Angstfrei fürchten: Ein Kompendium zur Bewusstseinserheiterung
Von Thomas C. Breuer
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Über dieses E-Book
Thomas C. Breuer findet einen unkonventionellen und ergebnisorientierten Zugang zu Ängsten, seien sie archaisch wie Tod, Dunkelheit und Piranhas oder zeitgemäß wie die Angst, kein Netz zu haben oder die Paketzustellerin zu verpassen. Alphabetisch geordnet von Achluophobie bis Zoophobie, vermeidet das Buch bewusst jede Form von Didaktik, verfolgt aber klare Ziele: Abstand zu den eigenen Ängsten gewinnen, Mut machen, und eine Brücke schlagen über den täglichen Horror.
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Buchvorschau
Angstfrei fürchten - Thomas C. Breuer
Vorwort
»Angst ist das Privileg des Furchtsamen.«
Tai Ming, chinesische Geschwindigkeitsphilosophin
Allem Anfang wohnt ein Zaudern inne. Die INCEPTIOPHOBIE, also die Angst, etwas zu beginnen, kann im vorliegenden Fall gleich an Ort und Stelle überwunden werden. Wobei man wissen muss: Der Deutsche ist ein Angstprofi. Engländer definieren Deutschland bekanntlich als »German Angstland«. Germanische Selbstpeinigungskräfte sind unübertroffen. Auf den Autobahntoiletten warnen Werbetafeln vor Prostatakrebs – eine Harndrangsalierung sondergleichen. Beim Thema »Angst« sind Deutsche stets vorneweg, ob Gen-Mais, Blackout oder AKWs. Wenn irgendwo eine neue Angst auf den Markt kommt, rudern wir wie wild mit den Armen und rufen: Hier!
Wer profitiert am meisten von Ängsten? Platz eins die Versicherungen. Für viele Zeitgenossen ist das Leben eine durchgehende Präventivmaßnahme dank des Rundum-Sorglos-Pakets mit Verspätungsschutz. Manche setzen sich einen Helm auf, wenn sie eine Reiserücktrittsversicherung abschließen. Platz zwei die Pharmaindustrie. Platz drei: Die BILD-Zeitung, bei ihr hängt der Deutsche am Angsttropf. Es folgen Therapeuten, die Kriegsgewinnler des dauernden Kampfes gegen sich selbst. Der gesamte Security-Bereich würde ohne Angst daniederliegen. Die Filmindustrie. Die Baubranche. Nicht zu vergessen die Banken – schon einmal von »Angstsparen« gehört?
Befürchtungen werden nicht nur gehegt, sondern gepflegt. Dabei hilft das Bundesinstitut zur Risikobewertung in Berlin. Airbags für alle Lebenslagen. Die Schmetterlinge im Bauch: Sorgenfalter. Die Angst hat uns zu großen Erfindern gemacht, man denke an den Minenbrechschutz bei Bleistiften, das Katzenfutter mit Anti-Hairballfunktion und die Online-Pflicht für Hunde.
Allerdings macht sich eine gewisse Alarm-Fatigue breit, wegen des unablässigen Stroms schlechter Nachrichten der vergangenen Jahre. Das ist nicht gut, da heißt es aufgepasst, damit wir nicht unachtsam werden!
Diese Sammlung soll den Leser mit möglichst vielen Ängsten versöhnen, Mut machen, eine Brücke zu schlagen zum täglichen Horror, ein Kompendium für alle, die sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich zu sich selber zu kommen oder zumindest zu jemandem, der sich ständig in unmittelbarer Nähe aufhält. Vielleicht legt sich dadurch die angeborene CHEROPHOBIE von selbst, die Angst vor Lustigkeit. Wie sprach schon der Fußballmanager Michael Preetz: »Das hindert uns nicht, unseren Optimismus zu verlieren!«
Thomas C. Breuer
Achluophobie – Angst vor Dunkelheit
Dunkle Mächte, finstere Gestalten, die es bis ins Weiße Haus geschafft haben, das in solchen Zeiten in der Presse als »Schwarzes Haus« gehandelt wird. Auf Englisch: Nightfright. Düstere Botschaften auf Twitter, Beispiel: »Die Finsternis ist gut!« (Steve Bannon). Schade, dass Johnny Cash das nicht mehr erleben darf. Die Achluophobie geht einher mit der HYLOPHOBIE, der Angst vor dunklen Wäldern oder auch vor dem Pfeifen im Wald bzw. den Pfeifen. Symptome: Bei Allmachtsfantasien und/oder einer gesteigerten Tendenz zum Schwarzsehen sollte man dringend bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin vorsprechen. Vielleicht ist ja die Überhöhung des »Black Friday for Future« eine Ursache. Oder die Urangst vor dem »Blackout«. Manche beutelt die ständige Angst, dass einem jemand das Licht ausbläst. Patienten mit dieser Variante gießen sich besser einen auf die Lampe. Achluophobiker muss man wegen drohender Spontanumnachtung dauernd im Auge behalten, leider reagieren sie empfindlich auf jede Art von Beschattung und schwärzen einen gerne an bei der Gothickommission des Deutschen Bundestags.
80 % der Achluophobiker haben noch nie im Dunkeln geküsst, geschweige denn gemunkelt, die Dunkelziffer liegt wohl noch höher. Diesen Menschen hat die pränatale Phase das Bedürfnis nach Dunkelheit hinreichend abgedeckt, und Blackfacing ist out.
Bergmann, Höhlenforscherin, Nacktmull, Nachtfalter empfehlen sich nicht als Berufe, ebenso wenig Fotograf, falls analog in der Dunkelkammer gearbeitet wird. Hände weg von Tomaten und Kartoffeln, das sind Nachtschattengewächse. Meiden Sie das Darknet. Keinesfalls Schwarzbier, trinken Sie ab und an mal ein Helles oder einen Blanc de Blanc. Weiße Wände, Möbel, weiße Kleidung (auch Westen) sind hilfreich. Im norwegischen Städtchen Rjukan haben die Bewohner einen Spiegel aufgestellt, der im Winter das Sonnenlicht einfängt – die Strahlen werden damit in den Ort gelenkt. Die Leute sind begeistert, die Suizidraten sinken, nur die Bestattungsunternehmer werden depressiv. Vielleicht wäre das ein Wohnort, Norwegen gilt – aus schwer nachvollziehbaren Gründen – als eines der Länder mit den glücklichsten Menschen auf diesem Planeten.
Strom lässt sich bequem in Konserven irgendwohin mitnehmen – in der sogenannten Steckdose. Spannungsabfall gehört in die dafür vorgesehene Tonne. Noch etwas, bevor Sie fahren: Der Letzte lässt das Licht an!
Agrizoophobie – Angst vor Wildtieren
Tief im Walde, dort, wo die Hirsche hausen und die wilden Säue, fangen viele Menschen an zu pfeifen (siehe NYCTOHYLOPHOBIE). Die armen Tiere laufen in panischem Schrecken davon, denn sie verfügen über ein musikalisches Gehör. Größere Angst sollte man vor kurzsichtigen Hobbyjägern an den Tag legen, die eine Hauskatze nicht von einem Eber unterscheiden können. Ein niedersächsischer Landwirtschaftsminister hat einmal eine Jagd als »bewaffneten Spaziergang« bezeichnet. (Noch heute werden in der Regenbogenpresse Waffenhändler gerne als »Finanzjongleure« vorgestellt, und Kokshändler firmieren als Pharma-Referenten.)
Das Kaninchen vor der Schlange – woher kommt beispielsweise diese Redewendung? In Spanien ist Kaninchen – conejo – eine Delikatesse. Wenn also Kaninchenschlachttag ist, bevorzugt dienstags, bilden sich vor den Metzgereien im Morgengrauen lange Schlangen voller auto-emoción. Davor haben die Karnickel mucho panico – das ist Spanisch für »panisch«. Die Franzosen verweisen auf eine andere Erklärung: Das Kaninchen – lapin – vor der Schlange von Gourmetköchen, die über seine Zubereitung debattieren, z. B. »’asenfüss à la bourguignonne«. Von da ist es nicht weit bis zum Angsthasen, auch wenn, (biologisch?) gesehen, zwischen Hasen und Kaninchen ein großer Unterschied besteht, ähnlich wie bei Frosch und Kröte, nur auf dem Trockenen.
Damit sind wir bei der LUPUPHOBIE. Vielen Bürgern bedeutet der Wolf das nackte Grauen, obwohl er nicht nackt ist, sondern tatsächlich ein Fell besitzt, welches ihm nicht wenige über die Ohren ziehen wollen. Allen voran die Schafzüchterverbände. Von denen behaupten viele, es gehe ihnen um gerissene Schafe, dabei weiß man doch: So gerissen sind die gar nicht! Längst bewegt sich der Wolf in einer Grauzone. Grauzonen kennt man eher aus der Wirtschaft. Wer Schwarzgeld mit Weißgeld mischt, landet in einer Grauzone. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, und für viele bleibt er ein Fremder, obwohl er schon vor Jahrhunderten in Mitteleuropa ansässig war. Immer lauter werden die Forderungen, den Schutz für den Wolf wieder einzuschränken, nicht wenige möchten lieber ungeschützten Verkehr mit Isegrimm. Dabei ist die Angst vor dem Wolf lediglich eine Stellvertreterangst, eine Delegationsangst, ein Symbol. Parallel dazu wird man den Menschen demnächst einen Bären aufbinden (URSUPHOBIE)und sicher den Luchs abluchsen (LYNXOPHOBIE), damit alles wieder seine Ordnung hat im Wald und auf der Heide.
Ailurophobie – Angst vor Katzen
Es soll Menschen geben, die schätzen Katzen nicht einmal als emotional support animal. Häufig liegen bei dieser Angst die Ursachen in der Kindheit – weswegen sie sich eigentlich leicht bewirtschaften lässt. Das familiäre Umfeld ist als Beschleuniger der Ailurophobie schnell ausgemacht: eine Mutter, die mit einer gewissen Kratzbürstigkeit ausgestattet ist. Ein Vater als ausgewiesener Helge-Schneider-Fan, der dessen einzigen Hit täglich bis zum Abwinken in heavy rotation hat laufen lassen. Zum Kotzen. Kulturell betrachtet, liegt einiges im Argen: die Katzenmusik des Musicals »Cats«. Fragwürdige Figuren wie Catwoman oder Fritz the Cat. Seit Tom & Jerry gab es kaum Sympathieträger. In der Familie gab es die Schwester, die beim geringsten Anlass die Krallen ausfuhr, und den Bruder, der seinen Punkt durch exzessives Fauchen klarmachte. Großvater langweilte mit den ewig gleichen Schnurren aus der Vergangenheit. Dazu Lehrer mit einer gewissen Dickfelligkeit, die einem aber gleichzeitig das Fell über die Ohren ziehen wollten, sowie Mitschüler, die vor ihnen katzbuckelten. Der Möglichkeiten sind viele. Eine davon war die Katze selbst – also nicht Daniela Katzenberger, sondern das Tier als solches –, die in den entscheidenden Jahren der Adoleszenz die Aufmerksamkeit der Erwachsenen einfach wegsaugte und immer mehr Liebe erfuhr als man selbst.
Ohnehin tragen Katzen wenig dazu bei, sich beliebt zu machen, imagemäßig sitzen sie eher am Katzentisch. In den USA verspeisen sie alljährlich zwischen 1,3 und 4 Milliarden Singvögel. In diesen Vogelkreisen sind sie wenig geschätzt, auch bei Nagern sind sie rasend unbeliebt, spielen sie doch ständig sich selbst und Maus. Bei Fellallergikern kann die Katze ebenso wenig punkten. Ein Kater am Morgen macht die Sache nicht besser. In einer Fabel von Äsop verliebte sich eine Katze in einen Jüngling und begehrte ihn so stark, dass die Göttin Venus sie in eine verführerische junge Frau verwandelte. Trotzdem jagte sie weiterhin jeder Maus nach. Venus wurde sauer und rückverwandelte sie in eine Katze.
Dringt man etwas tiefer in die Materie ein, ist die Angst vor Katzen gleichzusetzen mit der Angst vor der Unergründlichkeit und der Unberechenbarkeit. Katzen sind daher als Haustiere für jene Tierfreunde ungeeignet, für die Unabhängigkeit ein zu weites Feld ist, als dass man es täglich beackern könnte. Die Lösung: Hunde.
Akarophobie (und Vespidaephobie) – Angst vor Insekten
Die Angst vor Insekten wurde durch Fernsehkrimis beflügelt. Wenn man das Gesumm, Geflirr und Geschwirr hört, weiß der Zuschauer: Gleich wird es eklig, da kommt jeden Moment der forensische Entomologe um die Ecke. Menschen neiden Fluginsekten ihre permanente Flugbereitschaft, die wiederum zu heftiger Fluchbereitschaft führen kann. Nicht wenige Leute allerdings, die behaupten, Angst vor Fliegen zu haben, verwechseln diese mit Mücken, vulgo: Schnaken. Oder Gelsen. Kaum naht der Sommer, muckt die Mücke auf. Mücken sind stets up to date, mal übertragen sie den West-Nil-Virus, mal den Zika-Erreger. Pünktlich, wie nach Stechuhr. So erkennt man sie: stark verlängerte dünne Beine, etwa wie bei Nadja Auermann. Peitschenförmige Maxillartaster und ein schnauzenförmig verjüngter Kopf wie bei Wolfgang Joop. Allerdings sind die Mundteile verkümmert und nur zum Auftupfen von Flüssigkeiten geeignet. Die Mücke wird in unseren Breiten in Grau oder Braun geliefert, den optimalen Tarnfarben für den tristen Alltag. Geliefert sind auch ihre Opfer. Die Mücke kann Visagen ziehen, neben denen Mickey Rourke in seinen furchtbarsten Momenten – und andere kennt man nur wenige – anheimelnd aussieht. Ihre Charakterstärke