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Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies
Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies
Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies
eBook200 Seiten2 Stunden

Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies

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Über dieses E-Book

Durch einen tragischen Unfall verliert der Schriftsteller Johannes Kepler seine Tochter Leonie und seine Frau Annika. Seitdem lebt er nur noch in der Welt seiner Gedanken. Er konstruiert eine andere Wirklichkeit. Beide, er und seine imaginäre Tochter schreiben gemeinsam ein Buch, in welchem sie die Menschheit und ihr Handeln anklagen. Sie beklagen die Kriege und die Zerstörung unseres Planeten. Sie beschreiben unseren Planeten, unsere Welt als das Paradies, das wir zerstören und verlieren, weil wir durch den Einfluss der digitalen Medien zu gefühlslosen Wesen werden, weil wir immer mehr vereinsamen und Avatare, Geister zwischen der Realität und einer virtuellen Welt werden.

 

 "Ich bin ein Gefangener meiner Gedanken. Die Erinnerungen sind meine Zukunft. Es sind die Geister der Vergangenheit, die die Gegenwart bestimmen, die jedes Wort, jeden Satz mir qualvoll diktieren. Es bin nicht ich, der schreibt, nicht ich schreibe. Sie tun es."

 

 Eine mitreißende, fiktive Geschichte mit metaphysischer Dimension.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum20. Juni 2022
ISBN9783755415961
Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies

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    Buchvorschau

    Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies - Ernst Ludwig Becker

    Leonie oder Die Entführung aus dem Paradies

    1

    Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es jetzt tun.

    Ich lese diesen Satz jedes Mal, wenn ich dieses Dokument öffne, manchmal täglich, - mehrmals, - ich weiß nicht mehr zum wievielten Mal. Der Anfang ist das Problem, - zweifellos bei dieser Geschichte. Immer wieder kommen mir andere Gedanken, öffnen sich neue Blickwinkel auf das, was ich berichten will. Über einen Urlaub in Marokko will ich berichten, über eine Reise, die mein Leben und das Leben meiner Familie entscheidend verändern wird. Ein Vorfall, ein Unfall, der an meinen Lebensfasern zerrt, an dem, was mich mit dieser Welt verbindet. Ein Einschlag des Schicksals, der mir die Augen geöffnet hat, der mir bewusst machte, was Dasein, was Lebendigkeit bedeutet, was Leben bedeutet und in welcher Welt wir eigentlich existieren!

    Ich bin ein Gefangener meiner Gedanken. Die Erinnerungen sind meine Zukunft. Es sind die Geister der Vergangenheit, die die Gegenwart bestimmen, die jedes Wort, jeden Satz mir qualvoll diktieren. Es bin nicht ich, der schreibt, nicht ich schreibe. Sie tun es.

    Die Zeit zurückdrehen geht nicht! Kein Mensch und kein Gott können die Zeit zurückdrehen, um der Geschichte eine neue, eine positive Richtung zu geben, um Geschehnisse ungeschehen zu machen, um dem Vorgefallenen einen neuen Verlauf zu geben. Wir können nur versuchen es besser zu machen. Ich kann versuchen es besser zu machen. Vielleicht muss ich die Dinge, die Umstände oder Begebenheiten akzeptieren, wie sie waren, muss dem Lauf der Geschichte zustimmen. So war es, - Punkt! So geschah es, - Punkt! Das ist die Historie der Menschheit! Das ist unsere Geschichte! Das ist auch meine Geschichte!

    Und das ist Leonies Geschichte, die Geschichte meiner Tochter. Es ist nicht leicht darüber zu berichten, zu erzählen was passiert ist. Eigentlich weigern sich meine Gedanken. Nein, nein, nein, so kann ich das nicht sagen. Es sind zu viele. Es sind Erinnerungen, Betrachtungen, Grübeleien. Es sind Bilder, Wörter, kurze Szenen, die mir einfallen, Augenblicke in meinem Leben, in unserem Leben, es sind Gegebenheiten, Fakten, Weisheiten, Lehren, Erkenntnisse, die Bilder, vor allem die Bilder, ihr Lachen, ihre Lebendigkeit, es ist dieses Gewitter in meinem Kopf, die Ströme in meinem Gehirn, die keine Ruhe geben. Die Schauplätze wechseln, sie springen durch die Zeit und der Versuch Ordnung in meine Hirngespinste zu bekommen scheitert. Es kann nicht gelingen, es misslingt, weil immer neue hinzu kommen, weil es immer mehr werden, weil jeden Tag, jede Stunde neue Erfahrungen und neue Vorstellungen hinzukommen, denn das Leben besteht darauf, es ist das was wir sind, was ich bin.

    Jede Erinnerung ist eine Drangsal, jeder Satz, jedes Wort ein Stich in mein Bewusstsein. Doch ich weiß, dass Leonie es will. Sie steht an meiner Seite, treibt mich an. Sie redet mir zu, sie spricht mich an.

    „Schreib, sagt sie, „schreib über diese Welt, diesen Planeten, über die Erde. Schreib über dieses Wunder in einem endlosen Universum gefüllt mit Milliarden von Galaxien, über dieses blaue Meisterwerk, diese Perle am Rande der Milchstraße. Es ist mir gleichgültig, wer dieses Werk begonnen hat, ob Gott oder der Zufall und die Evolution. Schreib über dieses Paradies, gefüllt mit einer Unzahl von fantastischen Geschöpfen, bizarren Lebensformen, unglaublichen Verhaltensweisen, eine Welt voll irisierender Farben und Formen, unbegreiflicher Verquickungen, ökologischer Balancen. Schreib über das Wunder des Lebens auf diesem Planeten und wie wir es zerstören!

    „Schreib, sagt sie, „schreib, dass wir dieses Leben zerstören, weil wir es nicht erkennen, weil wir nicht begreifen, wie einzigartig alles ist! Und ich meine alles! Du und ich und jedes Lebewesen, jede Kreatur, ob Vogel, Fisch, ob Schlange, Wurm oder Gottesanbeter, jedes Getier, jedes Blatt, jeder Stein und auch die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, jedes Detail unserer Wirklichkeit. Wir zerstören unsere Wirklichkeit, weil sie uns gleichgültig geworden ist, weil wir sie nicht mehr erkennen, weil sie kein Mysterium mehr ist! Wir zerstören alles, auch uns, weil wir uns gleichgültig geworden sind! Weil wir in der Masse untergehen, als kleines Rad im Räderwerk des Überlebens. Egoistische, selbstgefällige Individuen. Weil wir noch nicht einmal das erkannt haben, das Leben als solches erkannt haben. Weil wir nicht das Paradies erkennen!

    Ich schaue Leonie an. Ich schaue auf ihr junges Gesicht. Es erscheint mir wie ein Gemälde. Die Augen leuchten, sie hungern nach Erkenntnis, sie fordern nach Aufklärung und Gerechtigkeit. Das Porträt eines jungen Mädchens, das nach vorne blickt, das in die Zukunft blickt! Und ich möchte ihren Hunger stillen! Doch dann kommen die Widersprüche, dann kommt die Wirklichkeit, dann kommen die Selbstzweifel und die Mutlosigkeit. „Kein leichtes Unterfangen," hör ich mich sagen.

    „Dieses Erlebnis in Marokko hat auch deine Augen geöffnet, Papa! Mir ist bewusst geworden, wie einzigartig unser Leben ist. Im Bruchteil einer Sekunde, nur einen Wimpernschlag von der Wahrheit entfernt. Es ist die Offenbarung, die Erleuchtung. Als könnten wir das Leben in einer Sekunde erleben, als würde sich die Erkenntnis über das Dasein, über das Mysterium des Lebens wie ein Blitzlicht in mein Gehirn einbrennen. Das musst du schreiben, - Papa!"

    Ich liebe es, wenn sie „Papa" sagt. Es gibt mir das Gefühl einer tiefen Verbundenheit. Die Wärme des Herzens. Früher war es mir wichtig, dass die Kinder meinen Vornamen benutzten. An Papa haftete der Geruch von Patriarchat. Ich wollte mich mit meinem Vornamen auf ihre Ebene stellen oder sie auf meine heben. Ich wollte und will, dass alle Menschen nur durch ihren Vornamen definiert werden. Wir sind alle gleich. Keiner ist schlechter oder besser. - Aber das stimmt nicht.  Es gibt schlechte Menschen.

    Die Zeit zurückdrehen. Natürlich kann ich nicht verändern, was geschehen ist. Nicht was ich getan habe oder sonst jemand auf dieser Welt. Niemand kann die Handlungen aus der Vergangenheit oder deren Konsequenzen rückgängig machen und neu steuern. Wenn der Vorsitzende der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, Adolf Hitler, durch das Attentat im Münchener Bürgerbräukeller getötet worden wäre, wenn Georg Elser die Bombe nur einige Minuten früher zur Explosion gebracht hätte, oder wenn Hitler überhaupt nicht geboren worden wäre, hätten damals all die Millionen von Menschen dennoch sterben müssen? Hätte ein anderer Verrückter ein Buch über die jüdische Weltverschwörung geschrieben, ein anderer Despot die Vernichtung der Juden befohlen? Braucht es diese eine Person, die den Lauf der Geschichte verändert, ihn beeinflusst oder ist es die Schuld der Umstände, ein kollektives Versagen oder sind es die Machenschaften einiger weniger einflussreichen Individuen?

    Wie viele Kriege, wie viel Leid wäre diesem Planeten erspart geblieben, wenn eine Erfindung nicht gemacht worden wäre, eine falsche Entscheidung nicht getroffen worden wäre, wenn Homo sapiens ein viel friedfertigeres, viel vernünftigeres Lebewesen, eine an die Natur oder die Naturkreisläufe angepasste Spezies geworden wäre? Wie würde die Welt ohne Waffen aussehen, wie, wenn es keine Atombomben gäbe? Wie würde die Welt aussehen ohne Internet, wenn der Computer nicht erfunden worden wäre? Wie würden die Menschen leben ohne das Fernsehen, ohne Elektrizität, ohne Motoren und Dampfmaschinen? Wie ohne die technische, ohne die chemische Revolution, ohne die Erfindungen, die uns unser Leben erleichtert haben? Wann haben wir uns die Welt zum Untertan gemacht?

    Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte!

    Wie weit muss ich die Zeit zurückdrehen? Ab wann war der Wille des Menschen wichtiger als die Gesetze der Natur?  

    Wessen Schuld ist es, dass die Menschen nicht auf die Warnungen der Wissenschaft gehört haben, - noch immer nicht hören -, dass sie jetzt vor einem globalen Desaster stehen, die Menschheit ihrem eigenen Untergang sehenden Auges entgegengeht? Was vergangen ist, ist vorbei, ist passiert, hat unauslöschlich stattgefunden und steht jetzt in unseren Geschichtsbüchern oder ist in unserem kollektiven Bewusstsein gespeichert. Auch in meinem Kopf arbeiten die Erinnerungen, ist das, was sich in meinem Leben und unserem Leben zugetragen hat noch gegenwärtig, stehen die Tatsachen vor einem inneren Gericht und werden von meinem Gewissen geprüft. Aber ich bin nicht allein, wir alle stehen vor der Verantwortung, müssen für das, was wir tun gerade stehen und müssen von dem was geschehen ist lernen. Wir müssen lernen, wir müssen erkennen und begreifen, welche Fehler wir in der Vergangenheit begangen haben, welche Fehler wir noch tun und müssen umsteuern, wir müssen Lernen!

    „Wir müssen Lernen!"- schreit es aus meinem Kopf.

    Ich halte ein. Ich lass die Hände über der Tastatur schweben und schaue auf den Monitor. Ich lese noch einmal die letzten Sätze, korrigiere zwei Wörter und schau über meine linke Schulter zu meiner Tochter Leonie.

    „Und? Was denkst du?"

    Ein Satz, welchen ich so oder so ähnlich noch öfter sagen werde. Leonie steht an meiner Seite. Sie hält eine Tasse Tee in den Händen und liest die ersten Sätze. Sie ist schlank, sportlich schlank. Sie hat lange blonde Haare und blaue Augen. Wie ihre Mutter. Sie hat diesen konzentrierten Blick mit leicht angehobenen Augenbrauen. Sie führt die Tasse Tee zum Mund, hält die Tasse an ihre feinen, weichen Lippen. Es ist die Tasse mit dem Blumenmuster, ihre Lieblingstasse. Sie trägt ihren weichen, bunten Lieblingspullover aus Wolle, ihre Lieblingshose, behagliche Socken und ihre Hausschuhe mit der warmen, flauschigen Schafwolle. Leonie hat nur wenige Kleider. Sie ist genügsam. Sie kauft nachhaltig. Leonie ist so wie ich.

    „Schreib weiter, fordert Leonie, obwohl ihr Ton nicht fordernd ist. Sie spricht in harmonischen Klängen, eher mit einer ausgeglichenen, ebenmäßigen, fast melodischen Stimme. „Ich denke nach. Ich glaube im Grunde brauchen wir einen persönlicheren Einstieg, aber das mit der Zeit zurückdrehen finde ich gut! Das wirft Fragen auf, löst Gedanken aus. Wie weit zurück und was soll sich ändern? Für uns, für dich, mich oder jede andere Person? Es könnten ganz banale Dinge sein, Vorgänge, wie sie täglich hunderttausendmal auf unserer Welt passieren. Die falsche Entscheidung beim Einkauf treffen, bei der Wahl der Worte. Die falschen Konsequenzen ziehen, den falschen Weg einschlagen. Die falschen Dinge kaufen oder tun. Kleinigkeiten, die aber in der Summe gewaltig sind. Die, wenn sie jeder korrigieren könnte, spürbare Veränderungen brächten. Und es könnten Umstellungen von globaler Tragweite sein! Entscheidungen aus der Vergangenheit, die wir ändern könnten, um das millionenfache Leid der Menschen zu verhindern, das Sterben der Tierarten stoppen, die Biodiversität unseres Planeten erhalten, um die globale Umweltzerstörung abzuwenden, um der globalen Kontamination zuvor zukommen. Und die Änderungen in der Geschichte könnten unser eigenes Leben betreffen.

    2

    Seit dem Unglück, seit diesem Erlebnis in Marokko, sind ungefähr zwei Jahre vergangen. Die Zeit ist mir nicht bewusst, weil ich, weil wir nach diesem Zeitpunkt das Haus nicht mehr verlassen haben. Es fehlt die Orientierung. Ein Tag beginnt wie jeder andere. Ich schaue durch den Raum und sehe jeden Tag die gleichen Dinge. Ich tue jeden Tag die gleichen Dinge. Ich denke. Ich schreibe. Ich denke oft, ich denke sehr oft die gleichen Gedanken. Unzählige Gedanken, scheinbar unendlich viele Gedanken. Und sie kommen so natürlich wie die Nacht, so natürlich, wie das Dunkel sich in das Zimmer schleicht. Alles Sichtbare verschwindet in einer unheimlichen, grauen Masse, bis ich endlich das Licht einschalte, den Raum erhelle. Bis ich die Konturen, die Schattenrisse endlich wieder deutlich erkennen kann. Dann sehe ich wieder die gleichen Bilder, sehe wieder und immer wieder die Straße, die sich durch die steinige Wüste schlängelt, sehe den Staub der Fahrzeuge, höre die Stimmen und die Schreie der Menschen, als das Auto aus der Kurve geschleudert wird, über die sandig, steinige Böschung fliegt, wie es sich überschlägt, einmal, zweimal überschlägt, wie – nein, nein, nicht jetzt!

    Ich schalte den Computer wieder ein, lese wieder die gleichen Sätze. Wo bin ich? In dem Zimmer. Seit zwei Jahren lebe ich in diesem Zimmer, in diesem Raum. Wenn ich die täglichen Gänge zur Küche oder in das Badezimmer abziehe, könnte ich auch sagen, wir haben das Zimmer seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. Die Einkäufe erledigen wir über das Internet. Eigentlich regeln wir alles über das Internet. Wir können alles über das Netz regeln. Wir kommunizieren über einen Bildschirm. Schweigsam. Ich höre meine Stimme nur noch in meinem Kopf. Die Laute sind vernehmbare Gedanken. Ich tippe meine Gedanken, meine Wünsche, Bitten und meine Hoffnungen auf eine Tastatur. In weniger als einer Sekunde werden meine Fragen beantwortet. Die Angebote sind unüberschaubar. Die Bilder sind schneller als die Fantasie. Ich bin mit allen verbunden, alle sind mit allen und allem verbunden, durchdrungen, gebunden, gekoppelt, verknüpft, sind zugänglich, sind einverleibt in das große Netz, das Netz, das nichts vergisst, das uns ins Sein einwebt, welches unser Leben leichter machen soll. Bilder, Filme, Nachrichten, Informationen, Gedanken, Botschaften, Liebe und Hass, alle Emotionen, alle Kommunikationen werden durch technische Signale vermittelt, werden über Monitore, über audiovisuelle Sender und Empfänger wahrgenommen. Das digitale Netz, das die ganze Welt umspannt. Es ist unser Fenster in die Welt. Und es macht mir Angst, was ich da sehe. Ist das wirklich die Welt, wie

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