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Deutsch-Polnische Reminiszenzen
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eBook360 Seiten3 Stunden

Deutsch-Polnische Reminiszenzen

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Über dieses E-Book

»Kümmere dich um Polen«
Damit begann die Reise von Karl-Heinz Hornhues, langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. In »Deutsch-Polnische Reminiszenzen« erzählt Karl-Heinz Hornhues von seinen Erlebnissen und Bekanntschaften aus seiner Zeit als (inoffizieller) Beauftragter der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, dann als stellvertretender (für Außenpolitik zuständiger) Vorsitzender des Bundestages und schließlich eben auch als deutscher Co-Vorsitzender des Komitees für den Deutsch-Polnischen Preis.

»Mir ging es im ›Kleinen‹ wie Helmut Kohl als Bundeskanzler im ›Großen‹. die Aussohnung mit Polen, das war der noch fehlende Eckstein einer Nachkriegspolitik, die als markante Punkte die deutsch-französische Freundschaft und unser besonderes Verhältnis zu Israel erfahren hatte Daran ein weniq mitqewirkt zu haben, erfullt mich heute noch mit Genugtuung.«
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Aug. 2022
ISBN9783347721357
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    Buchvorschau

    Deutsch-Polnische Reminiszenzen - Karl-Heinz Hornhues

    I

    „Bindewirkung"

    Alles begann – jedenfalls was meine besonderen Beziehungen zu Polen anging – mit einer Rede des damaligen Stellvertretenden, für Außenpolitik zuständigen, Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Rühe.

    Am 6. Februar 1985 sagte er im Deutschen Bundestag:

    „Wir haben Verständnis für den Wunsch des polnischen Volkes in gesicherten Grenzen und in einem territorial lebensfähigen Staat zu leben. Diesem berechtigten Interesse des polnischen Volkes hat die Bundesrepublik Deutschland im Warschauer Vertrag Rechnung getragen. Sie konnte dabei rechtlich nur im eigenen Namen handeln und einem Friedensvertrag nicht vorgreifen. Das ist die rechtliche Lage.

    Aber es gibt auch eine politische Lage. Wer nüchtern und illusionslos nachdenkt, der weiß, dass der Warschauer Vertrag mit Polen eine politische Bindungswirkung hat, die auch von einem wiedervereinigten Deutschland nicht ignoriert werden kann.

    Ich wiederhole:

    Ich habe Verständnis für die nationalen Interessen des polnischen Volkes. Wir erwarten aber auch Verständnis für unser Anliegen, die deutsche Frage solange offen zu halten, bis sie durch das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes beantwortet ist."

    Vor der Debatte im Plenum hatte mich Volker Rühe schon angesprochen. „Hör Dir meine Rede genau an, es lohnt sich! Und das tat es auch! Denn diese Unterscheidung von „rechtlicher und „politischer" Lage war ein nicht unerheblicher Schritt zu einer Dynamisierung der deutsch-polnischen Beziehungen. Natürlich fand diese Erklärung Rühes keine uneingeschränkte Zustimmung in den Reihen seiner/meiner Fraktion. Im Gegenteil. Aber dezidiert wurde ihm, dem für Außenpolitik zuständigen Vizechef der Hauptregierungsfraktion weder vom Kanzler widersprochen (im Gegenteil!), noch durch Beschlüsse irgendwelcher Art von Fraktion oder Partei seine Aussage konterkariert.

    Nach der Debatte saß ich neben Rühe im Plenum.

    „Na, zufrieden?" seine Frage. Das war ich!

    Denn längstens hatte ich Probleme mit einer oft dogmatisch formulierten Linie des „friedensvertraglichen Vorbehaltes", der auch bei nicht Böswilligen den Verdacht weckte, es gäbe in der CDU/CSU ernsthafte Revisionsüberlegungen der Jalta/ Potsdam Entscheidungen jenseits einer erstrebten Einheit von Bundesrepublik mit Berlin und der DDR.

    Auch bei unseren Partnern im westlichen Bündnis war keinerlei Unterstützung für eine die Oder-Neiße-Grenze in Frage stellende – darum ging es konkret – Position zu erkennen. Das Gegenteil war der Fall. Das hatten mich viele Besuche im Ausland gelehrt und viele Gespräche mit ausländischen Diplomaten und Politikern in Deutschland.

    So empfand ich es als außerordentlich wichtig, dass Rühe – bei Beibehaltung unserer Grundposition – diese auf Zukunft hin dynamisierte. Dies war für die CDU/CSU als Hauptregierungsfraktion von besonderer Bedeutung, wurden wir doch nach der Bildung der christlich-liberalen Koalition im Herbst 1983 von manchem im In- und Ausland als (ehemalige) „Kalte Krieger misstrauisch beäugt, die im Rahmen der Entspannungspolitik Erreichtes („Neue Ostpolitik) gefährdeten.

    „Kümmere Dich um Polen"

    Ein paar Tage später nach seiner „Bindewirkungsrede (so wurde sie damals apostrophiert) sprach Volker Rühe mich an: „Bist Du eigentlich Vertriebener?

    „Nein"

    „Hast Du familiäre Beziehungen nach Polen"

    „Nein!"

    „Dann kümmerst Du Dich ab jetzt besonders um Polen!"

    Da wir in unseren Überlegungen weitgehend übereinstimmten, überlegte ich nicht lange und akzeptierte. Eine förmliche Beauftragung durch die Fraktion wurde angesichts zu erwartenden Streites mit erheblichen Teilen der Fraktion nicht ins Auge gefasst. Im Zweifel war ich der, vom für Außenpolitik zuständigen Vize-Chef der Fraktion berufene „Polenbeauftragte. Wichtigstes operatives Ziel – so mit Rühe besprochen – war die Entwicklung persönlicher, nachhaltiger Kontakte vor allem zur Katholischen Kirche, zur „Solidarność-Opposition und dieser nahestehenden Kreise. Zudem wollten wir unsere auf Zukunft gerichtete Gesprächsbereitschaft signalisieren. „Reise umgehend nach Polen und nimm ein paar jüngere Kollegen mit!"

    Ein Kreis interessierter Kollegen war zwar schnell gefunden. Michaela Geiger, Kurt Falthauser, Hans-Peter Repnik, Fritz Bohl, Klaus Rose, Karl Lamers, Dirk Fischer und Peter Kittelmann wurden von mir angesprochen und akzeptierten.

    Nach Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt kündigte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Meyer-Landrut, am 19.4.1985 unser Reisevorhaben dem polnischen Botschafter Olechowski an.

    Aber so einfach nach Polen reisen, das ging halt nicht, dazu brauchte man damals ein Visum. Und das war – so lernte ich – so einfach nicht zu bekommen.

    Der damalige polnische Botschafter Tadeusz Olechowski empfing mich zwar umgehend und freundlich in der Botschaft in Köln, ließ sich von mir unsere Reisevorstellungen erläutern, inklusive unserer Terminvorstellungen (Anfang Juni). Allerdings machte er mich gleich darauf aufmerksam, dass es da einige Probleme noch zu lösen gelte. Aber das wäre bei gutem Willen sicher kein Problem. Der Gesandte der Botschaft, Witold Sedziwy, werde mich in Kürze aufsuchen, um alles Weitere zu besprechen. Das geschah dann auch wenig später – und die zu lösenden Probleme lagen auf dem Tisch:

    Erstens: eine Delegation mit einem Berliner Abgeordneten (Kittelmann) sei wegen des besonderen Status von Berlin nicht akzeptabel.

    Zweitens: Wer uns denn eingeladen habe? Ein solcher Besuch einer Delegation der CDU/CSU Bundestagsfraktion müsse auf der Basis einer offiziellen Einladung – etwa vom Sejm – erfolgen.

    Drittens: Unsere Absicht, mit der Katholischen Kirche zu sprechen, würde angesichts der innenpolitischen Lage in Polen von Seiten der Regierung der Volksrepublik als unfreundlicher Akt angesehen.

    Viertens: Vor allem aber sei unser Wunsch, Kontakte mit der Solidarność aufzunehmen, eine Provokation und undurchführbar, da die Solidarność nur ein „Phantom" sei.

    Nach einigem Abtasten machte ich dem Gesandten deutlich:

    Erstens: Eine Delegation der CDU/CSU Fraktion werde von dieser gebildet, ohne Peter Kittelmann kämen wir nicht. Zweitens: Wir seien von niemandem eingeladen und seien es im Übrigen gewöhnt, dass unsere Botschaft sich um uns kümmere, die unsere Gesprächs- und Terminwünsche – soweit dies eben möglich sei – zu realisieren suche. Wenn die polnische Botschaft da behilflich sei …

    Drittens: Ein Besuch in Polen ohne Gespräche mit der Katholischen Kirche undenkbar.

    Viertens: Wenn die Solidarność – „wie der Herr Gesandte behauptet ein „Phantom sei, dann würden wir mit ihm natürlich nicht sprechen, weil das jenseits unserer spirituellen Fähigkeiten liege.

    Im Übrigen: unsere Absicht und unser Auftrag sei es, die Beziehungen der Hauptregierungsfraktion der Bundesrepublik zu Polen zu verbessern.

    Diese erste Runde machte hinlänglich deutlich; so einfach, wie wir uns das vorgestellt hatten, war das alles nicht. Zudem: der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt war bei seinem kürzlichen Besuch in Polen nicht mit dem Friedensnobelpreisträger Lech Walesa zusammengetroffen. Und: die UdSSR verweigerte der Delegation des Auswärtigen Ausschusses schon seit längerem die Visa, weil mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dietrich Stobbe ebenfalls ein Berliner der Delegation angehörte (auch ich gehörte dieser Delegation an, die nie reiste und deren Mitglieder auch verabredet hatten, keine Einzeleinladungen zu akzeptieren).

    Rühes Auftrag: „Kümmere Dich um Polen! war gar nicht so einfach zu realisieren. Rühe selbst hatte am 17.5.1985 ein Gespräch mit Botschafter Olechowski. Der Botschafter nahm dabei den Vorbehalt gegen ein Gespräch unserer Gruppe mit Vertretern der Katholischen Kirche vom Tisch, bewegte sich vor allem aber in der „Solidarność-Frage nicht.

    Zwar hatte die deutsche Botschaft in Warschau mit der Vorbereitung der Reise begonnen, aber es wurde nichts daraus: der Juni- Termin platzte, es lagen keine Visa vor. Wir nahmen einen neuen Termin Anfang September ins Visier.

    Zu Beginn der Parlamentsferien im Juli hatten meine „Verhandlungen mit dem polnischen Botschafter und Gesandten keine Fortschritte gebracht (der Vorschlag auf „Einladung und mit Hilfe des staatlichen Reisebüros „Interpress zu reisen, war von mir abgelehnt worden), auch der September – Termin platzte. Und auch ein Termin gegen Jahresende 1985 erwies sich als nicht realisierbar. Wir – meine Kollegen und ich – verständigten uns auf einen neuen Termin für Anfang Mai 1986. So gut ich konnte, sorgte ich dafür, dass die polnische Botschaft (Botschafter und Gesandter vor allem) von verschiedensten Seiten auf die Nichtgewährung der Visa angesprochen wurde (Tendenz: Es sei dumm und töricht, gerade uns solche Schwierigkeiten zu machen) und wandte mich letztendlich förmlich an Außenminister Hans-Dietrich Genscher als Ende Februar sich einerseits Kompromisse abzeichneten aber andererseits eben von polnischer Seite immer noch keine Zusage vorlag. Genscher war schon seit einiger Zeit informiert, hatte auch schon wiederholt gegenüber polnischen Vertretern sein Unverständnis und seinen wachsenden Unmut „inoffiziell zum Ausdruck gebracht. Genscher sagte seine Unterstützung zu und „bat den polnischen Botschafter zum „Gespräch.

    Inzwischen hatte zwar die polnische Seite die Beteiligung des Berliners Peter Kittelmann akzeptiert und es gab eine Vereinbarung, dass die „Federführung unseres Besuches bei unserer Botschaft in Warschau liege, die polnische Seite sich um die offiziellen Termine kümmere, aber die „Solidarność-Frage war immer noch offen, bis dann eine unausgesprochene Übereinkunft dieses Problem löste: Im offiziellen Programm waren hinreichend freie Zeiten vorgesehen, der Rest unser Problem. Nur: Der mit den Kollegen verabredete Termin Anfang Mai rückte näher und noch immer waren keine Visa da. Während die Kollegen, einer nach dem anderen sich „verabschiedeten" und für den geplanten Zeitraum unserer Reise andere Terminverpflichtungen übernahmen, wartete ich bis zuletzt. Denn es war eine nicht ganz unbekannte Methode, Visa so spät zu erteilen, dass eine Reise praktisch unmöglich war. Und genau das geschah! Nur wenige Tage vor geplantem Reisebeginn kam der Anruf von der polnischen Botschaft, die Visa seien erteilt. Nun war guter Rat teuer. Nach Beratungen mit den Kollegen und Rücksprache mit Volker Rühe, wurde beschlossen, dass ich allein reisen solle, wenn sichergestellt sei, dass alsbald die gesamte Delegation reisen könne. So kam es dann auch!

    Zum ersten Mal in Polen

    Vom 3. bis zum 10. Mai 1986 reiste ich also zunächst allein nach Polen, nachdem sichergestellt war, dass unsere Gesamtdelegation am Ende der parlamentarischen Sommerpause (es wurde dann der 31.8. bis 7.9.1986) nach Polen reisen werde.

    Es war mein erster Besuch in Polen überhaupt, dementsprechend gespannt und angesichts der Vorgeschichte auch angespannt, sah ich diesem Besuch entgegen. Am Flughafen in Warschau holte mich ein junger Mitarbeiter der Botschaft ab, Rüdiger Freiherr von Fritsch, der gerade als politischer Referent der Botschaft seinen ersten Auslandsposten als Diplomat angetreten hatte.

    Vom Flughafen ging es quer durch Warschau zu unserer Botschaft, die damals noch auf dem Ostufer der Weichsel im Stadtteil Praga lag.

    Von der schnellen Fahrt habe ich nur das monotone Grau und, heruntergekommene Gebäude in Erinnerung, so wie ich sie auch schon von den Besuchen der letzten Jahre in Ostberlin und der DDR in Erinnerung hatte. Der Autoverkehr hielt sich in Grenzen und die Straßenbahnen und Busse passten zur allgemeinen farblichen Monotonie.

    Eines aber war doch anders. Fast an jeder Straßenecke wurden von Frauen in improvisierten Ständen Blumen, genauer Schnittblumen, angeboten. Das gab es in der DDR nicht. Da musste ich immer, wenn ich in Ostberlin Bekannte meiner Frau besuchte, am Bahnhof Zoo frische Schnittblumen kaufen und mit rüber nehmen. Die waren dort eine große Rarität und hier in Warschau – wenn auch oft nur Nelken – gab es sie fast an jeder Ecke. Erklärung: Jemanden zu besuchen ohne ein paar Blümchen, das sei für Polen das Letzte! Also war hier – notgedrungen – Raum für Privatinitiative gelassen worden.

    Wir überquerten die Weichsel. Ich bat, kurz anzuhalten, um die Szenerie in mich aufzunehmen: Hier hatte also beim Warschauer Aufstand die Rote Armee gestanden, wochenlang, während auf der anderen Seite des Flusses die polnische Heimatarmee in grausigen Kämpfen unterging. Und unternommen hatte die Rote Armee so gut wie nichts, um den Polen zu helfen.

    Am 3. Mai 1986 machte ich dieses Foto: Blick von Praga über die Weichsel auf das Warschauer Stadtzentrum. So mussten damals – 1944 – hier sowjetische Soldaten gestanden und der Vernichtung der polnischen Heimatarmee auf dem anderen Weichselufer zugesehen haben.

    „Das haben die Polen nie vergessen!", sagte neben mir Freiherr von Fritsch. Und: Ja, er sei verwandt mit dem Generalobersten von Fritsch, der hier im Stadtteil Praga 1939 gefallen sei.

    Zur Botschaft war es dann nicht mehr weit. Ich wurde von Botschafter Franz Pfeffer begrüßt, der mich sogleich zur Programmbesprechung und zum Briefing in den abhörsicheren Besprechungsraum der Botschaft bat. Bei der Programmbesprechung gab es dann gleich ein besonderes Problem zu lösen: Verabredet war im Vorfeld, dass ich nicht nur in Warschau

    Gespräche führen, sondern auch das Land bereisen wollte: Krakau, Tschenstochau und Auschwitz waren vorgesehen. Aber, ob ich denn wirklich reisen wolle? Es war der 3. Mai und erst seit wenigen Tagen (am 28.4. abends hatte dpa die erste Meldung gebracht) wusste man etwas Genaueres über den Super-GAU im Atomkraftwerk von Tschernobyl. Die Wolke mit dem atomaren Fall-out war direkt über Polen gezogen und es wurde vermutet, dass die südlichen Gebiete, in die ich reisen wollte, besonders stark betroffen waren. Die Botschaft plante, Frauen von Botschaftsangehörigen – vor allem mit Kleinkindern – in das weniger betroffene Berlin zu schicken, bis man Genaueres wisse.

    Der ganze Umfang der Tschernobyl-Katastrophe war zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt, zudem gab es Meldungen, dass der Reaktor wieder unter Kontrolle sei, keine neuen atomaren Substanzen in die Umwelt entwichen, etc. Wie dem auch alles war, ich entschloss mich, an meinem Reiseplan festzuhalten. Ein jüngerer, gut deutschsprechender Pole sollte und wollte mich begleiten: sein Name – Janusz Reiter! Später sollte er dann der erste polnische Botschafter im geeinten Deutschland werden – was damals weder er noch ich ahnte!

    Ein wenig unangenehm berührte mich bei den Vorbesprechungen, wie schwer sich vor allem auch der Botschafter tat, meinen Wunsch nach Kontakten zur Solidarność zu unterstützen. Nachdrücklich wurde auf mich eingewirkt, doch zurückhaltend zu sein und ein positives Ergebnis (gemeint war das Klima im Verhältnis zur polnischen PVAP-Regierung) nicht zu gefährden, indem ich zu intensiv Kontakte zur Opposition suchte. Sorge machte dem Botschafter auch meine Unerfahrenheit im Umgang mit polnischen Offiziellen, meine Nonchalance im Umgang mit Begriffen wie „Flüchtlinge, „Vertriebene zum Beispiel und den Städtenamen! Diskret wurde ich darauf verwiesen, dass vor mir selbst die SPD-Granden Hans- Jochen Vogel (damals Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag) und selbst Willy Brandt bei ihren jüngsten Besuchen in Polen entsprechend Rücksicht genommen hatten.¹

    So ein Bundestagsabgeordneter der Hauptregierungspartei der Bundesrepublik sei da natürlich auch in der Pflicht, wenn schon die bundesdeutsche Opposition so klug und weise …

    Doch zunächst standen „Besichtigung" in Warschau an, die Altstadt, Schloss und Kathedrale: vor allem das Denkmal zur Erinnerung an den Ghettoaufstand von 1943.

    Es war mir schwer, hier zu stehen und ebenso wenig dort, wo heute ein monumentales Denkmal an den Warschauer Aufstand von 1944 erinnert: Was hatten hier Deutsche angerichtet – und nicht nur hier! Der mich begleitende Herr von Fritsch hatte sich diskret zurückgehalten, um mich mit meinen Gedanken an diesen Stätten allein zu lassen. Komisch: es war so schwer, sich das Grauen vor Augen zu rufen, das Wetter war (zu) schön und nahebei der Straßenverkehr einer Großstadt – wenn auch der bescheidene einer kommunistischen Metropole.

    Erinnerung an den Kniefall von Willy Brandt am Ghettodenkmal, eine große Geste, die ihm weltweit, vor allem auch in Polen großes Ansehen verschaffte.

    Warum nur war er nicht zu Lech Walesa gefahren, als er im Dezember des letzten Jahres (1985) anlässlich des 15. Jahrestages des Warschauer Vertrages, Polen besuchte? Ich sollte in den nächsten Tagen immer wieder erfahren, wie abgrundtief die Solidarność enttäuscht war von seinem Verhalten. Und welche Hoffnung viele dort jetzt auf uns Christdemokraten setzten.

    Wroclaw oder Breslau?

    „Und in Warschau wirst Du bestimmt mit Ernest Kucza zusammentreffen!, hatte mir Helmut Sauer (CDU-MdB wie ich und im BdV – „Bund der Vertriebenen – aktiv) mit auf den Weg gegeben. „Der hieß früher Ernst Kutscher und war in der HJ!" Aha! Ein Hinweis auf die besondere Vita und sollte wohl heißen: Vorsicht, der spricht fließend Deutsch.

    Die kleine Episode fiel mir ein als ich – begleitet vom Botschafter – eben mit jenem Ernest Kucza mein erstes offizielles Gespräch bei meinem ersten Besuch in Polen führte. Kucza war Leiter der internationalen Abteilung der Polnischen Vereinigten Arbeiter Partei (PVAP) bzw. der „Kommunisten, wie man damals gemeinhin formulierte. Er war angesichts der Rolle, die die Partei spielte, mein wichtigster offizieller Gesprächspartner. Bei der Anfahrt hatte mich der Botschafter noch einmal eindringlich instruiert, doch bei meiner Wortwahl vorsichtig zu sein (also keine „Vertriebenen oder „Deutsche Minderheit und bitte „Wroclaw und nicht „Breslau). Mich begann das Insistieren auf „Behutsamkeit langsam ärgerlich zu machen und den Botschafter beruhigte mein Hinweis sichtlich nicht, dass ich reichlich Erfahrung in Afrika (!) gesammelt hätte, im Umgang mit komplizierten Politstrukturen, etwa mit den weißen Apartheid-Vertretern Südafrikas, ebenso wie mit den Vertretern der schwarzen Opposition. Beide hätten meine Art („behutsam natürlich!) Klartext zu reden akzeptiert – und zwar immer wieder! Man sah dem Botschafter an, wie ihn meine Einlassung fast die Schweißperlen auf die Stirne trieb. „Das ist hier Polen! Was ich nicht bestreiten konnte! Das Gespräch begann. Kucza sprach polnisch, ich deutsch – und beide waren wir erst einmal freundlich zueinander, tauschten Höflichkeiten aus (welche die Dolmetscherin offensichtlich jeweils „prima überbrachte). Doch irgendwann waren die sensiblen Punkte (Kriegsrecht, Solidarność, Grenzfrage, Deutsche Minderheit etc.) unausweichlich dran. Der Botschafter suchte mich geradezu zu hypnotisieren, als ich mich dem Bereich der „Sensibilitäten annäherte. Da kam mir blitzartig eine Idee: „Verehrter Herr Kucza, da ich ja noch neu in den deutsch-polnischen Beziehungen bin, bin ich mir auch nicht sicher, ob ich die Feinheiten des Diplomatischen Sprachgebrauchs beherrsche, wenn ich mit Ihnen über die deutsche Minderheit in Polen sprechen möchte. Von vielen Orten in Polen sind mir die polnischen Namen nicht geläufig – nur die deutschen! Wenn also ich da einen Fehler mache – aus Ihrer Sicht: das meine ich nicht böse und will Sie nicht verärgern! Wenn Sie einverstanden sind, soll doch unser Botschafter immer die richtige Formulierung sagen – so als wenn ich sie gesagt hätte! Ich lächelte freundlich Ernest Kuzca an – und sah aus den Augenwinkeln den Botschafter fast einer Ohnmacht nahe (so schien es mir jedenfalls). Ehe er sich aber einmischen konnte, reagierte der Pole: „Ich schlage vor, wir beurlauben die Dolmetscherin und setzen unser Gespräch auf Deutsch fort. Das spart Zeit, wir müssen ja noch vieles bereden! Und wenig später sprach er von „Breslau und von „Vertriebenen und „Deutschen in Polen". Wir konnten uns auf die Problem-Erörterung konzentrieren, ohne dass ich permanent an damals übliche Formulierungsprobleme denken musste.

    Inhaltlich war, nebenbei bemerkt, durchaus eine neue Flexibilität hinsichtlich unserer spezifisch deutschen Anliegen zu bemerken, die allerdings bezüglich der Frage nach der Aufhebung von Kriegsrecht und Verbot der Solidarność beileibe nicht festzustellen war.

    Insgesamt: Das Gespräch mit Ernest Kucza war von Ablauf, Stil und Inhalt durchaus zu meiner Zufriedenheit verlaufen. Das sah offensichtlich Ernest Kucza auch so, denn er eröffnete mir, dass der Chef des Präsidial-Apparates (von Präsident Jaruzelski), Josef Czyrek, mich gerne kennenlernen würde, was sich dann gleich „spontan anschloss. Allerdings reichte das nur zum Austausch üblicher Höflichkeiten. Aber Botschafter Pfeffer strahlte: „Das ist gut gelaufen! Offensichtlich war ihm ein Stein vom Herzen gefallen.

    Die Plattenspieler

    Nur mühsam hatte ich bei der Programmbesprechung in der Botschaft meine Enttäuschung verbergen können: sicherlich war ein Gespräch mit einem hohen Vertreter der Katholischen Kirche vorgesehen und in Krakau sollte ich mit Kardinal Macharski, dem Nachfolger von Kardinal Woityla, jetzt Papst Johannes-Paul II, treffen. Eine hohe Ehre und Freude zugleich. Aber von Gesprächen mit der politischen Opposition, mit Repräsentanten der „Solidarität – so gut wie nichts! Warum nicht? „Problematisch, „schwer machbar, „interniert, im Gefängnis, etc. Mein Eindruck: Der Botschafter war nicht allzu sehr erpicht, wegen so eines „Anfängers in Sachen Polen ohne Not sich Ärger mit der polnischen Regierung einzuhandeln. Die Botschaftsmitarbeiter traten diesem meinen Eindruck nicht gerade entgegen. Im Gegenteil! Wenn ich mit Vertretern der „Solidarität zusammenkommen wolle, das ließe sich schon arrangieren, wurde mir signalisiert. Der Botschafter müsse ja nicht alles wissen. Also wurden die Mittagspausen und die Abende „zur freien Verfügung gefüllt. So traf ich im „Café Europejski in der „Mittagspause" erstmals mit Tadeusz Mazowiecki zusammen, der mich anschließend mit seinem klapprigen Lada zum nächsten – offiziellen – Termin chauffierte.

    Unvergesslich dann jener Abend im Garten des Kultur-Attachés. Dr. Laurids Hölscher hatte mit einigen anderen jungen Diplomaten kurzfristig eine „Gartenparty organisiert, zu der fast alles an Prominenz der polnischen Opposition kam, was in Warschau so kurzfristig Zeit hatte. Und das waren nicht wenige! Mir rauschte der Kopf, angesichts der vielen, die mir vorgestellt wurden, deren Namen mir zuvor nicht geläufig waren, die aber zumeist einen Vorteil (für mich) hatten: fast alle sprachen Deutsch oder wenigstens Englisch. Wer alles da war, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern (Dr. Hölscher: „alles, was bei der Solidarność Rang und Namen hat!), drum will ich auch

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