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Die Farben der Zeit: Vergangenheit wird Gegenwart
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eBook337 Seiten4 Stunden

Die Farben der Zeit: Vergangenheit wird Gegenwart

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Über dieses E-Book

Was würde passieren, wenn plötzlich Dinosaurier in Fleisch und Blut auftauchten? Würden Sie fasziniert sein, könnten Sie Neandertalern bei der Jagd über die Schulter sehen? Wie würden Sie reagieren, müssten Sie plötzlich beim Bau der Pyramiden mit anpacken?
Dieses Buch gibt einen kleinen Einblick in eine Welt, in der dies alles möglich ist.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Okt. 2023
ISBN9783384100740
Die Farben der Zeit: Vergangenheit wird Gegenwart
Autor

Wolfgang Oberkofler

Wolfgang Oberkofler wird am 15. November 1979 als dritter Sohn eines Landwirtes in Bruneck/Südtirol (Italien) geboren. Der Älteste seiner beiden Brüder ist Holzschnitzer und Musiker, sein zweiter Bruder arbeitet als Musiklehrer und ebenfalls als Musiker. Nach seiner Schulzeit, die er mit der Matura einer Handelsschule beendete, belegte Oberkofler einen EU-Kurs über angewandte Informatik und begann im Jahr 1999 die Arbeit als Computertechniker. Im Jahr 2003 beendete er diese Tätigkeit und wechselte in die GKN Driveline in Bruneck, wo er seitdem als Facharbeiter tätig ist.

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    Buchvorschau

    Die Farben der Zeit - Wolfgang Oberkofler

    1. Akt

    Sterben in Schottland

    Rudolf Gustavson war ziemlich am Boden zerstört. Nicht, dass es ihm schlecht ginge oder dass er Schmerzen hätte, nein. Er war ganz einfach so, wie er immer war, wenn einer seiner Pläne nicht aufgegangen war. Das passierte zwar eher selten, da er eben relativ selten etwas plante, dennoch kam es manchmal vor. Das Planen. In Rudolf Gustavsons planlosem Leben. In dem er jetzt gerade am Boden zerstört war. Da er sich seinen Gemütszustand nicht anmerken lassen wollte, versuchte er sich zu einem Lächeln zu zwingen.

    „Oh, Schatz, wie ich es liebe, wenn du schmunzelst. Fast nicht zu erkennen, doch die Grübchen neben deinem Mund verraten dich."

    Schnell drückte ihm seine Freundin Ruby Jónsdóttir einen Kuss auf seine linke Wange, bevor sie ihn mit gespieltem Ernst „wieso, Schatz, schmunzelst du?" fragte.

    Der Kuss riss Rudolf aus den Gedanken. Das Schmunzeln verschwand jäh aus seinem Gesicht und kehrte erst wieder, nachdem er ihr fahrig geantwortet hatte: „Ach nichts. Ich hab nur ´nen lustigen Family Guy-Clip auf Youtube gesehen. Soll ich ihn dir zeigen?"

    Jetzt schmunzelte er wieder. Nicht weil er seine Liebste gerade angelogen hatte, sondern weil er jetzt bereits wusste, was ihre nächsten Worte sein würden. Er wartete bereits auf ihre Antwort, um sie im Gedanken mitzusprechen.

    „Ach, lass stecken. Family Guy ist nicht so meins. Mir reichts, wenn ich zu Hause davon heimgesucht werde. Überhaupt würde es dir besser stehen, wenn du nicht dauernd auf deinem I-Phone rumdaddeln und stattdessen mit mir die tolle Gegend hier etwas bewundern würdest. Echt schön hier! Bloß schade, dass das Wetter plötzlich so mies geworden ist."

    Er konnte leider nur die ersten drei Sätze von ihr voraussagen, doch das reichte ihm. Seine Laune besserte sich langsam und er antwortete ihr: „Tja, Ruby, da kann man wirklich nichts machen. Aber heute wird’s bestimmt noch toll auf dem Schloss. Wegen des Wetters mach dir mal keine Sorgen. Die Führung wird bestimmt trotzdem interessant."

    Doch es war nicht nur die Führung, auf die er hinfieberte. Er hatte nämlich vor gehabt, während der Führung durch das Schloss Stirling Castle seiner Ruby Jónsdóttir einen Heiratsantrag zu machen und sie so zu seiner Frau, Mrs. Ruby Wasauchimmer zu machen. Rudolf wusste zwar, dass Isländer einen ziemlichen Aufriss um ihre Nachnamen machten, hatte jedoch keine Ahnung, ob bei einer Ehe der Name des Mannes auf die Ehefrau überging oder nicht. Schließlich war er kein Isländer und konnte, bzw. brauchte nichts von den isländischen Namengebungsgepflogenheiten wissen.

    Rudolf Gustavson stammte aus Baltimore, Maryland, nordöstlich von Washington DC gelegen. Er lernte Ruby kennen, als sie als Touristin das National Aquarium von Baltimore am Inner Harbor besuchte. Er jobbte damals im dortigen 4D-Kino und war mit sich und der Welt eigentlich recht zufrieden, bis er sie sah und mit ihr ein Gespräch begann. Ihr wurde im Kino schlecht, was wohl, so vermutete sie zumindest, mehr an den Ausdünstungen ihres Sitznachbarn, als an den 3D-Brillen lag. Wobei sie wohl Recht hatte, denn sogar Rudolf konnte sich an den Kerl mit dem ungepflegten und unglaublich laut pfeifenden Atem erinnern.

    „Sei’s drum, dachte er sich damals. „Wenn der Typ nicht gewesen wäre, hätte ich Ruby vielleicht niemals kennen gelernt.

    Sie verstanden sich sofort bestens und blieben in Kontakt. Fernbeziehung. Arge Strapazen für Konto und Urlaubsplanung, denn sie versuchten, sich so oft es ging zu treffen. Dann schob die Covid-Pandemie dem erst einmal einen Riegel vor; und das gleich in zweifacher Ausführung. Reisen war nicht mehr, einmal aufgrund der Reisebeschränkungen der jeweiligen Länder und zum Zweiten aufgrund des Jobverlustes von Rudolf. Nebeneffekte von Pandemien eben. Was also tun, fragte er sich.

    Als er diese Frage in einer E-Mail an Ruby weiterreichte, hatte diese eine wahrhaft zündende Idee. Ihre Mutter war ein ziemlich hohes Tier im isländischen Tourismusverband und so gelang es schließlich für Rudolf einen Job als Touristenführer klarzumachen, den er antreten konnte, sobald die Reisebeschränkungen es erlaubten. Dem isländischen Tourismussektor kamen nämlich massenhaft Angestellte abhanden, die sich während der Lockdowns um etwas sicherere Jobs umsahen.

    Glück im Unglück für Rudolf und seine Liebste. Die Zeiten waren herrlich, wenn auch etwas anstrengend. Chronisch unterbesetzt musste das Team von Rudy ständig Überstunden machen, was wenig Freizeit, dafür aber ausgesprochen sympathische Gehälter auf seinem Bankkonto eintrudeln ließ. Gut für ein junges Paar.

    Auch Ruby war im Tourismus tätig. Jedoch in einer administrativen Tätigkeit. Ihr Arbeitspensum war auch mehr als ordentlich, da sich einige ihrer Mitarbeiter als strikte Impfgegner deklarierten. Doch Ruby gelang es trotz vieler Überstunden ihre und Rudys Freizeit so zu synchronisieren, dass sie dennoch eine vernünftige Beziehung führen konnten.

    Doch nach knapp 13 Monaten Dauerstress, Rekordüberstundenzahlen und exzellenten Bezügen machte das Personalbüro erst einmal Schluss mit alledem.

    „Angesichts der in den letzten 12 bis 13 Monaten angehäuften Überstunden und der Menge des durch die besonderen Gegebenheiten angereiften und nicht genossenen Urlaubes, sehen wir uns gezwungen, jene Mitarbeiter mit den höchsten Ständen auf Urlaub- und Stundenkonto in einen dreißigtägigen Urlaub zu entsenden. Um die gesetzlichen Grenzen einzuhalten bitten wir all jene, die es betrifft, diese Entscheidung zu akzeptieren und wünschen an dieser Stelle einen erholsamen Urlaub."

    Diese recht holprig formulierten Zeilen nahm Rudolf sehr erfreut zur Kenntnis. Sein Erfreutsein wurde durch eine nur wenig später auf seinem Smartphone eintrudelnde Nachricht von Ruby noch verstärkt. Sie schrieb ihm kurz und knapp: „21 Tage Aufenthalt in Edinburgh, Schottland. Start übermorgen."

    Das könnte knapp werden, doch er würde es sicherlich schaffen.

    Sein Plan war nämlich einen ganz speziellen Ring abzuholen, einzupacken und mit auf die Reise zu nehmen; und zwar ohne dass Ruby etwas davon mitbekäme. Er wollte sie um ihre Hand bitten, ganz romantisch auf einem Schloss in den Highlands von Schottland. Das meiste von diesem Plan war wohl auch umsetzbar. Doch aus dem „Um-ihre-Hand-anhalten" auf einem romantischen Schloss in den schottischen Highlands sollte nichts werden. Es scheiterte daran, da sie sich zu keinem Zeitpunkt ihrer Reise in den Highlands befinden würden. Rudolf erlangte diese Erkenntnis langsam während des Stunden andauernden Studiums von Google Maps bezüglich passender Lokalitäten.

    So fand er heraus, dass nur ungefähr 31 Meilen von Edinburgh entfernt ein wahrer Touristenmagnet in Form von „Stirling Castle" gelegen war, das ihn geradezu anschrie, für seine Zwecke missbraucht zu werden.

    Während des nur gut zweieinhalb Stunden dauernden Fluges zwischen Reykjavik und Edinburgh fühlte Rudolf vorsichtig ob eines eventuellen Besuches dieses historisch bedeutsamen Örtchens im Herzen Schottlands bei seiner Ruby vor. Diese überlegte glücklicherweise nicht lange und bekundete reges Interesse mit ihrem plötzlich so kultur- und geschichtsbegeisterten Freund diesen Ausflug zu unternehmen. Rudolf rechtfertigte sich dabei etwas wirr mit Aussagen wie „cooler Platz und „erinnert mich an den Film ‚Braveheart’, den ich sehr mag und noch einigen windigen Erklärungen. Diese klangen dermaßen vorbereitet, dass Ruby bestimmt etwas vermutet hätte und neugierig geworden wäre, wenn sie etwas konzentrierter bei der Sache gewesen wäre.

    Doch aufgrund einiger Turbulenzen während des Fluges hatte sie ein leichtes Aufmerksamkeitsdefizit den Worten ihres Freundes gegenüber, das wenig später in eine mittlere Übelkeit überging.

    Rudolf machte dies alles nichts aus. Er überließ seine Freundin der Obhut eines kleinen tragbaren DVD-Players und feilte weiter an seinem Plan.

    Er war begeistert von sich, als es ihm noch während des Fluges gelungen war alles zu organisieren: einen Termin für eine Führung, die Busfahrt vom Hotel zum Schloss und – das war das Beste überhaupt – die schriftliche Zusage vom Büro der Touristenführer, dass der Guide, der sie begleiten würde, ihn, Rudolf Gustavson, an seine Seite bitten würde, bevor er die Frage aller Fragen in den Schlossgärten an der Südseite des Königspalastes an Ruby richten würde.

    Oh, wie schrecklich romantisch das werden würde. Er, im strahlenden Sonnenschein, umringt von dutzenden, ihnen völlig fremden Menschen und prachtvollen Blumengärten, vor Ruby kniend, wartend, bis sie, nachdem sie sich die Freudentränen aus den Augen getupft hat, ihm die ersehnten Worte „Ja, ich will" entgegenschluchzte….

    „Hoffentlich macht jemand davon ein Foto. Prachtvoll, wie ein Gemälde eines alten Meisters würde das werden."

    Er grinste nun von einem Ohr zum anderen, was jedoch unbemerkt blieb, da Rubys Magen sich mittlerweile wieder etwas beruhigt hatte und sie ihre Aufmerksamkeit nunmehr vollends dem mitgebrachten Film widmete – einer leicht trashigen, todernsten Verfilmung der Arthus-Sage.

    „Irgendwie passend", fand Rudolf und grinste weiter.

    Sein Grinsen verschwand tatsächlich erst aus seinem Gesicht, als ihn ein Schrank von einem Mann bei der Einreisekontrolle bat, den Mund-Nasen-Schutz für einen Moment lang zu entfernen, um das Passfoto besser vergleichen zu können. Da Rudolf in jenem Augenblick noch immer das seinem Gesicht etwas leicht Dümmliches mitgebende Grinsen aufgesetzt hatte, wurde er von besagtem Schrank – dunkelhäutig, mit zornigem Blick und zwei riesigen Pranken ausgestattet – aufgefordert, das dämliche Grinsen zu unterlassen. „Augenblicklich!"

    Ohne Widerspruch kam Rudolf dieser Bitte zeitnah nach und wurde dabei sogar etwas bleich, was sich aber während der Taxifahrt zum Hotel wieder legte.

    Seine Vorfreude nahm stetig ebenso zu wie seine Nervosität, was ihm immer schwerer zu Verbergen fiel. Was war er froh, dass diese Marter nur bis 14.30 Uhr des nächsten Tages dauern sollte, da er die 14.00 Uhr-Führung im Stirling Castle gebucht hatte.

    Und jetzt saß er da. Im Bus. Mit Ruby.

    Mit gefühlt 13.700 anderen Touristen, die alle lärmend und aufgeregt die Tragödie übersahen, in der Rudolf gerade die Hauptrolle spielte.

    Auf der knapp 31 Meilen langen Busfahrt hatte nämlich ein – wie Rudolf in seiner Wut vermutete – „dämlicher Trottel, der zu blöd ist ein Auto auf gerader Strecke zu bewegen", auf besagter geraden Strecke die Herrschaft über das Auto verloren und sich in weiterer Folge überschlagen. Und dies dann auch so, dass der Verkehr beidseitig zum Erliegen kam und er sich deshalb das rechtzeitige Eintreffen am Schloss abschminken konnte.

    „Der Blödmann hätte doch wenigstens noch von der Straße rutschen können. Die Briten müssen das Fahren im Nassen doch wohl beherrschen. Regnets ja oft genug."

    Im Geiste spie Rudolf Gustavson Feuer. Doch nach Außen hin blieb er ruhig und gefasst. Er wollte ja schließlich nicht auffallen.

    In seiner Jackentasche fühlte er den Ring. Ein schöner Ring war es, den er seiner hoffentlich baldigen Ehefrau an den Finger stecken wollte. Ein kleiner Rubin – englisch für Ruby – zierte das Schmuckstück, in dessen Innenseite ihre Namen – Ruby und Rudy – eingraviert waren.

    „Etwas kitschig vielleicht", dachte er sich, als er den Ring aussuchte. Doch da er nicht vorhatte öfters zu ehelichen, fand er es dennoch in Ordnung.

    Bloß die Zeit machte ihm Sorgen. Es war bereits halb zwei Uhr und sie hatten bestimmt noch 35 bis 40 Minuten Fahrt vor sich, als die Unfallstelle endlich so weit geräumt war, dass es weitergehen konnte. Rudolf Gustavson hatte also allen Grund am Boden zerstört zu sein. Plötzlich vibrierte sein Telefon.

    „Wer mag das sein? Kann jetzt keinen Anruf gebrauchen. Muss ich doch am neuen Plan arbeiten…"

    Beinahe hätte er den Anruf nicht angenommen. Als er es schließlich doch tat, verkündete ihm die Verwaltung des Schlosses eine recht erlösende Mitteilung.

    „Da es aufgrund des starken Regens bei den Führungen durch Stirling Castle zu Verzögerungen kam, wird Ihre Gruppe erst um 15 Uhr starten können."

    Genug Zeit also. Rudolf betrachtete sich ab sofort nicht mehr als am Boden zerstört.

    Kaum bei Stirling Castle angekommen, stürmte er hastig aus dem Bus. Er gab vor, dringend auf die Toilette zu müssen und eilte davon. Tatsächlich gelang es Rudolf, ihren Guide abzufangen bevor der sich aufmachte, die Menschenmenge in Empfang zu nehmen. Seine Befürchtungen, das schlechte Wetter könnte das Vorhaben in den Gärten des Schlosses vereiteln, konnte der ältere, freundliche und eine unglaubliche Ruhe ausstrahlende Mann lächelnd zerstreuen.

    „Keine Sorge, Mr. Gustavson. Sie sind beileibe nicht der Erste, der ein solches Vorhaben in die Tat umsetzen möchte. Wir werden schon ein entsprechendes Plätzchen finden."

    Rudolf war beruhigt. Und etwas enttäuscht. War er doch davon ausgegangen, eine einmalige Idee ausgebrütet zu haben. Egal. Er blickte aufgeregt in den dunkelgrauen Himmel, zog sich die Jacke am Hals etwas enger und suchte seine Ruby.

    Wenig später warteten alle auf den Beginn der Führung durch das geschichtsträchtige Schloss. Wie üblich bei solchen Witterungsverhältnissen begann die Führung nicht am Exerzierplatz am Fuße des Schlosshügels, wo neben Open Air-Konzerten auch die jährliche Silvesterfeier der Stadt Stirling stattfindet, sondern in einer auf drei Seiten offenen Galerie innerhalb der Schlossmauern. Wo genau sie sich befanden und welchen Zweck diese Gemäuer einst hatten, bekam Rudolf vor Aufregung nicht mit. Er war sich jedoch sicher, dass dies erklärt wurde, da alle um ihn herum eifrig und höchst interessiert nickten.

    Bald schon bewegten sie sich weiter. Nun befanden sie sich in einem großen Gebäude.

    „Die große Halle…", war das Einzige, das Rudolf vom Guide verstand, der ruhig gegen den mit ungeheurer Wucht an die Scheiben prasselnden Regen und heulenden Wind ansprach.

    Rudolf hatte ganz vergessen, dass er einen Kopfhörer um den Hals trug, der ihn das Verstehen ihres Führers gewiss erleichtert hätte.

    Er beschloss mit Ruby etwas näher nach vorne zum Guide zu gehen. So würde er ihn sehen, erkennen und sich auf ihr Vorhaben erinnern. Der erfahrene Touristenführer bemerkte wohl, dass Rudolf sich ihm zu nähern versuchte, was gar nicht so einfach war, da ein Grüppchen chinesischer Touristen sich hartnäckig weigerte, wenigstens etwas Platz zu machen. Vermutlich befürchteten sie, dass sie nicht alle im selben Moment dasselbe Fotomotiv im beinahe selben Winkel auf ihre vermutlich identischen Speicherkarten bannen konnten.

    Rudolf spürte, wie sich eine alte Glut in ihm entfachte. Nämlich die stets schwelende Glut des Feuers der Verachtung jenen Menschen gegenüber, die aus dem Bereich unserer schönen Welt kommen, die jene kleine Besuchergruppe ihre Heimat nennt, die sich wirklich, wirklich sehr vehement dagegen stemmte, eineinhalb Quadratmeter für Rudolf und Ruby freizumachen.

    Er wusste sehr wohl, dass sein Standpunkt den Bewohnern jenes Landes gegenüber in der heutigen Zeit nicht gern gesehen war. Allzu schnell wird man doch als Rassist oder Engstirniger oder sogar als rassistischer Engstirniger angesehen. Doch Rudolf hatte in seiner Zeit als Touristenführer so einiges erlebt, das ihn mit aller Kraft hinderte, seine Meinung zu überdenken.

    Schließlich ergriff ihr Guide, Mr. Jones, das Wort und forderte Rudolf auf, zu ihm zu kommen. Dieser tat verwundert und verlegen und schob sich mit der Genugtuung, bald vor der chinesischen Reisegruppe zu stehen, durch die Duzendschaft an maximal schulterhohen Menschen.

    Endlich stand er neben Mr. Jones und sogleich sagte dieser zu der gesamten Reisegruppe: „Ladies and Gentlemen, Mr. Rudolf Gustavson hier hat eine wichtige Mitteilung zu machen."

    Rudolf blickte zu seiner Ruby, die, so glaubte er zumindest, noch immer nicht den Ernst ihrer Lage erkannt hatte. In seinem Kopf ging nun alles rasend schnell. Alles um sich herum schien er in Zeitlupe zu erleben. So viele Eindrücke.

    Ruby, deren leicht gerötetes Gesicht zu ihm sah, die Chinesen, deren glänzende Objektive sich eines nach dem anderen auf ihn richteten. Dann waren noch welche, die neugierig waren, was dieser Mr. Gustavson wohl vor hatte und schließlich waren noch jene, die über die Unterbrechung der Führung „not amused" waren, wie es auf gut britisch wohl heißen würde.

    Rudolf öffnete seinen bereits seit einer Weile staubtrockenen Mund. Das Gefühl der am Gaumen klebenden Zunge hasste er beinahe so sehr, wie das Gefühl, sich mit der endlich vom Gaumen gelösten, trockenen Zunge über die trockenen Lippen zu streichen. Seine Hand, in der er das Etui mit dem Ring für Ruby hielt, schmerzte und drohte zu krampfen. Er zog sie langsam aus der Hosentasche.

    „Bloß nicht fallen lassen!", mahnte er sich im Gedanken.

    Als seine Hand sichtbar und das Etui erkennbar wurden, ging ein leichtes Raunen durch die Menge. Einige schienen zu ahnen, was nun folgen würde. Das Raunen verstärkte sich, als Rudolf sein rechtes Knie beugte und sein Gewicht darauf verlagerte. Er bemerkte, während er das Etui öffnete, dass Ruby verstanden hatte und ihre Hände vor ihren geöffneten Mund hielt. In ihren Augen bildeten sich Tränen und von Zeit zu Zeit ging ein Ruck durch ihren Körper, als begänne sie jeden Moment zu weinen. Um ihn herum war es nun totenstill; bis auf Rubys Schluchzen dann und wann.

    Er zwang sich nun möglichst ruhig und deutlich zu sprechen.

    „Keine Angst, es dauert nicht lange und nein, ich bin kein Experte, der jetzt einen Vortrag hält. Doch ich möchte diesen bedeutenden und geschichtsträchtigen Ort nutzen, um der Frau dort unten eine Frage zu stellen."

    Ruby schluchzte laut auf, riss sich jedoch sofort wieder zusammen und weinte ab da leise weiter.

    „Ich habe vor einiger Zeit diese Frau kennengelernt. Aus Bekanntschaft wurde Sympathie, aus Sympathie wurde Mögen und aus Mögen wurde schließlich Liebe. Und zwar solch starke Liebe, dass weder Ozeane noch Pandemien es schafften, uns auseinander zu halten. Deshalb möchte ich dieser Frau dort unten eine Frage stellen."

    Rudolf machte eine verlegene Pause.

    „Das… das sagte ich heute wohl schon einmal."

    Er räusperte sich kurz und wartete bis das Kichern der Zuhörer aufhörte.

    „Ruby Jónsdóttir, Liebe meines Lebens, willst du meine Frau werden?"

    Nur das leise Klacken des Ringetuis war zu hören, als er es feierlich öffnete und Ruby entgegenstreckte.

    Alle warteten gespannt auf die alles entscheidende Antwort, als das Knipsen des Fotoapparates eines Chinesen die romantische Stille recht plump durchbrach.

    Fast hätte Rudolf lachen müssen, er bemerkte aber gleichzeitig wie dem Chinesen seine „Untat peinlich war. Die Situation war jedoch zu bedeutend, um Rudy vollends aus seiner Anspannung zu holen. Er hielt den Atem an, bis Ruby ihm überglücklich „ja, Rudy, ich will! Und wie ich will! entgegenschmachtete.

    Ab da gab es kein Halten mehr. Fotos wurden gemacht, Applaus ertönte und von allen Seiten drangen Glückwünsche und gefühlt tausende anderer Floskeln an ihre Ohren. Das meiste davon beachteten sie nicht. Sie fielen sich in die Arme und küssten sich. Es war nicht nur der sprichwörtliche Stein, der von Rudolfs Herzen fiel, es war ein Felsen. Die Beiden genossen den Moment in vollen Zügen. Dabei bemerkten sie gar nicht, dass einer der Chinesen mit Fotoapparat das Tor der großen Halle geöffnet hatte, um etwas mehr und vor allem natürlicheres Licht für die schon begonnene Fotoorgie zu erhalten.

    Dazu hatte er mit Wucht die Türe aufgestoßen, doch seine Hoffnung auf mehr natürliches Licht wurde abrupt zerstört.

    Es regnete nicht mehr, der Wind pfiff ebenso wenig, wie der Himmel wolkenverhangen war. Der gesamte Horizont, jedenfalls so weit, wie der Tourist sehen konnte, war von satt grüner Färbung.

    „Kàn Kàn fàshèngle shènme, schrie er seinen Landsleuten zu, was soviel wie „seht her, was ist geschehen? bedeutete. Ganz ihrem Naturell entsprechend, folgten sie sofort alle der Aufforderung ihres Kollegen. Sekunden später wuselten sie vor der großen Tür der großen Halle und hielten ihre Fotoapparate in die Höhe, um das seltsame Naturschauspiel genauestens zu dokumentieren.

    Keiner der Anwesenden konnte sich erklären, was vor sich ging. Vom Schlosshügel aus hatten sie den wohl besten Überblick über die Umgebung und plötzlich erspähte jemand mit unüberhörbarem, sehr ausgeprägtem schottischen Akzent das Undenkbare. Während die meisten der Anwohner der Altstadt von Stirling am Fuße des Schlosshügels noch nicht wussten, wie ihnen geschah, waren die Anwesenden auf Stirling Castle Zeugen eines unglaublichen Vorganges. Durch das Rufen des Schotten aufmerksam geworden sahen sie, wie sich durch die engen Straßen der Altstadt massige Dinosaurier wälzten.

    Sie hatten lange Hälse, ihre Vorderbeine waren länger als die hinteren und sie schienen vor etwas zu fliehen. Sie waren schnell unterwegs; jedenfalls für Giganten solchen Ausmaßes. Da und dort versuchten kleinere Exemplare den großen zu folgen. Ein Familienausflug sozusagen.

    „Das sind Brachiosaurier!", stellte ein langsam ergrauender Mann von deutscher Herkunft fest. Die Fotoapparate surrten unaufhörlich, während das Murmeln und die Unruhe unter den Anwesenden immer lauter wurden.

    Mr. Jones, der bis dato gewohnt und souverän ruhig gebliebene Guide, versuchte ohne Unterlass beruhigend aufzutreten und versicherte allen Anwesenden, „dass alles Notwendige getan wird und „wir alle hier auf Stirling Castle sicher sind.

    „Diese Mauern hielten schon ganze Heere in Schach, Könige blickten wie wir nun hinunter von den Zinnen der Schlossmauer auf ihre Feinde…"

    Er sprach dies so feierlich aus, wie ein königlicher Herold es wohl getan hätte und trotz seiner Mühen schien ihn niemand zu beachten. Alle hatten sich einen Platz auf der Schlossmauer gesucht, lediglich Ruby und Rudy weilten noch immer verliebt in der großen Halle. Daher blieb ihnen dieser Anblick vorerst erspart. Sie wunderten sich lediglich, dass scheinbar alle Teilnehmer der Führung jetzt vor Entsetzen schreiend in die große Halle wollten, obwohl sie gerade erst vor wenigen Minuten neugierig raunend aus ihr strömten, um den grün gefärbten Himmel zu beobachten.

    Wenn schon die gut gemeinten Worte von Mr. Jones ihre Wirkung verfehlten und gänzlich in der allgemeinen Aufregung untergingen, so dass nicht einmal auffiel, dass er mitten im Satz aufgehört hatte zu sprechen, so erregte er mit etwas Anderem dafür nun umso mehr Aufmerksamkeit.

    Ihm wurde nämlich von einem fliegenden Etwas der Kopf vom Rest seines Körpers abgetrennt. Dies geschah so rasend schnell, dass der Körper noch eine Weile stehen blieb, um sein Blut stoßweise aus der Halsschlagader zu verspritzen und so sämtlichen Personen im Umkreis von drei Metern die Kleidungsstücke zu ruinieren.

    „Das war ein Quetzalcoatlus, würde ich aufgrund der schieren Größe vermuten. Sehr beeindruckend!"

    Der ergrauende Herr mit deutschem Akzent schien die Situation zu verkennen. Er bestaunte das beeindruckende, fliegende Untier mit wirklicher Ehrfurcht. Dabei schien er gar nicht zu realisieren, dass soeben ein Mensch sein Leben gelassen hatte; im Übrigen auf eine sehr kuriose Art und Weise.

    Denn wer käme mitten in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts auf die Idee, sein Leben durch einen Dinosaurier zu verlieren? Den deutschen Akademiker störte jedenfalls nicht im Geringsten, seine Bewunderung für diese Tiere weiter auszudrücken.

    Imposant waren die Tiere fraglos. Ungefähr zwölf Meter spannte sich die lederartige Haut von links nach rechts. Das Tier hatte einen langen, sehr beweglichen Hals, dem man seine muskulöse Stärke sogar vom Boden aus ansah. Er musste auch stark sein, immerhin hatte er einen bestimmt drei Meter langen Schädel zu tragen. Das Ergebnis aus diesen Superlativen war eine zehn Meter lange, mit zwölf Metern Spannweite und einem knochig aussehendem Schnabel versehene, fliegende Fressmaschine.

    Neugierig geworden, traten endlich auch Ruby und Rudy aus der großen Halle und erschraken sich beinahe zu Tode, als auch sie die Dinosaurierherde durch Stirlings Altstadt stapfen sahen. Rudolf fing sich jedoch rasch wieder und zog seine Verlobte weg von den anderen, zurück in die große Halle.

    „Schatz, Schatz, hier sind wir sicher. Zumindest sicherer als draußen. Hast du denn die fliegenden Dinger nicht gesehen? Kreisen wie riesenhafte Geier über dem ganzen Schlossberg. Da können ruhig andere ihre Köpfe hinhalten. Und die Dinger unten in der Stadt kommen nicht hier hoch. Wir sind hier in einem Schloss. Ruby, in einer Burg! Die sind gebaut worden, um Menschen vor ihren Feinden zu schützen! Da werden die Wände doch wohl einige dämliche Dinos abhalten können?! Ich mein, hast du die Wände gesehen? Da trampelt so schnell kein Dino durch. So schnell nicht. Aber hey, gleicht kommt sicher die Armee, die räumt schon auf… Sind ja eh froh, wenn sie mal auf was Bewegliches ballern können."

    Rudolf schaffte es tatsächlich, seine Ruby etwas zu beruhigen. Sie hatte die kopflose Leiche von Mr. Jones gesehen und einen Schreikrampf bekommen.

    Als Rudy sie langsam wieder beruhigen hatte können, fiel ihm auf, dass von draußen wieder lautere Schreie zu ihnen drangen. Er realisierte, das wohl ein weiterer Angriff der Flugechsen erfolgte und redete deshalb ständig und ohne Unterbrechung auf Ruby ein. Sie sollte so wenig als möglich vom Geschehen draußen mitbekommen. Dabei fragte er sich, wieso eigentlich niemand auf die Idee kam, zu ihnen hereinzukommen. So schwierig sollte es schließlich nicht sein, herauszufinden, dass ein Haus womöglich den besseren Schutz vor herumfliegenden und scheinbar recht gefräßigen Unheil bietet, als sich

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