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Das Lied der See
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eBook402 Seiten5 Stunden

Das Lied der See

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Über dieses E-Book

*Im Morgengrauen hatte ich ihn gefürchtet.
Zur Mittagsstunde hatte ich ihn gehasst.
Im Abendrot hatte ich mich verliebt.*

Es ist mitten in der Nacht, als eine feindliche Armee ins Schloss eindringt und Prinzessin Angelina mit ihrer Zofe Emilia fliehen muss. Ein Fluchtschiff soll sie zu Angelinas Verlobtem, dem Kaiser der Goldenen Inseln, bringen. Kaum den Feinden entkommen, wird das Schiff jedoch von Seeräubern überfallen. Die beiden Frauen finden sich an Bord eines Piratenschiffes wieder und es sind ausgerechnet die tiefen meerblauen Augen des attraktiven Kapitäns Hektor Lewis, die Angelina mehr und mehr in ihren Bann ziehen. Eine bevorstehende Meuterei, ein wütender Sturm, zerstörte Schiffe und feindliche Piraten sind dabei ihre geringsten Probleme. Denn gerade als Angelina dabei ist, Hektor ihr Herz zu schenken, stößt sie auf ein dunkles Geheimnis.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum14. Aug. 2023
ISBN9783987180682

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    Buchvorschau

    Das Lied der See - Tanja Penninger

    Vorwort

    Das Lied der See (Tauche tief)

    Erhebe deine Stimme und singe dich frei.

    Doch um dich frei zu singen, brauchst du einen Text und eine Melodie, die diese Zeilen trägt. Die Melodie ist der Klang deines Herzens, das in deinem individuellen Rhythmus schlägt. Sorge dich nicht, dein Körper wird dir zeigen, was sich gut anfühlt, achte nur auf seine Signale und Impulse. Dann lasse dich von ihm führen. So, als wäre es ein Tanz.

    Um den Text für dein Lied zu finden, musst du erst etwas anderes finden. Etwas anderes erkennen.

    Was das ist, wirst du vielleicht beim Lesen des Buches herausfinden.

    Manchmal sind Dinge – und Menschen – nämlich anders als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.

    Dinge, Menschen … und sogar du selbst.

    Denn möglicherweise ist das Spiegelbild, das du von dir im Meer siehst, ein von Wellen verzerrtes Trugbild deiner wahren Seele …

    Prolog

    Lieblicher Gesang weckte Kapitän Demetri Eversol aus einem tiefen Schlaf. Gerade eben hatte er von seiner Frau und seinen Söhnen geträumt, die zu Hause auf ihn warteten. Jetzt verblasste diese Fantasie, machte den geheimnisvollen Stimmen Platz, die tiefer und tiefer in seinen Verstand eindrangen.

    Die Klänge waren wie Kletterpflanzen, saftiger Efeu, der sich in Windeseile einen Turm hinaufschlängelte. Genauso zielstrebig drangen die Töne in Eversols Gedanken, spülten sämtliche Sorgen darin fort. Zurück blieb ein Meer aus sinnlicher Melodie, in das der Kapitän gern eintauchte.

    Verführt von diesem Gesang, erhob er sich aus seinem Bett, verließ die Kajüte und trat hinaus an Deck seines Schiffes. Dort standen bereits Matrosen und blickten ebenso sehnsüchtig hinaus auf die spiegelglatte Oberfläche der See, wie Eversol selbst es sofort tat. Denn von dort, tief unten im Herzen des Ozeans, kam der harmonische Chor.

    Noch nie zuvor hatte der Kapitän Schöneres vernommen – und er hatte mit seinen fast fünfzig Jahren so einige Abenteuer auf See erlebt. Er hatte gegen Piraten gekämpft, Inseln im Süden des Kontinents entdeckt und Fische von der Länge eines Schlossturms in den Wellen gesehen.

    Was sich aber jetzt, beleuchtet vom silbrigen Glanz des Vollmonds, aus den Untiefen des Wassers herausschälte, sprengte all seine Vorstellungskraft: Es war das liebreizende Gesicht einer Frau. Eversol war sich sicher, noch nie ein engelsgleicheres Wesen gesehen zu haben. Ihr langes Haar breitete sich wie die Strahlen der Sonne auf dem Meer aus und bedeckte die Blöße ihrer vollen Brüste.

    Eversols Körper kribbelte vor Gier. Alles in ihm verlangte, näher bei dieser mysteriösen Frau zu sein und den Klang ihrer Stimme aufzusaugen wie frische Luft. Er sehnte sich danach wie ein Fisch nach dem Wasser und ein Vogel nach der Freiheit.

    Und deshalb zögerte er auch nicht, zusammen mit seinen Männern ins Meer zu springen. Verführt von überirdischem Gesang, warf Eversol nicht nur sämtliche Bedenken über Bord. Nein. Er hüpfte selbst hinein, in die wie schwarzer Samt glänzenden Wellen.

    Kaum tauchte sein Köper im Wasser unter, packte ihn jemand – oder etwas – an den Beinen. Von plötzlicher Eiseskälte und Panik erfasst, versuchte Eversol zu strampeln, sich zu wehren. Erfolglos. Der Kapitän wurde hinabgezogen, in die Tiefe des Ozeans. Er wollte schreien und schluckte dabei frostiges Salzwasser. Dieses füllte seine Lunge, die daraufhin brannte. Sein Kopf wollte vor Schmerz explodieren.

    Ehe Eversol ertrank, spürte er, wie sich mehrere messerscharfe Klingen in seinen Hals gruben …

    Einst musste ich mich wagen

    500 Jahre später …

    Es geschah mitten in der Nacht. Ja, Vater hatte mich gewarnt, aber nein, ich hatte das Schloss nicht verlassen.

    Jetzt waren sie da. Mit Rammböcken und Katapulten griffen die Meheré unser Schloss an.

    »Prinzessin Angelina, kommt!«, rief meine Zofe Emilia und zog an meinem Arm. Doch der Schock saß zu tief, als dass ich hätte aufstehen können. Schweißnass hockte ich in meinem Bett, das Nachtgewand klebte an meinem zitternden Körper.

    »Beeilt Euch! Ihr wisst, was Euch Euer Vater im Falle eines Angriffs aufgetragen hat!«

    Ich sollte fliehen.

    Mein Herz machte einen Satz. So heftig, dass es wehtat. Dennoch hatte ich genau diesen Ruck gebraucht, um mich endlich aus meinem Himmelbett zu erheben. Meine Müdigkeit wurde von einer Welle der Panik verdrängt.

    Emilia ließ mich los und nahm wohl an, dass ich ihr auf der Stelle zur Tür folgen würde. Da hatte sich meine Zofe getäuscht. Ich war immer noch eine Prinzessin!

    »Ich brauche ein Kleid.« Ich griff nach dem violetten Seidenstoff, der so wundervoll zu meinem schwarzen Haar passte. Da stieß jemand die Tür auf.

    »Mylady!«

    Wendelina, eine unserer tapfersten Ritterinnen, preschte in mein Gemach. In einer Hand hielt sie eine lodernde Fackel, doch mein Blick glitt ungewollt zu dem Schwert in der Scheide an ihrem Gürtel. Erschrocken schlang ich die Arme um meinen dürftig bekleideten Körper. Unter normalen Umständen durfte niemand ungefragt meine Räumlichkeiten betreten.

    Sogleich erinnerte mich der Einschlag einer weiteren Kanonenkugel und die daraufhin folgende Erschütterung daran, dass gerade ein Ausnahmezustand herrschte.

    Ich strauchelte, prallte unsanft gegen meinen mit Cremes und Bürsten beladenen Schminktisch. Einige Tuben polterten zu Boden.

    Wendelina machte keinen Hehl aus unserer schrecklichen Situation. »Ihr dürft keine Zeit verlieren, die Meheré versuchen bereits, mit Rammböcken durch das Tor zu kommen. Es wird nicht ewig halten. Euer Vater trug mir auf, Euch unverzüglich fortzubringen.«

    Ich ergriff Wendelinas ausgestreckte Hand und stolperte ihr nach. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Von einem Wimpernschlag auf den anderen war das Kleid vergessen, in dem ich erst gestern noch mit Emilia durch unsere prächtigen Gärten spaziert war.

    Da ich keine schweren Gewänder trug, konnte ich flinker durch die Schlossgänge laufen. Diese kamen mir mit einem Mal fremd vor. Besonders, da Wendelinas Fackel schreckliche Schattenbilder an den kalten Stein warf.

    »Ihr müsst schneller laufen, Mylady! Mein Gehör sagt mir, dass die Meheré ins Schloss eingedrungen sind. Wenn ich Euch nicht sofort von hier wegschaffe, dann …«

    Nein, die Ritterin brauchte diesen Satz nicht ausformulieren.

    Ihr Unterton verriet mir den Rest. Könnten Emilia und ich nicht rechtzeitig entkommen, würden uns die Soldaten der Meheré gewiss nicht mit Samthandschuhen anfassen.

    Sämtliche Frauen und Kinder hatte mein Vater bereits gestern in Sicherheit bringen lassen. Sie alle waren längst auf einem Schiff unterwegs zu unserem Verbündeten und meinem Verlobten, dem Kaiser Faharid von den Goldenen Inseln. Ich hatte mich am Vortag noch vehement geweigert, das Schloss meines Vaters zu verlassen. Bisher hatte ich den Kaiser erst einmal als kleines Mädchen gesehen und nicht vorgehabt, ihm unter solchen Umständen unter die Augen zu treten. Nun schien es die einzige Möglichkeit, weiterhin am Leben zu bleiben.

    Während ich in Gedanken schon die Goldenen Inseln betrat, erreichte ich in Wirklichkeit erst die Geheimtür zum Fluchtweg. Heiß und pulsierend rauschte mir das Blut durch die Adern, als ich auf das gigantische Gemälde meiner Familie starrte.

    Das Kunstwerk zeigte meine Eltern und mich, zusammen mit unseren frisierten Hofhunden. Während meine Mutter vor zehn Jahren an einer Lungenkrankheit gestorben war, würde mein Vater bis zu seinem letzten Atemzug gegen die an Todesgötter glaubenden Meheré kämpfen. Die Vermutung, dass er heute sterben würde, schnürte mir die Kehle zu. Bisher hatten die Angreifer alle Herrscherinnen und Herrscher getötet, deren Reich sie erobert hatten. Gefangene machten sie nicht. Und das meines Vaters war noch als einziges übrig. Wir hatten im Grunde keine Chance.

    Wendelina drängelte mich ungeduldig in den Geheimgang hinter dem Gemälde. Emilia zupfte nervös an ihrem Zofenkleid herum und verstand bestimmt nicht, warum es mir so schwerfiel, meiner Heimat den Rücken zu kehren – mein ganzes Leben hinter mir zu lassen. Während ich Schloss Calada nie verlassen wollte, strebte Emilia stets danach, ferne Ufer zu erkunden. Sie liebte Abenteuer und träumte davon, neue Welten zu bereisen. Ich hingegen hätte für immer hier auf Schloss Calada bleiben wollen. Hier. Zu Hause.

    Gerade als ich in den finsteren Gang trat, gewahrte ich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung seitlich von uns.

    »Vorsicht!«, schrie Wendelina und schwang im rechten Moment ihr glänzendes Schwert. Stahl prallte klirrend aneinander. Ein erstickter Laut entglitt meiner Kehle, während ich mich duckte und zum Schutz meine Hände über den Kopf hielt. In der Hitze des Gefechts hatte ich sogar den mit Edelsteinen besetzten Dolch in meiner Nachttischschublade vergessen. Ich hatte also nichts, um mich zu verteidigen.

    Ein Krieger der Meheré hatte uns gefunden und grinste finster. Bestimmt sah er die Angst in meinen geweiteten Augen.

    »Ist euer König so gastfreundlich, uns als Geschenk diese reizenden Püppchen zu überlassen?«, höhnte der bärtige Soldat mit der dunklen Uniform. Er wackelte mit den Augenbrauen, ließ seinen Blick zu meinen Brüsten wandern und leckte sich anzüglich über die Lippen.

    Angewidert verzog ich das Gesicht. In diesem Moment attackierte der Meheraner Wendelina ein weiteres Mal. Diese hatte ihre Fackel inzwischen an Emilia weitergereicht, um besser kämpfen zu können.

    Das vielsagende Lachen des Meheraners jagte mir einen eiskalten Schauder über den Rücken. Dennoch ballte ich mutig die Fäuste und zischte drohend: »Ihr werdet euch noch wünschen, niemals hier eingefallen zu sein!«

    »Lauft, Prinzessin. Lauft so hurtig Ihr könnt«, schrie Wendelina da, immer energischer mit dem Meheraner kämpfend, »bleibt nicht stehen. Ich halte Euch den Rücken frei!«

    Abermals war es meine Zofe, die schneller reagierte.

    »Kommt, Prinzessin. Wir müssen hier weg!«, rief sie und packte mich an einer Hand. Unglücklicherweise wehre sich mein Herz dagegen, das Schloss meines Vaters zurückzulassen. Nur mein Verstand sagte mir, dass ich endlich die Beine in die Hand nehmen und um mein Leben rennen sollte.

    »Ihr kommt doch nach?«, fragte ich die Ritterin noch, obwohl ich wusste, dass sie bei dem Versuch, Emilia und mich zu beschützen, umkommen würde.

    »So schnell ich kann«, log Wendelina, »und jetzt lauft!«

    Hals über Kopf hechteten meine Zofe und ich durch den dunklen, feuchten Gang, der nur von Emilias Fackel erhellt wurde. Wieder zuckten schaurige Schatten über die Wände, doch diesmal hatte ich keine Zeit, mir dazu gespenstische Dinge auszumalen. Meine nackten Füße patschten unrhythmisch über den kalten Stein und mein Atem klang plötzlich so rasselnd, dass ich fürchtete, meine Lunge könnte platzen.

    Obwohl mir das Blut lautstark durch die Ohren rauschte, bildete ich mir ein, Wendelina nach wie vor kämpfen zu hören. Das permanente Klirren und Kratzen von Stahl bereitete mir eine Gänsehaut. Sie war die beste unserer Ritterinnen und Ritter und ich hatte sie immer bewundert. Ich wollte gar nicht daran denken, dass sie heute sterben würde. Für unser Land. Für mich.

    »Prinzessin!«, schrie meine Zofe. Die große, braunhaarige Gestalt vor mir drehte sich im Lauf um. Ihre Locken flogen hinter ihr her. Sie hatte bemerkt, dass ich langsamer geworden war. »Dort vorne ist der Ausgang. Wir sind gleich am Schiff!«

    Tatsächlich erreichten wir nur wenige Meter weiter das Ende des finsteren Gangs. Wir mussten die ganze Zeit leicht bergab gelaufen sein, denn jetzt erkannte ich, dass wir direkt unter den Bergen am Hafen hervortraten. Über uns erstreckte sich der dunkle Himmel, der nur vom Mond spärlich erleuchtet wurde. Die Sterne versteckten sich in einer schrecklichen Nacht wie dieser lieber hinter Wolken.

    Das lodernde Orange der Fackel zeigte mir, dass meine Zofe nicht stehen geblieben war, um die Umgebung länger zu betrachten. Emilia steuerte zielsicher auf das prächtige Schiff zu, das mit der wehenden Flagge meines Vaters vor Anker lag. Das Wappen zeigte das in den Felsen errichtete Schloss Calada, im Abendrot leuchtend. Normalerweise verspürte ich Stolz beim Anblick dieses Bildes, jetzt hatte ich einfach nur Angst.

    Verstört folgte ich meiner Zofe und ging mit wild klopfendem Herzen an Bord der Flying Calada, wo uns bereits Kapitän Roy Eversol, ein guter Freund meines Vaters, erwartete.

    »Setzt die Segel, wir reisen zu den Goldenen Inseln!«, rief dieser, kaum dass ich an Deck des Schiffes stand. Wie in Trace starrte ich zu den Bergen hinauf, zu unserem Schloss. Zu meinem Zuhause, das nun zusammen mit den Letzten, die dort noch am Leben waren, dem Untergang geweiht war.

    In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Kapitän Eversol hatte die besten Kajüten für meine Zofe und mich ausgesucht, aber ich fühlte mich wie in einem Gefängnis – und das, obwohl ich gerade mal so mit dem Leben davongekommen war. Eigentlich hätte ich dankbar und froh sein sollen, nun auf dem Weg zu Kaiser Faharid zu sein, denn vielleicht konnte ich mein Land eines Tages mithilfe dieses Mannes zurückerobern.

    Kaum glaubte ich, endlich ins Land der Träume gleiten zu können, tauchten Bilder von Wendelina und meinem Vater in meinem Geiste auf. Zuerst lächelten sie mir liebevoll zu, dann wurden sie von einem Krieger der Meheré brutal niedergestreckt. Und dieser Soldat, er grinste wie ein Dämon und schritt auf mich zu …

    Schweißgebadet riss ich die Augen auf, fürchtete mich auf einmal sogar vor dem Einschlafen. Meine Fantasie war noch weitaus entsetzlicher als die Wirklichkeit.

    »Habt keine Angst, Prinzessin«, flüsterte Emilia just in diesem Moment und drehte sich so, dass ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Obwohl noch immer Nacht war und der Mond nur zart durch die Luke ins Innere des Schiffes schien, blickte ich wie so oft in Emilias Augen und fühlte mich sofort geborgen. Die große, hagere junge Frau war mit ihren fünfundzwanzig Jahren nicht nur vier Jahre älter, sondern auch wesentlich tapferer als ich.

    Da es meinen Eltern leider nicht vergönnt gewesen war, außer mir noch weitere Kinder zu bekommen, hatte ich meine Sorgen mit meiner Zofe geteilt, die mich trotzdem nicht einfach Angie nennen wollte, obgleich ich ihr das schon angeboten hatte.

    Emilias liebevolle Worte beruhigten mich. Auch streichelte sie nun liebevoll über meinen Arm. Ich beobachtete ihre braunen Finger, die wie selbstverständlich über meine schwarze Haut glitten. Ein Gefühl von Zuversicht flutete mein Herz. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen. Emilia schon, denn irgendwann hörten die Streicheleinheiten auf, ihre Hand verharrte bewegungslos auf meinem Arm.

    Als die ersten Sonnenstrahlen durch die kleine Luke drangen, erhob ich mich wieder. Ich überlegte, auch meine Zofe zu wecken, entschied mich jedoch dagegen. Kurzerhand öffnete ich die große Truhe, die in einer Ecke der Kajüte stand, hoffend, darin Kleider für uns zu entdecken. Und wahrhaftig war es so.

    Dankbar nahm ich ein schlichtgewebtes Gewand in Fliedertönen heraus und zog es an. Da ich nirgends eine Haarbürste oder einen Kamm entdeckte, fuhr ich mir ein paarmal mit den Fingern durch mein glänzendes Haar und band dieses anschließend über einer Schulter mit einem Samtband zusammen, das ebenfalls in der Kiste gelegen hatte.

    Normalerweise bestand ich darauf, dass mir meine Zofe ein paar Minuten lang mein Haar frisierte und mein Gesicht anschließend mit einer Feuchtigkeitspflege eincremte, doch unter unseren bizarren Umständen verzichtete ich auf dieses Morgenritual.

    Nachdem ich meine Füße in Pantoffel gesteckt hatte, verließ ich die enge Kajüte und betrat neugierig das Deck der Flying Calada. Das Wissen, dass ein Teil des Königreiches meiner Familie durch das vor zwei Tagen in See gestochene Fluchtschiff Royal Calada noch existierte, linderte den Schmerz in meiner Brust ein wenig. Dennoch konnte nichts und niemand die brennende Qual in meiner Seele löschen, die aufloderte, wenn ich mir vorstellte, wie die Meheré meinen Vater abschlachteten. Die Möglichkeit, dass er irgendwie überlebt hatte, war so gering, dass ich sie gar nicht mehr in Erwägung zog. Die Meheré waren ein übermächtiges Volk, das niemals Gnade walten ließ und sich wie ein Schatten über unseren Kontinent ausgebreitet hatte.

    Ich zuckte zusammen, zwang mich, meine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die grenzenlose blaue See, die sich vor meinen Augen auftat. Fasziniert trat ich an die Reling heran, umschlang das dunkle Holz und blickte hinaus auf das weite Meer.

    Wind zupfte an meinen Haaren, einzelne Strähnen lösten sich aus dem Zopf. Dennoch wollte ich mich nicht wieder unter Deck zurückziehen. Hier am Hauptdeck der Flying Calada fühlte ich mich überraschenderweise ziemlich wohl. Meine Befürchtung, seekrank zu werden, war unbegründet gewesen. Das sanfte Schaukeln des Schiffs beruhigte mich vielmehr.

    »Ich wünsche einen guten Morgen, Mylady!«

    Ich drehte mich um und entdeckte Kapitän Eversol, der mit einer Pfeife im Mund auf mich zusteuerte. Schade, dass ich ihn unter diesen Umständen kennenlernte und nicht auf einem Hoffest. Der für einen Seemann überraschend elegant gekleidete Mann war etwa im Alter meines Vaters. Bestimmt hatten sie in so manchem Krieg zusammen gegen die Meheré gekämpft. Jedenfalls ließ die gezackte Narbe an seinem Hals dies stark vermuten.

    Mehr als die Narbe, fiel mir jedoch sein reges Interesse an mir auf. Sein Blick wanderte an meinem Körper auf und ab, bis er endlich an meinen Augen hängen blieb. Und dort viel zu innig. Das ungute Gefühl in meinem Bauch ignorierend, straffte ich meinen Rücken und setzte ein höfliches Lächeln auf.

    »Guten Tag«, grüßte ich, woraufhin der Blick des Kapitäns neutral wurde, »wie lange dauert es denn noch, bis wir den ersten Zwischenstopp auf Iscala machen? Diese Fischerinsel ist höchstens fünf Stunden entfernt – wir aber sind meiner Rechnung nach ungefähr sieben unterwegs und ich bin mir sicher, dass die Flying Calada nicht zu den langsamsten Schiffen gehört.«

    Obwohl ich während des Geografieunterrichts nicht immer aufgepasst, sondern in Gedanken bereits Feste und Bälle vorbereitet hatte, wusste ich in etwa, welche Route die Handelsschiffe früher – in der Zeit vor dem Krieg – passiert hatten.

    Anstatt mir zu antworten, lachte Kapitän Eversol. Dabei hielt er sich den Bauch, der über den Rand seines Gürtels quoll. Pikiert verschränkte ich die Arme. »Was amüsiert Euch?«

    Der ältere Seemann hörte abrupt auf zu lachen, kratzte sich an seinem mit Bartstoppeln übersäten Kinn, nahm die Pfeife aus dem Mund und erwiderte mit tiefer Stimme: »Verzeiht, Prinzessin, wollte Euch nicht beleidigen. War nur überrascht, da Ihr von Zwischenstopps spracht. Wir machen keine Vergnügungsfahrt, wir sind auf der Flucht! Selbstverständlich werden wir ohne Pause zu den

    Inseln durchsegeln.«

    Vor Schreck klappte mein Mund auf und ich stand da wie vom Donner gerührt. Plötzlich kam mir das Wasser gar nicht mehr glitzernd, sondern dunkel und kalt vor. Die Vorstellung, in den nächsten Tagen kein Festland unter meinen Füßen zu spüren, machte mir Angst. Doch das wollte ich unter keinen Umständen preisgeben.

    »Ihr könnt Euch die Tage mit dem Lesen von Büchern vertreiben. Euer Vater hat mich davor gewarnt, dass Euch langweilig werden könnte.«

    Ich schluckte. Mit einem Mal traten mir Tränen in die Augen und ich drehte mich vom Kapitän weg. Er durfte nicht sehen, dass ich gleich weinen würde, denn er würde es nicht verstehen und ich wollte es ihm auch nicht erklären. Ich litt nicht, weil mir die Fahrt zu lange dauern könnte. Nein, es quälte mich, dass mein Vater in dem Wissen, selbst im Kampf umzukommen, noch daran gedacht hatte, etwas für meinen Zeitvertreib zum Fluchtschiff bringen zu lassen. Plötzlich fragte ich mich, ob ich ihm überhaupt je gesagt hatte, dass ich ihn liebte. Hoffentlich. Denn nun war es für immer zu spät.

    »Prinzessin Angelina?«, fragte Kapitän Eversol unsicher und ich sah aus den Augenwinkeln heraus, dass er auf mich zugehen wollte. Ich war nicht gewillt, vor diesem Mann wie ein Kleinkind zu winseln. Daher krallte ich meine Finger fester um die Reling, schluckte den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und sprach, ohne mich zu dem Herrn umzudrehen: »Lasst mich jetzt allein.«

    Erst blieb der Kapitän reglos stehen, wartete wohl darauf, dass ich heulend zusammenbrach oder eine wüste Schimpftriade vom Zaun brach. Doch da nichts dergleichen passierte, marschierte er schließlich achselzuckend von dannen.

    Erleichtert atmete ich aus und hielt mein Gesicht in die Sonne.

    Ihre Wärme trocknete die Tränen, die in meine Augenwinkel getreten waren. Die salzige Seeluft kitzelte mich in der Nase und brachte mich schließlich zum Nießen.

    »Gesundheit!«

    Emilia gesellte sich lächelnd zu mir. Sie war in ein neues kastanienbraunes Kleid gehüllt. Ihre ebenfalls braunen Locken hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden, sodass nicht einmal der starke Wind einzelne Strähnen hervorlockte.

    »Kapitän Eversol meinte, ich solle Euch Gesellschaft leisten, Ihr würdet Euch an Bord des Schiffes nicht wohlfühlen.«

    Sofort erstarb die Freude wieder, die ich dank Emilias Erscheinen empfunden hatte. Aus einem mir selbst unerklärlichen Grund ärgerte es mich, dass sich alle um mein Befinden sorgten. Konnten sie nicht verstehen, dass ich jetzt allein sein wollte? Dass ich allein um den Verlust meines Vaters trauern wollte?

    Da ich nichts auf die Worte meiner Zofe erwiderte, sondern weiterhin stur auf die See hinausblickte, fügte diese hinzu: »Wollt Ihr ein Spiel spielen? Wir könnten uns vorstellen, wie Eure Hochzeit mit dem Kaiser werden wird und wie Euer Kleid aussehen könnte!«

    Sicherlich versuchte sie, mich von trüben Gedanken an mein – vorerst – verlorenes Land abzuhalten. Tatsächlich aber machte sie mich nur wütend, da ich auch nicht an meinen Verlobten denken wollte. Einen Mann, dem ich erst einmal als kleines Mädchen begegnet war und in wenigen Wochen quasi mittellos gegenübertreten musste.

    »Ich will jetzt nicht reden«, erklärte ich knapp und wusste, dass Emilia meine Bitte ohne Widerworte akzeptieren würde, denn das tat sie stets.

    Obwohl ich mich schrecklich fühlte, meiner Vertrauten die

    kalte Schulter zu zeigen, war ich erleichtert, als sie schließlich verschwand. Gestern Nacht hatte mich ihr warmer Blick noch getröstet, heute wollte ich ihr gar nicht in die Augen sehen. Manchmal verstand ich mich selbst kaum. Vielleicht lag es daran, dass Emilias Mutter sicher und behütet auf dem Fluchtschiff meines Vaters zu den Goldenen Inseln segelte, während meine Eltern beide tot waren.

    Bestimmt stand ich schon eine ganze Weile reglos an der Reling, denn irgendwann – es musste wohl Mittag sein – erschien wieder der Kapitän und bat mich, zusammen mit ihm in seiner Kajüte zu speisen. Da mein Ärger inzwischen verraucht war und ich meinen Kummer besser unter Kontrolle hatte, folgte ich Roy Eversol in seine privaten Räumlichkeiten und dankte ihm für die freundliche Einladung.

    Der Speiseraum des Kapitäns war karg eingerichtet. Außer einem Tisch mit acht Stühlen, ein paar Schränken und Landschaftsgemälden war nichts Erwähnenswertes in der Kajüte anzufinden. Einzig die kunstvoll gewebten Teppiche stachen mir ins Auge.

    »Diese kostbaren Exemplare habe ich Händlern auf einem Basar abgekauft«, erklärte der Kapitän stolz, da ihm mein Interesse aufgefallen war. Sein Blick bohrte sich tief in den meinen. »Wisst Ihr denn überhaupt, was ein Basar ist, Prinzessin?« Da lachte der Kapitän wieder, was mich natürlich ärgerte. Anstatt aber einen spitzen Kommentar abzugeben, dass es sich nicht gehörte, Witze über eine Prinzessin zu machen, biss ich mir fest auf die Zunge. Nur so konnte ich mich zügeln.

    Obwohl ich wusste, dass sämtliche Diener stets darüber getuschelt hatten, welch eine Stubenhockerin ich war, bedeutete das nicht, dass ich gar kein Interesse an anderen Kulturen hatte. Außerdem hatte ich jahrelangen Unterricht genossen.

    »Ein Basar ist auf den Goldenen Inseln so etwas wie ein Markt. Händler bieten dort ihre Waren an«, erklärte ich betont höflich und war froh, ihn nicht mit einer unklugen Bemerkung beleidigt zu haben. Tatsächlich schämte ich mich sogar ein bisschen, überhaupt darüber nachgedacht zu haben. Ich war es eben nicht gewohnt, dass Leute über mich scherzten.

    Anstatt mir darüber weiter den Kopf zu zerbrechen, nahm ich elegant auf dem Stuhl Platz, den mir der Kapitän zurechtrückte. Seemann hin oder her – nicht nur an der Kleidung Roy Eversols erkannte ich, dass der Mann gute Manieren hatte. Nur seine unpassend innigen Blicke störten mich ein wenig. Aber bestimmt war der Kapitän ein anständiger Kerl, denn Vater hatte ihm gewiss nicht ohne Grund meine Sicherheit anvertraut.

    Ein Diener brachte uns auf silbernen Tabletts die herrlichsten Speisen. »Vielen Dank, Matim. Kannst uns jetzt allein lassen«, sagte der Kapitän zu dem kleinen Männchen, ehe dieses flott wieder die Kajüte verließ.

    Roy Eversol erzählte während des Essens von seiner Frau und seinen fünf Kindern, die inzwischen auf den Goldenen Inseln lebten. Seine Gattin webte dort Stoffe, während seine Söhne zu Kriegern ausgebildet wurden.

    »Freuen sich immer ganz besonders, wenn ich wieder für ein paar Wochen nach Hause komme«, erklärte der Kapitän, seufzte herzzerreißend und rührte mich mit seiner Offenheit. Plötzlich hatte ich das Gefühl, diesem Mann wahrhaft vertrauen zu können.

    Da auch die Speisen köstlich schmeckten, fühlte ich mich besser und freute mich auf einen entspannten Nachmittag an Deck. Vielleicht würde ich gleich mit einem neuen Buch beginnen.

    Der Kapitän schenkte Rotwein in unsere Kristallgläser ein und

    hob anschließend seines, um mir zuzuprosten. Doch dazu kam es

    nie, denn plötzlich flog die Tür auf.

    Scheppernd krachte sie gegen ein Regal an der Wand.

    Matim stolperte herein, sein Gesicht war so weiß wie es die Bettlaken auf Schloss Calada immer gewesen waren.

    Ich las in Kapitän Eversols Gesicht, dass ihm die Störung überhaupt nicht passte. Zudem hatte er dem Diener aufgetragen, uns in Ruhe speisen zu lassen. Ehe sich der Kapitän darüber beschweren konnte, stieß Matim stotternd hervor: »Der Aus… Ausguck meldet ein Schiff!«

    »Ja, was ist das Problem?«, fragte Kapitän Eversol genervt, während er sein Glas schwenkte und den Wein darin beobachtete.

    Matim zitterte am ganzen Körper. Was mochte diesen kleinen Wicht nur so erschrecken?

    »Es steuert auf uns zu!«, stammelte er.

    Der Kapitän seufzte. »Vielleicht brauchen sie Hilfe. Oder …«

    »Nein, sie segeln unter einer schwarzen Flagge!«

    Kaum hatte Matim diese Worte ausgesprochen, hörte ich ein lautes Klirren. Vor Schreck hatte der Kapitän sein Weinglas zu Boden fallen lassen. Während ich wie gelähmt dasaß und in Matims käsebleiche Visage starrte, erhob sich Kapitän Eversol und erklärte: »Statte die Männer mit Waffen aus.« Und da sich der schmächtige Diener nicht prompt regte, fügte der Kapitän noch zornig hinzu: »Beeil dich!«

    Inzwischen hatte auch das faltige Gesicht von Kapitän Eversol jede Farbe verloren. Ich begriff nicht, weshalb plötzlich alle so aufgebracht waren. Ehe ich eine Frage dazu stellen konnte, packte mich der Kapitän auch schon am Arm.

    »Müsst Euch verstecken, Prinzessin! Dürfen Euch auf keinen Fall finden.«

    »Wer?«, quiekte ich, während ich bereits Schreckliches ahnte und sich mein Magen krampfhaft zusammenzog.

    Der Kapitän starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Die Piraten!«

    Piraten? Ich war der Meinung gewesen, dass es in den königlichen Gewässern keine mehr gäbe! Doch dann dämmerte es mir: Wir befanden uns gar nicht mehr in königlichem Gewässer. Bestimmt hatten wir das Hoheitsgebiet meines Vaters – das jetzt sowieso den Meheré gehörte – längst hinter uns gelassen.

    Ich erkundigte mich bei dem Kapitän, was ich jetzt tun sollte. »Habt Ihr eine Waffe für mich?«, wollte ich zuerst wissen, doch dieser rief mir nur zu, dass ich mich sofort verstecken müsse, und eilte aus dem Speiseraum.

    Von einer Sekunde auf die andere war ich allein. Allein mit der Information, dass Piraten auf die Flying Calada zusteuerten. Mein Herz schlug so donnernd, dass ich fürchtete, es könnte aus meiner Brust herausspringen.

    Nachdem sich meine Schockstarre löste, erhob ich mich unsicher von meinem Stuhl und überlegte, was nun zu tun sei. Jeder Knochen in meinem bebenden Körper fühlte sich kalt und hohl an.

    Ehe ich einen Entschluss fassen konnte, hörte ich einen lauten Knall und verspürte ich eine gewaltige Erschütterung. Ich taumelte, stürzte zu Boden. Um mich herum verteilte sich schepperndes Geschirr, das aus offenen Schränken gerutscht war. Jene Objekte, die nicht auf den Teppichen landeten, zersprangen. Auf einmal war das Holzparkett voller Scherben.

    Die Piraten hatten auf unser Schiff gefeuert!

    Ungläubig rappelte ich mich hoch, hoffte, dass das alles nur ein Albtraum war. Wie

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