Wellness für das Gehirn: Wie wir unserem Gehirn Gutes tun, unser psychisches Wohlbefinden steigern und unsere kognitiven Fähigkeiten stärken
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Über dieses E-Book
Manuela Macedonia
Dr. Manuela Macedonia promovierte an der Universität Salzburg über die Auswirkungen von Bewegung auf das Gedächtnis. Am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften Leipzig arbeitete sie zu den Vorteilen des sensomotorischen Lernens. Derzeit ist sie an der Universität Linz tätig. Sie selbst läuft beinahe täglich: aber, wie sie betont, nicht für ihre Figur, sondern für ihr Gehirn.
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Buchvorschau
Wellness für das Gehirn - Manuela Macedonia
1
Wo ist die Psyche im Gehirn?
Vor einigen Jahren führte ich ein Gespräch in der Ordination von Christine, meiner Hausärztin. Ich hatte ein Problem mit dem Rücken und litt an Schlaflosigkeit. Folglich konnte ich mich tagsüber schlecht konzentrieren und meine Arbeit ging nicht so voran, wie ich wollte. Im Lauf der Konsultation äußerte ich meinen Unmut zu meiner beruflichen und privaten Situation. Ich war der Meinung, dass diese Belastungen mich physisch und bald auch psychisch krank machen würden. Christine hörte mir gut zu. Danach sagte sie, man bekomme vom Leben jenes Paket zu tragen, das man auch tragen kann. Diesen Satz hole ich immer hervor, wenn mir das Leben etwas zumutet. Seit diesem Gespräch habe ich aber auch gelernt, mein Gehirn gut zu behandeln, damit ich jene Lasten, die mir regelmäßig vom Leben geliefert werden, auch besser trage.
Was passiert im Gehirn, wenn wir in einer Krise stecken? Man hört immer, dass unsere Psyche belastet sei, wobei der Begriff Psyche für die meisten von uns eher undurchsichtig ist. In diesem Buch betrachten wir die Psyche aus Sicht des Gehirns und beschreiben sie als Zusammenwirken von Gehirnregionen, Netzwerken und Botenstoffen. Abhängig von ihrer Interaktion entstehen unsere Emotionen, Gefühle und Gedanken. Von der Psyche hängt ab, wie wir Dinge und Erlebnisse bewerten, wie wir entscheiden und durch das Leben gehen, wie wir die Folgen unserer Entscheidungen wahrnehmen und erfahren. Für manche Menschen ist das Glas halb leer, für andere halb voll, selbst, wenn die Situation von außen betrachtet die gleiche ist. Im „Inneren" des Menschen, in seiner Psyche, kann es aber völlig anders aussehen, abhängig von der Funktionsweise der verschiedenen Komponenten, wie sie interagieren.
Wir nähern uns dem Begriff Psyche, indem wir mit den Emotionen beginnen. Das Zentrum unseres emotionalen Erlebens befindet sich in der Tiefe des Gehirns, in den Mandelkernen¹. Sie sind erbsengroße Strukturen, eine in der linken und eine in der rechten Gehirnhälfte, die ungefähr die Form einer Mandel haben und aus diesem Grund mit dem altgriechischen Wort Amygdala bezeichnet wurden. Die Mandelkerne erzeugen jegliche positive und negative Regung in uns. Jeder Reiz, der unser Gehirn über die Sinne erreicht, ob wir ein Gesicht, ein Tier, eine Landschaft oder ein Buch sehen, ob wir ein Geräusch, eine Musiksequenz oder die Stille hören, einen Geruch oder auch Geschmack wahrnehmen: Alles kommt zu den Mandelkernen. Dort entsteht eine Emotion, die positiv oder negativ ist.
Die Mandelkerne sind durch feinste Fasern mit dem gesamten Gehirn anatomisch stark verbunden. Durch sie wird ihre positive oder negative Beurteilung zur Wahrnehmung an alle möglichen Gehirnregionen in Millisekunden geschickt, die, wenn erforderlich, in Alarmbereitschaft versetzt werden. Denken Sie an eine Gefahrensituation, zum Beispiel, dass ein großer, aggressiver Hund auf Sie zuläuft und Sie nicht wissen, was er mit Ihnen vorhat. Die Mandelkerne alarmieren sofort alle möglichen Regionen Ihres Gehirns, dass Sie in Gefahr sind und flüchten oder angreifen müssen. Interessant dabei ist, dass die meisten anatomischen Verbindungen die Information von den Mandelkernen an die Rinde hinaustransportieren, aber nicht mehr zurück²,³. Bei Gefahr würde es keinen Sinn machen, dass Ihre visuellen Areale sich mit den Mandelkernen rückkoppeln und ihnen übermitteln, dass der Hund ein schönes Fell hat. Das wäre eine Schleife, die in einer solchen Situation, ohne einen Nutzen für Sie, Aufmerksamkeitsressourcen abziehen würde.
Die Amygdalae erledigen ihre Aufgabe nicht ganz von allein. Nach einer ersten Begutachtung reist die Information weiter in das Vorderhirn, in das vordere Cingulum (Gyrus cinguli). Ich bezeichne diese Region in meiner Einsteigervorlesung als „Gürtelwindung", weil sie sich in der Mitte des Gehirns, von vorne bis hinten, wie ein Gürtel erstreckt. In dieser Windung legen wir im Lauf des Lebens Muster an, die uns helfen, Emotionen voneinander zu unterscheiden⁴.
Wir sprechen von „Mustern" und meinen in diesem Zusammenhang Netzwerke: Sie entstehen, wenn die Gehirnzellen gleichzeitig aktiv werden und sich zu einem Netzwerk formieren, um einen Reiz zu verarbeiten. Bei Gefühlen entstehen diese Muster im Umgang mit Menschen und in der Interaktion mit der Welt. Wenn Eltern ihre Kinder umarmen und liebkosen, lernen die Kleinen diese Art der Liebe kennen und speichern sie in einem eigenen Muster ab⁵. Bellt uns plötzlich ein großer Hund an und fletscht die Zähne, spüren wir Angst, und auch dieses Gefühl wird zum Muster.
Vor einigen Jahren erlebte ich im australischen Great Barrier Reef eine Vogelnistinsel: Die Nester waren am Boden und auf Sträuchern auf meiner Augenhöhe. Als wir uns näherten, blieben die Vögel auf ihren Eiern sitzen. Ich wagte sogar, meine Hand auszustrecken und berührte vorsichtig ein gefiedertes Köpfchen. Das Tier schaute mich neugierig an, blieb aber im Nest. Diese Vogelkolonie dürfte noch keine schlechte Erfahrung mit Menschen gemacht und kein Muster der Angst angelegt haben. Ansonsten hätten die Tiere womöglich negative Lehren gezogen und wären ängstlich geworden, wenn sie Fremde erspähten.
Negative Gefühle gegenüber einem Menschen wie Antipathie, Verachtung bis hin zu Hass oder positive Gefühle wie Sympathie, Bewunderung, Zuneigung oder Liebe sind ein Muster im Gyrus cinguli. Je mehr Interaktionen wir mit Menschen im Lauf des Lebens haben, umso differenzierter werden diese „Schablonen", also unsere Gefühle. Während die Emotion unbewusst entsteht, ist das Gefühl eine bewusste Wahrnehmung, die im Vorderhirn mit einem vorhandenen Muster abgeglichen wird. Haben wir nicht nur unsere Eltern umarmt, sondern auch unsere Großeltern, unsere Partner, unsere Kinder, unsere Freunde, und mit ihnen interagiert, werden wir unterschiedliche Muster haben, die wir als Eltern-, Großeltern-, Partner-, Kinder- und Freundesliebe kategorisieren.
Nun, wie kommt es, dass manche Menschen dazu tendieren, in negative Gefühle zu rutschen, und andere, trotz Probleme und Rückschläge, die Sonnenseite des Lebens erkennen? Zum Großgebilde Psyche gehört auch das Bewertungszentrum⁶,⁷. Es befindet sich auf der Gehirnrinde hinter den Augenhöhlen im ventromedialen orbitofrontalen Cortex⁸. Seine Funktion kann man sich wie eine Waage vorstellen: Auf eine Schale legen wir die für uns positiven und auf die andere die negativen Aspekte unserer Wahrnehmung. Denken Sie an ein Tortenstück in der Auslage Ihrer Lieblingskonditorei. Diese Buttercremetorte ist die beste, die Sie kennen, und jedes Mal bereitet sie Ihnen Genuss (Pro-Bewertung). Andererseits hat sie sehr viele Kalorien (Contra-Bewertung). Abhängig davon, wie die Pros und Contras die Waage beeinflussen, werden Sie in die Konditorei hineingehen oder vorbeispazieren.
Nehmen wir an, wir laden altgediente Freunde zu uns nach Hause. Während des Essens beginnen wir, über etwas zu diskutieren. Je länger das Gespräch dauert, desto mehr unterscheidet sich ihre Meinung von unserer, wider Erwarten. Wenn sie uns über Inhalte belehren, werden sie laut und ihr Gesichtsausdruck kippt in Aggressivität. Das Gefühl, das ursprünglich jenes der freundschaftlichen Verbundenheit war, sieht sich mit dieser „neuen" Meinung unserer Freunde konfrontiert. Jedes Wort, jeder Blick, die Mundwinkel, die gerunzelte Stirn, auch der aggressive Ton, den wir gar nicht von unseren Freunden kannten, kommen auf die Waagschalen.
Nach der hitzigen Debatte gehen die Gäste nach Hause. Unser Gefühl ihnen gegenüber hat sich aufgrund des Besprochenen gewandelt. Vielleicht vertrauen wir ihrem Urteil nicht mehr wie früher, eventuell fühlen wir, dass wir nicht mehr zusammengehören. Unter diesen veränderten Umständen passen sie besser in das Muster der Bekannten als in jenes der Freunde. Wenn wir die Tür hinter ihnen schließen, wissen wir, dass wir uns nicht mehr um sie bemühen werden. Die Fähigkeit zu bewerten ist ein perfekter Mechanismus der Evolution. Wir können unser Urteil zum Erlebten immer anpassen, um uns in Zukunft adäquat zu verhalten.
Das Glas ist halb voll
Bewerten wir eine Situation, die Worte eines Menschen oder einen Gegenstand, hängt dies mit unserem Wissen und unserer Erfahrung zusammen. Die Diskussion mit den Gästen kann, abhängig von Ihrer Bewertung des Gesagten, uns tagelang beschäftigen oder auch nicht. Vielleicht haben Sie diese Erfahrung gemacht: Sie gehen ins Bett und grübeln die halbe Nacht. Ihr Partner legt sich hin und schläft sofort ein. Am nächsten Morgen tauschen Sie sich aus und er ist überrascht, dass Sie nicht schlafen konnten, denn er sieht kein Problem in den Äußerungen Ihrer Freunde. Er sieht es anders und das Gesagte würde ihm nie den Schlaf rauben. Obwohl Sie und Ihr Partner die gleichen Erfahrungen mit Ihren Freunden gesammelt haben, fällt die Beurteilung unterschiedlich aus. Wie ist das möglich?
In diesem Zusammenhang ist wichtig, zu wissen, dass die Bewertungszentren nicht wie eine Maschine starr eingestellt sind. Ihre Rechenfähigkeit ist enorm, also können sie alle möglichen Informationen aus mehreren Jahrzehnten in die Verarbeitung miteinfließen lassen, bewusst und unbewusst. Darüber hinaus verfügen sie über einen zusätzlichen Mechanismus: die Modulation, also die Beeinflussung durch Neurotransmitter. Es handelt sich um chemische Stoffe, die das Gehirn selbst produziert und die dazu dienen, die Kommunikation unter Gehirnzellen zu unterstützen. Manche Botenstoffe regen die Kommunikation an, andere hemmen sie, weitere beeinflussen die Arbeit der Netzwerke. Abhängig vom jeweiligen Botenstoff kann Ihre Bewertung der Diskussion mit Freunden unterschiedlich ausfallen.
Diesbezüglich wollen wir zuerst Serotonin ins komplexe Spiel der Bewertung bringen. Seine Funktion ist es, uns ausgeglichen zu machen, uns in der Balance zu halten. Ausgeschüttet wird es im Hirnstamm, in den Raphe-Kernen, aber auch im Darm durch spezielle Zellen in seiner Schleimhaut, die von ihrem Entdecker, dem Südtiroler Vittorio Erspamer, als enterochromaffine Zellen bezeichnet wurden. Haben wir ausreichend Serotonin, ist das Glas, so wie es ist, ganz in Ordnung.
Haben wir zu wenig Serotonin, ist das Glas halb leer, und es wird in unserer Vorstellung womöglich auch ganz leer werden. Menschen, die depressiv sind, weisen einen Mangel an diesem Botenstoff auf und ihre Bewertung der Dinge kann negativ ausfallen⁹. Über das Bewertungszentrum hinaus beeinflusst Serotonin auch jene Regionen, die den Schlaf steuern¹⁰. Ist zu wenig vom Botenstoff da, bekommt man Schlafstörungen. Umgekehrt, wenn genug Serotonin vorhanden ist, sind wir gelassen. Wir bewerten die Dinge positiv und schlafen gut. Jetzt verstehen Sie, warum Ihr Partner möglicherweise die Diskussion mit den Gästen unterschiedlich wahrnimmt, beurteilt, und auch sofort einschläft: Das kann mit seinem Serotoninhaushalt zu tun haben.
Ein weiterer Botenstoff, der in diesem Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit verdient, ist Dopamin. Er steuert unsere Glücksgefühle, die Fähigkeit, uns zu freuen. Die Evolution hat uns mit Dopamin ausgestattet, damit das Überleben der Spezies gesichert ist: Wir schütten es aus, wenn wir Nahrung sehen und aufnehmen und im Paarungsverhalten¹¹. Dazu gehören das Flirten, das Küssen und selbstverständlich die intime Begegnung. Für Essen und Sex brauchen wir keine großen Erklärungen, die Motivation ist intrinsisch¹²: Beides macht Spaß, wir freuen uns darauf und darüber, weil wir dadurch belohnt werden. Vorfreude ist übrigens auch mit Dopaminausschüttung verbunden¹³!
Denken Sie an den Menschen, der bei Ihnen eine große Verliebtheit ausgelöst hat! Wenn ich in meiner Jugend stöbere, ist die Erinnerung an Claudio, in den ich mit 13 Jahren unsterblich (und natürlich vergebens) verliebt war, sofort präsent. Ich weiß noch, wie schön er für mich