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Als wär's in 1001 Nacht: In den 1980er Jahren als Elektroingenieur im Orient
Als wär's in 1001 Nacht: In den 1980er Jahren als Elektroingenieur im Orient
Als wär's in 1001 Nacht: In den 1980er Jahren als Elektroingenieur im Orient
eBook341 Seiten3 Stunden

Als wär's in 1001 Nacht: In den 1980er Jahren als Elektroingenieur im Orient

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Über dieses E-Book

Der junge Max Göldi findet das bequeme Leben im «Alten Kontinent» wenig herausfordernd und sehnt sich nach Abenteuern in fremden Ländern. Beim weltweit tätigen Schweizer Technologiekonzern Brown, Boveri & Cie. findet er seinen Traumjob, bei dem er als Techniker in Entwicklungsländern eingesetzt wird. Max Göldi nimmt Sie mit auf seine erlebnisreichen Arbeitseinsätze in den Irak, den Oman, nach Saudi-Arabien, Algerien und Pakistan, wo er von 1980 bis 1985 tätig war. Die Arbeit führt ihn ins wilde Kurdistan und zu antiken Stätten im Irak, zu traumhaften Sanddünen und weitläufigen, öden Landschaften in der algerischen Sahara. Er beschreibt die geschäftige Metropole Karatschi und das Stammesgebiet der Paschtunen im Karakorum-Gebirge Pakistans, wo in malerischen Bergdörfern die Zeit stehengeblieben ist. Sie begleiten ihn in viele weitere Orte und Gebiete, treffen dabei auf interessante Menschen und erfahren Faszinierendes über lokale Sitten und Gebräuche. Es ist auch eine Reise in eine Zeit ohne Satelliten-TV, E-Mail, Mobiltelefon, Internet und GPS. Der Text ist durch viele eindrückliche Farbfotos ergänzt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Mai 2021
ISBN9783347290501
Als wär's in 1001 Nacht: In den 1980er Jahren als Elektroingenieur im Orient

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    Buchvorschau

    Als wär's in 1001 Nacht - Max Göldi

    Kapitel 1

    IRAK

    Flagge von 1963 bis 1991

    Flagge seit 2008

    Inschrift: «Allahu Akbar» bedeutet «Gott ist am grössten».

    Karte des Irak (die helle Fläche ist das Staatsgebiet)

    Einige der im Buch erwähnten Orte sind wie folgt markiert:

    •  Arbeitsorte von Max Göldi in schwarzer Schrift

    •  antike Stätte in roter Kursivschrift

    •  wichtigste Gewässer in blauer Schrift

    Das Gebiet, welches zwischen den beiden mächtigen Flüssen Euphrat und Tigris liegt und heute zum Irak gehört, wurde früher Mesopotamien genannt. Dort entstehen ab dem vierten Jahrtausend vor Christus einige der frühesten Hochkulturen der Menschheit. Altertumsforscher nennen Mesopotamien deshalb auch die Wiege der Zivilisation.

    Von meinen Aufenthalten im Irak besitze ich heute noch ein paar Erinnerungsstücke. Zum Beispiel eine sehr dicke, in buntesten Farben gestrickte traditionelle Wolldecke der sogenannten Sumpf-Araber, welche im Mündungsgebiet des Tigris leben. Ich verwende sie heute noch als Teppich. Ich besitze auch ein paar Keramikscherben mit bläulicher Glasur, welche ich auf einem Schutthügel in Babylon aufgelesen habe und von denen ich mir einbilde, dass sie viertausend Jahre alt seien. Meine bescheidene Banknotensammlung aus aller Welt enthält auch irakisches Geld, auf dem Palmen, ein Zementwerk und Diktator Saddam Hussein zu sehen sind. Aus jener Zeit habe ich inzwischen auch leicht verblasste Fotos aufbewahrt. Abgebildet sind menschenleere, karge Ebenen und Hügelzüge mit Dörfern aus flachen Lehmhütten, Knaben und Männer in traditionellen Pluderhosen, wie sie die Kurden tragen, Moscheen mit goldenen Kuppeln und schlanken Minaretten, der mächtige Tigris, wie er gemächlich durch Bagdad fliesst, das schiefe Minarett der An-Nuri-Moschee in Mosul, gebaut im Jahre 1173 und von den Kämpfern des sogenannt Islamischen Staates (IS) 2017 in die Luft gesprengt worden ist, Bilder vom Ausgrabungsgebiet der legendären antiken Städte Ninive und Nimrud sowie des Löwen von Babylon, einer Statue, welche König Nebukadnezar vor über 2500 anfertigen liess. Auf wenigen Fotos sind auch meine Arbeitskollegen von damals zu sehen, zu denen ich grösstenteils den Kontakt verloren habe.

    Ein Ausschnitt einer traditionellen Wolldecke der sogenannten Sumpf-Araber, die im Mündungsgebiet des Tigris im tiefen Süden des Irak leben. Die Decke, die der Autor heute noch als Teppich benutzt, ist 175 cm breit und 240 cm lang.

    1980: Meine Feuertaufe

    Jetsetter

    Mein Chef bestimmt, dass auf meinem ersten Auslandeinsatz mein «Mentor» Michel dabei sein wird. Er ist zwar nur ein Jahr älter als ich, hat aber schon Einsätze in Nigeria und anderen Ländern hinter sich. Ich respektiere Michel nicht zuletzt auch deshalb, weil er dem sogenannten «Club der Nigeria-Geschädigten» angehört. Da BBC in den letzten Jahren in Nigeria verschiedene Grossaufträge abgewickelt hat, haben mehrere Mitarbeiter viel Zeit in Nigeria verbracht. Solche Monteure und Ingenieure witzeln über sich selber, dass sie durch den langen Nigeria-Einsatz Schaden genommen hätten, und in der Folge haben sie den «Club der Nigeria-Geschädigten» gegründet. Die Mitglieder treffen sich hin und wieder zu Trinkgelagen und Grillfesten, wo sie dann von ihren Abenteuern und Heldentaten in Nigeria prahlend erzählen.

    Michel verrät mir viele Tipps und Tricks, um mich auf das bevorstehende Abenteuer vorzubereiten. Nützlich finde ich insbesondere seine Ratschläge betreffend Messinstrumente, Werkzeuge, technische Beschreibungen und viele praktische Hilfsmittel der Marke «Eigenbau», die ich selber zusammenbasteln muss. Etwas überflüssig und unbedarft finde ich hingegen den Ratschlag, meine «Lieblingsseife» einzupacken.

    Michel spielt sich ein wenig als «Jetsetter» auf. Nun muss man wissen, dass Flugreisen im Jahr 1980 noch nicht so günstig und verbreitet sind, wie dies vierzig Jahre später der Fall sein wird. Private Flugreisen können sich die meisten Schweizer selten oder nie leisten, und so kann man gut verstehen, dass junge Inbetriebsetzer mit geschwellter Brust von ihren Flugreisen zu exotischen Einsatzorten berichten.

    Michel legt Wert darauf, mit Stil zu reisen. So hat er sich zum Beispiel einen «Musikkoffer» zusammengestellt, den er zu seinen Arbeitseinsätzen immer mitnimmt. Dabei handelt es sich um einen ziemlich dickbauchigen Aktenkoffer, worin sich ein topmoderner Hi-Fi-Stereo-Verstärker, ein Kassettentonbandgerät, zwei Lautsprecher sowie einige Musik-Kassetten befinden. Die jüngeren Leserinnen und Leser mögen sich jetzt vielleicht fragen, wozu wegen ein bisschen Musik ein so grosser Aufwand betrieben wird. Aber Audiodateien im MP3-Format oder gar Streaming wird es ja erst Jahrzehnte später geben. Michels Musikkoffer ist recht schwer und sperrig, aber da jeder Inbetriebsetzer nebst dem Privatgepäck meist noch mehrere grosse Aluminiumkisten mit Werkzeugen, Messinstrumenten, Ersatzteilen, Projektunterlagen und Produktebeschreibungen mitschleppt, fällt ein zusätzlicher Koffer kaum gross auf.

    Michel hat auch einen topmodernen Weltempfänger im Gepäck, einen Sony-ICF-2001. Es handelt sich dabei um ein Radio, das nebst den üblichen Empfangsbändern auch Kurzwellensender empfangen kann. Mit so einem Ding ist es möglich, unter günstigen Umständen sogar auf Stationen zuzugreifen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Erdballs befinden.

    Ich besitze weder Musikkoffer noch Weltempfänger, aber ich bekomme meine ersten eigenen Visitenkarten und einen neuen schwarzen Aktenkoffer der Marke Samsonite. Damit kann ich auch schon ein wenig angeben.

    «Zentrales Montagebüro», abgekürzt «ZMB», wird die Organisationseinheit genannt, welche die vielen Baustellen von BBC Schweiz auf der ganzen Welt betreibt. Im «ZMB» ist Beno für die Inbetriebsetzer unserer Abteilung zuständig. Michel und andere Inbetriebsetzer erzählen mir wilde und skurrile Geschichten über Beno, der eine schillernde Person ist, ja fast eine Legende zu sein scheint, und ich bin sehr gespannt, ihn endlich persönlich kennenzulernen. Beno ist gut fünfzig Jahre alt. Er spricht sehr schnell und hackt die Wörter ab, was insbesondere am Telefon Mühe bereitet, ihn zu verstehen. Beno macht mit seinem Kopf auch oft ungewöhnliche Dreh- und Nickbewegungen. Ich kann mir bei den ersten Begegnungen mit ihm keinen Reim darauf machen, und erst später, nachdem ich in Pakistan gearbeitet habe, realisiere ich, dass Beno sich diese merkwürdigen Kopfbewegungen auf dem indischen Subkontinent angewöhnt hat. In Indien und Pakistan sind nämlich die Kopfbewegungen für Ja und Nein genau umgekehrt, wie wir diese im Westen kennen. Zudem scheinen die Halswirbel der Inder extrem beweglich zu sein, auf jeden Fall bewegen sie beim Sprechen dauernd ihren Kopf auf eine Art und Weise, wie Europäer dies kaum zustande bringen. Eine weitere erstaunliche Eigenschaft von Beno ist die, dass er aus den hohen Papierstapeln, die sich auf seinem Pult und auf Ablageflächen türmen, zielsicher mit einem Griff ein bestimmtes Papier, das er gerade sucht, herausziehen kann. Das grenzt fast an Magie.

    Beno erzählt äusserst gern von seinen Erlebnissen während der Sechzigerjahre in Indien, wo er teilweise mit einem Ochsengespann von Baustelle zu Baustelle sei gefahren worden. In den einfachen Unterkünften gibt es keine Elektrizität und natürlich auch keinen Deckenventilator, um die Hitze etwas erträglich zu machen. Dafür hat es einen Kuli, welcher einen grossen Fächer aus Stoff bewegt, der an der Decke befestigt ist und über einen Seilzug manuell betätigt wird. Wenn nun der Diener meint, Beno sei eingeschlafen und er könne das Fächern einstellen, muss Beno irgendeinen Gegenstand Richtung Kuli werfen, um den Fächer wieder «einzuschalten». Solche Geschichten hat Beno viele auf Lager.

    Und irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, wo der Beno seinen Besuchern einen Drink offeriert. Bei dieser Zeremonie räuspert er sich ziemlich laut, während er die Pultschublade mit dem Schnaps öffnet, um so das Klirren der vielen Flaschen und das Quietschen der Schublade zu übertönen. Wenn er dann den Zapfen der Cognacflasche herauszieht, räuspert er sich erneut. Seine Büronachbarn wissen aber, dass Gläser mit Hochprozentigem gefüllt werden, wenn Räuspern aus Benos Büro zu hören ist. Zum Glück muss ich nicht allzu oft zu Beno, denn am Vormittag schon gläserweise Cognac kippen, ist nicht so mein Ding.

    Projekt «Nordirak»

    Es ist März 1980, und seit Wochen schon belegt «Pink Floyd» mit «Another brick in the wall» den ersten Platz der Schweizer Hitparade. Ich mag zwar Pink Floyd, aber was mich zu diesem Zeitpunkt weit mehr interessiert als die Hitparade, ist Folgendes: Dass ich endlich meine erste Geschäftsreise antreten kann. Das Visum ist im Reisepass eingestempelt, ich bin gegen Typhus und Cholera geimpft, der Flug ist bestätigt, der Arbeitsauftrag ist ausgestellt, und die Koffer sind gepackt. Dass ich in drei Monaten ziemlich lädiert nach Hause fliegen werde, hätte ich mir zu jenem Zeitpunkt nicht vorstellen können. Aber nun erst mal alles schön der Reihe nach.

    Am Montag, 12. März 1980, um 12:15 Uhr, fliegen Michel und ich mit rund dreihundert Kilogramm Gepäck mit Swissair von Zürich Richtung Irak. Wir machen Zwischenlandungen in Genf und Athen. Es ist eine vierstrahlige DC-8, bei der sich im hinteren Kabinenbereich der Economy Class die Rauchersitze befinden und im vorderen Bereich jene der Nichtraucher. Auch die First Class weist eine Raucher- und eine Nichtraucherzone auf. Die Raucher können sich wohl kaum vorstellen, dass Swissair in achtzehn Jahren tatsächlich ein generelles Rauchverbot auf allen Flügen einführen wird. Wir kommen abends um 21:15 Uhr in Bagdad an. Die Uhren gehen hier gegenüber der Schweiz zwei Stunden vor. Am Zoll gibt es ein unglaublich langes Palaver wegen unserem Gepäck. Die Zolldokumente, die wir mitführen, nützen uns vorderhand nichts, und nur unsere persönlichen Koffer werden freigegeben. Michel meint, dass solche Probleme zu erwarten seien und dass sich der Baustellenleiter um die Auslösung des zurückbehaltenen Materials kümmern wird.

    Was hat BBC den Irakern eigentlich verkauft, und was machen wir Inbetriebsetzer dort genau? Es ist mir wichtig, dass Techniklaien unter der Leserschaft die nachfolgenden Zeilen nicht einfach überspringen, und deshalb beschreibe ich in einfachen Worten, worum es sich handelt.

    Ein Stromnetz, bestehend aus Leitungen verschiedener Grösse, Fachleute sprechen von Hoch-, Mittel- und Niederspannungsleitungen, transportiert die elektrische Energie von den Kraftwerken zu den Endverbrauchern. Hochspannungsleitungen übertragen die elektrische Energie über grosse Distanzen, meist fünfzig bis zweihundert Kilometer weit. Mittelspannungsleitungen versorgen Regionen, Ortschaften und Stadtteile mit Elektrizität und überbrücken Distanzen von einigen Kilometern bis höchstes hundert Kilometern. Niederspannungsleitungen sind in der Regel kurz, höchstens einige Kilometer lang, und als letztes Segment eines Stromnetzes sind sie direkt mit den Endverbrauchern, zum Beispiel den elektrischen Geräten bei Ihnen zu Hause, verbunden. Sogenannte Umspannwerke ermöglichen es, Hoch-, Mittel- und Niederspannungsleitungen miteinander zu verbinden. Ein Stromnetz kann sich über ein grosses Gebiet erstrecken, über Staaten oder, so wie in Europa, sogar über einen ganzen Kontinent.

    Um ein Stromnetz sicher und effizient zu betreiben, sollen Kraftwerke und Umspannwerke jederzeit miteinander kommunizieren können. Nicht nur muss das Personal miteinander telefonieren, sondern auch verschiedenen technischen Einrichtungen soll es möglich sein, permanent miteinander Betriebsdaten auszutauschen. Mit anderen Worten, ein betriebseigenes Telekommunikationssystem ist notwendig. Dieses System wird üblicherweise mit sogenannten TFH-Geräten aufgebaut, mit deren Hilfe sich Sprache und Daten direkt über Hoch- und Mittelspannungsleitungen übertragen lassen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden die TFH-Geräte vielerorts durch leistungsfähigere Glasfasertechnologie verdrängt. Aber wir befinden uns ja im Jahr 1980, und die TFH-Geräte der Firma BBC sind auf der ganzen Welt noch hochbegehrt. So auch im Irak.

    Frontansicht ETI21

    Rückansicht ETI21

    Diese beiden Fotos wurden freundlicherweise von Hermann Spiess zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um die Front- und Rückansicht eines TFH-Gerätes Typ ETI 21, ein Einkanalgerät mit 20 Watt Sendeleistung. Das Gerät ist 19 Zoll, also rund 48 cm breit. Um 1978 lanciert die Firma BBC die TFH-Gerätefamilie ETI, welche in der Schweiz entwickelt und hergestellt wird. Bei der Elektronik kommen zum ersten Mal integrierte Schaltkreise im grossen Stil zum Einsatz, wodurch die Geräte auf den neusten Stand der Technik gebracht sind. Üblicherweise werden die Geräte in einen mannshohen Schrank aus Stahlblech eingebaut.

    Eine sogenannte Ankopplung, bestehend aus den drei Komponenten Sperre, Kondensator und Filter, verbindet Sender und Empfänger des TFH-Gerätes mit einer Hoch- oder Mittelspannungsleitung.

    Die unten abgebildeten Geräte und Komponenten sind im «Museum» von Hitachi ABB Power Grids in Baden (Schweiz) ausgestellt. In der linken Bildhälfte sind verschiedene TFH-Geräte der ETI-Familie zu sehen. In der rechten Bildhälfte sind die drei Komponenten für eine Mittelspannungs-Ankopplung übereinander angeordnet. Für Hochspannungsleitungen sind die Abmessungen von Sperre und Kondensator um Faktoren grösser.

    Nun, da Stromnetz, Umspannwerk und TFH-Gerät erklärt sind, möchte ich das Projekt kurz vorstellen. BBC hat vom irakischen Stromnetzbetreiber, einem Staatsbetrieb, den Auftrag erhalten, eine Erweiterung des bestehenden betriebseigenen Telekommunikationssystems auf Hochspannungsleitungen zu liefern, zu installieren und in Betrieb zu nehmen. Das Projekt heisst «Nordirak», und wie der Name erahnen lässt, erstreckt sich die geografische Ausdehnung des Projektes über den gesamten Nordirak, ein Gebiet, das etwa fünfmal grösser ist als die Schweiz. Die Umspannwerke, in denen wir zu tun haben, liegen meist am Stadtrand von grossen Städten wie Mosul, Erbil, Kirkuk, Sulaimaniya und Bagdad oder in der Nähe von grösseren Orten, die zwischen diesen Städten liegen.

    Ein Team von knapp zwanzig Fachkräften aus der Schweiz arbeitet im Irak an diesem Projekt. Abgesehen von zwei älteren Herren sind alle unter dreissig Jahre alt. Zu Projektbeginn kommen vorerst nur die Monteure zum Einsatz. Sie installieren und verkabeln die verschiedenen Komponenten. Wenn die Montagephase abgeschlossen ist, kommen wir Inbetriebsetzer zum Einsatz, um das gesamte Kommunikationssystem schrittweise in Betrieb zu nehmen. Beim Nordirak-Projekt arbeiten vier Inbetriebsetzer in Zweierteams. Bei dieser Arbeitsmethode befindet sich an jedem Ende einer Hochspannungsleitung, auf der ein TFH-Gerät in Betrieb zu nehmen ist, je ein Inbetriebsetzer. Bei Leitungslängen von vierzig bis zweihundert Kilometern kann man jedoch selten mit dem Kollegen Kaffeepause machen.

    Mein Arbeitspartner ist meist Michel, der ja, wie schon erwähnt, auch mein Mentor ist. Das zweite Inbetriebsetzerteam besteht aus Werni und Willi. Werni ist zwei Jahre jünger als ich, hat aber bereits Erfahrung als Inbetriebsetzer. Willi ist mit schätzungsweise fünfundvierzig Jahren der älteste unter uns Inbetriebsetzern. Er wird nach abgeschlossener Inbetriebnahme während mindestens einem Jahr im Irak bleiben, um bis zum Garantieende für einen reibungslosen Betrieb des gesamten Systems zu sorgen und während dieser Zeit auch unerledigte Punkte der Mängelliste abarbeiten. Willi ist die Ruhe selbst und geht alles recht gemächlich an. Nichts kann ihn davon abhalten, täglich ein paar Gläser Whiskey zu trinken. Seine Lieblingsmarke ist «Four Roses», ein Bourbon. Willi war lange in Mexiko tätig, was wohl der Grund ist, dass er von feurigen Mexikanerinnen mit grünen Augen schwärmt. Für Inbetriebsetzer ist es nicht einfach, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, und es erstaunt deshalb nicht, dass die Scheidungsrate überdurchschnittlich hoch ist. In Willis Situation kommt zudem erschwerend hinzu, dass seine Frau praktisch auf der anderen Seite des Erdballs, nämlich im mehr als 12’000 Kilometer von Bagdad entfernten kalifornischen Death Valley wohnt. Ob sie auch grüne Augen hat, weiss ich nicht.

    Eine sehr wichtige Person ist Hans, der Baustellenleiter, der schätzungsweise so um die 45 Jahre alt ist. Er steht täglich in Kontakt mit den Projektverantwortlichen des Kunden und kümmert sich um Transporte, Fahrzeuge, Visaverlängerungen, Bewilligungen aller Art, Flugtickets etc. Hans ist unser Boss, während wir im Irak stationiert sind, und von ihm kriegen wir unser «Sackgeld», das sogenannte «Deplacement». Es handelt sich dabei um einen fixen Tagessatz in Lokalwährung, der unsere Auslagen für Kost und Logis deckt. Geht man damit nicht allzu verschwenderisch um, kann durchaus etwas auf die hohe Kante gelegt werden. Hans sagt, er brauche nur vier Stunden Schlaf pro Nacht. Er behauptet, dass er die halbe Nacht Romane lese, um sich die Langeweile zu vertreiben. Hans gehört auch zum «Club der Nigeria-Geschädigten». Wenn er über Geld spricht, sagt er oft «Naira», wie die nigerianische Währung heisst, statt «Dinar». Er erzählt uns auch haarsträubende «Nigeriageschichten» wie zum Beispiel von der «Necklace». «Necklace» bedeutet ja «Halskette», aber in diesem Fall hat es mit Schmuck rein nichts zu tun, sondern es handelt sich um eine äusserst grausame Form von Lynchjustiz, bei der ein aufgebrachter Mob einem vermeintlichen Straftäter einen Autoreifen überstülpt und dann anzündet. Ob das wirklich stimmt?

    Der Baustellenleiter hat zu Projektbeginn zwei PS-starke Fahrzeuge gekauft: einen «Dodge Ramcharger» mit V8-Motor und Allradantrieb und einen «GMC Sierra» mit Doppelkabine und offener Ladefläche. Diese beiden amerikanischen Monster werden aber vorerst ausschliesslich von den Monteuren gefahren. Da die Inbetriebsetzer unabhängig mobil sein müssen, wird für jeden ein japanischer Personenwagen gemietet.

    Hans, der Baustellenleiter, hat für die Projektmitarbeiter zwei schlichte Wohnhäuser gemietet. Das eine steht im Zentrum der Hauptstadt Bagdad, das andere befindet sich unweit von Kirkuk und somit ungefähr in der Mitte unseres Projektgebietes. Es ist angenehm, zwischen den Aufenthalten in Hotels immer wieder mal in einem der Stützpunkte wohnen zu können.

    Bewährungsprobe

    Es ist vorgesehen, dass Michel und ich vor allem im nördlichen Projektgebiet, insbesondere auch in Kurdistan, eingesetzt werden und Willi und Werni eher im südlichen Gebiet. Nach wenigen Tagen im Haus in Bagdad, das wir mit drei anderen Typen teilen, brechen Michel und ich Richtung Norden auf. Unterwegs will Michel zuerst einmal zwei Klapptische kaufen, worauf wir unsere Messinstrumente stellen können. Wie schon gesagt, Michel reist immer mit Stil, und dazu gehört offensichtlich ein portabler Arbeitstisch. Nun, die Iraker machen selten Campingurlaub, und wir müssen lange suchen, bis wir geeignete Klapptische finden.

    Nachdem mir mein Mentor gezeigt hat, wie ich bei den Inbetriebsetzungsarbeiten auf den Umspann- und Kraftwerken vorgehen muss und worauf besonders zu achten ist, fahre ich meist alleine zu den Arbeitsorten, die oft hundert Kilometer oder noch weiter von der Unterkunft entfernt liegen. Die Arbeit macht mir echt Spass, ich kann vieles selbst entscheiden, aber ich bin völlig auf mich allein gestellt und trage auch entsprechend viel Verantwortung. Auf der Baustelle wechsle ich immer zuerst ein paar Worte mit dem diensthabenden technischen Betriebsführer, der mir üblicherweise zur Begrüssung eine Tasse extrem gesüssten Tee offeriert. Die Gastfreundschaft der Araber ist ja legendär. Nachdem Batterie, Ladegerät und andere Installationen kontrolliert sind, kann das TFH-Gerät einem ersten Funktionstest unterzogen werden. Wenn alles in Ordnung ist und der Kollege am andern Ende der Hochspannungsleitung sein TFH-Gerät soweit auch vorbereitet hat, kann bereits mit Hilfe des sogenannten Servicetelefons eine Sprechverbindung hergestellt werden. Anschliessend werden die Geräte optimal eingestellt und mit der Telefonzentrale sowie anderen Systemen verbunden und getestet. Die technischen Betriebsführer freuen sich wie kleine Kinder an Weihnachten, wenn sie mit einem Umspannwerk telefonieren können, das vorher für sie nicht erreichbar war. Dann tratschen sie endlos mit dem neuen Kollegen, was uns Inbetriebsetzer manchmal bei unseren Abschlussarbeiten behindert.

    Ich muss mich auch in den lebensgefährlichen Hochspannungsbereich der Umspannwerke begeben, da einige der Apparaturen, die ich in Betrieb nehme, dort montiert sind. Ich bin sehr beeindruckt, als ich zum ersten Mal eine 400kV-Freiluft-Hochspannungsschaltanlage betrete, die unter Spannung steht, das heisst eingeschaltet ist. Es knistert im wahrsten Sinne des Wortes, denn es kommt permanent zu elektrischen Entladungen, die gut hörbar sind. Zudem manifestiert sich die Präsenz eines starken elektrischen Feldes auch dadurch, dass sich Haare auf Kopf und nackten Armen aufrichten. Es ist fast ein wenig unheimlich, und unweigerlich macht sich ein leicht mulmiges Gefühl breit. Möglichst nichts anfassen!

    Während längerer Zeit wohnen Michel und ich im gemieteten Haus ausserhalb von Kirkuk. Diese Stadt liegt etwas südlich des Territoriums von Kurdistan, hat über zweihunderttausend Einwohner und wird sowohl von Kurden als auch von Turkmenen und Arabern bewohnt. Vor den Toren der Stadt liegt eines der bedeutendsten Erdölvorkommen des Irak. Wenn wir von unserem Haus ins Stadtzentrum fahren, das dauert rund zwanzig Minuten, kommen wir an Ölförderungsanlagen und einer Raffinerie vorbei. Das ist nachts besonders eindrucksvoll, weil dann die riesigen Flammen, die aus hohen Kaminen schiessen, meilenweit sichtbar sind. Auf diese Weise wird Gas abgefackelt, das offenbar sonst keine Verwendung findet. Unser Haus ist einstöckig, hat ein wenig Umschwung und sogar, was hier wirklich selten ist, eine kleine Rasenfläche. Nachbarhäuser gibt es

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