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Sozialarbeitswissenschaft: Eine Einführung
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eBook469 Seiten4 Stunden

Sozialarbeitswissenschaft: Eine Einführung

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Über dieses E-Book

Wer heute ein Studium der Sozialen Arbeit aufnimmt, empfindet das Fach oft als unübersichtlich und ohne disziplinären Kern. Ein Überblick über die theoretischen, konzeptionellen und methodischen Grundannahmen fällt ebenso schwer wie die Orientierung hinsichtlich der später zugänglichen Berufsfelder. Ziel dieser Einführung ist es, das (auch im Rahmen der aktuellen Studienpläne) als relevant geltende theoretische und berufsspezifische Wissen der Sozialen Arbeit systematisch aufzubereiten und zu diskutieren. Auf diese Weise eröffnet das Buch nicht nur einen Zugang zu den wichtigsten Fragestellungen und Fachperspektiven der Sozialen Arbeit; es schafft zugleich auch Klarheit angesichts immer komplexerer Handlungsfelder und einer Fülle darauf bezogener Handlungsformen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Juli 2006
ISBN9783170277021
Sozialarbeitswissenschaft: Eine Einführung

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    Buchvorschau

    Sozialarbeitswissenschaft - Peter Erath

    Zusammenfassung

    Vorwort

    Dieses Buch setzt sich zum Ziel, die vielfältigen theoretischen Ansätze, Modelle, Handlungskonzepte und Methoden im Bereich der Sozialarbeitswissenschaft zu strukturieren und zu systematisieren und dadurch das gesamte Wissen und Denken im Bereich der Sozialarbeit insbesondere für Studierende durchsichtig und verstehbar zu machen. Natürlich stellt dieses Buch damit auch einen Akt der Selbstvergewisserung dar. Wer über die letzten zwei Jahrzehnte die Entwicklung der theoretischen Debatte in diesem Bereich insbesondere auch aus einer europäischen und internationalen Perspektive verfolgt hat, der kommt nicht umhin, Stellung zu beziehen.

    Allen, die dazu beigetragen haben, dass dieses „Projekt" gelungen ist, sei herzlich gedankt, insbesondere Ria Puhl für die Anregung zum Verfassen dieses Buches, Horst Sing für die vielen wertvollen Gespräche und Diskussionen und der Kollegin Anneliese Mayr sowie dem Kollegen Stefan Schieren für wichtige Literaturhinweise. Meinen Mitarbeiterinnen Birgit Braun-Dümmer, Sabine Hodek, Eva Sandner und Norbert Eszlinger danke ich für die ausdauernde Unterstützung bei einzelnen Teilrecherchen sowie für die kritische Durcharbeitung der verschiedenen Manuskriptfassungen und die vielen Hinweise und Verbesserungsvorschläge. Marina Tsoi und Barbara Zille danke ich für die sorgfältige Gestaltung des Manuskripts.

    Natürlich kommt ein Buch mit dem für manche immer noch nicht genügend „wissenschaftswürdigen Titel „Sozialarbeitswissenschaft nicht ohne Verbündete aus. Mein besonderer Dank gilt hier Angelika Kulinski für die entscheidenden Ratschläge nach Beendigung des Manuskripts und dem Kohlhammer-Verlag für das Wagnis der Manuskriptannahme.

    Ohne die ausdauernde Unterstützung durch meine Frau Beatrix wäre dieses Buch sicherlich niemals endgültig fertiggestellt worden und schließlich erschienen. Ihr widme ich dieses Buch.

    Abbildungsverzeichnis

    Tabellenverzeichnis

    Einführung

    *

    Die gegenwärtige Situation: Unbehagen mit der Theoriebildung im Bereich der Sozialen Arbeit

    Das Niveau des professionellen und wissenschaftlichen Denkens und Handelns im Bereich der Sozialen Arbeit wird heute von vielen Beteiligten als unbefriedigend empfunden. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie liegen aber nicht nur im (vermeintlichen) Desinteresse der Praxis an Theorie, dem dünnen Netz an überwiegend sozialpädagogisch und damit disziplinär eher einseitig ausgerichteten universitären Lehrstühlen oder den strukturellen Schwächen des Fachhochschulsystems, sondern vor allem in der theoretisch und praktisch nicht bewältigten „diffusen Allzuständigkeit" der Sozialen Arbeit. (so z. B. Bommes/Scherr 1996, S. 93, Ferchhoff 1993, S. 708)

    Dieser ungeklärten Zuständigkeit zufolge erscheint es – so die Argumentation von Bommes/Scherr – außergewöhnlich schwierig, „eine singuläre wissenschaftliche Theorie der Sozialen Arbeit (Bommes/Scherr 1996, S. 93) zu entwickeln. Gelingt dies aber nicht, stellt sich die Frage, ob es sich beim Begriff der Sozialen Arbeit lediglich um ein historisch etabliertes Einheitsetikett für heterogene Praktiken handelt, „deren Zusammenhang nur noch darin besteht, daß sie als Soziale Arbeit die berufliche Ausbildung zum Sozialarbeiter/Sozialpädagogen voraussetzen. (ebd.)

    Will man sich nicht mit einer solch orientierungsschwachen weil theorielosen Beschreibung der Sozialen Arbeit zufrieden geben, so gilt es, sie nicht tätigkeitsspezifisch, sondern formal zu bestimmen. Bommes/Scherr schlagen dazu vor, Soziale Arbeit bezüglich ihrer gesellschaftlichen Funktion zu begrenzen. Eine Möglichkeit dazu bietet ihrer Ansicht nach die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Im Rahmen dieser Theorie sind Individuen „zu ihrer psychischen und physischen Selbsterhaltung darauf angewiesen, am Kommunikationsprozeß sozialer Systeme teilzunehmen, und setzen alle Funktionssysteme „eine bestimmte Selbstdisziplinierung der Individuen zu erwartungsstabilen Personen voraus und sehen Möglichkeiten der Exklusion von Individuen vor. (ebd., S. 103) Da wo dies geschieht und wo Exklusion aus wichtigen Teilsystemen der Gesellschaft bzw. Exklusionsrisiken vom Einzelnen nicht mehr bewältigt werden können, werden wohlfahrtsstaatliche Interventionen erforderlich.

    Wohlfahrtstaatliche Leistungsverwaltungen regeln dann im Rahmen von Sozialversicherungen den Einsatz dieser Hilfemaßnahmen. Neben diesen, meist monetär ausgerichteten Versicherungsleistungen, denen der Rang einer Erstsicherung zukommt, treten Bommes/Scherr zufolge in der modernen Gesellschaft außerdem Formen der Zweitsicherung auf, insbesondere in Gestalt von Sozialhilfe und Sozialer Arbeit.

    „Sozialhilfe und soziale Arbeit als Zweitsicherung im Wohlfahrtsstaat sind daher zuständig für die Organisation von ‚Hilfe‘ in der Form der Geldzuteilung, Beratung, Erziehung, Bildung und stellvertretendem Handeln, die jeweils auf spezifische Fälle zugeschnitten ist und dann einsetzt, wenn generalisierte Absicherungen entweder nicht greifen oder aber einsetzende Exklusionsdynamiken nicht aufzuhalten in der Lage sind. Soziale Arbeit fällt dann die stellvertretende Inklusionsvermittlung und Exklusionsvermeidung auf der einen sowie auf der anderen Seite auch Exklusionsverwaltung zu." (ebd., S. 106f., Hervorhebung im Original)

    Positioniert man die Soziale Arbeit auf diese Weise, wird es möglich, „ein einheitliches Bezugsproblem, auf das alle Bereiche der Sozialen Arbeit bezogen sind, und die zugehörigen Operationsweisen (ebd., S. 110) darzustellen. Damit aber verliert die Soziale Arbeit ihre Allzuständigkeit; als „organisierte unspezifische Hilfebereitschaft (Bommes/Scherr 2000, S. 62) ist sie jetzt nur noch da zuständig, wo es um Probleme sozialer Inklusion/Exklusion geht.

    „Man kann nicht erwarten, daß dies Problem innerhalb der einzelnen Funktionssysteme gelöst werden kann; denn einerseits ist eine Inklusion nur vor dem Hintergrund möglicher Exklusionen denkbar, und andererseits läßt sich das Problem der wechselseitigen Verstärkung von Exklusionen keinem einzelnen Funktionssystem zuordnen. Deshalb wäre eher damit zu rechnen, daß sich ein neues, sekundäres Funktionssystem bildet, das sich mit den Exklusionsfolgen funktionaler Differenzierung befaßt – sei es auf der Ebene der Sozialhilfe, sei es auf der Ebene der Entwicklungshilfe. Die Ressourcenabhängigkeit dieser Bemühungen – wirtschaftlich, politisch und auch religiös gesehen – ist jedoch so stark, daß man zweifeln kann, ob es sich um weit verstreute Bemühungen auf der Ebene von Interaktionen und Organisationen handelt. Deutlich erkennbar ist, daß es nicht mehr um caritas oder um Armenpflege im Sinne der Tradition geht, sondern um Bemühungen um strukturelle Veränderungen (Stichwort: Hilfe zur Selbsthilfe). Vielleicht können wir hier ein Funktionssystem im Entstehen beobachten." (Luhmann 1997, S. 633 ff.)

    Präzisiert man auf diese Weise die Funktion der Sozialen Arbeit, so wird ihr Bezugsproblem nicht nur wesentlich bestimmter, sie selbst wird zu einem unverzichtbaren Element des modernen Wohlfahrtsstaates. Eine Intensivierung und Neuausrichtung der Theoriebildung und Forschung wird jetzt möglich. Vor allem: Soziale Arbeit muss nicht mehr als konkrete Tätigkeit konstruiert werden, sondern kann sich jetzt – um ihrer gesellschaftlichen Funktion gerecht werden zu können – mit ihren vielfältigen Interventionen auf spezifische Problemstellungen einstellen, d. h. sie kann helfen, beraten, moderieren, intervenieren, erziehen, betreuen, Geld zur Verfügung stellen etc.

    Auf diese Weise wird auch deutlich, dass die bisherige disziplinäre Verortung der Sozialen Arbeit im Bereich der Sozialpädagogik, die sich exklusiv am Erziehungs- und Bildungsbegriff orientiert (so z. B. Thiersch 1996, 2002; Hamburger 2003, S. 14 ff.), nicht länger angemessen erscheint, um die gesamte Bandbreite der Tätigkeiten, die Sozialarbeit einnimmt, zu umfassen. Erforderlich wird damit nichts weniger als eine neue Metatheorie, die in der Lage ist, die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit sowohl zu beschreiben als auch zu reflektieren (Erath 2004).

    Auf der Suche nach einer Metatheorie der Wissenschaft der Sozialen Arbeit

    Die Bildung einer Disziplin, die diese Reflexionsleistungen organisiert und strukturiert, kann jedoch nur gelingen, wenn sich die dafür konstitutive Perspektive nicht aus der Praxis selbst – quasi ontologisch –, sondern aus dem Wissenschaftssystem heraus, das für Disziplinbildung zuständig ist, ableiten lässt.

    Mit diesem Buch wird ein solcher Versuch unternommen, wobei hier für die sich aus dieser Metatheorie ausbildenden Disziplin aus pragmatischen Gründen der Begriff „Sozialarbeitswissenschaft dem der „Wissenschaft der Sozialen Arbeit (z. B. Mühlum 2000, S. 103; 2004) bzw. „Wissenschaft Soziale Arbeit (Engelke 2004) vorgezogen wird. Die in dieser Darstellung trotzdem oftmals verwirrende Verwendung der Begriffe Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Soziale Arbeit ist allein den unterschiedlichen Autoren geschuldet. Neue Wissenschaften entstehen jedoch nur da, wo es gelingt, erkenntnisleitende Fragestellungen oder Problemstellungen zu identifizieren und erfolgreich zu besetzen, die von anderen Wissenschaften nicht wahrgenommen werden. Nur damit erfüllen sie „die Anforderung, die in der modernen Wissenschaftstheorie formuliert wird, wissenschaftliche Disziplinen durch Bezug auf bestimmte, oft hoch selektive Probleme von anderen Disziplinen mit anderen Problemen abzugrenzen. (Homann/Suchanek 2000, S. 3) Daher folgt dieses Buch bei der Entwicklung einer Metatheorie der Sozialarbeitswissenschaft der Argumentation des schwedischen Sozialarbeitswissenschaftlers Haluk Soydan (1999). Dieser hat im Rahmen einer ideengeschichtlichen Argumentation gezeigt, wie sich die Sozialarbeit als Wissenschaft aus der Soziologie heraus in eine grundlagen-, handlungs- und professionstheoretische Fragestellungen verknüpfende Wissenschaft ausdifferenziert hat. Demnach erscheint Sozialarbeitswissenschaft als eine komplexe Transdisziplin (Papenkort/Rath 1994), deren Besonderheit darin besteht, drei Theorieebenen untrennbar miteinander zu verknüpfen:

    to have a theory of society or of man as social being, to have a programme, a scheme for changing problematic situation, and to have a group of people committed to carrying this change through. (Soydan 1999, S. 6)

    Sozialarbeitswissenschaftliches Denken und Handeln erscheint von dieser Sichtweise aus als eine Praxis, die sich bei der Durchführung ihrer Operationen an diesen drei Theorieebenen orientiert und vor diesem Hintergrund ihre Entscheidungen vollzieht und ihr Handeln reflektiert.¹

    Allgemeine Sozialarbeitswissenschaft als disziplinärer Bezugsrahmen sozialarbeitswissenschaftlichen Denkens und Handelns

    Akzeptiert man diese Argumentation, dann lassen sich – und darauf zielt diese Arbeit – die vorhandenen sozialarbeits- und bezugswissenschaftlichen Theorien, Modelle und Konzepte unter einem einheitlichen Gesichtspunkt systematisch zusammenzuführen. Und auf diese Weise lässt sich auch möglicherweise, entgegen der den wissenschaftlichen Disziplinen immanenten Tendenz zur weiteren Ausdifferenzierung, ein disziplinübergreifendes Wissen bewahren.

    Sieht man einmal von den Handbüchern ab, die einzelne Begriffe bzw. Themenstellungen der Sozialen Arbeit/Sozialarbeit überblicksartig darstellen (so z. B. Eyferth/Otto/Thiersch 2001, Thole 2002, Kreft/Mielenz 2005), bzw. Kompendien, die verschiedene Positionen im Streit um die Sozialarbeitswissenschaft vorstellen (Puhl 1996, Mühlum 2004), so gibt es für diesen Bereich zwar zusammenfassende Darstellungen (Engelke 2004, Göppner/Hämälainen 2004), nicht jedoch eine (meta-)theoretisch angelegte Durchdringung des theoretischen Wissens im Bereich der Sozialarbeitswissenschaft.

    Natürlich muss eine solche Darstellung ihren eigenen metatheoretischen Bezugsrahmen offen legen. Hier ist der Verfasser, ähnlich wie Baecker (1994) und Bommes/Scherr (1996), der Ansicht, dass nur eine mit den Begriffen der Systemtheorie von Niklas Luhmann ansetzende Analyse in der Lage ist, sozialarbeitswissenschaftliches Denken und Handeln in einer modernen Gesellschaft angemessen zu positionieren. Eine solche Entscheidung muss aber keineswegs Folgen für die politische und ideologische Positionierung haben. Sie bietet lediglich eine Metaebene dafür, unterschiedliche Positionen präsentieren und jeweils kritisch reflektieren zu können – ohne damit bereits ideologische (Vor-)Entscheidungen zu treffen bzw. in irgendeiner Weise der Praxis die Entscheidung für ihr Denken und Handeln abzunehmen zu können oder zu wollen.

    „Die allgemeine Aufgabe von Wissenschaftstheorie im Kontext der Sozialarbeitswissenschaft liegt also in der reflexiven Durchdringung bestehender Theorieansätze, in der Klärung der vorliegenden Forschungspraxis, weiter in der Explikation des jeweiligen Wissenschaftsverständnisses sowie der darin enthaltenen Erkenntnisansprüche. Diese Grundposition wendet sich gegen eine vorab erfolgte Festlegung auf eine bestimmte wissenschaftstheoretische Position." (Schlittmaier 2005, S. 27)

    Aufbau des Buches

    Die Gliederung dieses Buches orientiert sich (hintergründig) an einer dreifachen Unterscheidung des Theoriebegriffs, wie sie im Rahmen einer modernen Sozialwissenschaft erforderlich erscheint: auf der Ebene „metatheoretischer Überlegungen werden grundlegende Fragen der Begründung, Methodologie und Dilemmata der Sozialarbeitswissenschaft diskutiert; auf der Ebene reflexionstheoretischer „Selbstbeschreibungen (Luhmann 2002, S. 168 ff.) gilt es, den „Konstruktionsmodus von Theorien (Schlittmaier 2005, S. 27) und deren verschiedene Reichweiten aufzuzeigen und voneinander abzugrenzen, auf der Ebene „handlungstheoretischer Entwürfe werden schließlich gängige sozialarbeits- und bezugswissenschaftliche Handlungskonzepte sowie professionelle Reflexionsinstrumente vorgestellt.

    Der Aufbau der einzelnen Kapitel gliedert sich dementsprechend wie folgt: In einem ersten Kapitel wird das hier vorgelegte Verständnis der Sozialarbeitswissenschaft im Anschluss an Soydan (1999) offengelegt. Sozialarbeitswissenschaft wird als eine Disziplin begründet und vorgestellt, die unterschiedliche und historisch gewachsene Fragestellungen zu einer eigenständigen Problemstellung miteinander verbindet und dadurch zu einer neuen, noch nicht besetzten wissenschaftlichen Perspektive findet. Auf diese Weise etabliert sie sich als Disziplin, die sich zunächst gegenüber der Soziologie, der Psychologie, der Politikwissenschaft und der Sozialpädagogik abgrenzt, dann aber zugleich interdisziplinär auf diese angewiesen ist.

    Im zweiten Kapitel wird der besondere Wissenschaftscharakter der Sozialarbeitswissenschaft als Sozialwissenschaft dargestellt. Dieser zeichnet sich insbesondere aus durch die Orientierung ihrer Theorien an wichtigen Denktraditionen sowie am Forschungsprogramm der Sozialwissenschaften. Außerdem wird hier die Frage nach dem Theorie-Praxis-Problem und nach der Reichweite sozialarbeitswissenschaftlicher Theorien diskutiert.

    Im dritten Kapitel werden dann die sich im Rahmen einer so vorgenommenen Positionierung der Sozialarbeitswissenschaft ergebenden Paradoxien bzw. Dilemmata aufgezeigt. Metatheoretisch betrachtet verspricht die Konstruktion einer Disziplin Sozialarbeitswissenschaft nicht nur Selbstbewusstsein und Klarheit, sie zeitigt zugleich strukturelle Folgeprobleme, die als „Unbestimmbarkeit, „mangelnde Integrationskraft, „doppeltes Mandat, „Technologiedefizit und „Effizienzverdacht" bezeichnet werden können.

    In einem vierten Kapitel werden diejenigen zeitgenössischen Theorien der Sozialarbeitswissenschaft vorgestellt, die dem seitens der Metatheorie gesetzten Anspruch gerecht werden und in der Lage sind, die verschiedenen Teilaspekte der sozialarbeitswissenschaftlichen Sichtweise – die Erklärung, Bekämpfung/Vermeidung und professionelle Bearbeitung sozialer Probleme – zu einer plausiblen theoretisch begründeten Gesamtargumentation zusammenführen.

    In einem fünften Kapitel werden die Theorien vorgestellt, die sozialarbeitswissenschaftliches Denken und Handeln professionstypisch zu fassen versuchen. Auch sie zielen darauf, das, was Soziale Arbeit ausmacht, im Lichte der verschiedenen Wissenschaftstheorien zu betrachten, gehen aber im Unterschied zu den umfassenden Theorien davon aus, dass dies nur im Rahmen von Professionstheorien möglich ist, die die spezifische Logik bzw. Grammatik der sozialarbeiterischen Tätigkeit zu beschreiben versuchen.

    In einem sechsten Kapitel werden dann solche Theorien präsentiert, die versuchen, Wissenschafts- und Handlungsorientierung einander stark anzunähern. Sie strukturieren das Handeln und werden deshalb oft auch als Modelle bezeichnet. Zumeist erfolgt eine solche Modellierung durch Einführung von systematischen Schritten oder Stufen bzw. durch Festlegung von übergreifenden Verhaltens- bzw. Handlungsprinzipien. Auf diese Weise versuchen diese Modelle – stärker als die Theorien – der Handlungsorientierung in der Sozialarbeitswissenschaft und damit dem Wunsch der Praktiker/innen nach konkreten Vorgaben Rechnung zu tragen.

    Das siebte Kapitel stellt dann Theorien vor, die als sozialarbeitswissenschaftliche Handlungskonzepte bezeichnet werden können. Diese sind oft im Rahmen von Ausbildungs- und Praxisprojekten von Lehrenden der Sozialarbeit mit dem Ziel entwickelt worden, Studierenden und Praktiker/innen einen allgemeinen Rahmen zu bieten, um im beruflichen Alltag kompetent handeln zu können.

    Im achten Kapitel werden wichtige bezugswissenschaftliche Handlungskonzepte vorgestellt. Diese dienen der methodischen Ausgestaltung des professionellen Handelns und entstammen insbesondere der Psychologie, der Pädagogik, der Soziologie und der Politikwissenschaft. Es handelt sich dabei z. B. um Methoden und Techniken der Kommunikation, der Beratung, der Begleitung, des Trainings, der (Sozialraum-)Analyse, der politischen Bildung, des Lobbying, etc. Im neunten Kapitel werden dann einige Reflexionsinstrumente ausgeführt, die dazu dienen, das professionelle Handeln im Alltag zusätzlich zu stützen und auszurichten. Wichtige Instrumente sind hier u. a. die Supervision, die Konzeptionsbildung, das Risikomanagement etc.

    Im zehnten und letzten Kapitel erfolgt schließlich ein stark thesenhaft formulierter Ausblick auf zukünftige Anforderungen an die Theoriebildung in der Sozialarbeitswissenschaft. Dabei soll gezeigt werden, dass die dargestellten sozialarbeiterwissenschaftlichen Theorien noch stärker als bisher die vielfältigen Interessenkonflikte abbilden müssen, die sich z. B. hinter den Mythen des „doppelten Mandats, der „Hilfe zur Selbsthilfe, des „Empowerment" verbergen. Dazu müssen konstruktivistische Verfahren und Methoden entwickelt werden, die es erlauben, die Klientel weitaus stärker in die einzelnen Problemdefinitions- und Hilfeprozesse mit einzubeziehen. Außerdem gilt es, die Bemühungen um eine europäische und internationale Anschlussfähigkeit im Bereich der Sozialarbeitswissenschaft zu intensivieren.

    * Der Autor ist sich durchaus bewusst, dass die Mehrheit der im Bereich der Sozialarbeit/Sozialarbeitswissenschaft Tätigen weiblichen Geschlechts ist. Die durchgehende Verwendung der männlichen Form bei Begriffen wie z. B. „Sozialarbeiter, „Praktiker etc. (außer im Rahmen von Zitaten) ist allein stilistisch begründet.

    1 Wie plausibel diese Ausgangsposition ist, zeigt folgende Überlegung: Im Rahmen seiner verschiedenen Interventionen bleibt dem reflektiert und damit sozialarbeitswissenschaftlich handelnden Sozialarbeiter gar nichts anderes übrig, als mehr oder weniger unbewusst stets mögliche Ursachen für soziale Probleme zu unterstellen und daran orientiert seine Maßnahmen anzusetzen und darin die eigene Funktion zu bestimmen: Wer mit Jugendlichen gewaltfreies Verhalten trainiert, geht implizit oder explizit von der Annahme aus, dass aggressives Verhalten erlernt und auch wieder verlernt werden kann und dass dies nur im Rahmen eines „professionellen Arrangements" geschehen kann. Wer der Ansicht ist, professionelle Sozialarbeit müsse aufsuchenden Charakter haben, unterstellt (theoretisch), dass der Klient aus unterschiedlichen Gründen offensichtlich nicht selbständig an Hilfeleistungen herankommen kann, usw.

    1 Begründung der Sozialarbeitswissenschaft

    Ausgehend von der Argumentation des schwedischen Sozialarbeitswissenschaftlers Soydan (1999) wird in diesem Kapitel Sozialarbeitswissenschaft als autonome Disziplin begründet. Eine solche Begründung ist durchaus nicht unumstritten und stößt insbesondere bei Vertreter/innen der (deutschen) Sozialpädagogik auf erheblichen Widerstand (siehe Kap. 1.3.3). Sie wird allerdings plausibel, wenn man die Sozialarbeitswissenschaft – so wie dies Soydan tut – stärker empirisch-analytisch, d. h. auf die Beseitigung von sozialen Problemen hin, ausrichtet und weniger gesellschaftsphilosophisch, als kritische Instanz der Gesellschaft, positioniert.

    Vor diesem Hintergrund werden zunächst wichtige Aussagen zum Wissenschaftsverständnis, das hier im Anschluss an Luhmann (1990) konzipiert wird, formuliert (Kap. 1.1), dann wird das hier vorgelegte Verständnis der Sozialarbeitswissenschaft im Anschluss an Soydan (1999) im Sinne einer Meta- bzw. Supertheorie (vgl. Luhmann 1978, S. 10ff.) offen gelegt (Kap. 1.2). In einem weiteren Schritt wird dann gezeigt, dass Sozialarbeitswissenschaft als eine Wissenschaftsdisziplin zu konstruieren ist, die sich insbesondere gegenüber der Soziologie, der Psychologie, der Politikwissenschaft und der Sozialpädagogik sowohl abgrenzt als auch strukturell verbunden erweist (Kap. 1.3). Schließlich werden unterschiedliche Modelle der Interdisziplinarität vorgestellt und diskutiert (Kap. 1.4). Insgesamt entsteht so eine Positionsbestimmung der Sozialarbeitswissenschaft als wissenschaftlich eigenständiger Disziplin, die als Ausgangspunkt dieses Buches dient und die abschließend noch einmal zusammengefasst wird (Kap. 1.5).

    1.1 Sozialarbeit als Praxis und Wissenschaft

    Die Frage, ob die Praxis der Sozialarbeit eine Wissenschaft braucht, wird letztendlich von niemand ernsthaft bestritten, wenn auch in Detailfragen unterschiedlich begründet: Nach Luhmann wird Wissenschaft dort gebraucht, wo Reflexion organisiert, Plausibilitätsprobleme kommuniziert und hinreichend überprüftes Wissen generiert werden soll, denn „immer wenn zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterschieden wird, um die Produktion neuen Wissens zu beobachten, handelt es sich um Wissenschaft" (Luhmann 1992, S. 111; Luhmann 1990). Für die Soziale Arbeit bedeutet dies: In dem Maße, in dem die Praxis ihre eigenen Defizite erkennt, braucht sie Wissenschaft, einerseits, um Defizite im Rahmen von Forschungen oder Modellprojekten zu bearbeiten, andererseits aber auch, um zu begründen, dass ein Teil der Misserfolge der Praxis auch bei Aufbietung aller Anstrengungen nicht überwunden werden kann (siehe dazu Kap. 3).

    So kommt es nicht von ungefähr, dass der Ruf nach einer solchen Wissenschaft vor allem im Bereich der Fachhochschulen aufgegriffen und formuliert worden ist. Hier – an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis – hat man offensichtlich zuallererst den Theorie- und Wissensbedarf wahrgenommen. Allerdings wurde in der seit den 1990er Jahren einsetzenden Diskussion um eine eigenständige Sozialarbeitswissenschaft oftmals übersehen, dass der Prozess der Verwissenschaftlichung einer bestimmten Praxis insbesondere dreierlei Restriktionen unterliegt:

    1. Wissenschaftliche Disziplinen spezifizieren sich nicht auf bestimmte Phänomene hin, sondern entstehen aus „theoretisch erzwungenen Unterscheidungen, Gegenstandsfelder sind nicht im Vorhinein vorhanden, sondern bilden sich nach der Maßgabe ihrer Theorien (Luhmann 1997, S. 452). Die Möglichkeit zur Disziplinbildung besteht nur innerhalb des Wissenschaftssystems selbst, was sich u. a. auch darin zeigt, dass etwa der Mensch „ein Forschungsobjekt aller Disziplinen ist, also von keiner dieser Disziplinen als Einheit beobachtet werden kann (ebd., S. 448).

    „Die Funktion der Wissenschaft beruht mithin auf einer möglichen Reorganisation des Möglichen, auf einer Kombinatorik neuen Stils – und nicht auf einer Abbildung des Vorhandenen, auf einer bloßen Verdoppelung der Gegenstände in der Erkenntnis. Das, was die Wissenschaft als Einheit feststellt (zum Beispiel als Ding, als System, als Atom, als Prozess), verdankt seinen Charakter als Einheit dann der Wissenschaft; also dem Begriff, und nicht sich selber." (Luhmann 1990, S. 328)

    2. Das Wissenschaftssystem kann nicht von außen dazu gezwungen werden, eine bestimmte Praxis, wie z. B. Sozialarbeit, auf systematischem Weg zu reflektieren. Eine neue Disziplin Sozialarbeitswissenschaft muss sich folglich aus dem Wissenschaftssystem heraus entwickeln (lassen), von außen können nur Anregungen z. B. in Form von „Irritationen an das System „heran getragen, nicht aber „hinein getragen werden. Beim Vorgang der Disziplinbildung handelt es sich um eine „Ausdifferenzierungsbewegung innerhalb des Systems (Luhmann 1990, S. 447), die allein von diesem System selbst erzeugt werden kann. Dabei muss beachtet werden: „Die Grenzen einer Disziplin gelten nur für die jeweilige Disziplin, nicht für deren Umwelt." (ebd.)

    3. Was schließlich in der Disziplin in welcher Weise erforscht, reflektiert und falsifiziert bzw. verifiziert wird, unterliegt den Bedingungen und Regeln des Wissenschaftssystems; somit besteht keine Möglichkeit mehr, diese Bedingungen und Regeln durch die Praxis zu steuern.

    „Andere Funktionssysteme greifen in die Wissenschaft zwar ein, wenn sie in Erfüllung ihrer eigenen Funktionen operieren und ihren eigenen Codes folgen. Aber sie können jedenfalls unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft nicht selbst festlegen, was wahr und was unwahr ist (es sei denn mit einer Usurpation dieser Terminologie für eigene Zwecke und mit dem wahrscheinlichen Resultat einer Blamage). Jede außerwissenschaftliche Festlegung dessen, was nicht wahr oder nicht unwahr sein dürfe, macht sich, heute jedenfalls, lächerlich; und extern motivierte Wissenschaftskritik muß sich folglich als ‚Ethik‘ ausweisen." (Luhmann 1990, S. 293)

    Wissenschaftlich geprüftes Wissen ist deshalb immer etwas anderes als „Praxiswissen", da es unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen zustande kommt.

    Die Frage, inwiefern Bereiche wie Sozialarbeit, Erziehung etc. aufgrund ihres „Technologiedefizits als Human- bzw. Handlungswissenschaften (siehe dazu Kap. 3.4) eine eigene Bezugsdisziplin bzw. ein eigenes theoretisches Reflexionssystem überhaupt benötigen, wird von Luhmann aus folgendem Grund positiv beantwortet: seiner Ansicht nach kann nur durch Disziplinbildung die eigene Ausrichtung (Luhmann nennt dies das eigene „Symbol) im Rahmen theoretischer Reflexionen sowohl gepflegt als auch geschützt werden.²

    Für die Praxis der Sozialarbeit könnte daher die Koppelung mit Wissenschaft von Vorteil sein, auch wenn damit nicht unbedingt automatisch eine Verbesserung der praktischen Arbeit verbunden ist. Denn auf diese Weise hat sie die Möglichkeit, ihre Programme und Methoden aufgrund interner und externer Kommunikationsprozesse im Rahmen einer sozialarbeitswissenschaftlichen Diskussion ständig zu beobachten, zu verändern und anzupassen. Sie kann – z. B. im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Projekten – Neues wagen und jeweils neue, veränderte Plausibilitätsargumentationen nach innen und außen kommunizieren. Auf diese Weise entsteht dann zunehmend Wissen, das die Organisationen der Sozialarbeit verwenden können, sowohl um erfolgreicher zu sein als auch um die eigene Legitimität zu sichern; und sei es nur dadurch, dass als sicher ausgegeben werden kann, dass in einer Sache auch mit anderen Mitteln nicht mehr erreicht werden kann.

    Freilich muss die Praxis mit dem Begriff des wissenschaftlich geprüften Wissens vorsichtig umgehen. Denn dieses Wissen bezieht sich zum einen nicht auf die gesamte, sondern nur auf eine stark reduzierte Wirklichkeit: Phänomene wie der Mensch, wie soziale Probleme, wie Hilfeleistungen etc. sind Forschungsobjekte vieler Disziplinen und können „also von keiner dieser Disziplin als Einheit beobachtet werden. (Luhmann 1990, S. 448) Zum anderen kann Wissenschaft, da sie eben nicht die Praxis selbst ist, die Wahrheitsfrage lediglich in einem „geschützten Raum diskutieren. Der Gewinn wissenschaftlichen Denkens und Handelns besteht offensichtlich vor allem darin, dass Wissenschaft etwas kann, was keinem anderen sozialen System zugetraut wird, nämlich nicht nur mit Wahrheit, sondern auch mit Unwahrheit umzugehen. Lässt man Unwahrheit auf diese Weise zu, entsteht durch strukturelle Koppelung ein Erkenntnisgewinn,

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