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Breiten des Verlangens
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eBook414 Seiten5 Stunden

Breiten des Verlangens

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Über dieses E-Book

Breiten des Verlangens folgt den miteinander verbundenen Leben von verschiedenen Protagonist:innen, die auf der Suche nach wahrer Intimität und Nähe sind, während sie sich quer über den indischen Subkontinent wagen, um eine epische Liebesgeschichte zu erzählen. Wir folgen einem Wissenschaftler, der Bäume studiert, und einer Hellseherin, die mit ihnen spricht; einem Geologen, der sinnlose Kriege um einen Gletscher beenden will; einem achtzigjährigen Liebespaar; einer Mutter, die darum kämpft, ihren revolutionären Sohn zu befreien; einem Yeti, der menschliche Gesellschaft sucht; einer Schildkröte, die wundersame Verwandlungen erlebt; und dem Geist eines verdunsteten Ozeans, der so ruhelos ist wie die Kontinente. Sie alle verbindet eine Vision des Lebens, die so groß ist wie das Universum selbst.
SpracheDeutsch
HerausgeberKommode Verlag
Erscheinungsdatum23. Juni 2023
ISBN9783905574999
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    Buchvorschau

    Breiten des Verlangens - Shubhangi Swarup

    INSELN

    Stille ist auf einer Tropeninsel das unablässige Rauschen des Wassers. Die Wellen sind, wie der eigene Atem, immer da. Seit zwei Wochen schon werden die Wellen übertönt vom Gluckern und Grollen der Wolken. Regen trommelt aufs Dach, strömt über die Kante, klatscht in die Tiefe. Prasselt, peitscht, tropft und klatscht. Die Sonne ist tot, heißt es.

    In dem Rauschen ruht die Saat einer elementaren Stille. Lautlos wie Nebel, starr wie Eis.

    Girija Prasad und Chanda Devi sind frisch vermählt und haben sich in ihr Schicksal gefügt – als Fremde in einem Schlafzimmer, das schwül ist vom Begehren und überflutet von Träumen. Denn in diesen Tagen träumt Girija Prasad mit aller Heftigkeit. Regen beflügelt die Fantasie, das ist Tatsache, wenn auch unbewiesen. Als der Regen eines Nachts plötzlich abreißt, wird er wach. Seine Ohren hatten sich an die tropische Geräuschkulisse gewöhnt wie Eheleute an das Schnarchen von der anderen Bettseite. Er schreckt aus einem feuchten Traum hoch und fragt sich, was passiert ist. Wer ist aus dem Zimmer gegangen?

    Von seinem Doppelbett schielt er zu Chanda Devis einfacher Matratze auf dem Boden, wo sie nicht ihm, sondern dem offenen Fenster zugewandt liegt. In der Dunkelheit lässt er erregt den Blick über ihre Kurven wandern. Bei der Hochzeitszeremonie hatten sie sieben Mal das heilige Feuer umrundet, waren mehrere Leben lang vereint gewesen, und sie war seinen Schritten bereitwillig gefolgt, fest davon überzeugt, dass beide ein weiteres Mal in wiedergeborener Gestalt, in einem neuen Avatar zusammengeführt würden. Doch in diesem Leben würde er den Weg zu ihrem Herzen erst noch finden müssen. »Bis dahin«, hatte sie ihm in der ersten Nacht eröffnet, »richte ich mich auf dem Boden ein.«

    Sie ist hellwach, verstört von den jenseitigen Schreien. Es ist der Geist einer Ziege. Der Geist hat zahllose Sphären hinter sich gelassen und wandert nun auf ihrem Dach umher. Jetzt haben die rastlosen Hufen ihn bis unter das geöffnete Fenster getragen, und Schuldgefühle strömen ins Zimmer und in ihr Gewissen.

    »Hörst du das?«, fragt Chanda Devi. Sie spürt seinen Blick im Rücken.

    »Was denn?«

    »Die meckernde Ziege da draußen.«

    Seine nutzlose Erektion verabschiedet sich. Nun ist er geistig ganz bei Chanda Devi und dem Dilemma, vor das sie ihn stellt.

    »Hier ist keine Ziege«, erwidert er resigniert.

    Sie richtet sich auf. Das Meckern ist lauter geworden, als wollte es dem unbedarften Ehemann ausrichten lassen: »Du hast mir mein Leben genommen, aber mein Nachleben nimmst du mir nicht, du Fleischfresser!«

    »Sie steht direkt vorm Fenster«, sagt seine Frau zu ihm.

    »Hast du Angst vor ihr?«

    »Nein.«

    »Bedroht dich die Ziege?«

    »Nein.«

    »Dann könntest du sie vielleicht ignorieren und weiterschlafen.« Er hatte »solltest« statt »könntest« sagen wollen, doch ihm fehlt der Mut zur Strenge. Seine Frau, so viel hat er begriffen, reagiert auf Argumente oder Zwang ungehalten. Eigentlich reagiert sie auf beinahe alles ungehalten. Wäre sie nur nicht so attraktiv, dann könnte er sie ignorieren und weiterschlafen.

    »Wie kannst du nur schlafen?«, fragt sie. »Du hast diese unschuldige Kreatur massakriert, ihr Fleisch kleingehackt, mit Zwiebeln und Knoblauch gebraten und dann gegessen. Zurückgelassen hast du nur die rastlose Seele, die nun unser Haus heimsucht!«

    Würde er tatsächlich von den Seelen aller von ihm verzehrten Tiere heimgesucht, dann wäre sein Haus eine Mischung aus Zoo und Stall, und man könnte darin weder treten, geschweige denn schlafen. Doch das kann der sanftmütige Girija Prasad nicht sagen. Zwei Monate ist er nun verheiratet und hat sich mit der blühenden Fantasie seiner Frau arrangiert. Stur hofft er, dass solches Verhalten auf ihre Vorstellungskraft und nicht auf eine psychische Erkrankung zurückgeht. Seiner ungeborenen Kinder und der zukünftigen gemeinsamen Jahrzehnte willen verkündet er: »Wenn du dann besser schlafen kannst, esse ich kein Fleisch mehr.«

    So wird der Fleischesser Girija Prasad zum Vegetarier, was seine Frau und auch ihn selbst sehr überrascht. Für ein paar Stunden Nachtruhe verabschiedet er sich ein für alle Mal von Lamm-Biryani, Rindersteak und sogar Rührei.

    Sobald es dämmert, steigt sie aus dem Bett. Sie geht in die Küche, um ein opulentes Frühstück zuzubereiten. In ihren Bewegungen liegt eine neue Lebhaftigkeit, unter ihrem Schweigen lauert ein Lächeln. Da nun das Töten ein Ende hat, ist es Zeit, mit Aloo Parathas die weiße Flagge zu hissen. Zwei Stunden später setzt sie ihm den Teller vor und fragt: »Wie sind sie?«

    Mit einem Mal ist Girija Prasad verunsichert, obwohl es eigentlich keinen Grund gibt. Endlich scheint die Sonne. Seine Frau hat ihm zum ersten Mal Frühstück gemacht und war so kühn, ihm eine Serviette über den Schoß zu breiten. Sie streift seine Schultern, haucht warmen Atem auf seine Haut. Er giert nach dem Trost von in Fett gebratenem Fleisch, doch auf seinem Teller ist davon nichts zu finden.

    »Und? Wie sind sie?«, fragt sie noch einmal.

    »Wer?«, fragt er verwirrt.

    »Die Parathas.«

    »Wunderbar.«

    Sie lächelt und schenkt ihm Tee nach.

    Chanda Devi, die Hellsichtige. Sie fühlt mit den Geistern und schätzt die wortkarge Gesellschaft der Bäume. Sie spürt seine unausgesprochenen Begierden durchaus. Doch sie weiß, dass er besser daran tut, dem Fleisch abzuschwören. Alles Fleisch ist so vergänglich wie unzuverlässig, insbesondere im Vergleich mit dem Pflanzenreich. Chanda Devi hat alles gesehen, sogar die Ströme von Blut, die eines Tages aus ihrem Körper fließen werden. Dieses Wissen macht sie standhaft. Es macht sie zu einer anspruchsvollen Ehefrau.

    Vor seinem Aufbruch nach Oxford hatte Girija Prasad seine Heimat Allahabad noch nie allein verlassen. Während der viertägigen Reise mit Pferdekutschen, Fähren und einem Zug, bevor er endlich nach England einschiffte, hatte er sich von vielem getrennt: Gläsern voll mit Eingemachtem und Ghee Parathas, die wohl ein Menschenleben überdauert hätten, Bildern ausgewählter Gottheiten sowie seiner Familie, darunter ein Porträt seiner Mutter, das er selbst gemalt hatte.

    Zwar hatte er es als Erleichterung empfunden, die Götter hinter sich zu lassen – insbesondere Rama, den pflichtbewussten Sohn, der ohne guten Grund seine Frau verlassen hatte, und den Baba vom Flussufer, der gar kein Gott war, sondern bloß ein seniler, ausgemergelter Mann –, doch sich des Porträts seiner Mutter zu entledigen, ohne einen Zusammenbruch zu erleiden, war ihm unmöglich erschienen. Doch dieser würde ihn ebenso ereilen, wenn er, Ozeane entfernt, ständig auf ihr Gesicht starren würde. Um die Trennung zu bewältigen, musste er ein neues Leben beginnen. Und zwar ein radikal anderes – beim bloßen Gedanken daran bekam er schon Hämorriden. Übers endlose Meer treibend, geriet er in eine Muschelspirale der Stille. Totgeborene Tränen manifestierten sich als hartnäckige Verstopfung. Als versierter Pflanzenarchivar hatte Girija Prasad kiloweise Flohsamenschalen für genau diesen Anwendungszweck dabei. Zudem befanden sich in seinem Gepäck getrocknetes Königsbasilikum, Neemblätter, Ingwer, Kurkumapulver, Zimtrinde und zerstoßener Pfeffer zur Behandlung weiterer körperlicher Leiden. Bei seiner Ankunft in Dover hielten ihn die Zollbeamten für einen Gewürzschmuggler.

    Gleich an seinem ersten Tag am Blimey College in Oxford wurde Girija Prasad Varma von den mit Hindi-Namen unvertrauten Dozenten »Vama« getauft. Noch am Abend seiner Ankunft trank er zum ersten Mal Alkohol und brach auch das Generationen alte Tabu, etwas zu sich zu nehmen, das jhoota war, »verunreinigt durch den Mund eines anderen«. Als der gewaltige Bierhumpen unter den Erstsemestern herumgereicht wurde, stand er vor der Wahl, offenen Herzens auf die neue Kultur zuzugehen, oder ewig an der Schwelle zu versauern. Auf seinem Schreibtisch standen keine Porträts oder Gottheiten, die ihn hätten tadeln können. Am nächsten Morgen probierte er zum ersten Mal ein Ei, stieß das salzige gelbe Rund mit der Gabel an und beobachtete, wie es bebte. Bald würde er Geschmack daran finden, wie vielschichtig und unvorhersehbar das Leben war.

    Fünf Jahre später kehrte Girija Prasad Varma, der erste indischstämmige Commonwealth-Stipendiat, mit einer Doktorarbeit nach Indien zurück, die mit zwei Worten in seiner Muttersprache schloss: Jai Hind. Seinem Doktorvater erklärte er die Bedeutung mit »es lebe die indische Nation«. Auf Geheiß des jungen indischen Premierministers wurde er 1948, im Jahr der Unabhängigkeit, mit dem Aufbau des Forstamts auf den Andamanen betraut.

    Die abendlichen Gespräche der Teegesellschaft in Allahabad drehten sich um weit hergeholte Theorien, die den illustren Junggesellen mit den Anwesenden in Verbindung bringen sollten. Warum nur, fragten die Damen, hatte er sich auf die Andamaneninseln versetzen lassen, die man höchstens wegen verschleppter Freiheitskämpfer und nackter Ureinwohner kannte? Gerüchten zufolge gab es auf der Insel keine einzige Kuh, sodass man dort gezwungen war, den Tee schwarz zu trinken.

    Chanda Devi, eine der Teetrinkerinnen, war erleichtert. Ihre Goldmedaillen in Mathematik und Sanskrit waren ihr im Wege wie ein Keuschheitsgürtel. Nur ein höher qualifizierter Mann würde es wagen, eine intelligente Frau zu ehelichen. Am allerliebsten hätte sie ja einen Baum geheiratet. Männer und Frauen missfielen ihr gleichermaßen, umso mehr, wenn sie Fleisch aßen, vor allem Rind. Doch im Jahr 1948 wurden auch Misanthropinnen verheiratet, und sei es nur, um ihre Sippe zu vergrößern.

    Dem ausgemergelten, krummen Baba, der am Ufer des Sangam hockte – des Zusammenflusses von Ganges, Yamuna und der mythischen Saraswati –, fiel es zu, sie zusammenzuführen. Dort, an den sandigen Ufern, tummelten sich permanent Gläubige, die lauthals klagten, sangen und beteten und den ortsansässigen Fröschen damit vorgaukelten, es wäre das ganze Jahr über Paarungszeit.

    Girija Prasads Mutter suchte, mit einem Ghunghat verschleiert, den Baba auf und bot ihm Bananen und eine Ringelblumengirlande dar. Sie bückte sich, um seine Füße zu berühren, und ihre Sorgen schwappten heraus. Ihr Sohn sei außergewöhnlich klug, außergewöhnlich qualifiziert und sehe einer außergewöhnlich strahlenden Zukunft entgegen. Außergewöhnlich attraktiv sei er außerdem. Er habe die Züge seiner Mutter geerbt und vom Vater nur das Kinn. Eine neugierige Gläubige fragte: »Wo liegt also das Problem mit deinem Sohn, Behenji?«

    »Ich finde keine Frau, die seiner würdig wäre!«

    »Aber wo liegt das Problem?«, wollte nun auch der Baba wissen.

    Girija Prasads Mutter war kurz davor, sich zu wiederholen. Doch als sie den Baba lächeln sah, hielt sie inne. Heilige sprachen oft in Rätseln und Halbsätzen. Stillschweigend aß er eine halbe Banane, nahm die Girlande und warf sie in die Luft. Sie landete auf den Schultern der verdutzten Chanda Devi, die ganz in ihre Gebetshymnen vertieft gewesen war. Und so wurde beschlossen, dass der Mann, der Bäume studierte, und die Frau, die mit ihnen sprach, heiraten sollten.

    »Aber Baba« – nun war es an Chanda Devis Vater, sich zu beklagen –, »meine Tochter spricht kein Englisch; sie ist strenge Vegetarierin. Und dieser Mann hat einen Doktor in englischen Pflanzennamen, und außerdem … außerdem … habe ich gehört, dass er Rindfleisch gegessen hat!«

    Der Baba schälte eine weitere Banane. »Mein Kind, du siehst nur die Gegenwart«, sagte er und reichte dem Vater die Schale, wie zum Beistand angesichts metaphysischer Wahrheiten.

    Eigentlich jedoch hatten die Inseln sie zusammengeführt. Chanda Devi hatte davon geträumt, sich aus der erdrückenden Enge ihres Hauses in die Gesellschaft der Bäume zu flüchten. Bei Girija Prasad war es ein bisschen komplizierter.

    Mehr Entgegenkommen, als der umgebenden Andamanensee ihren Namen zu leihen, konnte man von den Inseln nicht erwarten. Die Hühner dort führten sich auf wie Tauben und hockten in den Mangobäumen. Schmetterlinge schliefen mitten im Flug ein und sanken zu Boden wie Herbstlaub. Asketische Krokodile meditierten an den Mangrovenufern. Auf den Andamanen fehlten den Spezies die Namen. Eine Ewigkeit war jeder Kolonisierungsversuch gescheitert, da ihr undurchdringliches Dickicht mehr barg als bloße Naturgeschichte. Es barg Stammesgesellschaften, die mit den ersten Migrationsbewegungen die Küste des Indischen Ozeans entlanggekommen waren. Menschen, die dem Nebel der Sprache das Gedankenlesen vorzogen und nichts am Leib trugen als primitiven Zorn. Nur mit Pfeil und Bogen traten sie der Syphilis der Zivilisation entgegen. Ihre Welt war eine gewaltige Insel, die nicht von der Schwerkraft, sondern von riesenhaften Schlingpflanzen zusammengehalten wurde.

    Auf diesem knotigen Inselstrang hoffte Girija Prasad, sich seinen Traum zu erfüllen: ein Leben in Einsamkeit. Als unerschrockener Junggeselle und schlichtes Geschöpf der Wissenschaften waren alle Frauen für ihn Schwestern, Schwägerinnen oder Tanten. Er erkannte nicht, dass die Verlockung unberührter Wälder nicht bloß im Unerforschten lag. Sie enthielt auch die Möglichkeit vollzogener Vereinigung. Eines Tages wurde seine Welt von einem Erdbeben erschüttert. Sein Körper bebte, als er bei einer Waldexkursion einen Baum sah, der eigentlich aus zwei ineinander verschränkten Bäumen bestand. Ein Buddhabaum hatte sich um den Stamm eines zwanzig Meter hohen Andamanen-Padauks gewunden. Zum ersten Mal sah er zwei voll entwickelte Bäume in Koitalposition. Ihre Umklammerung versperrte den Blick zum Himmel. Parasitische Orchideen fanden Halt in der Verflechtung. Eine Wucherung weit oben am Stamm drängte sich mit ihrem beinah menschlichen Antlitz in seine Gedanken und ließ ihn glauben, dass die Bäume auch ihn anstarrten. Freiliegende klauenartige Wurzeln krochen wie bleiche Pythons über die Erde. Er spürte sie langsam näherkommen und vor seinen Zehen haltmachen. Als er so dastand, fühlte sich Girija Prasad wie eine rastlose Ameise, die vom Unmöglichen in Versuchung geführt wird.

    Als sich seine Mutter also später auf die Suche nach einer Braut für ihn machte, leistete er keine Widerrede. Die Wissenschaft hatte ihn gelehrt, dass jede Schöpfung gleichermaßen männlicher und weiblicher Beteiligung bedarf. Und die Inseln verführten ihn mit der Schönheit des Ganzen.

    Einen Monat nach Einsetzen des Monsuns sind die vier Wände und das Dach, die das Paar trocken halten sollen, bloß noch eine symbolische Geste, ein freundlicher Abschiedsgruß der Briten. Denn die Regenfälle sind tief in ihr Sein eingedrungen. Eine unsichtbare Wand ist eingerissen, und sie sind vollgelaufen mit Kuriositäten und Sorgen aus vergangenen Zeiten.

    Noch bei seiner Ankunft hatte Girija Prasad an Halbwahrheiten wie »Kein Mensch ist eine Insel« geglaubt. Ein Jahr hatte es gedauert, bis er begriff, dass auch keine Insel eine Insel ist. Jede Insel ist Teil einer größeren geologischen Struktur, die alles Land und alle Ozeane der Welt miteinander verbindet. Keinen Kilometer von seinem Haus entfernt entdeckte er eine lebende Pflanze, die zuvor nur als Fossil aus Madagaskar und Zentralafrika bekannt war.

    An dem Tag, der das Ende der Regenfälle und seiner Liebschaft mit Rindersteak besiegeln sollte, verbrachte Girija Prasad seine Arbeitsstunden mit Nachforschungen über die Vorgängerin aller Kontinente: Pangäa. Ein Superkontinent, eine einzige Entität, die zu all den Landstücken zerfiel, die es heute gibt – eine mögliche Erklärung für die Pflanze in der Nähe seines Hauses, denn der indische Subkontinent ist von Afrika abgebrochen und gegen Asien gekracht. Er hatte die vor ihm ausgebreitete Karte studiert. »Ein unmögliches Puzzle«, sagte er laut.

    Für die Anstrengungen des Tages wurde er in der Nacht belohnt. Der Bauch Lateinamerikas schlief selig in der Einbuchtung Westafrikas. Das Puzzle fügte sich so wunderbar zusammen – Pangäa erwachte zum Leben. Was ihm tagsüber als zerbröckeltes, auseinandertreibendes Stückwerk erschienen war, erschien ihm nun als ein Lebewesen. Es entzückte ihn, wie sie die Arme weit ausstreckte, von Alaska bis in den Fernen Osten Russlands, wie sie den Kopf hob und zwischen den Polen auf den Zehenspitzen stand. Pangäa erblühte mit der Anmut einer Ballerina. Er war erregt. Doch als der Regenguss abrupt endete, wachte er davon auf. Allein mit seinen Grübeleien über einen halben Traum fragte er sich, warum die Kontinente überhaupt auseinandergetrieben waren. Wasser dringt in die Ritzen, ein Rinnsal wird zu einem Bach, aus Bächen werden Flüsse. Und dann gibt es kein Zurück.

    Über Nacht lassen die Flüsse Risse erkennen, die nur durch Ozeane gefüllt werden können. Es liegt in der Natur des Wassers, die durch Spalten, Spitzen und andere unregelmäßige Symmetrien zerklüftete Leere aufzusaugen. Nur ein Narr würde in den Ufern der Kontinente, den Sandbänken und trockengefallenen Landflecken die Enden der ungebrochenen Wasserfläche sehen. Bestenfalls sind sie Unterbrechungen, Pausen. Oder gedankenloses Geschwätz. Inseln sind gedankenloses Geschwätz in einem meditativen Ozean.

    Von seinem komfortablen Doppelbett spähte er hinab auf die Silhouette seiner Frau. Er fragte sich, was sich die Kontinente wohl gedacht hatten. Vielleicht träumte Pangäa von einem Dasein als Millionen von Inseln. Vielleicht träumten die Millionen von Inseln nun vom Einssein. Wie die Matrosen, die von verrückten Königinnen in albernen Anzügen losgeschickt wurden, entdeckten vielleicht auch die Kontinente, dass am Ende einer Welt die nächste beginnt.

    Doch welchen Unterschied macht das, dachte er. Wüssten wir die Antwort, wir wären trotzdem einsam. Wie die Insel, auf der er lebte, war er zu weit auf dem Ozean, um die Richtung zu ändern. Nur Gott konnte ihm helfen, die Einsamkeit ihrer getrennten Betten zu ertragen. Einen kurzen Augenblick lang wollte der Atheist an Gott glauben.

    Trotz seiner streng hinduistischen Erziehung war Girija Prasads Atheismus kein Akt der Rebellion. Er weitete lediglich seine Weltanschauung aus, so wie Pangäa ihre Arme streckte. Die müßige Schiffsreise zwischen England und Indien, Kolkata und Port Blair hatte ihn verändert. »Auf dem Deck zu stehen und über das Blaugrün nachzusinnen ist das, was dem Blick in die Unendlichkeit am nächsten kommt«, hatte er seinem Bruder geschrieben. »Allein im Angesicht der Unendlichkeit beschäftigt einen nicht das, woran man glaubt, sondern das, was man verworfen hat.«

    Näher würden sie einander in dieser Nacht nicht kommen. In ihren Glaubensvorstellungen Kontinente voneinander entfernt, war Gott die unsichere Landbrücke zwischen ihnen.

    Und der Teufel war in diesem Moment eine Ziege.

    »Hörst du das?«, fragte sie. »Das Meckern?« Und Girija Prasad verlor seine Erektion, die neunundneunzigste in den ersten beiden Monaten ihrer Ehe.

    Nicht, dass Girija Prasad über all seine verlorenen Erektionen Buch geführt hätte, doch das Phänomen war bald zum Symbol von Nervosität und nicht vollzogener Liebe geworden, so wie Rosen für die Liebe selbst standen, für die Bekanntgabe dieses unsichtbaren, intimen Dings, das zwei Menschen miteinander teilten.

    Als Erwachsener hatte Girija Prasad noch nie mit einer Frau zusammengelebt und kannte den Wirbel, der damit einherging, sein Leben mit einer Dame zu teilen, nur aus seiner Vorstellung. Er räumte die Hälfte seines Kleiderschranks leer und überließ ihr die oberen Regale und Bügel. Nach Beobachtung der Gattinnen anderer Beamter wurde ihm jedoch bewusst, dass seine Frau womöglich verschiedene Saris für unterschiedliche Anlässe und dazu passende Armreife und Sandalen besaß. Entsprechend ließ er einen neuen Kleiderschrank aus burmesischem Teakholz anfertigen. Berauscht von der Schönheit eines Gesichts, das er erst noch erblicken würde, ließ er an der Schranktür einen Ganzkörperspiegel anbringen. Dann war da noch das Problem mit den Vorhängen. Er hatte keine. Die Frage nach der Privatsphäre war eine weibliche, außerdem hatte Girija Prasad gar keine Nachbarn, vor denen man sich hätte verstecken können. Also hängte er seine Lungis, die einzigen ausreichend großen Stoffbahnen in seinem Besitz, vor die Fenster.

    Bevor er sich auf die schwierige und hoffnungsvolle Reise machte, die fast alle Tiere auf Partnersuche antreten, dachte er an sie. Zwar hatte er vorfreudig seinen Bau hergerichtet, doch wie konnte er ihr seine Dankbarkeit zeigen? Shakespeare und die Romantiker hatten ihn gelehrt, dass Frauen Rosen oder zumindest Vergleiche mit selbigen mochten, also bestellte er eine Kiste mit den schönsten Rosen, die er je gesehen hatte, von den fernen blauen Hügeln Kalimpongs. Einen Monat später, nach einer beschwerlichen Reise über Berge und Meer, wurden sie geliefert, und nur eine hatte überlebt. Als er die Kiste öffnete, sah er sich anstelle riesiger Rosen in leuchtendem Pink mit geschundenen Stängeln und welken Blütenblättern konfrontiert. Er erkannte darin ein Zeichen – eines, das von Unheil kündete. Er war fest entschlossen, den einzigen überlebenden Schössling gesundzupflegen. Er würde ihn in sein Arbeitszimmer stellen, um ihn vor der brennenden Sonne zu schützen – bloß die sanften Strahlen von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sollten ihn berühren –, und eine Tröpfchenbewässerung einrichten. Eine kürzlich erschienene Studie im Oxford Journal of Applied Aesthetics hatte nachgewiesen, dass Pflanzen westliche klassische Musik gern hatten, insbesondere Mozart, also schleppte er sein Grammofon ins Arbeitszimmer und installierte eine Dauerbeschallung, um sein Symbol der Liebe wiederzubeleben.

    Als Girija Prasad mit seiner Frau zurückkehrte, war er verzückt, eine einzelne, mit dem Kopf nickende Blume vorzufinden, die ihm in verschiedenen Rosatönen entgegenblickte. Endlich war der Bungalow wirklich, wahrlich gut genug für seine Braut.

    Girija Prasads Domizil, im Volksmund der Inseln als Goodenough-Bungalow bekannt, war in den 1930ern erbaut worden, um Lord Goodenough auf einer seiner Reisen zu beherbergen. Wie bei den meisten Würdenträgern waren die Gründe für seine Ausflüge in entlegene Ecken des Imperiums, insbesondere zu einer zukünftigen Strafkolonie wie den Andamanen, weitestgehend unbekannt. Nach zehn Jahren gescheiterter Anläufe und Standortwechsel waren das Gefängnis und die Hauptverwaltung endlich fertiggestellt worden. Zwei von drei Arbeitern, überwiegend Gefangene, waren beim Bau ums Leben gekommen – durch die Pfeile von Stammesangehörigen, Tausendfüßlerbisse, Krokodilangriffe, den Strick, Folter und das gute alte Heimweh –, und ihre Überreste würden in den Steinmauern vergehen. Ihr Tod war für das Weltreich kein Verlust.

    Die isolierte Lage des Archipels spornte die Fantasie der Kolonisatoren an und ließ sie ausgeklügelte Foltermethoden entwickeln, bestimmten Methoden wurden sogar ganze Inseln gewidmet. Auch Lord Goodenough inspirierten sie zu größeren Taten, als das Mauerwerk zu inspizieren und mit den Einheimischen zu tanzen. Ein heimliches Begehren trieb ihn dazu, den neuesten Erwerbungen des Rajs einen Besuch abzustatten. Es war der Wunsch zu benennen. Sein Name hatte ihn schon früh gezwungen, sich einen Sinn für Humor anzueignen, und er hatte ein Leben lang nur darauf gewartet, ihn auf nichtsahnende Kreaturen, Gegenstände und Gegenden loszulassen. In der öden Behaglichkeit seines Herrenhauses hatte der Lord die Entwicklungen im Indischen Ozean mit seinen Anhäufungen krummer Inselchen genau im Blick. Inseln sind, das weiß man intuitiv, die perfekte Leinwand, um sich in der Kunst der Nomenklatur zu üben. Die große Abgeschiedenheit würde früher oder später dafür sorgen, dass Spezies endemisch wurden und eines unverwechselbaren Namens bedurften. Die einzigen Ausnahmen von dieser Regel waren die Briten selbst. Sie brachen reihenweise Naturgesetze, indem sie ihre eigene Insel verließen und sich auf anderen fortpflanzten, ohne dabei irgendwelche ihrer ursprünglichen Merkmale einzubüßen – bloß der Verstand kam ihnen dabei abhanden.

    Lord Goodenough glaubte, dass Eigennamen mit Sprachen Hochzeit halten sollten, wie auch Kolonisation verschiedene Kulturen dazu zwang. Wenn er in eine noch unentdeckte Bucht segelte, während er auf seinem luxuriösen Schiff sein Frühstück einnahm, taufte er sie Breakfast Bay, und die umgebenden Landestellen nannte er Marmaladeganj, Baconabad und Crumpetpur.

    Eine Woche hatte der Lord in dem Haus verbracht, das nun Girija Prasad bewohnte. Es stand auf einer eindrucksvollen Bergspitze, die einst eine beliebte Wegkreuzung von Stammesangehörigen auf dem Weg von West nach Ost gewesen war, bis politische Gefangene gezwungen worden waren, zu dem bedrohlichen Knallen von Luftschüssen das Dickicht niederzumetzeln. Der Bungalow war auf Stelzen errichtet worden, um schweren Regenfällen und Erdbeben standzuhalten. Auch ein drei Geschosse aufragender Hochsitz wurde gebaut. Aus dieser schwindelerregenden Höhe erspähte Lord Goodenough, was zu erspähen ihm seinen Platz in der Geschichte sichern würde.

    Durch seinen Feldstecher sah er eine Gruppe nackter Stammesangehöriger mit wesentlich größeren Brüsten und Hintern als bei allen anderen bisher erfassten Gruppen. Abgelenkt von ihrer üppigen Ausstattung übersah er den zusätzlichen Daumen, den sie allesamt besaßen. Wochen würde Lord Goodenough mit der Suche nach dem perfekten Namen für sie zubringen, der schlicht, jedoch der Pracht dieser Hintern und Brüste angemessen sein sollte.

    Viel später, auf der Heimreise, als er im Speisesaal des Schiffs saß und seinen Speck in sechs gleiche Teile schnitt – ein morgendliches Ritual, das er inmitten der Langeweile auf hoher See als therapeutisch empfand –, kam ihm die Idee. Gefangen in seinen kindlichen Allmachtsfantasien, brachte der Name ihn näher zu Gott. Und so kam es, dass die sechsfingrigen Angehörigen des gefährlichsten Stammes auf den Inseln The Divine Nangas getauft wurden oder die »Göttlichen Nackten«, wie das Oxford Dictionary später übersetzte.

    Fünf Jahre nach Lord Goodenoughs Besuch auf den Andamanen würde ein Erdbeben alle Kolonialbauten verhöhnen und die Insel, auf der sich die Hauptverwaltung der Briten befand, mitten entzweireißen. Auch der Goodenough-Bungalow würde abstürzen und der Hochsitz vom Berg rutschen wie auf einer Bananenschale. Das Erdbeben war Vorbote größerer Katastrophen, allen voran des Zweiten Weltkrieges.

    Im Krieg würden die Andaman-Inseln als erste ihre Unabhängigkeit von den Briten ausrufen, nur um gleich darauf von den Japanern erobert zu werden. Während die Weißen mit Gabel, Messer und Löffel aßen, benutzten diese kleinen Leute nur zwei Stäbchen. Diese Schlichtheit des Denkens spiegelte sich auch in ihren Foltermethoden. Warum jemanden in Ketten legen, wenn man ihm einfach Beine und Hände verdrehen konnte, bis sie brachen? Warum jemanden hängen, wenn man ihn mit einem effizienten Schwerthieb enthaupten konnte? Und warum die Einheimischen zur Abgabe ihrer Erzeugnisse zwingen, wenn man sie weit draußen im Meer ertränken konnte, um die Lebensmittelknappheit zu beenden?

    Während die Briten in dem zerstörten Bungalow nichts sahen als ein über die Wiese verstreutes Kartendeck, erkannten die Japaner darin eine Chance. Wie ein professioneller Falschspieler, der eine neue Runde austeilt, setzten sie das Haus wieder zusammen, ernannten es zu ihrer Hauptverwaltung und errichteten Bunker auf den umliegenden Hängen. Sie setzten die in Malaysia beheimatete, sehr proteinreiche Riesenschnecke auf den Inseln aus. Als britische Schiffe die Inseln umstellten und die Versorgungsrouten abschnitten, wurde die Schnecke zu ihrer Retterin, ein griffbereiter Imbiss, den man nicht einmal salzen musste. Zehn Jahre später war außer baufälligen Bunkern von den Schneckenfressern nichts mehr übrig. Die Schnecken vermehrten sich rasant und wurden zu einer üblen Gartenplage, nur noch übertroffen von dem durch die Briten zu Jagdzwecken ausgesetzten Muntjak.

    Als das Blatt sich zugunsten der Alliierten wendete, rief Lord Goodenough einen neuen Ausschuss im Oberhaus zusammen, um die Inseln wieder ins Spiel zu bringen. Doch die Freude über den gewonnenen Zweiten Weltkrieg war kurzlebig wie die Morgendämmerung. Denn die Sonne über dem Britischen Weltreich war untergegangen. Von nun an würden die Andamanen zum unabhängigen Indien gehören. Lord Goodenough konnte nicht umhin, sich betrogen zu fühlen. Trotz seiner Position als einflussreicher Aristokrat in der größten Kolonialmacht, die es je gegeben hatte, blieb ihm die Rückkehr an den Ort, wo Gott am nächsten gewesen war, verwehrt.

    Die Schneckenfresser verhungerten, die Sahibs traten den Rückzug an, und die Inseln waren beinahe zwei Jahre lang Niemandsland. Zu dieser Zeit ernannten sich vier Jugendliche von den Karen, die von den Briten zur Bestellung der Felder aus Burma geholt worden waren, zu Alleinherrschern über das Land und machten den Goodenough-Bungalow zu ihrem Palast. Sie verbrachten die Abende auf der Veranda, verzierten das Porträt von King George auf den britischen Rupien mit Schnurrbärten und verarbeiteten Tischtücher zu Flaggen. Stundenlang diskutierten sie über das Nationalsymbol der Freien Inseln. Sollte es der fiese, 30 Zentimeter lange Tausendfüßler sein oder doch eher die kleine, sanfte Salangane, die Nester aus ihrer eigenen Spucke baut? Im Jahr 1948 wurde die Forstbehörde zum einzigen Außenposten der neu gegründeten Nation auf den Inseln, wie eine ausgefranste Flagge, die über einem heimtückischen Berggipfel flattert.

    Als Girijad Prasad, der nichts von alledem wusste, seinen Umzug in den Goodenough-Bungalow beschloss, so tat er dies aus denselben Gründen, die auch die Göttlichen Nangas, die Briten, die Japaner und die Karen dazu bewogen hatten. Von dem Gipfel aus konnte man die Sonne auf einem trügerisch blauen Meer glitzern sehen. Man fühlte sich dort wie der König der Welt.

    Und während Girija Prasad überlegte, seine Braut zu sich zu holen, hatte Lord Goodenough die Weiterreise ins Auge gefasst. Im Geheimen plante er eine Reise entlang der Pazifischen Inseln. Während das Paar die ersten Monate nach der Hochzeit im vielschichtigen Kokon des Sturms verbrachte, setzte der Lord seine Reise zu Gott fort. Auf seiner Pazifikfahrt ging ihm auf, dass alle Namen, wie einzigartig und neu sie auch sein mögen, letztendlich Synonyme einer so universellen wie flüchtigen Wahrheit sind. Das Wesen des Lebens, der Kampf ums Überleben, bleibt unveränderlich, egal, wie viele Finger ein Geschöpf besitzt.

    Bald darauf starb er.

    Sie machte alle, die den Bungalow ihr Zuhause nannten, ob tot oder lebendig, nervös. Wie der Junggeselle Girija Prasad war auch das Haus ein wenig wacklig auf den Beinen. Ihre Anwesenheit irritierte die Geister der Freiheitskämpfer, die ewig verhungernden Schneckenesser und auch Lord Goodenough selbst, der, den warmen Strömen nachjagend, zwischen dem Pazifik, den Andamanen und seinem Familiensitz umherzog.

    Das Leben als Geist war eine Befreiung gewesen, bis Chanda Devis hellsichtiger Blick ihnen ihr zerschlissenes Auftreten und ihre ungehobelten Manieren vor Augen führte.

    »Es gehört sich nicht, das Schlafzimmer einer Dame zu betreten«, warnte der Lord den Panjabi-Aufrührer, der sich gern auf dem Bett räkelte wie ein Hund. »Und Sie da besorgen sich wohl besser eine neue Uniform. Sie sind wohl bei einer Explosion umgekommen, die ihnen das Hirn aus dem Schädel und die Kleider vom Leib gepustet hat, doch die Dame wird fassungslos sein, wenn ein nackter Mann durch ihren Garten spaziert, vor allem einer, an dem alles so winzig ist«, wies er den japanischen Soldaten zurecht. Dieser verstand jedoch kein Englisch. Also war Lord Goodenough so frei, ihm selbst die britische Flagge um die

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