Wilde Rose: Leni Behrendt Bestseller 64 – Liebesroman
Von Leni Behrendt
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Draußen tobte der Novembersturm in all seinem Getöse, doch in dem Schlafgemach des Schloßherrn von Brandungen herrschte eine Stille, die an Herz und Nerven zerrte. Reglos lag der Herr des feudalen Besitzes auf seinem Krankenlager, scharf beobachtet von dem geübten Auge des Arztes, der am Fußende des Bettes saß. An dessen Seite kauerte die Tochter des Kranken, ein blutjunges Menschenkind, das heute seinen neunzehnten Geburtstag beging. Das goldflimmernde Köpfchen lag müde auf der treuen Vaterhand, die Augen, so leuchtend blau wie das Meer im Sonnenschein, das tief unter dem Schloß brandete, hatte der Schlaf nun endlich übermannt. Mit einem Gefühl der Rührung schaute der »gute Onkel Doktor«, der die kleine Rosita vom ersten Schrei an kannte, auf die Schlafende, die ihm ans Herz gewachsen war, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut. Geschäftig tickte die alte Uhr auf dem Kaminsims, draußen trommelte der Regen gegen die Scheiben, der Sturm riß an den Jalousien und ließ die Fahne auf dem Turm knattern. »Detlef, wo bleibt er?« kam es unendlich müde von den zersprungenen Lippen des Kranken, wie diese Frage schon oft gestellt wurde, nachdem der Kranke wieder bei Besinnung war. »Er muß jeden Augenblick hier sein.« »Herr Doktor, glauben Sie wirklich daran?« »Dann will auch ich es tun, wenn nur das Warten nicht so entsetzlich schwer wäre.« O ja, es war schwer, dieses zermürbende Warten, das konnte der Arzt nur bestätigen, der zwölf Tage und Nächte lang um das Leben rang, das mehr als einmal zu verlöschen drohte. Aber was half all sein Wissen, seine langjährige Erfahrung, wenn die rechte Medizin nicht zur Stelle war. Und diese Medizin hieß Detlef Trutzger. Sorgenvoll schaute der Arzt auf den Kranken, der jetzt wieder so regungslos dalag, als wäre kein Leben mehr in ihm – und auf die schlafende Rosita, die der Vater zärtlich »Wilde Rose« nannte. Doch dann horchte der wachsame Hüter auf. Narrte ihn sein geschärftes Ohr, oder klang wirklich die Hupe eines Autos durch den tosenden Sturm? Leise erhob der Mann sich, warf einen forschenden Blick auf den Kranken und seine fest schlafende Tochter, dann ging er vorsichtig aus dem Zimmer.
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Wilde Rose - Leni Behrendt
Leni Behrendt Bestseller
– 64 –
Wilde Rose
Leni Behrendt
Draußen tobte der Novembersturm in all seinem Getöse, doch in dem Schlafgemach des Schloßherrn von Brandungen herrschte eine Stille, die an Herz und Nerven zerrte. Reglos lag der Herr des feudalen Besitzes auf seinem Krankenlager, scharf beobachtet von dem geübten Auge des Arztes, der am Fußende des Bettes saß. An dessen Seite kauerte die Tochter des Kranken, ein blutjunges Menschenkind, das heute seinen neunzehnten Geburtstag beging. Das goldflimmernde Köpfchen lag müde auf der treuen Vaterhand, die Augen, so leuchtend blau wie das Meer im Sonnenschein, das tief unter dem Schloß brandete, hatte der Schlaf nun endlich übermannt. Mit einem Gefühl der Rührung schaute der »gute Onkel Doktor«, der die kleine Rosita vom ersten Schrei an kannte, auf die Schlafende, die ihm ans Herz gewachsen war, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut. Geschäftig tickte die alte Uhr auf dem Kaminsims, draußen trommelte der Regen gegen die Scheiben, der Sturm riß an den Jalousien und ließ die Fahne auf dem Turm knattern.
»Detlef, wo bleibt er?« kam es unendlich müde von den zersprungenen Lippen des Kranken, wie diese Frage schon oft gestellt wurde, nachdem der Kranke wieder bei Besinnung war. Und stets sprach der Arzt die beruhigenden Worte:
»Er muß jeden Augenblick hier sein.«
»Herr Doktor, glauben Sie wirklich daran?«
»Dann will auch ich es tun, wenn nur das Warten nicht so entsetzlich schwer wäre.«
O ja, es war schwer, dieses zermürbende Warten, das konnte der Arzt nur bestätigen, der zwölf Tage und Nächte lang um das Leben rang, das mehr als einmal zu verlöschen drohte. Aber was half all sein Wissen, seine langjährige Erfahrung, wenn die rechte Medizin nicht zur Stelle war.
Und diese Medizin hieß Detlef Trutzger.
Sorgenvoll schaute der Arzt auf den Kranken, der jetzt wieder so regungslos dalag, als wäre kein Leben mehr in ihm – und auf die schlafende Rosita, die der Vater zärtlich »Wilde Rose« nannte.
Doch dann horchte der wachsame Hüter auf. Narrte ihn sein geschärftes Ohr, oder klang wirklich die Hupe eines Autos durch den tosenden Sturm?
Leise erhob der Mann sich, warf einen forschenden Blick auf den Kranken und seine fest schlafende Tochter, dann ging er vorsichtig aus dem Zimmer.
Und siehe da, sein Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Denn als er die weite Halle des Schlosses betrat, eilte ihm von der Portaltür her der Heißersehnte entgegen. In seinen blitzblauen Augen flackerte Unruhe, das harte, rassige Antlitz zuckte vor Erregung, die sonore Stimme vibrierte:
»Wie geht es meinem Onkel, Herr Doktor? Komme ich am Ende schon zu spät? »
»Nein, Herr Graf, noch lebt er«, kam die Antwort beruhigend. »Ich verspreche mir viel, sogar alles von Ihrem Kommen.«
»Gott sei Dank! Darf ich zu ihm?«
»Noch nicht, erst möchte ich mit Ihnen sprechen.«
»Also doch Lebensgefahr?«
»Nicht mehr unbedingt.«
»Wo ist Rosita?«
»Schläft augenblicklich den Schlaf tiefster Erschöpfung.«
»Was haben Sie mir zu sagen?«
»Was Sie wissen müssen, bevor Sie zu dem Kranken treten. Wollen Sie mich anhören?«
»Bitte.«
Seine Unruhe unterdrückend betrat der eben Angekommene das nächstliegende Gemach, das in seiner unpersönlichen, steifen Pracht das Besuchszimmer kennzeichnete. Dort ließ er sich, nachdem der Arzt sich gesetzt, ihm gegenüber in den Sessel sinken und fragte: »Wie konnte mein Onkel, der sich stets bester Gesundheit erfreute, zu dieser lebensgefährlichen Erkrankung kommen, Herr Doktor?«
»Durch einen durchaus nicht sensationellen Unfall, Herr Graf. Er erstieg in der Bibliothek die Leiter, glitt ab, fiel mit dem Kopf auf die scharfe Kante des Bücherbordes und schlug sich eine tiefe Wunde, direkt neben der Schläfe. Zehn Tage lang schwebte der Verletzte zwischen Leben und Tod, so daß ich zuerst mit seinem Scheiden rechnen mußte. Aus seinen Fieberphantasien konnte ich heraushören, wie unsagbar er sich mit der Zukunft seines Kindes abquälte.
Nun, ich brauche Ihnen ja nichts weiter zu erklären, Herr Graf. Brandungen ist Majorat. Sie sind der nächste Agnat, der Erbe, vor drei Jahren von dem jetzigen Majoratsherrn in Groll geschieden…«
Der Arzt hielt vielsagend inne, sah sein Gegenüber forschend an, der ungeduldig abwinkte.
»Ich verstehe, Herr Doktor. Die Sorge meines Onkels gilt Rosita und deren Zukunft.«
»Ganz recht, Herr Graf. Mit dem Moment, wo der Vater die Augen schließt, hätte die Tochter jeden Anspruch auf Brandungen verwirkt, wäre heimatlos.«
Wieder schwieg der Mann, weil er mit seiner Mission eigentlich zu Ende war. Die Kombination mußte er dem anderen überlassen, und der kombinierte überraschend schnell.
»Demnach verlangt der Onkel meine Verbindung mit seiner Tochter, um sie für alle Zeit auf Brandungen sicher aufgehoben zu wissen; stimmt’s, Herr Doktor?«
»Genau, Herr Graf.«
»Und Rosita?«
»Ist ein verzogenes Kind mit einem zärtlichen, ungestümen Herzchen. Es würde sich das, natürlich bildlich genommen, unbedenklich aus der Brust reißen, wenn es den geliebten Papa damit gesundmachen könnte.«
Da sprang Detlef auf, trat an das Fenster und schaute auf die tobende See hinunter. Hinter seiner Stirn jagten die Gedanken in wildem Chaos durcheinander, bis sie sich endlich ordneten und in die Vergangenheit tauchten.
Detlef Trutzger, der Waisenknabe, konnte sich kaum noch auf seine leiblichen Eltern, die so füh dahinschieden, besinnen. Sein Vater war immer nur der Majoratsherr von Brandungen gewesen, dieser Onkel dritten Grades, in dessen treuer Hut er seit seinem vierten Lebensjahr heranwuchs. Dreißig Jahre zählte der Majoratsherr damals, als er den verwaisten Neffen liebevoll an sein Herz nahm. Er war immer noch unbeweibt, und seine Ehescheu ließ daraus schließen, daß er es auch bleiben würde. Erwuchs ihm doch in Detlef, der so ganz nach seinem Herzen war, der Erbe des Majorats, da es nähere Agnaten dafür nicht gab. Warum da eine liebeleere Ehe schließen, denn sein Herz hatte bisher immer noch nicht gesprochen.
Es tat das erst, als er die Vierzig erreicht hatte, und zwar so eindringlich, daß er das Mädchen seiner Wahl ohne Besinnen heimführte, obwohl es von sehr zarter Gesundheit war. Und als die Gattin ihm gar nach Jahresfrist ein Töchterlein schenkte, hielt er sich für den Glücklichsten aller Sterblichen.
Sie war sanft und gut, seine Hilda, ein engelhaftes Wesen, das er förmlich vergötterte. Leider kränkelte sie nach der Geburt des Kindes, konnte sich nach ihr nicht mehr recht erholen. Daher konnte sie sich um die kleine Rosita nicht so kümmern, wie sie es gern gewollt, und konnte es nicht verhindern, daß diese wie ein kleiner Wildling heranwuchs.
So ging es sechs Jahre, dann starb die Mutter des Kindes. Wie ein mattes Licht verlöschte sie, still, müde, wie sie in den letzten Jahren gelebt. Der Schmerz des Gatten war tief, lange konnte er über den Tod der geliebten Frau nicht hinwegkommen. Rosita wurde sein Abgott, aber er vergaß darüber auch Detlef nicht, der ihm wie ein Sohn ans Herz gewachsen war. Der Mann lebte nur noch für seine Kinder, bis – ja, bis eine Frau auftauchte, die Onkel und Neffen zugleich verführerisch umgarnte. Bei ersterem interessierte die mondäne Schöne der Geldbeutel, bei letzterem der Mann. Ihrer Ansicht nach ließ sich beides wunderbar miteinander vereinen, man mußte es nur geschickt anfangen.
Allein, da hatte diese abenteuerliche, mit allen Wassern der mondänen Welt gewaschene Frau die Rechnung ohne die beiden Ehrenmänner gemacht. Für sie gab es nur ein Entweder-Oder. Und als der Jüngere bemerkte, daß dem Älteren mehr Chancen geboten wurden, da räumte er ohne jeden Kommentar das Feld. Verließ die Stätte, die ihm Heimat war, verließ die beiden Menschen, an denen sein Herz zutiefst hing. Das andere hatte mit seinem Herzen nichts zu tun, war nur eine Verirrung gewesen. Dessen wurde er sich gleich bewußt, sobald er den Verführungskünsten der raffinierten Kokotte entrückt war. Der Onkel tat ihm leid, der sich auch in ihren Netzen so gründlich verfangen hatte. Er würde seine späte Liebe bitter bereuen müssen.
Allein, das Schicksal hatte ein Einsehen, öffnete dem Verblendeten die Augen noch vor Toresschluß, und die skrupellose Schöne wurde auch diesen Ehekandidaten los. Nun, sie machte sich nicht viel daraus.
Um so mehr litten die beiden Männer darunter, der eine hier, der andere dort. Es schien keine Brücke mehr zu geben, die sie wieder zusammenführte. Der Onkel verwaltete weiter seinen Besitz, der Neffe trieb sich irgendwo in der Weltgeschichte herum. Er konnte es unbesorgt tun, da er über das elterliche Vermögen verfügte, welches von dem fürsorglichen Vormund sicher angelegt worden war.
Daß er einmal Brandungen übernehmen konnte, den Traum hielt Detlef Trützger für ausgeträumt. Er zweifelte nämlich keinen Augenblick daran, daß der Onkel die verräterische Frau geheiratet hatte. Und diese war noch jung genug, um Brandungen den Erben zu schenken.
Um so besser war der Onkel über den Neffen orientiert. Er wußte genau über dessen Leben und Treiben, über seinen Aufenthalt Bescheid.
Und so konnte es kommen, daß Detlef den Brief des Arztes erhielt. Das Schreiben hatte ihn, der sich gerade hoch oben in Norwegen aufhielt, auf Umwegen und mit beträchtlicher Verspätung erreicht. Und in dem Schreiben stand, daß sein Onkel Rasmus lebensgefährlich erkrankt sei und daß er das Kommen des Neffen ersehnte. –
Langsam wandte der junge Graf sich jetzt dem Arzt zu, der im Sessel saß und geduldig wartete, bis der Mann sich zu einem klaren Entscheid durchgerungen hatte.
»Ich möchte jetzt zu meinem Onkel, Herr Doktor«, klang die sonore Männerstimme fest durch das tiefe Schweigen. »Ich bin bereit, alles das zu tun, was er von mir verlangt, verlangen muß, da es um die Zukunft seines einzigen, so heißgeliebten Kindes geht.«
»Das freut mich, Herr Graf«, entgegnete der Arzt warm. »Ehrlich gesagt, habe ich mit diesem Entschluß gerechnet und erwarte für meinen Kranken viel von ihm. Möge der Herrgott dem Hause Trutzger gnädig sein.«
*
Leise trat der junge Graf an das Bett des Pflegevaters und beugte sich über ihn. In dem harten Männerantlitz zuckte es vor Erschütterung. Was war aus dem kerngesunden, immer so schneidigen Mann geworden, der, als er ihn vor Jahren verließ, die Vitalität eines jungen Mannes besaß? Ein menschliches Wrack.
Warm umschlossen die nervigen Männerhände die schlaffen, müden, und eine vibrierende Stimme sprach langsam und behutsam:
»Onkel Rasmus, ich bin bei dir. Onkel Rasmus, dein Junge ist da.«
Die Lider des Kranken zuckten, öffneten sich mühsam, und dann hob ein tiefer Atemzug die Brust.
»Endlich bist du da, mein Junge. Gott sei Lob und Dank! Weißt du auch, was mein heißester Wunsch ist? Rosita und du…«
Flehend hingen die Augen des Kranken an dem Gesicht über dem seinen, bettelten wie um Gnade.
»Junge, darf ich das überhaupt von dir verlangen?«
»Ja, Onkel Rasmus, das darfst du«, erfolgte die Antwort fest und bestimmt. »Kraft deines Vaterrechtes, das du an dem Waisenknaben erwarbst und der dir zur Dankbarkeit verpflichtet ist. Ich schwöre dir, deinen berechtigten Wunsch zu erfüllen.«
Da glitt ein Lächeln um den blutleeren Mund des Kranken. Der Bick wanderte wie suchend weiter und blieb dann an dem gleißenden Köpfchen hängen, das am Bettrand lehnte. Fest lagen die langen Wimpern über den Augen, die in den kummervollen Tagen und Nächten sich heiß und müde geweint hatten. Die kraftlose Hand des Kranken hob sich mühsam, legte sich wie segnend auf das Köpfchen seines Kindes, und dann fielen auch diese müden Augen zu.
»Um Gott, Herr Doktor!« fuhr