ANNY Schicksalshafte Begegnungen
Von Anette Schwarz
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Über dieses E-Book
Der Wiederaufbau im Osten geht nur schleppend voran und so beschließen viele, in den Westen ,rüberzumachen‘. Für Friedrich, einen überzeugten Sozialisten, ist das keine Option.
Das Geld reicht jedoch kaum fürs Leben in der winzigen Wohnung, geschweige denn für ein weiteres Kind. Ihre leidenschaftliche Liebe wird immer wieder auf die Probe gestellt. Und dann ist da noch Lena, Friedrichs ehemalige Freundin, die es immer wieder schafft, ihn in ihren Bann zu ziehen. Anny ist verunsichert. Wird er ihr widerstehen können?
Anette Schwarz wurde 1954 in Königs Wusterhausen geboren. Die Erzählerin lebt und schreibt in Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. „Anny – Schicksalhafte Begegnungen“ ist ihr erster Roman und basiert auf einer wahren Begebenheit. Von ihr ist 2023 das Kinderbuch „Der Zeitstein“ erschienen.
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Buchvorschau
ANNY Schicksalshafte Begegnungen - Anette Schwarz
Die Nachricht
Januar 1956. Es war ein eisiger Wintertag. Eine junge Frau ging durch die dunklen nassen Straßen. Es war menschenleer und so sah niemand ihr verzweifeltes Gesicht. Schneeflocken tanzten auf ihren Wangen und vermischten sich mit ihren Tränen. Aber sie fühlte sie nicht. Im Licht der Laternen glitzerte der Schnee. Sie liebte dieses Funkeln, doch heute sah sie es nicht.
In ihren Gedanken hörte sie die Worte ihres Arztes: „Sie sind schwanger."
Zu Hause angekommen, zog sie ihre nasse Kleidung aus und legte sie auf eine Stuhllehne. Sie ging durch die Zimmer, um nach Friedrich zu sehen. Er war nicht zu Hause.
Die Wohnung war sehr klein unter dem Dach des Hauses. Aber sie war froh, dass sie ein eigenes Zuhause von der Stadt Berlin zugewiesen bekamen. So wenige Jahre nach dem Krieg war es sehr schwer, eine Wohnung zu erhalten. Die einst so schöne Stadt wurde im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört. Man konnte noch immer die Spuren des Krieges sehen und die ersten Neubauten. Anny gefielen die grauen und schmucklosen Häuser nicht. Außerdem fehlten ihr Bäume und grüne Oasen. Die Wohnung war bereits möbliert, als sie einzogen, denn die Vormieterin war nach Westdeutschland geflohen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie diese kleine Wohnung erhielten. Die Möbel waren noch in einem guten Zustand und gefielen Anny. In der Anrichte im Wohnzimmer waren viele Bücher von Friedrich eingeräumt. Ein grauer und ein roter Sessel mit Lehnen aus Holz standen in der Mitte des Wohnzimmers links und rechts um den runden Tisch.
Eine bunte Stofftischdecke und auch eine Porzellanschale mit Äpfeln schmückten den Tisch. Sie schaltete das Radio ein und hörte Musik.
Nun ging sie in die Küche und bereitete sich einen Tee zu. Es war sehr kalt in der Küche und Anny ging mit der Tasse Tee zurück in das beheizte Wohnzimmer. Als sie den Tee ausgetrunken hatte, überlegte sie, was nun zu tun sei. Sie entschied sich, ins Bett zu gehen und dort auf Friedrich zu warten. Das Schlafzimmer war eine schmale Kammer und wirkte sehr dunkel. Der Eichenkleiderschrank nahm eine ganze Wand des Zimmers ein. An der anderen Ecke des Zimmers stand eine breite Couch. Beide fanden genügend Platz, darauf zu schlafen. Dunkelgrüne Gardinen, die sie aber nie zuzog, hingen am Fenster. Sie versuchte, zu lesen, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Ich muss es ihm sagen, doch Friedrich ist nicht zu Hause‘, dachte Anny und schlief vor Erschöpfung ein.
Nach einer Weile spürte sie seinen kalten Körper. Kurz zuckte sie zusammen, aber dann zog sie Friedrich ganz fest an ihren warmen Körper. Friedrich schmiegte sich glücklich an sie und beide schliefen fest ein.
Am nächsten Morgen klingelte früh der Wecker. Sie verdammte den Klingelton, denn er war sehr schrill. Friedrich lachte, als sie laut sagte: „Hör schon auf, zu klingeln, du gruseliger Wecker!"
Als Anny das Bett verlassen wollte, hielt seine warme Hand sie fest und zog sie zurück. Sie ließ es geschehen. Er küsste sie zärtlich und sagte zu ihr: „Du bist die schönste Frau, die ich kenne. Ich liebe dich sehr." Seine Hände streichelten dabei ihre Brust. Ihr Atem wurde schneller und sie streichelte seinen Körper.
Obwohl das Zimmer kalt war, merkten sie es nicht. Er zog sie zärtlich unter sich und liebte sie. Anny liebte es, auf diese Weise mit Friedrich zusammen zu sein.
Nun verließen beide das Bett und langsam kehrte die Kälte des Zimmers in ihre Körper zurück. Friedrich heizte schnell den Ofen ein und Anny bereitete das Frühstück. Es gab Weißbrot mit Sirup und dazu einen heißen Tee. Im Radio wurde von großen Leistungen im Wiederaufbau der DDR, von der Planerfüllung in den sozialistischen Betrieben und von wichtigen inter-nationalen Ereignissen berichtet. Der Sprecher las ohne Emotionen den Text.
Endlich waren die Nachrichten vorbei. Friedrich hörte genau zu. Politik interessierte ihn sehr. Er spürte nicht, dass Anny Sorgen hatte. Während er sich rasierte, sang er fröhlich. Friedrich war sehr musikalisch und spielte einige Instrumente. Und ja, er machte sie sehr glücklich in der körperlichen Liebe und im Alltag des Lebens.
Sie lächelte, als er seine Brille putzte. „Anny, ich komme heute leider auch wieder spät. Bitte sei nicht traurig. „Ich bin natürlich traurig, aber ich verstehe das. Bitte, Friedrich, wir müssen heute Abend etwas Wichtiges besprechen.
„Alles, was du willst, Liebste!"
Er küsste sie noch einmal zärtlich und sagte: „So sollten wir jeden Tag beginnen, meine süße Anny."
Friedrich zwinkerte ihr zu und verließ die Wohnung. Anny hatte noch etwas Zeit und räumte das Zuhause auf. Dann ging auch sie zur Arbeit.
Ihre Freundin Gisela wartete bereits auf sie. Beide waren schon seit ihrer Kindheit beste Freundinnen. Gisela hatte braunes Haar, das sie immer kurzgeschnitten trug. In ihrem Gesicht sah man ein paar Sommersprossen, die sie nicht leiden konnte. Anny neckte sie dann, wenn Giesela sich über ihre Sommersprossen beklagte und antworte lachend. „Du hast wenigstens Gesichtspunkte!"
Gisela stupste sie dann an und umarmte ihre Freundin. Dann hob sie leicht den Kopf und wiederholte: „Du hast
Recht, ich habe wenigsten Gesichtspunkte."
Nie vergaß Gisela, roten Lippenstift aufzutragen und ihre Augenbrauen mit einem schwarzen Stift nachzuziehen. Manchmal setzte sie sogar einen Schönheitsfleck an ihre linke Wange.
Es waren schon viele Kinder im Kindergarten, die sehr früh von ihren Müttern oder Vätern abgegeben wurden. Anny dachte, dass das nicht richtig ist, die kleinen Kinder so früh aus dem Schlaf zu wecken und bei so kaltem Wetter durch die Dunkelheit zu bringen. Sie hatte oft mit Friedrich darüber gesprochen. Aber Friedrich verstand das.
Er sagte ihr: „Schau mal, nach dem Krieg muss alles wieder aufgebaut werden und wir müssen unser junges Land wirtschaftlich stark machen. Dafür werden Frauen und Männer gebraucht."
„Friedrich, ihr Männer bekommt so wenig Lohn, dass wir Frauen auch arbeiten müssen. Du siehst ja, wie es bei uns ist. Du arbeitest so lange und hart. Aber unser Geld reicht einfach nicht. Und wir leben wirklich sparsam. „Das stimmt irgendwie. Aber wir müssen erst den Wohlstand in unserem Land verbessern. Auch die Folgen des Krieges und die Reparationszahlungen an die Sowjetunion belasten unser Land sehr. Bitte, wir müssen das verstehen.
„Aber die Kinder dürfen doch nicht darunter leiden. Friedrich lächelte und sagte: „Bei einer so hübschen und liebevollen Kindergärtnerin wie dich leiden die Kleinen nicht, sondern sind glücklich, glaube mir.
Damit war für Friedrich alles zufriedenstellend beantwortet. Doch nicht für Anny. Sie steckte ihm lächelnd Zunge aus. Friedrich lachte und umarmte sie.
Sie wurde aus den Gedanken gerissen, denn Gisela tippte sie an.
„Ist alles in Ordnung? Du siehst traurig aus." fragte sie. Gisela fühlte es immer, wenn etwas nicht stimmte.
„Nein, Gisela, ich bin schwanger und kann nicht mit Friedrich darüber sprechen. Er kommt immer sehr spät nach Hause."
„Mein Wolfgang auch. Seit er bei der Polizei ist, arbeitet er nur noch."
„Friedrich sagt immer, sie müssen die Produktionspläne erfüllen. Anny sagte es mit traurigen Augen. „Für Frieden und Sozialismus! Ich kann es nicht mehr hören, Anny, glaube mir, diese Parolen kennen wir genug. Ein bisschen auf den Sozialismus umgeschrieben und schon folgen wir wieder blind. Anny, Wolfgang sagt immer, dass wir wieder eine Diktatur haben, nur dieses Mal nach russischem Vorbild. Deswegen möchten Wolfgang und ich rüber in den Westen machen, Anny kommt doch beide mit.
„Friedrich würde nie mitkommen, er ist so vom Sozialismus überzeugt und wird sogar in die Partei eintreten."
„Was in die SED? Spinnt der?"
„Ja, er sagte, dass die DDR noch sehr jung ist. Und er erklärte mir auch, dass die SED die Betriebe an das Volk übergeben hat und wir die Großgrundbesitzer enteigneten. Es wird uns besser gehen und er will das alles mitgestalten".
„Naja, mein Mädchen. Nichts ist da, alles zerstört und wir leben von Appellen an den Sozialismus. Ich mache da nicht mit."
„Meine Mutter kann auch nicht verstehen, warum ich nach Berlin gezogen bin. Hier ist alles trostlos. Sie ist auch erschüttert, dass Friedrich nicht christlich ist.
Mutter ist katholisch und sehr mit Gott verbunden. Aber ich liebe Friedrich so sehr und würde ihm überall hin folgen."
„Ich verstehe dich, Anny, denn ich mag Friedrich auch und ihr beide müsst es schaffen."
Nun begann die Schicht und sie gingen zu ihren Kindergruppen.
Am Abend hatte sich das Wetter beruhigt. Anny konnte sogar Sterne und den Mond sehen, als sie auf dem Heimweg war. ,Ach, lieber guter alter Herr Mond‘, dachte Anny. Als sie zu Hause war, heizte sie den Ofen und schnell wurde das Zimmer warm. Friedrich war nicht zu Hause und sie wusste, er würde wieder sehr spät kommen. Anny dachte an das Gespräch mit Gisela und wurde von ihren Gedanken an die Schwangerschaft abgelenkt. Sie dachte auch an ihre Mutter und lächelt dabei. ,Mama, ich vermisse dich. Ich möchte auch einmal eine so wunderbare Mutter sein, wie du es bist‘.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Anny meinte, dass Friedrich seinen Schlüssel vergessen hatte und öffnete. An der Tür stand die Mieterin, die mit ihrem Mann eine Etage unter ihrer Wohnung lebte.
„Guten Abend, Frau Nachbarin. Bitte kommen Sie herein. Kann ich Ihnen helfen?"
Aufgeregt nahm sie Annys Hand und zog an ihr. „Kommen Sie schnell mit mir. Mein Mann bewegt sich nicht mehr!"
„Einen Augenblick." Sie nahm ihren Wohnungsschlüssel und folgte der hilfesuchenden Frau. Der Ehemann lag auf dem Fußboden. Sein Gesicht war weiß und seine Lippen waren blau verfärbt. Der Mund war offen und seine mit dunklen Schatten umrandeten Augen waren starr geöffnet.
In der Zeit, als ein anderer Nachbar einen Arzt rief, legten die beiden Frauen den leblosen Körper des Mannes auf das Bett. Anny ahnte, dass ihr Nachbar tot war. Aber sie schwieg und deckte ihn zu. Die Nachbarin weinte sehr. Sie holte ein Taschentuch aus der Tasche ihrer verwaschenen Kittelschürze, wischte sich die Tränen von den Wangen und putzte sich die Nase. Anny sah ihre dicken dunkelbraunen Strickstrümpfe und ihre braune Strickjacke, die sie aus der gleichen Wolle gestrickt hatte.
„Er ist tot, nicht wahr?"
„Ich glaube ja. Aber ich bin keine Ärztin."
Die Witwe öffnete nach einer Weile weit das Fenster. Eisige Kälte kroch ins Zimmer.
„Was machen Sie da? Es ist so kalt."
Die Nachbarin legte eine Decke um Annys Schultern und sagte: „Mein Mädel, ich muss das Fenster öffnen, damit Kurts Seele zu Gott in den Himmel aufsteigen kann."
„Ich verstehe das gut. Wollen wir beten, bis der Arzt kommt?"
„Mädelchen, mein Kurt und ich haben Ihre Familie sehr gern. Dürfen wir schweigen? Weißt du, er braucht Stille für den letzten Weg für seine Seele."
Anny legte die Decke nun auch um die Schulter ihrer Nachbarin und hielt ihre Hand fest. Beide wurden aus der Ruhe gerissen, als es klingelte. Anny öffnete die Tür und ließ einen Arzt eintreten.