Indigene Sprachen Nordamerikas: Ein kleiner Sprachführer durch die wichtigsten Indianersprachen in den USA und Kanada
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Über dieses E-Book
Wer die Völker der Welt verstehen will, wird erkennen, dass dies nur über die Sprache geht. Nur mit ihr erschließen sich Denkweise, Kultur und Lebensweise eines Volkes. So erleben wir, dass es bestimmte Ausdrücke in einer Sprache gar nicht gibt, dagegen andere Wörter gleich in vielen Variationen vorhanden sind. Allein diese Tatsache lässt uns erkennen, wie wichtig bestimmte Dinge in einer Kultur sind. Im vorliegenden Buch führen die Autoren in die wichtigsten indigenen Sprachen Nordamerikas ein und zeigen deren Unterschiede auf. Sie listen auf, welche Sprachen akut vom Aussterben bedroht sind und wie viele Sprecher es noch gibt – Auswirkungen der Boarding Schools und Residential Schools, in denen Indianerkindern das Sprechen ihrer Sprache verboten wurde. Zur Verdeutlichung haben die Autoren für viele indigene Sprachen einen kleinen Dialog erstellt, der dem Leser anschaulich beweist, wie unterschiedlich die einzelnen Sprachen sind. "Indianisch" gibt es also nicht! Eine spannende Einführung, die auch über Klischees und indianische Etikette aufklärt.
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Buchvorschau
Indigene Sprachen Nordamerikas - Martin Krueger
Internatsschulen
Die Vernichtung indianischer Sprachen durch die aggressive Assimilationspolitik der US-Regierung
Nach der endgültigen militärischen Niederlage der verschiedenen indianischen Nationen begann die US Regierung mit der kulturellen Umerziehung der von ihnen besiegten Völker.
Die traditionelle Lebensweise vieler indigener Völker – insbesondere der nördlichen und südlichen Plainsstämme, die ihren Lebenserwerb hauptsächlich durch die Büffeljagd betrieben – und anderer nichtsesshafter Völker stand dem Befriedungsprozess und dem Expansionsdrang des weißen Amerika im Wege. Aus heidnischen Jägern und Sammlern sollten sesshafte, vor allem aber christliche Viehzüchter und Farmer werden. Dies versuchte man am besten dadurch zu erreichen, indem man die Kinder nach und nach dem „schädlichen Einfluss ihrer heidnischen Eltern entzog und sie in christlichen Internaten, den sogenannten Boarding Schools unterbrachte, wo sie Monate, oft Jahre lang vom Elternhaus getrennt, den Weg des „Weißen Mannes
erlernen mussten. Hier waren sie oft den Schikanen strenggläubiger Priester und Nonnen ausgesetzt, die sich nicht scheuten, psychische und physische Gewalt einzusetzen, um die „heidnischen" Seelen der ihnen anvertrauten Kinder zu retten.
Obwohl die Kinder zu Beginn der Ausbildung oft kein Wort Englisch sprachen, war ihnen der Gebrauch ihrer Muttersprache vom ersten Tag an strengstens verboten. Ehemalige Schüler dieser Internate berichteten von Schlägen und davon, dass ihnen der Mund mit Seife ausgewaschen wurde, wenn sie dabei erwischt wurden, in ihrer Stammessprache zu sprechen. Aus fröhlichen Kindern wurden schweigsame, introvertierte Marionetten, die alles taten, was man von ihnen verlangte. Wenn diese Kinder dann in den Ferien nach Hause kamen, sprachen sie ihre eigene Sprache schlecht, konnten ihre Eltern und Großeltern kaum noch verstehen und waren ihren Verwandten und Stammesgenossen fremd geworden.
Die bekannteste dieser zahlreichen Internatsschulen war wohl die Carlisle Indian School in Pennsylvania. Sie wurde 1879 von Captain Richard Henry Pratt (1840 - 1924), einem Bürgerkriegsveteran und ehemaligen Indianerkämpfer, mit Unterstützung der US-Regierung gegründet. Pratt war, im Gegensatz zu vielen anderen Armeeangehörigen, nicht der Meinung, dass die Indianer physisch als Menschen vernichtet werden sollten. Er wollte sie zu „anständigen, zivilisierten Menschen umerziehen und prägte den berühmten Satz „Kill the Indian, save the Man
(Tötet den Indianer, aber rettet den Menschen".
Seine puritanischen, strengen Erziehungsmethoden waren der Auslöser für viele Suizide und Suizidversuche der ihm anvertrauten Indianerkinder, die von ihren indianischen Eltern meist ohne Schläge und körperliche und psychische Gewalt erzogen worden waren. In vielen anderen Internatsschulen wurden die Kinder auch oft von den Priestern und Nonnen sexuell missbraucht, was erst zum Ende des letzten Jahrhunderts aufgedeckt wurde.
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Die Nachkommen solcher in den Internatsschulen erzogenen Indianerkinder teilten das Schicksal ihrer Eltern. Um ihren Kindern ihren eigenen Leidensweg zu ersparen und ihnen das Leben in den Internatsschulen erträglicher zu machen, verzichteten viele indianische Eltern darauf, ihren Kindern die eigene Sprache beizubringen, und unterhielten sich mit ihnen nur noch auf Englisch. Dass auf diese Weise viele indianische Sprachen ausgestorben bzw. vom Aussterben bedroht sind, ist nicht verwunderlich.
Von den ehemals 500 - 600 Indianersprachen in Nordamerika sind noch etwa 150 übrig geblieben; ein Drittel davon ist akut vom Aussterben bedroht. Laut einer Studie des Oglala Lakota College aus dem Jahre 1996 gehört die Sioux-Sprache mit all ihren Dialekten zu den vom Aussterben bedrohten Sprachen.
Das untere Diagramm zeigt die prognostizierte Abnahme von Lakotasprechern auf der Pine Ridge Reservation.
Einige Sprachen mit einer sehr hohen Bevölkerungszahl und einer großen Anzahl an Muttersprachlern haben eine Chance, dass ihre Sprachen überleben. Es handelt sich meist um sesshafte Stämme, die neben gelegentlicher Jagd auch Ackerbau und Viehzucht betrieben, wie z. B. die Navaho in ihrem großen Reservat in der nordwestlichen Ecke des US-Staates Arizona, und die Algonkin sprechenden Stämme der Cree und der Ojibwa, die sowohl in den USA als auch hauptsächlich in Kanada leben. Auch zwei Sprachen der Irokesen – Mohawk und Cherokee – haben eine Chance.
Seit dem 1990 erlassenen Native American Languages Act (ein Gesetz zum Schutz und zur Förderung von indigenen Sprachen) fördert die US-Regierung den Erhalt der Indianersprachen mit Bundeszuschüssen. Es soll eine Wiedergutmachung dafür sein, dass man den indianischen Schulkindern den Gebrauch ihrer traditionellen Sprachen lange Zeit mit Zwang austreiben wollte.
Durch teils von der Regierung gesponserte intensive Schulungsprogramme und Wiederbelebungsprojekte unter den Stämmen, hat sich die Lage bei einigen Stämmen wieder leicht verbessert. Dennoch ist die gegenwärtige Situation indianischer Sprachen in Nordamerika alarmierend bedrohlich. Meist sind die Personen, die noch mit ihrer indigenen Muttersprache aufgewachsen sind, hochbetagt. Oft folgen ihnen eine oder zwei Generationen ohne gute oder gar ganz ohne Sprachkenntnisse, die zum Beispiel infolge des Boardingschoolsystems in den USA und auch in Kanada mit der englischen Sprache aufwuchsen und der Sprache und Kultur ihrer Vorfahren entfremdet wurden. Somit kommen für Stämme mit einer geringeren Bevölkerungszahl diese Projekte leider zu spät.
Laut der indianischen Zeitung Indian Country Today vom 20. April 2009 sind seit 1997 mehr als 20 indigene Sprachen verschwunden, was darauf zurückzuführen ist, dass mehr als die Hälfte aller Muttersprachler das 70ste Lebensjahr bereits überschritten haben. Nur noch 20 Sprachen werden noch routinemäßig mit Kindern gesprochen.
„Von den sieben irokesischen Sprachen sind bis auf zwei – Mohawk und Cherokee – alle vom Aussterben bedroht und werden nur noch von wenigen Alten gesprochen. Das ist häufig sogar der Fall, wenn die Stämme – wie im Falle der Cayuga, Seneca und Oneida noch viele tausend Mitglieder haben.
Die Irokesensprachen sind auch ein gutes Beispiel für die Probleme, denen die Indianersprachen jenseits des demografischen Schwunds und des Drucks der englischsprachigen Mainstreamkultur ausgesetzt sind. Geschrieben werden können sie nur im lateinischen Alphabet, das aber für die Indianersprachen, die sich von europäischen Sprachen oft erheblich unterscheiden, äußerst ungeeignet ist. Ergänzende Sonderzeichen, die zur Darstellung bestimmter Laute der Irokesensprachen notwendig sind, lassen sich jedoch auf vielen Computern gar nicht darstellen – gar nicht zu reden von Smartphones, die auch von den jungen Indianern genutzt werden. Von dieser Seite droht den Sprachen trotz aller Wiederbelebungsversuche in Schulen und kulturellen Zentren eine neue Gefahr."²
1Bildquelle: Archiv der Carlisle Indian School
2Quelle: Bedrohte Sprachen, Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Märzausgabe 2010. unter https://www.gfbv.de/fileadmin/redaktion/Report_Memoranden/2010/MR-Report_Nr.63.-Bedrohte Sprachen
Quelle: Artikel von Matthias Heine in der Zeitung Die Welt vom 13.2.14
Die Indianersprachen Nordamerikas
Eine einführende Betrachtung
Auf der ganzen Welt gibt es ungefähr 6000 Sprachen, die noch gesprochen werden. Diese Zahl muss man mit plus/minus 10 % ansehen, je nachdem, ob Wissenschaftler diverse Dialekte, wie z. B. das Lakota, als eigenständige Sprache betrachten. Von den heute noch existierenden Sprachen der Welt machen die verbliebenen nordamerikanischen Indianersprachen ca. 3 % aus.
Es ist unmöglich genau zu bestimmen, wie viele Menschen und demzufolge auch Sprachen es vor dem Eintreffen der Europäer in Nordamerika gab. Die meisten Sprachforscher vermuten, dass es vor der Ankunft des Columbus ungefähr 300 verschiedene Indianersprachen nördlich der mexikanischen Grenze gab; einige Schätzungen sprechen sogar von 500.
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Aufgrund der europäischen Eroberung und Besiedlung Amerikas, welche bekanntlich die Vertreibung, Dezimierung und in vielen Fällen sogar vollständige Vernichtung vieler Indianerstämme zur Folge hatte, sind auch viele Sprachen verschwunden. Einige Wissenschaftler schreiben, dass bereits die Hälfte aller Indianersprachen Nordamerikas ausgestorben wären. Von den überlebenden Sprachen werden mehr als die Hälfte von weniger als 1000 Sprechern pro Sprache noch fließend beherrscht. Die meisten davon sind zweisprachig.
Nur wenige Indianer-Nationen – wie z. B. die Navaho (auch Navajo genannt), Ojibwa (auch Chippewa genannt), die Sioux, Choctaw, Apache und Cherokee – kommen auf über 10 000 Sprecher. Die Navaho im Südwesten der USA stellen mit fast 150 000 Sprechern die größte Gruppe von