Spanisch für Neugierige: Was du schon immer über die spanische Sprache wissen wolltest - erklärt von Professor Linguini
Von José Antonio Salinas und Waldo Matus
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Buchvorschau
Spanisch für Neugierige - José Antonio Salinas
Die Anfänge
–1–
Wie heißt es richtig: Spanisch oder Kastilisch?
Hier stehen viele Spanischlemende vor einem Rätsel, denn mal hören sie diesen, mal jenen Ausdruck, wenn von der Sprache, die sie lernen, die Rede ist. Die Frage nach der richtigen Bezeichnung stellen sich vermutlich selbst einige Muttersprachler*innen. Schließlich wird in vielen Ländern Hispanoamerikas der Begriff castellano (also „Kastilisch") verwendet, um die spanische Sprache zu bezeichnen, während in anderen Ländern von español (also „Spanisch") die Rede ist. Ist etwa mit español die Sprache gemeint, die in Spanien gesprochen wird, und mit castellano das Spanisch, das man außerhalb Spaniens spricht?
Keineswegs, denn richtig ist: Beide Bezeichnungen sind korrekt und können synonym verwendet werden. Das bestätigt auch die Königlich Spanische Akademie, die Real Academia Española (RAE), die sich als offizielle Institution um die Regulierung der spanischen Grammatik, Lexik und Rechtschreibung kümmert. Die Tatsache, dass español als Sprachbezeichnung in vielen hispanoamerikanischen Ländern weniger beliebt ist, erklärt sich der Linguist Francisco Moreno Fernandez damit, dass sie aufgrund der klaren Assoziation mit Spanien (España) wenig Identifikationsmöglichkeiten für die anderen spanischsprachigen Länder bietet.
Trotz allem empfiehlt die Königlich Spanische Akademie, español als Sprachbezeichnung zu verwenden. Die Begründung: Obwohl es sich bei den beiden Begriffen um Synonyme handelt, sei español doch die eindeutigere Bezeichnung. Denn als castellano bezeichnet man neben der spanischen Sprache auch einen mittelalterlichen romanischen Dialekt aus Kastilien und eine spanische Sprachvarietät, die heute im Norden des ehemaligen kastilischen Königreichs gesprochen wird. Menschen aus Kastilien heißen ebenfalls castellanos (auf Deutsch „Kastilier"), und auch die mittelalterlichen
Burgvögte wurden als castellano (Kastellan) bezeichnet. Denn ursprünglich kommt der Begriff castellano aus dem Lateinischen (castellanus) und bedeutet „zu einer Burg gehörend". Castilla (Kastilien), die geografische Wiege des Dialektes castellano, bedeutet wiederum „Land der Burgen".
Interessant ist, dass in der nicht spanischsprachigen Welt der Begriff español als Sprachbezeichnung klar bevorzugt wird: neben Spanisch im Deutschen heißt es beispielsweise Spanish im Englischen, spagnolo im Italienischen, espagnol im Französischen, spanska im Schwedischen, ispanyolca im Türkischen oder spanyol im Ungarischen. Im Folgenden wird nun - um Verwirrungen zu vermeiden - der Begriff Spanisch verwendet, wenn es um die Sprache geht, und Kastilisch, wenn der mittelalterliche Dialekt gemeint ist.
-2-
Sind die deutsche und die englische Sprache mit dem Spanischen verwandt?
Auch wenn Deutsch und Englisch nicht wie das Spanische zur romanischen Sprachfamilie gehören, haben die drei Sprachen doch dieselben indoeuropäischen Wurzeln, denn sie alle sind aus derselben Sprache hervorgegangen: dem Proto-Indoeuropäischen. Das haben Linguist*innen im Laufe der Zeit durch das Studium und den Vergleich zahlreicher Sprachen herausgefunden. Textliche Spuren des Proto-Indoeuropäischen gibt es keine. Die erste aufgezeichnete Sprache, die sich aus dem Proto-Indoeuropäischen entwickelte, war das Hethitische, das im zweiten Jahrtausend v. Chr. in Zentralanatolien (der heutigen Türkei) gesprochen wurde. Beweis für seine Existenz sind Tontafeln mit Keilschrift, die um 1800 v. Chr. entstanden.
Aus dem Proto-Indoeuropäischen entstanden mehrere Sprachfamilien, die sich bis weit über Europa hinaus ausbreiteten. Dazu zählen etwa die keltischen, italischen, germanischen und slawischen Sprachfamilien. Aus dem Lateinischen, das zur italischen Sprachfamilie gehört, entwickelten sich das Spanische und andere romanische Sprachen wie etwa Italienisch, Portugiesisch, Französisch, Katalanisch und Rumänisch. Aus diesem Grund besteht eine große Ähnlichkeit zwischen den romanischen Sprachen, die im Italienischen treffenderweise auch als lingue neolatine (also „neulateinische Sprachen") bezeichnet werden. Wenn wir die Wörter dieser Sprachen miteinander vergleichen, sehen wir sofort, wie ähnlich sich die meisten von ihnen sind. Nehmen wir beispielsweise das spanische Wort libertad (Freiheit): im Italienischen spricht man von libertà, im Portugiesischen von liberdade, liberté heißt es im Französischen, libertate im Rumänischen und llibertat im Katalanischen.
Englisch und Deutsch hingegen gehören zur germanischen Sprachfamilie. Aus diesem Grund unterscheidet sich das Spanische trotz des gemeinsamen sprachlichen Vorfahren ganz erheblich von diesen beiden Sprachen. Vergleicht man jeweils das Englische und das Deutsche mit dem Spanischen, wird jedoch schnell deutlich, dass das Englische dem Spanischen näher ist als das Deutsche. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das Angelsächsische stark vom Französischen beeinflusst wurde, das mit der Invasion Wilhelms des Eroberers im 11. Jahrhundert auf die Britischen Inseln gelangte und dort nicht weniger als drei Jahrhunderte lang die Sprache des Hofes war. Dieser langanhaltende Kontakt des Angelsächsischen mit dem Französischen brachte es dem Spanischen sehr viel näher. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass es bei reiner Betrachtung des Wortschatzes gar nicht so einfach wäre festzustellen, ob das moderne Englisch eher eine germanische oder eine romanische Sprache ist.
Die große sprachliche Distanz zwischen der spanischen und der deutschen Sprache hingegen spiegelt sich besonders gut in dem deutschen Ausdruck „das kommt mir spanisch vor", wider, den wir gern verwenden, wenn wir etwas nicht verstehen. Sprecherinnen des Englischen ziehen dagegen das Griechische heran, um mit einem „it’s all Greek to me" ihr Unverständnis auszudrücken. Interessanterweise ist der äquivalente Ausdruck für einen Spanisch sprechenden Menschen „eso me suena a chino" (das kommt mir chinesisch vor) - wobei hier mit dem Chinesischen tatsächlich eine Sprache völlig ohne Bezug zum Spanischen genannt wird, da sie nicht einmal indoeuropäische Wurzeln aufweist.
–3–
Wann ist die spanische Sprache entstanden?
Die Suche nach den Anfängen der spanischen Sprache führt uns zurück ins Mittelalter und hin zu den Ursprüngen des kastilischen Dialekts. Das Kastilische trat natürlich nicht von einem Tag auf den anderen in Erscheinung. Es mussten vielmehr Jahrhunderte langsamer Transformation vergehen, in denen sich das gesprochene Latein (auch Vulgärlatein genannt) zunehmend vom geschriebenen Latein entfernte, bis es schließlich an den Punkt gelangte, an dem die Unterschiede so groß geworden waren, dass sich dieses Vulgärlatein in den kastilischen Dialekt verwandelt hatte. Das gesprochene Kastilisch begann also zu entstehen, als es Merkmale erworben hatte, die sich von der Aussprache, der Syntax und dem Wortschatz des ursprünglich gesprochenen Lateins unterschieden. Das geschriebene Kastilisch wiederum entstand, als schließlich auch eine abweichende Orthografie verwendet wurde, um die unterschiedliche Aussprache widerzuspiegeln.
Für die Bestimmung der Geburt eines neuen Dialekts oder einer neuen Sprache ist es wichtig belegen zu können, dass sich auch die Sprecherinnen selbst dieses neuen Dialekts oder der neuen Sprache bewusst waren. Für einige Philolog*innen wie Ramón Menéndez Pidal stellt etwa die Tatsache, dass Mönche im 10. Jahrhundert Erläuterungen oder Kommentare in romanischem Dialekt an den Rand lateinischer religiöser Texte schrieben, einen solchen Beleg dar. Aus ihrer Sicht lässt sich daraus ableiten, dass die Mönche sich über die grundlegenden Unterschiede zwischen ihren Erläuterungen und der lateinischen Vorlage im Klaren waren. Für andere Wissenschaftler*innen wie Roger Wright existierte ein solches Bewusstsein zu dieser Zeit noch nicht. Erst als die Ideen der karolingischen Bildungsreform im 11. Jahrhundert auch in Kastilien Verbreitung fanden, sei es möglich gewesen, zwischen Latein und den neuen romanischen Dialekten klar zu unterscheiden.
Eines der Ziele der karolingischen Bildungsreform, die Karl der Große bereits Ende des 8. Jahrhunderts im Fränkischen Reich umzusetzen begonnen hatte, bestand darin, das klassische und bildungssprachliche Latein zu stärken, es von unerwünschten Einflüssen des gesprochenen Latein zu bereinigen und zur Standard-Schriftsprache zu machen. Das führte dazu, dass sich das Schriftlatein immer mehr von den entstehenden romanischen Dialekten entfernte und diese allmählich ihre eigenen Merkmale in Aussprache, Syntax und Wortschatz ausbildeten.
Letztendlich können wir die Frage, ob die Menschen im 10. Jahrhundert bereits ein Bewusstsein dafür hatten, dass das, was sie sprachen, kein Latein mehr war, nicht mit Sicherheit beantworten. Was man aber sagen kann, ist, dass die Ideen der karolingischen Bildungsreform ein Jahrhundert später dazu beitrugen, das Kastilische sowohl im kirchlichen Bereich wie auch in der bürgerlichen Gesellschaft zu festigen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich um einen neuen Dialekt handelte, der sich vom Lateinischen deutlich unterschied.
Obwohl die ersten kastilischen Wörter auf Texte aus dem 9. Jahrhundert zurückgehen, wurde das Kastilische in lateinischen Schriften erst im 12. Jahrhundert als erkennbare Sprachvarietät erwähnt. Im 13. Jahrhundert begann man dann unter Alfons X. den Begriff Kastilisch regelmäßig zu verwenden. Oft wurden die aus dem Lateinischen hervorgegangenen Dialekte jedoch weiterhin einfach als vulgar, Römisch oder Romanisch bezeichnet, und ihre