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Keine Geschichte eines Helden: Sammelband I
Keine Geschichte eines Helden: Sammelband I
Keine Geschichte eines Helden: Sammelband I
eBook355 Seiten4 Stunden

Keine Geschichte eines Helden: Sammelband I

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Über dieses E-Book

Vandros der Blitz. Der Held, zu dem du seit deiner Kindheit aufsiehst. Er ist stark, mutig und geschickt im Kampf. Du kennst alle Geschichten über ihn. Doch hat er das alles wirklich alleine geschafft? Du recherchierst und findest heraus, dass dein Vorbild gar nicht allein auf seinen Reisen war. An seiner Seite waren sein bester Freund Tohma und Winry the Western Witch. Und ihr Hexenkater Seamus. Spürst du auch, dass hinter den Geschichten von Vandros mehr stecken muss? Du beschließt, einen legendären Geschichtenerzähler aufzusuchen, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Denn die Geschichte des Helden kennst du ja schon.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. Okt. 2021
ISBN9783347034242
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    Buchvorschau

    Keine Geschichte eines Helden - Alice Faymorgan

    1

    »Das ist ein Monster?«, flüsterte Francis und hob eine Hand, um seine dunkelgrünen Augen zu beschatten.

    »Das ist ein Monster«, bestätigte Tohma und sah zu dem giftgrünen, unförmigen Ding hinüber, das ein paar Meter entfernt am Boden der Erdspalte herumglitschte.

    »Wie hast du es gefunden?« Francis schluckte und packte das Holzschwert an seinem Gürtel fester. Er trug es, seitdem er als Kind herausgebrüllt hatte, dass er ein Held werden wollte. Seither hatte das Schwert zwar noch keine Monster erschlagen, war ihm aber ein guter Prügelstock gegen alle, die seinen besten Freund hänselten. Doch heute sollte sich alles ändern. Heute wurde das Dorf wirklich von einem Monster bedroht.

    »Ich hab einen Postphönix abgefangen«, antwortete Tohma.

    »Wie kann ich es besiegen? Bei dem ganzen … Glitsch … wirdmein Schwert da überhaupt etwas ausrichten?«

    »Es hat einen festen Kern. Den musst du treffen. Dafür sollte dein Holzschwert perfekt geeignet sein.«

    »Du bist wirklich schlau.« Francis nickte anerkennend.

    Der junge Mann packte das Holzschwert so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ihm kamen erste Zweifel daran, ob das eine gute Idee war. Sollte er sich wirklich in Gefahr bringen? Er hatte nur Erfahrung in Prügeleien und nicht im Kampf gegen Monster.

    »Komm schon, du wolltest doch immer ein Held sein?« Tohma klopfte ihm auf die Schulter.

    Ein spitzer Schrei ertönte nahe des Randes der Erdspalte.

    »Das ist Ida!«, rief Francis.

    Die beiden beugten sich über den Felsen, um besser sehen zu können. Tatsächlich. Das hübsche Mädchen mit den violetten Haaren, das neben Francis wohnte, stand mit schreckgeweiteten Augen dem Schleimmonster gegenüber. Durch den Schrei hatte auch das Monster den Neuankömmling entdeckt. Auf der Szenerie lag eine unwirkliche Stille. Ida war verstummt und rührte sich nicht von der Stelle. Das Schleimmonster bewegte sich fast lautlos auf sie zu. Es klang mehr nach dem friedlichen Gurgeln eines Bächleins als nach einem tödlichen Monster.

    »Ich muss sie retten!«

    Die junge Frau in Not ließ all seine Zweifel verschwinden. Todesmutig kletterte Francis auf den Felsen und sprang mit erhobenem Holzschwert auf das Schleimmonster zu. Er brauchte nur einen einzigen kräftigen Schlag, um den Kern zu spalten.

    So trug es sich zu, dass Frankarian Down – später bekannt als Vandros der Blitz – sein erstes Monster erschlug und seine erste Jungfrau rettete.

    Interlog

    Du starrst den Zwitscherer an. War das alles? Das war die Geschichte von Frankarian Downs erstem Monster?

    »Was siehst du mich so skeptisch an?«, fragt der Zwitscherer. »Gefällt es Dir nicht?«

    Du schluckst und siehst einen Augenblick in deinen Becher, als müsstest du deine Antwort aus dem Weinstein lesen. »Ich hatte etwas anderes erwartet.«

    »Was hast du denn erwartet?«

    »Ich habe etwas nachgeforscht und eben andere Dinge herausgefunden. Deine Geschichte klingt nicht wahr.« Du stehst auf, enttäuscht, dass deine Suche wohl noch nicht vorbei ist. »Vielleicht seid Ihr doch nicht der sagenumwobene Alleswisser.«

    »Warte.« Der Unterton des Geschichtenerzählers lässt dich innehalten. »Du hast recherchiert?«

    Du nickst verblüfft. Was hat seine Meinung geändert? Dass du dich näher mit Vandros’ Geschichte befasst hast? Der Zwitscherer scheint eher erfreut als nervös. Seine Schultern sacken ein Stück nach unten und er macht es sich auf der Bank so bequem wie möglich.

    Er erklärt seinen Sinneswandel nicht. Bedeutet dir nur, wieder Platz zu nehmen, und fährt fort: »Wenn du dich ernsthaft mit dem Trio befasst hast, werde ich dir die ungeschönte Wahrheit erzählen. Über das erste Monster, das Frankarian Down erschlagen hat. Dafür setzen wir ein bisschen früher ein. Bei Tohmmadiah Stinton, wie er über einem dicken Buch brütet …«

    2

    Tohma las die Stelle immer und immer wieder, wandte sich dem großen dicken Wälzer zu, der neben ihm im Gras lag – das Wörterbuch »Alle Dialekte und regionalen Altbegriffe des Kontinents« – und schlug die Aussprache immer wieder nach. Wie in der Anleitung beschrieben, sagte er den Spruch dreimal auf und stampfte dreimal mit dem Fuß auf. Er wusste, dass er keine Chance hatte, weil er nicht beschenkt war und er den Fluch somit nicht aktivieren konnte. Er war keine Hexe. Und trotzdem hatte er in einem anderen Buch gelesen, dass dieser Fluch auch ohne Magie wirken konnte. Zusammen mit zwei Erfahrungsberichten. Eine Erklärung, warum es auch bei Unbeschenkten funktionieren sollte, hatte er nicht gefunden, aber das war ihm egal. Er musste nur ein Schleimmonster anlocken, das war alles – damit Francis sich beweisen konnte. Tohma wollte den größten Traum seines besten Freundes erfüllen: ein Held zu werden. Wenn er jetzt kein Monster anlockte, wäre Francis zu einer Bäckerlehre gezwungen.

    Wie befürchtet, funktionierte der Fluch nicht. Nichts passierte. Mit einem Seufzen ließ Tohma sich ins weiche Gras am Rand der Erdspalte fallen und blies sich eine tintenblaue Strähne aus dem Gesicht.

    Ein ohrenbetäubendes Brüllen ließ ihn sofort wieder auf die Füße springen. Vorsichtig schielte er über die Kante der kleinen Schlucht, wo er den Fluch versucht hatte. Und da war es. Ein leibhaftiges Schleimmonster. Ein großer Haufen Grün und Glitsch, ohne erkennbares Gesicht. Zumindest bis es sein riesiges Maul öffnete und brüllte – und sich auf die Zuckerhüte stürzte, die Tohma ausgelegt hatte. Sein Plan B. Er hatte es für einen Aberglauben gehalten, dass seine Mutter die Zuckerhüte immer luftdicht verpackt hielt. Dass sie so schnell ein Monster anlocken würden, hätte er nicht gedacht. Im Stillen schwor er sich, Essen – und vor allem Zucker – nie wieder offen herumliegen zu lassen.

    Tohma rannte ins Dorf, so schnell ihn seine Beine trugen.

    Es dauerte nicht lange, bis er Francis gefunden und unter wirren Schilderungen hinter einen Felsen gezerrt hatte, von dem aus sie das Monster gut beobachten konnten.

    »Das ist ein Monster?« Francis rümpfte die Nase und hob eine Hand, um seine dunkelgrünen Augen zu beschatten.

    »Das ist ein Schleimmonster.« Tohma lehnte sich nach vorn und sah auf das giftgrüne, unförmige Ding hinunter, das einige Fuß entfernt herumglitschte.

    »Wieso ist es hier? Wie hast du es gefunden?« Francis schluckte und packte das Holzschwert an seinem Gürtel fester. Er trug es, seitdem er als Junge herausgebrüllt hatte, dass er ein Held werden wollte. Seither hatte es zwar noch keine Monster erschlagen, war aber ein guter Prügelstock gegen alle, die Tohma hänselten. Oder gegen große Ratten, die Kinder erschreckten. Oder gegen wehrlose Bäume, auf die er in Schaukämpfen eindrosch. Doch heute sollte sich alles ändern. Heute wurde das Dorf wirklich von einem Monster bedroht. Sein bester Freund hatte ihn geholt und niemand anderen. Das Dorf brauchte einen Helden. Es war an der Zeit, dass Francis über sich hinauswuchs und endlich ein Held wurde. Entweder das oder Bäckerlehrling.

    »Ich hab einen Postphönix abgefangen«, meinte Tohma und log dabei besser als jemals zuvor in seinem Leben.

    »Wie kann ich es besiegen?«, flüsterte Francis. »Wird mein Schwert bei dem ganzen … Glitsch … überhaupt etwas ausrichten?«

    »Es hat einen festen Kern. Den musst du zerschlagen. Dafür sollte dein Holzschwert perfekt geeignet sein.«

    »Du bist wirklich schlau.« Francis nickte anerkennend.

    Ich kann nur lesen, dachte Tohma, nahm das Kompliment aber mit einem Schulterzucken an.

    Francis packte das Holzschwert so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ihm kamen erste Zweifel, ob das eine gute Idee war. Sollte er sich wirklich in Gefahr bringen? Er hatte nur Erfahrung mit Prügeleien und nicht im Kampf gegen Monster. Er ließ den Griff um sein Schwert nicht locker, als hätte er Angst, dass sein bester Freund sonst seine Hände zittern sehen könnte.

    »Komm schon, du wolltest doch immer ein Held sein?« Tohma klopfte ihm auf den Rücken.

    »Aber das Monster sieht viel gruseliger aus, als ich dachte …« Sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte.

    Tohma packte seinen besten Freund an den Schultern. »Willst du, dass sie dich weiter auslachen? Dass sie in die Bäckerei kommen und spotten: ›Seht euch unseren Helden an, wie er unser Brot backt! Immer hat er davon geprahlt, aber nie hat er ein einziges Monster getötet‹?«

    Francis wollte etwas antworten, da kam ihm ein spitzer Schrei aus der Senke zuvor.

    »Das ist Ida!« Die beiden beugten sich über den Felsen, um besser sehen zu können. Tatsächlich. Das Mädchen mit den violetten Haaren stand mit schreckgeweiteten Augen dem Schleimmonster gegenüber.

    Durch den Schrei hatte auch das Monster den Neuankömmling entdeckt. Auf der Szenerie lag eine unwirkliche Stille. Ida war verstummt und rührte sich nicht von der Stelle. Das Schleimmonster bewegte sich fast lautlos auf sie zu. Es klang mehr nach dem friedlichen Gurgeln eines Bächleins als nach einem tödlichen Monster.

    »Ich muss sie retten!« Ohne weiter darüber nachzudenken, kletterte Francis auf den Felsen, stieß sich ab und ließ sich mit erhobenem Holzschwert auf das Schleimmonster fallen. Er konnte den Schatten im Herzen des Monsters sehen. Das war der Kern, von dem Tohma gesprochen hatte. Mit Kampfgeschrei stieß er das Holzschwert durch den grünen Glitsch und legte sein ganzes Gewicht in den Schlag. Das Holz schnitt durch die Masse und fuhr auf den großen Schatten in der Mitte zu. Mit einem Knacken brach der Kern auf und das Monster verlor seine Form.

    Die Hände noch voller grünem Schleim, richtete der junge Mann sich auf. Die schwarzen halblangen Haare fielen ihm in die Stirn. Sein Blick war starr auf die grün überzogenen Kiesel zu seinen Füßen gerichtet.

    »Francis!« Tohma eilte auf seinen besten Freund zu, stets darauf bedacht, nicht in die grüne Pfütze zu treten. Er hatte auf den richtigen Moment gewartet, um aus der Deckung zu kommen.

    »Francis!« Ida fiel ihm um den Hals. »Du hast mich gerettet!« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und schmiegte sich an ihn, bevor sie sagte: »Das muss ich allen erzählen! Francis ist doch ein Held!« Sie küsste ihn ein zweites Mal und lief davon.

    »Alles in Ordnung?« Tohma fasste seinen besten Freund am Arm.

    Dieser richtete den Blick auf seine Hände, von denen der Schleim tropfte. »Das war … das war einfacher, als ich dachte.« Seine Augen wirkten glasig. »Ist es immer so einfach, ein Monster zu töten?«

    »Ich glaube nicht. Ist wirklich alles in Ordnung?«

    »Ja! Das war so ein tolles Gefühl!« Francis’ Augen leuchteten auf. »Ich wusste, dass ein Held in mir steckt!« Er sah zum Dorf hinüber, von dem aus er lauter werdende Stimmen hörte. »Hörst du das? Sie kommen, um mich zu feiern!«

    Kurz darauf waren tatsächlich einige Männer aus dem Dorf in der Erdspalte versammelt.

    »Ich wusste, dass du das Zeug zum Helden hast!« Francis’ Vater stand bei ihm und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Ich bin so stolz auf dich. Mein Sohn. Mein heldenhafter Sohn hat eine wehrlose Frau gerettet!«

    »Ja!«, rief jemand mit Glatze hinter ihnen – der Bäcker. »Ich dachte erst, Ida macht einen Witz, als sie so laut herumgeschrien hat. Aber du hast sie wirklich gerettet!« Er deutete auf die letzten Reste der grünen Pfütze auf dem Boden und den gespaltenen Kern des Monsters.

    »Das müssen wir feiern!« Francis’ Vater reckte die Faust in die Luft. Die Dorfbewohner hievten sich Francis auf die Schultern und trugen ihn unter großem Jubel nach Hause.

    Tohma blieb zurück und untersuchte das Einzige, was von dem Schleimmonster übrig geblieben war: die zwei Hälften des zerbrochenen Kerns. Er war größer, als er gedacht hatte. Fast so groß wie sein Kopf. Das würde er behalten und in seine Sammlung sonderbarer Dinge aufnehmen.

    So kam es, dass Frankarian Down sein erstes Monster erschlug.

    Epilog

    Du siehst den Zwitscherer an. Erst abwartend, dann skeptisch, schlussendlich fassungslos.

    Es soll einfach so zu Ende sein?

    Der Zwitscherer sieht dich über den Tisch hinweg an. Er hebt seinen Weinbecher und prostet dir zu. »Du siehst nicht zufrieden aus.«

    Du schlägst auf den Tisch und fegst dabei fast deinen Becher zu Boden. »Wo ist Winry the Western Witch? Sie gehört zu dem Trio dazu!«

    »Deine Helden sind noch nicht einmal losgezogen. Sie treffen Winry erst im Laufe ihrer Reise. Ich dachte, du hast recherchiert?« Seine hellen Augenbrauen ziehen sich zusammen.

    »Wohl nicht so gut, wie ich dachte«, musst du zähneknirschend zugeben.

    Der Zwitscherer erhebt sich, sein schwarzer Umhang raschelt wie Pergament. »Für heute ist das genug.«

    »Was? Jetzt schon?« Du springst auf. »Das war nur eine Geschichte! Ich will alles erfahren! Ihr seid ein fahrender Geschichtenerzähler, Euch zu finden hat mich einen ganzen Erntelauf gekostet!«

    Er mustert dich so lange, dass es dir unangenehm wird. Dann holt er mit einem Seufzen einen Zettel hervor und legt ihn auf den Tisch. »Das ist eine Ausnahme, weil du so hartnäckig nach mir gesucht hast. Wenn du mehr hören willst, zerreiß das Pergament und ich erscheine. Wir sehen uns, junger Wanderfalke.«

    Du siehst nicht zu, wie er geht. Du streckst die Hand nach dem unscheinbaren Zettel aus, den er dir zurückgelassen hat. Das Pergament ist vergilbt und abgegriffen – und leer, bis auf einen Tintenfleck in einer Ecke.

    Und das soll ihn rufen? Du untersuchst den Fleck genauer und stellst fest, dass es ein winzig kleines Fluchsiegel ist, nur halb so groß wie der Nagel deines kleinen Fingers. Du dachtest dir schon, dass ein Fluch darauf liegt, aber welcher? Das Siegel ist zu klein, als dass du das erkennen könntest. Mit einer entschlossenen Handbewegung schiebst du das Pergament in eine Tasche deines Umhangs zu einer Zeichnung, die du immer mit dir herumträgst.

    Der Zwitscherer hat dir eine Kontaktmöglichkeit angeboten und du wirst sie nutzen. Aber erst feierst du, dass du den Geschichtenerzähler dazu bringen konntest, dir die ungeschönte Wahrheit zu erzählen. Du winkst dem Schankjungen, damit er dir noch einen Gewürzwein bringt.

    Abenteuer 2

    Die Straße gleitet fort und fort und

    beginnt doch immer an der Tür

    Prolog

    Du bist in die Hütte zurückgekehrt, die du angemietet hast; sitzt am Esstisch und starrst die Zeichnung an, die dich schon lange begleitet. Darauf sind eine dunkelhäutige Frau mit wilden rosafarbenen Locken, ein blasser Mann mit blauen Haaren und ein zweiter, hellhäutiger mit schwarzen Haaren. Der Mann in der Mitte hat die Arme um die Taillen der anderen beiden geschlungen und alle lächeln glücklich.

    Neben der Zeichnung liegt der leere Notizzettel, den der Zwitscherer auf den Tisch gelegt hatte. Wenn du mehr erfahren willst, musst du ihn nur zerreißen.

    Du dachtest, du wüsstest so viel über Winry, Tohma und Francis. Du hast so viel recherchiert, so viele Schriften gewälzt, so viele Geschichtenerzähler befragt und trotzdem war es nicht genug. In keinem Buch, keiner Schriftrolle, bei keinem anderen Geschichtenerzähler hast du dieses erste Abenteuer, wie der Zwitscherer es erzählt hat, gefunden.

    Dein Gefühl war also richtig, es gibt immer noch Geschichten, die du nicht kennst. Neue Aspekte, die du entdecken kannst, auf die andere Geschichtenerzähler keinen Wert legen, weil es den Fokus von dem Helden ablenkt. Es gibt also noch viel mehr über die drei zu erfahren. Die Freude darüber kribbelt in deinem Bauch wie die Limonade, die deine Großmutter an heißen Sonnenaufgängen zubereitet.

    Das Glücksgefühl versiegt. Wird dir gefallen, was du herausfinden wirst? Die Geschichte um Vandros’ erstes Monster war weit weniger heldenhaft als vermutet. Und Winry war nicht einmal Teil der Geschichte gewesen. Dabei war sie dir immer am sympathischsten gewesen. Wenn du mehr über die mächtige Hexe erfahren willst, musst du den Geschichtenerzähler rufen und um weitere Geschichten bitten. Du beißt dir auf die Unterlippe, kaust darauf herum.

    Mit einem entschiedenen Schnauben packst du den Zettel und reißt ihn entzwei.

    »So, du willst also noch mehr hören.« Eine heisere Stimme dir gegenüber lässt dich erschrocken aufspringen. Da sitzt der Zwitscherer in seinen schwarzen Gewändern an deinem Esstisch. Seine Augen, die du bei eurem letzten Treffen im schummrigen Licht der Schenke für weiß gehalten hast, erinnern dich jetzt an einen zugefrorenen See. Der alte Mann mustert dich amüsiert. Es muss ein Teleport-Fluch auf dem Zettel liegen, der den Geschichtenerzähler sofort herbringt, ungeachtet von Wänden und Türen.

    »Setz dich, setz dich, junger Wanderfalke.« Er winkt dich heran und du lässt dich auf einen Stuhl sinken. Dein Herz klopft immer noch heftig von dem Schrecken. »Diese zweite Geschichte wird dich einen Tee kosten.«

    Du nickst, schürst das Feuer an und stellst eine Kanne Wasser an die glühenden Kohlen.

    Der Zwitscherer räuspert sich. Es klingt wie aneinanderreibendes Schleifpapier. »Die nächste Geschichte beginnt mit einem übermütigen Francis, der in Tohmas Zimmer stürmt …«

    1

    »Vandros, der Zerstörer!«, rief Francis ohne ein Wort der Begrüßung. Tohma blickte erschrocken von seinem Buch auf. »Was?«

    »Vandros, der Zerstörer!«, wiederholte der schwarzhaarige junge Mann aufgeregt.

    »Äh, bekomme ich mehr Informationen dazu? Wer ist das?«, fragte Tohma immer noch irritiert.

    »Ich!«

    »Francis, sprich bitte in ganzen Sätzen.« Er seufzte und schob sich eine tintenblaue Strähne hinters Ohr.

    »Ich hab ein Monster getötet, ich bin jetzt ein Held. Ich kann nicht mehr Francis heißen! Der Name muss etwas hermachen. Ich heiße ab sofort Vandros, der Zerstörer!« Francis ließ sich in seiner Euphorie nicht stoppen. Seine grünen Augen glitzerten vor Freude.

    »Ist ›der Zerstörers nicht ein Beiname für einen Bösewicht?«

    »Die Monster werden mich fürchten.« Er machte eine ausladende Geste.

    Tohma schlug das Buch auf seinem Schoß zu und sah seinen besten Freund mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Aber die Menschen sollten es nicht.«

    Francis blickte kurz nachdenklich an die Zimmerdecke, dann ließ er sich neben Tohma aufs Bett fallen. »Gut, was schlägst du vor? Vandros, der Spalter? Immerhin hab ich das Monster gespalten!« Im Aufspringen zog er das Holzschwert aus dem Gürtel und wiederholte die tödliche Bewegung.

    Tohma stürzte nach vorn und rettete eine Kerze vor dem tödlichen Hieb. Mit einem Seufzen stellte er sie neben dem Bett auf den Boden. »Das klingt auch nach einem Bösewicht. Eigentlich bekommt man den Beinamen von einem Geschichtenerzähler verliehen. Da du aber nicht so lange warten willst, wie wäre es mit ›Vandros, der Blitz‹? Das klingt mystisch und stark und keiner weiß genau, was es zu bedeuten hat.«

    »Das klingt gut. Also: Vandros, der Blitz.« Francis streckte das Holzschwert zum Fenster. »Auf, Tommy, lass uns losziehen, um ein paar Monster zu töten und ein paar Jungfrauen zu retten! Ich bin doch jetzt ein Held! Endlich kann ich der Heldengilde beitreten.«

    Tohma hob eine Augenbraue und rieb sich das Kinn. »Wo willst du sie töten und wen willst du retten?«

    »Du wirst schon was Passendes finden. Du weißt, wie man das hinbekommt.« Er sah seinen besten Freund voller Vorfreude an.

    »Wieso ich? Du bist doch der Held.«

    Francis packte Tohma an den Schultern. »Jeder Held braucht einen Helfer. Bitte, Tohma, ich brauche dich! Du wolltest doch auch immer den Kontinent bereisen. Gib dir einen Ruck, wir machen doch immer alles zusammen. Pack dein Bündel und lass uns losziehen!« Mit diesen Worten zückte er wieder sein Holzschwert und rauschte davon. Vermutlich, um sein eigenes Bündel zu packen.

    2

    Tohma saß immer noch auf dem Bett und wartete darauf, aus diesem Traum zu erwachen. Natürlich hatte er nur das Beste für seinen Freund gewollt, aber er hatte eine Anstellung in der Bohemian Biblioteca in Aussicht. Das war immerhin sein eigener größter Traum. Bibliothekar in einer der vier großen Hexenbibliotheken! Als Unbeschenkter, ohne magische Fähigkeiten, dort eine Anstellung zu bekommen, war unglaublich schwierig. Doch Francis war schneller wieder verschwunden, als er seinen Protest hätte äußern können.

    Tohma ging in den Wohnraum und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Er brauchte einen Beruhigungstee. Bis das Wasser kochte, schien es heute länger zu dauern als sonst. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, als könnte das das Herdfeuer heißer machen. Einerseits freute er sich für Francis, dessen Lebenstraum sich endlich erfüllte, andererseits hatte er nicht damit gerechnet, in diese Erfüllung verwickelt zu werden.

    Mit einem tiefen Atemzug goss er den Tee auf und setzte sich an den Esstisch. Er tat es selten, aber diesmal musste er seinem besten Freund die Bitte ausschlagen. Wenn er ihn das nächste Mal traf, würde er ihm mitteilen, dass er eine Ausbildungsstelle anzutreten hatte und nicht mit ihm den Kontinent bereisen konnte. Als die Hüttentür erneut aufschwang, war es allerdings nicht sein bester Freund, sondern dessen Mutter, die eintrat. »Tohma, passt du bitte aufihn auf?«

    Er sah sie verwirrt an, bevor er verstand, was sie meinte. »Aber –«

    »Bitte!«, unterbrach sie seinen Protest sofort. »Allein wird mein Junge es nicht überstehen.«

    »Ich habe einen Ausbildungsplatz! Ich kann jetzt nicht auf eine wilde Reise gehen.«

    Elfie Down setzte sich neben ihm auf die Bank am Esstisch und sah ihn flehend an. »Gib ihm nur einen Erntelauf, bis er alleine mit der ganzen Sache zurechtkommt. Du kennst ihn, er rennt immer los, ohne nachzudenken. Die Stelle in der Biblioteca kannst du auch danach noch antreten, die waren Feuer und Flamme für dich! Du bist so ein schlauer Junge, du wirst die Hexen erneut von dir überzeugen.« Sie fasste seine Hand. »Zieh los und erleb etwas mit Francis. Und wer weiß, vielleicht findest du auch eine nette Frau?« Die Mutter zwinkerte ihm zu.

    »Elfie! Ich hab schon eine Freundin!« Tohma entzog sich ihr und ballte beide Hände zu Fäusten.

    Sie verdrehte die Augen. »Eine, die dich verlassen wird, wenn du mit Francis auf Reisen gehst. Ich kenne Tanika, sie ist nur

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