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Lügen lügen nicht
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eBook382 Seiten5 Stunden

Lügen lügen nicht

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Über dieses E-Book

Exzessiv, luxuriös, sorglos.
Das Leben von Orasia ist perfekt. Die Achtzehnjährige ist reich, beliebt und attraktiv. Sie kann sich alles kaufen, was sie will und sie kann tun, was sie will.
Doch ein Schicksalsschlag stellt ihr ganzes Leben auf den Kopf und sie muss sich fragen, ob Geld wirklich alles ist, was zählt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Sept. 2023
ISBN9783384012111
Lügen lügen nicht
Autor

Nina M. Dorman

Nina M. Dorman ist eine deutsche Autorin. Schon in ihrer Kindheit schrieb sie Geschichten und hat seitdem einige Kurzgeschichten und zwei Romane veröffentlicht. In ihrem Roman >Lügen lügen nicht< schreibt sie über den Prozess des Erwachsenwerdens, wie ihn jeder auf die eine oder andere Weise erlebt.

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    Buchvorschau

    Lügen lügen nicht - Nina M. Dorman

    Teil 1

    Mit quietschenden Reifen und der Musik auf voller Lautstärke biegt Orasia auf den Parkplatz der Privatschule ein. Der rubinrote Lack ihres Mercedes Cabrio blitzt in der Morgensonne und der Wagen hüpft leicht auf und ab, als die Räder viel zu schnell über den abgesenkten Bordstein fahren.

    Es ist der erste schöne Tag seit langem. Nach einem ungewöhnlich warmen Frühling waren die ersten Sommermonate eher regnerisch und kühl gewesen. Doch heute ist es bereits um acht Uhr morgens warm genug, um das Cabrio ohne Verdeck zu fahren und für den Nachmittag wurden um die dreißig Grad und strahlender Sonnenschein angekündigt. Perfektes Wetter, um sich an den Pool zu legen und sich ein bisschen zu bräunen.

    Orasia hätte heute liebend gern die Schule geschwänzt und schon am Morgen mit dem Sonnenbaden begonnen, aber ihre Eltern hatten sie in einem plötzlichen Anflug von elterlichem Pflichtbewusstsein dazu überredet, doch wenigstens für ein paar Stunden in die Schule zu fahren.

    Kaum hält Orasia in ihrer Parklücke, ist ihr Auto auch schon von Schülerinnen umringt. Einige jüngere Mädchen stehen wie jeden Morgen bereits seit über einer halben Stunde hier Wache, um zu verhindern, dass jemand anderes Orasias Parkplatz besetzt. Auch wenn spätestens seit dem letzten Vorfall ohnehin niemand mehr auf diese Idee kommen würde.

    Vor ein paar Monaten, am ersten Schultag nach den Osterferien, hatte ein neuer Referendar mangels besseren Wissens seinen Wagen aus Versehen auf Orasias Parkplatz abgestellt. Orasia hatte daraufhin einen mittelschweren Wutanfall bekommen und das im Weg stehende Auto kurzerhand mehr oder weniger zu Kleinholz zerlegt. Da niemand darauf erpicht ist, diese Wut ebenfalls zu spüren zu bekommen, bleibt der Parkplatz, der dem Haupteingang der Schule am nächsten ist, seitdem immer frei.

    Orasia schiebt ihre große, getönte Designersonnenbrille mit dem Zeigefinger ein Stück herunter, sodass sie über ihren Rand sehen kann, und ihre grünen Augen bleiben für eine Sekunde an einem der Mädchen hängen. Sie wirft ihm ihre Schultasche zu und dieses fängt sie strahlend auf, glücklich sie tragen zu dürfen. Dann öffnet Orasia schwungvoll die Autotür, ohne darauf zu achten, dass sie eines der anderen umstehenden Mädchen damit so schmerzhaft am Schienbein trifft, dass dieses in die Knie geht, und steigt aus.

    Sofort richten sich alle Blicke auf Orasias Outfit, schwarze High Heels und ein grünes, figurbetontes Sommerkleid mit einem tiefen Rückenausschnitt, dessen Farbe zu ihren Augen passt. Sie trägt immer die neusten, teuersten und angesagtesten Klamotten und ist für viele Mädchen ein Vorbild in Sachen Mode. Alle wollen sie aussehen wie sie und sein wie sie. Oder zumindest von ihr gemocht werden. Denn manchmal, wenn sie sich besonders großzügig fühlt, verschenkt Orasia eines ihrer alten Kleider oder ein Paar Schuhe, das sie nicht mehr trägt.

    Während Orasia bereits mit großen Schritten über den Parkplatz Richtung Schulgebäude stolziert und dabei wirkt, als würde sie gerade eine Modenschau laufen, beschäftigen sich einige der Schülerinnen noch immer mit ihrem Auto. Sie schließen das Verdeck und streiten sich darum, wer von ihnen den Schlüssel bekommt, um ihn Orasia nach Schulende wieder überreichen zu dürfen. Der Rest der Gruppe läuft aufgeregt kichernd und flüsternd in einigem Abstand hinter ihr her.

    Orasia steckt sich die Sonnenbrille in ihr langes, gelocktes Haar und trifft auf den Stufen vor dem Haupteingang auf ihre beiden besten Freundinnen, die Zwillinge Natascha und Sabrina, die wie Orasia aus einem sehr reichen Elternhaus stammen. Die drei küssen sich zur Begrüßung auf die Wangen und betreten dann gemeinsam die Schule. Orasia macht mit einer Hand eine Geste über ihre Schulter und die Gruppe von Mädchen hinter ihr zerstreut sich. Niemand will sie verärgern. Auf dem Schulhof duldet sie diese Art der Aufmerksamkeit, doch ansonsten hat sie es nicht gern, verfolgt zu werden. Die Einzige, die jetzt noch hinter ihr gehen darf, während sie durch die Flure läuft, ist das Mädchen, das ihre Tasche trägt. Sie hält sich einige Meter hinter den drei Freundinnen und folgt ihnen so unauffällig wie möglich bis zum Klassenraum.

    Auf der Privatschule, die Orasia besucht, gibt es zwei Arten von Schülern. Orasia unterteilt sie ganz einfach in Reiche und Stipendiaten. Letztere kann sie nicht leiden. Nachdem ihre Eltern der Schule einen Haufen Geld gespendet haben, hat die Schulleitung sogar persönlich dafür gesorgt, dass keiner von ihnen einen Kurs gemeinsam mit Orasia hat.

    Fordernd streckt Orasia die Hand aus, als sie ihren Klassenraum erreicht und schnippt ungeduldig mit den Fingern. Sofort hastet das Mädchen zu ihr und gibt ihr den Riemen der Tasche in die Hand. Sie öffnet den Mund und setzt zu einer Frage an, aber Natascha würgt sie ab, bevor sie auch nur ein Wort herausbringen kann.

    „Pscht", zischt sie.

    Der Blick, mit dem sie das Mädchen dabei ansieht sagt deutlich, dass jemand, der für Orasia nur die Tasche trägt, es nicht wert ist, ein Gespräch mit ihr zu führen. Enttäuscht blickt das Mädchen zu Boden und schleicht davon.

    Orasia braucht die vielen Mädchen, die sie vergöttern. Sie steigern ihr Ansehen und auch ihr Selbstbewusstsein. Dennoch sieht sie sie nicht als gleichwertige Menschen an. Sie würde sie niemals mit dem gleichen Respekt behandeln wie ihre Freunde.

    Im Klassenzimmer wurden die Tische bereits einzeln in mehreren Reihen aufgestellt. Orasia wählt sich einen Tisch in der Mitte des Raumes aus, lässt ihre Tasche darauf fallen und setzt sich. Sabrina kommt herbei und befestigt das übliche Schild an die Vorderseite von Orasias Tisch - eine aus Gold gefertigte Plakette, etwa so groß wie ein Schulheft, in die das Wort Queen graviert wurde. Orasia lächelt zufrieden und zieht einen kleinen Spiegel hervor, um ihre Frisur zu prüfen. Ihre dunkelbraunen Haare fallen ihr in perfekten Wellen über die Schultern. Nicht ein einziges Härchen, das aus der Reihe tanzt. Dennoch holt sie eine Flasche Haarspray aus ihrer Tasche und sprüht so viel von deren Inhalt auf ihre Haare, dass das Mädchen am Tisch hinter ihr in dem klebrigen, süßlich duftenden Nebel zu ersticken droht. Orasia wirft noch einen kurzen Blick auf den sanften Lidschatten, der ihre schönen, mandelförmigen Augen noch größer wirken lässt, und tupft noch etwas mehr Lippenstift auf ihre bronzefarben geschminkten Lippen.

    „Guten Morgen meine Damen und Herren, bitte setzen Sie sich."

    Der Lehrer kommt herein, in der Hand einen Stapel Papier. Ohne seine Anwesenheit sonderlich zu beachten, steckt Orasia langsam ihren Spiegel weg und schiebt sich einen Kaugummi in den Mund. Erst dann widmet sie ihre Aufmerksamkeit halbherzig der Matheklausur, die der Lehrer vor den Schülern auf den Tischen verteilt.

    „Sie haben vier Stunden Zeit, verkündet er, als jeder Schüler eine Klausur vor sich liegen hat, und setzt sich hinter sein Pult. „Sie dürfen anfangen. Viel Erfolg.

    Alle Schüler greifen zu ihren Stiften und beginnen, hektisch auf ihre Klausuren zu kritzeln oder etwas in ihre Taschenrechner zu tippen. Orasia dagegen blickt kurz zu ihrem Sitznachbarn hinüber und wirft ihm einen fragenden Blick zu. Er nickt in stiller Zustimmung und sie lehnt sich entspannt zurück. Sie gibt sich nicht einmal Mühe, so zu tun als würde sie versuchen, die Aufgaben zu lösen. Während ihre Mitschüler angestrengt über der Klausur brüten, guckt sie gelangweilt aus dem Fenster, kaut ihren Kaugummi und lässt immer wieder geräuschvoll große, pinke Blasen vor ihrem Mund zerplatzen. Draußen auf dem Rasenplatz kann sie eine andere Schulklasse beobachten, die im Sportunterricht Fußball spielt.

    Nach einiger Zeit hebt ihr Lehrer den Kopf, sieht sie geradewegs an und räuspert sich. Orasia starrt ungerührt zurück.

    „Fräulein Harrison, wenn Sie schon meinen es nicht nötig zu haben, Ihre Aufgaben selbst zu bearbeiten und Ihnen die Vorbereitung aufs Abitur scheinbar nicht so wichtig ist, möchte ich Sie doch bitten, wenigstens Ihre Mitschüler nicht zu stören und Ihren Kaugummi zu entfernen."

    Orasia schenkt ihm ein vermeintlich freundliches Lächeln.

    „Natürlich, Herr Münzer, sagt sie zuckersüß. „Ich nehme gerne mein Kaugummi raus. Aber setzen Sie dann auch Ihre furchtbare Perücke ab? Meine Mitschüler fühlen sich dadurch ebenfalls gestört.

    Die Klasse prustet los, während Herr Münzer beschämt zu Boden sieht und versucht, seinen gesamten Kopf inklusive Toupet hinter seinem Mathebuch zu verstecken, was ihm natürlich nicht gelingt. Orasia lächelt triumphierend und richtet ihren Blick dann wieder aus dem Fenster.

    Nach etwa der Hälfte der Zeit reicht Orasias Sitznachbar ihr eine fertige Klausur, wofür sie ihm den leeren Bogen zurückgibt, der vor ihr liegt. Während er sich erneut ans Rechnen macht, steht sie auf, packt unüberhörbar laut ihre Sachen in ihre Tasche und geht nach vorne zum Lehrerpult, um die Arbeit abzugeben. Herr Münzer streckt die Hand danach aus, doch Orasia wirft die Blätter unachtsam vor ihm auf den Tisch, nimmt stattdessen mit zwei Fingern ihr Kaugummi aus dem Mund und drückt es dem Lehrer in die geöffnete Hand. Dann grinst sie breit, wirft ihre Haare zurück und stolziert, ohne irgendjemanden noch eines weiteren Blickes zu würdigen, aus dem Raum und lässt die Tür mit einem Knall hinter sich zufallen.

    „Ich gehe davon aus, es ist es gut gelaufen, Jona?", fragt Orasia in der Pause ihren Sitznachbarn aus Mathe.

    Er grinst.

    „Du weißt doch, dass ich ein Mathegenie bin! Das sollte eine eins für uns beide werden."

    Orasia nickt zufrieden.

    „Du kennst den Deal. Was willst du haben? Geld oder ein Date?", fragt sie.

    „Geld habe ich selbst", gibt er trocken zurück.

    Natascha öffnet den Mund und will zweifellos verkünden, dass Orasia eindeutig mehr Geld hat, aber Orasia fährt dazwischen, bevor ihre Freundin etwas sagen kann.

    „Halt die Klappe, Tascha. Hol uns lieber was zu essen."

    Sie drückt ihr einen Zehn-Euro-Schein in die Hand und Natascha verschwindet gemeinsam mit ihrer Schwester in Richtung Kiosk. Orasia bleibt mit Jona allein zurück und schließt für einen Moment die Augen. Sie sitzen an einem der runden Holztische auf dem Schulhof in der Sonne, die mittlerweile schon ziemlich heiß vom Himmel brennt. Mehrere andere Schüler schauen interessiert zu ihnen hinüber, wagen es jedoch nicht, näherzukommen.

    „Dann ist es also das Date", schließt Orasia das Thema.

    „Ich hol dich heute Abend gegen sieben ab", erwidert Jona und Orasia nickt zustimmend.

    „Warum bist du eigentlich noch hier, Orasia?, mischt sich Sabrina ein, die soeben zurückgekehrt ist und sich neben diese auf die Bank gesetzt hat. „Du hättest doch schon längst nach Hause fahren können. Die Klausur ist seit zwei Stunden für dich gelaufen und den Rest des Tages haben wir nur langweiligen Kram.

    „Du tust ja grade so, als würde ich nur zu den Klausuren in die Schule kommen, erwidert Orasia entrüstet und nimmt einen Donut entgegen, den Natascha ihr hinhält. „Du vergisst, dass wir gleich Musik haben. Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen!

    Sie zwinkert Sabrina zu, grinst und beißt von ihrem Donut ab. Eine dünne Schicht Zucker bleibt an ihren Lippen kleben. Jona tut, als hätte er ihren Kommentar überhört. Auch wenn er heute ein Date mit Orasia hat, weiß er, dass das nichts zu bedeuten hat. Das macht sie jedem von Anfang an klar. Ein Date mit ihr ist stets eine einmalige Sache, nichts weiter. Da ist kein Platz für Gefühle oder Eifersucht.

    Seit einiger Zeit hat die Schule einen neuen, jungen und sehr attraktiven Musiklehrer. Und seit er zum ersten Mal vor die Klasse getreten ist, hat Orasia es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu verführen. Eigentlich ist es eine ihrer leichtesten Übungen, Männer mit ihrem Charme und ihrem Aussehen um den Finger zu wickeln, aber der Musiklehrer hat sich davon bisher wenig beeindrucken lassen. Vor allem, da es ihm so gar nicht passt, dass Orasia von den anderen Lehrern gute Noten bekommt, obwohl sie nichts tut, um diese zu verdienen. Und das lässt er sie spüren.

    Aber eine Herausforderung wie diese ist ihr durchaus willkommen. Dafür nimmt sie es sogar in Kauf, zwei Stunden in der Schule warten zu müssen und strengt sich selbst in seinem Unterricht freiwillig an. Orasia liebt solche Spiele. Sie sind ihr bei weitem wichtiger als die Schule. Die Manipulation von Menschen, vor allem Männern, Feiern und Shoppen gehen, sind ihr liebster Zeitvertreib. Wenn sie sich mal in der Schule blicken lässt, dann weniger um etwas zu lernen, als um eine gute Zeit mit ihren Freundinnen zu haben, sich bewundern zu lassen oder sich ein neues Opfer für ihre Spielchen zu suchen.

    Würde sie nur ein wenig der Zeit, die sie in Clubs, Boutiquen oder mit Männern verbringt ins Lernen investieren, bräuchte sie niemanden, der ihre Klausuren für sie schreibt. Orasia ist keinesfalls dumm. Sie ist lediglich sehr bequem. Sie hat noch nie eingesehen, warum sie sich selbst anstrengen sollte, wenn sie auch andere dafür bezahlen kann, es für sie zu tun? Bis auf den Musiklehrer lassen ihr das alle Lehrer durchgehen und ihre Eltern kümmert es meistens nicht, was Orasia tut oder nicht tut. Mit Hilfe eines Schecks verschwinden die Stunden, die Orasia versäumt ganz schnell wieder von den Zeugnissen. Ebenso wie ein paar Geldscheine auch die Noten aufpolieren können. Ihr Abitur schafft sie so oder so. Solange sie sich ab und zu in der Schule blicken lässt und ihre Schulpflicht erfüllt und ihre Eltern weiterhin großzügige Spenden an die Schule machen, schauen alle weg.

    Es klingelt zum Pausenende. Jona verabschiedet sich mit den Worten „Bis heute Abend" und geht zu seinem nächsten Kurs, während Orasia mit den Zwillingen zum Musikraum schlendert. Sie setzt sich an den Tisch direkt vorm Lehrerpult, wo sie in diesem Kurs immer sitzt, seit der neue Lehrer da ist. Sabrina und Natascha nehmen neben ihr Platz. Auch sie haben einen Crush auf den Lehrer, vielleicht sogar noch mehr als Orasia, würden es jedoch niemals wagen, ihn ihr streitig zu machen. Orasia wirft erneut einen prüfenden Blick in den Spiegel, doch an ihrer Schönheit hat sich seit dem letzten Check nichts geändert.

    Herr Paul lässt lange auf sich warten. Schließlich kommt der Schulleiter herein und verkündet, dass Herr Paul krank sei und die Stunden ausfallen. Orasia zieht eine wütende Grimasse und steht auf.

    „Und das fällt Ihnen erst jetzt auf?", blafft sie.

    Der Schulleiter entschuldigt sich sofort überschwänglich. Auch wenn Orasia sich ihm gegenüber nicht gerade respektvoll verhält, macht er gute Miene zum bösen Spiel. Die Schule könnte es sich nicht leisten, mit Orasias Eltern die größten und großzügigsten Geldgeber zu verlieren.

    Ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick zum Schulleiter verlässt Orasia als erste den Raum. Zornig, dass sie so viel unnütze Zeit in der Schule verbracht hat.

    Erst auf dem Schulhof bleibt sie stehen und ruft laut:

    „Schlüssel!"

    Die Fenster vieler Klassenzimmer sind auf den Schulhof gerichtet und bei den sommerlichen Temperaturen zum Glück geöffnet, sodass ihr Rufen sofort gehört wird. Von draußen ist zu vernehmen, wie in einem der Klassenzimmer lautstark ein Stuhl über den Boden kratzt, Füße hektisch trampelnd zur Klassentür laufen und diese kurz darauf zuknallt. Nur wenig später kommt ein Mädchen keuchend und außer Atem auf den Schulhof gestolpert und bleibt vor Orasia stehen.

    „Hier ist dein Schlüssel, Orasia, bringt sie hervor. „Soll ich dir dein Auto vorfahren?

    Das Mädchen will schon zum Parkplatz eilen, aber Orasia reißt ihr die Schlüssel aus der Hand und faucht:

    „Schon gut, ich mach das selbst."

    Beim Zurücksetzen aus ihrer Parklücke fährt sie beinahe eine Macke in einen anderen Wagen, bremst aber gerade noch rechtzeitig, legt den Vorwärtsgang ein und rast mit quietschenden Reifen und laut dröhnender Musik vom Schulparkplatz.

    Unterwegs beruhigt sie sich langsam wieder. Orasia ist es gewohnt, dass die Dinge genau so laufen, wie sie es will. Wenn das nicht passiert wird sie schnell ungehalten und launisch.

    Sie fährt das Verdeck des Cabrios wieder herunter und der lauwarme Wind lässt ihre Haare hinter ihr her wehen, während sie über eine Landstraße fährt, auf deren Asphalt sich einzelne Streifen Sonnenlicht mit den Schatten abwechseln, die die hohen Bäume zu beiden Seiten der Straße werfen.

    Das Display im Armaturenbrett leuchtet auf, zeigt einen eingehenden Anruf von Natascha an und unterbricht damit die Musik. Orasia drückt auf den Knopf der Freisprechanlage.

    „Süße, alles in Ordnung?", fragt Nataschas Stimme sofort.

    „Jaja, winkt Orasia ab. „Ich war nur sauer, dass der blöde Typ nicht gekommen ist. Heute hätte ich ihn rumgekriegt, sagt sie überzeugt.

    „Das wird schon noch", versucht Natascha sie aufzumuntern.

    „Natürlich wird das noch, Tascha!, faucht Orasia. „Jeder Mann erliegt früher oder später meinem Charme.

    Es bleibt kurz still.

    „Heute Abend ist erstmal dein Date mit Jona", gibt Natascha schließlich zu bedenken.

    „Jona ist ein Idiot", tut Orasia ab und tritt auf die Bremse, um an einer roten Ampel zu halten.

    „Ich dachte du magst ihn… Ich finde ihn ziemlich süß", sagt Natascha leise.

    „Tascha!, sagt Orasia streng. „Hast du unseren Grundsatz vergessen? Jungs sind nicht süß. Sie sind Idioten, die uns nur ausnutzen. Also machen wir dasselbe mit ihnen!

    Natascha nuschelt etwas Unverständliches. Auf der Linksabbiegerspur neben Orasia hält ein weiteres Auto an der Ampel an.

    „Tascha, ich lege jetzt auf. Ich stehe an der Ampel und im Auto neben mir sitzt ein total süßer Typ! Komm doch mit Sabrina gleich vorbei, wir können am Pool chillen", sagt sie, laut genug, dass der junge Mann zu ihr herübersieht.

    Orasia schenkt ihn ein strahlendes Lächeln.

    „Ich dachte, Typen sind nicht …", beginnt Natascha verwirrt.

    Orasia drückt rasch das Gespräch weg, streicht ihre Haare zurecht, die vom Wind zerzaust sind, und lächelt dem Typen erneut zu, wobei ihre perlweißen Zähne so hell leuchten, als würde sie Werbung für eine Zahnpastamarke machen.

    Orasia fährt die lange, gewundene Auffahrt zu dem Anwesen hinauf, in dem sie mit ihren Eltern lebt. Der Kiesweg ist auf beiden Seiten von dichten, grünen Hecken gesäumt, hinter denen sich ein parkähnlicher Garten erstreckt. Die kleinen Steinchen knirschen unter ihren Reifen und spritzen zu beiden Seiten davon.

    Sie parkt ihren Mercedes auf dem großen Vorplatz, in dessen Mitte eine eindrucksvolle Steinstatue nachdenklich in den Himmel schaut, und steigt aus. Zügigen Schrittes betritt sie die imposante Villa, in der problemlos eine ganze Fußballmannschaft komfortabel leben könnte. Das Geräusch ihrer Absätze auf dem Fußboden hallt von den hohen Decken und Wänden der Eingangshalle wider. Die Haushälterin Carla, eine kleine, liebenswürdige Frau mit einem runden, freundlichen Gesicht, kommt ihr entgegen.

    „Orasia, Liebes. Ist die Schule schon aus?", fragt sie mit starkem, spanischem Akzent.

    Orasia nickt.

    „Carla, ich habe ein paar Freunde eingeladen. Wir wollen uns bei dem schönen Wetter ein bisschen an den Pool legen. Würdest du uns ein paar Cocktails und Snacks fertig machen?", fragt sie freundlich.

    Carla lächelt liebevoll.

    „Natürlich, meine Kleine."

    Orasia gibt ihr einen Kuss auf die Wange.

    „Danke, du bist die Beste! Ich gehe mich kurz umziehen."

    Schon läuft sie die lange, gewundene Marmortreppe empor ins Obergeschoss, folgt einem langen Flur bis zur vorletzten Tür auf der linken Seite und betritt ihr Ankleidezimmer. An jeder der vier Wände hängen an Kleiderstangen farblich sortiert Unmengen an Kleidern, Hosen, Jacken, Röcken, Pullovern und anderen Oberteilen. In einem hohen Regal, das bis zur Decke reicht, sind einige besonders schöne und teure Schuhe ausgestellt und in der Mitte des Raumes, in einer großen quadratischen Kommode mit Schubladen an allen Seiten, befinden sich Wäsche und Bikinis. Durch eine dicke Glasscheibe kann man außerdem auf eine Auswahl an Schmuck und andere Accessoires in den obersten Schubladen hinabschauen.

    Orasia öffnet eine der unteren Schubladen, in der Bikinis und Badeanzüge in allen Formen und Farben liegen, wählt einen cremeweißen Bikini mit Triangel-Top aus, zieht dazu ein paar neue High Heels an und kehrt ins Erdgeschoss zurück.

    Im Garten hat Carla bereits ein paar Liegen mit Handtüchern und einen großen, weißen Sonnenschirm an den Pool gerückt. Die Mittagssonne ist herrlich warm und das Wasser in dem riesigen Becken strahlt hellblau und glitzert einladend.

    Orasia liegt noch keine halbe Stunde in der Sonne, als auch schon ihre Gäste eintreffen. Wie auch die meisten anderen Kleidungsstücke, tragen Natascha und Sabrina auch ihre Bikinis im Partnerlook. Diesmal im Leopardenmuster.

    Fünf Minuten nach den Zwillingen kommt der Typ, den Orasia an der Ampel getroffen und spontan eingeladen hat, über die hellen Marmorfliesen der Terrasse geschlendert, die nahtlos in die Verfliesung des rechteckigen, langgezogenen Pools übergehen. Er trägt lediglich eine dunkelblaue Badehose und zeigt darüber seinen gut trainierten Oberkörper. Er hat zwei Freunde mitgebracht, die nicht schlecht staunen, als sie die Villa, den Pool und den riesigen Garten sehen. Im Gegensatz zu den Zwillingen sind sie diesen Anblick noch nicht gewöhnt und auf ihren Gesichtern ist deutlich zu lesen, dass sie auf solch ein Anwesen nicht alle Tage eingeladen werden.

    Viele Besucher, die die Villa zum ersten Mal sehen, sagen, dass das Gebäude mit seinen zahlreichen Zimmern, hohen Decken, riesigen Kronleuchtern, den Säulen und eleganten Möbeln eher einem Schloss aus einem Film als einem normalen Haus ähnelt. Jede Fliese, jedes Gemälde, jede Statue, jedes noch so kleine Detail und die schiere Größe des Grundstücks lassen keinen Zweifel am immensen Reichtum seiner Bewohner.

    Im Sommer kommt fast jeden Tag der Gärtner vorbei, den Orasias Mutter umgehend eingestellt hatte, als sie vor vielen Jahren in das Anwesen gezogen waren. Er hält den Garten in Stand, was bei dessen Größe beinahe ein Fulltime-Job ist. Blumen in allen Farben verwandeln ihn in ein buntes Blütenmeer. Dazwischen erstreckt sich eine riesige Fläche mit kurzgeschnittenem, saftig dunkelgrün leuchtendem Rasen, so groß wie mehrere Fußballfelder. Das gesamte Grundstück wird von einer hohen Hecke und dahinter zusätzlich von einem Zaun umrahmt, der in einem Tor ausläuft, welches nachts geschlossen ist.

    „Wow", sagt der Typ von der Ampel und lässt sich auf die Liege neben Orasia fallen.

    Er stellt sich den anderen Mädchen als Nick und seine Kumpels als Tom und Simon vor.

    „Nick gehört mir, zischt Orasia ihren Freundinnen zu, ohne dass die Jungs es hören können. „Die anderen könnt ihr haben.

    Carla kommt mit einem Tablett mit Cocktails, Schälchen mit verschiedenen Eissorten und diversem frischem Obst aus dem Haus.

    „Dieses Anwesen ist echt der Wahnsinn, Orasia!, stellt Nick fest. „Was arbeiten deine Eltern, wenn ich fragen darf? Oder war deine Familie schon immer reich?

    „Mein Dad ist Softwareentwickler und meine Mutter handelt mit Aktien. Sie sind beide sehr erfolgreich und haben sich das alles selbst erarbeitet!", erzählt sie stolz.

    „Dann sind sie bestimmt selten zu Hause", sagt Nick und sieht sie beinahe mitleidig an.

    „Ja, aber das ist schon okay, entgegnet sie achselzuckend und nimmt sich einen Cocktail und eine Schale mit Eis von dem Tablett, das Carla ihr hinhält. „Dafür kaufen sie mir alles, was ich will. Und ich habe ja Carla und meine Freundinnen, die mir Gesellschaft leisten.

    Sie lächelt zu Carla empor, die auch an die anderen die Getränke und Snacks verteilt und schiebt sich einen vergoldeten, mit Schnörkeln verzierten Löffel mit Stracciatella-Eis in den Mund. Nick zieht die Augenbrauen hoch, als störe ihn etwas an ihrer Aussage, beißt aber statt etwas zu sagen nur in ein Stück Wassermelone und starrt vor sich hin.

    Bis Orasia um sechs Uhr schließlich verkündet, sie müsse sich nun für ihr Date mit Jona umziehen, hat die Gruppe so viele Cocktails geleert, dass Carla mit dem Mixen kaum hinterherkommt. Sowohl Orasia und Nick als auch Sabrina und Tom sind zwischenzeitlich an etwas privatere Orte verschwunden und erst nach längerer Zeit wieder zurückgekehrt. Natascha dagegen sitzt mit Simon am Rand des Pools und die beiden lassen die Beine ins Wasser baumeln, unterhalten sich und scheinen sich sehr gut zu verstehen.

    „Jungs, ihr müsst unbedingt mal wiederkommen, wenn ich eine richtige Party schmeiße!", sagt Orasia noch, bevor sie im Haus verschwindet und mühsam auf ihren High Heels Stufe für Stufe die Treppe zu ihrem Zimmer hochsteigt, sich mit einer Hand krampfhaft am hölzernen Handlauf festkrallend, um nicht zu stürzen.

    Ihr ist ein wenig schwindelig.

    „Liebes, bist du sicher, dass du dich nicht lieber hinlegen willst?, fragt Carla besorgt und eilt hinzu, um ihr zu helfen. „Du kannst ja kaum noch laufen.

    „Das geht schon Carla. Jona fährt ja, verspricht Orasia. „Ich brauche nur ein Glas Wasser oder besser noch einen Kaffee.

    Nach gefühlten fünf Minuten kommt Jona schon hupend auf den Vorplatz der Villa gefahren. Rasch kippt Orasia den zweiten Espresso hinunter und hofft, dass er mehr Wirkung zeigen wird als der erste. Sie steckt sich eine Kreditkarte in die Hosentasche ihrer engen dunkelblauen Jeans, die sie mit einem trägerlosen, schwarzen Top kombiniert hat.

    „Ich haue jetzt ab, Leute!, ruft sie ihren Gästen zu, die gerade im Pool Wasserball spielen. „Bleibt so lange, wie ihr wollt. Fragt Carla, wenn ihr noch etwas braucht. Von mir aus könnt ihr auch hier pennen, aber wartet nicht auf mich. Ich komme vermutlich erst morgen früh wieder.

    Sie zwinkert den Jungs zu und wirft den Mädchen eine Kusshand hinüber. Dann dreht sie sich auf dem Absatz um und geht zu Jona, der aus seinem Wagen gestiegen ist und davor auf sie wartet. Er trägt eine lockere beige Stoffhose, weiße Sneakers und ein weißes Leinenhemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet sind.

    „Jona, du hast dich ja richtig schick gemacht!", stellt Orasia fest.

    Jona antwortet nicht und macht nur ein Gesicht, als wäre er nicht sicher, ob das gerade ein Kompliment oder eine Beleidigung war.

    „Wohin möchtest du fahren?, fragt er, als sie schon einige Zeit unterwegs sind. „Das Übliche?

    „Mir egal. Such du aus."

    Sie lächelt matt.

    „Gute Laune?"

    Jona grinst und meint damit wohl die für sie unübliche Großzügigkeit, mit der sie ihm die Wahl lässt.

    „Betrunken…", gibt sie zurück.

    „Geht es dir gut?, fragt Jona besorgt. „Ich meine, möchtest du trotzdem in ein Restaurant gehen?

    „Jaja, es geht schon", reißt sie sich zusammen und ringt sich ein Lächeln ab, obwohl ihr mehr als übel ist.

    Die vielen Cocktails und die stechende Sonne waren keine gute Kombination. Vielleicht hätte sie doch auf Carla hören und einfach zuhause bleiben und sich ins Bett legen sollen.

    „Bringen wir es hinter uns", sagt sie und gibt sich Mühe, möglichst überzeugt zu klingen.

    „Bringen wir es hinter uns?, wiederholt Jona verdutzt ihre letzten Worte. „Was meinst du?

    „Du weißt schon. Das Übliche halt. Essen gehen, dann fahren wir zu dir und so weiter…"

    „Das ist doch gar nicht so wichtig!", entgegnet er sofort.

    „Nicht?, fragt sie verwirrt. „Aber das ist deine Belohnung. Du schreibst die Klausur für mich, dafür bekommst du ein Date. So ist es doch immer. Also bringen wir es hinter uns. Ich bin ungern jemandem etwas schuldig.

    „Aber dir geht es nicht gut", wirft Jona ein.

    Orasia seufzt.

    „Dann fahr mich bitte nach Hause und ich zahle dich aus, oder wir holen das Date irgendwann nach."

    Mittlerweile ist ihr so übel, dass das Essengehen tatsächlich ein sehr unangenehmes Erlebnis werden könnte. Für alle Beteiligten.

    „Denkst du denn, es geht mir nur darum, mit dir zu schlafen?", fragt Jona ungläubig und hält den Wagen am Straßenrand an, um ihr ins Gesicht sehen zu können.

    „Natürlich! Das ist es doch, was alle von mir wollen. Entweder meinen Körper oder mein Geld."

    „Du musst wirklich ganz schön betrunken sein, dass du so von dir redest."

    Jona lacht bitter. Orasia sieht ihn an, als wäre ihr plötzlich wieder eingefallen, dass sie betrunken ist, reißt die Autotür auf und übergibt sich ins hohe Gras am Straßenrand.

    „Ich fahre dich jetzt zu mir nach Hause, okay?, fragt Jona als sie fertig ist und zieht sie zurück ins Auto. „Das ist näher.

    Orasia sinkt auf dem Sitz zusammen und nickt nur schwach.

    Jona parkt seinen Wagen vor der Garage eines Einfamilienhauses, steigt aus und läuft um das Auto herum, um Orasia zu stützen. Langsam gehen sie nebeneinander den schmalen, gepflasterten Weg bis zur Haustür entlang.

    Drinnen angekommen bringt Jona Orasia direkt in sein Zimmer, legt sie in sein Bett, deckt sie zu und reicht ihr ein Glas Wasser. Dann setzt er sich zu ihr, legt den Arm um sie und fragt:

    „Möchtest du reden?"

    Sie schüttelt den Kopf, wehrt sich aber auch nicht gegen seine Nähe. Also liegen sie einfach nur dort nebeneinander inmitten der Kissen, bis sie beide irgendwann einschlafen.

    Am nächsten Morgen wacht Orasia früh auf. Jona ist trotzdem schon vor ihr wach und scheint ihr beim Schlafen zugesehen zu haben.

    „Guten Morgen, sagt er lächelnd, als sie die Augen öffnet. „Möchtest du Frühstück?

    Orasia sieht ihn nachdenklich an.

    „Bringst du mich bitte nach Hause? Tut mir leid, dass ich gestern Abend so betrunken war. Habe ich irgendetwas Schlimmes gemacht oder gesagt?"

    „Nein, nichts Schlimmes…"

    Sie sieht ihn fragend an.

    „Sondern?"

    „Hast

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