Einführung in die positive Bildung
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Über dieses E-Book
Lernende, die sich in der Schule wohl fühlen, erzielen bessere Leistungen. Lernen soll Freude bereiten, damit die Lernenden Selbstwirksamkeit aufbauen und Vertrauen in ihre Fähigkeiten entwickeln können. Denn letztlich hat die Schule die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler zu stärken.
Christoph Städeli, Autor des vielbeachteten AVIVA-Modells, hat dazu ein didaktisches Konzept entwickelt. Wer sein Buch liest, lernt die Ideen der positiven Bildung im Unterricht umzusetzen.
Christoph Städeli
Prof. Dr. phil. Christoph Städeli ist Leiter der Abteilung Sekundarstufe II/Berufsbildung an der Pädagogischen Hochschule in Zürich und dort Dozent für Didaktik. Der Erziehungswissenschaftler hat mehrjährige Unterrichtserfahrung. Er ist ausgebildeter Primar- und Berufsschullehrer. Sein Anliegen ist die kompetente Umsetzung der Theorie in die Unterrichts- und Schulpraxis.
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Buchvorschau
Einführung in die positive Bildung - Christoph Städeli
1 EINLEITUNG
Die Schule und der Unterricht sind Orte des Arbeitens, Lernens, Lehrens und Leistens. Sie sind ein bedeutsamer Lebensraum, in dem Schülerinnen und Schüler wichtige soziale und emotionale Erfahrungen machen können. Dabei ist es für ein erfolgreiches Lernen und den gesamten Bildungsweg von entscheidender Bedeutung, dass sie sich in der Schule wohl fühlen und zufrieden mit den schulischen Bedingungen sind. Dieses Wohlbefinden ist nicht pädagogischer Luxus, es ist vielmehr ein Kernindikator für gelungenes Zusammenleben (Fend & Sandmeier, 2004).
Es gibt immer wieder kritische Stimmen, welche das Wohlbefinden in der Schule mit Spaß, Faulheit, Kuschelpädagogik oder Trägheit der Schülerinnen und Schüler in Verbindung bringen. Diese Argumente lassen sich jedoch rasch entkräften, denn das Wohlbefinden hängt nachweislich mit einer Reihe von pädagogisch erwünschten Faktoren zusammen, die in einer Schule gegeben sein müssen, wenn sie ihren Bildungsauftrag erfüllen will. Dazu zählen der positive Selbstwert sowie die positive Haltung gegenüber den Lernprozessen und Bildungseinrichtungen. «Wenn Schulen ihren Auftrag erfüllen wollen, können sie auf das positive Potential, das mit dem Wohlbefinden ihrer Schülerinnen und Schüler zusammenhängt, nicht verzichten» (Hascher & Lobsang, 2004, 204).
Genau an diesem Punkt setzt die positive Bildung an. Nach White und Murray (2015) beschreibt positive Bildung (bzw. positive education) wissenschaftlich validierte Programme, die sich positiv auf das Wohlbefinden der Schüler und Schülerinnen und auf ihre Leistungsfähigkeit auswirken. Schulische Leistungen und Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler sind dabei gleichwertige Aspekte. In verschiedenen großangelegten Studien konnte nachgewiesen werden, dass bei Schülerinnen und Schülern, die gezielt an Programmen der positiven Bildung teilgenommen haben, das Wohlbefinden im Vergleich zu Lernenden aus Placebo-Schulen bedeutend höher war und die schulischen Leistungen, gemessen an den Standards nationaler Prüfungen, deutlich besser ausfielen (Seligman, 2019). Schülerinnen und Schüler mit besserem Wohlbefinden erzielen bessere Noten und haben weniger Fehlzeiten (Chaves, 2021, 282).
Durch die COVID-Krise hat sich in den letzten Jahren gezeigt, wie wichtig es ist, neben den schulischen Leistungen das Wohlbefinden als weitere zentrale Säule in der Schule und im Unterricht aufzubauen; auch um den psychischen Gesundheitsproblemen bei Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen entgegenzuwirken. Besonders deutlich zeigte sich dies bei den Schulschließungen während der Pandemie. Durch das Homeschooling wurde damals für viele Schülerinnen und Schüler ihr Zuhause zum neuen Klassenzimmer. Die vielen Onlineveranstaltungen wurden als seelenlos erlebt; die für das Lernen zentralen und tiefen Begegnungen fanden nicht statt (Brohm-Badry, 2021). Einige Lernende meisterten die neuen Herausforderungen gut, andere hatten damit große Mühe und wurden teilweise vom Lernen abgekoppelt, da ihnen die so zentrale Lernbegleitung und die sozialen Kontakte fehlten. Die Erfahrung aus der COVID-Krise rückt nun deutlich die Notwendigkeit in den Vordergrund, die Förderung des Wohlbefindens, der Belastbarkeit und die mentale Stärke in den Mittelpunkt zu rücken (Green, Leach & Falecki, 2021, 22).
Bei der Umsetzung der positiven Bildung geht es also einerseits darum, die Menschen zu stärken, damit sie gesund bleiben. Andererseits soll das Lernen Freude bereiten und dadurch das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler gesteigert werden.
Hinter den Konzepten der positiven Bildung verstecken sich weder Heilsversprechen noch esoterische Fantasien. Die positive Bildung setzt wissenschaftliche Erkenntnisse aus zahlreichen Forschungsarbeiten der positiven Psychologie um und zeigt auf, wo im Unterricht und in der Schule gezielt angesetzt werden kann. Die positive Psychologie ist also keine «Happy-Psychologie oder eine akademische Variante des positiven Denkens. Sie ist auch nicht mit Glücksforschung gleichzusetzen und sie will auch nicht vorschreiben, wie Menschen, speziell Kinder und Jugendliche, zu leben haben» (Ruch & Wagner, 2013, 18).
Dieses Buch liefert einen Einblick in die Theorie und die Praxis der positiven Bildung und ist wie folgt aufgebaut. In Kapitel 2, «Menschen stärken», werden die theoretischen Grundlagen der positiven Bildung vorgestellt. Aufbauend auf diesen Grundlagen folgt in Kapitel 3 ein Modell, wie die Ideen der positiven Bildung in der Schule implementiert werden können. Im vierten Kapitel werden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Anwendungsfelder gegeben. Im fünften Kapitel werden verschiedene Instrumente zur konkreten Umsetzung aufgeführt. Dabei stehen nicht isolierte Übungen im Vordergrund, wie dies bei manchen Büchern zum Thema «positive Psychologie in der Schule» üblich ist, sondern sogenannte Instrumente, die Elemente der positiven Bildung mit schulpädagogischen Aspekten in Beziehung setzen. Diese Instrumente werden bewusst erst am Ende des Buches aufgeführt, da für deren Umsetzung die Erkenntnisse aus den Kapiteln «Menschen stärken» und «erfolgreiche Umsetzung in vier Schritten» vorausgesetzt werden.
Ziel dieser Publikation ist es, die Leserinnen und Leser dazu zu verleiten, die Ideen, Anliegen und Erfahrungen der positiven Bildung aufzugreifen und im eigenen (Schul-)Alltag zur Umsetzung zu bringen.
2 MENSCHEN STÄRKEN
Die positive Psychologie beschäftigt sich mit der Frage, wie das Wohlbefinden der Menschen gestärkt werden kann. Der Fokus richtet sich dabei nicht auf Krankheiten; vielmehr wird aufgezeigt, wie Stärken gezielt aufgebaut werden können, mehr positive Emotionen und Flow erlebt und mehr Sinnhaftigkeit erreicht werden kann. Dies alles mit dem Ziel, ein besseres Leben zu führen und die Lebenszufriedenheit zu erhöhen. Die Erkenntnisse aus der positiven Psychologie werden in verschiedenen Anwendungsfeldern wie Gesundheitswesen, Arbeit und Schule umgesetzt. Menschen mit einem besseren Wohlbefinden sind im Schnitt physisch und psychisch gesünder, motivierter, leistungsstärker und «sozialverträglicher» (Brohm, 2016, 6).
Größeres Wohlbefinden fördert zudem das Lernen, was für die Schule und den Unterricht zentral ist. Eine positive Stimmung im Unterricht führt zu einer breiteren Aufmerksamkeitsspanne sowie zu mehr kreativem und ganzheitlichem Denken (Seligman, 2015, 122). Wie wird Wohlbefinden umschrieben und wie kann Wohlbefinden gezielt aufgebaut und gestärkt werden?
2.1 Die Theorie des Wohlbefindens – das PERMA-Modell
Das Konstrukt Wohlbefinden, wie es Martin Seligman (2015, 32–40) definiert, setzt sich aus fünf Elementen zusammen: positive Emotionen, Engagement, positive Beziehungen, Sinn und Zielerreichung. Zusammengefasst werden diese Elemente unter dem Akronym PERMA (siehe Tabelle 1). Jedes der fünf Elemente trägt zum Wohlbefinden bei, wobei die Elemente voneinander unabhängig sind und die Menschen um der Sache willen danach streben.
Um dies besser zu veranschaulichen, zieht Martin Seligmann eine Analogie zum Konstrukt Wetter heran. Hier verhält es sich gleich wie beim Wohlbefinden. Mehrere Elemente wie Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit, von denen jedes messbar und beschreibbar ist, tragen zum Wetter bei. Kein einzelnes dieser Elemente kann das Wetter umfassend definieren, es sind immer mehrere Elemente, die dazu beitragen. Übertragen auf die Schule und den Unterricht bedeutet dies, dass bei der Förderung eines umfassenden Wohlbefindens die einzelnen Elemente aufgebaut und gefördert werden, ein umfassendes Wohlbefinden sich aber erst im Zusammenspiel aller fünf Elemente entwickeln kann.
In Tabelle 1 sind die englischen und deutschen Begriffe zu PERMA aufgeführt. In den weiteren Ausführungen wird PERMA als Kürzel für diese fünf Elemente verwendet, in den Umschreibungen jedoch die deutschen Bezeichnungen aufgeführt.