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Soziale Arbeit interkulturell: Theorien - Spannungsfelder - reflexive Praxis
Soziale Arbeit interkulturell: Theorien - Spannungsfelder - reflexive Praxis
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eBook597 Seiten6 Stunden

Soziale Arbeit interkulturell: Theorien - Spannungsfelder - reflexive Praxis

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Über dieses E-Book

Das Buch führt in die komplexe Debatte um eine interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit ein. Problemstellungen aus der Praxis der Sozialen Arbeit werden sozialwissenschaftlich reflektiert und auf sozialpädagogische und erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse der interkulturellen Bildung bezogen. Theoretische Grundlagen und Konzepte interkultureller Sozialer Arbeit werden mit Fragen professionellen sozialen Handelns konfrontiert. Neben der Diskussion um die Bedeutung unterscheidbarer Kulturverständnisse werden Maßstäbe für eine kultursensible Praxis und interkulturelle Kompetenz entwickelt. Aktuelle Entwicklungen in der Ausrichtung Sozialer Arbeit seit der Novellierung des ehemaligen Ausländergesetzes finden ebenso Berücksichtigung wie Herausforderungen im Kontext eines gesellschaftlichen Diskurses um den Umgang mit fundamentalistischen Strömungen sowie Aspekte marktförmiger Orientierung und Steuerung. Ein Serviceteil mit hilfreichen Adressen für Studium und Praxis rundet den Band ab.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Mai 2008
ISBN9783170276765
Soziale Arbeit interkulturell: Theorien - Spannungsfelder - reflexive Praxis

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    Buchvorschau

    Soziale Arbeit interkulturell - Thomas Eppenstein

    1 Einführung: Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis

    „Wenn zwei dasselbe sagen, ist einer zuviel."

    Russisches Sprichwort

    Professionelle Interkulturelle Soziale Arbeit¹ will unter anderem ein Gegengewicht zur sozialen und ethnischen Segregation von Zuwanderern bilden, Migrationsrisiken abfedern, zur Bewältigung von Integrationsprozessen beitragen oder das ‚interkulturelle‘ Zusammenleben fördern. Um solche Ziele – im Verständnis einer „Gerechtigkeitsprofession" – (vgl. Schrödter 2007) zu erreichen, bedarf es einer Sozialen Arbeit, die auf lebenswelt-hermeneutischen sensitiven Zugängen beruht und auf der Basis von sozialräumlich orientierten Konzepten entwickelt wird. Professionalität steht dabei für die spezifische Qualität einer solchen sozialpädagogischen Handlungspraxis, die eine Erhöhung von Handlungsoptionen, Chancenvervielfältigung und die Steigerung von Partizipations- und Zugangsmöglichkeiten auf Seiten der Adressaten Sozialer Arbeit zum Ziel hat. Hierzu zählen Einflussnahmen auf die soziale Infrastruktur und Sicherung der Regelversorgung der Migranten, Unterstützung von Migranteninitiativen, psychosoziale Beratung von Migranten und ihren Familien, sozialpädagogische Arbeit mit älteren Migranten, psychosoziale Beratung für Flüchtlinge, interkulturelle Jugendarbeit, Aufbau interkultureller Mediationsangebote zur Vermittlung im Falle ethnischkulturell begründeter Konflikte, Antidiskriminierungsarbeit oder die interkulturelle Qualifizierung auf institutioneller wie personaler Ebene. Die Professionalität interkulturellen sozialpädagogischen Handelns bewegt sich dabei im Spannungsfeld von ‚Wissen‘, ‚Können‘ und ‚Reflexion‘, wodurch sie mit beruflichen Konzepten und Erfahrungen anderer Felder der Sozialen Arbeit vergleichbar ist.

    Wenn in dem vorliegenden Band von Sozialer Arbeit in „interkultureller Orientierung oder auch in „interkultureller Perspektive gesprochen wird, und nicht einfach von einer „interkulturellen Sozialen Arbeit die Rede ist, so hat dies zwei Gründe: Zum einen wollen wir bereits im Titel verdeutlichen, dass es bei der sogenannten „Interkulturellen Sozialen Arbeit nicht allein um einen Teilbereich im Sinne ausgewiesener Arbeitsfelder handelt, sondern daneben und mit zunehmender Bedeutung um die Berücksichtigung „interkultureller" Aspekte in nahezu allen Arbeitsfeldern und Konzepten Sozialer Arbeit im Sinne eines Querschnittsthemas. Zum anderen soll mit dieser perspektivisch offenen Formulierung deutlich werden, dass hier zwar bestehende theoretische Grundlagen, Konzepte und Praktiken Sozialer Arbeit im interkulturellen Feld zu beschreiben und zu rekonstruieren sind, darüber hinaus freilich der Prozess interkultureller Qualifizierung im Kontext von Migrations- und Einwanderungstatsachen in der Bundesrepublik in vollem Gange und damit auf Zukunft gerichtet offen ist. So orientieren sich die folgenden Kapitel analytisch und empirisch gestützt an realen Migrationsfolgen als Teil der sozialen Wirklichkeit. Im Sinne einer auch normativ vertretbaren Orientierung sollen dieselben auf Migrationen und ihren Folgeerscheinungen beruhenden Tatsachen jedoch auch als Teil menschlicher Praxis verstanden werden, also die Innenperspektive der an interkulturellen Auseinandersetzungen beteiligten Menschen berücksichtigen.

    Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung ist somit eingebunden in die verallgemeinerbare Bestimmung aller Sozialen Arbeit im Horizont gelingenden Lebens. Damit sind die Gegenstandsbereiche einer theoretischen Auseinandersetzung mit der interkulturellen Orientierung angesprochen: Zum einen Befunde aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, zum anderen hermeneutische, auf Erziehungswissenschaften, Philosophie oder Ethik verweisende Zugänge. Schließlich muss der inzwischen auch alltagssprachlich verbreitete Slogan von der „Interkulturalität" als Diskursphänomen reflektiert werden (vgl. Hamburger 2008, S. 106 f.).

    Wenn heute in den Medien, der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, der Politik oder in Fachkreisen unterschiedlichster Berufe um Fragen gestritten wird, ob z. B. in Deutschland zu viele Ausländer leben oder zu wenige – v. a. Fachkräfte – zuwandern, ob Muslime Moscheen bauen dürfen sollen, in welcher Anzahl sie zugelassen werden sollen, oder wie hoch sie geraten dürfen, ob Kinder von Einwanderern auf dem Schulhof sich in deutscher Sprache zu unterhalten haben, oder ihnen das nur im Unterricht auferlegt werden darf, ob Kinder ausländischer Eltern zuviel muttersprachliche Sendungen fernsehen oder zu streng erzogen werden, ob Einwanderer einen Einbürgerungstest machen sollen und wie die Fragen zu lauten haben, ob eheliche Gewalt ein Scheidungsgrund ist und ob der Koran es Männern erlaubt oder nicht erlaubt, ihre Frauen zu schlagen, ob das deutsche Schulsystem die Menschenrechte verletzt, weil es Bildungschancen nach sozialer Herkunft und damit auch nach migrationsbezogenem Hintergrund auswählt, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund eher zu Gewalttaten neigen als andere usw. (vgl. Butterwegge 2006), so interessieren solche Streitpunkte hier nicht unmittelbar, sondern es sollen jene Fragen und spannungsreichen Dimensionen behandelt werden, die ihnen gewissermaßen vorausgehen.

    In Anspielung auf eine Begriffsbestimmung Sozialer Arbeit „als der Summe der Reaktionen auf die Bewältigungstatsache in modernen Risikogesellschaften (vgl. Böhnisch 1997, S. 24, der dies wiederum in Anlehnung an eine Definition Siegfried Bernfelds von „Erziehung als Summe der Reaktionen auf die Entwicklungstatsache getan hat) können wir hier von der Summe der Reaktionen auf die Migrationstatsache sprechen, die es – begrenzt auf das Feld der Sozialen Arbeit – zu bearbeiten gilt. So sollen Schnittstellen, Kreuzungen und Berührungspunkte, die die Soziale Arbeit mit Migrationsrealitäten hat, ausgelotet und ausgeleuchtet werden.

    Die vorliegende Publikation will die inzwischen komplexe und nahezu unübersichtliche Fachdebatte um eine immer wieder geforderte interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit auf aktuellem Stand zusammenführen. Dabei werden theoretische Grundlagen der interkulturellen Pädagogik, sozialwissenschaftliche Befunde und Problemstellungen aus der Praxis Sozialer Arbeit aufeinander bezogen.

    Erfordernisse aus zwei Entwicklungen werden somit aufgegriffen:

    Die Durchdringung von Praxisfeldern Sozialer Arbeit mit Anliegen und Anforderungen, wie sie aus der Pluralisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und einer sich verstetigenden Einwanderungs- und Migrationsrealität im Besonderen resultieren.

    Die aktuelle Entwicklung der Reform einschlägiger Studiengänge und der Bedarf an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen hinsichtlich interkultureller Qualifizierungen in sozialen und anderen Berufen.

    Der Band will Theorie und Praxis einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit einleitend beschreiben, dabei die Kontroversen um verschiedene Konzepte diskutieren und vor dem Hintergrund gegenwärtiger Paradigmenwechsel in der Gestaltung des Sozialen Perspektiven beleuchten.

    Damit kommt das Projekt einem Bedarf nach einer einführenden Orientierung für all jene entgegen, die eine interkulturelle Qualifizierung ihrer beruflichen Praxis anstreben, sich jedoch nicht mit einem technisch-operativen Verständnis interkultureller Kompetenz begnügen, sondern ihr Handeln verstehensorientiert und analytisch begründen wollen.

    Dem professionellen Akteur Sozialer Arbeit werden sich dabei zuerst Fragen aufdrängen, die ihm praktisch folgenreich und relevant erscheinen:

    Wo und wie handelt und bezieht sich die Soziale Arbeit heute auf Migration und Einwanderung? Woran liegt es, wenn Praktiker und Praktikerinnen der Sozialen Arbeit zwischen deutschen und ausländischen Klient/innen unterscheiden und auf welche Weise treffen sie eigentlich Unterscheidungen mit welchen Wirkungen? Warum gibt es noch keine ausreichenden Strukturen und Praxen beruflich verantworteter institutionalisierter sozialer Hilfen, die dem Anspruch genügen können, niemanden auszugrenzen, und warum scheinen umgekehrt vorhandene Hilfen oft nicht in Anspruch genommen zu werden? Welche Deutungsmuster spielen in sozialen Interaktionen beruflichen Handelns immer wieder eine Rolle und wo liegen die Fallen des Fehlverstehens und der missglückten Verständigung in einer Profession, deren wichtigste Kompetenz oft auf Verstehen und Verständigungsfähigkeiten beruht?

    Die Diskussion um eine „interkulturelle Pädagogik" hat im Bemühen, solche und weitere Fragen besser beantworten zu können, die wissenschaftliche Reflexion der Sozialen Arbeit seit geraumer Zeit erreicht, und es wird deutlich, dass solche Fragen bereits theoretische Fragen sind. Wir gehen dabei davon aus, dass es nicht die Aufgabe der theoretischen Reflexion sein kann, Rezepte für eine angemessene Praxis bereitzustellen, vielmehr kann sie die oft in Routinen festgefahrenen praktischen Handlungsformen und Strukturen, die ja immer auch schon theoriegeleitet erfolgen, kritisch spiegeln und eventuell Alternativen verfügbar halten.

    Alles Handeln ist demnach auch dann theoriegeleitet, wenn es sich dessen nicht bewusst ist. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Angebot, das jeweilige Bezugswissen auszuweiten, so dass in den komplexen Situationen, in denen Sozialarbeiter meist situativ handeln und handeln müssen, der Anteil wählbarer Optionen zunimmt.

    Die interkulturelle Attribuierung Sozialer Arbeit entwickelte sich als Resonanz auf die Irritationen, die in einigen ihrer Arbeitsfelder durch das Auftauchen ausländischer Klienten entstanden. Die zunächst „ausländerpädagogisch" ausgerichtete Theoriebildung machte es sich zur Aufgabe, einen sozialwissenschaftlichen Verstehenshorizont zu entwerfen, der eine sozialpädagogische Praxis begründen sollte. Ihrem Selbstverständnis nach wollte sie den pädagogischen Umgang mit Migranten, der vor allem durch zunächst oft diffuse sozialarbeiterische und sozialpädagogische Hilfestellungen gekennzeichnet war, reflektieren, die Ursachen für die Überforderung der Sozialpädagogen analysieren und die Kompetenz der Mitarbeiter in Einrichtungen der Sozialen Arbeit erhöhen.

    Als Resultat der migrationspolitischen Debatten wurde die Interdependenz pädagogischer Fragestellungen mit soziologischen, ökonomischen, juristischen oder kulturtheoretischen Aspekten offensichtlich. Nach der Abwendung von ausländerpädagogischen Ansätzen und der ihnen zugrundeliegenden Defizit-Hypothese, die über einen längeren Zeitraum als theoretischer Bezugsrahmen einer kompensatorischen sozialpädagogischen Praxis gegenüber dem ausländischen Klientel diente, setzte sich im Zuge der Einsicht in die Irreversibilität der Zuwanderung und ihre Auswirkungen auf die Aufnahmegesellschaft die „interkulturelle Hypothese in der Pädagogik und in der Sozialen Arbeit durch. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung spiegelt sich in der seinerzeit von Hohmann (1983, S. 6) aufgeworfenen Frage nach Möglichkeiten einer Veränderung gegebener theoretischer wie praktischer Ansätze im pädagogischen und sozialpädagogischen Feld, um adäquate Antworten auf die durch die Migration bestimmte gesellschaftliche Situation zu erhalten. Die Einführung des „Kulturellen als zentrale Kategorie zur Beschreibung einer veränderten – multikulturellen – gesellschaftlichen Realität führte zu einer neuen Aufgabenstellung für die Sozialpädagogik, da sie zwischen Vertretern unterschiedlicher kultureller Traditionen und ethnischer Gruppen vermittelnd intervenieren sollte. So wurde an sie die Forderung herangetragen, „verschiedene Kulturen aufeinander zu beziehen und sich nicht … (auf) die bloße Steuerung und Kontrolle des Nebeneinander (Porcher 1984, S. 37) zu beschränken. Erhofft wurde, dass Interkulturelle Sozialpädagogik zunächst „als Praxisidee entweder der Einübung in wechselseitige Toleranz gegenüber der jeweils ‚fremden Kultur‘ [dient] oder aber dem gegenseitigen Austausch mit der Erwartung kultureller Bereicherung (Czock 1993, S. 101).

    Soziale Dienste und Institutionen stellen sich heute unter dem Einfluss fortdauernder Einwanderungs- und Migrationsprozesse in der Bundesrepublik den Fragen und Anforderungen einer interkulturellen Qualifizierung. Damit wird eine Entwicklung sichtbar, die im Rahmen von Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit Ansprüchen einer diskriminierungsfreien anerkennenden Praxis gegenüber einer in sich höchst differenzierten Adressatengruppe gerecht werden will. Angesprochen sind hier im Grunde alle Felder und Praxisformen Sozialer Arbeit: Zum einen in Hinblick auf spezifische Arbeitsfelder etwa im Bereich der Asylarbeit, in Hinblick auf advokatorische Initiativen für Menschen in irregulären Lebenssituationen oder auf dem Feld spezifischer Integrationsmaßnahmen für Migranten. Hier geht es um spezifische Wissensbestände und Qualifikationen wie in anderen Fachdiensten auch, zum Beispiel um Kenntnisse rechtlicher Rahmenbedingungen und ihrer möglichen sozialen Folgen im Bereich des Zuwanderungs- und Asylrechts, um Kenntnisse verschiedener Migrationsformen und Migrationsrisiken, um Lebenslagen, Integrations- und Wanderungsperspektiven angemessen deuten und in helfenden, fördernden oder präventiven Maßnahmen begleiten zu können. Zum anderen aber geht es vor allem um all jene sogenannten anderen Regeldienste, die sich darauf einzurichten haben, dass ihre Angebote in einem sozialen Umfeld wirksam greifen sollen, in dem mit Vorstellungen kultureller Homogenität und mit Perspektiven kultureller Homogenisierung nicht mehr hinreichend operiert werden kann. Eine Gestaltung des Sozialen kommt heute ohne interkulturelle Orientierung nicht voran und nur eine interkulturell qualifizierte Soziale Arbeit kann beanspruchen, ein Teil jener Gestalt des Sozialen zu werden, in der die Pluralität moderner Einwanderungsgesellschaften angemessen sichtbar wird.

    Interkulturelle Orientierungen in der Sozialen Arbeit können auf unterschiedliche Weise vollzogen, beobachtet, beschrieben, interpretiert, kritisiert oder analysiert werden:

    Als Antwort auf empirisch und analytisch feststellbare soziale Gegebenheiten in Migrations- bzw. Einwanderungsgesellschaften,

    als Konsequenzen aus Sichtweisen und Interpretationen in Diskursen, die sich um Begriffe wie „Gleichheit, „Pluralität, „Integration, „Fremdheit, „Globalisierung, „Vielfalt, „Kampf der Kulturen, „Interkulturelles Zusammenleben usw. ranken, oder

    als Reaktionen auf vorgängige Konzepte und Praxen sozialer Arbeit, die sich als unzureichend herausgestellt haben.

    Wird in der ersten Kategorie das Bemühen erkennbar, „Interkulturalität" auf dem Fundament sozialer Tatsachen zu begründen, also etwa auf Daten und Analysen zu Einwanderungsrealitäten in der Bundesrepublik, zu Desintegrationsrisiken von Migranten und Migrantinnen im Bereich der Bildung, Arbeit, Reproduktion oder Aufenthaltsperspektive, so betrifft die zweite Kategorie die Art und Weise, wie über Konsequenzen aus solchen Entwicklungen gedacht und geredet und nicht zuletzt wissenschaftlich geforscht und publiziert wird. Die dritte Kategorie schließlich spricht eine Abfolge von Reaktionsweisen an, wie sie sich in Konzepten und Strukturen Sozialer Arbeit niedergeschlagen hat, die sich in ihrer Praxis mit Herausforderungen einer sich durch Migrationen und Einwanderungsprozesse kulturell und sozial pluralisierenden Entwicklung befassen musste.

    Da die wissenschaftliche Reflexion der unterschiedlichen Praxisformen bis heute uneinheitlich in ihren Zugängen wie in ihrer disziplinären und normativen Ausrichtung ist, haben wir es mit durchaus unterschiedlichen Blickrichtungen im Spannungsfeld von Theorie und Praxis zu tun.

    Dieses Buch will vor diesem Hintergrund Grundlagen zu einem interdisziplinär angelegten Verständnis interkultureller Fragestellungen in der Sozialen Arbeit vermitteln. Es ist somit kein Handbuch und beansprucht nicht, einfache Lösungen für komplexe Probleme anzubieten, sondern Gründe und Hintergründe interkultureller Lebenswelten besser verstehen zu lernen. Gleichwohl werden normative Orientierungen zur Diskussion gestellt.

    Die Lektüre soll Einblicke in zuweilen differenzierte, auch widersprüchliche und komplexe wissenschaftliche Diskurse ermöglichen, die letztlich unverzichtbar erscheinen, um Handlungsoptionen in der Praxis auszurichten. Eigene Erfahrungen in der Lehre und Praxis zeigen uns, dass eine interkulturell kompetente Soziale Arbeit ohne einen solchen Reflexionsrahmen oft hilflos oder blind bleibt. Ein ausschließlich analytischer Zugang in der Lehre indes, der die oft affektiven ‚Unterströmungen‘ bei der Produktion und Rezeption interkulturell relevanten Wissens übersieht, wird möglicherweise das Ziel verfehlen, gerade jene analytischen Kategorien für sozialarbeiterisches Handeln fruchtbar zu machen. Werden Studierende zum Lehrbeginn von Seminarveranstaltungen zu Migration und interkulturellen Themen zu eigenen Sichtweisen und Vorerfahrungen befragt, ergibt sich im Ergebnis häufig eine merkwürdige Polarität: Migranten werden entweder als Opfer oder als (fundamentalistische) Täter gesehen, vor allem dort, wo der tatsächliche Kontakt kaum vorhanden ist². Es scheint, als fühlten sich viele Zeitgenossen bei Themen, die sich um Migration, Interkulturalität, Integration usw. drehen, immer schon als Experten oder aber hilf- und ahnungslos, was zeigt, wie sehr solche Themen Teil von Alltagsdiskursen geworden sind. Interkulturelle Qualifizierung hat auch damit zu tun, die Quelle solcher Bilder vom Täter- oder Opferdasein zu rekonstruieren, zu verstehen und ihre vermeintliche Selbstverständlichkeit auch zu dekonstruieren.

    Daher haben wir³ versucht, theoretische Spannungsfelder und Grundmuster immer wieder in einen Bezug zu professionellen Problemstellungen zu stellen und mit Beispielen zu illustrieren.

    Obwohl im wissenschaftlichen Diskurs inzwischen eine wachsende Zahl bemerkenswerter Beiträge – auch als Einführungen für Studium und Beruf – erschienen sind⁴, trifft man in der politischen Realität und in weiten Bereichen der Praxis nach der Novellierung des alten „Ausländergesetzes zum neuen „Zuwanderungsgesetz auf eine Art „Wiedervorlage" früherer Konzepte (vgl. Kap. 2.3). Es gab bereits in den 1980er Jahren Argumente und Konzepte, die damals gedacht wurden, allerdings erst heute (erneut) zu Geltung kommen. Daher erschien es sinnvoll, stellenweise auch in den Diskussionsstand der 1980er und 1990er Jahre einzuführen (vgl. z. B. Kap. 4).

    Eingebettet in die gesellschaftstheoretische Analyse und in Überlegungen zur Professions- und Disziplinentwicklung werden im folgenden zweiten Kapitel interkulturelle Aspekte in den Teilbereichen und Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit und deren Reichweite sowohl kritisch bilanziert als auch kategorial umgrenzt. Dabei werden insbesondere institutionelle und strukturelle Veränderungen des professionellen sozialen Handelns durch die Migrationsrealität, die Multikulturalität und die Globalisierung beleuchtet und ihre Folgen für die Ausdifferenzierung der Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit diskutiert. Die Ambivalenzen und Widersprüche, die sich ergeben können, wenn von einer „Zielgruppe die Rede ist, werden dabei bereits beim Versuch angemessener Begriffsbestimmungen deutlich (2.1) und führen zu einer Bestimmung „interkultureller Arbeit als sowohl adressatenorientierte wie zielgruppenübergreifende Praxis.

    Kapitel 3 widmet sich der Diskussion um Konzepte einer „interkulturellen Öffnung Sozialer Dienste, ihrer Umsetzung in „lernenden Institutionen (3.4) und ihrer Kritik (3.2). „Kultur als der zentrale Topos „interkultureller Konzepte ist möglicherweise selbst schon eine eingegrenzte bzw. eingrenzende Kategorie und da jeweils zugrundeliegende Kulturverständnisse im Alltag selten expliziert werden, gerät dieser Leitbegriff leicht zum Einfallstor weltanschaulicher oder ideologischer Interpretationen (man denke an „Leitkultur; „Kulturschockhypothese; „Kampf der Kulturen, „Nationalkultur usw.).

    Kapitel 4 eröffnet einen Zusammenhang zwischen diversen Kulturverständnissen, Identitätsprozessen und Anerkennungsverhältnissen. Sofern Soziale Arbeit ohnehin im Rahmen der sozialpädagogischen Beziehung auf die Herstellung kultureller Nähe zurückgreift, tut sie dies mit Blick auf Migrationsprozesse in besonderer Weise. Im sogenannten „kulturtheoretischen Problem wird ein Spannungsmoment zwischen Statik und Dynamik menschlicher Kulturtätigkeiten thematisiert, dessen Horizont für Sozialarbeiter/innen in ihrer Praxis unhintergehbar ist, da ihre Tätigkeiten immer damit zu tun haben, ob sie dazu beitragen, vorhandene (kulturelle) Praxen ihrer jeweiligen Klientel zu bestätigen oder auf Änderungen hinzuwirken. Insofern ist die Interkulturelle Soziale Arbeit ständig darauf angewiesen, zwischen der Einsicht in die Relevanz kultureller Erfahrungen, Traditionen und Verarbeitungsmuster und der Zu- und Festschreibung ethnisch-kulturellen Handelns als eine Form der Stigmatisierung ihres Klientels zu balancieren. Als theoretischer Referenzrahmen für solches Balancieren-Können wird auf Kontroversen zwischen „strukturalistischen und „kulturalistischen bzw. „kulturrelativistischen oder „universalistischen" Konzepten eingegangen (4.1). Ferner werden Identitätsprozesse als Aufgabe in Kontexten individueller Modernisierung begründet und Zusammenhänge zur Rollentheorie des symbolischen Interaktionismus für eine interkulturell erfolgreiche Verständigung hergestellt (4.2). Prinzipien einer Moral der Anerkennung (4.3) im Medium demokratischer Verfassungen werden in Hinblick auf die interkulturelle Perspektive sensu Habermas, Honneth, Kohlberg u. a. im abschließenden Teil dieses Kapitels erläutert (4.3).

    Das Interesse des hierauf aufbauenden Kapitels gilt dem Begriff und den Voraussetzungen einer „interkulturellen Kompetenz (Kap. 5). Dabei werden Kompetenzerwartungen in interkulturellen Spannungsfeldern als allgemeine Kompetenz von den spezifischen beruflich mandatierten Haltungen, Befugnissen und Fähigkeiten unterschieden. Interkulturelle Kompetenz in der Sozialen Arbeit – so die zentrale These – erfordert nicht zuerst ein Erlernen von Kulturtechniken, sondern die Fähigkeit, kulturelle Entwicklungen mitzuvollziehen, sich dabei in und zwischen kulturellen Gemeinschaftsbildungen einzubringen und zu bewegen, unterschiedliche Kulturverständnisse hinsichtlich ihrer möglichen Wirkungen zu unterscheiden und verschiedene kulturtheoretische Konzepte hinsichtlich ihrer interkulturellen Relevanz angemessen zu beurteilen. In Abgrenzung und Erweiterung zu merkmalsgestützten „Kompetenzkatalogen, in denen häufig überfordernd wirkende Wissensbestände, Fähigkeiten und Haltungen für eine interkulturelle Kompetenz aufgelistet sind, soll hier in verschiedene Dimensionen interkultureller Qualifizierung als einem unabschließbaren Lernprozess eingeführt werden. Interkulturelle Kompetenz bewährt sich jeweils bei der Regulation und Bewältigung irritierender Erfahrungen (5.3), im gelingenden Dialog (5.4) oder bei der konstruktiven Bearbeitung von Konflikten (5.5). Korrelationen, Analogien und Differenzen zwischen den Kategorien ethnischer und generischer Differenz werden anhand einer Gegenüberstellung sogenannter „Genderkompetenz und der „interkulturellen Kompetenz herausgearbeitet (5.6).

    In Ergänzung zum Kapitel über interkulturelle Kompetenz und im Anschluss an Konzepte reflexiver Professionalität in der Sozialen Arbeit (vgl. Dewe et al. 2001) knüpfen Überlegungen zu einer bislang eher alltagssprachlich gebrauchten und normativ geforderten Zielbestimmung an, der „interkulturellen Sensibilität. Bisher in der Regel als eine Art „warming up für multikulturelles Miteinander empfohlen, wird eine interkulturell sensible Praxis in Kap. 6 systematisch als Form spezifischer Aufmerksamkeit in interkulturellen Spannungsfeldern und als differenzsensible Haltung in Kontexten organisierten Hilfehandelns begründet.

    Es muss eingeräumt werden, dass wesentliche Themenbereiche zur Bestimmung einer interkulturellen Perspektive Sozialer Arbeit nur am Rande, implizit oder in unvollständiger Form berücksichtigt werden konnten: Hierzu zählt die zentrale, aber in Umfang und Bedeutung einen eigenen Band erfordernde Dimension des Zusammenhanges von Interkulturalität, Rassismusforschung und Rassismuskritik. Ferner wird die interkulturelle Perspektive vor dem Hintergrund bundesrepublikanischer Verhältnisse entfaltet, wobei zwar Einflüsse und Orientierungen etwa angelsächsischer Länder einfließen, ein internationaler Vergleich indes den Umfang des hier vorgelegten Bandes gesprengt hätte. Auch die international vergleichende Forschung und Praxisfelder wie etwa im Bereich des internationalen Jugendaustauschs können hier nur insofern berücksichtigt werden, als der notwendige Zusammenhang zwischen Innen- und Außenorientierung bescheinigt wird.

    Zugunsten solcher Einschränkungen haben wir versucht, auch aktuelle Kontexte für eine interkulturell orientierte Soziale Arbeit zu berücksichtigen, wie sie sich erst in den letzten Jahren abzeichnen:

    So wird in Kapitel 7 die Frage nach einer Sozialen Arbeit in interkultureller Perspektive an aktuelle Fachdebatten um die Zukunft der Disziplin in Anbetracht sozialpolitischer, ökonomischer und demographischer Veränderungen angeschlossen und untersucht, welche Einflüsse Marktmechanismen, Modelle „Neuer Steuerung", die Rede von Flexibilität und Flexibilisierung oder der Strukturwandel Sozialer Institutionen auf die interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit haben.

    Kapitel 8 schließlich führt die Aspekte der vorangegangenen Kapitel in einer verallgemeinernden Bestimmung einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit zusammen, thematisiert ethische Orientierungen und umreißt abschließend ihren Geltungsanspruch. Dabei werden auch Grenzen der interkulturellen Verständigung in der Sozialen Arbeit angesprochen.

    Hierzu gehören auch Formen des Fundamentalismus, die in jüngster Zeit Zweifel haben aufkommen lassen, ob damit das Projekt multikultureller Gesellschaften und damit interkultureller Perspektiven nicht gescheitert sei (vgl. De Winter 2004).

    Interkulturelle Konzepte Sozialer Arbeit können als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses gesehen werden, in dem es um Fragen und Perspektiven moderner, vor allem westlicher Gesellschaften geht, in denen Migrationen, kulturelle Pluralisierung, nationalstaatliche Verfasstheit einerseits und wirtschaftliche Globalisierung andererseits ineinander greifen. Dieser Diskurs bestimmt sich auf unterschiedlichen Ebenen, einmal z. B. als Bildungsdiskurs, ein andermal als Politik. Die gleichnamige Interkulturelle Pädagogik wurde demnach auch als Pendant zu politischen Konzepten multikultureller Gesellschaften wahrgenommen.

    Die Ereignisse und Entwicklungen im Zusammenhang fundamentalistischer Attentate wie der Anschläge von Madrid (2004) und London (2005) oder der Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh (2004) beeinflussen diesen Diskurs in zumindest zweifacher Hinsicht: Zum einen provoziert der in diesen Akten materialisierte Fundamentalismus einen antifundamentalistischen Fundamentalismus vor allem auf der Seite derjenigen, die schon zuvor die interkulturelle Perspektive aus konventionellen oder nationalistischen Standpunkten heraus mit Argwohn und Ablehnung betrachteten, zum anderen zwingt er die Protagonisten eines naiven Multikulturalismus zur Reflexion und Selbstaufklärung über Fragen und Probleme der zugrundeliegenden Normen. Müssen sich Erstere damit abfinden, dass sich der Traum vom isolierten Leben in einer kulturell homogenen Abstammungsgemeinschaft realiter kaum mit den gegebenen pluralen Strukturen heutiger Stadtgesellschaften vereinen lässt, sind Letztere gehalten, den Gestaltungsprozess interkulturellen Zusammenlebens reflexiv und produktiv gerade dort zu gestalten, wo sich ein friedliches multikulturelles Miteinander nicht wie von selbst ergibt. Dass solche Reflexions- und Lernprozesse zuweilen schmerzhafte Eingeständnisse abverlangen, z. B. vormalige Irrtümer zu korrigieren, macht die Sache nicht einfacher.

    Wir verstehen den hier vorgelegten Band als Teil jenes interkulturellen Lernprozesses, der für den Geltungsbereich der Sozialen Arbeit unverzichtbar erscheint, soll die Rede vom „Zusammenprall der Kulturen" oder deren unüberbrückbarer Unvereinbarkeit nicht zur empirischen Realität werden, auch wenn sie theoretisch unhaltbar ist.

    Wenn Leser oder Leserinnen, mit oder ohne eigene Migrationserfahrung, Haupt- oder Ehrenamtliche der Sozialen Arbeit, Lehrende oder Studierende oder ganz und gar „Fremde" mit der Lektüre Anregungen oder Orientierungen für diesen Lernprozess gewinnen, hat sich die Praxis des Schreibens gelohnt.

    Die Praxis (tätiger) Sozialer Arbeit wird freilich ohne weitere verdichtende und aktualisierende Informationen, Netzwerke und Wissensbestände nicht auskommen. Der Serviceteil (Kap 9) will mit Hinweisen auf hilfreiche Adressen, Links und fachbezogene Periodika zum Gelingen weitergehender Recherchen im Studium und in der praktischen Arbeit beitragen.

    1 Wir gebrauchen hier die Begriffe „Soziale Arbeit und „Sozialpädagogik i. S. des sog. Konvergenztheorems („Sozialpädagogik/Sozialarbeit), wonach sich Sozialpädagogik und Sozialarbeit einander annähern. Sofern beide Begriffe erscheinen, geschieht dies meist im Kontext von Zitationen bzw. Paraphrasierungen, oder um pädagogische Aspekte Sozialer Arbeit eigens zu markieren. In der Regel verwenden wir nur den Begriff „Soziale Arbeit und verstehen ihn ebenso i. S. des dem Konvergenztheorem nahestehenden Subsumtionstheorems. Dieses geht davon aus, dass Sozialpädagogik und Sozialarbeit sich trotz berufsspezifischer Unterschiede so ähnlich sind, dass sie ein gemeinsames Handlungssystem begründen (vgl. Mühlum 1981, S. 19).

    2 Die hier skizzierten Erfahrungen resultieren aus Einsichten aus der Lehre in Erfurt und Bochum, wobei durchaus unterscheidbare Rezeptionsmuster deutlich geworden sind. Der vorgelegte Band lebt, so hoffen wir, auch von solchen zuweilen kontrastierenden Erfahrungen.

    3 Wenn in den folgenden Kapiteln gelegentlich von einem „Wir und „Sie (in Anführungszeichen) geschrieben wird, so soll mit den Anführungszeichen verdeutlicht werden, dass sich die Autoren in kritischer Absicht dieser Sprachfigur, die ja immer eine Differenzziehung zu anderen markiert (z. B. Deutsche/Ausländer), bedienen; Ein Wir ohne Anführungszeichen meint die professionelle Einordnung im Kontext der Bezugsdisziplinen Sozialer Arbeit.

    4 Z. B.: Krüger-Potratz 2005: Interkulturelle Bildung; Mecheril 2004: Migrationspädagogik; Freise 2005: Interkulturelle Soziale Arbeit; Diehm u. Radtke 1999: Erziehung und Migration; Hormel u. Scherr 2004: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft.

    5 Vgl. zum Letzteren z. B.: Thimmel 2001.

    2 Entwicklung und Ausdifferenzierung interkultureller Aspekte in der Sozialen Arbeit. Praxisfelder zwischen Zielgruppenorientierung und Zielgruppenüberwindung

    Worauf oder woran orientieren wir uns, wenn wir von „interkultureller" Orientierung Sozialer Arbeit sprechen?

    Wenn wir in diesem Kapitel auf Entwicklungen und Ausdifferenzierungen interkultureller Orientierungen in der Sozialen Arbeit eingehen, stellt sich zunächst die Frage, auf welchen Ebenen dies geschehen kann, welche Rolle einer Begriffsklärung dabei zukommt und in welchen gesellschaftlichen, historischen oder politischen Bezügen eine interkulturelle Praxis sich entwickelt und begründet hat.

    Begrifflichkeit, Ursprünge und Begründungen Interkultureller Sozialer Arbeit sind kaum in einer einheitlichen und geschlossenen Form zu rekonstruieren bzw. zu definieren. Ethymologisch kann von einer Sozialen Arbeit gesprochen werden, die zwischen unterscheidbaren Kulturen wie innerhalb kultureller Milieus in Gesellschaften, die durch Migrationen gekennzeichnet sind, operiert. Allerdings wird der hier ins Zentrum gestellte Kulturbegriff inzwischen problematisiert, sofern unterschiedliche Verständnisse von „Kultur" unterscheidbare Praxen nach sich ziehen (vgl. Kap. 4). Ist so gesehen Soziale Arbeit nicht je schon interkulturell ausgerichtet, wenn sie sich mit Erscheinungen unterschiedlicher Jugendkulturen, mit diversen sozialen Milieus, subkulturellen Lebensformen oder auch kulturellen Differenzen verschiedener Lebensalter befasst? Waren nicht Migrationen von je her auschlaggebender Anlass für die Entstehung moderner Sozialer Arbeit im Kontext von Industrialisierung und der damit verbundenen Sprengung und Auflösung traditionaler Strukturen, die die Existenzweise vor allem der neu entstandenen Arbeiterschaft nachhaltig beeinflusste?¹ Wenn aber alle Differenzen und alle Bezüge, in denen Soziale Arbeit operiert, als „interkulturell gelten sollen, wird der Begriff in seiner Weite unbrauchbar. Schließlich ist zu bedenken, dass mit der heutigen Verwendung eine Begriffsgeschichte einhergeht, die mit der Entwicklung und Ausdifferenzierung Sozialer Arbeit, soweit sie sich auf jüngere Einwanderungs-, Migrations- und kulturelle Pluralisierungsprozesse bezogen hat, selbst eng verwoben ist. Reduzieren wir hingegen die interkulturelle Perspektive auf bestimmbare migrantische Zielgruppen, wird ein maßgebliches Charakteristikum vernachlässigt, denn mit „interkulturell ist eher eine Programmatik oder Orientierung Sozialer Arbeit denn ein eigens umrissenes Arbeitsfeld oder Teilgebiet angesprochen. Gleichwohl gibt es spezialisierte spezifische interkulturelle Handlungs- und Arbeitsfelder mit eigens ausgewiesenem Klientel, Aufgaben und Problemhorizont.

    Historisch hat sich der Begriff in durchaus unterschiedlichen Bedeutungen manifestiert. In Deutschland folgte er den Konzepten einer interkulturellen Erziehung bzw. interkulturellen Pädagogik, die nun auf die Handlungsformen Sozialer Arbeit bezogen wurden. Dabei ist intendiert, Bildungsanlässe und Bildungsprozesse, die sich durch migrationsbedingte Pluralisierungsprozesse ergeben, so zu gestalten, dass alle Beteiligten – unabhängig ob mit oder ohne Migrationshintergrund – daran partizipieren. Gleichzeitig war dieses Paradigma mit einer Kritik an einer rein kompensatorischen und häufig an defizitären Zuschreibungen der Migranten orientierten Praxis, der sogenannten „Ausländerpädagogik", verbunden. Soziale Arbeit ist freilich nicht immer gleichzusetzten mit Bildungsprozessen und ist damit kein Gebiet, das allein über die Rezeption einer erziehungswissenschaftlichen Subdisziplin zu erschließen wäre.

    Aufgaben und Problemstellungen im Feld von Erziehung und Bildung überschneiden sich jedoch immer wieder mit Funktionsbestimmungen Sozialer Arbeit, vor allem in den Gebieten der Sozialpädagogik, sie gehen aber nicht vollständig darin auf, vor allem, wenn wir an Prozesse organisierten Hilfehandelns oder institutionalisierter und verrechtlicher Formen des Bedarfsausgleichs in Notlagen denken. Der disziplinäre Diskursort (Vgl. Thole 2002, S. 34) interkultureller Fragestellungen gehört damit nicht einer einzelnen Disziplin an, sondern umfasst z. B. auch philosophische, sozialwissenschaftliche, politikwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche, sozialpsychologische und rechtliche Aspekte.

    Wenn von Interkultureller Sozialarbeit oder von Sozialer Arbeit in interkultureller Perspektive die Rede ist, sind die von Winkler (vgl. Winkler 1988) vorgeschlagenen Dimensionen für eine Theorie Sozialer Arbeit zu bedenken, die untereinander anschlussfähig, jedoch historisch kontingent sind: eine Dimension der Begrifflichkeiten (2.1), eine sozialgeschichtlich-gesellschaftliche Dimension und die Dimension phänomenologischer lebensweltlicher Bedingungen (2.2) sowie die Dimension realgeschichtlicher Ausdifferenzierung interkultureller Aspekte in der Sozialen Arbeit, ihren Konzepte, Strukturen und Methoden (2.3). (Eine weitere von Winkler vorgeschlagene Dimension der ethischen Grundprobleme werden wir an anderer Stelle in diesem Band thematisieren).

    2.1 Begriffe und Begreifen. „Interkulturell? – Sind das nicht die mit den Ausländern?"

    Mit der präzisen Explikation von Begriffen genügen wir einer unverzichtbaren Prämisse wissenschaftlicher Gegenstandsbestimmungen, und auch Studierende sind meist an klaren und erlernbaren Begriffsdefinitionen interessiert. Gleichwohl sind wir damit oft noch weit davon entfernt, eine Sache oder einen Prozess auf den Begriff gebracht, das heißt angemessen artikulierbar und verstehbar zur Verfügung zu haben. Andererseits scheint es eine Praxis des „Durchwurstelns zu geben, die auch ohne Begriff von dem, was sie eigentlich tut, auszukommen scheint oder sich an Modewörter haftet, von denen man vermutet, mit ihnen immer auf der „richtigen Seite zu sein. Für Hannah Arendt war es die menschliche „Fähigkeit zum Sprechen und Handeln, die das Politische hervorbringt und erhält (Benhabib 1998, S. 17). Ähnliches gilt generell für die Soziale Arbeit, denn auch hier kommt dem „Sprechen über soziale Probleme und ihrer Bewältigung, der Art und Weise von Problemsichten und Ihrer Artikulation, Skandalisierung oder auch Dekonstruktion eine Qualität der Handlung zu, wie umgekehrt sozialarbeiterisches „Handeln" etwa in der Dimension von Fragen methodischen Vorgehens und ethischer Grundprobleme ohne deren sprachliche Artikulation, Begründung oder Legitimation sinnlos erscheint. Damit hat Soziale Arbeit in der Art und Weise, wie sie (bzw. ihre Akteure) soziale Fragen handelnd und argumentierend zur Sprache bringt, nicht nur Anteil an der Gestaltung des Sozialen, sondern sie bleibt und wird selbst Teil dieser Gestalt. Hier ist und wird Soziale Arbeit immer auch politisch, was noch nichts darüber aussagt, ob Soziale Arbeit auch ein politisches Mandat beanspruchen kann bzw. wo ihre Grenzen zum Feld der Politik liegen.² In wissenschaftlicher Perspektive geht es bei der Präzisierung und Explikation von Begriffen einmal um den weitgehenden Ausschluss von Mehrdeutigkeiten und die Herstellung von Übereinkunft, was genau bei der Verwendung eines Begriffs gemeint ist. Je eindeutiger ein Begriff geklärt und damit von anderen Dingen abgegrenzt werden kann, desto stärker wird oder erscheint er brauchbar, von einem „schwachen Begriff sprechen wir, wenn der Grad an Präzision abnimmt. Die vermutete Steigerung des Nutzwertes präziser Begriffsbestimmungen korreliert allerdings negativ mit deren Voraussetzung, Eingrenzungen vorzunehmen und Komplexität zu verringern: Je kleiner und überschaubarer der begrifflich zu fassende Sachverhalt, desto größer die Chance für Präzision, allerdings auch auf Kosten von Komplexität. Schließlich macht es einen Unterschied, wie die Verwendung eines Begriffs „gemeint ist: Wenn z. B. von einer multikulturellen Gesellschaft die Rede ist, denken die einen an ein politisches Programm, ein Konzept oder einen Plan, der präskriptiv erst durchgesetzt oder normativ legitimiert werden soll, andere wollen damit deskriptiv eine Tatsachenbeschreibung oder Analyse vornehmen. Wissenschaftliche Begriffsbestimmungen und vor allem sozialwissenschaftliche Fachbegriffe bleiben insofern immer noch variabel, als auch sie „Konjunkturen und Sprachregelungsinitiativen unterliegen" können, die zu Bedeutungserweiterungen oder Bedeutungsverschiebungen führen (vgl. Krüger-Portratz 2005, S. 179).

    Mancher Streit um die „richtige Begriffsbestimmung oder ein „korrektes Begriffsverständnis zeigt nun zweierlei: einmal ein den Begrifflichkeiten eigentümliches Machtpotential: Wer die Begriffe prägt, erhält Einfluss auf die Gestaltung von Wirklichkeit; zum anderen wird aber auch deutlich, dass die oben getroffene Unterscheidung in präscriptive und descriptive Lesarten nie vollständig durchzuhalten ist, Norm und Beschreibung gewissermaßen dialektisch aufeinander beziehbar bleiben.

    Wenn sich bestimmte Probleme oder Vorgänge einer begrifflichen Bestimmung konsequent zu entziehen scheinen, haben wir es entweder mit Phänomenen zu tun, die noch nicht hinreichend begriffen worden sind, oder die in bestimmter Hinsicht vielleicht auch unbegreifbar bzw. überkomplex in dem Sinne bleiben, dass sich ihre Kennzeichnung gar nicht in einem einzelnen Terminus vollziehen lässt. „Je verwickelter und konturloser ein Sachverhalt, schreibt Hartmut von Hentig etwa zum Problem der Bestimmung des Bildungsbegriffs, „um so größer die Lust am Definieren! (von Hentig 2004, S. 15).

    Diese Vorüberlegungen sind für die Klärung der begrifflichen Dimension interkultureller Arbeit von Belang, weil wir es hier gleichermaßen mit einem fachwissenschaftlichen, handlungspraktischen und inzwischen alltagssprachlichen öffentlichen Terminus zu tun haben, der nicht nur in nüchterner Sachlichkeit, sondern zuweilen höchst affektiv durchdrungen in Gebrauch ist: „Interkulturell? – Sind das nicht die mit den Ausländern? „Hat das nicht etwas mit multi-kulti zu tun und ist dieses Projekt nicht gescheitert?

    Gar nicht verkehrt, möchte man meinen, und dennoch greift diese Assoziation zu kurz, wenn nicht daneben: Die Frage, wer und was mit „interkulturell" angesprochen ist, ob es sich um zielgenaue Bezeichnungen, einen eher mehrere Dinge umschreibenden Sammelnamen oder um politisch korrekte Sprachhygiene handelt, kann leichter beantwortet werden, wenn man sich das Scheitern und die Grenzen bisheriger Versuche vergegenwärtigt, in dem hier angesprochenen Feld Begriffsbestimmungen vorzunehmen (vgl. Eppenstein 1995, S. 8). Nehmen wir hierzu vorweg (vgl. 2.2.), dass Migrationen einer der zentralen Bezugspunkte für das interkulturelle Paradigma darstellen, und beobachten wir, wie schwer sich Wortschöpfer im Umfeld Sozialer Arbeit bislang getan haben, angemessene Begriffe für diejenigen zu finden, die als Subjekte solcher Migrationsbwegungen in Erscheinung treten. Dabei beschränken wir uns auf eine Auswahl jener Bezeichnungen, die im Spektrum Sozialer Arbeit eine Rolle gespielt haben, z. B. in deren Selbstbeschreibungen, Zielgruppenbestimmungen, Berichten oder Konzeptionen. Milieuspezifische, rassistische oder mit eindeutig diskriminierender Absicht benutzte Titulierungen bleiben hier unberücksichtigt:

    1. „Ausländer/-innen"

    Terminus aus dem früheren Ausländergesetz. Festlegung nach Staatsangehörigkeit. Alltagssprachlich im Gegensatz zu Inländern oft gleichbedeutend mit Zugehörig/Nicht-zugehörig. Als Rechtsbegriff klar, alltagssprachlich wegen häufig ablehnender Konnotation problematisch. Der Begriff des „Gastarbeiters" in der gleichnamigen Ära (1955–1973) wurde vielfach als Euphemismus offen gelegt und ist heute lediglich von historischem Interesse.

    Problematisierung: Mit dem Aufwachsen einer vierten Generation als Nachkommen ehemaliger Zuwanderer noch von „Ausländern" zu sprechen, ist anachronistisch und wirkt diskriminierend.

    2. „Ausländische Mitbürger"

    Früher verwendeter Begriff der gleichnamigen „Woche der ausländischen Mitbürger einer ökumenisch getragenen Initiative, die aus dem „Tag des ausländischen Mitbürgers hervorgegangen war. Eine Bemühung, auch publizistische Aufmerksamkeit für die damals noch weitgehend unbeachteten Fragen um Integration und Migration zu erzielen.

    Problematisierung: „Mit-Bürger" bei Vorenthaltung voller Bürgerrechte? In einer früheren Rekonstruktion der sogenannten Ausländersozialarbeit titeln Puskeppeleit und Thränhard programmatisch „Vom betreuten Ausländer zum

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