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Transwaggon
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eBook258 Seiten3 Stunden

Transwaggon

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Über dieses E-Book

Transwaggon handelt von der Sehnsucht der Menschen, ihr Leben verändern zu können und
dem Scheitern dabei. Es scheitern nicht alle. Manchen gelingt es tatsächlich, zu reflektieren
und die schmerzhaften Veränderungen zu verantworten. Veränderungsprozesse, sofern sie
nicht vollständig durchlebt werden, befördern Zuschreibungen, wie Widersprüchlichkeit,
Heuchelei, Bigotterie … bis hin zu kriminellem Verhalten.
Ich habe versucht darzustellen, dass das Verdrängen der eigenen Widersprüche bei den
Protagonisten nicht vollständig funktionieren mag. Manche ahnen durchaus, welche Stunde
geschlagen haben könnte. Doch sie schaffen es auch dann nicht, andere Entscheidungen zu
treffen. Auch als Therapeut glaube ich nicht daran, dass Menschen ihr Handeln so sehr
verdrängen können, dass darüber keinerlei Bewusstheit besteht. Denn dazu wird der jeweilige
Gewinn, der die von mir unterstellte Bauernschläue bringt, zu gern und motiviert
angenommen.
Den Ort Transwaggon habe ich, um die Tragik zu steigern, auf eine alte Grabstätte der
amerikanischen Ureinwohner "gebaut". Dies meinte ich als Hinweis darauf, welche
Verletzungen – bis zum Auslöschen von Leben – der industrialisierte Teil der Menschheit im
Sinne von Fortschritt, Reichtum und Macht bereit ist/war, anderen zuzumuten.
Letztlich hat Transwaggon etwas Dystopisches sowie Utopisches. Vielleicht stellt dies aber
auch die Bandbreite unserer existenziellen Sehnsüchte dar…
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Dez. 2022
ISBN9783347745155
Transwaggon
Autor

Gerry Lächnfinga

Gerry Lächnfinga ist Sozialpädagoge, Gestalttherapeut und Podcaster. Hauptberuflich arbeitet er mit Familien in Krisensituationen. Durch diverse Reisen in die Verei-nigten Staaten gewann er die Eindrücke, die zu diesem Buch führten. Seine Abschlussarbeit zum Gestaltthera-peuten beinhaltete den Vergleich therapeutischer Inter-ventionen mit den Ritualen der nordamerikanischen Ureinwohner.

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    Buchvorschau

    Transwaggon - Gerry Lächnfinga

    Handy Cuffs

    Trommeln. Den ganzen Tag schon. Sie erinnerte sich nicht mehr an den Moment, als sie die Trommeln das erste Mal bewusst hörte. Das Gewummere kam irgendwo her aus den Bergen. Handy war genervt. Niemals würde sie sich als Rassistin bezeichnen, doch sie war definitiv kein Fan davon, wenn sich Minderheiten im Alltag der Mehrheit bemerkbar machten.

    »Welchen Geist beten sie jetzt wieder an? Haben die Natives noch nicht kapiert, dass ihre Geister sie nicht mehr hören?« Handy konnte sich mit keiner Zelle ihrer selbst vorstellen, dass heute Nacht sehr wohl einer zuhörte.

    Als Deputy Sheriff suchte Handy instinktiv nach der plausibelsten Erklärung für diese Art der Belästigung. So, wie sie Transwaggon und ihre Bewohner kennengelernt hatte, kam sie schnell auf die Idee, dass Flash Tunnel, der örtliche Piercer und Tätowierer mal wieder auf Friedensmission war. Dieses Mal schien er sich wohl einzubilden, mit den Ureinwohnern Zeit verbringen zu müssen. Am besten bei einem gemeinsamen Ritual. Bei Flash hieß das aus Handys Sicht, Drogen verkaufen, einschmeißen, feiern. Heute lautete die Überschrift des Ganzen eben „Ritual mit Natives".

    Wenn Handy abschätzig über jemanden dachte, zog sie ihre Mundwinkel nach unten und lächelte fies. Dabei konnte sie sich selbst ganz gut leiden.

    Sie fuhr genervt in ihrem Polizeiauto durch die kleine Stadt im Nordosten New Mexicos und steigerte sich in ihr Misstrauen den Menschen gegenüber hinein. Sie hoffte fast schon, irgendjemanden wegen irgendeiner Kleinigkeit belangen zu können.

    »Scheiß Trommeln!«, schrie sie in ihrem Auto.

    Plötzlich hörten die Trommeln abrupt auf. Die Sonne setzte in diesem Moment genau auf den Titty Peak nordwestlich von Transwaggon. So genervt sie von dem Rhythmus war, der die Stadt seit Stunden so organisch bewegte, als sei er so normal, wie der ständige Westwind in der Gegend, so erschrocken – fast schockiert – war sie von der sie attackierenden Stille. Ohne es zu merken, blieb die Polizistin mitten auf der Hauptstraße stehen. Handy spürte ihren Herzschlag, als ob ihr Herz Wucht der Trommelschläge in ihr fortsetzte. Handy selbst blieb innerlich laut. Jedoch wollte sie sich nicht hören. Nicht jetzt.

    Der ganze Ort schien auf einmal still zu sein. Handy atmete schwer. Sie beruhigte sich, indem sie ihre eigene Wahrnehmung als Spinnerei, als Zufall abtat. Sie dachte an ihren Therapeuten, der ihr einfühlsam und ebenso dringend geraten hätte, auf ihre Wahrnehmungen zu vertrauen. Nicht jetzt.

    Immer, wenn sie unter Stress geriet oder keine Lust auf Ermittlungen hatte, begann sie damit, diszipliniert abzuarbeiten, was sie ihre „Basics nannte. »Denke an die Basics, tu´ es einfach.« Das sagte sie sich schon damals, als sie noch versuchte als Speerwerferin ins Olympiateam aufgenommen zu werden. Ganz besonders berief sie sich auf die Basics, wenn sie schon sah, dass ihre Konkurrentinnen eher sie besiegen, gar vernichten, würden, als dass Handy eine Chance auf eine Medaille gehabt hätte. Mit dieser Taktik lenkte sie gezielt ihre Konzentration, um nicht zu emotional in den Wettkampf zu gehen und von ihrer Aufregung überwältigt zu werden. Das hieß, sie führte jede einzelne Aufwärmübung konzentriert sowie in der gebotenen Intensität durch. Ihre Versagensangst, ihr innerer Druckmacher wollte sie stets dazu verleiten, schon beim Aufwärmen ihre ganze Kraft und Energie einzubringen. Allerdings erkannte sie in ihrer Karriere schnell, dass es keine Medaillen gibt, wenn man beim Aufwärmen gewinnt. Zu viele ihrer talentierten Mitkonkurrentinnen verstanden das nicht. Sie verstanden nicht, was es wirklich heißt „alles zu geben. Handy verstand das schnell. Für sie bedeutete „gib alles", sich auch im richtigen Moment zu disziplinieren und zurückzuhalten. Dadurch lernte sie, das richtige Maß an Energie im richtigen Moment abzurufen.

    Also, egal wie arrogant, wie selbstsicher – ja, wie erfolgreich – Handys Gegnerinnen wirklich waren, sie begann sich auf ihre Basics zu konzentrieren. Zwanzig Minuten lockeres Joggen, um den Kreislauf anzuregen. Dabei achtete sie durch Zählübungen streng auf ihre Atmung. Ihr Therapeut griff ihre Fähigkeit der Atemkontrolle schnell auf und nutzt diese noch heute, um Handy einen sicheren Boden zur Beruhigung anzubieten, bevor ihr Gedankenchaos zu emotionaler Lähmung führt. Körper und Geist sind bei Handy noch heute positiv mit kontrolliertem Atmen verknüpft.

    Dehnübungen zwangen sie förmlich dazu, ruhig zu bleiben und zu entschleunigen und im besten Fall auch wirklich herunterzukommen. Handy atmete gezielt in ihr Stretching hinein. Linke Wade, rechte Wade, linker Oberschenkel, rechter Oberschenkel, linke Hüfte, rechte Hüfte, linke Schulter, rechte Schulter, linker Arm, rechter Arm. Dabei zählte sie jedes Mal bis 15. Danach begann sie von vorne und variierte ihr Stretching.

    Handy lernte dadurch für ihr Leben, unangenehme Situationen ruhig und diszipliniert anzugehen.

    Was ihre Karriere als Speerwerferin betraf, sie wurde nie ins Olympiateam berufen. Handy galt als eigenbrötlerisch und verbissen. Noch heute schläft sie schlecht, weil sie sich verkannt fühlt. Sie war die Einzige, die ihren Weg eigenverantwortlich ging und nicht ständig gemanagt werden musste. Handy schleimte sich nie bei Trainern oder Funktionären ein. Sie war fast schon so weit, ihren Speer in den Medaillenbereich zu werfen. In ihrer sportlichen Entwicklung war sie zwar auf dem Weg zum Erfolg, jedoch vollzog Handy diese Entwicklung zu langsam. Und, das wühlt sie am meisten auf, denn sie weiß es heute, sie war naiv.

    Sie dachte, es ging nur um das Sportliche. Ging es nicht. Handy wollte nicht sexy sein, sie wollte nicht bei jedem Training, bei jedem Wettbewerb mit dem neuesten Sportoutfit ankommen und sich dadurch ins Rampenlicht stürzen. Handy wollte nicht dopen und sie wollte sich auch nicht halbnackt, lediglich mit einem Handtuch bekleidet mit den Männern des Verbands unterhalten. An diesem Wettbewerb abseits des Feldes nahm Handy nicht teil. Das waren die Business-Medaillen, die sie verpasste.

    Noch heute fühlt sie sich verkannt und ihr Therapeut leistet immer wieder Schwerstarbeit, ihr ins Bewusstsein zu rufen, dass sie sich treu geblieben sei.

    Ja, sie bezahlte dafür einen hohen Preis. Dennoch könne ihr niemand nehmen, dass Handys Basics eine Eigenschaft seien, welche ihr halfen, selbstwirksam zu bleiben und welche sie als Person einzigartig und liebenswert machten.

    Heute sahen Handys Basics so aus, dass sie für jede Fallbearbeitung zu Beginn eine To-Do-Liste erstellte und hoffte ihre Fälle klären zu können. Der Papierkram zu Beginn war ihr stets das Lästigste. Auch diese Phasen atmete sie diszipliniert weg, bis sie sich ein wenig freier fühlte. Dann konnte sie auch seelisch aufatmen und sich selbst lebendig und motiviert genug fühlen, um zu ermitteln.

    In der Therapie lernte sie, genau diesen Moment als ihre eigene Stärke anzuerkennen und vielleicht gelänge es ihr irgendwann, sich in diesem sogar selbst zu mögen, statt die erlebte Verkennung anderer als einzige Wahrheit ihrer Existenz zu akzeptieren.

    Handy staunte häufig darüber, wie sinnstiftend es für ihre Selbstwahrnehmung war, Verletzungen durch andere selbst immer wieder zu erneuern, indem sie nach Gründen suchte, welche die Anderen rechtfertigten. Sie erschrak über sich selbst, dass auch sie sich lieber in den noch immer offenen Wunden auf der Müllhalde ihrer Existenz suhlte, statt den Mut aufzubringen, neue Erfahrungen zu suchen.

    Mittlerweile wollte Handy unbedingt an die schöneren Orte ihres Selbst gelangen. Doch diese waren ihr unbekannt und das „Tropical Spa" ihrer Seele hieß sie selbst nicht bedingungslos willkommen. Dass sie sich unbewusst selbst so ablehnte, schmerzte sie sehr. Gleichzeitig machte sie dies zu einer echteren Polizistin, denn sie konnte nun besser verstehen, was viele Menschen neben aller Rationalität, neben all dem guten Zureden der Helfenden dazu bewog, ihren Sumpf aus Kriminalität, Gewalt, Leid, Armut, Opfer, Täter und vieles mehr, nicht zu verlassen. Selbstsabotage schien ein mächtiger Teil der eigenen Persönlichkeit zu sein.

    Manchmal verstand Handy all das. Manchmal taten ihr alle leid. Manchmal schämte sie sich dafür, dass es ihr selbst besser ging. Manchmal fragte sie sich, warum gerade sie die Zusammenhänge erkannte. Manchmal war sie dankbar. Manchmal sogar Gott. Manchmal war sie wütend. Manchmal total unberührbar. Manchmal war sie hilfsbereit. Manchmal war sie professionell desinteressiert. Und manchmal war sie so wütend auf all die ungerechte Scheiße, die sie durch andere erfuhr, dass sie in diesem Moment wusste, sie würde nicht nochmal den Schwanz einziehen und auf ihre Karriere verzichten. Sie würde töten. Diesen Teil von sich konnte sie sehr gut akzeptieren. Handy lächelte. Jedoch nur kurz, denn die Trommeln setzten wieder ein und rissen sie aus ihren Gedanken.

    WUMM WUMM WUMM

    Ihr Instinkt sagte ihr, dass in dieser Nacht noch ein Verbrechen stattfinden wird. Vielleicht auch mehrere. Gänsehaut war ihr körperliches Orakel, wenn Unangenehmes im Anmarsch war. In diesem Moment fror sie fast vor lauter Gänsehaut.

    So instinktsicher entschloss sie sich, heute Abend und die ganze Nacht lang die Straßen in Transwaggon abzufahren. Sie spürte ihren Willen, bereit sein zu wollen. Zähneknirschend gestand sie sich ein, einerseits zu wissen, jetzt schon das Richtige zu tun. Andererseits gab es außer den nervtötenden Trommeln keinerlei verwertbaren Hinweis auf irgendwelche Verbrechen. Ihrem Instinkt so zu folgen, entsprach nicht dem, was sie sich unter guter Polizeiarbeit vorstellte.

    Wenn sie sich die Alternativen ausmalte, kam sie schnell zu dem Schluss, dass auf Streife zu sein ihr die größte Sicherheit gab. Sie hatte überhaupt keine Lust, ihrem Boss, Sheriff Hoss Tyle zu begegnen. Zu Hause würde sie auch nicht zur Ruhe kommen und sich irgendwelchen Nippes im Internet bestellen.

    Als Handy nach Transwaggon kam, hatte sie einen guten Start in der Stadt. Ihre Sportkarriere hatte sie, irgendwie logisch, aufgeben müssen und sie wollte, fern ihrer akademischen Familie, einer echten Arbeit nachgehen. So entschied sie sich, den Nebel und den Winter von New Hampshire gegen den Staub von New Mexico einzutauschen, um irgendeine andere schlechte Version von Wahrheit zu finden. Immerhin: diese schlechte Version hatte sie sich selbst ausgesucht. Handy betrachtete sich bereits nach kurzer Zeit als „eine aus dem Süden" und lehnte die tägliche absichtlich herbeigeführte intellektuelle Unzufriedenheit schlicht als Yankeescheiße ab.

    Die Polizeiarbeit machte sie auch zu einem „Dirtmover", von denen Bürgermeister Mill House bei jeder Gelegenheit sprach. Zu ihrem Boss, Hoss Tyle, schaute sie zu Beginn ihrer Tätigkeit bewundernd auf. Die Denkweise des Ermittelns, die Frage, wer welches Motiv hatte sowie die Überlegung, ob jemand log oder nicht, öffneten für Handy eine neue Welt. Verzweifelt versuchte sie in den ersten Monaten ihrer Familie zu erklären, dass dies philosophisch nicht mit Pessimismus oder gar Misanthropie gleichzusetzen sei, jedoch … Yankeescheiße.

    Hoss zeigte ihr, wie man freundlich ermittelte und sich innerlich die Möglichkeit erhielt, jederzeit einen Gang hochzuschalten. Im Zweifel sogar die etwas zu öffentlich trauernde Witwe in Handschellen abzuführen, wenn sich der Lebensstil in zu kurzer Zeit nach dem völlig unerwarteten Ableben des Ehegatten deutlich verteuerte. Ob ein Besuch beim Juwelier, obwohl die Asche noch nicht kalt war, oder eine Reisebuchung mit einer neuen Frau. Ein neues Auto vor dem Trailer, welches einen solchen Kontrast ergab, dass sich an so eine Darstellung noch nicht einmal die Werbebranche rantraute. Hoss brachte ihr bei, in solchen Fällen geduldig zu sein. „Kleine nannte er sie von Anfang an. „Kleine, gute Polizeiarbeit bedeutet auch, jemanden, von dem man weiß, dass er der Täter ist, eine Zeit lang tatsächlich damit durchkommen zu lassen. „Wer sich vor der Polizei sicher fühlt, macht Fehler."

    Ja, diese Fehler zeigten ihr viel über die Menschen, die sie zu schützen gelobte. Hoss zeigte ihr all dies auf ruhige, erfahrene und kalte Art. Er war ihr Mentor. Fast drei Jahre lang war er das. Handy saugte sein Wissen auf wie ein Schwamm. Sie schrieb sich seine markigen Sprüche zu Hause nach Dienstschluss auf, in der Hoffnung, Ermittlungs-Regeln daraus ableiten zu können. Sie wandte den Hoss-Way in ihrer täglichen Arbeit immer selbstständiger an und wurde damit erfolgreich.

    Eines Tages kam sie noch spät am Abend ins Sheriffs Office zurück. Zu diesem Zeitpunkt emanzipierte sie sich bereits ein wenig von ihm. Handy dachte immer, er würde stolz auf sie sein. Sie wäre beruflich zwar nicht sein Ziehsohn gewesen, aber vielleicht seine Ziehtochter. Ihr ging es darum, mit Hoss in Transwaggon Polizeiarbeit aus einer Hand auszuführen. Sie war reinen Herzens, ohne Hintergedanken. Handy war zufrieden mit sich und der Welt. Umso überraschter war sie, als sie Hoss im Office so was von sturzbetrunken antraf. Er schaute sie regungslos an. Die Pupillen klein. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Tür zur Asservatenkammer offenstand und sein rechter Hemdärmel am Handgelenk ein wenig „staubig war. Hoss´ Blick erinnerte sie an einen brünstigen Eber, der – leicht schielend – nur noch das Signal „Angriff in seinem Hirn hatte.

    »Schaust du immer so blöd, wenn Du jemanden erwischt hast?«

    Handy sagte nichts.

    »Aha, sehe schon. Ganz die moralisch Integre. Kommst jetzt bei mir mit genau der Yankeescheiße, über die du mich immer voll heulst, wenn deine Eltern nicht stolz auf dich sind.«

    » Es ist alles okay, Hoss.« Noch versuchte Handy die Situation zu beruhigen und sie war tatsächlich nicht sauer auf ihn. Polizisten sind auch nur Menschen. Scheiß drauf, dann hat er sich mal ein wenig Koks aus der Asservatenkammer besorgt. Alles wäre okay gewesen, wenn Hoss an dieser Stelle aufgehört hätte.

    » Lüg´ mich nicht an, du Fotze.« Er lief rot an.

    »Ich weiß genau, was du hier willst!«

    »Was soll ich wollen?«

    »Yankeescheiße!«

    »Was heißt das, Hoss? Du kannst mich ankacken, wenn ich Mist gebaut habe, nur bitte mach´ kein abgefucktes Rätsel daraus!« Ihre Stimme wurde lauter. Aus Wut und Angst.

    »Du kleines Miststück willst hier Sheriff sein. Du willst mich abservieren. Meinst du, ich merke nicht, wie du mir seit Jahren auf die Finger schaust und nur wartest, bis ich einen Fehler mache? So, und jetzt hast du mich erwischt.«

    »Hoss. Schau´ mich an. Bullshit! Ja, ich habe dir auf die Finger geschaut, aber doch nur, weil ich alles von dir lernen konnte.«

    Hoss Tyle stand auf und ging Richtung Toilette. Enttäuscht und wütend zugleich musste sie ihrem Mentor zusehen, wie er leicht schwankend aufstand und seinen strammen Bauch mit falschem erigiertem Stolz vor sich herschob. Handy war nicht klar, inwieweit ihre Antwort ihn beruhigen konnte. Oder kam er gleich mit einer Schrotflinte zurück? Handy schaute auf seinen Schreibtisch. Was sie dort sah, machte sie sehr wütend. Handy entschloss sich, Hoss Recht zu geben. Ja, sie würde ihn abservieren. Allerdings nicht für das bisschen Koks. Schnell fotografierte sie Hoss´ Schreibtisch ab, damit alles an der gleichen Stelle lag, wenn er vom Pissen kam. Sie konnte sich Zeit lassen, gegen ihn zu ermitteln. Zeit – das hatte sie von ihm gelernt. Aus dem Klo kam ein Geräusch, wie wenn sich jemand rückwärts die Nase putzte…

    Als Hoss von der Toilette kam, saß Handy an ihrem Schreibtisch und schien in den Bürokram vertieft, weswegen sie ursprünglich nochmal ins Office kam. Er kam erstaunlich aufgeräumt auf sie zu.

    »Hey Kleine, hör´ mal. Das gerade war nicht so gemeint. Du verstehst schon. Weißt du, Sheriff sein bedeutet auch Politik und da kann man schon mal verzweifeln. Also, nichts für ungut.«

    Handy sah Hoss freundlich an. »Hoss, ich will mir gar nicht vorstellen, was für Scheiße in der Politik läuft. Ich frage mich sowieso, wie du das alles schaffst. Wenn ich dir mit – egal, was – helfen kann. Du weißt, wo du mich finden kannst. Alles gut.«

    »Das ist meine Kleine.«, sagte Hoss vom Koks ein wenig zu überschwänglich und überprüfte dabei mit der rechten Hand, ob sein Hosenstall zu war. Mit diebischem Blick und etwas unbeholfen schob Hoss die Fotos und Dokumente auf seinem Schreibtisch zusammen zu einem Haufen und drückte diesen in seine Aktentasche. Dicht und blöd grinsend, jedoch wortlos verließ er das Office.

    Diese Situation hatte sie bis heute nicht vergessen und auch nicht verziehen. Dass Hoss gekokst hatte, war mit Sicherheit keine Glanzleistung. Dass Hoss nach diesem Abend nie auf sie zukam und sich wenigstens für sein Verhalten ihr gegenüber entschuldigte, verletzte sie auf ihr bekannte Weise. Hoss selbst würde so etwas niemandem durchgehen lassen.

    Handy gab ihm die Zeit, sich was einfallen zu lassen. Seit einigen Wochen jedoch hatte sie verstärkt den Eindruck, Hoss machte sein eigenes Ding. Nun, es war mehr als ein Eindruck. Die gefälschten Beweismittel auf seinem Schreibtisch sprachen ganz klar die Sprache, dass Hoss einen Unschuldigen pressewirksam ins Gefängnis brachte, um kurz vor den erneuten Wahlen zum Sheriff mit einem großen Fall dazustehen. Besonders ekelhaft an der Sache war, dass dieser 26-jährige vorher nie auffällig war und dass „die Lösung" dieses Falles genau die Geldmittel benötigte, welche Hoss im Wahlkampf für die Ausführung des Sheriffamtes wiederholt lautstark nannte. Die Sache stank gewaltig. Denn nach Hoss´ erneuter Wiederwahl änderte sich nichts an der Personalstärke, nichts an der Ausrüstung. Wo ging das Geld also hin, für welches Hoss ein junges Leben zerstörte?

    Ebenfalls auffällig war, dass Hoss sich im Wahlkampf so theatralisch mit Mill House, dem Bürgermeister von Transwaggon in die Haare kriegte. Ausgerechnet die größten Buddys! Ernsthaft? Zwischen diese beiden passte doch kein Blatt Papier. Und plötzlich spielten die beiden öffentlichen Schlagabtausch, um dem Wahlvolk vorzugaukeln, es werde ernsthafte Politik betrieben. Und ja, im Sinne des Volkes müsse man streiten und Lösungen finden. Man musste keine Polizistin, wie Handy sein, um den gemeinsamen Nenner zu finden. Hoss und Mill mussten niemals streiten, denn was Hoss lauthals forderte, musste der Bürgermeister nur beim Staat New Mexico als Finanzzuschuss zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit beantragen.

    Aus diesem Topf hatte Transwaggon seit der Einführung desselben noch nie gegriffen und somit gegenüber anderen Countys ein Erstzugriffsrecht.

    Hoss stand mal für das Gesetz von Transwaggon. Heute war Hoss so eine eigene Figur, wie ein Bösewicht in einem Comic. Wenn man ihm aus dem Weg ging, hatte man keinen Ärger. Alles war seit einiger Zeit „persönlich. Dieses „Ich nehme das persönlich hatte er sich wahrscheinlich von Michael Jordan abgeschaut. Handy musste laut hinter ihrem Lenkrad lachen, denn die Vorstellung, dass sich Hoss Tyle für den Micheal Jordan der County Sheriffs hielt, war schon ziemlich geil daneben!

    BUMM DA DA DA

    BUMM DA DA DA

    Handy wurde sauer. Nicht mehr auf die Trommeln und die Natives. Vielmehr schienen die Trommeln sie zu leiten, einen Zugang zu einer lang und tief vergrabenen Wut zu finden. Sie fuhr erneut rechts

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