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Der Ritter in Gelb: Das Verdammnis eines Träumers
Der Ritter in Gelb: Das Verdammnis eines Träumers
Der Ritter in Gelb: Das Verdammnis eines Träumers
eBook96 Seiten2 Stunden

Der Ritter in Gelb: Das Verdammnis eines Träumers

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Über dieses E-Book

Das moderne Leben, Kronjuwel der Menschheit, verspricht Freiheit, Glück, Reichtum und Selbsterfüllung. Aber hinter seinen verschlossenen Vorhängen unterdrückt die gnadenlose Walze der Gesellschaft zahlreiche Individuen. Unter anderem auch Julien Sturm, der sich entschieden hat, zu widerstehen. Der Pfad zur Selbstbestimmung jedoch ist lang und wimmelt von Hindernissen, zumal auch andere Personen die Finger im Spiel haben. Eine Gesellschaftskritik…
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Juli 2022
ISBN9783347678576
Der Ritter in Gelb: Das Verdammnis eines Träumers

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    Buchvorschau

    Der Ritter in Gelb - Mor Dusha

    Kapitel Eins

    Wie ein Leuchtturm im dunklen Meere strahlte das Hochhaus in die Nacht. Auf der zehnten Etage saßen die elf Mitarbeiter vor ihren Rechnern in einem von Neonlichtern und Bildschirmen erhellten Raum, an dem die Wellen der Stunden kontinuierlich zerbrachen. Unter ihnen auch Julien, dessen erschöpfte Augen hinter seinen halbrechteckigen Brillen ständig blinkten, die Charybdis seiner dunklen Iris aufgeweitet, die Gezeiten seiner Lider ein Kräftemessen zwischen seiner Müdigkeit und seinem Willen. Wache hielten auf seinem Schreibtisch seine zwei Asthmasprays und eine leere Kaffeetasse, welche er heute schon mehrere Male gefüllt hatte. Er schaute gelangweilt auf einen seiner drei Bildschirme, sein Rücken gebeugt, sein Kopf von seiner linken Hand gestützt, seine rechte vergessen mit dem Mausrad spielend.

    „Was hast du heute Abend noch vor?", hörte er seinen Nachbarn Patrick fragen. Der trotz seiner blassen kranken Haut freundlich aussehende junge Mann schaute ihn durch die mit dicken rechteckigen dunklen Rändern umrahmten Gläser seiner Brille, welche diesen Monat in Mode gekommen waren, lächelnd an.

    „Ein Freund aus meiner Studienzeit organisiert eine Maskenparty zum Thema Protestaktion", antwortete Julien, sehr erfreut über diese unerwartete hohe Gegenstimme in der monotonen Melodie seiner Arbeit.

    „Das ist ja eine sehr zynische Wahl, wenn man bedenkt, was sich derzeit in den Straßen abspielt", meinte Patrick abwertend.

    Julien, dessen Blick auf Patricks auffallend große Hörgeräte ausgeschweift war, brauchte einen Moment um seine Aufmerksamkeit zu sammeln. Etwas verlegen ging er auf diesen Kommentar nicht ein und fragte aus Höflichkeit, was Patrick heute noch vorhätte. „Ich werde heute noch etwas an meinen APS für diese Woche arbeiten", antwortete Patrick eifrig.

    APS, die gebräuchliche Abkürzung des „Allgemeinen Punktesystems", war ein durch die Adern der Gesellschaft sickerndes Gift, eine latente Krankheit des sozialen Körpers, letztendlich eine Bewertung der Person, welche sämtliche Aktivitäten des Lebens maß und dem Individuum eine Gesamtnote zuwies. Die Länge der Arbeitszeit, die Höhe des Einkommens und Vermögens, wo man einkaufen ging, wie schnell man fuhr, was man aß, alles was bewertet werden konnte wurde gespeichert und verwendet. Diese Daten flossen kontinuierlich in eine komplexe, undurchsichtige Kalkulation der einzig aus diesem Zwecke gegründeten Bundesanstalt der Gesellschaftseintracht ein. Resultat dieser Kalkulation war eine Kennzahl, welche eine Person so gut wie möglich zusammenfassen sollte. Dieses System wurde auf Belangen der Banken eingeführt, welche argumentierten, dass die dadurch erhöhte Transparenz zu für Kunden günstigeren und für Banken und Investoren sichereren Geschäften führen würde. Später jedoch verallgemeinerte sich dessen Verwendung auf sämtliche Aspekte des Lebens. Feste Preise fand man in Supermärkten gar nicht mehr; man scannte an einem der zahlreichen elektronischen Schalter im Markt einfach seinen Ausweis, welcher sich mit der minütlich aktualisierten Punktzahl der Datenbank des Amtes in Verbindung setzte und so dem Nutzer seine individualisierten Preise für sämtliche Güter berechnete. Wollte man eine Wohnung mieten, verlangten die Vermieter oder Vermittler diese Kennzahl, bevor man überhaupt einen Termin zur Wohnungsbesichtigung bekam. Alles drehte sich um diesen Wert, und deshalb war es für jeden so wichtig, diesen Punktestand im Blick zu behalten und jeglichen Verlust zu vermeiden.

    Julien nickte etwas traurig bei dem Gedanken, dass Patrick bei seinem aktuellen APS-Niveau wohl mehrere Leben damit verbringen müsste, um sich einen überdurchschnittlichen Wert erarbeiten zu können. „Es wird dann wohl noch eine lange Nacht für dich sein. Wenn du Zeit hast komm gerne vorbei", schlug er Patrick vor, wohlwissend, dass Patrick sich mit höchster Wahrscheinlichkeit nach der Arbeit vollkommen erschöpft auf sein Bett fallenlassen würde.

    Auf dem Rückweg zu seinem Hotelzimmer betrachtete Julien die Menschen in der Bahn. Alle mit ihren Halbgesichtsmasken und ihren dickumränderten rechteckigen Brillen - letzten Monat wären es noch runde gewesen - viele mit langen Mänteln und Handschuhen, welche jedoch nie reichten, um sich vor der toxischen Luft der Bahn zu schützen, und Stiefel, welche nötig waren, um den Müll, in welchem man mancherorts bis zu den Knien einzutauchen drohte, durchqueren zu können. Julien erschauderte bei dem Gedanken, dass er sich - trotz der Bemühung der Fahrgäste, sich sowohl der andauernd wechselnden Mode anzupassen als auch ein gewisses Maß an Individualität zum Tage zu bringen - vor dem Schaufenster einer Massenanfertigungsfabrik befand.

    Bis zu seinem kleinen Hotelzimmer, welches er bei seiner Ankunft in dieser Stadt für eine kurze Zeit gemietet hatte und zu seiner Dauerresidenz zu werden drohte, hatte Julien einen langen Weg. Er musste die Stadtviertel Hortusium, Munizipol, Insuläen und Paupäris durchqueren. Hortusium und Munizipol waren die hübscheren Gegenden der Stadt. Diese ursprünglich abseits des Zentrums erbauten Viertel litten im Gegenteil zum Stadtzentrum nicht an Platzmangel und kennzeichneten sich durch eine Vielzahl an Grünflächen und Häusern oder flachen Bauten. Heutzutage wurden Grundstücke in diesen ehemaligen Außenseiterviertel nicht mehr auf dem Markt veräußert, sie wurden einfach von Generation zu Generation vererbt. Selbst Neureiche oder die Elite der Arbeiterklasse konnten sich keinen Platz in diesen Vierteln erkaufen und wohnten entweder direkt im Stadtzentrum oder im Viertel Insuläen. Dieses lag außerhalb der heutzutage zerstörten Stadtmauern und besaß höhere Gebäude als Munizipol oder Hortusium. Insuläen war sehr stark angepriesen, es war das zum Zentrum am nächsten noch „bezahlbare Viertel und Vermieter konnten somit horrende Preise verlangen. Trotzdem lieferte sich ein erbitterter Kampf um jede Wohnung, viele wurden entweder an Bekannten weitergegeben oder die Mieter behielten einfach ihre Wohnung, selbst wenn sie für einen mittelangen Zeitraum auszogen und entsprechend doppelte Miete zahlen mussten, um dann bei ihrer Rückkehr eine Wohnung zu haben. Für Neuankömmlinge in der Stadt wie Julien war es faktisch kaum möglich mit denselben Waffen zu kämpfen wie Altbewohner der Stadt. Und so musste Julien, wie so viele Andere auch, eine immer weiter vom Zentrum und von seiner Arbeit entfernte Wohnung in Paupäris suchen und dementsprechend einen längeren Arbeitsweg inmitten der toxischen Bahnluft in Kauf nehmen. „Zeit ist relativ, dieses ist uns schon aus der Wissenschaft bekannt. Doch auch im sozialen Leben gilt dieses Gesetz, allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Nicht die Geschwindigkeit, sondern das Geld ist die leitende Kraft hinter der Relativität der Zeit. Alles dauert einfach länger, wenn man arm ist. Wie soll man sich von diesem eifersüchtigen Liebhaber befreien, wenn man dazu keine Zeit hat?, dachte Julien über diesen Zusammenhang.

    Endlich in seiner kleinen Hotelkajüte angekommen bereitete sich Julien auf die anstehende Feier vor. Beim Rasieren betrachtete er mit strengem Blick sein Aussehen. Seine längeren dunklen Haare umrahmten ein kantiges Gesicht, seine Haut war blass von Sonnenmangel und teilweise mit durch die toxische Luft entstandenen kleinen Blasen bedeckt. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen braunen Augen gebildet. Er bemerkte, dass sein Hals mancherorts wieder rötlich geworden war, diese Stellen bedeckte er schnell mit einer Salbe. Nachdem er auch die Blasen an seinem Kinn mit einer weiteren Salbe überdeckt hatte, kleidete er sich an.

    Seit einem Monat hatte sich im Lande ein Protest der Vernachlässigten der Globalisierung ausgeweitet. Die kleinen Räder der wirtschaftlichen Lokomotive versammelten sich jedes Wochenende und marschierten durch die Straßen, laut nach mehr finanziellen Hilfen und Erleichterungen fordernd. In dem Schatten der Demonstrationen verwüsteten sie die Stadtzentren, weshalb die Regierung

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