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Kunst und Erziehung: Kunst in der Erziehung und Erziehung als Kunst
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eBook364 Seiten4 Stunden

Kunst und Erziehung: Kunst in der Erziehung und Erziehung als Kunst

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Über dieses E-Book

Ein Buch für Kunst in der Erziehung und für die Auffassung des Lehrer- und Erzieherberufs als künstlerische Tätigkeit. Malerei, Zeichnung und Musik.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Juni 2015
ISBN9783732344727
Kunst und Erziehung: Kunst in der Erziehung und Erziehung als Kunst

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    Buchvorschau

    Kunst und Erziehung - Tobias Schaumann

    1. Kapitel

    Kunst in der Erziehung und Erziehung als Kunst

    Kunst ist in der Erziehung eines der wichtigsten Mittel. In nichts anderem finden sich Kinder so stark selbst wieder, wie in ihren eigenen Gestaltungen. Natürlich kann das für manche Kinder auch das Schreiben eines Textes sein. Es muss keine Kunst im engeren Sinne sein, die die Kinder in der Schule beheimaten. Aber auch bei Tätigkeiten wie dem Schreiben eines Textes, sind es der künstlerische Vorgang und das künstlerische Ergebnis, die das Kind erwärmen und dafür begeistern.

    Es spricht sehr viel dafür, für jedes Kind die individuellen Möglichkeiten zu finden, in denen es sich am produktivsten selbst verwirklicht. Darüber hinaus ist es wichtig zu versuchen, es in einigen Kern-Künsten zu beheimaten.

    Zwei der Künste, die für die Entwicklung des Kindes besonders wichtig sind, sind die Malerei und die Musik. Beide Künste sind sich einerseits ähnlich und in anderer Hinsicht gegensätzlich. Beide Künste spielen alltäglich eine sehr große Rolle: Überall sieht man Bilder und hört man Musik. Zu diesen beiden Gebieten eine produktive Beziehung aufzubauen, ist eine besonders lohnende Anstrengung. Beide Künste leben in der Mitte des Menschen.

    Beim Malen lebe ich sinnlich-seelisch in den Eindrücken der Farben und Formen und höre zugleich auf die vielen unaussprechbaren Meldungen meiner leiblichen Organisation und gestalte daraus einen weiteren künstlerischen Weg.

    In der Musik ist es ähnlich, aber in Bezug auf die Prioritäten genau umgekehrt. Ich präge durch mein Spiel mit Klängen und mit der Zeit meine Organisation. Ich bin in der Welt der Klänge sozusagen frei. In der Gestaltung der Klangfarben, der Rhythmen und Pausen etc. lebe ich mehr in der Wirkung von unten nach oben, aus dem Leib herauf.

    In beiden Künsten liegt in der produktiven Auseinandersetzung zwischen dem unteren und oberen Menschen der stärkste individuelle Ausdruck der Persönlichkeit des Kunstschaffenden. Nicht allein das Element, in dem die Kunst zu Hause ist, zählt. Mehr noch zählt der produktive Umgang mit den Widersprüchen. Auch in sinnlich-leiblicher Beziehung bedienen sich diese beiden Künste gegensätzlicher Prozesse. Dies wird im nächsten Kapitel näher dargestellt. Der Gegensatz der Wahrnehmungs- und Erinnerungsseite des Sehens und Hörens ist besonders extrem. Auch aus diesem Grund ist eine Pflege beider Künste in einem (nicht zu raschen) Wechsel sehr anregend für die Schüler.

    Um die Ausdrucksfähigkeit des ganzen Menschen zu üben, müssen zu diesen zwei Künsten noch weitere dazukommen.

    Für die Persönlichkeit des Schülers ist natürlich maßgebend, was er besonders kann und mag. Da sich aber die Schüler ab etwa dem 6./7. Lebensjahr Vorbilder im Sinne des Autoritätsgefühls suchen, kann man die Erziehungszeit intensiv nutzen und auch andere Dinge üben — solche, für die man nicht »geboren« ist. Die Zuversicht, dass ein Erzieher oder Lehrer mich noch Jahre begleiten wird, stärkt noch zusätzlich diese Möglichkeit mich als Kind an Aufgaben zu wagen, die bei mir scheinbar erst einmal gar nicht funktionieren. In diesem Sinne möchte man versuchen, dass auf die Dauer alle Kinder an allen Künsten Gefallen finden.

    Das Plastizieren und die Architektur vertiefen das im Malen für die Persönlichkeit Eroberte zu noch tiefer gehender Verwirklichung. Das Lebensgefühl Dinge, die man eher ahnt als weiß, anpacken und verwirklichen zu können, hat man vor allem dieser Kunst zu verdanken. Von diesem Lebensgefühl, etwas in der Welt gestalten und ändern zu können — auch in sozialer Hinsicht — bekommen viele Kinder viel zu wenig mit. Auf der anderen Seite bedarf auch die Kunst der Musik einer Erweiterung und Vertiefung. Ohne die Bewegungskunst und das Spielen im Theater bliebe die Musik wie vor dem Ergreifen des eigenen Leibes und seiner Ausdrucksmöglichkeiten stehen. Manche Musikinterpreten, die sich sehr gut bewegen können, verblassen ein wenig beim Hören ihres musikalischen Vortrags, wenn man sich allein auf das Hörbare konzentriert. Und andersherum: Menschen, die ungewöhnlich ausdrucksvoll und beweglich mit Melodien und Rhythmen umgehen können, entwickeln nicht selten im Laufe der Jahre eine Tendenz zu körperlicher Unbeholfenheit.

    Am effektivsten entwickelt man mit Schülern beide Richtungen getrennt voneinander. Die Konzentration auf eine Richtung scheint die andere eher zu behindern, als zu fördern. An dieser Stelle die Musik zu erweitern, dafür sind Theater und Bewegung die schönsten Mittel. Sie tragen die musikalische Ausdrucksfähigkeit in das Körperliche hinein. So entfalten die Künste eine immense Wirkung in der Erziehung.

    Wie wird nun die Erziehung selbst zur Kunst?

    Die Entwicklung der Kinder in den letzten Jahrzehnten hat überdeutlich gezeigt, wie das Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung immer stärker wird. Andererseits sind die Möglichkeiten zur Rückentwicklung zu totalem Gehorsam und zu Unterordnung weiterhin erschreckend greifbar. Gewalt und die fehlende Aussicht auf eine Änderung können sehr leicht zu scheinbar freiwilliger Unterordnung der Kinder führen.

    Hat man das Ideal der Autorität erfasst, das ohne Zwang auskommt, und ebenso die Erfahrung gemacht, dass sie als Vorbild von Kindern gesucht und anerkannt wird, möchte man das gerade geschilderte Modell des erfolgreichen Erziehens und Lehrens minimieren. Die Folgsamkeit geht hier doch auf Kosten der Freiheit. Wer in jungen Jahren vieles getan hat, weil ihm keine andere Wahl blieb, wird vom natürlichen Verlauf der Dinge her später als Erwachsener auch kein freier Mensch sein.

    Er wird eher einer, der wiederum die Abhängigkeit der anderen, insbesondere der Kinder, zu seiner »liebevollen Machtausübung« benutzt.

    Weil Kinder dankbar, diszipliniert und folgsam auf solch ein Verhalten reagieren, macht es einem das Leben leicht, hierfür eine Selbstillusion aufzubauen, die nur auf die Wärme der Beziehung und den Erfolg im Lernen und in künstlerischen Auftritten reflektiert. Sie legt einen undurchdringlichen Schleier über die Macht, über die Selbsterhöhung und über die Unterdrückung ungeahnt vieler und vielfältiger Freiheitsimpulse der Kinder.

    Die Alternative, die in den folgenden Kapiteln vorgeschlagen wird, birgt auch Gefahren. Sieht man weitgehend von der Forderung nach äußerlicher Folgsamkeit der Kinder ab, so wird man vielleicht kaum noch bemerken, wie oft die Kinder etwas anderes tun, als man vorgeschlagen hat. Sagt man zum Beispiel: „Willst du vielleicht dieses Gedicht auch noch einmal vortragen?", so wird man nicht enttäuscht oder gar gekränkt sein, wenn das Kind es nicht tut. Man wird sich vielleicht merken, dass das Kind es nicht tun wollte — aber nicht mit der Markierung: »tut nicht, was ich sage«, sondern: »Was will dieses Kind gerne vortragen?«, oder »Möchte das Kind an diesem Tag vielleicht einfach kein Gedicht vortragen?«

    Wendet man sich — statt der äußerlichen Führung einer Klasse — der Wahrnehmung und der Anleitung der Kinder zu, so wird sich eine Atmosphäre der gegenseitigen Wahrnehmung und Hilfestellungen entwickeln. Wenn in einem solchen Lern- und Arbeitsmilieu Kinder oftmals Vorschläge des Lehrers bzw. der Lehrerin nicht aufgreifen (oder vielleicht erst später aufgreifen), so wird das schon deshalb nicht unangenehm auffallen, weil Kinder, die zu nichts gedrängt werden, auch nicht durch Nichtstun oder durch Störungen auffallen.

    Wendet man sich in der Erziehung den Typen, den Veranlagungen, den mehr oder weniger ausgeprägten Begabungen zu, so eröffnet man damit ein künstlerisches Arbeitsfeld, das die Freiheit der Kinder gar nicht berührt. Man arbeitet sozusagen an der Sphäre der Freiheit der Kinder vorbei und lässt diese vollständig gewähren. Man braucht sich also nicht in seiner Tätigkeit zurückzuhalten, um die Freiheit der Kinder nicht zu verletzen. Denn wenn man sich übt, leibliche Veranlagungen seelischer Eigenschaft von den Impulsen des Seelisch-Geistigen zu unterscheiden, so wird einem immer begreiflicher, wie die Arbeit des Erziehens sich nur auf den leiblichen Teil beziehen kann. Das höhere Seelisch-Geistige lässt man zunehmend vollständig in Ruhe.

    Auf der höheren Ebene ist das Kind so weit entwickelt wie ich und vielleicht auch weit darüber hinaus. Warum bleibt die Ehrfurcht vor dem Seelisch-Geistigen des Kindes so leicht eine Theorie? Ein Grund hierfür ist gerade beschrieben worden: Es kann erst gelingen, wenn man beginnt, die immense Vielfalt und Macht der leiblich auftretenden Eigenschaften des Seelischen wahrzunehmen. Wende ich mich mit meiner professionellen Intention des Erziehens an diesen leiblichen Teil des Kindes, so werden meine Wahrnehmungen nach beiden Seiten immer reicher und vielfältiger, nach der Seite des Leibes und der des Geistes. Man macht sich lediglich locker hypothetisch ein Bild der Kinder und versucht Wege zu bauen, auf denen Kinder gehen möchten. Immer wieder neu wahrzunehmen, wo dies am meisten von den Kindern gewünscht wird, wird zu einer der wesentlichsten Aufgaben des Lehrers bzw. der Lehrerin.

    Sich dagegen in moralischem Ton an die Kinder zu wenden ist letztlich übergriffig und lässt das Kind zudem noch mit der Auseinandersetzung mit den (leiblich-seelischen) Hindernissen allein. Auf diesen moralischen Ton wird man wie von alleine verzichten, wenn man Seelisches, Leibliches und Geistiges auseinander zu halten lernt.

    Vor dem Hintergrund der Hinwendung zu den objektivleiblichen Widerständen, statt an die Persönlichkeit des Kindes, ist eine Erziehung der Menschen-Typen keine gesteigerte Überformung unter dem Deckmantel der Erziehung zur Freiheit, sondern ein Wegbau zu dem, was die Kinder selbst anstreben. Niemand wird durch einen Weg gezwungen zu laufen. Und jedes Kind möchte sich bewegen, innerlich und äußerlich – und auch in Richtungen, die ich gestern noch nicht kannte und die ich für morgen nicht mit Gewissheit voraussagen kann.

    Beispiel:

    Stellen wir uns ein Kind vor, das sehr gerne ein Instrument beherrschen würde. Durch Schwierigkeiten in der Feinmotorik erlauben ihm seine Finger nicht einmal die ersten Anfänge so zu meistern, wie seine Klassenkameraden. Außerdem ahnt es eher etwas von der Melodie, als dass es sie bewusst erlebte. Wie könnte nun der Weg für dieses Kind aussehen? Für ein solches Kind ist es manchmal hilfreich, visuell den ersten Ton anzuzeigen. Man macht es ihm also einmal vor, und sagt etwas dazu. Das Kind lebt zunächst in der Melodie nur zuhörend. Es kann sie nicht selbst produzieren, auch nicht singend. Im Wahrnehmen des Lehrers bzw. der Lehrerin und im Wahrnehmen seiner Mitschüler lebt aber ein sehr starkes Bedürfnis nach dieser Melodie auf. Natürlich wird man dem Kind trotzdem helfen. Schon allein, um ihm den Kummer über seine Schwierigkeiten zu erleichtern, wird dies ein wichtiger Teil der Arbeit sein. Die eigentliche Chance wird aber vermutlich in der Verstärkung des Melodieerlebens liegen. Ist es hier erst einmal so angekommen, dass die Melodie auch in ihm noch klingt, wenn keiner mehr vorspielt, so ist eine Grundvoraussetzung für das Üben der Bewegung seiner Finger gegeben. Einleuchtenderweise fällt demselben Kind auch das Formenzeichnen außerordentlich schwer. Auch hier war die unmittelbare Hilfe eher ein Trost als wirklich hilfreich. Wie in der Musik das Zuhören, so war hier die Beteiligung seiner Wahrnehmung bei der Bildbetrachtung, bei der Betrachtung der Formenzeichnungen ein besonders schöner und fruchtbarer Weg der Verstärkung. Eines Tages schien das Kind die Formen so stark zu erleben und seine eigene Wahrnehmung im Gespräch mit den Kindern und dem Lehrer so ernst zu nehmen, dass seine Hand wie von alleine anfing sich in der Weise zu bewegen, wie es sich das schon so lange gewünscht hatte.

    2. Kapitel

    Die Sinne in der Erziehung

    Sinne und innere Ruhe

    Im Unterricht mit Kindern auf den Gebrauch der Sinne zu achten, ist ein sehr anregendes und äußerst fruchtbares Thema. Es gibt Begabungen, Veranlagungen und Vorlieben. — Das eine Kind nimmt am liebsten mit dem einen, das andere lieber mit einem anderen Sinn wahr. Manche Kinder leben sehr wenig in den Sinnen, andere sind ungewöhnlich wach in dieser Richtung. Um die Möglichkeiten, wie man Kinder dadurch fördern kann, dass man auf ihre Sinnesentwicklung achtet, wird es später noch gehen.

    Auch in die Führung einer Gruppe bringt das Einbeziehen der Sinne eine neue Qualität. Konzentriert man sich punktuell auf die Wahrnehmungen eines Sinnesbereiches, so stellt sich eine Ruhe ein, die ungemein hilfreich ist, um Kinder um einen herum wahrzunehmen. Eine Gruppe von Kindern hat sehr leicht die Tendenz, uns die innere Ruhe zu nehmen. Sich auf einen Sinnesbereich zu konzentrieren verhilft dazu, Einzelne und Einzelnes in diesem Geschehen wirklich wahrzunehmen.

    Hört man zum Beispiel mitten im Unterricht einem Kind für einen Augenblick allein mit dem Hörsinn intensiv zu, so wird man sich im besten Sinne anders fühlen als vorher. Man wird vielleicht auch mehr von dem Kind wahrnehmen, als man gewohnt ist. Man wird das Kind zunächst viel physischer wahrnehmen als sonst.

    Man denkt bei intensivem Zuhören sehr schnell an das Seelische. Lässt man jedoch für einen Augenblick einmal alle anderen Sinne schweigen und konzentriert sich z.B. nur auf das Hören, so wird man erstaunt sein, wie viel zu hören ist. Dies geht dann wiederum sehr schnell ins Seelische über. Es ergeben sich modifizierte oder einfach andere Eindrücke, als die gewohnten. Sie werden sich eher an Wahrnehmungen und nicht an gegebenenfalls vorhandene Vorurteile anschließen.

    Nach solchen Versuchen wird man sich besser und ruhiger fühlen. Auf alle anderen Kinder in dem Moment nicht zu achten, stört die Gruppe nicht. Und von den Früchten profitiere ich nicht nur als Lehrer bzw. als Lehrerin, sondern jede und jeder in der Klasse.

    Man kann sich für einige Tage immer etwas Besonderes vornehmen. Auf diese Weise wird man sich selbst nicht überfordern. Es kommen verschiedene Sinne und verschiedene Kinder nach und nach intensiv an die Reihe. Man wird auch kennenlernen, welche Kinder mit welchen Sinnen besonders produktiv umgehen.

    Sehsinn und Hörsinn

    Die beiden wichtigsten Sinne für die Erziehung sind der Sehsinn und der Hörsinn. Schon wegen der Dominanz des Sehsinnes, bei über der Hälfte der Kinder, ist es von besonderer Wichtigkeit, im Bereich des Sichtbaren eine hohe Kultur zu pflegen. Hierfür ist wichtiger, was man nicht sagt, als was über etwas gesagt wird. Zeichne ich zum Beispiel irgendetwas an Tafel, so kann es klug sein, darüber einige Worte zu verlieren. Wenn dann jedoch alle visuell veranlagten Kinder konzentriert an die Tafel schauen, ist es das Beste, ich zeichne ohne weiterzusprechen. Auch wenn ich die Kinder an der Tafel etwas üben lasse — eine Form oder eine Einteilung — so ist es gut, sehr wenig zu sprechen. Und wenn etwas zu sagen ist, geschieht es am besten kurz und wie nebenbei. Dann sprechen die Kinder auch nicht viel. Sie sind z. B. mit ihrem Seh- und Bewegungssinn voll bei der Sache. Das wäre eine künstlerisch geführte Bewegung und Konzentration auf einen visuellen Eindruck. Ähnliches gilt für den Hörsinn: Wenn beim Hören allein auf diesen Sinnesbereich gebaut wird, habe ich den Kindern, die besonders im Hören leben, einen großen Gefallen getan. Es bedarf meistens einer langen Übung, bis man die vielen visuellen Hilfen beim Hören, die man aus seiner eigenen Schulzeit gewohnt ist, abgelegt hat. Wenn man über Jahre in dieser Orientierung das Hören pflegt, wird dadurch die ganze Klasse in diesem Bereich auf ein hohes Niveau gelangen. Beim Hörsinn kommt es auf die Achtsamkeit bezüglich des Sinnesbereiches, auf den ich meine Unterrichtstätigkeit stütze, besonders an. In wichtigen Teilen alles Sichtbare für die Orientierung im Hören abzulegen steigert die Hörfähigkeit — vor allem die der visuell veranlagten Kinder. (siehe Abb.2 weiter unten im Text)

    Die oberen, die mittleren und die unteren Sinne:

    Die 12 Sinne des Menschen

    Vergegenwärtigen wir uns zunächst die zwölf Sinne.¹ Diese in drei Gruppen zu je vier Sinnen einzuteilen, kommt ihrem Wesen sehr entgegen.

    Abb. 1

    Die zwölf Sinne des Menschen, so angeordnet, dass die Beziehung der unteren zu den oberen und die Begegnung von Ich-Sinn und Tast-Sinn deutlich werden.

    Die vier sogenannten unteren Sinne — der Tastsinn, der Lebenssinn, der Bewegungssinn und der Gleichgewichtssinn — beschäftigen sich vor allem mit dem sinnlich-bewussten Leben im Leib. Dass ich seelisch-geistig nicht mit meinem Leib zusammenstimme, ist gerade eine Frucht dieser Sinneserfahrungen.

    Die sogenannten mittleren Sinne — der Geruchssinn, der Geschmackssinn, der Sehsinn und der Wärmesinn — beschäftigen sich nicht mehr so stark mit meinem eigenen Leib, sondern viel mehr mit der Welt; der Geschmackssinn noch am wenigsten, der Wärmesinn am meisten, der Sehsinn am differenziertesten.

    Die sogenannten oberen Sinne — der Hörsinn, der Lautesinn, der Gedankensinn und der Ichsinn — beschäftigen sich insbesondere mit höheren Kulturtätigkeiten. Zu hören gibt es fast überall etwas. Demgegenüber schränkt der Lautesinn das Hörbare schon weitgehend auf Tier- und Menschenlaute ein, der Gedankensinn und der Ichsinn treten nur noch gegenüber Menschen auf. Sie werden über das Hören, die Bewegung, die Gestalt usw. vermittelt.

    Was ist vom seelischen Standpunkt aus eine Sinneswahrnehmung?

    Wo und wie der Sinneswahrnehmung Sinnesorgane zugrunde liegen, ist etwas sehr Interessantes. Für die seelische Erfahrung kommt es aber darauf nicht an. Vom seelischen Standpunkt aus ist das Besondere der sinnlichen Erfahrung, dass ich bei einer Sinneswahrnehmung unmittelbar weiß, dass ich es mit etwas außerhalb meiner selbst zu tun habe. Deshalb verwechsele ich auch nicht den singenden Vogel mit mir. Ebenso wenig verwechsele ich auch meinen Leib mit mir, wenn ich die unteren Sinne gebrauche. Wenn ich z. B. aus dem Gleichgewicht gekommen bin oder ins Gleichgewicht zurückfinde, so weiß ich sehr gut, dass ich nicht mein Leib bin. Ebenso weiß ich auch, dass ich es nicht selbst bin, wenn ich zuhörend dem Gedanken eines Menschen folge. Ich vergesse mich zunächst im Wahrnehmen seiner Gedanken. Ich erlebe, wenn ich einem denkenden Menschen zuhöre, den Gedanken in seinem ersten Auftreten gerade so als etwas in der Welt, wie das auch sonst bei Sinneserfahrungen gewöhnlich eintritt.

    Der Tastsinn und der Ichsinn

    Der Tastsinn und der Ichsinn stehen so am Rande aller anderen Sinneserfahrung, dass R. Steiner zunächst nur von zehn Sinnen sprach.² Beim Tasterlebnis ist alles, was man sich als Wahrnehmungs-Objekt vorstellt, nicht mehr Teil des Sinneserlebens. Alles, worüber man spricht, wenn man etwas Getastetes zum Ausdruck bringen möchte, ist bereits so in der Welt, wie andere interpretierte Dinge. Ebenso wenig wie man z. B. eine »Lampe« sehen kann, ertastet man auch nicht die »Lehne des Stuhls«. Vielmehr sieht man, statt einer Lampe, leuchtende Farbflächen und nimmt bestimmter Linienformen wahr. Daraus schließt man, dass es sich um eine Lampe handelt. Beim Tastsinn überhaupt etwas ins Bewusstsein zu nehmen, was Sinneswahrnehmung ist und nicht bereits interpretiert, wie die Lampe bzw. die Stuhllehne, ist sehr schwierig. Es handelt sich beim Tasten um ganz feine Wahrnehmungen des eigenen Leibes — wie er in seiner Ausdehnung verschiedenartig behindert wird. Wie und wie stark dies geschieht, nehme ich wahr. Alles andere ist Interpretation. Es gibt keine direkte Berührung mit der Welt durch das Tasten.

    Beim Ichsinn gibt es vielfältige Fragen in ähnlicher Richtung. Machen wir uns noch einmal den Weg klar, wie er vom Hörsinn über den Lautesinn, den Gedankensinn zum Ichsinn führt: Auch beim Hören verschmelze ich bereits weitgehend mit meinem Gegenüber. Das ist in viel höherem Grade der Fall als bei der Farbwahrnehmung. Dies steigert sich bis zur Ichwahrnehmung.

    Den Lautesinn kann man leicht abtun als Interpretation, dass es sich ohnehin nur um Hörwahrnehmung handele, interpretiert in Richtung Laute. Wie einen gegebenenfalls ein gestalteter Laut unmittelbar berührt, kann einem deutlich werden, wenn man zum Beispiel den Schrei eines Tieres hört.

    Zu bemerken, wie Gedanken, die ein anderer Mensch mitteilt, als Sinneswahrnehmung auftauchen, ist für manche Menschen noch schwieriger. Manchen Menschen fällt es dagegen besonders leicht zu bemerken, wie Gedanken, wenn sie von einem anderen geäußert werden, als Wahrnehmungen in einem selbst auftauchen. Manchmal bin ich z. B. selbst nicht klug oder auch nicht vorbereitet genug, um wahrgenommene Gedanken selbst zu denken. Die Gedanken, die ich am anderen wahrnehme, kann ich ggf. nicht erfassen. Ich weiß aber genau, dass sie mir im ersten Auftreten glasklar vor Augen standen. Sie aber zu meinen Gedanken umzuschmelzen will mir eventuell nicht gelingen. Beim Wahrnehmen des Ichs eines anderen Menschen ist es ähnlich, nur noch schwieriger und auch unvollständiger.

    Ich kann einen vollständigen Gedanken in mir rege machen, den dann ein anderer Mensch eventuell als Wahrnehmung haben kann. Ich weiß genau, was der Inhalt des Gedankens ist. Das Ich dagegen tritt in mir nur unvollständig auf. Wie sollte dann die Ichwahrnehmung an einem anderen Menschen vollständig werden? Es geht um die Wahrnehmung des anderen Ich. Dass ich zugleich selbst ein Ich bin, spielt dafür nicht die zentrale Rolle. Es spielt dieselbe Rolle wie bei jeder anderen Sinneswahrnehmung. Ohne dass ich ein Ich wäre, würde die Sinnesempfindung nicht Wahrnehmung werden. Es bliebe lediglich bei einem Eindruck. Wenn ich beobachte, in welchem Teil meiner selbst das Ich des anderen auf mich einen sinnlichen Eindruck macht, so bemerke ich, dass nicht mein Ich Auffassungsorgan für das Ich des anderen ist, sondern die Regionen meines Tastens.

    Dies führt uns zum nächsten Thema.

    Die Beziehung der oberen und der unteren Sinne

    Für Pädagogen und noch mehr für Therapeuten ist es eine unendlich fruchtbare Tätigkeit, die Aufmerksamkeit auf die Beziehung der unteren zu den oberen und der oberen zu den unteren Sinnen zu lenken. Hier liegen viele Erkenntnisse und Geheimnisse. Und bei jedem Menschen ist es anders.

    Vom Verhältnis des fremden Ich zu unserer Tastregion hatten wir gerade schon gesprochen. Ebenso ist es auch umgekehrt: Der andere Mensch ist in seiner Tastregion, insbesondere in der Haut, beeindruckt von z.B. meiner Ich-Tätigkeit. Diese Region ist die Grundlage dafür, dass der andere, zum Beispiel das Kind, wahrnimmt, dass ich ein Ich bin. Hier gehen gegenseitig Kräfte voneinander aus. Vorausgesetzt wird natürlich, dass das Ich sich in Freiheit und Liebe dem anderen zuwendet. Übergriffigkeit, Bevormundung u. a. machen solche Vorgänge unmöglich. Was sie sehr befördert ist z. B., wenn ich mit den Kindern einen Besuch eines erwarteten Gastes vorbereite. Ich erzähle etwas von dem, was ich mit diesem Menschen schon erlebt habe. Ich möchte nicht etwa im Voraus prägen, was die Kinder erleben sollen; es geht dabei vielmehr um die Erwartung, also um Offenheit, nicht um Vorurteile. Das werde ich natürlich nur bei Menschen tun, von denen ich voraussetzen kann, dass es eine heilsame Unternehmung wird. Sonst würde ich anders zu den Kindern darüber sprechen. So wie die Ich-Wahrnehmung etwas sehr Gesundes für die Tastregion der Kinder anstoßen kann, so kann auch umgekehrt die Tastregion für die Ich-Region viel Günstiges bewirken. Wenn ich mit verschiedenen Stoffen — mit Sand, mit Holz, mit Steinen und so weiter — ein inniges Verhältnis pflege, so werden viele Kinder diese Dinge ein wenig ehrfürchtig und zugleich sinnlich auffassen. Dabei fühlen sie sich mit der Sache vollkommen verbunden. Man kann die Grenze zwischen ihrem Leib und z. B. dem Stein gar nicht mehr bestimmen. Sie sind sozusagen ein Körper geworden. Dieses Ergebnis ist aber nicht nur Ilusion, es ist zugleich etwas Reales. Berührung hat mit der Geistigkeit (des anderen) zu tun. Und zugleich auch mit der eigenen. Eine innige Beziehung gibt es auch zwischen dem Gedankensinn — auf der »oberen« Seite — und dem Lebenssinn — auf der »unteren«. Wenn ich etwas gedanklich wahrnehme, dann bin ich in etwas Lebendigem. Ich fühle mich dabei hochgradig unabhängig von meinem Leib. Ebenso wie ich mich nach dem Denken aber besonders gesund fühle, so werde ich mich auch nach genüsslicher Selbstwahrnehmung vermittelst des Lebenssinnes³ frei fühlen, zu denken aufgelegt. Es ist also nicht die Negierung des Leibes, die mich zum Denken befreit — es ist die Bejahung, zum Beispiel durch die Wahrnehmungen des Lebenssinnes. Und umgekehrt: Das Denken ist nicht, was mich vom Leib entfremdet, sondern das Erleben der Freiheit vom Leib lässt mich danach gesünder und genussvoller meinen Leib erleben.

    Der Lautesinn hat eine besondere Beziehung zum Bewegungselement. Wie der Bewegungssinn für mich wahrnehmbar macht, wie differenziert und genau, wie ggf. künstlerisch intendiert Bewegungen ablaufen, so

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