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ICH BIN MEINE SCHWESTER: Der Krimi-Klassiker!
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eBook311 Seiten4 Stunden

ICH BIN MEINE SCHWESTER: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Eine heiße Nacht in Las Vegas. Die Würfel rollen. An einem der Spieltische sitzt Norma Collins, vor sich einen Stapel Silber-Dollars. Sie hat Glück.

Doch dann muss Norma fort - sehr plötzlich muss sie fort. Es gibt nur einen einzigen Zufluchtsort...

Das Mädchen, welches sie dort erwartet, ist ihr zum Verwechseln ähnlich. Und in ein paar Stunden wird eine von ihnen tot sein - die andere aber wird sich fragen: Wer bin ich?

Der Thriller Ich bin meine Schwester von Brad Williams erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1965.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum1. Juli 2020
ISBN9783748748250
ICH BIN MEINE SCHWESTER: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    ICH BIN MEINE SCHWESTER - Brad Williams

    Das Buch

    Eine heiße Nacht in Las Vegas. Die Würfel rollen. An einem der Spieltische sitzt Norma Collins, vor sich einen Stapel Silber-Dollars. Sie hat Glück.

    Doch dann muss Norma fort - sehr plötzlich muss sie fort. Es gibt nur einen einzigen Zufluchtsort...

    Das Mädchen, welches sie dort erwartet, ist ihr zum Verwechseln ähnlich. Und in ein paar Stunden wird eine von ihnen tot sein - die andere aber wird sich fragen: Wer bin ich?

    Der Thriller Ich bin meine Schwester von Brad Williams erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1965.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    ICH BIN MEINE SCHWESTER

    Erstes Kapitel

    Die zeitlosen Stunden einer Nacht in Las Vegas: Im Royal Nevada herrschte die gleiche Atmosphäre wie in allen anderen Hotels zu beiden Seiten des weltberühmten Strip - der Hauptvergnügungsstraße dieser Stadt. Die harten, blechernen Klänge der bekannten Neger-Band drangen aus der Bar nebenan und vermischten sich mit dem typischen Geräusch einer Spielhölle. Das Royal Nevada besaß das größte Casino von Las Vegas. Über zweihundert Spielautomaten standen an den Wänden entlang. Ein Dutzend Roulett- und ebenso viele Würfeltische befanden sich in der Mitte des riesigen Saals.

    Man sah alle Arten von Kleidung. Am Ende eines Würfeltisches saß eine junge Frau mit einem tiefausgeschnittenen hautengen Cocktailkleid. Ihre gepflegten Hände spielten nervös mit einem Haufen von Silberdollars, die vor ihr auf dem grünen Filz lagen. Schräg gegenüber von ihr stand eine ungefähr gleichaltrige Frau in Blue Jeans und einem ausgewaschenen Leinenhemd und setzte, sobald die Würfel fielen, scheinbar völlig unbekümmert eine Reihe von 25-Dollar-Chips. Die Akustik des Spielcasinos war so gut, dass alle Geräusche gedämpft schienen. Sogar die freudigen Ausrufe der jeweiligen Gewinner.

    Hektisch und gewandt schoss das Râteau über den Filz, Einer der Croupiers räumte den Tisch ab. Er türmte vier 25-Dollar-Chips aufeinander und schob sie der Dame im Cocktailkleid hin. Im Gegensatz zu den meisten Gewinnern verzog sie keine Miene.

    Sie räusperte sich schwach, warf drei Silberdollars auf den Tisch und ließ die Chips in ihrer Handtasche verschwinden. Sie war eine außergewöhnlich attraktive Frau, Anfang Zwanzig. Ihr Haar war lang und blond; ihre Flaut sonnengebräunt. Sie hatte sich kaum geschminkt. Lediglich eine Spur Rouge auf den vollen Lippen. Ihre Augen waren tiefblau. Sie reflektierten den Schein der Lampe über dem Spieltisch.

    Sie fuhr fort, ihre Silberdollars zu setzen, bis ein Barmädchen hinter ihr stehen blieb und fragte, ob sie etwas bringen dürfte. Die junge Frau blickte über die Schulter und schüttelte den Kopf. Dann strich sie ihr Geld ein und stand vom Tisch auf. Langsam schlenderte sie auf einen Teil des Saales zu, wo hinter einer Samtkordel unter den wachsamen Augen eines uniformierten Casinoangestellten Bakkarat gespielt wurde. Die junge Frau schien sich der Blicke,  die sie im Vorbeigehen streiften, durchaus bewusst zu sein. Die Frauen musterten sie kritisch. Die Männer verlangend.

    Im Royal Nevada gab es lediglich einen Bakkarat-Tisch, und nur acht Leute saßen beim Spiel. Bis auf einen jungen Mann, der sich scharf von den anderen unterschied, waren sie alle gut über Vierzig. Er hatte dickes, schwarzes, welliges Haar; seine Haut war olivfarben und ließ auf südliche Abstammung schließen. Bakkarat ist ein teures Spiel. Der Mindesteinsatz betrug hier zwanzig Dollar, und im Handumdrehen waren fünftausend Dollar auf dem Tisch.

    Das Mädchen beobachtete das Spiel, ohne es zu verstehen. Nur eine der acht Personen machte einen desinteressierten Eindruck: eine grauhaarige Dame mittleren Alters, die dauernd auf die Armbanduhr blickte, während sie Zwanzigdollarscheine auf den Tisch blätterte. Sie schien Angestellte des Casinos zu sein, die durch ihr hohes Spiel die Gäste zum Setzen animieren sollte. Offensichtlich wartete sie auf ihre Ablösung. Die anderen, die hier ihr Glück versuchten, beobachteten konzentriert die Karten, die aus dem Schlitten glitten. Doch keiner verfolgte das Spiel mit mehr Aufmerksamkeit und Spannung wie der junge Mann, der neben der Animierdame saß.

    Das Glück muss ihm nicht zur Seite gestanden haben, stellte das Mädchen fest, als sie das jämmerliche Häufchen Geld vor ihm sah. Er schien verärgert zu sein. Seine vollen Lippen waren fest zusammengepresst, seine dunklen Augen glühten. Als der Bankhalter die Karten vor ihn hinschob, richtete er sich leicht auf, fuhr mit dem Finger zwischen Kragen und Hals, langte in die Brusttasche seines Jacketts und zog eine schmale Brieftasche heraus. Er entnahm ihr fünf Hundertdollarscheine, legte sie vor sich auf den Tisch und sah hoch. Ihre Augen trafen sich. Er nickte der jungen Frau kurz zu und zuckte mit den Schultern. Als sein Blick über sie hinwegging, fuhr er plötzlich zusammen. Doch schon im selben Moment konzentrierte er sich wieder auf das Spiel und ließ sich zwei Karten geben.

    Das Mädchen drehte langsam den Kopf. Sie versuchte herauszufinden, was ihn beunruhigt hatte; aber die Menge sah genauso aus wie vorher. Als sie sich wieder umwandte, war der junge Mann bereits aufgestanden, faltete gerade sein Geld zusammen und schob die Scheine achtlos in die Tasche. Er schlenderte um den Tisch herum, bedachte den uniformierten Aufseher mit einem Nicken und kam auf die junge Frau zu.

    »Komm, lass uns etwas trinken«, sagte er, legte eine Hand auf ihren Arm und führte sie zur Bar. Seine Bewegungen waren ohne

    Hast, aber sie spürte, dass eine seltsame Gespanntheit von ihm ausging. Man kann einem Menschen in drei Monaten wirklich nahekommen, dachte sie, und ihn gleichzeitig so überhaupt nicht kennen.

    Ein Ober stand in der Tür zur Bar und verbeugte sich tief, als sie an ihm vorbeigingen.

    »Guten Abend«, grüßte er die junge Frau, dann wandte er sich an ihn. »Guten Abend, Mr. Pato.« Ohne auf eine Antwort zu warten, begleitete er sie zu einem kleinen Tisch direkt vor der Band. Beflissen schob er die beiden Stühle zusammen, dass das Paar nebeneinander sitzen konnte. Anschließend winkte er eine Bedienung an den Tisch. Sie nahm die Bestellung auf.

    Einige Minuten lang fiel kein Wort. Der junge Mann drehte das Glas in seinen Händen - was ebenfalls ungewöhnlich war. Sonst, wenn sie zusammen saßen, widmete er seine ganze Aufmerksamkeit ihr und lächelte, während er sprach. Jetzt aber starrte er auf seinen Drink, und wenn er etwas sagte, sah er sie nicht an, und seine Lippen bewegten sich kaum.

    »Ich wünsche«, murmelte er, und man konnte seine Stimme beim Lärm der Blechinstrumente kaum verstehen, »dass du in ein paar Minuten zur Toilette gehst. Wenn du wieder herauskommst, begibst du dich direkt zum Bungalow.«

    »Was ist denn los, Johnny?«

    Plötzlich begriff sie, dass er Angst hatte. Und das war besonders seltsam, denn er war nicht der Mann, der sich so schnell vor etwas fürchtete,

    Einen Moment ignorierte er ihre Frage. »Pack unsere Sachen«, fuhr er schließlich im gleichen Ton fort, »und vergiss auf keinen Fall das kleine Köfferchen im Wandschrank. Alles muss in fünf Minuten erledigt sein.«

    Sie sah ihn an. Seine Angst ging auf sie über.

    »Und verhalte dich völlig normal«, ermahnte er sie und legte die Rechte auf ihr Knie.

    »Aber was ist denn los?«, fragte sie nochmals und streichelte ihm über die Hand.

    »Das werde ich dir später erklären«, entgegnete er und trank von seinem Glas. »Weißt du, wie man zur Rennbahn kommt, die ich dir vorgestern gezeigt habe?«

    »Ich denke, schon.«

    »Pack alles in den Wagen«, fuhr er fort. »Im Eingang der Stallungen wartest du auf mich.«

    Die Bläser der Band standen auf, und das Getöse wurde ohrenbetäubend. Sie fuhr sich über die Stirn. Die Musik war so laut, dass sie keinen Gedanken fassen konnte. Es ist vielleicht besser so, dachte sie und musste innerlich lächeln. Johnny nahm die Hand von ihrem Knie, holte zwei Zigaretten aus einem Päckchen, zündete sie an und tat eine in den Aschenbecher vor ihr. Als er seine Hand wieder auf ihr Knie legte, ließ er die Autoschlüssel in ihre Finger gleiten. Die Band setzte zum Schlusschorus an. Das Podium drehte sich, und ein zweites Jazzorchester, das dieselbe Melodie spielte, erschien. Nun wusste sie, warum die Musik so irrsinnig laut gewesen war. Ein zweites großes Ensemble hatte hinter der Bühne in dasselbe Stück mit eingestimmt.

    »Richte es so ein, dass du in ungefähr fünfundvierzig Minuten an der Rennbahn bist«, sagte er. »Zieh an der Zigarette und lege sie wieder in den Aschenbecher.«

    Sie tat es. »Und jetzt?«, fragte sie.

    Er blickte sie an und lächelte schwach. Dann stand er auf und schob ihren Stuhl zurück. »Beeil dich, mein Liebling«, sagte er laut. Als sie den Tisch verließ, setzte er sich wieder hin und betrachtete die Jazzmusiker auf dem Podium.

    Es war ein halbes Jahr her, hatten sie vor ein paar Tagen in Los Angeles festgestellt. Sechs Monate waren vergangen, seit sie sich zum ersten Male getroffen, neunzig Tage, seit sie das erste Wochenende zusammen in Malibu verbracht hatten. Aus dem Grunde hatte er sie mit nach Tijuana genommen, wo er geschäftlich zu tun gehabt hatte. Und anschließend nach Las Vegas... In ein paar Tagen, wenn er hier alles erledigt haben würde, wollten sie nach Südamerika weiterfliegen. Eigentlich kannte sie ihn nicht sehr gut, aber von Tag zu Tag erfuhr sie mehr über ihren Liebhaber. Las Vegas war ihm nichts Neues, und er war ein leidenschaftlicher Spieler. Und wenn sie darüber nachdachte, erstaunte sie das keineswegs. Er hatte immer die Taschen voll Geld, und seine ganze Art war die eines Spielers. »Wenn sich einem eine Chance bietet«, hatte er einmal gesagt, »muss man zupacken. Wenn man glaubt, aus etwas Nutzen schlagen zu können, muss man sofort handeln und alle Skrupel beiseiteschieben.«

    Sie blickte in den Spiegel. Hinter ihr lief die Toilettenfrau geschäftig hin und her. Eigentlich nur, um etwas Zeit zu gewinnen, beugte sich die junge Frau nach vorn und zog ihre Lippen mit dem hellrosa Stift nach. Die Farbe steht mir, dachte sie. Auch das war neu. Es war Johnnys Idee gewesen, und sie hatte gelacht, als er ihr das Rouge geschenkt hatte. »Wir Pato-Jungs lieben Frauen mit Klasse«, hatte er gesagt.

    Lächelnd steckte sie den Lippenstift wieder in die Handtasche und gab der Toilettenfrau einen Silberdollar Trinkgeld. Es war wie ein Traum, und sie konnte es selbst kaum glauben. Noch vor wenigen Monaten war sie als Angestellte einer Agentur für Schauspieler in Beverly Hills tätig gewesen, hatte von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends gearbeitet und nie mehr als fünfundzwanzig Cent Trinkgeld gegeben. Natürlich hatte man Bemerkungen fallen lassen, dass sie sich mehr für Johnny Patos Geld als für Johnny Pato selbst interessierte, aber diese Bemerkungen trafen sie nicht. Sie wusste genau, dass sie bei Johnny bleiben würde, auch wenn er nicht einen Cent besäße. Und wenn er nicht heiraten wollte oder aus irgendeinem Grund nicht heiraten konnte, wäre ihr auch das egal. Sie liebte ihn.

    Als sich die Tür hinter ihr schloss, blieb sie einen Moment in der Halle stehen. Dank der hervorragenden akustischen Verhältnisse dieses Hotels hatte man den Eindruck, als sei das Jazzorchester meilenweit entfernt. Die Geräusche aus dem Spielcasino waren kaum zu hören. Niemand schien die junge Frau zu beachten. Vielleicht ein Dutzend Menschen befanden sich in der »Halle. Aber keiner von ihnen sieht so aus, als könne er Johnny Angst einjagen, dachte sie, als sie langsam aus dem Hotel ging, die Tür aufstieß und in den großen Garten mit dem Swimming-Pool hinaustrat.

    Draußen war alles völlig verlassen, Laut Anschlägen gab es ein Gesetz, wonach das Schwimmen nach Einbruch der Dunkelheit verboten war. Dieses Gesetz, hatte ihr Johnny erklärt, war auf Veranlassung der Hotelbesitzer durchgebracht worden, weil man vermeiden wollte, dass die Hotelgäste abends um das Schwimmbad herumsitzen anstatt beim Roulett ihr Geld zu verspielen. Sie beschleunigte den Schritt. Ihre hohen Absätze klapperten auf den Steinplatten, während sie um den Swimming-Pool herum auf den Bungalow an der Rückseite des Gartens zuging. Einen Moment später betrat sie das luxuriöse Häuschen, das sie mit Johnny in den letzten zwei Tagen bewohnt hatte.

    Ihre Bewegungen waren schnell und geschickt. Dies war das erstemal, dass Johnny sie um etwas gebeten hatte. Und obwohl sie seine Gründe nicht kannte, war sie entschlossen, ihn nicht im Stich zu lassen und alles so zu erledigen, wie er es ihr aufgetragen hatte. Kurz darauf trug sie ihre beiden eigenen Koffer zu dem teuren ausländischen Kabriolett, das einige Meter von dem Bungalow entfernt geparkt war. Sie begegnete niemandem. Gott sei Dank, dachte sie. Eine junge Frau im Cocktailkleid, die ihre Koffer zum Wagen trägt, musste reichlich absonderlich aussehen. Falls ein Angestellter oder Hoteldetektiv sie beobachtete, konnten diese nur den einen Schluss ziehen: dass sie sich aus dem Staub machen wollte, ohne die Rechnung zu bezahlen. Und so ist es ja auch, dachte sie mit einem leichten Seufzer, schloss den Kofferraum auf und schob ihr Gepäck. hinein. Immerhin hatte sie inklusive der Chips noch fünfhundert Dollar in der Tasche - was allerdings kaum reichen würde.

    Als sie die beiden hastig gepackten Lederkoffer ihres Freundes nach draußen trug, war nach wie vor alles still und verlassen. Johnnys Gepäck war unheimlich schwer, und nachdem sie den Kofferraum abgeschlossen hatte, musste sie einen Moment innehalten und verschnaufen, bevor sie in den Bungalow zurückging, um seinen kleinen Aktenkoffer zu holen.

    Kurz darauf, als sie die Tür des Bungalows hinter sich zuzog, war sie jedoch nicht mehr unbeobachtet. Jemand kam langsam den Weg entlang. Sie drückte das Aktenköfferchen an sich, blieb einen Moment stehen und sah zum Casino zurück. Als sei ihr Blick ein Signal gewesen, brachen die Schritte plötzlich ab. Der Weg, der um das Schwimmbad herumlief, war mit Palmen eingesäumt. Unter jeder zweiten Palme brannten kleine Scheinwerfer, deren gelbliches Licht über Farnsträucher hinwegstrich, die sich im Nachtwind leicht bewegten. Die Bewegung in den Pflanzen war seltsam trügerisch. Von der Person, deren Schritte sie eben gehört hatte, war keine Spur zu sehen. Sie musste sich hinter einer der Palmen versteckt haben. Jedoch jemand, der zufällig einen Weg entlangkommt, verschwindet nicht sofort hinter einem Baum, nur weil er eine junge Frau einen Bungalow verlassen sieht. Nervös biss sie sich auf die Lippen, drückte das Aktenköfferchen noch fester an sich, drehte sich wieder um und ging schnell zum Wagen.

    Erst, als sie die Autotür aufmachte, hörte sie die Schritte wieder - die festen Schritte eines Mannes. Sie steckte den Schlüssel in das Zündschloss. Die Schritte fingen an zu laufen. Der Motor sprang an. Sie schaltete die Scheinwerfer an und legte hastig den Rückwärtsgang ein. Ihr Verfolger schlug einen Haken, um dem Licht der Scheinwerfer zu entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie eine vage Silhouette. Rückwärts raste sie in eine Parklücke, schaltete und schoss im gleichen Moment mit quietschenden Reifen davon. Als sie um das Hotel bog, warf sie einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Genau an der Stelle, wo der Weg auf den Parkplatz mündete, stand ein Mann, die Arme in die Hüften gestemmt, und starrte ihr nach.

    Erst, als sie sich im fließenden Verkehr auf dem Strip befand, setzte die Reaktion ein. Sie begann am ganzen Körper zu zittern und fuhr rechts an den Straßenrand, um sich zur Beruhigung ihrer Nerven eine Zigarette anzuzünden und den Sitz in eine bequemere Position zu rücken. Bevor sie weiterfuhr, blickte sie sich um. Nichts gab zu der Befürchtung Anlass, dass sie verfolgt wurde. Das riesige Neonschild in Form einer altägyptischen Barke auf dem Dach des Royal Nevada leuchtete in der Ferne. Alles sah so völlig normal aus, dass sie sich im Moment fragte, ob die Phantasie mit ihr durchgegangen sei.

    Die Rennbahn von Las Vegas lag ungefähr eineinhalb Kilometer südlich vom Strip. Man hatte Unsummen in diese Anlage hineingesteckt und ein sehr großes Clubhaus und eine riesige Tribüne errichtet. Vor Jahren war alles noch ausnehmend gepflegt gewesen und man hatte den Eindruck gemacht, als ob die Initiatoren dieser Investition die großen Rennbahnen von Santa Anita und Hialeah hatten ausstechen wollen. Aber nicht ein Pferd war jemals über den Turf von Las Vegas gelaufen. Bevor das erste Rennen zustande kam, war das Geld ausgegangen, und keiner der Spielhöllenbesitzer am Strip war bereit gewesen, auch nur einen Cent für ein Projekt herzugeben, das eine Konkurrenz für das eigene Geschäft geworden wäre. Sandstürme hatten dem Anstrich des Clubhauses und der Tribüne inzwischen schwer zugesetzt. Die Polizei fuhr gelegentlich über die Anlage und jagte irgendwelches Landstreichervolk, das sich hier eingenistet hatte, vom Gelände. Doch das kam verhältnismäßig selten vor.

    Als sie vor zwei Tagen nach Las Vegas gekommen waren, hatte Johnny am Eingang der verlassenen Stallungen angehalten und über die Rennbahn gezeigt. »Aussicht auf Las Vegas«, hatte er gesagt, und sie hatten die Bemerkung beide sehr komisch gefunden.

    In der tiefen Dunkelheit dieser Nacht jedoch hatte das totenstille Gelände gar nichts Komisches an sich. Sie blieb vor dem Eingang zu den Ställen mit laufendem Motor stehen. Rechts von ihr warf das Neongeglitzer des Strip einen roten Schein gegen den Himmel. Am Horizont sah sie das rote Licht eines Düsenjägers, der vom Flugplatz McCarreen gestartet war.

    Auf gleicher Höhe zu jener Stelle, an der sie angehalten hatte, leuchtete die altägyptische Barke des Royal Nevada zu ihr herüber. Zu Fuß hätte man vom Hotel zur Rennbahn nur ungefähr eine Viertelstunde gebraucht. Sie jedoch hatte erst an die eineinhalb Kilometer in westlicher Richtung fahren müssen, bis sie auf eine Querstraße gestoßen war.

    »Im Eingang der Stallungen wartest du auf mich«, hatte er gesagt. Langsam fuhr sie über die Straße und lenkte den Wagen durch das offene Tor, das zu den Ställen führte. Drinnen wendete sie und zog neben einem kleinen Gebäude, das wohl als eine Art Verwaltungshaus gedacht gewesen war, die Bremse. Sie stand parallel zur Straße geparkt. Falls ich aus irgendeinem Grund schnell von hier weg muss, dachte sie, bin ich im Nu draußen. Sie schaltete die Scheinwerfer aus, stellte den Motor ab und wartete.

    Eine ganze Zeit lang war alles totenstill. Dann hörte sie plötzlich ein schwaches Geräusch. Ein Karnickel, das über den Sand hüpft oder eine Klapperschlange... Klapperschlangen huschen nur nachts durch die Wüste. Obwohl die Luft warm und trocken war, lief ihr ein Schaudern über den Rücken.

    Aus der Ferne kam ein Wagen angerast, fuhr am Tor zu den Ställen vorbei, und das Brummen des Motors verstummte langsam wieder. Sie knipste das Licht am Armaturenbrett an und sah auf die Uhr. Es war gut eine Stunde vergangen, seit sie das Hotel verlassen hatte. Sie fragte sich, was sie tun sollte, wenn Johnny nicht kommen würde. Im gleichen Augenblick hörte sie vorsichtige Schritte. Sie kamen von hinten. Sie drehte sich um und erstarrte von Angst.

    Der Mann, der ungefähr zwei Meter vom Kofferraum des Wagens entfernt stand, war nicht Johnny. Ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, und sie erkannte das unrasierte, ausgemergelte Gesicht eines jungen Mannes, der ziemlich auf seinen Beinen schwankte und sie anstarrte. Ein Landstreicher, ein junger Herumlungerer, dachte sie erschrocken. Dazu war er noch betrunken. Selbst aus dieser Entfernung roch er nach Alkohol. Er war wie ein Tier, das eine Falle witterte. Sein Kopf rollte auf den Schultern hin und her. Er machte einen weiteren Schritt und kam schließlich so nahe heran, dass er sich auf den rückwärtigen Kotflügel stützen konnte. Ein Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie fuhr herum und streckte die Hand nach dem Zündschlüssel aus. Aber der Fremde reagierte blitzschnell. Ihre plötzliche Bewegung hatte ihn aus seiner schwankenden Untätigkeit gerissen. Er sprang auf sie zu, packte sie am Handgelenk und drückte mit seinem Daumen so lange zwischen die Sehnen, bis sie vor Schmerz den Zündschlüssel losließ. Sein Atem war übelriechend, seine Jacke schmutzig und zerschlissen. Sie schüttelte sich vor Ekel.

    Wieder versuchte sie zu schreien, und wieder konnte sie keinen Ton herausbringen. Der Mann richtete sich langsam auf. In seiner Hand baumelten die Wagenschlüssel. Einen Moment lang stand er nur da und stierte wortlos auf sie herunter. Seine Haltung war furchterregend. Er schnalzte mit den Fingern, und die Autoschlüssel flogen auf den Rücksitz und rutschten auf den Boden herunter. Seine Haare hingen ihm bis in den Kragen, seine Augen lagen tief in den Höhlen. Wie versteinert vor Angst saß sie da, das Gesicht dem Fremden halb zugewandt. Als der Mann sich wieder vorbeugte, fuhr sie zusammen; aber er berührte sie nicht, sondern holte das Aktenköfferchen vom Rücksitz.

    Während er sich bückte, um es auf den Boden zu stellen, brach die hypnotische Wirkung, die er auf sie ausgeübt hatte, zusammen. Norma Collins schrie. Zur gleichen Zeit beugte sie sich nach vorn, schaltete die Scheinwerfer ein und lehnte sich gegen die Hupe. Eine Sekunde lang schien alles taghell erleuchtet zu sein, dann fühlte sie einen schweren Schlag gegen ihre Schläfe und verlor die Besinnung.

    Es können nur ein paar Minuten verstrichen sein, dachte sie. Alles war wieder stockdunkel. Sie hatte wahnsinnige Kopfschmerzen. Ohne sich zu rühren, lag sie da, gegen die Armstütze des rechten Sitzes gelehnt. Sie war nicht vergewaltigt worden, denn ihre Kleider waren in Ordnung. Noch nicht, schoss es ihr durch den Kopf. Und in dem Moment erinnerte sie sich an die Pistole im Handschuhfach. Plötzlich hörte sie zögernde, schleichende Schritte. Langsam hob sie den Arm und machte vorsichtig das Handschuhfach auf. Sie wusste mit dieser Waffe umzugehen. Auf der Fahrt nach Ensenada hatten sie angehalten und auf Zaunpfosten an der Landstraße geschossen. Wieder hörte sie einen Schritt, und ihre Finger schlossen sich um den Griff der kleinen italienischen Pistole.

    Es war wie ein Alptraum. Langsam kamen die schleichenden Schritte näher. Sie konnte sich nicht mehr zusammennehmen, schoss in die Höhe, zielte in die Richtung, aus der die Schritte kamen und zog den Abzug durch. Die schattenhafte Gestalt, die nur einige Meter von ihr entfernt stand, krampfte sich zusammen; versuchte sich aufrecht zu halten und stolperte zurück. Der Knall der Schüsse zerriss die Stille der Nacht. Der Mann sackte in sich zusammen und fiel. Sie ließ die Waffe sinken.

    Die Pistole fiel ihr aus der Hand. In den Ohren war ein unerträgliches Rauschen. Dann

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