Out of Sonnenschein 2: Was ist in mehr als anderthalb Jahrzehnten geschehen?
Von Harald Uhl
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Über dieses E-Book
Zugleich zeigte er, wie seiner Meinung nach eine Pflege geschehen könnte, deren oberstes Ziel das Wohlbefinden des Bewohners ist und welch große Bedeutung dabei der Arbeit der Pflegeperson zukommt.
Inzwischen sind mehr als fünfzehn Jahre seit Erscheinen des Buches vergangen.
Der Autor, mittlerweile selbst in Rente, blickt noch einmal zurück und überprüft seine Gedanken und Vorstellungen auf Aktualität.
Er vergleicht in seinem neuen Werk die damaligen Verhältnisse mit denen, wie er sie zuletzt bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben erfahren hat.
Hat sich in all den Jahren etwas in der Pflege bewegt oder gar geändert?
In welchen Bereichen konnten Verbesserungen erreicht werden, oder hat sich die Allgemeinsituation in der Altenpflege noch mehr zugespitzt?
Ich hätte niemals mit all dem gerechnet, was folgte, als 2007 mein Buch
"Out of Sonnenschein – Was im Altenheim geschieht und was geschehen könnte"
auf den Markt kam.
Es schien damals, als hätte ich mit meinen geäußerten Gedanken und Überlegungen in zahlreiche und nicht nur in ein Wespennest gestochen.
Die sehr heftigen Reaktionen auf das Buch verstehe ich bis heute noch nicht.
Soviel gibt das kleine Büchlein mit gerade einmal 142 Seiten gar nicht her – so dachte ich jedenfalls!
Harald Uhl
Da hatte ich wohl meine Finger Ich hätte niemals mit all dem gerechnet, was folgte, als 2007 mein Buch „Out of Sonnenschein – Was im Altenheim geschieht und was geschehen könnte“ auf den Markt kam. Es schien damals, als hätte ich mit meinen geäußerten Gedanken und Überlegungen in zahlreiche und nicht nur in ein Wespennest gestochen. Die sehr heftigen Reaktionen auf das Buch verstehe ich bis heute noch nicht. Soviel gibt das kleine Büchlein mit gerade einmal 142 Seiten gar nicht her – so dachte ich jedenfalls! zu tief in so manche Wunde gelegt. „Getroffene Hund bellen“, heißt es im Volksmund. Vielleicht lag es ja daran. Mein Ziel aber, die Menschen in der Pflege, besser gesagt alle Interessierten und diejenigen, die in irgendeiner Art und Weise mit der Pflege zu tun haben, vorwiegend also Pflegekräfte, Therapeuten aller Art usw., anzuregen, über die Gesamtsituation und deren Auswirkungen auf alle Betroffenen nachzudenken, habe ich verfehlt. Das muss ich zu meinem Bedauern leider zugeben. Blauäugig wie ich war, hatte ich mit Offenheit und Kritikfähigkeit gerechnet, wo nie eine war (und wohl auch nie eine sein wird). Anstatt sich mit den aufgezeigten Problemen konstruktiv auseinanderzusetzen, wurde eine Verteidigungshaltung eingenommen und zum Gegenangriff auf den Nestbeschmutzer – nämlich mich – aufgerufen. Ich habe jetzt – nachdem mehr als 15 Jahre seit dem Erscheinen von „Out of Sonnenschein“ vergangen sind - das Buch überarbeitet, weil mich die Entwicklung in der Altenpflege von damals bis zu meinem Eintritt in das Rentnerdasein interessierte. - Ich weigere mich zu gendern! D.h. ich benutze immer nur eine Geschlechtsform. Alles Andere würde den Lesefluss stören. Trotzdem drücke ich in aller Deutlichkeit meine Achtung vor jeglicher geschlechtlicher Orientierung aus und diskriminiere niemanden deswegen. Diejenigen, die meinen, sie müssten sich unbedingt diskriminiert fühlen … meinetwegen. Sie diskriminieren damit nur sich selbst und scheinen es gar nicht einmal zu merken.
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Buchvorschau
Out of Sonnenschein 2 - Harald Uhl
Persönliches zur Altenpflege
„WAS DU NICHT WILLST, DAS MAN DIR TU´, DAS FÜG´ AUCH KEINEM ANDERN ZU!"
Dieser Satz aus dem Volksmund bestimmt mein Denken und Handeln in der Altenpflege – seit eh und je.
Das bedeutet, dass ich meinen Mitmenschen genau den Respekt entgegenbringe, den ich von ihnen mir selbst gegenüber auch erwarte.
Was natürlich nicht meint, dass ich bspw. mir anvertraute Bewohner täglich abdusche, nur weil ich es selbst gerne mache.
Leben und leben lassen eben!
Ich erinnere mich noch an die Abschiedsansprache unseres Schulleiters bei der Examensfeier, als er in ihr u.a. erwähnte: „Sie haben nun eine ganze Menge Stoff gelernt und Ihr Wissen in zahlreichen Praktika erproben können. Vergessen Sie alles wieder! Wenn Sie auf die Menschen eingehen, mit denen Sie konfrontiert sind, wenn Sie genau darauf achten, was sie Ihnen mitteilen – in welcher Form auch immer – so werden Sie nie falsch handeln! Nur der alte Mensch selbst weiß sehr genau, wo es ihn zwickt!"
Im Grunde hat er recht!
„Warum und woher sollte ich wissen, was gut für den alten Menschen in seiner individuellen Situation ist? Wer oder was erlaubt mir, so arrogant zu sein, ihm zu sagen, was er braucht und wie er sich zu entscheiden hat?
Ich bin Altenpfleger – kein Erzieher!
Aus meinem oben genannten Berufsmotto heraus habe ich vieles, was ich meinen Bewohnern zumute (bzw. zumuten muss) am eigenen Leib ausprobiert.
Von der Rollstuhlfahrt durch die Stadt über steile Treppen, bis zur „passiven" Anwendung einzelner Hebe-Lifter und vieles mehr.
Besonders eingeprägt und wohl deshalb so sehr in Erinnerung hat sich mein Experiment mit einer Windelhose, die ich während eines gemütlichen Beisammenseins in einem Wirtshaus trug.
Allein schon das Gefühl, ich säße in einer Plastiktüte, die bei jeder Bewegung raschelt und damit die Aufmerksamkeit der Gäste an den anderen, benachbarten Tischen erregen könnte, war mir unbeschreiblich peinlich.
Damit nicht genug!
Ich besann mich auf den Zweck solcher Inkontinenz-Hilfen, nämlich den, Stuhl und Harn aufzufangen.
Es kostete mich äußerste Überwindung, zuerst in die Windel zu urinieren und dann auch noch Stuhl abzusetzen.
Nun war es nicht mehr das Rascheln der Hose, mit dem ich die Blicke meiner Tischnachbarn auf mich zog, sondern vielmehr der warme Gestank nach frischen Fäkalien!
Spätestens seit diesem Zeitpunkt sehe ich die „Inkontinenzversorgung" mit anderen Augen und gehe mit Bewohnern lieber einmal mehr auf die Toilette, als dass ich sie nötige, unter sich zu lassen.
So war jedenfalls immer mein Plan…, allerdings wegen der immer gravierenderen Personalnot und des daraus resultierenden Zeitmangels von Tag zu Tag schwieriger umzusetzen.
Letzten Endes setzte ich auch gezwungener Massen Inkontinenzeinlagen mit größerem Fassungsvermögen ein, weil nicht einmal mehr Zeit war, um die geplanten Toilettengänge durchführen zu können.
Eine weitere Devise, dich ich praktiziere, lautet:
„DIE LEUTE BRAUCHEN REIZE!
ES GIBT MEHR ALS DAS WARTEN AUF DIE NÄCHSTE MAHLZEIT!"
Und weiter behaupte ich:
„DREIMAL LACHEN ERSETZT EINE TABLETTE!"
Leider habe ich allzu oft erlebt, dass die alten Menschen beim Einzug in ein Altenheim alle Verantwortung und sogar einen Großteil ihrer Persönlichkeit abgeben und sich ihrem Schicksal „fügen".
Sie kennen es oft noch von früheren Zeiten nicht anders als sich unterzuordnen, damit man ja nicht auffällt und aus der Reihe tanzt.
Immer wieder stelle ich dann fest, dass deren eigene Aktivität, die eigene Agilität immer weniger wird, bis schließlich wirklich nur noch das Warten auf die nächste Mahlzeit oder irgendeine sinnlose Beschäftigung (dazu später mehr) übrigbleibt.
Der Senior braucht sich nach dem Einzug ins Altenheim um nichts mehr zu kümmern. Er bekommt sozusagen das volle „Sorglos-Paket" all inclusive aufgebrummt.
Kein Einkaufen mehr, kein Kochen, keine Wäsche waschen…!
Alles wird für ihn erledigt.
Und dann wundern wir uns, wenn der alte Mensch relativ schnell abbaut und dessen Angehörige entsetzt feststellen: „Der Opa hat aber ganz schön nachgelassen!"
Es geht doch so einfach. Mit kleinen Reizen!
Der amerikanische General und Politiker George Marshall sagte einmal:
„Kleine Taten, die man ausübt, sind besser als große, die man plant!"
Da ein Kitzeln an der Fußsohle, dort ein kleines Späßchen…, es muss gar nichts Großartiges sein.
So erlebte ich in einem Haus, in dem ich frisch angefangen hatte und einmal eine Frau leicht unter den Armen kitzelte und mit ihr scherzte, dass eine „alt eingesessene" Mitarbeiterin, die dafür bekannt war, darüber zu wachen, dass ein strenger Arbeitsablauf eingehalten wird, dessen Durchführung natürlich sie bestimmte und andere Mitarbeiter dahingehend beurteilte, ganz entrüstet herausprustete: „Die Frau K. lacht ja!"
„Na und! Ist doch toll", will ich in einer solche Situation herausschreien, damit es die ganze Welt hört.
„Diese Frau lebt! Ich will keine leblosen Zombies! Bei mir muss sich war rühren! Kein blinder Aktivismus, sondern Leben aus dem Bauch heraus!"
Manchmal provoziere ich auch ganz bewusst den einen oder anderen Bewohner, dass er sich ärgert und ich im Hintergrund schon wieder einige übereifrige Kolleginnen besorgt tuscheln höre: „Der Bewohner ist ganz schön aggressiv! Der braucht was zur Beruhigung!"
Zur Beruhigung?
Nur weil er seine Gefühle – auch Hass, Zorn, Ärger usw. gehören dazu – zeigt und lebt?
Aber bitte – doch nicht so!
Liebe Leser, geben Sie Ihrem Partner bei schlechter Laune auch ein paar Tröpfchen (bspw. Dominal, Haldol oder dergl.), die ihm „gut tun" sollen?
Oder nehmen Sie selbst solch ein „Schnäpschen", wenn Sie merken, dass die Wut ich Ihnen hochsteigt?
Man muss die Sprache der Leute sprechen, mit denen man es zu tun hat, damit man verstanden wird. Aber dazu muss man sich erst einmal auf sie einlassen.
So wie sie sind – nicht wie wir sie haben wollen.
Das heißt, dass wir deren Einzigartigkeit mit all ihren Facetten akzeptieren und sie nicht in irgendeinen Rahmen zu pressen versuchen.
Ich behaupte ganz bewusst provokativ:
„INDIVIDUELLE PFLEGE VERBIETET JEGLICHEN STANDARD!"
Ojemineh – höre ich da all die Verfechter einer „nachvollziehbaren, messbaren" und weiß Gott noch alles Pflege, die für jeden Handgriff, den sie am Bewohner erledigen, zwei ausgefüllte Formulare benötigen, um nachzuweisen, wie fleißig sie doch sind.
Es ist doch Wahnsinn, wohin das alles führt.
Mittlerweile stellt sich nicht mehr die Frage: „Habe ich alle mir aufgetragenen Aufgaben bewohnergerecht und fachlich richtig erfüllt?, sondern ich muss vielmehr fragen: „Habe ich den Vollzug lückenlos – und vor allem – den Standards entsprechend dokumentiert?
.
Ob sinnvoll ausgeführt oder nicht, ist völlig belanglos; es muss nur irgendwo geschrieben stehen!
Bezeichnend hierfür ist ein Ausspruch eines Prüfers vom MDK, der im Rahmen einer Hausbegehung unser Altenheim begutachtete.
Sein Original-Wortlaut war:
„Ich sehe ja, dass Ihre Bewohner gut gepflegt sind, aber wo steht das?"
„HALLO – DAS IST EIN AUFRUF ZUR ANARCHIE!"
Was mache ich also, wenn es einem Bewohner einmal schlecht geht und er ein wenig Zuwendung braucht?
Ich sollte mich eigentlich zu ihm setzen, ihn womöglich in den Arm nehmen und ihn ein wenig trösten (was ich in der Praxis so auch ausführe).
Das waren dann immer die Zeiten, die mir aber für andere Bewohner wiederum fehlten!
Aber für diese Zuwendung gibt es kein Zeitfenster, keinen Zeitkorridor, der diese Art von Pflege messbar machen könnte.
Also wird sie schlichtweg verschwiegen – in der Dokumentation, versteht sich.
Es findet sich bestenfalls im Verlaufsbericht ein kleiner Hinweis auf eine „depressive Verstimmung des Bewohners XY" wieder.
Wo Anarchie herrscht, da gibt es auch keine Namen!
Pflegekräfte sind immer namenlos, das heißt, sie werden zwar mit Namen vorgestellt und ihre Arbeitsuniform ziert meist ein bedingt lesbares Namensschild, dennoch werden sie so gut wie nie mit Namen angesprochen.
Dann kommt noch hinzu, dass sich ein Mann, der sich solch ein Namensschild an der Brust einer Schwester genauer ansieht, dem Vorwurf ausgesetzt sieht: „Der geile Bock stiert mir immer auf den Busen!"
Dem zum Trotz reagieren sie alle auf Rufe wie „Schwester, „Hallo Fräulein!
, „Sie bitt´ schön, auch „Herr Ober
habe ich schon gehört.
Ist das eine direkte Folge davon, dass, wie die Bewohner beim Einzug ins Altenheim ihre Persönlichkeit abgeben, Pflegekräfte sich beim Arbeitsantritt ebenso verhalten und sich ent-personalisieren lassen?
Und ist man erst einmal in der Tretmühle gefangen, gibt es so leicht kein Entrinnen mehr.
Man sitzt mit all seinen Ideen, mit all seinen Berufsvorstellungen in der Falle und kommt nur schwerlich wieder heraus.
Es gibt keinerlei Rückzugsmöglichkeit; wenn wir im Hause sind, sind wir auch im Dienst, ganz egal, ob man einen weißen Kittel trägt oder nicht.
Wirklich abschalten geht im Heim – auch während der „Pausen" – nicht.
Ich setze mich inzwischen gar nicht mehr zu einer Pause hin, da ich ohnehin nicht in Ruhe gelassen werde.
An den lauwarmen Kaffee, den ich immer mit Unterbrechungen trinken muss, habe ich mich schon gewöhnt.
Und so stolpert man weiter und weiter und fragt sich jeden Tag, wie man das ganze Arbeitspensum geschafft hat und ob man nicht doch etwas Wichtiges vergessen hat.
Denn – trotz all der Hetzerei, trotz des immensen Stresses und der Hektik (oder vielleicht gerade deswegen) wird man sein persönliches schlechtes Gewissen nicht los.
Das Bewusstsein „Da fehlt noch so viel" bleibt bestehen.
Bei den meisten Pflegekräften jedenfalls, die ich kenne.
Welcher Pfleger kennt sie nicht, die Tage, an denen man bei der Dienstübergabe „nichts Besonderes zu vermelden hat; an denen man sich dennoch völlig ausgelaugt und erschöpft, wie „von einem Bus gestreift
fühlt.
Irgendwann ist man leer und will nur noch raus aus der „Burg".
Einfach alles für ein paar Stunden hinter sich lassen!
Dieses Gefühl kannte ich bis zu meinen letzten Diensten. Ich war schon so weit, dass ich froh war, als ich mich einer schweren Operation unterziehen musste, nur um eine Zeitlang nicht mehr zum Dienst zu müssen.
Pervers – nicht wahr!
Und dann kommen noch die höllischen Marathon-Dienstpläne zum Tragen!
Daran hat sich nie etwas geändert!
Auch wenn mehrere Personen (HL, PDL, WBL, Personalrat..) bei der Planung „darübersahen", also kontrollierten, gab es immer wieder gravierende Fehler beim qualifizierten Personaleinsatz.
Ich verstehe das bis heute nicht.
Bis zuletzt war es immer wieder vorgekommen, dass ein Dienstplan schon mehrfach handschriftlich korrigiert und teilweise unleserlich ausgebessert war, ehe er überhaupt zum Aushang kam.
Manchmal konnte man an den verschmierten Zeilen nur noch