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Das Internat von Barrowhill
Das Internat von Barrowhill
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eBook310 Seiten4 Stunden

Das Internat von Barrowhill

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Über dieses E-Book

Napoleon ist geschlagen und England gerettet.
Eine Neuigkeit, die sich in Windeseile in Barrowhill verbreitet.
Vor allem im Internat, das seit kurzen einen illustren Schüler
beherbergt: Richard, Herzog von Billingham, Lord von Lancaster.
Die Familie befindet sich in einer finanziellen Klemme und Richard ist gezwungen, Eaton zu verlassen, um im bescheideneren Barrowhill die Schule zu beenden.
Schnell findet er Freunde: den leidenschaftlichen Waliser Evellynn und Allan, der aussieht wie ein Engel; die beiden sind ein unzertrennliches Liebespaar.
Doch Richard muss sich den strengen Regeln des Internats unterwerfen, wie jeder andere. Körperliche Züchtigungen und die Schikanen durch den Seniorschüler Mopping stehen auf der Tagesordnung. Trotzdem lassen es sich die Jungs nicht nehmen, nachts in die Zimmer ihrer Freunde zu schleichen, ausgelassen zu feiern und ihren verbotenen Spass zu haben.
Da trifft man Tom, der unter falschem Namen Romane schreibt; Benjamin, dem der erste Bart wächst, den jungen Russen Wladimir, der heimlich vom Direktor schwärmt und dessen Liebe zu diesem eine fast lebensbedrohliche Gefahr heraufbeschwört.
Richard verliebt sich in Jeremy, der den jungen Herzog fasziniert und dessen dunkle Seite für Richard anziehend und erschreckend zugleich ist. Bei ihm lernt er, die neue und aufregende Seite von Schmerz und Erniedrigung kennen.

Nach „Liebesspiele der Samurai“ führt uns Alexandros Chakiris in die Welt des englischen Empire. Damals herrschte die Meinung, dass nur rigide Strafen und härteste Disziplin den Menschen zu einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft machen. Doch den Schülern des Internats gelingt es immer wieder, sich ihre verbotenen Wünsche zu erfüllen.
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum28. Feb. 2012
ISBN9783863611316
Das Internat von Barrowhill

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    Buchvorschau

    Das Internat von Barrowhill - Alexandros Chakiris

    Der neue Schüler

    Man schrieb das Jahr 1815.

    Britannien führte Krieg in den indischen Kolonien, in der „Neuen Welt" und kämpfte gegen Napoleon Bonaparte, der ganz Europa ins Verderben zu stürzen drohte.

    Als die Kutsche abfuhr, wischte sich Lady Sarah, die Witwe des Herzogs von Billingham, verstohlen über die Augen.

    „Ach, Edward, ob wir das Richtige getan haben?"

    Der elegante Gentleman, der ihr gegenüber saß, nickte beruhigend. „Mach dir keine Gedanken, meine Liebe. Es ist ganz in Archies Sinn, dass sein Sohn die Schule beendet. Es wäre doch zu leidig, wenn er jetzt aufgeben würde wo ihm nur noch ein Jahr fehlt."

    Lady Sarah, ganz in schwarz, wie es sich für eine Witwe von höchstem Rang gehörte, war nicht so überzeugt. „Aber Barrowhill ist nicht Eaton! Wird sich mein kleiner Richard hier eingewöhnen? Dieses Internat ist so … gewöhnlich!"

    Edward winkte nachlässig ab. „Du redest von ihm, als sei dein Sohn immer noch ein Kind. Richard ist sechzehn. Ein Mann! Dieses eine Jahr geht schnell vorbei, du wirst sehen. Er wird es schon überleben!"

    Alarmglocken schrillten im Kopf der schönen Lady: „Überleben? Wie meinst du das, Edward?"

    Der Bruder der jungen Witwe ergriff die schmale, blasse Hand, die sie auf sein Knie gelegt hatte, und tätschelte sie tröstend. „Na ja, das haben wir alle mal mitgemacht und leben immer noch, nicht wahr? Das Wichtigste ist jetzt, dass wir Billingham Hall retten können. Wir sind verpflichtet, ihm sein Heim zu erhalten. Bis die Besitzungen in den Kolonien verkauft sind und du wieder über ausreichend Geld verfügst, muss sich die Familie eben einschränken, so unangenehm das sein mag. Nimm es nicht so schwer, liebe Sarah. Er hat sich durchaus einsichtig gezeigt, als ich ihm erklärt habe, dass er das letzte Schuljahr aus Kostengründen in Barrowhill verbringen wird."

    Sir Edward wusste, dass es für seinen Neffen eine gewaltige Umstellung sein würde, aber er traute dem Jungen einiges Stehvermögen zu.

    Immerhin wusste Richard, was er seinem Namen schuldig war.

    Richard, Lord von Lancaster und Herzog von Billingham, saß im Arbeitszimmer von Direktor Stirling.

    Der alte John - so nannten ihn seine Schüler - betrachtete Richard mit gemischten Gefühlen.

    „Euere Gnaden wird feststellen, dass der Unterschied zu Eaton so groß nicht ist."

    Der alte John wusste genau, dass dies eine dicke Lüge war. Der Unterschied konnte größer nicht sein. Aber die Anwesenheit einer so hochgestellten Persönlichkeit konnte sich für die Reputation seines Institutes nur vorteilhaft auswirken. Es galt, vorsichtig zu sein.

    „Natürlich können wir Euer Gnaden keinen Reitstall anbieten oder einen Fechtlehrer, so wie es in Eaton üblich ist. Rudern ist auch nicht möglich, da wir in unmittelbarer Nähe kein Gewässer haben. Dafür haben wir eine ganz brauchbare Kricketmannschaft."

    Der junge Herzog schwieg höflich und hörte interessiert zu. Er hatte die langen, schlanken Beine übereinander geschlagen. Seine helle Hose, das graue Samtjackett, eng und elegant geschnitten, der schäumende Rüschenkragen des weißen Hemdes, alles aus feinstem Stoff. Die blonden, welligen Haare, locker nach hinten gebürstet und mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden, betonten die feinen Linien in dem jugendlich ernsten Gesicht.

    Doch seit die Räder der herzoglichen Kutsche knirschend vom Schulgelände gerollt waren, kam sich der junge Lord von Lancaster mit jeder Minute einsamer und verlassener vor.

    Der alte John war ein Mann von gewinnendem Wesen. Er liebte seine Schüler und war mit Leib und Seele Pädagoge. Nun kam er hinter seinem schweren Schreibtisch vor und legte dem Jungen väterlich die Hand auf die Schulter.

    „Kopf hoch, Richard. Wir wollen doch, dass Euer verstorbener Vater stolz auf Euch ist."

    Richard nickte und schluckte trocken. Erst vor wenigen Wochen war sein Vater im Krieg gegen Napoleon gefallen.

    In diesem Augenblick klopfte es.

    Herein trat ein spindelbeiniger Jüngling, ganz in schwarz gekleidet.

    „Ihr habt nach mir geschickt, Sir?" Mit leisen, huschenden Schritten schlich er näher. Richard fasste auf den ersten Blick eine Abneigung gegen ihn.

    „Ach, Moping, gut, gut. Ihr werdet Euch selber einander vorstellen, denke ich. Begleitet Master Moping zum Haus Nr. 6, Eure Lordschaft. Dort werdet Ihr das Zimmer mit zwei anderen Schülern teilen. Moping wird Euch alles erklären. Er ist der Kapitän des Hauses. Der Senior, sozusagen. Er hat Ordnungs- und Strafgewalt … Moping, Ihre Lordschaft ist wie jeder Neuzugang die ersten zwei Wochen jeder Bestrafung enthoben."

    Der Direktor warf dem Kapitän einen warnenden Blick zu.

    „Ihr werdet Eurem neuen Kommilitonen jede Hilfestellung geben, die er braucht, und nachsichtig sein, Moping."

    Der junge Herzog war aufgestanden und versicherte: „Es liegt mir fern, eine Sonderstellung einzunehmen, Sir. Ich will versuchen, mich so schnell wie möglich in den täglichen Ablauf von Barrowhill einzugewöhnen."

    Moping, der den Wink des Direktors durchaus verstanden hatte, krümmte den Rücken wie eine Katze und verzerrte die dünnen Lippen zu einem Grinsen:

    „Ich werde mir besondere Mühe mit der jungen Lordschaft geben, Sir. Seid unbesorgt." Dann verließen beide das Arbeitszimmer.

    Die blauen, strahlenden Augen von Richard übten vom ersten Augenblick eine gewaltige Anziehung auf Moping aus.

    Sich heimlich die Hände reibend, ging er vor seinem neuen Schutzbefohlenen her und flüsterte leise: „Oh ja, ganz besondere Mühe."

    Die Schüler von Barrowhill waren je nach Alter in getrennten Häusern untergebracht, die nummeriert waren. Moping stand dem Haus Nr. 6 vor. Alle dort, einschließlich des Kapitäns, befanden sich in der Abschlussklasse. Nur dass Moping zwei Jahre älter war, da er Theologe werden sollte wie sein Vater und schon vor Beginn seiner Schulzeit in Barrowhill ein zweijähriges Theologieseminar absolviert hatte.

    Im Haus Nr. 6 betraten die beiden einen Raum, den Richard mit zwei anderen Schülern teilen sollte.

    Da es die Zeit der Nachmittagsruhe war, befanden sich seine Zimmergenossen bei ihren Hausaufgaben. Natürlich hatte auch die Neugier auf den Neuen das ihrige dazu getan, dass man heute das Haus nicht verlassen wollte. Zwei Augenpaare wurden misstrauisch auf den Neuling gerichtet. Augenpaare, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.

    „Darf ich mich vorstellen, Richard streckte dem schwarzhaarigen, zierlichen Jungen freundlich die Hand entgegen. „Richard, Lord von Lancaster, Herzog von Billingham.

    „Du bist ein richtiger Herzog?", fragte der Junge atemlos und große, dunkle Augen richteten sich auf Richard. Das Gesicht eines Engels!

    Richard nickte lächelnd.

    „Schau, Evellynn, ein echter Herzog. Damit stand der Junge auf und gab Richard die Hand. „Ich bin Allan Miguel Baker. Und das ist …

    „Swan, Evellynn Swan."

    Der andere Junge war aufgestanden und hatte die Vorstellung kurzerhand selbst übernommen. Er war größer als Allan, breiter und so unordentlich wie er war, hätte man ihn eher für einen sturmerprobten Seemann halten können als für einen Internatsschüler. Grüne Augen richteten sich misstrauisch auf Richard. Evellynn drückte die Hand des jungen Herzogs und begann Richards Knochen zu zerquetschen. Dabei sagte er lächelnd:

    „Na dann los, Richard, wir helfen dir beim Auspacken."

    Der junge Lord riss entschlossen seine Hand aus der Pranke des Walisers.

    „Master Swan! Moping rümpfte die bleiche Nase. „Master Swan, der Herzog hat einen Anspruch auf die Anrede, die seinem Stand gebührt. Ich bitte um Verzeihung, Eure Lordschaft. Bei diesen Worten duckte sich Moping heuchlerisch und deutete eine gewisse Entrüstung an.

    Aber Richard war von seinem Onkel Edward auf diese Situation vorbereitet worden und antwortete schlagfertig: „Ist schon in Ordnung, für meine Zimmergenossen bin ich Richard, nicht wahr, Evellynn?"

    Es wurde dem jungen Lord schwer, seinen Schrank einzuräumen. Nach Eaton war er von einem Bediensteten begleitet worden. Aber Allan hatte sich ganz ohne Vorwarnung auf das Gepäck des Neuen gestürzt und die Sache für ihn erledigt. Allan sah nicht nur aus wie ein Engel.

    Evellynn hatte mit verschränkten Armen daneben gestanden und zugesehen.

    Richard begann, seinen Schreibtisch einzuräumen. Zum Schluss stellte er ein kleines Porträt seines Vaters darauf. Mit einer kurzen, zärtlichen Bewegung strichen seine Finger darüber.

    „Dein Vater ist beim Militär?", fragte Allan und sah sich das Bild genau an.

    „Mein Vater ist gefallen, vor drei Monaten. Bei Waterloo."

    „Oh, entschuldige. Ich wollte nicht neugierig sein." Allan sah verlegen auf das Muster des Teppichs.

    Richard ließ sich müde auf eines der drei Betten sinken.

    „He, das dort drüben ist dein Bett", schnauzte Evellynn und trat drohend an Richard heran.

    „Verzeihung. Das wusste ich nicht." Richard ging zu seinem Bett, setzte sich darauf und sah stumm aus dem Fenster. Das konnte ja heiter werden! Noch nie war er sich so verloren, so einsam vorgekommen. Ein ganzes Jahr! Himmel, wie sollte er das aushalten. Aber so lagen die Dinge nun mal. Der verstorbene Herzog hätte von seinem Sohn mehr Mut erwartet. Beim Gedanken an seinen Vater schossen Richard Tränen in die Augen. Wieder war es Allan, der seine Trauer als erster bemerkte. Er setzte sich neben Richard und legte ihm tröstend den Arm um die Schultern:

    „Mein Vater ist auch im Krieg gefallen, bei Talavera. Aber das ist schon Jahre her. Sei nicht traurig, Richard. Du wirst sehen, wir werden eine prima Zeit hier haben, wir drei, stimmt’s nicht, Evellynn?"

    Allan hatte Mühe, zuversichtlich zu klingen, denn er war ein sehr mitfühlender Junge, dessen Herz leicht zu bewegen war.

    Evellynn, an den die Frage gegangen war, trollte sich zu den beiden und setzte sich dazu.

    „Na, komm schon, Herzog! Lass den Kopf nicht hängen. Das einzige, vor dem du dich in Acht nehmen musst, wohnt im Zimmer auf der anderen Seite. Moping, die Ratte. Wenn er dich bei der kleinsten Verfehlung erwischt, kannst du dich auf was gefasst machen. Also sei vorsichtig. Ich habe jede Woche zwei- oder dreimal das Vergnügen." Evellynn grinste dabei breit über das ganze Gesicht.

    Richard fragte ziemlich verständnislos: „Und das nimmst du so leicht?" In Eaton war Richard alles in allem zweimal bestraft worden! Richard schüttelte ungläubig den Kopf.

    „Dreimal in der Woche! Ist er verrückt?"

    Evellynn nickte und sein Lachen wurde noch breiter: „Ja, er ist verrückt. Nach Allan! Was würde er dafür geben, ihn in die Finger zu kriegen, aber da hat er Pech. Allan gehört mir."

    Eine breite, kräftige Hand wurde ausgestreckt, die Allan sofort ergriff und zärtlich drückte. Verlegenheit färbte Allans Wangen rosig, als er stumm mit dem Kopf nickte.

    Richard wusste, woran er mit diesen beiden war. Er würde gut mit ihnen auskommen, solange er ihre enge Freundschaft respektierte. Das war in Eaton nicht anders gewesen. Nur hatte man nicht so offen darüber gesprochen. Aber ein langer, prüfender Blick auf Allan brachte Richard die Erklärung: Es war einfach unmöglich, ihn nicht zu lieben!

    Ein lautes Poltern und Krachen aus dem Nebenraum unterbrach die Stille.

    Etwas wurde gegen die Wand geworfen.

    Evellynn und Allan sagten wie aus einem Mund:

    „Wladimir!"

    Dann stürzten sie wie auf Befehl aus dem Zimmer, Richard hinter sich her ziehend.

    „Gibt es in Eaton Büffel?", fragte Evellynn neugierig.

    Auf Richards verständnislosen Blick hin lachte er:

    „Na bitte, was wir alles in Barrowhill haben! Aber komm ihm nicht in die Quere, wenn er tobt. Dann geht ihm sogar Moping aus dem Weg."

    Vor der Tür des Nebenzimmers standen einige Schüler neugierig herum und kicherten. Alle aus der gleichen Klasse, alle im gleichen Alter. Sie wussten gar nicht, auf was sie ihre Aufmerksamkeit zuerst richten sollten: auf den „neuen Herzog" oder das altbekannte, aber immer wieder interessante Schauspiel ihres tobenden Kameraden Wladimir Tatajew aus St. Petersburg.

    Ohne überhaupt zu wissen, um was es ging, stürzte sich Evellynn mitten hinein ins Getümmel. Drei oder vier Jungen wälzten sich auf dem Boden, Arme, Beine, Fäuste flogen. Schmerzenslaute und Ächzen drangen aus dem wirren Knäuel.

    „Danny, verflucht … halt doch seine Hände fest. Der so Angesprochene stöhnte aus dem Gewirr heraus: „Du hast leicht reden! Wo sind denn seine Hände?

    Evellynn bekam den blonden Schopf Wladimirs zu fassen. „Ich hab ihn. Danny, los schnapp dir seine Fäuste, sonst …", aber da landete eben eine der gesuchten Fäuste in seinem Magen und der Satz blieb unvollendet. Benjamin, der zuunterst lag, war es gelungen, die langen Beine des jungen Russen zu packen. Danny schien nun doch erfolgreich an die Hände gekommen zu sein. Evellynn setzte sich mitten auf die schwer atmende Brust Wladimirs, lag halb auf ihm und blieb mit allen zehn Fingern in den flachsblonden Schopf gekrallt.

    „Hör auf, Wladimir! Spinnst du? Du hetzt uns Moping auf den Hals."

    Wladimir hörte nicht zu. Wie ein Wahnsinniger versuchte er, Evellynn abzuschütteln. Allans Engelsgesicht tauchte über der Schulter des jungen Walisers auf. Augenblicklich ging ein frohes Lachen über Wladimirs Gesicht: „Oh, du bist auch hierrr, Ljubov? Was schaut ihr so? He, lass Beine, Benjamin. Ich will stehen auf."

    Etwas außer Puste und verschrammt ließen die Jungen Wladimir langsam los. Immer bereit, sofort wieder auf ihn loszustürmen. Wladimir schüttelte sich und fuhr sich mit einer Hand durch die verwuschelten Haare.

    „Was tust du mit meinem Kopf, Evellynn?", fragte er freundlich.

    „Na, du bist gut." Evellynn zupfte sein Hemd zurecht.

    „Schau, was du angerichtet hast, du Esel. Der Stuhl ist kaputt. Und die Wand erst. Gleich haben wir Moping auf dem Hals."

    Wladimir zuckte hilflos mit den Schultern. „Kann ich nix dafir. Hat Danny angefangen. Hat er gesagt, bin ich dummer Ochse." Wladimir war aufgestanden und gab Richard den Blick frei auf 185 Zentimeter makellose Männergestalt.

    Danny schnaubte empört. „Jeder weiß, dass du ein Ochse bist."

    Wladimir riss mit Unschuldsmiene die blauen Augen auf. „Aber bin ich nicht dumm! Das ist Lüge. Hab ich dir gesagt."

    Allan zog Richard am Ärmel zu Wladimir. „Das ist unser Neuer, Wladimir. Ein echter Herzog."

    Richard streckte die Hand etwas zögernd aus. „Richard, erfreut, dich kennenzulernen."

    Der junge Russe lächelte fröhlich und unbefangen. Es war unmöglich, ihn nicht auf der Stelle sympathisch zu finden. Wladimir schüttelte die dargebotene Hand herzhaft. „Hab’ schon gehört. Bist aus vornehm Familie. Ich nicht. Vater ist Händler. Nicht vornehm, aber sehrrr reich." Wladimir zeigte beim Lachen ein wahres Tigergebiss.

    „Richard ist in Ordnung", verteidigte Allan seinen neuen Freund, als sei dessen hoher Adel ein unverzeihlicher Makel.

    Wladimir legte eine seiner Pranken sanft auf Richards Gesicht. „Bist schöner Junge. Musst du aufpassen bei Moping. Ljubov, hast du ihn gewarnt?"

    Evellynn antwortete stattdessen: „Ich denke, er ist vor Moping sicher. Der traut sich an keinen Herzog, die miese Ratte. Oh Gott, da kommt er ja schon."

    Master Moping trat entrüstet und mit entsetztem Händeringen in das verwüstete Zimmer. „Was ist hier los gewesen? Wird’s bald? Antwort! Wer nichts mit der Sache zu tun hat, soll gefälligst verschwinden." Die Menge zerstreute sich eiligst.

    „War ich", sagte Wladimir selbstsicher.

    Moping sah sich zur Stellungnahme gezwungen, obwohl er mit dem jungen Russen gerne jeden Kontakt vermied. „Master Tatajew, schon wieder Ihr. Ein Stuhl zertrümmert und die Wand …! Ich werde Euch zur Bestrafung eintragen müssen. Wer war noch dabei?"

    Danny und Benjamin schwiegen. Allans dunkle Augen weiteten sich vor Angst, als Moping ihn mit seinem stechenden Blick ansah. „Ihr, Master Baker? Sehr enttäuschend!" Moping hüstelte und öffnete ein kleines schwarzes Büchlein, das er stets bei sich trug, um etwas hinein zu schreiben.

    „Ersetze blöden Stuhl", sagte Wladimir verächtlich.

    Moping, der Blut geleckt hatte, ließ so leicht nicht locker.

    „Das werdet Ihr sowieso müssen, Master Tatajew. Dennoch sind tätliche Auseinandersetzungen unter den Schülern strengstens verboten. Das ist Euch jedenfalls bekannt. Ihr werdet um eine Bestrafung nicht herum kommen, Master." Moping versuchte, möglichst streng aufzutreten und sich eine gewisse Autorität zu verschaffen, was außerordentlich lächerlich wirkte.

    Aber Wladimir trat völlig unbeeindruckt zu ihm heran und knurrte ihm aus imposanter Höhe ins Gesicht: „Wenn du mich nur mit Fingerspitze anrührst, ich breche dir Genick."

    Moping ließ vor Schreck fast sein Büchlein fallen. „Das ist ja … das ist ja ungeheuerlich! Das soll Direktor Stirling erfahren. Der wird Euch schon Bescheid geben! Auf mein Wort. So etwas ist mir noch nicht passiert. Vor Entrüstung zitternd, drehte er sich zu den anderen. Sein Ansehen stand auf dem Spiel: „Wer außer Master Allan war noch in die Rauferei verwickelt?

    Richard sah, wie Allan nach der Hand von Evellynn tastete und sie voller Angst zu quetschen begann.

    „Verzeihung, Master Moping, dies war wohl ein Missverständnis, für das ich die Verantwortung trage. Richard deutete eine Verbeugung vor Moping an und fuhr erklärend fort: „Master Tatajew war am Schreibtisch eingeschlafen, und ich klopfte ihm unüberlegt auf die Schulter, um mich ihm vorzustellen. Da erschrak er, als er einen völlig Fremden in seinem Zimmer sah. Er musste mich für einen Eindringling halten. Na ja, man muss schließlich auch die Sitten bedenken, die in Russland herrschen, Master Moping. Sicherlich unterscheiden sie sich wesentlich von denen in unserem kultivierten England. Die jungen Herren waren so freundlich, zu meiner Verteidigung herbeizueilen. Dabei zeigte Richard auf die zerbeulten Anwesenden.

    Wladimir grinste. Als würde er vor einem Eindringling erschrecken!

    Moping fühlte sich in seiner Eigenschaft als Kapitän ernst genommen und geschmeichelt.

    „Nun ja, Eure Lordschaft, das ist natürlich etwas anderes. Aber die Frechheit dieses … dieses Lümmels muss ich trotzdem melden. Unerhört. Und Master Baker war nicht an dem Überfall beteiligt?" Moping sah bedauernd auf das verängstigte Engelsgesicht. Zu schade!

    „Oh Gott, nein. Master Baker betrat erst kurz vor Euch das Zimmer." Richard machte eine kleine, höfliche Verbeugung.

    „Na gut. Bis heute Abend ist das hier wieder in Ordnung gebracht." Damit hob Moping die Nase in die Luft und verschwand hinter seiner Zimmertür.

    Evellynn, der Waliser, schlug Richard freundschaftlich auf die Schulter: „Hast du gut gemacht, Richard. Scheinst gar nicht so übel zu sein … für einen Engländer."

    Die Zeit verging schnell und bald rief die Kapellenglocke zur 6 Uhr-Andacht. Alle Schüler von Barrowhill strömten zu dem kleinen grauen Steinhaus mit dem spitzen Glockenturm. Nur Allan und Wladimir, die einzigen Katholiken, waren von der Andacht in der anglikanischen Kirche befreit, ebenso vom Religionsunterricht. Die Plätze waren festgelegt. Die Abschlussklasse des Hauses Nr. 6 hatte die vordersten Plätze, die Jüngsten, Haus Nr. 1, mussten ganz hinten sitzen. Wieder versuchte Moping sich hervorzutun, indem er ein besonders andächtiges Gesicht machte, was ziemlich witzig aussah. Mehrfach seufzte er vor lauter Andächtigkeit. Von den hinteren Plätzen wurde dieses Verhalten mit Kichern quittiert.

    Nach der Andacht, um sieben Uhr, versammelte man sich in der großen Halle zum gemeinsamen Abendessen. Jedes Haus hatte eine eigene lange Tafel, die weiß gedeckt war und von einem Hausmädchen bedient wurde, das, mit weißem Häubchen und Schürze ausgestattet, schnell und gekonnt das Essen servierte. Wasserkrüge auf dem Tisch, Brotkörbe und rotwangige Äpfel als Nachspeise vervollständigten das Essen. Direktor Stirling sprach laut das Tischgebet. Dann fügte er in Richtung Tisch Nr. 6 hinzu: „Master Tatajew, Ihr meldet Euch nach dem Dinner in meinem Arbeitszimmer." Dann nahm er im Nebenzimmer mit den anderen Lehrern Platz. Jeder der Anwesenden wusste, was diese Art der Einladung bedeutete. Moping grinste schadenfroh, ging aber gleich wieder zu seiner scheinheiligen Miene über.

    Richard saß neben Danny. Der dicke Junge fragte seinen neuen Nachbarn: „Wie sieht’s bei dir aus mit Latein? Oder Griechisch?"

    Richard nickte: „Gut sieht’s aus. Mit Mathematik steh ich allerdings auf dem Kriegsfuß."

    Wladimir, der in der Nähe saß, sagte mit tiefer Stimme: „Wenn du willst, ich kann helfen. Mathematik ist Lieblingsfach von mir."

    „Gentlemen, bitte nicht ganz so laut! Wir sind hier nicht auf dem Wochenmarkt von Fishgard", näselte Moping.

    Evellynn wollte wie von der Tarantel gestochen aufspringen, aber Allan hielt ihn krampfhaft am Arm fest. „Lass dich nicht provozieren. Achte nicht auf ihn, querido. Du weißt, was er will." Man hörte den jungen Waliser mit den Zähnen knirschen. Richard, der keine Ahnung hatte, fragte leise Danny.

    „Ach, Evee und Allan sind aus Fishgard. Die Ratte weiß das. Der hat immer was zu meckern."

    „Wenn ihr beide aus Fishgard stammt, dann seid ihr womöglich Nachbarn, zu Hause?"

    Allan und Evellynn sahen sich an und fingen beide zu kichern an. „Mensch, Richard, Evellynn hätte sich fast verschluckt, „wir wohnen zusammen. Unsere Väter waren die besten Freunde. Als Mr. Baker in Spanien fiel, hat mein Vater Mrs. Baker und Allan gebeten, zu uns zu ziehen. Du musst wissen, dass sie Spanierin ist und eine ganze Menge toller Sachen kann: Sie spielt Klavier und Gitarre, kann wundervoll sticken und all so einen Weiberkram. Sie ist als Gesellschafterin für meine Mutter und meine Schwestern bei uns. In Fishgard gibt es die Werft und Schifffahrtslinie meiner Familie, aber dann ist auch schon Ende. Ziemlich langweiliger Ort. Meine Mutter ist sehr froh um ihre Gesellschaft.

    Allan fügte leise hinzu: „Eigentlich bin ich nur mitgeschickt worden, weil Evellynns Mutter Angst hatte, er würde Heimweh bekommen, so weit weg von zu Hause. Aber in Wahrheit ist es umgekehrt: Evellynn musste immer mich trösten. Er ist viel mutiger als ich. Stimmt’s, querido?"

    Allans Madonnengesicht wurde noch sanfter, als er Evellynn zärtlich ansah. Der junge Waliser, sonst eher ruppig, warf einen kurzen Blick auf Allan, der fast eine Liebkosung war. Unter dem Tisch fasste er nach der schmalen Hand, die schon ungeduldig wartete.

    „Allan, kann ich haben dein Rindfleisch? Ich dir geben dafür Gemise."

    Wladimir wartete einen günstigen Augenblick ab und der Tausch ging von Moping unbemerkt vonstatten.

    Evellynn brummte: „Der alte John wird dich heute Abend schön in die Mangel nehmen, Wladimir. Vielleicht kannst du ihn herumkriegen. Manchmal lässt er mit sich reden. Ist gar nicht so übel, unser Stirling."

    Der junge Russe zuckte mit den Schultern und sagte etwas auf Russisch, was natürlich keiner verstand.

    Nach dem Abendessen trollten sich die meisten Schüler in ihre Häuser, jeder in sein Zimmer. Auf manche warteten noch die Hausaufgaben, andere besuchten die Bibliothek im Haupthaus. Wladimir ging zum Arbeitszimmer von Direktor Stirling. Die dunkle Eichentür war nur angelehnt. Trotzdem klopfte Wladimir höflich an, bevor er eintrat. Stirling saß hinter seinem schweren Schreibtisch, tief über einige Papiere gebeugt, die sich darauf türmten. Die Petroleumlampe erhellte das Zimmer nicht wirklich. Es blieb dunkel und düster. Stirling sah auf. „Ach, Master Tatajew. Schließt die Tür!"

    Wladimir gehorchte. Dann blieb er vor dem Schreibtisch stehen, die Hände im Rücken übereinander gelegt. Die semmelblonden Haare wurden im Nacken von einem Samtband gehalten, eine stattliche Gestalt mit sympathischem Lächeln, offen und ohne Falsch. Genauso musste es auch der alte Stirling empfinden, denn er lehnte sich bequem in seinem Ledersessel zurück und schüttelte bedauernd den Kopf.

    „Master Tatajew, ist es nötig, dass Ihr mir zur Bestrafung überstellt werdet? In Eurem Alter? Was habt Ihr Euch bei der Sache gedacht? Ihr hättet klüger sein sollen. Sprecht, wie kam es zu diesen unbedachten Worten?"

    Wladimir war durchaus nicht eingeschüchtert wie manch anderer seiner Mitschüler, wenn er dem

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