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Platonische Ironie: Der Dialog Theaitetos
Platonische Ironie: Der Dialog Theaitetos
Platonische Ironie: Der Dialog Theaitetos
eBook307 Seiten3 Stunden

Platonische Ironie: Der Dialog Theaitetos

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Über dieses E-Book

PLATON –
heutzutage, 2023, so weithin vergessen oder gänzlich unbekannt wie ein Buch
mit dem Titel Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos aus dem Jahr 1975,
das seinem Namen zu neuem Glanz verhelfen sollte – dieser Platon war, neben
oder sogar noch vor Aristoteles, dem Begründer der europäischen Naturwissenschaft, der bedeutendste Philosoph der griechischen Antike, ohne dessen Einfluss die Geistesgeschichte des Abendlandes einen anderen Verlauf genommen hätte. Zugleich war er, was man in unseren Tagen einen Großschriftsteller nennt, dessen Werke in einmaliger Weise von dem Prinzip einer indirekten Mitteilung, genannt Ironie, geprägt sind. Dieses Prinzip der Ironie hat Platon
von seinem Lehrer Sokrates übernommen und dahingehend abgewandelt, dass nicht länger, wie bei der sprichwörtlichen Ironie des Sokrates, der Gesprächspartner, sondern nunmehr der Leser der platonischen Texte zur Zielscheibe der absichtlichen Täuschung wird. Diese Täuschung wiederum dient dem Zweck, den Leser dazu zu zwingen, sich das, was Platon eigentlich gemeint hat, durch eigenständige Denkarbeit selbst zu erschließen. Die anhaltende Wirkung, die Platons Texte auf die europäische Geistesgeschichte ausgeübt haben, beruht jedoch im Gegenteil darauf, dass sie für bare Münze, also wörtlich genommen worden sind, statt ihren durchgängig ironischen Charakter als Leitfaden des Verständnisses zu nutzen.

DAS BUCH PLATONISCHE IRONIE.
Das Beispiel Theaitetos von 1975 war als der Versuch gedacht, diesem Missstand abzuhelfen und anhand eines einzelnen Dialoges vorzuführen, wie Platon seine indirekte Mitteilung ins Werk gesetzt hat. Heute, 50 Jahre nach der Entstehung des Erstlings, unternimmt der Verfasser einen neuen Anlauf, mit einer leichter, vielleicht sogar vergnüglich lesbaren Version der Textdeutung Platons Kunstfertigkeit ins rechte Licht zu rücken.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum5. Sept. 2023
ISBN9783756854738
Platonische Ironie: Der Dialog Theaitetos
Autor

Dietrich Roloff

Dietrich Roloff, Jahrgang 1934 und seit den achtziger Jahren auf dem Zen-Weg, ist zunächst mit ausführlich kommentierten Übersetzungen der drei großen Koan-Sammlungen Bi-yan-lu, Cong-rong-lu und Wu-men-guan hervorgetreten. Seine Übersetzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie direkt aus der Originalsprache dieser Texte, dem Chinesischen, erfolgt sind. In der Folge hat er zwei weitere Bücher, ZEN – vom Kopf auf die Füße gestellt und ZEN – „Der Duft Hunderter von Blumen“, vorgelegt, um die Bedeutung des chinesischen Chan für ein Zen des 21. Jahrhunderts herauszustellen. Mit seinem neuesten Buch ‚Zen und Zeit‘ finden seine langjährig-einschlägigen Bemühungen ihren Abschluss.

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    Buchvorschau

    Platonische Ironie - Dietrich Roloff

    Rainer Binder

    gewidmet

    ehemals einer meiner ersten Griechisch-Schüler,

    heute, 50 Jahre später,

    ein warmherzig-liebenswerter Freund

    Inhalt

    Längst vergessen – auf Jahre hin der Zeit voraus!

    Das Dilemma eines Großschriftstellers

    Wo liegt das Problem?

    Sokrates und der Kunstgriff der Ironie

    Platon oder Ironie als Herausforderung an den Leser

    Das Dilemma aufgelöst

    Zum Beleg der Dialog Theaitetos

    Fiktiver Dialog – das Raffinement der Unübersichtlichkeit

    Der Ironie über die Schulter geschaut – Platons Spiel mit dem Leser

    Der Faden der Ariadne

    Schwungvoll hinein ins Abenteuer

    Die leere Kammer des Minotaurus

    Gewundener Weg hinaus – in die Aporie

    Schritt für Schritt durchs Labyrinth oder ›Was ist Erkenntnis‹?

    Eine unsinnige Definition und ihre erstaunlichen Konsequenzen

    Die Erfindung einer ›Ontologie der Relativität‹

    Beweise für die Richtigkeit der ›neuen‹ Ontologie

    Protagoras setzt sich zur Wehr, scheinbar erfolgreich

    Ein überraschender Einwand und seine Entkräftung

    »Das darf doch alles nicht wahr sein!«

    Erster Einspruch: Contra ›Jeder einzelne als das Maß aller Dinge‹

    Zweiter Einspruch: Contra ›Erkenntnis ist Wahrnehmung‹

    Dritter Einspruch: Nochmals contra ›Jeder einzelne als das Maß aller Dinge‹

    Ausweitung des Angriffs: Contra die ›Bewegtheit des Seins‹

    Die Gegenposition der ›Alles-Stillsteller‹ – auf Sankt-Nimmerlein verschoben

    Das wohlverdiente Scheitern einer unsinnigen Definition

    »Die zweite Definition ist auch nicht viel besser!«

    ›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung‹ – so lautet Theaitetos’ nächste Hypothese.

    Exkurs zum Gegenteil: Ist irrige Vorstellung überhaupt möglich?

    Auch ›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung‹ zum Scheitern verurteilt

    Die dritte und letzte Definition – »taugt auch sie tatsächlich nichts?«

    Exkurs zu der Frage: Sind auch einfachste Bestandteile erkennbar?

    ›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung samt lógos‹ ebenfalls unhaltbar

    Das vordergründige Scheitern auch der dritten Definition

    ›Coda mit Trugschluss‹ – Eingeständnis der Aporie

    »Was soll uns dieser Dialog, jenseits aller Ironie?«

    Längst vergessen – auf Jahre hin der Zeit voraus!

    Im Jahr 1975 hat der damalige Carl Winter Universitätsverlag Heidelberg ein Buch mit dem Titel Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos veröffentlicht. Dieses Buch sollte anhand eines einzelnen Dialogs nachweisen, in welchem Ausmaß Platons Texte der mittleren und späten Periode seiner Schriftstellerei von einer spezifischen Ironie durchtränkt sind, die – anders als der Sokrates der Frühdialoge seinem jeweiligen Gesprächspartner – vielmehr dem Leser, auch dem heutigen noch, Fallen stellt, ihn auf Holzwege lockt und mit Absurditäten abspeist – all das zu dem Zweck, den Leser zu eigenständigem Denken zu zwingen, wenn er denn herausfinden will, worauf Platon eigentlich hinausgewollt hat.

    Das damalige Buch ist längst vergriffen und hat so gut wie keine Spuren hinterlassen, auf die es immerhin Anspruch zu haben geglaubt hat. Denn es hatte sich zum Ziel gesetzt, einer für die Platon-Interpretation grundlegenden Einsicht zum Durchbruch zu verhelfen: dass gerade die Texte, die sich den Anschein geben, Platons eigene Lehrmeinung zu diesem oder jenem Thema vorzutragen, nicht beim Wort genommen werden dürfen. Wer das dennoch tut und nicht der Versuchung widersteht, im Wortlaut der Texte tragfähige Ergebnisse platonischen Denkens zu sehen, der verfehlt eben das, worum es Platon tatsächlich geht. Denn es ist die Eigentümlichkeit dieser Texte, dass das, was Platon ernsthaft am Herzen liegt, hinter und unter Übertreibungen, Trugschlüssen, Scheinargumenten, Auslassungen, Abschweifungen ins Überflüssige und anderen Arten von Irreführung verborgen liegt. In alldem manifestiert sich ein vielfältiges Spiel mit dem Leser, das ihn an der Nase herumführt und schlimmstenfalls regelrecht betrügt.

    Wir müssen dieses Spiel mit dem Leser jedoch als Einladung verstehen, als die Aufforderung, sich mit dem jeweiligen Text kritisch auseinanderzusetzen: seine Schwachstellen aufzudecken und seine Unzulässigkeiten zu korrigieren, um uns dem anzunähern, was Platon uns stattdessen hat mitteilen wollen. Denn was wir in seinen Texten vor uns haben, nennen wir es nun Betrug oder Täuschung – es steckt keine Bosheit dahinter, wie ein Kierkegaard-Zitat, leicht verkürzt, verdeutlichen mag: ›Aber eine Täuschung, das ist ja ein hässlich Ding. Darauf würde ich antworten: man lasse sich von dem Wort Täuschung nicht täuschen.

    Man kann einen Mensch täuschen über das Wahre, und man kann … einen Menschen hineintäuschen in das Wahre.‹

    Uns darauf einzulassen, bedeutet allerdings, von der liebgewordenen Gewohnheit Abschied zu nehmen, Platons Texte für sakrosankt zu erklären, sie nur mit staunender Verehrung zu behandeln und allenfalls noch behutsam Licht in diese oder jene Dunkelheit zu bringen. Aber kritisch mit ihnen umzuspringen – das scheint auch heute noch ganz und gar verpönt zu sein.

    Hier hat das Buch des Verfassers Abhilfe schaffen wollen; stattdessen ist es, auch wegen mancherlei Mängeln der Darstellung, alsbald in Vergessenheit geraten. Andererseits hat es auch heutzutage noch, fünfzig Jahre nach seinem Entstehen, nichts von seiner ursprünglichen Brisanz verloren. Weil das für den Verfasser Anlass genug ist, nunmehr, gegen Ende seines Lebens, noch einmal mit seiner alten These an die Öffentlichkeit zu treten, hat er die Fassung von 1975 einer kritischen Prüfung unterzogen und dabei, bildlich gesprochen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen müssen: »Was für ein unlesbares Buch!«

    Dieses beschämende Eingeständnis hat ihn genötigt, es nicht bei einer bloßen Neuauflage zu belassen, sondern die ursprüngliche Fassung des Buches gründlich zu überarbeiten, seine offenkundigen Schwächen, namentlich den durchgängigen und ausschließlichen Gebrauch griechischer Termini, zu beseitigen und einen Text zu formulieren, der sich auch für diejenigen Leser, die des Altgriechischen nicht mächtig sind, als lesbar – wenn auch nicht leicht, so doch gut lesbar – erweist. Dabei hat sich überdies herausgestellt, dass der griechische Text des Dialogs einer gründlichen Neu-Interpretation bedurft hat, die, bei dem gegebenen Abstand von 50 Jahren, zugleich auch eine inhaltliche Vertiefung einschließt. Die neue Version ist zudem so gehalten, dass das Buch nunmehr aus sich selbst heraus verständlich ist und seine Lektüre nicht länger des fortwährenden Blicks auf das Original bedarf, und sei es in einer deutschen Übersetzung.

    Für das gegenwärtige Buch gilt daher: Es bietet Dasselbe noch einmal, freilich auf eine Weise, die dem Leser hilfreich entgegenkommt – dabei zugleich um so viel ausgefeilter, dass Dasselbe nicht mehr dasselbe ist. Überdies ist es mit dem Anspruch verbunden, einem nicht gerade geringen Manko, das der ursprünglichen Fassung auch heute noch anhaftet, nunmehr abgeholfen zu haben: Hatte sich Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos von 1975 damit begnügt, die abschließende Aporie, in die Platons Dialog einmündet, aufzulösen, so geht der Verfasser in der neuen Version auch der viel wichtigeren Frage nach, was Platon mit seinem Text denn letztendlich gewollt hat, all den unübersehbaren Fragwürdigkeiten zum Trotz.

    Stichwort Aporie: Einem aufmerksamen Leser könnte auffallen, dass der Verfasser mit der Entscheidung, seine These ausgerechnet am Beispiel des Theaitetos-Dialogs zu erläutern, seine eigene Voraussetzung außer Kraft zu setzen scheint: Dieser Dialog gibt sich gerade nicht den Anschein, Platons Lehrmeinung zum Thema Erkenntnis auszubreiten; im Gegenteil nimmt er das Grundmuster der weit zurückliegenden und zumeist aporetischen Frühdialoge wieder auf, in denen Platon seinen ehemaligen Lehrer Sokrates vornehmlich die Behauptungen zeitgenössischer Sophisten sich in umfassender Ratlosigkeit auflösen lässt. Doch wie sich herausstellen wird, ist die Aporie, in die der Theaitetos einmündet, eine nur scheinbare Aporie, absichtlich herbeigeführt und leicht als nur vermeintliche erkennbar. Außerdem bietet sich gerade der Theaitetos insofern besonders als Beleg für Platons ironischen Umgang mit dem Leser an, als er eine geradezu überreichliche Fülle an Beispielen für die Kunstgriffe enthält, mit denen Platon, um noch einmal Kierkegaard zu zitieren, seine Leser ›in die Wahrheit hineintäuscht‹.

    Kunstwerk, Schelmenstück der Philosophie und Meisterliches Verwirrspiel mit dem Leser – so umschreibt der Verfasser den Titel seines neuen Buches zu seinem alten, unvermindert aktuellen Thema und hofft, mit seinen nunmehrigen, um 50 Jahre verspäteten leichter lesbaren Ausführungen endlich dem Anspruch auf vergnüglich-kritische Lektüre zu genügen, den der platonische Text erst recht an uns Heutige immer noch stellt.

    Das Dilemma eines Großschriftstellers

    oder die

    Paradoxie, angesichts der Untauglichkeit alles Geschriebenen, sich selbst zu erläutern und zu verteidigen, gleichwohl sich veranlasst zu sehen, doch immer wieder Geschriebenes an die Öffentlichkeit zu bringen

    Wo liegt das Problem?

    Gegen Ende seines Dialogs Phaidros – und sozusagen in Abwertung des gesamten voraufgegangenen schriftlich fixierten Textes – lässt Platon, Stephanus-Seiten 275–278 , seinen Lehrer Sokrates, der selbst nie etwas Geschriebenes von sich gegeben hat, eindringlich und spielerisch zugleich darlegen, dass das geschriebene Wort – und das gilt ganz allgemein – sich nicht selbst zu erläutern vermag, weil es dem, der es befragt, immer nur ein und dasselbe, nämlich sich selbst vorzeigt. Andererseits ist ihm die Genauigkeit, einen beliebigen Sachverhalt so restlos mitzuteilen und auf Anhieb so einsichtig zu machen, dass jedes weitere Befragen gar nicht erst nötig wäre, gleichfalls versagt. Beides zusammen aber heißt, dass alles Geschriebene nicht dazu taugt zu belehren, aus dem Stand der Unwissenheit in den des Wissens, des gesicherten, weil auf rückfragender Vergewisserung gegründeten Wissens zu versetzen; es brächte bestenfalls ein bloß vermeintliches Wissen hervor. Tatsächlichen Nutzen vermag vielmehr nur der bereits Wissende aus Geschriebenem zu ziehen: Er hat daran – so Platons überraschende Einschränkung – eine Stütze für seine Erinnerung, mehr allerdings auch nicht. Ein erstes Fazit lautet daher: Das geschriebene Wort ist untauglich zur Belehrung.

    Daraus folgt, weiterhin laut Phaidros 275–278 , dass jeder Verständige sich dort, wo er belehren will, zumal wenn es dabei um die Vermittlung philosophischer Einsichten geht, auf die mündliche Belehrung, das wechselseitige Gespräch beschränkt. Schriftliches hingegen wird er entweder nur als Hilfsmittel gegen das Vergessen oder aber als nicht ernst gemeint verfassen: bloß zum Spiel und zum Vergnügen. Und zwar die Erinnerungshilfe, wie Platon ausdrücklich vermerkt, außer für sich selbst auch für jeden anderen, der aus Eigenem heraus zur gleichen Einsicht gelangt ist, das Spielen/Scherzen hingegen, das nichts als Spiel und Scherz sein will, angeblich – so Platons erstaunliche Formulierung – nur für sich selbst allein. Und bei dieser Schriftstellerei des Spieles halber wird, ja muss der Verständige, dem anderen Manko alles Geschriebenen gemäß: dass es dem Missverständnis, gar dem böswilligen, sich hilflos ausgeliefert sieht, sein Eigentliches, das, womit es ihm Ernst ist, für sich behalten; er wird deshalb nur Beiläufiges, Randständiges, kurz, ausschließlich Unwesentliches vorführen, und auch dies nicht, um zu belehren, sondern allein in der unernsten Absicht auf ergötzlichen und obendrein nur eigenen (!) Zeitvertreib. Ein zweites Fazit lautet dementsprechend: Alles Geschriebene, zumindest, soweit es der Feder des Verständigen entstammt, trägt weithin das Gepräge des bloßen Spiels, der paidiá.

    Doch dieses zweite Fazit ist, anders als das erste, keineswegs logisch korrekt, wie auch die einzelnen Sätze, aus denen es angeblich sich ergibt, untereinander im Widerspruch stehen: Zum einen ist nicht einzusehen, warum Geschriebenes zwar als Erinnerungshilfe , nicht aber ebenso als Spiel auch für die anderen Wissenden zugänglich und partizipierbar sein sollte. Zum anderen wird unterschlagen, dass seine Funktion als Erinnerungshilfe und sein Spiel -Charakter, so wie bisher als bloßer Zeitvertreib beschrieben, letztlich unvereinbar sind. Denn als Gedächtnisstütze ist das Geschriebene ja nur dann von Nutzen, wenn auch und gerade das Eigentliche, und sei’s bloß im Umriss oder in der Andeutung, darin eingeht – eine Erinnerungshilfe , die sich ganz aufs Belanglose zurückzieht, wäre sinnlos. Andererseits darf eine schriftlich verfasste Erinnerungshilfe , wenn schon der anderen möglichen Nutznießer wegen an die Öffentlichkeit gebracht, um das Risiko der Missdeutung wenigstens herabzumindern, auch nicht mehr als eben bloß eine Andeutung des Wesentlichen sein (die freilich dem Wissenden , und nur dem Wissenden , vollauf genügt). Dabei ist der Spiel -Charakter des Geschriebenen, soweit bis jetzt ersichtlich, allein in der Beschränkung aufs Belanglose begründet (und wäre insofern durch die bloße Einbeziehung des Eigentlichen aufgehoben) sowie in dem Verzicht aufs Belehren , genauer aufs Belehren -Wollen. Weil aber diesbezüglich Beides, Beschränkung aufs Belanglose und Verzicht aufs Belehren -Wollen, bislang uneingeschränkt gelten soll und folglich auch der Spiel -Charakter ein uneingeschränkter sein muss, kann nicht, wie es im zweiten Fazit mittels eines ›weithin‹ geschieht, von vielfachem Spie len/Scherzen die Rede sein – von einem Spiel-Charakter, der dem Geschriebenen nur hier und dort eignet, statt es ganz und gar zu durchdringen.

    Das führt zu der Schlussfolgerung, dass das vielfache Spielen/Scherzen des zweiten Fazits – dem im Übrigen als Gegenstück lediglich das Fehlen einer durchgängigen Ernsthaftigkeit sich zuordnet – schon rein logisch gesehen gerade nicht den völligen Verzicht aufs Wesentliche und damit auch auf jegliches Belehren bedeuten kann: Das vielfache Spielen/ Scherzen muss vielmehr mit dem Eigentlichen, das jedoch nur andeutungsweise vorkommen darf, zusammen ein Ganzes bilden.

    Und dieser neue, erst noch zu bestimmende Spiel-Charakter ist daher auch nicht länger mit der Funktion des Geschriebenen als Erinnerungshilfe unvereinbar: Der geschriebene Text vermag, obwohl vom Spielen/Scherzen durchtränkt, weil und insofern er auch die Andeutung des Eigentlichen enthält, durchaus auch den übrigen Wissenden als Gedächtnisstütze zu dienen. Ja noch mehr: Ein solcher Text muss für denjenigen, der, freilich aus eigener Kraft, dem Stand des Wissenden erst noch zustrebt, bezüglich des bereits Erreichten dankenswerte Bestätigung und im Hinblick auf das noch Fehlende hilfreicher Hinweis sein; gehört doch, wer derart selbständig unterwegs ist, mit Platons 7. Brief gesprochen, zu denjenigen, die nur eines geringen Fingerzeigs bedürfen. Und mit dieser Funktion des Hinweisens, die derjenigen der bloßen Erinnerungshilfe gegenüber zweifellos das größere Gewicht besitzt, ist dem Geschriebenen zugleich, all seinem vielfachen Spielen/Scherzen zum Trotz, die Möglichkeit des Belehrens zurückgegeben, allerdings nur eines indirekten und gleichsam widerrufenen wie auch rein selektiven, das allein auf einige Auserwählte abzielt. Dem vielfachen Spielen/ Scherzen aber fällt dabei unter anderem auch die Aufgabe zu, das Wesentliche sogar noch in seiner bloßen Andeutung vor den Unberufenen zu verbergen, es so zu verzerren und zu entstellen, dass seine Mitteilung für die Unberufenen wertlos ist: Dem ansonsten immer noch ungeklärten Spielen/Scherzen eignet somit auch das Moment des Betrugs: Der Unberufene gelangt zu dem falschen Glauben, in der wörtlichen Gestalt des Textes das Wesentliche selbst, mag es auch nur umrisshaft angedeutet sein, in Händen zu halten, während er doch in Wahrheit nur dessen verzerrte Spiegelung besitzt. Und in dieser Eigenschaft als Betrug muss das vielfache Spielen/Scherzen, dem im Übrigen alles das angehört, was nicht Andeutung des Wesentlichen ist, auch noch diese Andeutung überlagern, ja durchsetzen: Spiel und Ernst stehen nicht, als einander ausschließend, nebeneinander, sie verschmelzen vielmehr.

    Bleibt noch, bevor der Begriff des Spielens/Scherzens näher bestimmt wird, die Frage zu beantworten, wieweit denn nun Platon das, was er im Phaidros vorträgt, von sich selbst aussagt, und zwar zunächst auf der Ebene dessen, was wörtlich dasteht, und sodann im Sinne dessen, was eigentlich gemeint ist: Dass Platon sich auch selbst zu jenen Verständigen rechnet, die um die grundsätzlichen Mängel des geschriebenen Wortes wissen, liegt auf der Hand; dass er, dies vorausgesetzt, seine Dialoge nicht als Erinnerungshilfe nur für sich selbst verfasst hat, zeigt deren Veröffentlichung; dass er ihnen andererseits, wenn sie denn schon von vornherein der Öffentlichkeit zugedacht sind, angesichts der zweifachen Ohnmacht alles Geschriebenen weder die Aufgabe eines direkten Belehrens zumutet noch ihnen das, womit es ihm Ernst ist, sein Eigentliches also, offen aufgebürdet hat, leuchtet ebenfalls ein. Dass die platonischen Dialoge demgemäß, wenn tatsächlich lediglich als Spielen/Scherzen im Sinne eben dieses doppelten Verzichts (auf direktes Belehren wie auf die offene Darlegung des Eigentlichen) entworfen, aufgrund der Unvereinbarkeit ihres Charakters als eines bloßen Spiels hier und ihrer Funktion als Erinnerungshilfe dort auch noch als verlässliche Gedächtnisstütze für die übrigen Wisssenden ausscheiden, folgt sodann zwangsläufig; und dass sie als solch bloßes Spiel nicht nur zu Platons eigenem Zeitvertreib geschrieben sind, belegt abermals ihre Veröffentlichung.

    Demgegenüber nun das vielfache Spielen/Scherzen : Dass sich Platon bei der Antithese: ›hier der Tor, der dem Geschriebenen große Zuverlässigkeit und Klarheit beimisst und ihm daher sein Bestes anvertraut, und dort der Einsichtige, der dieses Beste vielmehr dem wechselseitigen Gespräch vorbehält, dem Geschriebenen jedoch die Unvermeidbarkeit eines vielfachen Spielens/Scherzens sowie die Unangemessenheit einer großen Ernsthaftigkeit zugesteht‹ , wiederum den Verständigen zuzählt, steht außer Zweifel, so dass die Bestimmung des Geschriebenen als von vielfachem Spielen/Scherzen durchwirkt und einer großen Ernsthaftigkeit unwert auch und gerade, wenn nicht sogar ausschließlich den platonischen Dialogen gilt, und das mit allen Konsequenzen: Sie entbehren nicht ganz des Wesentlichen, doch enthalten sie davon eben nur die eine oder andere Andeutung; sie zielen damit auf einige Auserwählte, denen solcher Fingerzeig vollauf genügt; und das Spiel, das ansonsten aus der Ausbreitung von Belanglosem besteht, dient unter anderem auch dazu, das Wesentliche noch in seiner Andeutung vor den Unberufenen zu verbergen. Und für diese letzte Funktion des Spiels ist gerade Phaidros 275–278 ein deutliches Beispiel: Wenn Platon hier den Spiel -Charakter seiner eigenen Dialoge offenlegt, so geschieht das mittels einer vordergründigen und in sich unstimmigen Darstellung, die das, was eigentlich gemeint ist, zugleich verhüllt und somit auch selbst von jenem Spielen/Scherzen erfüllt ist, das sie mehr andeutet als beschreibt.

    Diese Anwendung der Spielen/Scherzen -Passage auf Platons eigenes Werk sieht sich im Übrigen durch Platon selbst bestätigt, und zwar insofern auch sonst in den Dialogen einzelne Teile oder gar das Ganze als bloßes Spiel hingestellt werden. So setzt Platon eben im Phaidros konsequenterweise und doch nur scheinbar konsequent die gesamte Erörterung des Dialogs nachträglich zu einem Spielen/Scherzen herab, nur scheinbar konsequent deshalb, weil doch für den Sokrates des Dialogs keinerlei Anlass besteht, das, was er soeben über die geschriebene Rede ausgeführt hat, auch auf sein mündliches Gespräch mit Phaidros zu beziehen (278b7); so werden im Philebos ein anscheinend wichtiger Beweisgang wiederum nachträglich für pures Spielen/Scherzen ausgegeben (30e6 f.) und im Parmenides der gesamte zweite Teil von vornherein als ein freilich mühseliges Spiel eingeführt (137b2); so wird sowohl im Phaidros (265c8 f.) wie im Politikos (268d8 f.) der jeweilige Mythos bloßes Spiel genannt, und wird im Timaios (59d1 f.), in der Politeia (536c1) und in den Nomoi (685a7 f., 769a1 f.) sogar der gesamte Dialog ausdrücklich zu einem Spielen/Scherzen herabgestuft: Allemal hat Platon damit, so unterschiedlich die einzelnen Fälle auch sein mögen, die Bedeutung des jeweils gerade Dargelegten oder erst noch zu Entwickelnden herabmindern wollen – als sei das alles nicht weiter ernst zu nehmen, als sei da nichts, was Gewicht hat, nichts, was Gültigkeit beanspruchen könnte.

    Doch in keinem der genannten Fälle ist die Behauptung eines Spielens/Scherzens , was ja durchaus denkbar wäre, falsche Selbstbezichtigung oder bloßes Understatement; stets entsprechen ihr vielmehr tatsächliche einschlägige Momente, hat sie also den Wert eines zutreffenden Hinweises. Und zwar beruht zumindest beim Phaidros, bei der Politeia und den Nomoi der so enthüllte Spielen/Scherzen -Charakter wenigstens zum Teil auch darauf, dass sich hier weniger Wichtiges, ja Unwichtiges auf Kosten des Wichtigen breitmacht und andererseits das Eigentliche nur in nahezu verschwindender Andeutung auftritt. Indessen, derart auf das Nebeneinander von allzu viel Minderem und möglichst wenig Wertvollem beschränkt, reicht der Begriff des bloßen Spiels ja nicht einmal für die Phaidros-Passage selbst aus – hat sich doch dort bereits die weitere Funktion des Spielens/Scherzens herausgestellt, das Eigentliche auch noch in seiner Andeutung zu verbergen. Und solchermaßen um die Be stimmung des Verhüllens erweitert – wobei dann freilich die wuchernde Fülle des Nebensächlichen mit zur Verhüllung dazugehört – trifft die Spielen/Scherzen-Aussage nicht nur auf Phaidros, Politeia und Nomoi, sondern ebenso auch auf den zweiten Teil des Parmenides wie auf die beiden Mythen zu, die sowohl im Phaidros wie im Politikos als etwas Eigenständiges auftreten. Nur bleibt dabei die – obendrein jeweils andere – Weise des Verhüllens nach wie vor ungeklärt. Und noch im Timaios und analog im Philebos, wo das Verdikt bloßen Spielens und Scherzens aus dem minderen ontologischen Rang des Gegenstandes zu resultieren scheint – allerdings ist auch diese Angabe ihrerseits wieder des Spielens/Scherzens verdächtig – lassen sich der Wildwuchs des Beiläufigen und die Verhüllung des Eigentlichen noch in seiner minimalen Andeutung als zusätzliche, wenn nicht sogar einzige Grundlage für die Behauptung bloßen Spielens/Scherzens nachweisen: Allemal kehrt somit als identisches Merkmal die Verhüllung wieder, die überdies aufgrund der Phaidros-Analyse als die entscheidende Bestimmung des Spielens/Scherzens feststeht. Dazu jedoch, auch noch die Art und Weise solcher Verhüllung deutlich zu machen, reichen die Hinweise aufs Spielen/ Scherzen in diesem Dialog nicht aus.

    Immerhin bleibt als Ergebnis der Spielen/Scherzen -Passage Phaidros 275–278 festzuhalten: Das geschriebene Wort taugt nicht dazu, andere zu belehren, weil es kein Sich-Vergewissern durch Rückfragen und infolgedessen kein gesichertes Wissen zulässt. Zugleich darf wegen der Gefahr möglichen Missverständnisses, ja der böswilligen Entstellung sogar für diejenigen, denen schon der bloße Hinweis genügte, nicht alles, namentlich nicht das Entscheidende offen ausgebreitet werden. Daher muss sich alles Geschriebene entweder ganz aufs Unwesentliche oder allenfalls, wenn das Eigentliche dennoch einbezogen werden soll, auf wenige Andeutungen desselben beschränken und muss es obendrein dieses Wenige gleichsam gleich wieder zurücknehmen: in der Verhüllung durch Spiel und Scherz .

    Dazu passt, dass Platon seinen Sokrates den Passus Phaidros 275–278 mit der Bemerkung abschließen lässt, ›es sei ja nun hinreichend Scherz und Spielerei betrieben‹ . Denn diese rückblickende Verharmlosung bedeutet keineswegs, dass damit dem zuvor Gesagten die Gültigkeit aufgekündigt

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