Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Bestseller: 3 Bände: 1. Teil "Die Blendung", 2. Teil "Das Dunkel" und 3. Teil "Eiskalter Ruhm"
Der Bestseller: 3 Bände: 1. Teil "Die Blendung", 2. Teil "Das Dunkel" und 3. Teil "Eiskalter Ruhm"
Der Bestseller: 3 Bände: 1. Teil "Die Blendung", 2. Teil "Das Dunkel" und 3. Teil "Eiskalter Ruhm"
eBook950 Seiten13 Stunden

Der Bestseller: 3 Bände: 1. Teil "Die Blendung", 2. Teil "Das Dunkel" und 3. Teil "Eiskalter Ruhm"

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Zum Inhalt Die zynische Vermarktung von Literatur, die einem Handel mit Holz oder Hausschuhen gleichkommt, die unlautere Allianz von Autor, Verleger und den Medien sowie abgefeimte Verkaufsstrategien im Verbund mit dem Großeinsatz von Kapital - das sind die verdeckten Methoden, mit denen die Wortführer in diesem Roman ihr Lesepublikum hintergehen. Das einzige Ziel, das die Herren der Bücher verfolgen: einen phantastischen Bestseller in den Markt zu drücken, der alle bisherigen Verkaufserfolge übertrumpfen soll - in Deutschland, in West- und Osteuropa, weltweit. Alle Mittel sind ihnen recht. Jeder Trick ist erlaubt, jede Täuschung genehmigt, jeder Schwindel abgesegnet, jede Lüge einkalkuliert, jeder Betrug inszeniert.

Diese Geschichte, eingebettet in die Glückssuche einer hochgradig erotischen Liebesbeziehung, handelt davon, wie die zeitgenössische Buch-Industrie einen Mega-Star als Götzen erschafft, der im Show-Business der Eitelkeiten, der Ruhmsucht und der Worthülsen, die längst auch den bundesrepublikanischen Kulturbetrieb in ihrer parfümierten Jauche ersäuft haben, zu einer umschwärmten Kultfigur mit Heilandsschimmer wird - durch die fernsehgerechte Präsentation seiner Person und durch hinterhältige Manipulationen, nicht aber durch die eigentliche und ausschließliche Bedeutung des Werks, auf dem sein Name steht. Auf über 1.000 Seiten dieses Romans werden keine Märchen abgedruckt, werden keine Science-Fiction-Plots verrührt, stehlen sich keine Schimären davon.

Der Inhalt dieses Stoffs - in tiefgründiger, packender, neue Maßstäbe setzender Erzählkunst mit dem Blickwinkel und der Brennweite einer Kamera geschrieben - ist der Fingerprint des Zeitgeistes und rüde Wirklichkeit im öffentlich inszenierten Kosmos des einundzwanzigsten Jahrhunderts - sie ist bereits gewesen, sie findet gerade statt und sie wird sich wieder ereignen auf allen Kontinenten: mit noch viel unglaublicheren Vorgehensweisen bei der Erschaffung von verkaufsfähigem Unsinn und tyrannisierender Lächerlichkeit. Und wir, die verhöhnten Konsumenten von Sprache und Dichtung, die in die Irre gelotsten Bewunderer von Feuilletons und sogenannten Verkaufserfolgen, die Verführten von Glamour und Gier, die Dressierten im Zwielicht des Geldes, die Getäuschten im Anschein der Wahrheit, die Opfer der Geistermächte, die von den TV-Sendern losgeschickt werden, hatten bisher keine Kenntnis davon. Erst jetzt wissen wir’s. Wir sind erschüttert, aber auch wachgerüttelt aus unserem Dämmerschlaf.

SpracheDeutsch
Herausgeber175er Verlag
Erscheinungsdatum11. Juni 2019
ISBN9783936880052
Der Bestseller: 3 Bände: 1. Teil "Die Blendung", 2. Teil "Das Dunkel" und 3. Teil "Eiskalter Ruhm"

Mehr von Rainer Popp lesen

Ähnlich wie Der Bestseller

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Bestseller

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Bestseller - Rainer Popp

    Raimer Popp: Der Bestseller - Trilogie

    alt=Logo: Dante Verlag src=index-1_2.png class=calibre2/>

    Rainer Popp

    Der

    Bestseller

    Teil I - III

    Gesamtausgabe

    Roman

    Logo: Dante Verlag

    Rainer Popp

    _________________________

    Der Bestseller

    Roman-Trilogie

    1. Teil: Die Blendung

    2. Teil: Das Dunkel

    3. Teil: Eiskalter Ruhm

    Alle Rechte beim Autor und Vertrieb: Info: medien-vvg@mailbox.org Dieses Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Sämtliche Rechte einschließlich der Verviel-fältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie der Verarbeitung für Bild- und Tonträger sind strengstens vorbehalten. Das gegen eine Gebühr berechtigte Down-loading dieses E-Books ist nur für den Eigenbedarf und für die einmalige Speicherung in elektronischen Lesegeräten gestattet. Eine Weitergabe an dritte Personen oder eine gewerbliche Verwendung jedweder Art ist ohne Erlaubnis des Autors und des Verlags untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.

    Rainer Popp

    (rainer.popp@dante-verlag.de)

    Der Bestseller - Roman-Trilogie

    Gesamtausgabe

    Copyright in all countries

    by Rainer Popp 2002

    Tag der Erstveröffentlichung

    by Dante-Verlag, Hamburg:

    6. Dezember 2002

    (www.dante-verlag.de)

    www.dante.175er-verlag.de

    Verlagsleitung: Matthias Kaussen, Hamburg Lektorat: Iris Kaussen, Hamburg

    Umschlaggestaltung: Birgit Ross, Hamburg Foto des Autors/Covers: Klaus Kretschmann, Lübeck Published in Germany

    ISBN: 3-936880-05-0

    Inhaltsangabe:

    Der Autor

    5

    Das Vorwort

    7

    BAND 1: DIE BLENDUNG

    BAND 2: DAS DUNKEL

    BAND 3: EISKALTER RUHM

    Der Autor

    Rainer Popp, am 24. März 1946 in Staßfurt (Sachsen-Anhalt) geboren, ist Schriftsteller und Journalist. Er lebt und arbeitet in Köln und Hamburg; gelegentlich auch an anderen Orten, an die er sich zum Schreiben zurückzieht.

    Zu Beginn der Sommerferien 1951 flüchtete seine Familie nach politischer Verfolgung seines Vaters, der als Oberstudiendirektor Germanistik, Geschichte und Geographie am heimatlichen Gymnasium lehrte, aus der damaligen DDR in den freien Teil Deutschlands, zunächst nach Bad Harzburg, dann nach Goslar.

    Bereits im Alter von fünfzehn Jahren begann Rainer Popp zu schreiben. Erste Gedicht-Veröffentlichungen folgten drei Jahre später. Als Unterprimaner trat er in den Verband Deutscher Schriftsteller ein.

    Nach seinem Volontariat bei der Goslarschen Zeitung ging er als Chefreporter zum Donau Kurier nach Ingolstadt und danach als politischer Redakteur und Ressortleiter Zeitgeschehen in die Düsseldorfer Zentralredaktion der Westdeutschen Zeitung. Er war Korrespondent der Nachrichtenagentur Deutscher Depeschen Dienst (ddp) in Bonn und - in Doppelfunktion - Chefredakteur von RTL Radio und RTL Fernsehen sowie Programmdirektor von Radio Luxemburg; zugleich Chef des Frühstücksfernsehens von RTL.

    Rainer Popp ist Mitglied der gegen Ausländerfeindlich-keit und Rassismus im Jahre 1990 gegründeten Charta Europa.

    5

    Autor: Rainer Popp

    Seine Buchveröffentlichungen: „Ein Irrenhaus fährt Achterbahn (Droemer/Knaur), „Bosse nach Wahl

    (Argon) und „Deutschland zum TÜV" (Argon).

    Im Dante-Verlag sind die Romane „Karriere eines Komplotts und „Der Betrug erschienen.

    Rainer Popp ist in erster Ehe verheiratet. Er hat zwei erwachsene Kinder: einen Sohn und eine Tochter.

    6

    Das Vorwort

    Einen Roman zu schreiben und erst recht eine Trilogie von knapp tausendzweihundert Seiten, ist wie eine Reise in ein fremdes, noch unerforschtes Territorium - voller Unwägbarkeiten, Prüfungen und Bewährungsproben für den Autoren, voller Hin-dernisse, Verzagtheit und Selbstzweifel, aber auch voller Selbstvertrauen und Zuversicht. Als meine pfeilschnel-len Musen und ungehorsamen Gefährtinnen, die mich einmal am Tag an den Rhein begleiteten, galten mir die beiden Hündinnen Leila und Lilly; zwei Windhund-Mischlinge aus Spanien, die meiner Tochter Kristina gehören.

    Eingeschlossen in meine freiwillig auf mich genommene Verbannung, die sich ein Jahr lang zutrug vor dem Laptop auf meinen Oberschenkeln und dem Platz neben mir für Aschenbecher und Kaffeetasse, waren Schaffenskrisen von unterschiedlicher Intensität und Zeitdauer. Demgegenüber habe ich zur rechten Zeit Er-mutigungen erfahren und immer wieder Fürsorge erhalten von den mir nahestehenden Menschen. Ihnen gilt mein Dank. Ihnen bin ich zugeneigt. Ihnen, vor allen anderen, habe ich diese Arbeit gewidmet.

    Der Weg, den ich aus eigenem Entschluß gewählt hatte, ist am Ende über eine Millionen Buchstaben lang geworden, und er umfaßt an die zweihundertfünfzigtausend Wörter, die Handlungen beschreiben und Gespräche wiedergeben, die Gefühle zum Ausdruck bringen, die über Leid berichten, über Täuschungen, über Triumphe und Niederlagen, über sexuelle Begierden 7

    und Lügen. Der Tod tritt auch in Erscheinung und die Verzweiflung und der Trugschluß und die Hoffnung und die Wahrhaftigkeit.

    Diese unbekannte, in Kapitel und Episoden unterglie-derte Strecke, die ich als Verfasser bereits gegangen bin, liegt jetzt vor Ihnen, da Sie im Begriff sind, die auf drei Bände verteilte Geschichte zu lesen, die ich für Sie und Ihnen zum Gefallen auf meine Art erzählt habe. Dieje-nigen, die das Manuskript „ Der Bestseller" kennen, haben vor der Drucklegung mit Lob und Anerkennung nicht gespart und mir versichert, es sei „ spannend", „ erregend", „ tiefgründig", „ literarisch wertvoll", „ außergewöhnlich packend", und es ließe einen nicht mehr los.

    Ich vertraue darauf, daß Sie sich diesem Urteil anschlie-

    ßen werden, sobald Sie die ersten Sätze dieser insgesamt mehr als dreißigtausend Zeilen umfassenden Bücher zu lesen begonnen haben.

    P.S. Falls Sie mit mir korrespondieren möchten, tun Sie das bitte. Ich freue mich sehr darauf, Sie als meine Leserinnen und Leser kennenzulernen. Der Verlag leitet Ihre Briefe oder Ihre eMails gerne an mich weiter.

    8

    Raimer Popp: Der Bestseller - TrilogieLogo: Dante Verlag

    Rainer Popp

    Der

    Bestseller

    Teil I

    Die Blendung

    Roman

    Logo: Dante Verlag

    Rainer Popp

    _________________________

    Der Bestseller

    Roman

    1. Teil: Die Blendung

    Dieses Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Sämtliche Rechte einschließlich der Verviel-fältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie der Verarbeitung für Bild- und Tonträger sind strengstens vorbehalten. Das gegen eine Gebühr berechtigte Down-loading dieses E-Books ist nur für den Eigenbedarf und für die einmalige Speicherung in elektronischen Lesegeräten gestattet. Eine Weitergabe an dritte Personen oder eine gewerbliche Verwendung jedweder Art ist ohne Erlaubnis des Autors und des Verlags untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.

    Rainer Popp

    (rainer.popp@dante-verlag.de)

    Der Bestseller - Roman-Trilogie

    Gesamtausgabe

    1.Teil: Die Blendung

    Copyright in all countries

    by Rainer Popp 2002

    Tag der Erstveröffentlichung

    by Dante-Verlag, Hamburg:

    6. Dezember 2002

    (www.dante-verlag.de)

    Verlagsleitung: Matthias Kaussen, Hamburg Lektorat: Iris Kaussen, Hamburg

    Umschlaggestaltung: Birgit Ross, Hamburg Foto des Autors/Covers: Klaus Kretschmann, Lübeck Published in Germany

    Für

    meine Frau Ingrid,

    meinen Sohn Gregor

    und meine Tochter Kristina.

    Inhaltsangabe:

    Das Buch

    I-6

    ERSTER TEIL: DAS LICHT

    I-8

    ZWEITER TEIL: DER PAKT

    I-133

    DRITTER TEIL: DIE STILLE

    I-374

    Das Buch

    Die zynische Vermarktung von Literatur, die einem Handel mit Holz oder Hausschuhen

    gleichkommt, die unlautere Allianz von Autor, Verleger und den Medien sowie abgefeimte Verkaufs-Strategien im Verbund mit dem Großeinsatz von Kapital - das sind die verdeckten Methoden, mit denen die Wortführer in diesem Roman ihr Leserpublikum hintergehen.

    Das einzige Ziel, das die Herren der Bücher verfolgen: einen phantastischen Bestseller in den Markt zu drücken, der alle bisherigen Verkaufserfolge übertrump-fen soll - in Deutschland, in West- und Osteuropa, weltweit. Alle Mittel sind ihnen recht. Jeder Trick ist erlaubt, jede Täuschung genehmigt, jeder Schwindel abgesegnet, jede Lüge einkalkuliert, jeder Betrug inszeniert.

    Diese Geschichte, eingebettet in die Glückssuche einer hochgradig erotischen Liebesbeziehung, handelt davon, wie die zeitgenössische Buch-Industrie einen Mega-Star als Götzen erschafft, der im Show-Business der Eitel-keiten, der Ruhmsucht und der Worthülsen, die längst auch den bundesrepublikanischen Kulturbetrieb in ihrer parfümierten Jauche ersäuft haben, zu einer umschwärmten Kultfigur mit Heilandsschimmer wird -

    durch die fernsehgerechte Präsentation seiner Person und durch hinterhältige Manipulationen, nicht aber durch die eigentliche und ausschließliche Bedeutung des Werks, auf dem sein Name steht.

    Auf den 400 Seiten dieses Romans werden keine Märchen I-6

    abgedruckt, werden keine Science-Fiction-Plots verrührt, stehlen sich keine Schimären davon. Der Inhalt dieses Stoffs - in tiefgründiger, packender, neue Maßstäbe setzender Erzählkunst mit dem Blickwinkel und der Brennweite einer Kamera geschrieben - ist der Fingerprint des Zeitgeistes und rüde Wirklichkeit im öffentlich inszenierten Kosmos des einundzwanzigsten Jahrhunderts - sie ist bereits gewesen, sie findet gerade statt und sie wird sich wieder ereignen auf allen Kontinenten: mit noch viel un-glaublicheren Vorgehensweisen bei der Erschaffung von verkaufsfähigem Unsinn und tyrannisierender Lächerlich-keit.

    Und wir, die verhöhnten Konsumenten von Sprache und Dichtung, die in die Irre gelotsten Bewunderer von Feuilletons und sogenannten Verkaufserfolgen, die Verführten von Glamour und Gier, die Dressierten im Zwielicht des Geldes, die Getäuschten im Anschein der Wahrheit, die Opfer der Geistermächte, die von den TV-Sendern losgeschickt werden, hatten bisher keine Kenntnis davon.

    Erst jetzt wissen wir’s. Wir sind erschüttert, aber auch wachgerüttelt aus unserem Dämmerschlaf.

    I-7

    ERSTER TEIL:

    DAS LICHT

    Aus dem Lautsprecher der Rufanlage hörte er ihre Stimme:

    „Willkommen... herzlichst.

    Du mußt mich suchen.

    Wenn du klug bist, weißt du,

    wo ich bin..."

    1. Kapitel

    Das Strahlenbündel der Sonne, das sich um elf Uhr vierundfünfzig durch das bleistiftgroße Loch im schwarzen Papier-Rollo in den Apart-mentraum Nr. 19 in der achten Etage des Hamburger Miethochhauses gebohrt hatte, dieser glühende Draht aus Millionen tanzenden, flimmernden Staubteilchen, der so aussah wie die schräg geschmiedete Oberkante eines glänzenden Schafott-Beils, diese scharfe Schneide aus Gold und Gelb, die sich an den weißen Rändern des Lichts auflöste im schwülen, schummrigen Dunkel, dieses aus der endlosen Weite des Alls herbeigeschickte schwerelose Geflecht, das außerhalb dieser vier schäbigen Wände noch unzählige Trillionen anderer Punkte berührte, zeigte mit der Leuchtkraft eines Such-Scheinwerfers auf einen filterlosen Zigaretten-Stummel, der zwischen Zeige- und Mittelfinger einer über den Rand einer grauen Matratze weggerutschten Hand eingeklemmt war.

    Aus dem Glutkegel des Tabaks, unter einem abgebrochenen Ascherest verborgen, stieg ein milchig-blauer Faden Rauch auf, der an seinem Ende flackerte, sich kräuselte und sich sichelförmig im stickigen Schwarz der Zimmerdecke wie ein ausgefranstes Flaggentuch verlor. Der Ventilator aus schwarzem Blech, dessen einer Flügel verbogen war, bewegte sich nicht.

    Vier ruhige Atemzüge und noch ein halber, der aber nicht mehr in der Tiefe der Lunge ankam, blieben bis zu diesem Zeitpunkt ungestört und vollzogen sich in I-10

    der rhythmischen Ruhe vollkommner Lautlosigkeit, als die Haut den Schmerz wie einen Messerhieb spürte und ihn sofort weiterleitete an das Gehirn, das sich gerade damit beschäftigte, die geträumten Bilder von Fensters-türzen und waghalsiger Klippen-Kletterei zu archivie-ren. Alle Funktionen der Nerven, die üblicherweise routiniert gesteuert werden, wenn das Bewußtsein lahmgelegt ist, wurden mit einem Schlag in Aufruhr versetzt.

    Am kurzen Anfang dieses Bruchteils einer Sekunde geschah genau das, was überall auf der Welt wie ein und derselbe Film abläuft, wenn sich ein Mann im Schlaf an seiner Zigarette verbrennt: Er schreit plötzlich auf wie vom Blitz getroffen, schlägt mit der Hand um sich, die ihm wehtut, richtet sich auf, springt mit einem Satz hoch und hüpft von einem Bein aufs andere, während er Flüche ausstößt und hektisch Luft einsaugt, die unter seinem Gaumen zischt.

    Der 36 Jahre alte ehemalige Jurastudent, der nackt auf seinem Bett lag und der dort eineinhalb Minuten zuvor eingenickt war, brüllte: „Verdammt! und klappte in einem Reflex seinen schweißnassen Oberkörper nach vorn. Er wiederholte das Wort „Verdammt!, setzte

    „Verflucht! nach und fügte „Scheiße!... Scheiße! hinzu.

    Mit einem Sprung, wie von einer gespannten Stahlfeder geschnappt, hechtete er über die Bettkante, kam auf die Füße und trat wild um sich in der Absicht, irgendwo unter ihm auf dem Läufer die Kippe zu treffen. Als er abermals einen sengenden Stich spürte und zwischen seinen Zehen Funken aufstiemen sah, wußte er, daß er den Brandherd getroffen und ausgetreten hatte. In einer I-11

    schnellen Drehung rückwärts hinkte er in Hüpfsprüngen auf das Fenster zu und schob das verkantete Rollo in mehreren Schüben nach oben.

    Er kniff die Augen zusammen vor der Blendung der grellen Mittagssonne, die den Raum überflutete, in dem es aussah, als hätte eine Horde heroinsüchtiger Bettler hier mit ihren Hunden und Affen eine Bleibe gefunden. Auf dem Tisch stapelten sich mehrere Dutzend zerknickte Pizza-Kartons, auf dem Boden lagen Weinflaschen verstreut, in den Ecken und vor der Tür zur Küche waren leere Fruchtsaft-Dosen hingeworfen; Bücher und Zeitungen türmten sich neben einem verschlissenen Cordsessel zu einer Hügellandschaft auf, und mehrere Mülltüten, darunter ein brauner und ein schwarzer Sack, verkanteten sich zwischen einem Koffer und einer Reisetasche zu einem Bollwerk aus Plastik und Leder.

    Thomas Kaar, dessen faszinierendes Gesicht bei jeder Frau zunächst Entzücken und anschließend kribbelnde Sehnsüchte in ihrem Unterleib auslöste, reckte und streckte mehrmals seinen schlanken, muskulösen, ein Meter sechsundachtzig großen Körper, der daran ge-wöhnt war, weibliche Begierde zu wecken und ebenso häufig zu stillen. Er zündete sich die nächste Zigarette an, machte fünf Kniebeugen, drückte sein Kreuz durch und die Brust heraus wie ein Soldat in Grundstellung und verharrte einige Augenblicke mit erhobenem Kinn.

    Dieser gebräunte, fünfundsiebzig Kilogramm schwere Mann, dem ein unbeschnittener, ein vorzüglich dicker und eindrucksvoll großer, halbsteifer eierschalenfarbe-ner Penis von der Länge eines Bockgehörns aus dem I-12

    Knäuel des blau-schwarzen Schamhaars ragte, dieser Typ Liebhaber lombardischer Herkunft, der sein Studium im elften Examenssemester abgebrochen, der sich in zahllosen Berufen versucht hatte und der weiterhin davon träumte, eines schnellen Tages doch noch den finanziellen Erfolg seines Lebens zu finden, dieses vermeintliche Verlierer-Geschöpf mit einem gravierten Gewinner-Lächeln, dieser schmucke, ungewaschene, trinkfeste Kerl, dem mehr als eineinhalb Flaschen hy-drierter Rotwein in der randvollen Blase schwappten, der nach dem Schweiß der vergangenen Nacht, nach Tabak und Alkohol roch, der mit seiner Statur auf jedes Werbeplakat für „Cool Water" gepaßt hätte, diese grü-

    blerische, maskuline Wertschöpfung, die sich aufzuführen verstand wie das hüpfende Perlen-Collier auf den Schlüsselbeinen einer britischen Luxus-Lady, dieser chromverzierte, laszive Rost, der es vermochte, sich nach Gutdünken in Platin zu verwandeln, dieser streu-nende Windhund aus der Wüste, der seine tröpfelnden Frauchen besprang, als wäre er ihnen zugetan, der ab und zu so tat, als vollzöge er sich in der Inkarnation des Glücks, dieser hochintelligente Verführer, der sich an diesem überspäten Vormittag im August humpelnd ins Bad hievte und damit begann, sich, mit einer Camel im Mundwinkel, den kratzigen Stoppelwuchs des zurückliegenden Deliriums einzuschäumen und mit der be-dächtigen Behutsamkeit eines operierenden Gehirn-Chirurgen abzurasieren, dieser sprechgewandte, durch-trainierte, beschlagene Freiberufler, dieser leichtfüßige Herr des schweren Herzens, der sich mal als Geschäfts-mann ausgab, mal als Journalist, wenn er seine häufig wechselnden Bräute bei einem Abendessen mit seiner I-13

    Schüchternheit einfing, verdiente seit einem halben Jahr sein mageres Monatseinkommen als Interviewer eines Hamburger Marktforschungsinstituts. In dieser Stadt hatte er auch seine Unterkunft bezogen.

    Das Pensum, das ihm die Firma mit beschränkter Haftung abverlangte: Er mußte pro Werktag sechs persönlich durchgeführte Befragungen ausfertigen, die er, so war es Vorschrift, zuvor fernmündlich als Termin abgesprochen, nach einem festen Zeitplan vor Ort einzuholen hatte. Sein Kundenstamm war ausschließlich weiblich. Die Themen, um die es hauptsächlich ging: Die Lagerung von Lebensmitteln, der Einkauf von Haushaltsgeräten, die Verfeinerung der Kochkünste und das unterschiedliche Eßverhalten von urbanisier-ten Singles und Großfamilien.

    Bevor Thomas Kaar in die Hansestadt gezogen war, hatte er in München gelebt und dort als Versiche-rungsagent gearbeitet; davor in Köln, wo er mit einer Rhetorik-Schule für Anwälte Pleite gegangen war. Die Ausgaben für Technik, Büromiete und Mitarbeiter waren erheblich höher gewesen als die Einnahmen der Honorare.

    Keine dauerhafte Beschäftigung fand er in diesen Berufen: Taxifahrer, Kellner, Gärtner, Geschäftsführer eines Vier-Mann-Sicherheitsunternehmens, Public-Relations-Manager in einem Einkaufszentrum, Reiseführer und Aushilfslehrer für Englisch und Französisch an einer Dolmetscher-Schule. Gefeuert wurde er als Bademeister, als Empfangschef eines Hotels und als Leiter einer Staf-fel von Rettungsschwimmern.

    I-14

    Studiert hatte er in Tübingen und Nürnberg. Geboren wurde er am 23. Oktober in Emden an der ostfriesi-schen Küste als einziges Kind eines Strafverteidigers. In der Provinzstadt am Jadebusen hatte er seine Kindheit verlebt und sein Abitur gemacht. Seine Mutter, eine Musik-Lehrerin, war gestorben, als er noch nicht zur Schule ging.

    Nachdem er sich seine schneeweißen, makellosen Zäh-ne geputzt, kalt geduscht, sich die langen schwarzen Haare gefönt und sich seine Achseln und den Nacken mit einer Duftlotion eingerieben hatte, suchte er sich seine Kleidung aus, die er in einem Schrank aufbewahrte. Die Ordnung, die dort herrschte, stand im krassen Gegensatz zur Verwahrlosung seiner Wohnung.

    Hemden, Hosen, Sakkos hingen, nach Farben sortiert und unter Bügeln aufgereiht, wie zur Präsentation in einer Herren-Boutique; Schuhe, Strümpfe und Unterwä-

    sche waren verstaut in den Fächern, als hätte ein Dekorateur mit einem Lineal die Auslagen in Abstand und Ausrichtung nachgemessen.

    Der erste Griff ließ Thomas Kaar ein flauschiges, flachs-gelbes T-Shirt auswählen; mit dem zweiten nahm er eine dunkelblaue Bundfaltenhose aus Leinen. Dazu legte er ein aus schwarzen Lederschnüren geflochtenes Paar Mo-kassins. Auf einen Slip und Strümpfe verzichtete er. Vom Nachttisch nahm er ein flaches Bündel gefalteter Geldscheine und schob es in seine linke Hemdtasche; in die rechte steckte er eine Packung Zigaretten, ein goldenes Feuerzeug und eine angefangene Rolle Pfefferminzdrops.

    Als er das Metall-Armband seiner Uhr mit einem Klick festgedrückt hatte, überlegte er für einen kurzen Moment, I-15

    dann schob er mit der Fußspitze die Mülltüten auseinander, danach den Koffer zur Seite und bückte sich nach dem Telefon, das er vor der Brust festhielt, während er mit der anderen Hand den Hörer griff, mit dem abgespreizten Zeigefinger die sechsstellige Nummer eintippte und die Anzahl der Rufzeichen mitzählte, die er zweistellig addierte, bis endlich abgenommen wurde.

    „Ich bin’s", sagte er heiser in einem verkaterten Tonfall.

    „Hab’ ich dich etwa geweckt?...... Es hat zehnmal geklingelt, bevor du drangegangen bist....... Ach so........

    Bist du allein im Haus?............ Und wann kommt er zurück?.......... Ich... in einer Stunde..... etwa, will noch vorher um die Ecke....... einen Kaffee trinken..........

    Nein...... Ich bringe die Unterlagen mit...... Ich mich auch... sehr." Er legte auf und stellte den Apparat auf die Fensterbank.

    Obwohl er keinen konkreten Grund hatte, sich Sorgen über aktuelle Probleme zu machen, beschlich ihn unvermittelt ein dumpfes, grollendes Gefühl des Unbehagens und des Selbstzweifels, während er seine Aktentasche suchte und dabei mehrmals zwischen Bad und Wohnzimmer hin- und herlief. Die Fakten, die ihn um-gaben, sprachen offensichtlich gegen ihn - angefangen bei seiner Wohnung, die schäbig war und verdreckt.

    Und die Ortslage war ebenfalls keine Empfehlung für die Bewohner in den Herrschafts-Villen an der Außenalster oder am Elbufer: der mit Ausländern, Junkies und Klein-Kriminellen durchsetzte Stadtteil St. Georg.

    Ich gehe auf die vierzig zu und bin immer noch nichts geworden, überlegte er und spürte dabei, wie ihn Wellen von Angst und Unbehagen um seine Zukunft I-16

    durchströmten. Habe alles angefangen und nichts zum Erfolg geführt. Habe große Projekte im Kopf gehabt, aber keins verwirklicht. Und mein Vermögen, mein Hab und Gut? Eher ein Offenbarungseid. Ich hab’

    noch nicht mal ein Auto. Und meine gesellschaftliche Stellung? Ebenfalls lachhaft. Und meine beruflichen Aussichten? In meinem Alter als ungelernter Alleskönner sind die ziemlich düster und steil abschüssig.

    Die einzige Chance, die er für sich sah und auf die er hoffte, sein liederliches, seiltanzendes Dasein auf einen Gipfel zu führen, war der ersehnte Auftritt eines Deus ex machina. Die Alternative, die er sich aufzeigte: entweder mich begnügen mit dem, was ich habe und bin, oder davon überzeugt sein, daß mich das Schicksal doch noch sehr bald auswählt für etwas, das einfach so als Glücksfall auf mich zukommt, ohne daß ich dafür rackern und mich quälen muß. Bitte, bitte... laß es geschehen mit mir, bettelte er seine höhere Macht an, vor der er sich immer dann mit stummen Lippenbekennt-nissen klein machte und der Länge nach zu Boden warf, wenn ihn depressive Stimmungen anfielen und ihn kas-kadenartig überrollten mit der Gewalt einer Hochge-schwindigkeits-Lokomotive in voller Fahrt.

    Muß auch endlich aufhören, immer so viel zu trinken, so wie letzte Nacht wieder geschehen, sagte er sich.

    Hatte dickes Schwein, daß ich nicht verbrannt bin in meiner Bude. Außerdem rauche ich zu viel. Thomas Kaar war zu Beginn dieser Minute um kurz nach dreizehn Uhr nicht zufrieden mit sich, der er war und mit der Welt, die ihn umgab.

    Die besten Trümpfe, die er ausspielen konnte zu seinen I-17

    Gunsten: Er war gesund, hochmütig intelligent, über-durchschnittlich gebildet, und er, dieser potente Lieblings-Reiter seiner spendierfreudigen, rossigen Escada-Muschies und seiner hochhackigen, eigensüchtigen Ver-sace-Mösen, die sich bei der ersten näheren Begegnung an ihm festkrallten wie Kletten an einen Angora-Pullover, dieser fanatische Hoffnungsträger seiner selbst, der sich zur Bekämpfung seiner Schwermut einredete, er werde wohl doch nicht, wenn alles gut geht, unter einer Brücke enden, sah obendrein unverschämt gut aus.

    Und er hatte noch etwas zu bieten, was mit Geld nicht zu bezahlen ist: erotische Phantasien, die er an seinen flach gelegten Geräten weiblichen Geschlechts in Tur-nermanier meisterhaft umsetzte; und er gewährte perfekte Manieren mit dem selbstsicheren Gestaltungshabi-tus blasierter Arroganz, oder er gab sich ungezwungen, zuvorkommend und natürlich. Da er sich zu benehmen wußte, gefiel es ihm manchmal, sich so eigenmächtig zu benehmen, wie er es wünschte. Die werthaltige Herkunft seines Elternhauses war sein Lehrer gewesen. Er konnte sich aber ebenso uneingeschränkt rüpelhaft-vul-gär aufführen und so tun, als wäre er - der Vater ein krankhafter Säufer, die Mutter eine suizidgefährdete Schlamm-Catcherin - in einem halb verfallenen Sauko-ben neben einem Rummelplatz aufgewachsen.

    Seine Mappe mit den Befragungsformularen hatte er inzwischen unter einem Stapel Zeitungen gefunden und die hervorspringende Attraktivität und magisch-bannende Ausdrucksstärke seiner gelb-grauen, glimmenden Augen mit seinem Blick in den Flur-Spiegel wohlwollend zur Kenntnis genommen. Bevor er mit I-18

    dem Hacken seines Schuhs die Tür hinter sich zuschlug, prüfte er durch eine nestelnde Berührung seiner klimpernden Hosentasche, daß er den Wohnungs-Schlüssel eingesteckt hatte.

    Der bauliche Zustand des Treppenhauses machte ihm erneut deutlich, wo er gelandet war. Der Putz wies tischgroße Löcher auf, die Farbe blätterte ab, die Wän-de waren beschmiert mit obszönen Kritzeleien, Na-menszügen und Kiffer-Parolen. Auf dem Boden des nach Hunde-Urin und Armut riechenden Flurs lagen Kartoffelschalen, Papierfetzen, ein Hundehalsband, ei-ne durchgeweichte Waffel-Eistüte, Glasscherben, Bier-dosen und die Reste eines Comic-Heftes. Der Fahrstuhl, seit sieben Wochen defekt, steckte zwischen dem vierten und fünften Stockwerk fest. Über die 141 Treppen-Stufen, bei denen teilweise die Fliesen abgeschlagen und die Geländer-Verstrebungen herausgebrochen oder verbogen waren, setzte Thomas Kaar gemächlich seine Schritte in die Tiefe bis zum Erdgeschoß.

    Er bekam kaum Luft, so brütend schlug ihm die Hitze entgegen, als er ein paar Meter auf der Straße gegangen war. Die Sonne, die ihm vorkam wie ein Schlund, wie ein sengendes Maul, blendete ihn, als er hinauf sah zu ihr; sie hatte sämtliche ihr gehörenden Flammenzungen hineingeworfen in die Stadt mit der Strahlungskraft eines unter Glut stehenden Backofens. Mindestens 35

    Grad im Schatten, dachte er und überquerte die Fahrbahn, die nach Osten in einer Sackgasse mündete und nach Westen ins Zentrum führte.

    Der Teer auf den Gehwegen hatte sich zu einem zähen Brei verwandelt, und von den Blechdächern der Kfz-I-19

    Werkstätten, die einem Supermarkt angebaut waren, stiegen flimmernde Wärme-Tücher wie rückwärts laufende Wasserfälle in den wolkenlosen, matt-blauen Himmel. Es herrschten die höchsten Temperaturen, die in Hamburg seit Beginn der Nachkriegszeit gemessen wurden.

    In einem Bistro trank Thomas Kaar drei Tassen ungesüß-

    ten Kaffee; er blätterte mehrere Zeitungen durch und ließ sich dann ein Taxi bestellen, das ihn in die Elbchaussee brachte. Während der Fahrt, die wegen des dichten Verkehrs am Samstag fast eine dreiviertel Stunde dauerte, nahm er, als Zeitvertreib und als gesteuerte Ablenkung gegen seine gedrückte Stimmung, die architektonischen Reize dieser Stadt wahr. Nirgendwo in Deutschland, so bestimmte er es, gibt es eine ästhetischere Fassadenland-schaft der Häuser als hier; nirgendwo, außer vielleicht in Düsseldorf, sind die Alleebäume so zahlreich und die Vorgärten so gepflegt; nirgendwo fällt der aufmerksame Blick auf so wenig bauliche Häßlichkeit.

    „Sie können dort halten... dort neben dem großen Tor mit dem Rundbogen", wies er den Fahrer an. Er zahlte, stieg aus und schob sich, als er sich aus der gebückten Haltung aufgerichtet hatte zu kerzengerader, voller Größe, mit zwei behutsam gezirkelten, einstudierten Handbewegungen die Haare aus der Stirn.

    Das tat er immer an dieser Stelle, wenn er zu ihr fuhr.

    Er wußte, daß sie bereits am Fenster stand und auf ihn wartete, ihn beobachtete bei der Ausführung dieser Geste, die typisch für ihn war, wie sie ihm mehrfach gesagt und ihn danach jedesmal leidenschaftlich geküßt hatte.

    „So wie du das machst, dieses flüchtige und dennoch so I-20

    konzentrierte, aber empfindsame Zurückschieben und dann diese einzigartige Kopfdrehung dazu... das zeigt deine unheimliche Sensibilität und deine unglaubliche Ausstrahlung, war die Begründung ihres Entzückens gewesen. „Es ist so erotisch... so wahnsinnig erotisch, wie du das machst. Keine Frau hält das aus, ohne schwach zu werden und nur den Wunsch zu haben, von dir an ihrem Körper berührt zu werden und dich dabei ganz fest in ihre Arme zu nehmen.

    Kaar hatte Isabel Wertheim zunächst am Telefon kennengelernt und dann persönlich erlebt, als er sich mit ihr drei Tage später zu einem Interview-Termin in ihrem Haus verabredete. Ihre Nummer war von ihm zu-fällig ausgewählt worden, während er beim Durchblättern des Telefonbuchs nach neuen Kundinnen suchte.

    Das Thema, zu dem er sie im Auftrag des Instituts be-fragen wollte: Wächst parallel zur technischen Ausstat-tung einer Küche die Lust, vermehrt zu kochen?

    Die 47jährige Ehefrau eines Rohstoff-Händlers, der mit Kupfer und Getreide ein Millionen-Vermögen verdiente, wollte Kaar eigentlich sofort wieder loswerden, als er auf sie einsprach und sie zu überreden versuchte, ihm mit ihren Angaben beim Ausfüllen des Fragebogens behilflich zu sein. Seine tiefe, entspannte Stimme, sein Lachen, seine betörende Art, im Wechsel von Spaß und Ernsthaftigkeit mit Wörtern umzugehen und seine ho-he, jesuitische Sprechgeschwindigkeit hatten sie schließ-

    lich doch umgestimmt und ihm ein Treffen eingeräumt.

    Sie war neugierig geworden auf ihn. Sie wollte wissen, wer er ist. Sie wollte ihn sehen. Sie wollte prüfen, ob er ihr gefällt. Ihr zweiter Mann, ein nüchterner, auf Preise, I-21

    Gewichte und Mengen erpichter Unternehmer, befand sich seit mehr als drei Wochen auf einer Geschäftsreise in Mittel- und Südamerika.

    Wie bei jedem von Kaars Besuchen bei Isabel Wertheim öffneten sich, ausgelöst durch einen Summton, die beiden Torflügel automatisch, als er noch wenige Schritte vom Eingang zum Park entfernt war und ohne, daß er die Klingel gedrückt hatte. Aus dem Lautsprecher der Rufanlage hörte er ihre Stimme sagen: „Willkommen...

    herzlichst. Du mußt mich suchen. Wenn du klug bist, weißt du, wo ich bin..."

    Ein reflexartiges, schnell abklingendes Lächeln umspielte seinen Mund, während er über den Kiesweg auf die weiße Jugendstil-Villa zuging. Abgesehen von der ersten Visite bei ihr, als sie ihn im Salon empfing, wußte er seit dem zweiten Treffen mit ihr nur zu genau, wo sie sich aufhielt, wenn sie ihn erwartete.

    Sie war noch nie an einem anderen Ort gewesen.

    Thomas Kaar konnte außerdem, aufgrund seiner Erfah-rungen, voraussehen, was sie noch vorbereitet hatte: die Haustür würde aufstehen und eine Spur ihres Parfüms würde ihn ins oberste Stockwerk unter das Dach führen

    - geleitet von mehreren hundert Tropfen „Wish", die sie im Abstand von wenigen Zentimetern auf den Teppichboden geträufelt hatte und die ihn, wie ein Jagdhund die Blutspur eines waidwunden Rehs verfolgt, immer der Nase nach direkt in ihre Arme treiben sollten. Das einzige, was er nicht erahnte und was ihn wirklich aufs Neue überraschte, waren ihre Inszenierungen, die sie zum Auftakt seines Eintreffens in zunehmender Erregung vorbereitet hatte.

    I-22

    Bevor er die Kammer betrat, stellte er seine Aktenmap-pe mit den Unterlagen neben den Türrahmen ab. Er mochte bei der Tätigkeit, die er gleich auf sich zukommen sah, nicht wie ein Vertreter erscheinen oder wie ein Beamter, der vom Dienst nach Hause zurückgekehrt war und eigentlich ein Essen erwartete mit gebratenen Fischstücken, Kartoffel-Salat und eingemachten Gurken.

    Inzwischen hatte sich, aufgestachelt durch die hohe Konzentration ihrer Duftschwaden und in ihm aufgewühlt von den Fotografien, die in seinem Kopf ein Feuer anbrannten, eine Empfindung unterhalb des Schambeins bemerkbar gemacht, die ihm vertraut war und die sich sehr angenehm anfühlte: Er spürte, als er seine Hand auf die Klinke drückte, wie sich sein Penis versteifte, wie er in der Schnittweite seiner Hose zuckend zu pochen begann und sich ruckweise aufrichtete wie der hydraulische in Bewegung gesetzte Schwenkarm eines Schiffskrans.

    Dieses klopfende, blau-geäderte Ein-Mast-Stangenzelt, das Thomas Kaar, eher peinlich beschämt als stolz ge-schwellt, vor sich her in den Raum trug, war die mit Blut gefüllte, herausragende Attraktion, auf die Isabel ihre geweiteten Pupillen richtete. Sie stöhnte leise auf und schluckte. Ein hastiger Schatten von roter Blässe huschte über ihr Gesicht. Sie atmete mehrmals tief durch, gab zwei Geräusche zwischen ihren Lippen frei, die so klangen, wie Katzen klagen, wenn ihre Pfoten wund gelaufen sind und eine Blutspur hinterlassen.

    Und je näher er ihr kam, desto lauter schnaubte sie und desto geringer wurden die Pausen, die sie einlegte vor I-23

    dem nächsten wimmernden Maunzen und dem erstick-ten Juchzen, das sich mischte mit heiseren Gurgelgeräuschen. Sie hatte geflammte Hitze-Flecken an ihrem Hals und auf ihrem Bauch die gänsehäutigen Fährten ihrer Erwartung eingezeichnet, hatte die Signale der Erregung auch auf den Wangen und als flickengroße Tupfer über den Hüften.

    Sein erster Blick, der zunächst über die Kulisse flackerte, in der sich das Schauspiel zutrug, stürzte sich, als er sich ausgependelt hatte in der Szene, zunächst auf das Gestell, auf dem sich Isabel ausbreitete: auf einen Gy-näkologen-Stuhl aus den 20er Jahren, mit braunem, ge-narbtem Kunstleder überzogen und an den Seiten versehen mit silbrigen Stützschalen, auf die sie ihre Waden gelegt hatte. Ihre Oberschenkel waren gespreizt wie zur pantomimischen Ausübung eines Spagats.

    Sein zweiter Blick tastete ihren Körper ab, der mit einem an den Spitzen gekappten schwarzen BH bekleidet war, mit schwarzen, halterlosen Seiden-Strümpfen und mit hochhackigen Pumps, deren Absätze wie spitze Dolche auf ihn gerichtet waren. Ihr Schamhaar, das er blond und buschig in Erinnerung hatte, war abrasiert.

    Ihre mehrfach-blättrige, aufgewölbte Vagina glänzte und funkelte wie eine rosarote Meeres-Schnecke ohne Haus.

    „Komm noch ein bißchen näher", flüsterte sie und schmeckte ab mit ihren Augen die ausgebeulte Mitte seines Körpers. „Ich will ihn anfassen, so durch die Ho-se nur. Streck’ ihn mir hin.... ja.... Gut so. Gut, gut...

    sehr gut. Jetzt spür’ ich ihn. Das Gefühl geht mir direkt in mein Loch," setzte sie die Unterhaltung mit ihm fort, I-24

    während sie abließ von ihm und sich einer weiteren Befriedigung zuwendete.

    Mit der einen Hand massierte sie ihre linke Brust, mit der anderen begann sie zu masturbieren.

    „Sieh’ hin, was ich tue", raunte sie ihm zu. „Sieh’ genau hin. Guck’s dir an.... es wird dich wahnsinnig machen...

    so wie mich jetzt schon."

    Nur wenige Sekunden später bäumte sie sich auf, rüttelte ihren Bauch, stieß einen zaghaften, dann einen lauten und anschließend noch einen sehr lauten Schrei aus, federte die auf dem Höhepunkt geborstene Erregung in ihrem Unterleib ab und begann selbsterfahren, ein Lächeln in ihr Gesicht zu setzen, das noch den schwebenden Ausdruck ihres gerade eben zuende gegangenen Erlebnisses trug. Allmählich, so wie die nächsten Sekunden vergingen, beruhigte sich ihr Atem; das ausgeknipste Bewußtsein kam zurück.

    „Hat das schon mal eine Frau gemacht vor dir... und du konntest alles beobachten?" fragte sie.

    „Nein, noch nie", log er. „Das ist das erste Mal gewesen.

    Das war phantastisch. Das war unglaublich erregend...

    und sehr überraschend. Danke dafür." Er beugte sich über sie und gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Stirn.

    „Gefällt sie dir... so glatt und frisch, wie sie ist? fragte sie weiter. „Magst du sie so lieber?

    „Ja... sehr. Sie ist schön... Und sie erregt mich. Und ich kann alles genau erkennen, antwortete er heiser. „Sie ist wunderschön. Ich hab’ noch keine andere gesehen, die besser aussieht.

    Er langte ihr mit der Routine eines Gynäkologen zwischen die Beine und fügte hinzu: „Sie ist so zart... so...

    I-25

    weich. Fühlt sich an wie Samt, der warm gemacht wurde auf einem Ofen." Er setzte sein Streicheln fort und zwickte sie sanft in die Haut, die er anhob und in einer Kreisbahn verschob.

    „Was wird dein Mann dazu sagen, wenn er das sieht...

    das hier, diese abrasierte...?" fragte er.

    „Der sieht das nicht mehr. Der darf das nicht mehr sehen, antwortete sie. „Und anfassen darf er schon gar nicht.

    Sie machte eine kurze Pause und fragte dann: „Mußt du bald wieder weg, oder kannst du diesmal länger bleiben bei mir?"

    „Die ganze Nacht... und den halben Tag dazu und auch noch den Abend. Wir könnten vielleicht essen gehen...

    oder du machst hier was."

    „Hast du wieder Arbeit mitgebracht für mich?" fragte sie spöttisch.

    „Ja. Hat aber Zeit bis morgen. Sind wieder die sechs Bögen, die wir ausfüllen müssen. Du hast die neuen Adressen... hoffentlich doch... oder?"

    Sie nickte, legte ihren Arm um seinen Hals und zog ihn an ihre Lippen. Mit der anderen Hand streichelte sie seinen Schoß, spürte dort seine aalförmige, geschwollene Härte.

    „Ich hab’ wieder Sachen für dich eingekauft... sehr schöne Hemden... und Unterwäsche... und einen geflochtenen Gürtel... und einen leichten Sommeranzug und zwei Paar Slipper aus weißem Leinen. Du wirst blendend aussehen darin... wie immer."

    Sie nahm seine Hand und rieb ihre Wange daran. Ihre Lippen lutschten abwechselnd an seinen fünf Fingern.

    „Freu’ mich darüber..... Danke......", antwortete er und I-26

    streichelte die Enden ihrer hochgelegten Waden, die über seinem Kopf in den Halterungen ruhten.

    „Du hast so einen außergewöhnlichen... sicheren Geschmack... so verdammt gut, viel besser, als mein eigener war. Hab’ inzwischen sehr gelernt von dir... und sehr schnell. Ich mache keine dicken Fehler mehr und kombiniere Farben nicht mehr so wild durcheinander.

    Kann mich schon selbst anziehen... jetzt nach deiner Lehre", sagte er und lachte kurz auf.

    „Du machst das ganz prima, mein Schatz, bestätigte sie ihn zärtlich und sah ihn mit einem anerkennenden Lächeln an. „Tadellos, mein schöner Mann. Hast sehr brav aufgepaßt, mein kluger Mann... bist perfekt geworden, mein allergrößter Schatz.

    Hingestellt zwischen der Schere ihrer gegrätschten Beine, sah er zielgenau herab auf sie und betrachtete diese zerfließende, feuchte Frau auf der gynäkologischen Untersuchungs-Liege, die dort aufgebockt lag und ihm die ihr gehörende Nacktheit ohne Scham präsentierte, samt klaffender, seifiger, ausgelaufener Vulva, mit der er gleich bei ihrer ersten Begegnung eine saftige, gleitende Bekanntschaft geschlossen hatte. Er erinnerte sich an den cremigen, verschlingenden Genuß, den er in ihr empfunden hatte.

    In seinem Gedächtnis waren auch die zurückliegenden Aufwartungen Isabels, mit denen sie ihre Treffen ausgeschmückt hatte: die Verkleidungen, mit denen sie ihn überraschte und die Bein- und Bückstellungen, in denen sie ihn mit ihren Körperteilen begrüßte, die Frauen herzeigen, wenn sie dort angefaßt werden wollen von zitternden Männerhänden. Er erinnerte sich an die I-27

    stumpfen Düfte ihrer Sekrete, an den Geruch ihres Atems und an ihre überhitzten, fahrigen Zungenspiele, die sie an ihm vollführte.

    Isabel Wertheims Körper, der bisher keine fruchtbare Empfängnis erfahren und keine Schwangerschaft erlebt hatte, war trotz seines Alters noch schlank wie der eines jungen Mädchens, ihr mittellanges, gescheiteltes Haar blond, ihre Haut ebenmäßig, ohne Druckstellen, ohne Flecke. Ihre massigen, hoch angesetzten Brüste, die Thomas Kaar gezielt mit seinem Blick in der aufgerichteten Fülle umkreiste, wölbten sich wie zwei Pudding-Kuchen vor ihrem Gesicht, das sorgfältig geschminkt und oberflächlich attraktiv war.

    Ihr voller, breiter Mund - die Konturen schwarz umrandet - schimmerte dunkelrot im Sonnenlicht, das in einem breiten Streifen unter dem überstehenden Terrassen-Dach in den vorderen Teil des Raums flutete, ihren dunkelblauen Augen Glanz gaben, ihren Leib ein-tauchten in die Helligkeit und ihre Rundungen aus festem, glatten Fleisch ausleuchtete. Ihrer schluckenden Kehle entwich ein leichtes, mehrmaliges Stöhnen, das synchron mit der anschwellenden Erregung, die ihre Sinne packte und durchschüttelte, immer lauter wurde.

    „Du gefällst mir", sagte er mit heiserer Stimme. „Deine Brüste gefallen mir... und dein Gesicht. Es ist schön.

    Du bist schön. Du erregst mich. Du erregst mich sehr.

    Du erregst mich unvorstellbar."

    Er spürte, wie das gesamte Blut, das durch seine Adern pulsierte, in seinen Unterleib strömte und sich zwischen seinen Beinen in einem Strudel konzentrierte.

    Sie spürte, wie seine Komplimente und das Licht in I-28

    seinen Augen ihr schubweise neue Geilheit in ihren nässenden Schoß einführten.

    „Faß’ mich an... da unten", forderte sie ihn auf. „Mir ist heiß dort unten... sehr heiß... und es tut weh. Es brennt.

    Es sind Flammen dort.... Und zieh’ den Reißverschluß auf. Ich will ihn sehen.... wie er da drohend rausguckt aus dem Schlitz... dieser dicke... dieser harte, lange Schwanz, der zu mir will... Und dann steck’ ihn rein in mich... tief rein... ganz bis zum Ende. Ich fühl’s, daß er das jetzt will... jetzt sofort... und sie will es auch... und ich... seit Stunden schon... seit Tagen... eigentlich immerzu. Komm… Liebling... tu’s... tu’s jetzt... bitte…", flehte sie ihn an - aufgebracht und verschwommen vor schmerzender Lust.

    I-29

    „Ich hab’ nur noch wenig Luft, dann drehen

    die mir alles zu.

    Das darf nicht passieren,

    nicht in meiner neuen Position

    und nicht jetzt... gerade am Beginn."

    2. Kapitel

    Zeitgleich, aber nicht am selben Ort, sondern zwei Kilometer entfernt voneinander, gingen zwei Männer, die sich nicht kannten, deren Schicksale sie aber zusammenführen sollten, ihrer Berufstätigkeit nach.

    Es war der dritte Tag der 34. Woche des Jahres.

    Während Thomas Kaar telefonierte und Termine in sein Notizbuch eintrug - er stand in seiner Wohnung vor dem Fenster und benutzte die Glasscheibe als Schreibunterlage - blickte Alexander Wulff („...mit zwei f...") zum vierten Mal innerhalb der vergangenen Minute auf seine Armbanduhr. Die Sonne, die in sein Arbeitszimmer fiel, blendete ihn an seinem Standort neben der Sitzgruppe. Er war nervös und angespannt an seinem ersten offiziellen Arbeitstag als neuer Geschäftsführer von MoRus, dem eineinhalb Jahrhunderte alten, traditionellen Druck- und Verlagshaus, das sich mit der Veröffentlichung hochwertiger zeitgenössischer Literatur einen Namen geschaffen hatte in der Hansestadt.

    Die Firmen-Anschrift allein war schon Empfehlung genug für vorweggenommenes Ansehen und dargebrachte Ehrerbietung: Neuer Wall. Dort residierten die Direktion, die Verwaltung, die Presseabteilung und das Lektorat. Gedruckt, gebunden, ausgeliefert und gelagert wurden die Bücher, darunter dadaistische Lyrik-Editio-nen und philosophische Essay-Bände, am Rande Hamburgs in Norderstedt.

    Alexander Wulff, der ebenso wie Thomas Kaar am Fenster stand, wollte mit einem weiteren Blick auf das Zifferblatt I-31

    erneut wissen, wie spät es genau war. Merkwürdig, daß Ebermann gerade heute, an diesem wichtigen Tag, nicht pünktlich kommt, dachte er. Er weiß doch, daß alle leitenden Angestellten bereits im Konferenzsaal versammelt sind, um mich, ihren neuen Chef, in Augenschein zu nehmen. Und ohne ihn kann ich dort nicht auftreten. Er sollte mich einführen mit seinem schwergewichtigen Bestim-mungsrecht als Eigentümer. Genau so hatten wir es doch gestern bei unserem gemeinsamen Mittagessen verabredet, ärgerte sich Wulff.

    Er trug eine in den Erdfarben braun, ocker und dunkelrot karierte Jacke made in Great Britain, eine hell-gelbe Hose und ein am Hals geschlossenes, graues Polo-Hemd. Auf eine Krawatte, die er sonst stets zu tragen pflegte, hatte er ostentativ verzichtet. Das sei overdres-sed in der Verlagsbranche, hatte er sich am Morgen mitgeteilt. Da ginge man nur mit Autoren um und die legten keinen Wert auf korrekte Kleidung. Und die weiblichen Schriftsteller sähen meist noch fürchterlicher aus, hatte er sich hinzugefügt und dann wörtlich sich zugeraunt: „Die haben, sag’ ich dir... Null-Geschmack."

    Wulff war hager, ein Meter dreiundachtzig groß. Er hatte fast schwarze, stechende Augen, eine spitze Nase, ein vorstehendes Kinn, einen schmalen Mund, der aussah, wenn er sprach, wie ein langgezogenes, nicht mehr süß schmeckendes Kaugummi; über der Oberlippe wuchs ein schmaler Bart mit ersten grauen Schatten. Seine dunkelbraunen, leicht gewellten Haare lichteten sich in einer zwei Finger breiten Furche über der hohen Stirn. Seinen Bauchansatz versteckte er in einer Hemdenblase, die er I-32

    immer wieder mit zwei schnellen Handgriffen aufzupfte über dem Gürtel; vor allem dann besonders häufig, wenn er saß und seine Eingeweide nach vorne quetschte.

    „Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe, keuchte Rolf Ebermann, der in Wulffs Büro stürmte, ohne daß er angeklopft hatte. „Tut mir sehr leid, wiederholte er.

    „Ich bin zeitlich zu knapp losgefahren und dann noch in diesem scheußlichen Verkehr steckengeblieben... um diese Zeit am Morgen... Sie wissen ja. Glücklicherweise brauchte ich nicht noch ‘nen Parkplatz zu suchen, denn den haben wir ja selbst im Haus."

    Er ging auf Wulff zu und begrüßte ihn mit Handschlag.

    „Ist vielleicht ganz gut so... die Verspätung. Dann steigt die Spannung bei denen, grinste er. „Kommen Sie. Auf geht’s... sagen Sie aber ja nicht, wie es wirklich um uns steht. Machen Sie ihnen Mut und jagen Sie denen keine Angst ein, sagte er und tippelte - rund, dick, klein und mindestens sechzig Jahre, die er war - mit schnellen, watschelnden Schritten voraus.

    „Na los, mir hinterher", forderte er Wulff auf, der ihm, den holzgetäfelten Gang entlang, dann rechts und wieder rechts, in den Sitzungssaal folgte, in dem etwa zwölf Personen saßen. Wie viele es genau waren, das konnte und das wollte Wulff in diesem Moment, als sich alle Blicke auf ihn richteten, nicht genau zählen. Ihm fiel jedoch sofort auf, daß einige Mitglieder der Führungsmannschaft, überwiegend weiblichen Geschlechts, überraschend jung und einige schon sehr betagt waren.

    „Das ist er", sagte Ebermann, der vor den beiden Stühlen am Kopfende des Tisches stehengeblieben war. „Das ist der neue Geschäftsführer von MoRus. Wie er heißt I-33

    und was er gemacht hat und wie er sich die Zukunft vorstellt in unserem Haus, das sagt er Ihnen gleich selbst. Nur so viel noch von mir: Ich bin froh, daß ich ihn gefunden habe. Ich bin glücklich, daß er jetzt das Steuerrad in die Hand nimmt. Ich bin erleichtert, daß er an meiner Seite ist... und an Ihrer auch... selbstverständlich. Ich bin stolz, daß wir einen solchen Mann mit seinen Fähigkeiten an Bord haben... als Käp’ten.

    Und ich bin zuversichtlich, daß wir einen noch erfolg-reicheren Kurs steuern als unter seinem Vorgänger, der, wie Sie ja wissen, schon vor langen drei Monaten auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist."

    Ebermann hörte abrupt auf zu reden und setzte sich.

    Sein nachgeschobener Satz, den er aus dem Mundwinkel heraus Wulff zuflüsterte „Jetzt sind Sie dran", ging im stockenden, zögerlichen Beifall weniger klatschen-der, unentschlossener, zaghafter Hände unter.

    Der erste Satz, der muß sitzen, ging es Wulff durch den Kopf. Ist der raus aus der Kehle, gut formuliert und flüssig ausgesprochen, dann hab’ ich die alle im Griff.

    Er zupfte und tuffte sein Hemd auf, ohne daß es ihm bewußt wurde, und hörte sich, wie ein Lautsprecher, der aus einer Wand kam, in seiner Stimme reden.

    „Nichts liegt mir ferner, als Ihnen heute schon zu sagen, was ich vorhabe und was Sie tun sollen auf meine Anordnung hin. Ich versichere Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte Ihnen zunächst zuhören und von Ihnen lernen, möchte den Geist und die Kultur, die Philoso-phie... die Aura dieses Verlages erfassen, möchte parallel dazu Ihre Persönlichkeiten einordnen und Ihre Kreativität und Ihr Engagement erbitten. Helfen Sie mir dabei, I-34

    ein guter, ein sehr, ein sehr, sehr guter Geschäftsführer zu sein... als Primus inter pares und nicht als unnahbarer, böser Boß, der alles besser weiß. Ich grüße Sie herzlich und freue mich sehr, daß Sie mir die Ehre Ihrer Mitarbeit geben... Und jetzt erst mal: ... einen wunderschönen guten Morgen für Sie alle... meine sehr verehrten Damen, meine Herren. Ich bin Alexander Wulff... mit zwei f. Ich bin 51 Jahre alt, verheiratet, Vater eines Sohnes und Vater von drei Töchtern. Ich bin kein Hamburger... ich bin Hesse... ohne Akzent, wie Sie hören. Mein Sternbild, an das ich ein bißchen glaube: Schütze mit Aszendent Zwil-linge. Ich habe Betriebswirtschaft studiert und an der Goethe-Universität in Frankfurt mein Diplom erhalten.

    Notendurchschnitt: drei minus. Danach war ich Vor-standsassistent in einer Bank und als Etat-Direktor in einer Werbeagentur tätig und... und habe mich dann als Unternehmensberater selbständig gemacht... bis gestern.

    Mein Schwerpunkt: Ideen und Projekte konkret und erfolgreich umsetzen... Und heute stehe ich vor Ihnen in der Hoffnung, daß Sie mich aufnehmen bei sich. Ich vertraue darauf und ich danke Ihnen schon jetzt dafür... im voraus. Ich bin immer gesprächsbereit... für Sie alle. Ich bin immer für Sie da... für jeden von Ihnen... am Tag und auch nachts. Danke, daß Sie mir Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Danke, daß ich von Ihnen lernen darf.

    Und danke, daß Sie mir die Freude Ihrer Mitarbeit geben."

    Alexander Wulff verneigte sich leicht und nahm das Knöchel- und das Fingerklopfen, das ihm über die Tischplatte entgegen brandete, als gerechten Lohn für seine von ihm selbst als hervorragend eingestufte Vor-stellungsrede mit dem Gefühl von selbstgefälligem I-35

    Schulterklopfen zur Kenntnis; befreit, befriedigt, auf dieses Lob von vornherein bedacht und daher auch in diesen nicht mehr als sieben Augenblicken erfreulich belustigt.

    Als erster sprang Rolf Ebermann auf und schüttelte ihm begeistert die Hand. „Das haben Sie großartig gemacht.... haben Sie das", rief er aus. „Das bestärkt mich in meiner Entscheidung kolossal, Sie ausgewählt zu haben für das wichtigste Amt in unserem Unternehmen.

    Ich danke Ihnen... danke Ihnen sehr... und sehr... sehr aufrichtig für das, was Sie und wie Sie es gesagt haben."

    Eine zierliche Frau, etwa 30 Jahre alt, wie Wulff sie nach der Beurteilung ihres Gesichts einschätzte, war ebenfalls aufgestanden und hatte ihre Hände zur Andeutung eines Beifall-Sturms in Bewegung gesetzt, dabei jedoch, weil sie nicht kräftig und entschlossen genug zuschlug, keine bemerkenswerten Klatsch-Geräusche erzeugt. Die anderen Mitarbeiter, die Wulff während seiner Ansprache auf insgesamt elf durchgezählt hatte, blieben sitzen.

    „Sehr schön, daß Sie sich so... so enthusiastisch bemerkbar gemacht haben, Frau Jeda. Das ist eine gute Gelegenheit, gleich mit Ihnen anzufangen und Sie vorzustellen...

    als Sekretärin der Geschäftsführung, sagte Ebermann mit einem Fingerzeig auf sie. „Ich bin sicher, Sie werden sich mit Ihrem neuen Chef prächtig verstehen.

    „Das hoffe ich sehr, antwortete Brigitte Jeda in einem schüchternen Tonfall und errötete. Wulff nickte ihr zu und lächelte. „Da können Sie ganz gewiß sein, sagte er und dachte: Die sieht gar nicht schlecht aus mit ihrem Knoten im Nacken. Und vorzeigbar angezogen ist sie auch. Ziemlich attraktiv sogar, das Mädchen. Werde ja I-36

    sehen, was sie sonst noch kann in ihrem Job. Und die da, die mit den langen schwarzen Haaren, die neben dem Grauhaarigen sitzt, die, die ein bißchen aussieht wie die junge Liz Taylor... was wird die wohl hier sein?

    Die Leiterin der Presseabteilung, oder sitzt die in der Buchhaltung und an der Kasse? Eventuell auch Vertrieb? Gut möglich. Mit der Auswahl und Bearbeitung von Manuskripten hat die direkt sicher nichts zu tun.

    „Und das ist Frau Sandner-Koch... unsere Cheflektorin, hörte Wulff die Worte von Ebermann. „Sie ist noch nicht lange bei uns... erst seit Jahresanfang.

    „Guten Tag, sagte Wulff und nickte mit seinem Kopf eine leichte Verbeugung. „Freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Habe gleich eine Bitte an Sie: Kommen Sie doch nachher in mein Büro.... um zehn Uhr... vier... s.t., wenn’s recht ist.

    In ihrem Blick sah er ein kurzes Flackern; ihre Lippen kräuselten sich in einem Anflug von Ärger.

    „Sehr gerne", antwortete sie verwirrt, enthielt sich aber jeden Kommentars über die drangehängte Minutenan-gabe, die Wulff ihr genannt hatte. Ein solch präziser, oder sollte sie lieber sagen, ein solch idiotischer, ein solch pingeliger, völlig überzogener Zeitpunkt für eine geschäftliche Besprechung war ihr noch niemals, nirgendwo und von niemandem genannt worden. Der bringt es fertig und hängt noch die Sekunden hinten dran, dachte sie. Was ist das eigentlich für ein kauziger Typ?

    Und während Ebermann fortfuhr, ihm den nächsten Mitarbeiter vorzustellen („Das ist Herr Glugau, der Leiter der Pressestelle..."), wartete Alexander Wulff auf eine I-37

    Gelegenheit, ihn zu unterbrechen, sobald er eine Pause machen würde, um Luft für ein Durchatmen zu holen.

    „Peter Glugau ist unser ältestes Schlachtroß, wenn ich mal so sagen darf, und er..."

    „Vielleicht darf ich an dieser Stelle kurz einhaken, fuhr Wulff ihm ins Wort. „Es ist in zwei Minuten und 54 Sekunden exakt halb zehn. Ich erwarte gleich einen wichtigen Anruf auf der Festleitung. Es wäre mir lieb, wenn wir die Vorstellung hier an dieser Stelle abbrächen. Wir haben ja noch Zeit miteinander, uns in den nächsten Tagen kennenzulernen. Habe mir das ohnehin fest vorgenommen... werde mir dabei viele Mühe geben und mir viel Muße nehmen mit Ihnen allen.

    Das Erstaunen, das Ebermann erfaßte über diese uner-wartete Unterbrechung, die er als Vorstufe einer Zu-rechtweisung deutete, machte sich in den nervösen Zuckungen seiner rechten Augenbraue bemerkbar. Sein erster Gedanke wollte sich diese Einmischung verbit-ten, sein zweiter änderte seine Meinung und münzte seine Verärgerung über Wulff in eine Anerkennung für ihn um.

    „Ausgezeichnet, mit wie viel Schwung Sie Ihre Aufgabe angehen, lobte er seinen Geschäftsführer. „So tun wir, was Sie möchten. Ich löse also hiermit die Versammlung auf. Einen schönen Tag noch, Ihnen allen... Und gutes Gelingen, sagte er und stürmte aus dem Sitzungssaal. Bevor er die mit Leder ausgepolsterte Doppeltür geöffnet hatte, drehte er sich noch einmal um und bemerkte zu Wulff, der wenige Schritte hinter ihm ebenfalls den Raum verließ: „Ich ruf ’ Sie an... heute am späten Nachmittag, mein Lieber."

    I-38

    Brigitte Jeda eilte sofort ihrem Chef nach, um ihn nach seinen Wünschen zu fragen. Sie wußte ja noch nicht, welche Getränke er bevorzugte, ob er Tee mochte oder lieber Kaffee oder nur trüben Apfelsaft wie sein Vorgänger, einem promovierten Germanisten, mit dem sie leidlich ausgekommen war. Nur eine Unart hatte sie bei ihm nicht ausstehen können: er beduftete sich zu oft und zu stark am Tag mit süßlichem, schwerem Damen-Parfüm.

    „Keine Gespräche und keine Störung... jetzt, sagte Wulff in den Raum des Vorzimmers und meinte Frau Jeda, die hinter ihm hertippelte auf ihren Riemen-Schuhen. „Und ich hätt’ gern ein Glas Mineralwasser ohne Kohlensäure. Stellen Sie’s auf meinen Schreibtisch.... und schließen Sie dann die Tür, wenn Sie das erledigt haben... bitte, fügte er hinzu, während er sich auf den schweren Ohrensessel setzte, der aus der frühen Biedermeier-Zeit stammte.

    Jetzt muß ich also Bücher herstellen und verkaufen, dachte er. Und das bei MoRus, dieser Legende abendländischer Literatur-Fabrikation. Hab’ ich noch nie gemacht. Weiß gar nicht, wie das geht. Muß man das gelernt haben? überlegte er. Ist bestimmt nicht schwerer als Schallplatten unters Volk zu bringen oder Schuh-schränke, beruhigte er sich.

    Hoffentlich hat die Sandner-Koch ‘ne gute Nase für gute Geschichten. Wenn die falsche Stories einkauft, dann kommt Ebermann mit seinem Laden in diesem Jahr wieder nicht aus den roten Zahlen. Und dann kann’s ganz eng werden, auch für mich. Rilke läuft nicht mehr und Thomas Mann schon gar nicht. Grass I-39

    verkauft von seiner Blechtrommel noch nicht mal tausend Exemplare pro Jahr, habe ich irgendwo gelesen.

    Und seine neuen Bücher ziehen ebenfalls nicht mehr mit klingenden Kassen durch den Markt. Ich muß schleunigst alle Stückzahlen fix durchforsten in unseren Beständen und überprüfen, welche Romane wie Semmeln weggehen und wer mit seinen Elaboraten wie Blei liegt in den Regalen. Vielleicht gibt es klare Regeln, nach denen erfolgreiche Renner gemacht werden.

    Möglich ist vielleicht auch, die Leser konkret zu fragen, was sie begeistert.

    Das Klingeln des Telefons schreckte ihn hoch aus seinen Überlegungen.

    „Ja, bitte. Alexander Wulff spricht...... Ach du bist’s.....

    Sei gegrüßt...... Es ist gut gelaufen, sogar sehr gut, glaube ich... Ja...... natürlich...... Ich hab’ das wieder mit der Uhrzeit gemacht, du kennst das: zwölf Uhr neun. Hat gewirkt......... Aber das ist nicht wichtig. Hast du neue Informationen von Rotthauser?............ Das sagt der immer. Das sagt der schon seit einem Jahr................ Das ist sein gängiger Spruch. Kannst du ihm nicht mehr Druck machen?........... Ich hab’ nur noch wenig Luft, dann drehen die mir alles zu......... Das darf nicht passieren, nicht in meiner neuen Position hier und nicht jetzt....

    gerade am Beginn.......... Ja.... ja...... Wenn es was nützt... Ja..... ja...... ja... ja......... Nein..... Ja...... Versuch’s....... Mach’s...... mein’twegen......... Bis dann......

    Melde dich, sobald du Nachrichten hast... Prima...

    Dank’ dir."

    Alexander Wulff legte den Hörer zurück und seine Füße auf den aus Nord-Frankreich stammenden, reich I-40

    intarsierten Esche-Schreibtisch von 1857. Scheiße, fluchte er und schimpfte er sich an. Ekelhafter Mist verdammter. Ich klebe fest und kann mich nicht lösen.

    Er ging unruhig auf und ab, lenkte ziellos seinen Blick über die Buchrücken, die in den an allen vier Wänden bis unter die Decke eingebauten Regalen standen, trank einen Schluck Wasser, zupfte sein Hemd auf vor dem Bauch, stellte seinen Laptop an und sein Handy aus, rückte die Besucherstühle zurecht, suchte nach dem Schalter der Klima-Anlage, der neben der Tür angebracht war, drehte den blauen Pfeil auf achtzehn Grad und entschied sich dann, über die Sprechanlage nach seiner Sekretärin zu rufen.

    „Ich brauche die Verkaufszahlen des letzten Quartals.

    Geht das? Bringen Sie mir doch den Ordner... bitte, sagte er, als Brigitte Jeda eingetreten war und gefragt hatte: „Was kann ich tun für Sie?

    Wulffs Absicht war es nicht, sich die Tabellen anzuse-hen, noch nicht. Er wollte nur, daß die Unterlagen sichtbar auf seinem Schreibtisch deponiert waren, wenn Sandner-Koch, die Leiterin des Lektorats, vor ihm sitzen und davon ausgehen würde, er sei eingelesen und in allen Punkten über die Umsätze der einzelnen Sparten informiert. Er sah auf die Uhr. Sie hat noch sieben Minuten, stellte er fest. Es war neun Uhr siebenundfünfzig. Bin sehr gespannt, ob die folgsam ist, oder es wagt, mich gleich zu Beginn unserer Zusammenarbeit ab-sichtlich zu brüskieren, überlegte er.

    „Bereiten Sie doch schon was zu trinken vor für meinen Besuch, bat er Frau Jeda, als sie ihm den Ordner reichte. „Sie wissen doch sicher, was die Dame trinkt.

    I-41

    „Kaffee... schwarz, mit eineinhalb Stückchen Zucker", antwortete sie.

    „Fein", sagte Wulff. „Das kriegt sie auch, nicht wahr?

    Bringen Sie ihn gleich rein... und hier herstellen... hier wo sie sitzen wird... mir gegenüber auf dem Sofa? Und wenn sie kommt, lassen Sie sie sofort rein zu mir... Und dann keine Anrufe durchstellen."

    „Übrigens... Frau Sandner-Koch raucht. Darf Sie das auch in Ihrem Zimmer? Dann stelle ich noch gleich einen Aschenbecher dazu..."

    „Mal sehen, antwortete Wulff. „Ich rufe Sie dann, Brigitte. Ich darf Sie doch so nennen?

    „Selbstverständlich. Sie dürfen... gerne", sagte sie und lä-

    chelte ihn herzhaft an. Wulff fiel auf, wie nett und sympathisch sie aussah, und er beschloß, sie zu behalten und sich keine neue Sekretärin zu suchen. Das Recht, sie je-derzeit zu entlassen, hatte Ebermann ihm zugesichert.

    „Klopfen Sie alle ab, was die können. Testen Sie alle im Verlag und entscheiden Sie, wen Sie im Leitungsteam gebrauchen können und wen nicht. Sie haben für alle ei-ne Blanko-Kündigung in der Tasche, hatte er ihm gesagt. „Und falls es zu einer Serie von Arbeitsprozessen kommt, stehen wir das durch... auch finanziell, was mögliche Abfindungen angeht. Sie haben völlig freie Hand. Ich vertraue Ihnen MoRus an. Ich setze auf Sie.

    Aus der Tasse Kaffee, die für seinen Besuch bereit stand, stieg um zehn Uhr vier und auch noch um zehn Uhr fünf feiner, heißer Wasserdampf auf und kondensierte in der angenehm kühlen Temperatur, die in Alexander Wulffs Büro herrschte. Um zehn Uhr sieben, als die Tür aufging und Elsa Sandner-Koch mit einem Lächeln eintrat, dampfte der Kaffee nicht mehr. Wulff stand hinter seinem I-42

    Schreibtisch auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen.

    „Bitte... hier", sagte er mit einer in Richtung auf die Sitzgruppe angedeuteten Handbewegung. Er wartete demonstrativ in der wohlerzogenen Höflichkeit eines Kavaliers alter Schule, bis sie sich gesetzt hatte, bevor er ihr gegenüber in einem schweren Chesterfield-Sessel Platz nahm. Den Ordner legte er so vor sich hin, daß sie die Beschriftung lesen konnte.

    Sie hüstelte kurz und zeigte auf die Kaffee-Tasse. „Ist der für mich?" fragte sie. Wulff nickte. Den Ordner be-achtete sie nicht weiter.

    „Ach... und an die Menge Zucker, die ich zu nehmen pflege, haben Sie auch gedacht... Sehr aufmerksam von Ihnen."

    Sie warf das Stück und die Hälfte des anderen hinein und rührte um. Wulff sagte nichts; er wartete darauf, daß sie den ersten Schluck nahm. Sie tat es und verzog keine Miene, als sie das kalt-laue Getränk in ihrem Mund abschmeckte und hinunterschluckte. In diesem Augenblick wußte sie, welche subtile Lektion Wulff ihr erteilen wollte.

    „Gratuliere", sagte er. „Mutig von Ihnen, beim ersten Termin mit mir zu spät zu kommen. Und weit haben Sie’s ja nicht gehabt, wenn ich recht informiert bin...

    nur ein Stockwerk rauf." Er schmunzelte. „Keine Angst.

    Ich finde es gut, daß Sie auf diese Schrulle nicht eingegangen sind. Und sich drei Minuten zu verspäten, ist kein Verbrechen. Mehr sollten es aber auch nicht sein.

    Ich lege schon Wert auf die präzise Einhaltung von Ver-abredungen. So... und nun zum Geschäft. Wo steckt der Wurm, wie sieht er aus und wie können wir ihn unschädlich machen?" Er lächelte sie an und sie zurück zu I-43

    ihm. „Übrigens: Das mit dem Kaffee, daß mach’ ich immer so... lasse ihn schon einschenken zur genauen Uhrzeit, die verabredet ist. Aber ich will Sie jetzt nicht länger abhalten..."

    „Was wollen Sie hören?"

    „Den Wurm. Wie er spricht, wie schädlich er ist und wie wir ihn gemeinsam aus diesem Haus jagen..."

    „Welchen Wurm?"

    „Ich meine... Warum läuft der Laden hier nicht?"

    „Wir haben nicht genügend Autoren, die sich gut verkaufen. Wir haben aber eine Menge, die kein Massenpublikum finden. Wir haben bislang auf Klasse gesetzt, was auch immer das heißt... und uns zu wenig darum gekümmert, einen oder zwei oder gar drei Bestseller pro Jahr auf dem Markt unterzubringen", antwortete sie.

    „Wir hatten noch nie einen. Das ist der Wurm, wie Sie das nennen."

    „Wann ist ein Bestseller einer?"

    „Ab vierzig... fünfzigtausend schnell verkauften Exemplaren fängt er an, vielleicht einer zu werden."

    „In welchem Zeitraum?"

    „In den ersten zwei bis drei Monaten etwa vom ersten Tag des Erscheinens an."

    Wulff überlegte; dann stand er auf, öffnete die Tür zum Vorzimmer und rief: „Brigitte, eine Bitte... bringen Sie mir doch einen Aschenbecher für meinen Gast."

    „Woher wissen Sie, daß ich rauche?" fragte Frau Sandner-Koch, als er das schwere Kristall-Gefäß vor sie hinstellte.

    „Hab’ mich erkundigt... bin schließlich Ihr Gastgeber in meinem Büro."

    I-44

    Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief; den Rauch ließ sie abwechselnd aus Mund und Nase entweichen. Den Menthol-Geschmack behielt sie auf der Zunge. Ihr kurzer Rock war ihr bis über die festen, braungebrannten Oberschenkel gerutscht. Als sie Wulffs Blickrichtung einfing mit ihren Augen, zog sie den Saum mit zwei Handgriffen wieder runter.

    „Gibt es ein erprobtes, verläßliches Rezept, wie man Bestseller macht?" wollte er wissen.

    „Ich glaube nicht."

    „Glauben Sie’s nicht, oder wissen Sie es nicht?"

    „Ich weiß es nicht", antwortete sie.

    „Dann lassen Sie uns eins suchen... ab sofort."

    „Das geht nicht. Das glaub’ ich nicht... daß das geht."

    „Schon wieder Glaube, unterbrach er sie. „Wenn es noch keins gibt, dann erfinden wir eben eins...

    „Meinen Sie das ernst, Herr Wulff?"

    „Natürlich. Mir ist nicht nach Witzen zumute", antwortete er und wunderte sich selbst über die Schärfe in seiner Stimme.

    „Steht es denn so schlimm um uns?"

    „Nein, das nicht. Aber wir brauchen dennoch Erfolge...

    schnelle Erfolge, lieber heute als morgen. Wir sind uns das selbst schuldig... nicht nur wegen der Umsätze, die, so viel kann ich sagen, wirklich nicht berauschend sind."

    „Ich stehe Ihnen zur Verfügung... Tag und Nacht, wenn’s sein muß", sagte sie.

    „Dann hab’ ich eine Aufgabe für Sie: Besorgen Sie sich al-le Bücher der Bestseller-Listen der vergangenen neun Monate - Belletristik und Sachbuch - und arbeiten Sie sie intensiv durch... nach Themen, nach den Geschichten, I-45

    nach den Personen, die sie geschrieben haben... nach allem, was dort steht und was wichtig sein könnte. Untersuchen Sie, was es immer zu erfahren gibt an Anleitun-gen... an Wissenswertem, an Erkenntnissen, die uns weiterhelfen. Stöbern Sie die Emotionen auf, die in den Büchern erzeugt werden, finden Sie heraus, ob es Ge-meinsamkeiten gibt im Stil, in der Länge der Sätze, wie häufig Absätze gemacht werden... im Aussehen der Roman-Helden, an der Haarfarbe der Geliebten, in den Landschaften und Städten, in denen die Stoffe spielen.

    Quetschen Sie jedes Buch aus nach dem, was wirklich drinsteht. Suchen Sie dort nach den Rezepten... nach denen sie verfaßt wurden. Ich will alles wissen: das Durch-schnittsalter der Autoren, ob sie überwiegend männlich oder weiblich sind, woher sie stammen und das wievielte Buch es ist, das ihnen den Erfolg gebracht hat. Finden Sie heraus, welche Wörter besonders häufig benutzt werden... welche Verben es sind und welche Substantiva...

    Und ich will wissen, wer in welchem Alter aus welchem Grund mit welchem Einkommen und welchem Bildungsgrad welches Buch kauft. Geben Sie alle Daten ein in einen Computer, vergleichen Sie, ordnen Sie, machen Sie Tabellen und Schaubilder... und schreiben Sie mir dann das Rezept auf... zwei Rezepte: eins für einen perfekten, maßgeschneiderten, zielgruppengerechten Roman und eins für ein Sachbuch, das den Zeitgeist voll auf den Nagel trifft. Ich will, daß die Menschen Schlange stehen nach unseren Büchern.... schon bevor die Läden aufmachen."

    Er unterbrach sich für einen Moment und sah sie skeptisch an. „Haben Sie alles verstanden...? Hab’ ich mich klar genug ausgedrückt? Fragen Sie, wenn Ihnen was I-46

    unklar ist. Und noch was: Ich gebe Ihnen vierzehn Ta-ge dafür Zeit. Lassen Sie Ihre andere Arbeit ruhen. Alles andere hat Zeit... Ich will, daß Sie sich nur darauf konzentrieren und auf nichts anderes... Ich vertraue Ihnen. Ich setze auf Sie. Sie haben völlig freie Hand... und wenn Sie zusätzliche Mitarbeiter benötigen, kommen Sie zu mir... ich werde dafür sorgen, daß die Ihnen Tag und Nacht und an den Wochenenden zur Verfügung stehen. Er setzte eine erneute Pause in seinen Redefluß und blickte sie freundlich an. Danach setzte er sich ein flüchtiges Lächeln ins Gesicht. „Möchten Sie noch einen Kaffee... jetzt aber einen heißen?

    „Danke sehr, nein, antwortete sie. „Ich hab’ schon genug für diese Stunde.

    Erst jetzt, während sie beim Sprechen ihren rot ge-schminkten Mund bewegte, fiel ihm auf, wie außergewöhnlich attraktiv diese Frau war. Eigentlich völlig un-typisch für eine Lektorin, dachte er. Nach seinen Vor-urteilen und den daraus entwickelten Vorstellungen waren das immer graue, dürre Mäuse mit Brille, fußknö-

    chel-langen, bunten Röcken, Haarbüscheln unter den Armen und zottligen Frisuren. Außerdem rochen sie nach Waschpulver und hatten lange, forkige Fußnägel.

    Elsa Sandner-Koch aber, deren Alter Wulff auf einunddreißig bis dreiunddreißig Jahre schätzte, war, was ihre Erscheinung anging, genau das Gegenteil: Typ Diva

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1