Sozialarbeiterisches Case Management: Ein Lehr- und Praxisbuch
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Rezensionen für Sozialarbeiterisches Case Management
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Buchvorschau
Sozialarbeiterisches Case Management - Matthias Müller
Inhalt
Cover
Titelei
1 Einleitung
I Grundlegungen
2 Sozialarbeiterisches Case Management: Einleitende Begründung zur Strukturierung der Arbeitsfeldartikel
2.1 Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit
2.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit
2.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Arbeitsfeldtheorie, Wissen über das Arbeitsfeld und Werteausrichtung
2.4 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management
2.5 Evaluationswissen: Evaluationsergebnisse und Bias zum Sozialarbeiterischen Case Management im Feld
2.6 Ausblick
3 Transdisziplinarität und Sozialarbeiterisches Case Management
3.1 Begriffliche Setzungen
3.2 Sozialarbeiterisches Case Management
3.3 Transdisziplinarität im Sozialarbeiterischen Case Management
4 Beziehungsarbeit im Sozialarbeiterischen Case Management
4.1 Einleitung
4.2 Differenzierung der Beziehungen im Case Management
4.3 Die Beziehung zwischen Case Manager:in und Klient:in: Grundlagen der Beziehungsgestaltung
4.3.1 Prozedurale Fairness
4.3.2 Vertrauensvolle Arbeitsbeziehung
4.3.3 Beziehungskontinuität
4.3.4 Anerkennung in distanzierter Nähe
4.4 Die Beziehungen von Klient:innen zu ihrem sozialen Umfeld
4.5 Die Beziehung zwischen Case Manager:in und Angehörigen der Klient:innen
4.6 Die intermediierende Beziehung zwischen Case Manager:in und professionellen Helfer:innen der Klient:innen
4.7 Fazit und Ausblick
II Handlungsfelder
5 Sozialarbeiterisches Case Management in der Sozialen Altenarbeit
5.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
5.1.1 Theorien Sozialer Arbeit in der Sozialen Altenarbeit
5.1.2 Arbeitsfeldtheorie: Spezifisches Wissen zur Pflegeberatung
5.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management in der Pflegeberatung
5.2.1 Die (Versorgungs-)Systemebene
5.2.2 Fallebene
5.3 Evaluationswissen
5.3.1 Forschungen zum Sozialarbeiterischen Case Management in Pflegestützpunkten
5.3.2 Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Pflegeberatung
6 Sozialarbeiterisches Case Management in der institutionalisierten Behindertenhilfe
6.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Soziale Arbeit in der institutionalisierten Behindertenhilfe. Praktische Bedeutung und theoretische Bezüge
6.1.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Sozialarbeitstheoretische Bezugspunkte
6.1.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Spezifisches Feldwissen: Institutionalisierte Behindertenhilfe
6.1.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Das BTHG und seine Bedeutung für Sozialarbeiterisches Case Management
6.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management
6.3 Evaluationswissen: Was zu bedenken wäre – Herausforderungen und Evaluationsbedarf
7 Sozialarbeiterisches Case Management in der Beschäftigungsförderung
7.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
7.1.1 Theoretische Verortung der Beschäftigungsförderung
7.1.2 Spezifisches Feldwissen: Das Arbeitsfeld der Beschäftigungsförderung
7.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management im SGB II
7.3 Evaluationswissen
7.3.1 Evaluationswissen zum Case Management im Feld
7.3.2 Bias und Herausforderungen bei der Umsetzung eines Sozialarbeiterischen Case Management
7.4 Fazit
8 Sozialarbeiterisches Case Management in der Kinder- und Jugendhilfe
8.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
8.1.1 Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe: Historische Entwicklungen und theoretische Bezüge
8.1.2 Spezifisches Feldwissen in der Kinder- und Jugendhilfe (Arbeitsfeldtheorie)
8.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management in der sozialpädagogischen Familienhilfe
8.2.1 Fallebene
8.2.2 Strukturelle Verhältnisse: (Versorgungs-)Systemebene
8.3 Evaluationswissen
8.3.1 Evaluationswissen im Feld zur Sozialpädagogischen Familienhilfe
8.3.2 Schwierigkeiten im Feld und Ausblick
9 Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus
9.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
9.1.1 Theoretische Fundierung Sozialer Arbeit für das Handlungsfeld Krankenhaus
9.1.2 Soziale Arbeit und Case Management im Krankenhaus – ein aktueller Überblick
9.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus – ein Feld der ungenutzten Möglichkeiten
9.2.1 Der pflegerisch-rehabilitative Ansatz eines pflegerisch besetzten Case Management
9.2.2 Der lebensweltlich-teilhabeorientierte Ansatz eines Sozialarbeiterischen Case Management
9.2.3 Einsatzmöglichkeiten für ein Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus
9.2.4 Die Phasen eines Sozialarbeiterischen Case Management im Krankenhaus
9.3 Evaluationswissen: Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler bei der Umsetzung
10 Sozialarbeiterisches Case Management in den Migrationsfachdiensten
10.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
10.1.1 Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Feld
10.1.2 Spezifisches Feldwissen der Migrationsfachdienstarbeit
10.2 Verfahrenswissen: Stärkenorientiertes Migrationsfachdienst-Case-Management
10.2.1 Fallebene
10.2.2 Strukturelle Verhältnisse (Versorgungs-)Systemebene
10.3 Evaluationswissen im Feld und Bias
11 Sozialarbeiterisches Case Management für lebenslimitierend erkrankte Kinder und Jugendliche und ihre Familien: Die spezialisierte ambulante pädiatrische Palliativversorgung
11.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
11.1.1 Soziale Arbeit in der pädiatrischen Palliative Care: praktische Bedeutung und theoretische Bezüge
11.1.2 Das Feld der pädiatrischen Palliative Care
11.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management im Rahmen der SAPPV
11.2.1 Fallebene
11.2.2 Ebene des Versorgungsmanagements
11.3 Evaluationswissen: Schwierigkeiten und Grenzen der Umsetzung
12 Sozialarbeiterisches Case Management im außerklinischen Bereich der psychiatrischen Versorgung
12.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Verortung des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Psychiatrie
12.1.1 Theorien (Klinischer) Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Feld
12.1.2 Von der Generalisierung zur Spezialisierung: Das Arbeitsfeld der (Sozial-)Psychiatrie
12.1.3 Soziale Arbeit in der Psychiatrie
12.2 Verfahrenswissen: Case Management in der psychiatrischen Versorgung
12.2.1 Besonderheiten von Case Management auf der Fallebene
12.2.2 Sozialarbeiterisches Case Management
12.2.3 Besonderheiten von Case Management auf der Feldebene
12.3 Evaluationswissen
12.3.1 Forschungsbefunde
12.3.2 Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Bias
13 Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe
13.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Praktische Bedeutung und theoretische Bezüge
13.1.1 Theorien Sozialer Arbeit: Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten in der Sucht- und Drogenhilfe
13.1.2 Spezifisches Feldwissen: Sucht- und Drogenhilfe in Deutschland – Professionen, Adressat:innen, Organisationen und Interventionen
13.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe
13.3 Evaluationswissen
13.3.1 Stand der Forschung zu Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe
13.3.2 Ausblick: Hemmnisse und Potenziale
14 Sozialarbeiterisches Case Management in der Wohnungslosenhilfe
14.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Das Phänomen der Wohnungslosigkeit in Deutschland und in Europa
14.1.1 Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsmöglichkeiten im Feld: Die Lebenssituation wohnungsloser Menschen
14.1.2 Spezifisches Feldwissen: Das Arbeitsfeld der Wohnungslosenhilfe in Deutschland in der Disziplin Sozialer Arbeit
14.2 Verfahrenswissen: Der Capabilities Approach als Rahmenkonzept des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Wohnungslosenhilfe
14.2.1 Das Sozialarbeiterische Case Management in der Wohnungslosenhilfe
14.2.2 Fallbezogen und systembezogen: Intensive Betreuung und Schaffung von Verbindungsstellen
14.3 Evaluationswissen: Herausforderungen und Möglichkeiten
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Literatur
Autor:innenverzeichnis
emptyDie Herausgebenden
Matthias Müller, Dr. phil., Diplom-Sozialarbeiter/-Sozialpädagoge, Soziologe (Dr. phil.), Case Manager und Case Management Trainer (DGCC), Dialogischer Qualitätsentwickler (KK), ist Professor für Pädagogik, Sozialpädagogik und Hilfen zur Erziehung an der Hochschule Neubrandenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Aufsuchende Hilfen/Sozialpädagogische Familienhilfe, Familienbildung, Migration und Sozialarbeiterisches Case Management.
Annerose Siebert, Dipl. Soz. Päd., Case Managerin (DGCC), Dr. phil.; Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Ravensburg Weingarten (RWU). Ihre Themenschwerpunkte sind Theorie-Praxis Transfer, Professionelle Begleitung und Assistenz von Menschen mit Behinderungen, Teilhabe, Wissenschaft der Sozialen Arbeit, Methoden der Sozialen Arbeit, Case Management.
Corinna Ehlers, Dr. PH, Case Managerin und Case Management Trainerin (DGCC), ist Professorin für »Theorien und Methoden Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt Case Management« an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK in Hildesheim. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Gestaltung von stärkenorientierte Unterstützungs- und Bildungsprozessen, Leiten und Führen von Organisationen, Care und Case Management im internationalen Kontext.
Matthias Müller,
Annerose Siebert,
Corinna Ehlers (Hrsg.)
Sozialarbeiterisches Case Management
Ein Lehr- und Praxisbuch
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-037270-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-037271-9
epub: ISBN 978-3-17-037272-6
1 Einleitung
In diesem Herausgeber:innenband finden Sie bezogen auf verschiedene Arbeitsfelder für die praktische Arbeit und Lehre des Case Managements (CM) relevante Wissensbestände Sozialer Arbeit systematisch erfasst und arbeitsfeldbezogen aufbereitet. Das Konzept des Buches wurde mit dem Ziel entwickelt, Studierenden, Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen stärker als bisher eine sozialarbeitswissenschaftlich Fundierung des CM zur Verfügung zu stellen. Das in diesem Anliegen entwickelte Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2) ist basierend auf den Überlegungen der Fachgruppe »Case Management in der Sozialen Arbeit« der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA)¹ von uns Herausgeber:innen diskursiv weiterentwickelt worden. Das Modell des Sozialarbeiterischen CM unterscheidet sich von einem generalistischen CM-Verständnis dahingehend, dass es die Wissenschaft der Sozialen Arbeit dem Handlungskonzept CM überordnet und damit die Wissensbestände der Wissenschaft Sozialer Arbeit bestimmen, wie das CM fachlich ausgestaltet werden soll (vgl. M. Müller 2018, 337).
»Ein generalistisches Case Management ist aus Sicht der Sozialen Arbeit zu problematisieren, weil es nicht den Theorien der Sozialarbeitswissenschaft untergeordnet, sondern als ein von Disziplinen unabhängiges Verfahren verstanden wird. Damit ist das Verfahren der Referenzpunkt und weder die Disziplin noch die Profession dienen durch ihre Expertise als Rahmung des Case Managements« (M. Müller 2018, 336 ff).
»Die Bedeutung der Sozialarbeitswissenschaft liegt [...] darin, dass nicht die Methoden oder Arbeitsverfahren, also hier das Case Management, die Problembearbeitung bestimmen, sondern die sozialen Probleme als Gegenstand und die Theorien der Sozialen Arbeit vorgeben, welche Vorgehensweise sinnvollerweise eingesetzt werden können« (Neuffer 2013a, 8).
Das Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2) dient den Arbeitsfeldbeiträgen dieses Herausgeber:innenbandes als orientierender Rahmen und strukturiert sie in ihrem Aufbau weitestgehend.
Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im CM ist unerlässlich. Sie benötigt aber auch eine konturierte Verortung in der eigenen Disziplin und Profession (z. B. der Sozialen Arbeit). Erst so wird klar, was die jeweilige Disziplin und Profession in der interdisziplinären Bearbeitung von Problemen überhaupt an Expertise bereitstellen kann. Die Disziplinen und Professionen, die das CM umsetzen, erzeugen, wenn man die Wissenschaft (z. B. die Wissenschaft Sozialer Arbeit, die Pflegewissenschaft) dem Handlungskonzept CM überordnet, notwendigerweise unterschiedliche disziplinär und professionell geprägte CM-Ansätze. Interdisziplinarität und -professionalität kann unseres Erachtens daher nur dann gut gelingen, wenn die zusammenarbeitenden Disziplinen und Professionen ihre eigenen theoretischen Grundlagen und Bezüge kennen und benennen können. Gerade dafür soll das hier vorliegende Buch Studierenden und Praktiker:innen Sozialer Arbeit eine Unterstützung sein. Darüber hinaus erfordert das CM ein Verständnis darüber, wie zwischen den verschiedenen Disziplinen und Professionen Übergangswissen hergestellt werden kann, um die unterschiedlichen disziplinären und professionellen Wissensdomänen für die Nutzer:innen produktiv zu verbinden. Vor diesem Hintergrund klärt Matthias Müller in seinem Beitrag »Transdisziplinarität und Sozialarbeiterisches Case Management« (▸ Kap. 3) die Frage, was ein transdisziplinär verstandenes Sozialarbeiterisches CM in der Kooperation mit anderen Disziplinen und Professionen charakterisiert.
Die US-amerikanische Fachgesellschaft der Sozialen Arbeit, die National Association of Social Work (NASW), beschreibt 1992 umfassend, was ein Sozialarbeiterisches CM ausmacht. Sie betont die Berücksichtigung von bio-psycho-sozialen Aspekten sowie eine enge Beziehungsarbeit, die ein Sozialarbeiterisches CM charakterisiert. Zudem wird die systemische Vorgehensweise auf der Fall- und Systemebene hervorgehoben. Die NASW unterscheidet Sozialarbeiterisches CM von anderen Programmen, die eher mit einem bestimmten System- oder Organisationsbezug agieren, wie es bspw. im Entlassmanagement oder dem beschäftigungsorientierten Fallmanagement erfolgt.
Mit den NASW-Standards von 2013 (vgl. NASW 2013, 13) gilt nun in Anlehnung an Barker (2003) folgende Definition von Sozialarbeiterischem CM²:
Ein Verfahren zur Planung, Erkundung, Befürwortung und Überprüfung von Dienstleistungen verschiedener Sozial- oder Gesundheitseinrichtungen im Namen eines:einer Klient:in. Der Prozess ermöglicht es Sozialarbeiter:innen in einer Organisation oder in verschiedenen Organisationen, ihre Bemühungen zur Betreuung eines:einer bestimmten Klient:in durch professionelle Teamarbeit zu koordinieren und so das Angebot an benötigten Dienstleistungen zu erweitern. CM begrenzt Probleme, die sich aus der Zersplitterung der Dienstleistungen, der Personalfluktuation und der unzureichenden Koordination zwischen den Anbietern ergeben. CM kann innerhalb einer einzelnen, großen Organisation oder innerhalb eines kommunalen Netzwerkes stattfinden, das die Dienstleistungen zwischen den verschiedenen Einrichtungen koordiniert.
Weiterhin werden in den NASW-Standards von 2013 in Anlehnung an die berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit (vgl. ebd., 19 ff) ethische Ausrichtungen des Sozialarbeiterischen CM beschrieben, Qualifikationen (vgl. ebd., 22 ff) und Wissensbestände (vgl. ebd. 24 ff) sowie die Arbeitsphasen (vgl. ebd. 30 ff) und die unterschiedlichen Rollen (vgl. ebd., 38 ff) dargestellt. Für den deutschsprachigen Raum sind in dem hier entwickelten Verständnis des Sozialarbeiterischen CM die berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit normativ bindend (vgl. DBSH 2014). Für das CM hat die Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) »Case Management Leitlinien« (2020b) als Rahmenempfehlungen für die Umsetzung herausgegeben. In diesem Zusammenhang wurden auch ethische Grundlagen formuliert (vgl. DGCC 2020b, 37 ff). Von der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa) wurde 2019 das Positionspapier »Standards für Social Work Case Management« veröffentlicht. Die Standards erheben als erste deutschsprachige Publikation einen normativen Anspruch für die Umsetzung eines Sozialarbeiterischen CM und sollen Fachkräften eine Grundlage für ihr professionelles Handeln bieten. Ziel ist es, fachliches Vorgehen sozialarbeiterisch zu begründen und Fachkräften sowie Organisationen bei der Umsetzung von Sozialarbeiterischem CM in den Arbeitsfeldern zu unterstützen. Die vorangehenden Definitionen und Ausführungen aufgreifend möchten wir zusammenfassend Sozialarbeiterisches CM wie folgt beschreiben:
Sozialarbeiterisches CM ist ein Handlungskonzept, das basierend auf den Theorien und den Forschungsergebnissen Sozialer Arbeit einen systematischen Prozess für die Arbeit mit Personen in komplexen Problemlagen bietet. Ziel ist es, passgenaue Unterstützung zu bieten, die dem Bedarf und Bedürfnissen von Personen entsprechen. Ein Sozialarbeiterisches CM zeichnet sich durch eine enge Beziehungsarbeit auf der Fallebene (Mikro-, Mesoebene) und ein vernetztes Handeln auf der Systemebene (Meso-, Makroebene) aus (▸ Tab. 2.1).
Deutlich wird in den internationalen Entwicklungen, dass das Verständnis der Beziehungsarbeit sich in den letzten hundert Jahren in der Sozialen Arbeit verändert hat. Verstanden sich am Anfang des 20. Jahrhunderts Sozialarbeiter:innen als fürsorgende Helfer:innen, wurde in den 1970er und 1980er Jahren der therapeutischen Beziehung mehr Bedeutung beigemessen. Mittlerweile wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, in der Sozialarbeiter:innen auf gleicher Augenhöhe mit den Adressat:innen arbeiten, in den Vordergrund gestellt (vgl. Herman 2013). Die Beziehungsarbeit steht als ein zentrales Moment eines Sozialarbeiterischen CM immer wieder zur Diskussion und begegnet uns besonders in Gesprächen mit Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen der Sozialen Arbeit. Das Thema Beziehung im Sozialarbeiterischen CM auf der Fall- und (Versorgungs-)Systemebene arbeiten Karin Goger und Christian Thordy in ihrem Beitrag »Beziehungsarbeit im Sozialarbeiterischen Case Management« (▸ Kap. 4) differenziert aus.
An die zuvor genannt und grundlegend zu verstehenden Beiträge dieses Herausgeber:innenwerks schließen sich die Arbeitsfeldbeiträge zum Sozialarbeiterischen CM an. Sie folgen in ihrem Aufbau dem im ersten Beitrag differenziert dargestellten Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2). Mit den verschiedenen Arbeitsfeldbeiträgen wird nicht der Anspruch erhoben, einen umfassenden systematischen handlungswissenschaftlichen Wissenskorpus, wie ihn Sommerfeld für die »Klinische Soziale Arbeit und Psychiatrie« (2016) vorgelegt hat, zu entfalten. Ziel ist es vielmehr – angelehnt an die Sommerfeld'schen Systematisierungsvorschläge – gut begründete Zusammenhänge und Befunde für die jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansätze in den verschiedenen Arbeitsfeldern darzustellen und einen sozialarbeitstheoretisch begründeten Rahmen für die Praxis darin zu liefern. Mit diesem Anliegen wurde im Laufe des Prozesses der Erstellung dieses Buches deutlich, dass in verschiedenen Arbeitsfeldern, wie z. B. der pädiatrischen Palliativ Care (▸ Kap. 11) oder der Sozialen Arbeit im Krankenhaus (▸ Kap. 9), ungenutzte Potenziale für Sozialarbeiterisches CM liegen und latent vorhandene CM-Ansätze in der Praxis sozialarbeitstheoretisch begründet eine Bereicherung für das jeweilige Arbeitsfeld sind. In diesem Sinne werden die folgenden, in alphabetischer Reihenfolge geordneten, Sozialarbeiterischen CM-Beiträge zu den verschiedenen Arbeitsfeldern in diesem Herausgeber:innenband dargestellt:
▸ Kap. 5:
Sozialarbeiterisches Case Management in der Sozialen Altenarbeit (Grit Annemüller & Matthias Müller)
▸ Kap. 6:
Sozialarbeiterisches Case Management in der institutionalisierten Behindertenhilfe (Annerose Siebert)
▸ Kap. 7:
Sozialarbeiterisches Case Management in der Beschäftigungsförderung (Björn Sedlak & Oliver Köttker)
▸ Kap. 8:
Sozialarbeiterisches Case Management in der Kinder- und Jugendhilfe (Matthias Müller & Vera Taube)
▸ Kap. 9:
Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus (Denise Lehmann & Johannes Petereit)
▸ Kap. 10:
Sozialarbeiterisches Case Management in den Migrationsfachdiensten (Matthias Müller)
▸ Kap. 11:
Sozialarbeiterisches Case Management für lebenslimitierend erkrankte Kinder und Jugendliche und ihre Familien (Christine Moeller-Bruker & Annerose Siebert)
▸ Kap. 12:
Sozialarbeiterisches Case Management im außerklinischen Bereich der psychiatrischen Versorgung (Lisa Große & Karsten Giertz)
▸ Kap. 13:
Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe (Martin Schmid & Ines Arendt)
▸ Kap. 14:
Sozialarbeiterisches Case Management in der Wohnungslosenhilfe (Karsten Giertz, Corinna Ehlers & Christof Gebhardt)
Neben der weiteren Fundierung des Sozialarbeiterischen CM ist es uns mit diesem Buch ein Anliegen, die sozialarbeiterische Praxis darin zu unterstützen, ihre CM-Praxis fachwissenschaftlich zu unterfüttern und damit die Konturen ihrer CM-Praxis gut kommunizieren zu können. Beides scheint uns elementar für die Sichtbarmachung der professionellen Potenziale der Sozialen Arbeit für das Case Management.
Dieser Herausgeber:innenband ist durch die verlässliche, fleißige und gründliche Unterstützung bei der Manuskripterstellung von Silke Schnabel, Julia Sprick und Jeremias Weiher ermöglicht worden. Wir danken allen dreien sehr für ihre wichtigen und anregenden Beiträge zu diesem Buch!
Neubrandenburg, Weingarten, Hildesheim im September 2022
Matthias Müller, Annerose Siebert & Corinna Ehlers
Endnoten
1An der Entwicklung waren beteiligt: Ines Arendt, Corinna Ehlers, Karsten Giertz, Lisa Große, Matthias Müller, Anita Nelson, Ruth Remmel-Fassbender, Annerose Siebert, Alexander Thomas.
2Eigene Übersetzung mit kleinen sprachlichen Anpassungen.
I Grundlegungen
2 Sozialarbeiterisches Case Management: Einleitende Begründung zur Strukturierung der Arbeitsfeldartikel
Matthias Müller, Annerose Siebert & Corinna Ehlers
2.1 Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit
2.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit
2.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Arbeitsfeldtheorie, Wissen über das Arbeitsfeld und Werteausrichtung
2.4 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management
2.5 Evaluationswissen: Evaluationsergebnisse und Bias zum Sozialarbeiterischen Case Management im Feld
2.6 Ausblick
2.1 Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit
»Professionalität entsteht [...] durch den Aufbau eines systematischen handlungswissenschaftlichen Wissenskorpus über die Zeit, der sich nicht immer wieder neu in pragmatischen Verstrickungen und endlosen Versuch-Irrtum-Ketten verfängt und in wechselnden sozialpolitischen Strukturierungen verliert, sondern einen soliden, wissenschaftlich ausgearbeiteten Bezugsrahmen für die Professionellen bereitstellt, der als ›state of the art‹ bezeichnet, gelehrt und gegenüber Zumutungen von außen dargestellt und verteidigt werden kann. In dieser Form (nicht in der Form von Handlungsanweisungen) wird Verbindlichkeit erzeugt. Und diese Art von Verbindlichkeit ist eine notwendige Voraussetzung für die Identitätsbildung einer Profession« (Sommerfeld 2013, 164).
Das Modell des Sozialarbeiterischen CM baut auf einer handlungstheoretischen Programmatik auf, wie wir sie auch bei Staub-Bernasconi (2018, 285 ff) oder Sommerfeld (2013, 161) finden¹. Ausgangspunkte des Sozialarbeiterischen CM sind immer die Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft generiert Wissensbestände, die der Profession Sozialer Arbeit als fachliche Grundlage dienen. Die Soziale Arbeit braucht aber selbstverständlich auch Erkenntnisse der anderen Disziplinen. Die Wissenschaft Sozialer Arbeit bündelt das Wissen der anderen Disziplinen auf ihren Problemhorizont in den verschiedenen Arbeitsfeldern. Sie bezieht dieses Wissen demnach auf ihren Gegenstand und kommt erst in einem weiteren Schritt zum konzeptionellen und methodischen Handeln – also auch dann erst zum CM (▸ Kap. 3). Die folgende Abbildung zeigt das allgemeine Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Abb. 2.1).
emptyAbb. 2.1: Das Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements
Das Modell liefert den Rahmen zur systematischen Strukturierung der in den verschiedenen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit vorhandenen Wissensbestände und die sich daraus ergebenden Begründungen und Konsequenzen für das Sozialarbeiterische CM im jeweiligen Arbeitsfeld. Es thematisiert zudem die Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler (Bias), die in der Praxis bei der Umsetzung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes bestehen. Das Begründungsmodell fokussiert drei Ebenen.
1.
Ebene: Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen
-
Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Arbeitsfeld,
-
spezifisches Feldwissen, das von der Disziplin Sozialer Arbeit unter Einbeziehung der Bezugsdisziplinen zur Verfügung gestellte Wissen.
2.
Ebene: Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches CM
-
fallbezogen,
-
systembezogen.
3.
Ebene: Evaluationswissen
-
Darstellung des Evaluationswissens zum CM im Arbeitsfeld,
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Schwierigkeiten und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen CM im Arbeitsfeld.
In den Ausführungen auf der Ebene des phänomen- und disziplinbezogenen Wissens wird herausgearbeitet, was aus Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit (der Disziplin) als relevante Aspekte in die Begründung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes einfließt. Auf den Ebenen des Verfahrens- und Evaluationswissen wird dann der Blick ins Arbeitsfeld und auf die professionelle Handlungspraxis gelenkt. Das Wissen der Disziplin Sozialer Arbeit wird so unter Einbezug der Inhalte der Ebene des phänomen- und disziplinbezogenen Wissens für die Praxis transformiert und dient als Begründung, Ableitung und Evaluation des Handelns der:des Sozialarbeiter:in im Sozialarbeiterischen CM.
Das Sozialarbeiterische CM wird damit als Verfahrenswissen im Arbeitsfeld auf der Fall- und Systemebene formuliert und konkretisiert. Dies geschieht vor der Hintergrundfolie des Sozialraums als Realisierungsort der Praxisvollzüge des Sozialarbeiterischen CM.
Das bereits vorhandene Evaluationswissen in Bezug auf das CM im jeweiligen Arbeitsfeld und die Forschungsdesiderate werden abschließend aufgezeigt, um Wirksamkeitsbelege für das CM im Arbeitsfeld zu sammeln. In diesem Kontext werden auch Schwierigkeiten und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen CM im Arbeitsfeld formuliert.
Im Folgenden werden die Ebenen und Elemente des Modells des Sozialarbeiterischen CM differenziert erläutert und konkretisiert.
2.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit
Im Sozialarbeiterischen CM wird das CM als Arbeitsverfahren oder auch Rahmenkonzept der Wissenschaft der Sozialen Arbeit untergeordnet (vgl. M. Müller 2020c) (▸ Kap. 3). Das CM formt sich in einem solchen Verständnis immer unter den Prämissen der das CM integrierenden Disziplin (Wissenschaft) aus. So muss ein Sozialarbeiterisches CM im Detail anderen Prämissen folgen als bspw. ein CM in der Pflege (vgl. Ewers 2011), das von der Pflegewissenschaft bestimmt wird. Wir bewegen uns damit in einem Verständnis, dass die Disziplin mit ihrer jeweiligen Gegenstandsbestimmung das jeweilige CM-Verständnis prägt. Die Gegenstandsbestimmung oder auch der »Aufmerksamkeitsfokus der Praxis der Sozialarbeit« (Pantuček 2019, 26) ist aus wenigstens zwei Gründen (ebd.) wichtig. Gerade in der Zusammenarbeit mit anderen Professionellen, wie es ja im CM gang und gäbe ist, ist es wichtig, ein klares Verständnis von den eigenen – sozialarbeiterischen – Wissensbeständen zu haben, um diese benennen und auch von den Wissensbeständen anderer Professionen abgrenzen zu können. »Der eigene fachliche Beitrag der Sozialarbeit bedarf also einer klaren Formulierung, so dass er auch nachvollziehbar zu den Beiträgen der anderen Professionen in Bezug gesetzt werden kann« (Pantuček 2019, 26). Des Weiteren bedarf es bei der Dominanz medizinischer, pflegerischer und auch psychologischer Deutungen – gerade im Kontext des CM – einer offensiven Gegenstrategie der Sozialen Arbeit, um ihre spezifische Qualität zu zeigen.
Wir gehen zunächst davon aus, dass der Gegenstand der Sozialen Arbeit in einer Form des »kleinsten gemeinsamen Nenners«, wie es Klüsche (1999) genannt hat, wie folgt formuliert werden kann: »Soziale Arbeit in der Praxis befasst sich mit dem Verhindern und Bewältigen sozial problematisch angesehener Lebenssituationen« (Borrmann 2016, 63). In dieser Definition ist der Blick auf die Nutzer:innen Sozialer Arbeit und die Kontexte gerichtet, die darin involviert sind, sozial problematische Lebenssituationen hervorzubringen. Für die Darstellung eines Arbeitsfeldes Sozialer Arbeit, in dem CM praktiziert werden soll, ergibt sich somit die Notwendigkeit, die sozial problematisch angesehenen Lebenssituationen zu konkretisieren. Wie stellen sich sozial problematisch angesehene Lebenssituationen im Feld der Migration, der Wohnungslosenhilfe, der Behindertenhilfe usw. dar? Dieses Konkretisieren vollzieht sich aber ganz wesentlich vor der von der jeweiligen Theorie Sozialer Arbeit bestimmten Gegenstandsbestimmung. Eine sozial problematische Lebenssituation liegt nicht an sich vor, sondern sie stellt eine soziale Konstruktionsleistung dar, die in unserem Falle aus Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit vollzogen wird. »Soziale Arbeit als Wissenschaft reflektiert die Theorien kritisch, die von der Praxis der Sozialen Arbeit als relevant zum Verhindern und Bewältigen sozial problematischer Lebenssituationen angesehen werden« (Borrmann 2016, 63). Der Gegenstand der Praxis Sozialer Arbeit, »eine sozial problematische Lebenssituation«, wird somit durch die Theorien der Wissenschaft der Sozialen Arbeit zu einem wissenschaftlich formulierten Gegenstand Sozialer Arbeit. Es besteht daher in der Sozialen Arbeit keine gegenstandsbezogene Eindeutigkeit, wie sie z. B. in der Medizin oder in der Jurisprudenz zu finden sind.
Lambers greift die theoretische Vielfalt der Gegenstandsbestimmung Sozialer Arbeit auf und führt die Bezugsprobleme Sozialer Arbeit an, unter denen er die allgemeinste, aber dennoch unverwechselbare Beschreibung des wissenschaftlichen Gegenstandes versteht (vgl. Lambers 2016, 211 f). Er nennt dies eine »Gegenstandsbestimmung im weitesten Sinne« (ebd., 212) und nutzt die vierteilige Kategorisierung von Rauschenbach und Züchner (2012, 169 f), um den Stand der Theorienentwicklung an den Bezugsproblemen und der damit entstehenden Konnotierung des Gegenstandes der Sozialen Arbeit darzustellen:
1.
»Soziale Arbeit als Reaktion auf die Erziehungstatsache [...] (Erziehung, Sozialisation. Vertreter: Natorp, Nohl, Mollenhauer, Winkler)
2.
Soziale Arbeit als Reaktion auf die soziale Ungleichheitstatsache (soziale Probleme, Armut, Bedürfnisbefriedigung, Probleme der Inklusion und Exklusion, Soziale Teilhaben. Vertreter: Pongratz, Dewe und Otto, Staub-Bernasconi, Bommes und Scherr, Kleve)
3.
Soziale Arbeit als Reaktion auf die Bewältigungstatsache [...] und Probleme der Lebensführung (Lebenslage, Lebensbewältigung, Lebensführung. Vertreter: Hege, Lowy, Germain und Gitterman, Wendt, Thiersch, Böhnisch) und damit gekoppelt
4.
Soziale Arbeit als Bildung und Befähigung. (Vertreter: Otto und Rauschenbach, Sünker, Röh, Scheu und Autrata, Sommerfeld u. a., Wirth)« (Lambers 2016, 221 f).
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der vier Kategorien ist der Beobachtungsstandpunkt zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft (Erziehung, soziale Ungleichheit, Bewältigung, Bildung und Befähigung) und die sich daraus ergebende Konstruktion einer sozial problematisch angesehenen Lebenssituation. Die vier Kategorien bilden ein theoretisches Spektrum Sozialer Arbeit, die hitzige theoretische Abgrenzungskämpfe hervorbringen können, aber letztlich als gleichwertig nebeneinanderstehend zu sehen sind. Aus der Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit ist damit die Begründung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes mit einer Theorie oder auch mit mehreren Theorien Sozialer Arbeit verbunden. Für diesen, alle weiteren Beiträge dieses Buches rahmenden, Text ist die Reduktion auf eine theoretische Schwerpunktsetzung unangebracht. Ein solches Vorgehen würde den Blick auf die Vielfalt der Sozialarbeiterischen CM-Ansätze verengen.
In den arbeitsfeldbezogenen Beiträgen dieses Buches wurden von den Autor:innen (▸ Teil II) jeweils angemessene sozialarbeitstheoretische Bezüge gewählt. Mit Blick auf eine gelingende Praxis können daher auch transtheoretisch (vgl. Sommerfeld 2013, 163 ff) Verbindungen von mehreren Theorien vorliegen.
Wenn es darum geht, die besonderen Problemlagen in einem Arbeitsfeld zu beschreiben, ist es außerdem hilfreich, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu bestimmen, um so auch in Bezug auf die theoretische Fundierung größere Klarheit zu erlangen. Alle Theorien der Sozialen Arbeit beschäftigen sich mit dieser Schnittstelle, die auch in dem Begriffspaar Verhalten und Verhältnisse verwendet wird (vgl. Heiner 2010, 101 ff). Exemplarisch können genannt werden:
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Böhnisch, der auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft mit dem Begriff der »Lebensbewältigung« zugreift (Böhnisch 2016),
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Thiersch (2020), der den »Alltag« und die »Lebenswelt« zentral stellt,
·
Staub-Bernasconi (2018), die »Gerechtigkeit« und »Macht« als systemischen Zugang zu sozialen Problemen identifiziert und
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Röh (2013), der die »Daseinsmächtige Lebensführung« mit Bezug zum Capability Approach als Schnittstellenbegriff benennt.
Im Bereich der institutionalisierten Behindertenhilfe wäre Soziale Arbeit z. B. als Reaktion auf die Bewältigungstatsache in Koppelung mit Bildung und Befähigung zu sehen und Theorien der Sozialen Arbeit, die hier Orientierung geben könnten, wären u. a. sowohl die Lebensweltorientierung nach Thiersch als auch die Daseinsmächtige Lebensführung nach Röh. An diesem Beispiel zeigt sich bereits, dass eine transtheoretische Verbindung mehrerer Theorien für einen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz mit Blick auf das jeweilige Arbeitsfeld sinnvoll sein kann. Die Vermittlung von Individuum (Verhalten) und Gesellschaft (Verhältnisse) (vgl. Heiner 2010, 101 ff) wird einerseits und wie bereits erwähnt in nahezu allen Theorien Sozialer Arbeit thematisiert und sie ist andererseits ein wesentlicher Anknüpfungspunkt an das CM, das zwischen der Fall- und der (Versorgungs-)Systemebene unterscheidet und damit genau an den generellen Doppelfokus der Sozialen Arbeit Individuum (Verhalten) und Gesellschaft (Verhältnisse) anschließt.
Während die bereits vorgestellte Systematisierung nach Lambers (2016) große theoretische Linien Sozialer Arbeit beschreibt, schlägt Borrmann (2016) eine sachlogische Differenzierung vor. Er unterscheidet
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Theorien, die Soziale Arbeit als Funktionssystem beschreiben (z. B. Bommes & Scherr),
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Theorien, die methodisches Handeln fundieren (z. B. Germain & Gitterman),
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Theorien, die methodisches Handeln und theoretisches Denken verorten (z. B. Dewe & Otto),
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Theorien, die auf Gründe für soziale Probleme rekurrieren (z. B. Böhnisch; Addams) oder
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Theorien, die Hauptbezugspunkte Sozialer Arbeit beschreiben und systematisch verbinden (z. B. Staub-Bernasconi; Röh) (vgl. ebd., 28 ff).
Jede dieser Theorien leistet etwas anderes und hat natürlich ihre Berechtigung. Hier zeigt sich eine nächste Variante, wie auf