Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Monster des Prinzen: Gay Romance
Das Monster des Prinzen: Gay Romance
Das Monster des Prinzen: Gay Romance
eBook231 Seiten3 Stunden

Das Monster des Prinzen: Gay Romance

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

„Ich bin nicht normal - jedenfalls nicht das, was andere unter `normal´ verstehen. Ich bin schwul. Das ist mir seit einem halben Jahr bewusst und seit ein paar Monaten weiß es leider auch David und damit der Rest der Schule. Darin sehe ich nur einen einzigen Vorteil. Früher hatte ich keine Ahnung, was dieses Monster dazu trieb, mich zu tyrannisieren. Rempeleien und Rippenstöße gab es von Anfang an, doch jetzt weiß ich wenigstens, warum er mich hasst.“

Philip und David – zwei Jugendliche, so verschieden wie Tag und Nacht ... wie Magneten, die sich abstoßen.

Sechs Jahre vergehen, schmerzhafte Erfahrungen drängen sich den Männern auf und hinterlassen Spuren. Vergessen können sie einander jedoch nicht. Als sie sich wiedersehen, haben sich beide verändert. Philip führt ein Café und kämpft mit seinen Komplexen, während David einen ausgeprägten Selbsthass mit sich herumschleppt. Die Vergangenheit steht zwischen ihnen wie eine unsichtbare Mauer und in der konservativen Stadt, in der sie leben, gehören Mobbing und Verachtung immer noch zum Alltag. Doch vielleicht gibt es eine winzige Chance und das Undenkbare geschieht ...

David und Philip – zwei Männer, die mehr gemeinsam haben, als sie vermuten ... wie Magneten, die einander anziehen.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Juli 2019
ISBN9783736885639
Das Monster des Prinzen: Gay Romance

Mehr von Savannah Lichtenwald lesen

Ähnlich wie Das Monster des Prinzen

Ähnliche E-Books

LGBTQIA+-Romantik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Das Monster des Prinzen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Monster des Prinzen - Savannah Lichtenwald

    Monsterjagd

    Philip

    Noch fünf Minuten, bis es klingelt. Bis dahin muss ich mich entscheiden, wie jeden Tag. Entweder bin ich der erste, das gibt mir einen Vorsprung. Ich muss nur schnell sein und aus der Schule verschwinden, bevor sie mich erwischen. Oder ich trödele herum, bis der letzte von ihnen keine Lust mehr hat, zu warten.

    Die Schulglocke ertönt und meine Entscheidung ist gefallen. Heute werde ich schnell sein. Schnell, leise und möglichst unauffällig. Meine Sachen habe ich schon in den verschlissenen Rucksack gepackt und ich schleiche nervös zwischen anderen, harmlosen Schülern aus dem Raum, eile den Flur entlang, die Treppe hinunter. Kein Blick zurück und bloß nicht stolpern. Das hält nur auf und macht auf mich aufmerksam. Raus aus der großen Tür des Gebäudes, über den Schulhof bis zum Tor – und jetzt rennen. Zickzack, Querstraße links, ein Stück geradeaus, nach rechts, kurz in einen Hauseingang drücken und vorsichtig um die Ecke sehen. Gut – keiner zu sehen, weiter, am Kiosk vorbei, den Park entlang hetzen. Langsam geht mir die Luft aus, aber es ist nicht mehr weit …

    „Hast du´s wieder eilig, Arschficker?", ertönt es von hinten mit anschließendem Gelächter.

    Ich zucke zusammen, jetzt gilt es, in den Endspurt zu gehen. Das ist nicht leicht mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken, aber es muss gehen, irgendwie, sonst bin ich geliefert.

    „Vielleicht wartet ein Schwanz auf ihn. Dann muss er doch rennen."

    „Eben, das kriegt der Weber nicht oft zu sehen, so hässlich wie er ist."

    Für sie heiße ich nur „der Weber, nie Philip. Das stört mich, auch wenn es albern ist. Für sie bin ich kein Mensch, nur „der doofe Weber - oder alles, was ihnen sonst noch an Beleidigungen einfällt. Der Ton, in dem sie sie aussprechen, klingt nach etwas Widerlichem, Ekelerregendem. Sie kotzen es aus, rotzen es mir vor die Füße, spucken es in meine Ohren. Von dort kriecht es in mich hinein und setzt sich fest. Ich mag meinen Vornamen nicht besonders, ebenso wenig wie alles andere an mir, und doch darf ich nie vergessen, wie ich heiße. Sie dürfen nicht gewinnen. Für sie mag ich grotesk und nichtswürdig sein, aber ich bin ein menschliches Wesen. Ich bin Philip.

    „Bleib endlich stehen, du Hungerzwerg."

    „Hey, du schmierige Ratte, warte auf uns. Wir wollen doch nur spielen." Verächtliches Lachen aus vier Kehlen.

    Fünfhundert Meter, links um die Ecke, mir rinnt der Schweiß unter das Hemd, nächste Straße rechts, geradeaus. Flüchtig nehme ich den vorwurfsvollen Blick von Passanten wahr, die ich versehentlich gestreift habe. Es tut mir leid, ich habe keine Wahl. Hinter mir höre ich das Geräusch mehrerer Füße, die beim Laufen näherkommen. Meine Lunge pfeift, die Bücher in der Tasche schlagen bei jedem Schritt auf die Knochen. Krampfhaft halte ich die Riemen in den Händen, damit mir das Ganze nicht herunterrutscht. Das würde mich mindestens zehn Meter Vorsprung kosten. Gleich, gleich, noch eine Ecke, Hauseingang, Klingeln, meine Finger zittern, der Summer vibriert, ich drücke die Tür auf und hinter mir schnell wieder zu.

    Außer Atem gehe ich langsam die Treppe hinauf und in die Wohnung hinein. Gerettet, wieder ein Tag geschafft, heil hinter mich gebracht. My home is my castle. An dem Spruch ist etwas Wahres.

    „Na, war´s schön in der Schule?", begrüßt mich meine Mutter.

    „Die anderen sind wieder hinter mir her gelaufen."

    „Die wollten sicher nur mit dir spielen."

    „Nein, die wollen mich fertigmachen."

    „Ach Schätzchen, so schlimm ist das doch bestimmt nicht. Du musst sie einfach ignorieren. Dann verlieren sie schnell den Spaß daran."

    „Aber sie verlieren den Spaß nicht, David schikaniert mich seit Monaten."

    „Wir werden dieses kleine Problem schon lösen und jetzt wasch dir die Hände, das Essen ist gleich fertig."

    Daran habe ich meine Zweifel, aber manchmal soll es ja Wunder geben. Ich könnte eines gebrauchen. Körperlich mache ich nicht viel her, bin kleiner und dünner als die anderen. Ich warte auf den versprochenen Wachstumsschub, den Jungs angeblich mit vierzehn bekommen. Meinen Vater kann ich nicht fragen. Seit der Scheidung lässt er sich nur alle paar Monate in dem Café blicken, das meiner Mutter gehört. Er ist eher der intellektuelle Typ. Mit Kindern kann er nichts anfangen, weiß nicht, über was er mit ihnen reden oder wie er mit ihnen umgehen soll.

    Nach den Hausaufgaben vergrabe ich mich in meinen Büchern, träume mich weg in andere Zeiten, an andere Orte. Dort kann jeder ein Held sein und selbst dem hässlichsten, niedrigsten Wesen kann noch eine ehrenvolle Aufgabe zufallen. Wenn alles verloren scheint, kommt die Magie ins Spiel und verändert die Regeln, gibt jedem Hoffnung und eine Chance. Am Ende ist die Welt ein Stück besser geworden – ich darf nur nicht das Buch zuklappen und die Augen schließen.

    Meine Alpträume suchen mich auch heute heim, wie in fast jeder Nacht. Ich renne oder falle, ohne jemals anzukommen, höre das Hecheln, Grunzen und Grölen der Monster. Um mich herum ein Endzeitszenario aus Geröll, Blut und zerstörten Häusern. Alles ist schwarz, grau, rot, gezackt, gesplittert, zermalmt. Schreien will ich und kann nicht. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, bin kurz vor dem Ersticken, wache schweißgebadet auf.

    Der nächste Morgen ist ein Morgen wie jeder andere. In der Küche steht schon mein Frühstück bereit, gesunde Kost, genau abgestimmt auf Kinder meines Alters. Eine ausgewogene Ernährung ist meiner Mutter sehr wichtig. Sie gibt sich viel Mühe damit, auch mit dem Pausenbrot. Ich hoffe, dass ich es heute essen kann, bevor es die anderen aus meinem Rucksack ziehen und darauf herumtrampeln. Meine Mutter hetzt durch die Wohnung, weil sie zur Arbeit muss und ich gehe mit Magenschmerzen los. Der Hinweg ist einfacher, da lassen sie mich in Ruhe, sind wahrscheinlich selbst noch müde. Nur direkt vor dem Schulhaus muss ich aufpassen. Ich sehe auf die Uhr. Die Sonne blendet mich, kann die Zahlen kaum erkennen. Zwei Minuten bis zum Unterrichtsbeginn, Punktlandung. Das ist gut. Zwei Stunden Galgenfrist bis zur ersten Pause.

    Im Klassenraum stolpere ich über ein ausgestrecktes Bein. Es gehört einem von Davids Fans. Ich komme ins Straucheln, kann mich nur knapp am nächsten Tisch abfangen und knicke mir einen Finger dabei um. Mist, ich habe nicht aufgepasst. Das rächt sich umgehend.

    „Och, das tut mir jetzt aber leid. Hat sich der süße Analpilot wehgetan?, fragt der Kerl mit künstlich hoher Stimme. Vereinzelt höre ich Lacher im Raum und gehe schweigend zu meinem Platz. „Ist was durcheinandergeraten bei unserem kleinen Knochenhaufen? Nicht reagieren, das macht es nur schlimmer. Nicht reagieren. Ich bin Philip.

    Die zweite Stunde ist um, die Klingel ertönt. Ich räume umständlich die Hefte in meinen Rucksack, hoffe, Zeit zu schinden - erfolglos, wie meistens.

    „Beeilung, Philip. Die anderen sind schon draußen. Ich muss jetzt den Raum abschließen", sagt mein Klassenlehrer zu mir.

    Er ist ein strenger Mann mit festen Grundsätzen und vermutlich faschistischen Ansichten. So klingt er jedenfalls zwischen den Zeilen. Es ist irgendwie unehrenhaft, widerspricht all dem, was ich über die Welt so denke, aber er ist der Einzige, in dessen Nähe ich sicher bin. Bei ihm traut sich keiner einen falschen Ton, eine unbedachte Handlung. Dafür ertrage ich auch seinen Geruch, der mich an die Mottenkugeln meiner Oma erinnert.

    Zögernd schleiche ich aus dem Klassenraum in den Flur. Meine Schritte hallen von den Wänden wider. Hier ist niemand mehr und ich darf mich hier ebenfalls nicht lange aufhalten. Von den Schülern wird verlangt, die Pausen draußen zu verbringen. Die Toilette ist keine Option. Dort gibt es keinen Hinterausgang und das Fenster ist vergittert.

    Zweimal hat der Prinz mich dort schon erwischt. Beim ersten Mal habe ich einem anderen Jungen hinterhergesehen und er ist meinem Blick gefolgt. Der Prinz ist nicht dumm und hat sofort die richtigen Schlüsse gezogen. Seitdem ist mein schulisches Leben ein einziger Spießrutenlauf. Beim zweiten Mal hat er mir mithilfe von zweien seiner Gefolgsleute den Kopf in eine der Kloschüsseln gedrückt und ihn dann gegen den Deckel gerammt. Es war eklig, demütigend und meine Kopfschmerzen hielten sich hartnäckig bis zum nächsten Tag.

    „Da kommt er ja, der Schwanzlutscher", empfängt mich David auf dem Schulhof.

    Lässig lehnt er an dem Geländer, das die betonierte Fläche begrenzt und kaut lächelnd auf einem Kaugummi herum. Seine allgegenwärtigen Anhänger stehen links und rechts von ihm und lachen pflichteifrig. Alles Schleimer, einer wie der andere, niedriges Gewürm ohne eigene Meinung. Eigentlich sind sie bedauernswert. Sie kriechen hinter David her, hängen an seinen Lippen und lechzen nach seiner Aufmerksamkeit, die er je nach Laune huldvoll gewährt oder verweigert. Damit hat er sich den Spitznamen „Prinz" erworben.

    In unserer Altersgruppe ist er hier tonangebend, sein Wort ist Gesetz, seine Meinung gefragt. Selbst die Schüler der Parallelklassen respektieren ihn oder wollen ihm zumindest nicht in die Quere kommen. Darum spricht außer den Lehrern niemand mit mir. Der Prinz wirkt bedrohlich, überheblich, sein Lächeln erinnert an eine Schlange. Er lächelt oft. Man weiß nie, was er in der nächsten Sekunde tut oder sagt. Das macht ihn unberechenbar und gefährlich für jemanden wie mich.

    Ich darf nicht reagieren, den Kopf nicht drehen, ihn nicht ansehen. Also gehe ich in die entgegengesetzte Richtung und bemühe mich, dabei normal zu laufen, nicht zu rennen. Angst kann man auch am Gang erkennen. Sie wirkt anziehend auf die gierige Meute.

    „Was ist, Weber? Keine Lust, mit uns abzuhängen?" Zustimmendes Raunen.

    „Vielleicht hängt bei der Schwuchtel ja gar nichts und sie hat zu was ganz anderem Lust. Jungs, bringt euch in Sicherheit." Und schon gackern sie los. Wieder ein gelungener Witz dieses Monsters. Ich bin Philip.

    In der zweiten Pause habe ich Glück. Der Prinz und sein Hofstaat wurden vom Hausmeister verdonnert, zwei Kellerräume zu reinigen. Er hat sie erwischt, als sie ihre Kippen durchs Kellerfenster geworfen haben. Gedankenverloren knabbere ich an meinem Brot und blinzele ins Sonnenlicht. Das Leben könnte so schön sein, wenn ich normal wäre.

    Ich bin nicht normal - jedenfalls nicht das, was andere unter „normal" verstehen. Ich bin schwul. Das ist mir seit einem halben Jahr bewusst und seit ein paar Monaten weiß es leider auch David und damit der Rest der Schule. Darin sehe ich nur einen einzigen Vorteil. Früher hatte ich keine Ahnung, was dieses Monster dazu trieb, mich zu tyrannisieren. Rempeleien und Rippenstöße gab es von Anfang an, doch jetzt weiß ich wenigstens, warum er mich hasst.

    Bald sind Ferien. Darauf freue ich mich wahnsinnig - sechs Wochen Frieden, keine Angst, kein Versteckenmüssen, keine Schweißausbrüche, keine Magenschmerzen. Nur die Alpträume werden mir erhalten bleiben. Leider muss ich noch zwei Wochen warten und jetzt im Moment erst mal zusehen, dass ich unbeschadet nach Hause komme.

    „David, Philip, kommt ihr bitte zu mir?", ruft die Vertrauenslehrerin der Schule uns entgegen, als wir nach Unterrichtsende aus dem Klassenraum in den Flur gehen.

    Mir schwant Übles, mein Magen dreht sich um. Ich beiße mir auf die Zunge und in die Wangen, bis ich Blut schmecke.

    Die Frau lächelt uns an und verkündet: „Philip, deine Mutter hat mich angerufen, dass ihr beiden nicht gut miteinander zurechtkommt. David, das ist nicht in Ordnung. Du weißt, dass wir uns hier alle mit Respekt behandeln müssen. Ich möchte, dass ihr euch die Hände gebt und Frieden schließt."

    Dieser Aufforderung müssen wir nachkommen, daran führt kein Weg vorbei. Sie spricht weiter, hält einen Vortrag über Fairness und den Auftrag der Schule. Hinter ihr zieht das Monster langsam zwei Finger über seine Kehle und grinst. Das ist mein Untergang. Ich bin erledigt. Er weiß es und ich weiß es. Die Vertrauenslehrerin verabschiedet sich lächelnd von uns und wünscht uns einen schönen Nachmittag. David schlendert davon, während ich in entgegengesetzter Richtung das Haus fluchtartig verlasse.

    Ich habe mich wieder für die Express-Version entschieden und rase den üblichen Weg entlang. Hinter mir höre ich Geräusche von Turnschuhen, die in schneller Folge auf dem Pflaster aufkommen, spüre förmlich die Blicke im Rücken. Sie brennen im Genick. Ich muss Haken schlagen, eine Abkürzung durch den Hinterhof beim Bäcker nehmen, den Weg kenne ich.

    Jetzt links um die Ecke, dann rechts, noch fünfzig Meter, dann kommt die gewundene Kellertreppe. Sie ist uneinsehbar, das ist günstig. Leider ist sie völlig verdreckt und der leckere Geruch von frischem Gebäck schafft es nicht bis hierher. Ich kauere am Boden zwischen Staub und Schmutz – alte Kaugummis, Zigarettenstummel, Haare, Federn, Spinnweben. Ich habe Zeit, mir alles anzusehen, auch die tote Ratte, die dort schon seit Wochen liegt. Über den langsamen Prozess ihres Verfalls könnte ich ein Referat halten. Schließlich komme ich in regelmäßigen Abständen hierher.

    Fünfzehn Minuten sind vorbei. Mein linker Fuß schläft ein. Vorsichtig bewege ich ihn, bemühe mich, nicht über den Boden zu schaben und nicht mit den Schnallen des Rucksacks an der Wand hängenzubleiben. Das kleinste Geräusch könnte meine Verfolger aufmerksam machen. Vielleicht stehen sie oben und warten auf mich. Die flache Atmung beherrsche ich schon lange, kann auch Hustenreize unterdrücken und das Bedürfnis, mich zu übergeben, ist längst bezwungen.

    Ich darf nicht aufgeben, egal, wie erniedrigend das alles ist. Wenn sie mich in die Finger kriegen, bin ich fällig. Dann kann ich froh sein, wenn es bei ein paar blauen Flecken und Spuckeresten auf den Schuhen bleibt. Dass mein Zirkel verschwunden ist, habe ich zu Hause noch nicht gebeichtet. Ich habe ihn nicht wiederfinden können, nachdem das Monster vor einer Woche den Inhalt meines Rucksacks aus dem Fenster gekippt hat. Bei der Gelegenheit kann ich meiner Mutter gleich die Jacke mit den zwei Rissen zum Nähen geben. Dann habe ich das Gemecker in einem Aufwasch erledigt.

    Ob man wohl ein Mann wird, wenn man sich ständig zwischen Schmutz und Abfall verkriecht? Vielleicht wachse ich deswegen nicht, bleibe für immer klein und schwächlich, überflüssig wie der Dreckhaufen hier. Ich bin ein erbärmlicher Feigling – nein, weniger, ich bin ein Nichts.

    Spätestens mit dem Schulabschluss wird es ein Ende haben. Dann kann ich das alles hinter mir lassen und ein Etwas werden. Möglicherweise sogar ein Jemand. Ich bin Philip.

    Jetzt sind es fünfundzwanzig Minuten, das sollte reichen. Ich rappele mich hoch, strecke leise meine steifen Beine. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, meine Hände sind feucht und an einer Schläfe läuft ein Schweißtropfen herunter. Meine Eingeweide haben sich verknotet, sind fest verzurrt. Ganz langsam schleiche ich die Treppe hinauf, traue mich kaum, zu atmen. Hoffentlich sind sie weg.

    Prinzendämmerung

    Zwei Jahre später

    David

    Da läuft er, der kleine Loser, über den Schulhof hinter das Gebäude zu seinem Lieblingsplatz. Wo das ist, weiß ich schon lange, habe ihn oft genug dort aufgestöbert. Dieser Wichser hat was Provokantes. Ich muss ihn nur ansehen und habe das Bedürfnis, ihn leiden zu lassen, die Angst in den Augen zu sehen, das Zittern der Hände zu beobachten. Ich weiß, dass er Schiss hat - sollte er auch haben. Ist halt blöd, wenn man schwul und mickrig ist.

    Ich konnte den Kerl von Anfang an nicht leiden, seit wir gemeinsam in die fünfte Klasse kamen. Immer hatte er die besseren Noten, war Liebling der Lehrer, hat nie was falsch gemacht. Ich dagegen durfte mir daheim von meinem Vater die Prügel abholen, wenn ich wieder mal was versaut hatte. Meine Mutter hat sich schon lange zu einem anderen Mann verpisst. Mittlerweile bin ich sechzehn, größer und breiter als der Alte. Darum traut er sich nicht mehr, mich anzufassen, der versoffene Penner.

    Unser Schulabschluss rückt näher. Ich bin nervös, unruhig, kann innerlich kaum stillsitzen. Nach außen hin gammele ich reglos auf den alten Stühlen herum. Noch vier Monate und ich kann hier abhauen, raus aus der Stadt, rein ins Leben. Ich habe die Schnauze voll von allem. Dann muss ich auch Philip nicht mehr ertragen, diesen dürren Streber in seinen altmodischen Klamotten und mit dem hässlichen Topfhaarschnitt.

    Seit das neue Schuljahr begonnen hat, habe ich die Lust verloren, ihn zu nerven. Die Verfolgungsjagden langweilen mich, ist eh immer dasselbe. Meine Leute langweilen mich auch. Es geht mir auf den Sack, wie sie mir in den Arsch kriechen, mich hofieren, jedes Wort aufsaugen, das ich sage. Was ich will, wird gemacht, egal, wie schwachsinnig es ist. Würde der Prinz „Friss Scheiße" rufen, wären alle sofort auf dem Weg zum nächsten Misthaufen.

    Alle außer Philip. Er hat nie versucht, sich bei mir einzuschleimen, mir in vorauseilendem Gehorsam versichert, wie cool ich bin. Es sei denn, ich habe ihn mit Gewalt dazu gezwungen, ihn genötigt, „Du bist der Größte" zu sagen. Das hat er dann auch gemacht, aber er tat es leise, in gleichermaßen furchtsamem wie verächtlichem Tonfall. Er ist immer geflüchtet, doch er hat sich nie vor mir gebeugt.

    Natürlich hat er sich körperlich geduckt, ist meinem Blick ausgewichen, zum Beispiel, wenn wir ihn in den Mülleimer des Schulhofs gesetzt und mit unserem Frühstück beworfen haben. Dennoch hat er eine seltsame Würde ausgestrahlt, es mit eiserner Geduld ertragen. Ich habe keine Ahnung, wie er das macht. Jeder andere hätte geheult wie ein Schlosshund und nach seiner Mama gebrüllt. Von der Schwuchtel kam dagegen kein Ton. Ein paarmal hat er

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1