lullten mich allabendlich wunderbar ein. Man könnte fast sagen, es war ein bisschen wie eine Entspannungstherapie für meine malträtierte Seele. Wenn da die Queen nicht wäre …

    »Ach was red ich überhaupt! Maria, pack ihr die restlichen Krapfen ein! Hauptsache, du gewinnst endlich Land, Kati«, erklärte sie grimmig und schenkte mir einen stechenden Blick, der mich auf der Stelle in Asche verwandelt hätte, wäre sie eine böse Hexe mit Zauberkraft.

    Prompt stellte ich sie mir in wallenden Gewändern vor. Anke war lang und besaß für ihr Alter eine tolle Figur. Ihr dunkelbraunes, inzwischen fast schwarzgetöntes Haar mit den leichten Wellen würde perfekt unter einem spitzen Hut hervorlugen und ihrem verbissenen Gesichtsausdruck die passende Umrahmung verleihen. Wenn man dazu ihre hoheitsvolle Wesensart bedachte, könnte sie tatsächlich in früheren Zeiten einmal eine mächtige Magierin gewesen sein. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich allerdings mich, zusammen mit meinem norwegischen Waldkater Max, auf dem Scheiterhaufen brennen, statt ihrer.

    Verwirrt blinzelte ich, während Anke weiterredete: »Ich möchte mich gerne in Ruhe meinem Online-Seminar widmen, ohne deine Anwesenheit ständig im Nacken zu spüren!«

    »Online-Seminar?«, echote ich, und mich durchfuhr zum ersten Mal seit Langem wieder das Gefühl der Neugier. »Du nimmst an einem Online-Seminar teil? Wofür denn? Willst du dich in den schwarzen Künsten weiterbilden?«

    Es lag vermutlich an meinen verqueren Gedanken von eben, dass ich das nicht nur dachte, sondern auch laut aussprach.

    Unwillkürlich begann Maria zu kichern. Anke kniff derweil giftig die Augen zusammen.

    »Was für ein Unsinn! Aber ich habe von dir auch nichts anderes erwartet.« Ihre Nasenflügel bebten.

    Ich ignorierte es und fragte mich weiterhin, in welchem Bereich sich meine Schwiegermutter bitte schön weiterbilden wollte. Im Grunde bestand ihr Alltag daraus, andere Leute herumzukommandieren. Vielleicht wollte sie ja auf ihre alten Tage nochmal eine Karriere als Oberfeldwebel bei der Bundeswehr starten, überlegte ich. Die suchten aktuell doch mehr denn je Leute!

    Aber diesmal hielt ich meine vorlaute Zunge im Zaum.

    »Also, worum geht´s dabei?«, sagte ich stattdessen.

    »Nicht, dass es dich etwas angeht, aber ich sitze dieses Jahr im Festkomitee der Literaturfreunde Bayreuths. Wir wollen anlässlich Jean Pauls zweihundertsechzigsten Geburtstags am einundzwanzigsten März eine kleine Soiree geben. Es werden einige Auszüge aus seinen Werken gelesen, und ein Streichorchester sorgt für den musikalischen Rahmen. Da ich maßgeblich für die Organisation verantwortlich bin, informiere ich mich eben. Weiterbildung schadet schließlich nie! Das solltest du dir auch mal überlegen, oder willst du ewig als Kellnerin Frühstück servieren?«

    Abschätzig hob sich ihre linke Braue. Aber dass sie mit meinem Lebenswandel inklusive der Art und Weise, wie ich meinen Unterhalt verdiente, nicht zufrieden war, wusste ich bereits. Sie hatte schließlich von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass ich mich in ihren Augen nicht ›standesgemäß‹ für eine Blum verhielt.

    »Interessant. Um ehrlich zu sein, ist mir tatsächlich auch schon in den Sinn gekommen, mich fortzubilden.«

    Mit dieser Antwort hatte Schwiegermama vermutlich nicht gerechnet. »Ach wirklich?«

    »Ja, am Weihnachtsmarkt, als ich den Stand der Confiserie Goldstein deiner Freundin Anneliese betreuen durfte, da hat mich meine Budennachbarin Dorith gefragt, ob ich Privatdetektivin bin. Seitdem finde ich den Gedanken nicht schlecht –«

    »Du willst Schnüfflerin werden?!« Die Stimme der Queen überschlug sich fast.

    Grinsend zuckte ich mit den Schultern.

    »Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!«, quiekte sie weiter.

    »Also, darüber möchte ich nicht urteilen, aber noch einen Ton höher und wir haben keine Gläser mehr, weil sie alle zerspringen«, mischte sich Maria ins Gespräch. Sie hielt ein frisch gewaschenes Glas in den Händen, das scheinbar erzitterte.

    Anke schluckte hart. »Hm. Das kannst du vergessen!«, zischte sie und ließ dabei offen, ob die Botschaft für Maria bestimmt war oder meine beruflichen Zukunftspläne betraf. »Ich habe für derartige haarsträubende Diskussionen auch keine Zeit. Mein Seminar beginnt gleich, und du, Kati, machst dich jetzt auf den Heimweg.«

    Sie drehte sich auf dem Absatz um und rauschte – ganz die Queen! – davon.

    Maria und ich tauschten einen Blick.

    »Genau genommen weiß ich jetzt immer noch nicht, worin sie sich fortbildet«, meinte ich.

    »Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich schätze, da hochrangige Prominenz zur Soiree geladen ist, möchte sie in Gesprächen mit überkandidelten Anmerkungen zum Programm glänzen. Oder sie recherchiert über die angemessene Dekorationsausstattung zu solchen Anlässen. Die Feierlichkeiten finden nämlich im neu renovierten Schloss Carolinenruhe im Stadtteil Colmdorf statt, und Anke ist für die Präsentation des Saals verantwortlich.«

    »Was heißt, sie diktiert, und du und Erik müssen alles herrichten«, stellte ich nüchtern fest.

    »Was auch immer.« Meine mütterliche Freundin griff nach dem Abtrockentuch und fragte nebenbei: »Willst du wirklich hauptberuflich ermitteln?«

    Ich lehnte mich gegen die Anrichte. »Keine Ahnung. Der Gedanke gefällt mir schon irgendwie …«

    »Du meinst, der Gedanke, wie Anke an die Decke geht und Lars im Dreieck springt, wenn er davon erfährt?«

    Unwillkürlich musste ich grinsen. Sie kannte mich viel zu gut.

    »Das auf jeden Fall«, stimmte ich zu, und Maria nickte.

    »Aber der Hauptjob besteht meines Wissens doch darin, andere Leute beim Fremdgehen zu beobachten und im Kaufhaus Ladendiebe zu erwischen.«

    »Tja, daran habe ich auch schon gedacht.«

    »Das ist doch nicht dein Ding, oder?« Sie stellte das Glas in ihren Händen zu den anderen in den Schrank. Es blitzte im Lichtschein der Küchenlampe.

    »Vermutlich nicht«, meinte ich seufzend. »Allerdings ist in letzter Zeit nicht viel los in Bayreuth. Ich weiß nicht so recht wohin mit mir, und morgen habe ich auch noch meinen freien Tag!«

    »Dann sag ich es dir. Du begleitest mich morgen ins Seniorenstift Glücklicher Lebensabend. Dort wohnt meine Tante Dolores, sie wird dir gefallen.«

    »Du hast eine Tante?«

    »Ja, warum denn nicht?«

    Das war eine gute Frage. Natürlich musste Maria Verwandte haben. Sie war schließlich nicht irgendwann einmal einfach vom Himmel gefallen.

    »Es ist nur, dass ich noch nie etwas von ihr gehört habe.«

    »Mag sein. Ich rede nicht viel von ihr. Anke interessiert sich nicht für Außenstehende.« Das war noch untertrieben! »Deshalb habe ich es mir abgewöhnt, aus meinem Privatleben außerhalb des Anwesens zu erzählen.«

    »Verständlich.« Maria besaß mein Mitgefühl. »Aber mit mir hättest du doch reden können.«

    »Ja, bestimmt. Es ist nur, alte Gewohnheiten legt man nicht einfach ab. Ich bin bis heute nicht auf die Idee gekommen.«

    »Okay. Dann erzähl jetzt mal. In deiner Familiengeschichte schlummern doch hoffentlich nicht ähnlich dunkle Geheimnisse wie in Eriks?« Gespannt schaute ich sie an. Wie bereits erwähnt, war es noch nicht allzu lange her, dass wir in eine prekäre Lage geraten waren, weil Eriks Vergangenheit ihn eingeholt hatte.

    Doch Maria lachte nur. »Keine Sorge. Bei mir gibt´s nichts Aufregendes zu berichten. Tante Dolores ist alleinstehend, kinderlos und die Schwester meiner Mutter. Ich bin ein Einzelkind, und meine Eltern sind längst verstorben, weshalb ich mich etwas um Dolores kümmere. Sie wohnt in dem Seniorenstift nahe der Rollwenzelei und ist dort recht gut aufgehoben. Inzwischen ist sie stolze neunzig Jahre alt, aber noch fit wie ein Turnschuh. Sie mischt die Truppe im Glücklichen Lebensabend regelmäßig auf. Aber davon kannst du dir morgen selbst ein Bild machen. Sie freut sich immer, neue Leute kennenzulernen.«

    Die Seniorenresidenz, zu der Maria mich führte, war hübsch anzusehen. Sie bestand aus zwei wuchtigen Sandsteingebäuden, die durch eine breite Zufahrt samt Parkplätzen und einem weitläufigen Garten miteinander verbunden waren. Etwas weiter hinten erkannte ich eine Streuobstwiese. Ein Gemüsegarten samt Kräuterschnecke lag schräg versetzt davor, zwischen dessen Reihen sich eine ältere Frau im Rollstuhl fortbewegte. Maria winkte ihr grüßend zu, kaum dass sie aus meinem Auto gestiegen war.

    »Das ist Mathilda, auch eine Bewohnerin des Stifts«, informierte sie mich. »Sie war früher Hauswirtschaftslehrerin und ist eine Koryphäe, was den Anbau von essbaren Pflanzen aller Art betrifft.«

    Ich schloss meinen Wagen ab, drehte mich um und purzelte fast über die Rollstuhlfahrerin. Wo war die denn so urplötzlich hergekommen? Eben hatte sie sich doch noch einige Meter entfernt, hinter dem Holzzaun, der die Gemüsebeete umgab, befunden …

    Wie eine schwankende Pappel rang ich um Körperbeherrschung und entkam nur knapp einem Herzinfarkt.

    Mathilda gluckste. »Hab ich dich erschreckt, Kindchen?«

    Ich nickte und drückte meine Hand gegen die Brust. »Um Gottes willen! Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«

    Die alte Dame lachte, und ihre Augen leuchteten. »Tja, mein Roland ist richtig leise, nicht wahr?«

    »Roland?«

    Sie klopfte auf ihr Gefährt. »Mein Rollstuhl. Ich habe ihn Roland getauft. Er ist treu und zuverlässig! Besser als jeder Mann, dem ich in meinem Leben begegnen durfte.«

    »Aha und schnell ist er anscheinend auch. Sie waren doch gerade noch dort drüben.«

    Wieder gluckste die Frau. »Ja, das hat er Rüdiger zu verdanken. Er hat ihn etwas aufgemotzt und seine Drehzahl erhöht. Der alte Kauz schraubt gern ein wenig herum und war der Meinung, eine temperamentvolle Frau wie ich kann doch nicht im Schneckentempo rumfahren.«

    »Oh. Na dann … Haben Sie auch einen Führerschein zu dem Ding?« Stirnrunzelnd nahm ich Roland in Augenschein.

    Sofort straffte Mathilda den Rücken. »Warum? Sind Sie von der Verkehrspolizei?«

    Ein Auto fuhr heran und hielt auf der Stellfläche direkt neben dem Haupteingang. Ich bemerkte das Schild, das diese als Behindertenparkplatz auswies, und registrierte nebenbei, wie ein relativ junger Mann ausstieg und zügig die zwei breiten Stufen erklomm, die zur Eingangstür hinaufführten. Für mich sah er nicht sonderlich gebrechlich aus, dafür erinnerte mich seine Rückansicht an jemanden …

    »Nein. Darf ich vorstellen? Das ist Kati. Die Schwiegertochter von Anke und Klaus«, klärte Maria die alte Frau auf.

    »Ach so? Du bist also die Kleine, von der Maria immer erzählt?« Prompt sah Mathilda mich interessiert an. »Die Gute ist mächtig stolz auf dich, weißt du das? Sorgen macht sie sich aber auch. Du hast ein spannendes Hobby, wenn ich das richtig verfolgt habe.«

    Schmunzelnd blickte ich von der Rollstuhllady zu meiner mütterlichen Freundin. Es war mir neu, dass sie von mir erzählte. Aber bisher hatte ich auch nichts von diesem Altersruhesitz gewusst …

    »Hast du Erik ebenfalls mitgebracht?«, wollte Mathilda indes wissen.

    Maria schüttelte den Kopf. »Der hat zu viel zu tun. Da um diese Jahreszeit im Garten wenig Arbeit ist, hat Anke ihn mit einem Spezialauftrag versorgt. Der arme Kerl muss ein Bühnenbild für den Auftritt der Faschingsgarde bauen.«

    »Was für eine Bürde! Er ist also gezwungen, sich den ganzen Tag tanzende, lange Frauenbeine in kurzen Röckchen anzuschauen?«, prustete ich los.

    Mathildas Aufmerksamkeit hingegen richtete sich auf die Gartenarbeit. »Na, ganz so ist das aber nicht. Es ist Erntezeit für Rapunzel und Lauch.«

    Ich blinzelte. »Rapunzel? Ist das nicht eine Prinzessin aus den Märchen der Gebrüder Grimm?«

    Die Frauen lachten.

    »Stimmt. Daher hat er auch seinen Namen, zumindest hier in der Gegend. Du kennst ihn vermutlich als Feldsalat«, klärte Maria mich auf, und Mathilda deutete auf ihren Schoß. Dort lag ein flacher Pappkarton gefüllt mit haufenweise Grünzeug.

    »Hier, ich habe gerade ein bisschen was fürs Mittagessen geholt.«

    Während sie einen Blätterstrang hervorzog, fragte Maria: »Wo steckt denn Dolores? Normalerweise ist sie doch nicht weit von dir entfernt aufzufinden.«

    »Die ist drinnen und kümmert sich um Agnes. Die Arme ist völlig aufgelöst.«

    »Warum denn das?«

    »Na wegen Ludwig!«

    »Das ist ihr Freund, oder?«, überlegte Maria.

    »›War‹, muss man jetzt sagen.« Mathilda verzog traurig das Gesicht.

    »Er hat mit ihr Schluss gemacht?«

    Augenblicklich dachte ich an Lars. Diese Beziehungskisten hörten demnach wohl nie auf! Wenn sogar im Seniorenheim Romanzen entstanden und wieder beendet wurden … Zumindest war das meine Schlussfolgerung. Ich seufzte leise und wurde von Mathildas nächstem Kommentar überrascht.

    »Wie kommst du darauf? Ach richtig, ihr wisst es ja nicht! Ludwig hat sich letzte Nacht umgebracht.«

    »Was?!«, hauchte Maria.

    »Umgebracht?«, echote ich.

    Mathilda nickte betrübt. »Es ist eine Tragödie! Agnes ist am Boden zerstört. Im Haus geht es drunter und drüber. Die Anwesenheit eines Bestatters in unseren heiligen Hallen fühlt sich für alle jedes Mal wie ein über uns schwebendes Damoklesschwert an.« Etwas abfällig deutete sie auf einen langen schwarzen Wagen, der an einer Hausseite stand. Er war mir bisher nicht aufgefallen. »Deshalb bin ich auch raus in den Garten. Ich brauchte frische Luft!«

    Wie aufs Stichwort umfing uns eine kalte Windböe.

    Ich schaute in den Himmel. Es herrschten Minustemperaturen, und die graue Suppe über uns ließ keinen Sonnenstrahl durchkommen. Ein Zustand, der in diesen Tagen leider häufiger vorkam, lag Bayreuth doch in einem Talkessel, über dem des Öfteren eine Wolkendecke hängenblieb.

    »Also, wenn ich noch länger hier rumstehe, friere ich noch fest«, erklärte ich unumwunden und schlang meine Arme um die Daunenjacke, die ich trug.

    »Ja, lasst uns reingehen. Ich habe etwas Rum in meinem Zimmer gebunkert. Ich denke, ein Grog würde jetzt nicht schaden. Tee steht rund um die Uhr bereit.« Keck zwinkerte Mathilda mir zu, bevor sie auch schon ihr Gefährt wendete, davonfuhr und kurz darauf über die kleine Treppenrampe zum Haus hochschoss.

    ZWEI

    Wir fanden Dolores zusammen mit Agnes bei den anderen Bewohnern im Aufenthaltsraum, der einen Fernsehbereich, zwei Couchgarnituren und mehrere runde Tische samt Stühlen beherbergte. Für ausreichend Tageslicht sorgten drei Glasflügeltüren, die Ausblick auf die Obststreuwiese boten.

    War mir eben noch kalt gewesen, brach mir nun geradezu der Schweiß aus. Es war warm wie am Äquator. Womöglich brauchten die älteren Herrschaften diese Hitze, ich mit Mitte dreißig nicht. Eilig schälte ich mich aus meinem Parka und erschnüffelte dabei Gerüche deftiger Hausmannskost, die sich mit einem Hauch Eau de Toilette vermischten.

    Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass der Vormittag sich dem Ende neigte, was erklärte, weshalb es nach Mittagessen roch. Woher der Parfümduft kam, erschloss sich mir, als ein älterer Herr mit wohlfrisiertem graumeliertem Haar plötzlich neben mir stand. Er hatte etwa meine Größe und eine aufrechte Körperhaltung, was durchaus zu seinem Aufzug passte. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden steckte er nämlich in einem dunkelblau karierten Sakko, unter dem ein hellblaues Hemd samt gelber Krawatte hervorlugte. Breit lächelnd reichte er mir die Hand.

    »Hallo, schöne Frau. Ich bin Rudolf von Eimersleben, und wer sind Sie?«, fragte er und musterte mich aufmerksam.

    »Mensch Rudi, nicht jetzt!«, grätschte Mathilda dazwischen, bevor ich antworten konnte. »Ludwig ist gerade verstorben! Kannst du dich nicht wenigstens an so einem Tag mal zurückhalten mit deinen verstaubten Flirtversuchen?« Sie schob mich sanft einen Schritt voran und informierte mich: »Das ist unser Seniorencasanova. Denk dir nichts dabei.«

    »Also bitte! Ich bin lediglich gesellig und freundlich zu neuen Leuten. Und was die Sache mit Ludwig angeht, das zeigt uns doch nur, dass man das Leben genießen muss, so lange es geht!«, brummte er hinter uns her.

    Ich beugte mich seitlich etwas zu Mathilda hinunter. »Sagtest du nicht, Ludwig hätte Selbstmord begangen?«

    Womöglich sprach ich einen Tick zu laut, vielleicht war es auch einfach nur der falsche Zeitpunkt. Sicher war, dass wir uns inzwischen viel zu nahe bei Marias Tante und deren Freundin befanden. Denn eine der beiden Frauen heulte sofort jämmerlich auf, kaum dass ich meine Frage gestellt hatte. Ich tippte deshalb darauf, dass es sich bei ihr um Agnes, die trauernde Lebensabschnittsgefährtin, handeln musste.

    Meine Vermutung wurde sogleich bestätigt, denn die Kleinere strich der Weinenden über den Rücken und sagte: »Beruhige dich doch, Agnes. Ich denke, ich bringe dich am besten auf dein Zimmer, und du legst dich ein wenig hin.«

    Schluchzend stand Agnes auf. Wie ich schon erkannt hatte, war sie hochgewachsen. Schätzungsweise über einen Meter achtzig, dazu relativ dünn. Ihr langes schlohweißes Haar reichte ihr bis über die Schulterblätter und wurde mit einer Spange zusammengehalten. Sie trug ein schwarzes, wadenlanges ausgestelltes Blümchenkleid, das sie weiblich und zerbrechlich aussehen ließ. Na gut, ihre verheulten Augen und das weiße Spitzentaschentuch, mit dem sie sich permanent die Lider abtupfte, trugen wohl zu meinem ersten Eindruck bei.

    Ganz anders wirkte Dolores auf mich. Sie erhob sich jetzt ebenfalls, grüßte Maria, als sie sie erkannte, und führte die Trauernde an uns vorbei. Sie hatte die Lage vollkommen im Griff, wie mir schien, und ich konnte kaum glauben, dass diese Frau schon die neunzig erreicht haben sollte. Dolores

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