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Die Happy-End-Maschine (E-Book): Werkstattbericht aus der Schule 3 × 3
Die Happy-End-Maschine (E-Book): Werkstattbericht aus der Schule 3 × 3
Die Happy-End-Maschine (E-Book): Werkstattbericht aus der Schule 3 × 3
eBook230 Seiten2 Stunden

Die Happy-End-Maschine (E-Book): Werkstattbericht aus der Schule 3 × 3

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Über dieses E-Book

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.

Welche Chancen haben Kinder und Jugendliche, die in der Regelschule nicht mehr tragbar sind? Für sie ist eine kompetente Führung entscheidend. Ruth Baumgartner hat vor 20 Jahren mit der Schule 3 × 3 einen Lernort für Kinder und Jugendliche mit herausforderndem Verhalten und besonderen pädagogischen Bedürfnissen gegründet.

Mit «Die Happy-End-Maschine» legt sie einen Werkstattbericht mit vielen Einzelporträts und präzisen Projektbeschreibungen vor, nach deren Lektüre deutlich wird, warum die Schule 3 × 3 so gut funktioniert.
SpracheDeutsch
Herausgeberhep verlag
Erscheinungsdatum1. Mai 2023
ISBN9783035522211
Die Happy-End-Maschine (E-Book): Werkstattbericht aus der Schule 3 × 3
Autor

Ruth Baumgartner

Ruth Baumgartner (geb. 1945) liess sich am Lehrerseminar Rorschach zur Primarlehrerin ausbilden. Später erwarb sie zusätzliche Diplome als Legasthenie- und Dyskalkulietherapeutin, heilpädagogische Fachlehrerin und systemische Supervisorin. Sie hat mehr als 50 Jahre auf allen Stufen der Primarschule, dazu in Sonderklassen vom Typ A, unterrichtet. 2003 gründete sie mit einigen Kolleginnen und Kollegen, mehrheitlich Lehrpersonen, die Schule 3x3 in Männedorf, die sie seit 2004 allein führt. Sie ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder, vier Enkel und lebt in Küsnacht am Zürichsee. In der Freizeit liest sie gerne Sachbücher, spielt verschiedene Instrumente und erholt sich in der Natur.

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    Buchvorschau

    Die Happy-End-Maschine (E-Book) - Ruth Baumgartner

    Zu diesem Buch

    Ruth Baumgartner nimmt uns mit in ihre Schule und zeigt uns die Winkel und Räume, die sonst bei einem Unterrichtsbesuch nicht sichtbar werden.

    Es handelt sich um ein minutiöses Zusammentragen von alltäglichen Situationen, die sich dann in der präzisen Untersuchung und bei näherer Betrachtung als nicht-alltäglich und einzigartig erweisen.

    Sie führt uns hinein in die «kleinen» Interaktionen zwischen den Kindern, respektive zwischen ihnen und der Lehrerin, die letztendlich den Schulalltag ausmachen. Es sind diese leisen Klänge, die für uns Außenstehende sonst nicht hörbar sind. Hier befindet sich auch der Schlüssel zum Geheimnis, wie mit schwierigen Situationen und Verhaltensweisen umgegangen werden kann. Eine Frage, die alle Pädagoginnen und Pädagogen umtreibt und über die schon viele Bücher geschrieben wurden. Hier ist die Antwort, leise und versteckt, in dem Sinne, dass sie im Gesamtkunstwerk einer Schule zu finden ist, in allen feinen und filigranen Teilen, die die Schule 3×3 ausmachen.

    Sehr genau schildert Ruth Baumgartner die einzelnen Aspekte, aus denen sich der Unterricht zusammensetzt. Wer erfahren möchte, wie es ihr gelingt, die Kinder zu einem erfolgreichen Lernen zu führen, der kann die Antworten in den genauen Beschreibungen finden, in denen die Kinder die Hauptrolle innehaben. Immer wieder werden sie einzeln namentlich erwähnt. In Mikro-Analysen zeigt die Autorin die vielen Einzelsituationen, die dann doch auch wieder exemplarisch stehen für das genaue Zuhören, das Eingehen auf die Kinder, das Ernstnehmen und die ganz intensive Bemühung, den Individual-Schlüssel für das Lernen und die Entwicklung jedes einzelnen Kindes zu finden. In diesen Analysen schließt sich die Lehrperson mit kritischen Selbstreflexionen mit ein.

    Die Kinder werden als ganzheitliche Persönlichkeiten wahrgenommen. Schon bei der ersten Begegnung mit ihnen sucht Ruth Baumgartner nach Anknüpfungspunkten, um eine Beziehung aufzubauen. Sie beschreibt das ernsthafte Ringen, das «Richtige» zu tun, sich den Herausforderungen zu stellen. Sie zeigt auf, wie sie als Lehrperson die eigene Vorgehensweise permanent reflektiert.

    Besonders eindrücklich ist, wie Ruth Baumgartner das in Worte fasst, was bei vielen Lehrpersonen Angst auslöst, Angst vor der Macht des Kindes mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten. Es wird beschrieben, wie damit umgegangen werden kann, wenn die Lehrperson von einem Kind persönlich angegriffen wird. Es wird aufgezeigt, dass nicht die Kränkung im Vordergrund steht, sondern das verunsicherte Kind.

    Im Buch wird auch die Zusammenarbeit mit den Eltern prominent positioniert. Die Autorin erklärt auf einfache Weise, wie die beiden Systeme Schule und Familie interagieren und welche Bedeutung sie für das erfolgreiche Lernen der Kinder haben.

    In der Schule 3×3 kommt das Paradox zum Zug, das in der Pädagogik eine wichtige Rolle spielt: Je freier sich die Kinder entfalten dürfen, je offener der Unterricht gestaltet wird, desto klarer muss die Klassenführung sein.

    In der Schule von Ruth Baumgartner spielt dieses Classroom-Management eine zentrale Rolle. Es zeigt sich in den verschiedenen «Ordnungen», welche die Kinder einzuhalten haben und die ihnen Orientierung bieten. Es äußert sich in den unterschiedlichen Unterrichtssettings, die teilweise von den Kindern mitgeprägt werden, in den vielfältigen Räumen sowie im ganz persönlichen Führungsstil von Ruth Baumgartner.

    In den Projekten spiegelt sich die Haltung der Schulleiterin und Lehrerin Ruth Baumgartner sehr gut. Aus der Initiative der Kinder entstehen Projekte, deren Ideen erwachsenengestützt in die Umsetzung begleitet werden, in ihrer Aussagekraft aber ganz altersgerecht bleiben. So ist beispielsweise das im Buch genau beschriebene Holunderhaus, ein im wahrsten Sinne des Wortes luftiges Haus, ein Spiel-Haus, ein zu betretendes echtes Traum-Haus.

    Der Lernstoff dazu ist «knallhart» und realitätsgetreu. Die Fakten, um beim Projekt des Holunderhauses zu bleiben, handeln von der Zerstörung der Lebenswelt der Meere durch vom Menschen verursachten Plastikmüll. Diese wird genau beschrieben und nicht beschönigt. Der Fokus wird dann ganz bewusst auf die Lösung gelegt: die Erkundung der Erde in ihrer Vielfalt und der mutige Mensch, der sich an das schwer lösbare Problem heranwagt und sich dabei seinen Ängsten stellt.

    Die 3×3-Happy-End-Maschine ist ein erfolgreiches Projekt der ganz besonderen Art. Die Problematik des Lernens oder der Beeinträchtigung des Lernens wird nach außen gestülpt und mittels einer technischen Aufgabenstellung – dem Bau einer Maschine – so dargelegt, dass die Kinder ihr Lernverhalten ganz neu und mit Abstand sehr exakt bearbeiten können. Dies geschieht auf eine spielerische, kindgerechte, anspruchsvolle, selbstreflexive und überaus wirkungsvolle Art.

    Erika Friedli, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich

    Gais, im Frühjahr 2023

    Loris – ein richtig fordernder Fall

    Loris hat mich so gefordert wie kein anderes Kind. Um ihm den Besuch der Schule 3×3 weiterhin zu ermöglichen, mussten wir zu unkonventionellen Maßnahmen greifen.

    Loris ist ein kleiner, filigraner Bub. Er war sieben Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Schon damals fiel er durch sein aggressives Verhalten auf, das jeweils darin gipfelte, dass er andere Kinder, aber auch Erwachsene attackierte und schlug. Als er im Kindergarten nicht mehr tragbar war, wurde er ausgeschlossen und in eine kinderpsychiatrische Tagesklinik überwiesen. Anschließend kam er zu uns in die Schule 3×3.

    In den Protokollen aus dem Jahr 2018 finde ich folgenden Eintrag über seinen ersten Tag als Schnupperschüler: «Loris steht an meinem Pult, und wir reden miteinander. Er: ‹Ich habe bereits zwanzig hundert Bastelarbeiten gemacht.› – Ich: ‹Zwanzig hundert? Das sind ja zweitausend!› – Er: ‹Das kann nicht sein, das ist zu viel. Es sind 120.› – Ich: ‹Schreib die Zahl auf, hier in dein Schnupperlogbuch.› – Er schreibt 202. – Ich: ‹Das heißt 202.› – Er: ‹Nein, das kann nicht sein.›

    Ich erkläre Loris die Schreibweise, indem ich die Stellenwerte mit Farben markiere. Ich hole die Stellenwertkarten und fordere ihn auf, eine Hundert zu legen. Er ist sofort fasziniert von den großen Zahlen. Er legt die Hundert. […] Loris möchte den Holzkasten mit den Stellenwertkarten mit an seinen Platz nehmen und alle seine Lieblingszahlen abschreiben. Nach einer halben Stunde hat er eine Seite in seinem Logbuch mit seinen Lieblingszahlen gefüllt. Das ging ja richtig gut.

    Doch als er kurz darauf mit meiner Assistentin arbeitet, gerät er in Aufruhr und will nach Hause. Als ich ihm sage, dass er jetzt in der Schule sei, da könne man nicht einfach weggehen, bekommt er einen Wutanfall, tritt mich, schlägt mich und lässt sich nur mit Mühe beruhigen. Auf einmal beginnt er zu schluchzen und klagt, man könne ihm nicht so viele Fragen stellen, auf die er keine Antworten wisse. Dann schaut er mich an, und ich denke, er führt etwas im Schilde. Und wirklich. Plötzlich rast er los, im großen Raum sind die anderen Kinder am Spielen. Er schlägt ein Kind und schleudert es zu Boden. Dann rennt er ins Schulzimmer und wirft Stühle um. Ich schicke die anderen Kinder in das Musikzimmer. Loris rennt blitzschnell in die Bibliothek, wo zwei Kinder am Spielen sind. Er nimmt einen Gegenstand und schleudert ihn gegen eines der Kinder und trifft es nahe am Auge.»

    Schon diese ersten Begegnungen machten mir klar, dass Loris eine echte Herausforderung für uns alle werden würde, für mich, seine Mitschüler und Mitschülerinnen, meine beiden Assistentinnen und meinen Mann. Dass ich ihn trotzdem in der Schule 3×3 aufnahm, hat damit zu tun, dass ich es als meine Aufgabe sehe, mit Kindern zu arbeiten, denen es besonders schwerfällt, Regeln zu befolgen und die Ordnung einzuhalten. Gleichzeitig hatte ich von Anfang an einen guten Draht zu Loris.

    Wenn ich an ihn denke, kommen mir zahllose positive Assoziationen in den Sinn: Herzig. Gescheit. Differenziert. Gutherzig. Hilfsbereit. Schlau. Ideenreich. Genaue Sprache mit großem Wortschatz. Kann im Gespräch Gefühle ausdrücken. Er weiß viel. Bastelt gern. Bringt den Kindern, aber auch mir immer wieder mal einen feinen Kuchen mit. Freude am Musizieren. Er interessiert sich für alle Schulfächer außer Rechtschreibung. Beim Rechnen nimmt er nicht die üblichen Lösungswege, sondern kreative eigene. Er hat sich das Bruchrechnen selbst beigebracht.

    All diesen Qualitäten stehen allerdings seine Schattenseiten gegenüber. Loris redet wie ein Wasserfall und dominiert die anderen Kinder. Wenn er mit ihnen beispielsweise Türme und Städte aufbaut, befiehlt er ihnen, was sie zu tun haben, welche Teile in welcher Farbe sie wohin stellen dürfen. Sie machen keinen Mucks und gehorchen. Stellt sich ein Kind einmal quer, zerstört Loris alles und rennt davon. Frage ich die anderen Buben und Mädchen, warum sie sich ihm meistens unterordnen, sagen sie, dass sie Angst hätten, dass er sonst ausflippe.

    Seine Wutanfälle nehmen tatsächlich oft ein bedrohliches Ausmaß an. Er schreit rum, schleudert Gegenstände durch den Raum, schwere, harte Gegenstände wie Bücher, die jemandem auch Verletzungen zufügen können. Oft nimmt er ganz bewusst den Kopf seines Gegenübers ins Visier. Dabei macht er keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen. Er zerstört auch Mobiliar oder Bastelarbeiten der anderen Buben und Mädchen.

    Ein paar Auszüge aus meinen Schulprotokollen zeigen die ganze Bandbreite seiner Aggressionen:

    «Die Wutanfälle liegen für mich nicht drin. Neun Wutanfälle innerhalb von elf Schultagen. Ich will mir keine Morddrohungen anhören, mein Mann lässt sich sein Gesicht nicht mit schweren Gegenständen bewerfen, und für die Kinder sind die hinterhältigen Attacken schwer zu ertragen.»

    «Wenn Loris Texte abschreiben muss, gibt es Theater. Er schleudert die Sachen auf den Boden. Er möchte die Buchstaben immer so schreiben, wie es ihm passt. Loris schreit beim kleinsten Anlass. Ich sage: ‹Ich habe dich gern. Ich würde dich vermissen, wenn du nicht mehr da wärst. Doch so geht es nicht, sonst muss ich dir die gelbe Karte zeigen.›»

    «Loris arbeitet gut. Doch eine zweite Wiederholung ist sehr schluderig geschrieben. Ich sage ihm, dass er diese drei Linien noch mal schreiben muss. Er nimmt einen Hocker und schleudert ihn gegen mich. Zweimal. Ich sage: ‹Das gibt die gelbe Karte, und du bleibst bis zu den Weihnachtsferien daheim. Immer um 8 Uhr müssen die Aufgaben abgeholt werden.›»

    Je besser ich ihn kennenlernte, umso deutlicher wurde mir, dass Loris stark auf Kontinuität und die immer gleichen Abläufe in seinem Alltag angewiesen ist. Passiert etwas für ihn Unvorhergesehenes, kann ihn das dermaßen verunsichern, dass er ausrastet. Umso wichtiger war es, ihm schnell klarzumachen, welche Konsequenzen sein gewalttätiges Verhalten nach sich ziehen würde. Sei es, dass er Arbeiten zu Hause nachholen, ein Time-out in einem Nebenzimmer absitzen muss, um sich zu beruhigen, oder dass er die gelbe oder rote Karte mit teilweisem bis vollständigem Schulausschluss riskiert.

    Was ihm besonders zusetzt, ist, wenn er im Spiel oder Sport verliert. Seine Ansprüche an sich selbst sind hoch: Im Grunde will er immer der Beste sein. Wenn ich ihn auf einen Fehler hinweise, zieht er seinen Körper zusammen, als wolle er sich darin verstecken. Ich sage ihm dann, es sei unnötig, dass er sich so klein mache, es gehe nur um diesen einen Satz und nicht um ihn als Person.

    Es ist mir ein wichtiges Anliegen, seinen übermäßigen, ja, selbstschädigenden Ehrgeiz zu bändigen. Denn allen Wutanfällen zum Trotz habe ich ihn immer noch gern. In meinen Protokollen finde ich Sätze wie: «Wenn es mit Loris gut läuft, dann ist es einfach schön, mit ihm zu arbeiten. Er ist so interessiert, er denkt so viel nach, er ist so höflich.»

    Manchmal macht er auch Sprüche, die so schlagfertig und unerwartet sind, dass ich mir das Grinsen nur schwer verkneifen kann: «Lehrer ist ein komischer Beruf. Also ich will ja nichts über Sie sagen, aber Lehrer sind komisch. Bis zur fünften Klasse sagen sie im Rechnen, es gehe nur bis zur Null, und dann sagen sie, es gehe unter Null. – Also, wenn meine Cousine das sagt, dann glaube ich ihr das eher. Sie lebt in der jetzigen Zeit und Sie nicht.»

    Ich bin froh, dass die Eltern sehr verständnisvoll sind und gut mit den Schulbehörden und mir kooperieren. So willigte der Vater ein, dass er vorübergehend mit in die Schule kommt, als ich Loris’ weiteren Schulbesuch davon abhängig machte. Er stellte seine Karriere zugunsten der Familie zurück.

    Ein Jahr lang hielten wir an dieser Maßnahme fest und erzielten erfreuliche Ergebnisse: Die Gewaltausbrüche nahmen ab, sodass der Vater nur noch auf Abruf für mich erreichbar sein musste. Das war ein guter Kompromiss, denn hin und wieder war ich froh um seine Hilfe.

    Loris beruhigte sich zusehends. Doch nach einem halben Jahr, im Corona-Herbst 2020, kam es zu so schweren Rückfällen, dass an einer Sitzung mit den Eltern, der Schulbehörde und dem Schulpsychologen beschlossen wurde, den inzwischen zehnjährigen Knaben nochmals für einige Wochen eng von seinem Vater begleiten zu lassen. Als er trotzdem einen so schlimmen Wutanfall produzierte, dass ich um die Gesundheit seiner Kameraden, aber auch um meine eigene fürchtete, zeigte ich ihm die rote Karte und verordnete ihm als vielleicht allerletzten Ausweg drei Monate Einzelunterricht bei mir, der jeweils frühmorgens von 6.45 bis 7.45 Uhr stattfand.

    Wie wird es mit diesem speziellen Kind wohl weitergehen?

    Manchmal braucht es eine zweite Chance

    Die Schule 3×3 ist ein Auffangnetz für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Sie sollen bei uns neue Sichtweisen über sich und ihren Alltag gewinnen. Wir arbeiten darauf hin, sie in die Regelschule zu reintegrieren.

    Die Schule 3×3 ist eine staatlich anerkannte, konfessionell und politisch neutrale private Tagesschule mit maximal elf Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren. Ein Eintritt ist jederzeit möglich. Die Kinder kommen aus den Zürcher Seegemeinden, wir hatten aber auch schon eines aus Einsiedeln.

    Viele Kinder werden mir von einem Schulpsychologischen Dienst gemeldet. Andere kommen in die Schule 3×3, weil ihre Eltern von anderen Eltern gehört haben, dass ihr Kind sich dort gut entwickeln konnte. Lehrkräfte an öffentlichen Schulen empfehlen uns; auch Kinderärzte und Kinderärztinnen, Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen und kinderpsychiatrische Dienste tun dies. Wieder andere Eltern lesen die Website der Schule 3×3 und sind überzeugt, dass ihr Kind vom Angebot profitieren wird.

    In einem ersten Schritt besucht das Kind zusammen mit seinen Eltern die Schule. Anschließend schnuppert es einige Tage. Erst dann entscheide ich zusammen mit den Eltern und dem Kind, ob es in die drei Monate dauernde Probezeit aufgenommen wird. Der Unterricht orientiert sich an den Richtlinien des Lehrplans des Kantons Zürich.

    Altersgemischtes Lernen

    Die Kinder werden in einer Lerngruppe unterrichtet, die verschiedene Jahrgänge umfasst. Jeden Tag, jede Stunde und jede Minute bereichert und fasziniert mich diese Unterrichtsform.

    Mir fällt immer wieder auf, wie viele unterschiedliche Rollen die Kinder in dieser Art von Setting haben. Das zeigt sich vor allem auch am Anfang eines neuen Schuljahres. Ein Teil der Gruppe bleibt, es kommen neue Kinder hinzu. Bereits im ablaufenden Schuljahr bereiten sich die in der Gruppe verbleibenden Kinder darauf vor. Sie erstellen eine Liste mit den in der Schule herrschenden Ordnungen, bei denen sie denken, sie seien für Neuankommende besonders wichtig. Da steht zuoberst auf der Liste: «Im Hauseingang ruhig sein» – «Sofort gehorchen, wenn Frau Baumgartner ruft» – «Nicht reden, wenn Frau Baumgartner redet» – «Die Schuhe schön hinstellen in der Garderobe». Die Liste ist jeweils noch länger. Diese Aufzählungen bringen mich zum Schmunzeln, und ich sage den Kindern, dass sie ja viel strenger seien als ich.

    Die Neuankömmlinge brauchen Verständnis und Unterstützung. Die verbleibenden Kinder sind wertvolle Begleitpersonen, denn sie können sich gut daran erinnern, wie froh sie damals um die Hilfe waren. Sie können ihrem Alter entsprechend Verantwortung übernehmen. Die neuen Kinder wachsen kontinuierlich in die Gruppe hinein, indem sie die Ordnungen des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens nachahmen und ganz selbstverständlich übernehmen. Das läuft recht reibungslos ab, weil bereits eine tragfähige Struktur vorhanden ist.

    Eine weitere wichtige Rolle in einer altersgemischten Lerngruppe ist die des Tutors oder der Tutorin. Sie unterstützen andere Kinder beim Lernen, natürlich immer in Sichtweite von mir. «Ich kann das nicht!» – diesen Satz lasse

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