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Die Covid-Prophezeihungen: Autopsie eines angekündigten Systemzusammenbruchs und Plädoyer für ein radikales (Um-)Denken zur Überwindung von Komplexitätsvergessenheit
Die Covid-Prophezeihungen: Autopsie eines angekündigten Systemzusammenbruchs und Plädoyer für ein radikales (Um-)Denken zur Überwindung von Komplexitätsvergessenheit
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eBook346 Seiten3 Stunden

Die Covid-Prophezeihungen: Autopsie eines angekündigten Systemzusammenbruchs und Plädoyer für ein radikales (Um-)Denken zur Überwindung von Komplexitätsvergessenheit

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Über dieses E-Book

Diesem Buch liegt die These zugrunde, dass es sich bei der Covid-19-Katastrophe um ein beispielloses Systemversagen, konkret: eine fundamentale Krise des Denkens und damit einhergehend um ein völlig unzureichendes Verständnis bezüglich des Phänomens der Komplexität handelt, was sich schon vor der Katastrophe längst angedeutet hat. Aufmerksame Denker unterschiedlicher Disziplinen, allen voran der französische Philosoph Jean Baudrillard, haben schon Jahrzehnte vor der Corona-Katastrophe auf eine "Pathologie des Denkens" in postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaften hingewiesen und vor den damit verbundenen Gefahren eindrücklich gewarnt. Bedauerlicherweise sind sie im Lärm und der Partylaune einer dem Digitalisierungswahn anheimgefallenen Gesellschaft sowie der dadurch ausgelösten Drift in die "Hyperrealität" völlig untergegangen. Ihnen soll zur Erinnerung das Wort gebühren, um zu zeigen, dass es sich bei der Covid-Pandemie um eine "Bedeutungsepidemie" handelt, die - wie kaum eine andere Krise zuvor - für uns alle eine geradezu leibhaftig erfahrbare, insofern dramatische Botschaft bereithält: dass wir im Umgang mit den anstehenden Mega-Herausforderungen nur mithilfe eines radikalen (Um-)Denkens werden bestehen können.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Sept. 2020
ISBN9783347068049
Die Covid-Prophezeihungen: Autopsie eines angekündigten Systemzusammenbruchs und Plädoyer für ein radikales (Um-)Denken zur Überwindung von Komplexitätsvergessenheit

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    Buchvorschau

    Die Covid-Prophezeihungen - Manfred Pollanz

    1. Die Covid-Prophezeihungen oder – Ein (fast) perfektes Verbrechen: Wenn eine simulierte Coronavirus-Pandemie zur bitteren Realität wird…

    „Ein mühseliger und strapazierender Unsinn ist es, dicke Bücher zu verfassen; auf fünfhundert Seiten einen Gedanken auszuwalzen, dessen vollkommen ausreichende mündliche Darlegung wenige Minuten beansprucht. Ein besseres Verfahren ist es, so zu tun, als gäbe es diese Bücher bereits, und ein Résumé, einen Kommentar vorzulegen. "

    (Jorge Luis Borges, Vorwort zu Fiktionen)

    Wir wollen uns daher nicht einreihen in die unüberschaubare Flut an Kommentaren, Analysen und Narrativen zur Corona-Krise, die schon im Moment des Schreibens, ja genau genommen schon im Zeitpunkt des Artikulierens der zur Niederschrift anstehenden Gedanken von der ungeheuerlichen Dynamik des Geschehens überholt sind.

    Und, wir brauchen nicht einmal dem Verfahren des großartigen argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges folgen, also so zu tun, als ob es diese Beschreibungen schon längst gäbe. Es gab sie tatsächlich schon längst, z.B. in Gestalt des Berichts zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 mit dem die Bundesregierung am 03.01.2013 den Deutschen Bundestag unterrichtete:

    "Das vorliegende Szenario beschreibt ein außergewöhnliches Seuchengeschehen, das auf der Verbreitung eines neuartigen Virus basiert. Dem Szenario ist der zwar hypothetische Erreger Modi-SARS zu Grunde gelegt (…) und der sehr eng an das SARS-Virus angelehnt ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Erreger mit neuartigen Eigenschaften, die ein schwerwiegendes Seuchenereignis auslösen, plötzlich auftreten können (z.B. SARS-Coronavirus [CoV], H5N1-Influenzavirus (…). Ein aktuelles Beispiel für einen neu auftretenden Erreger ist ein Coronavirus („novel Coronavirus"), welches nicht eng mit SARS-CoV verwandt ist. Dieses Virus wurde seit Sommer 2012 bei sechs Patienten nachgewiesen, von denen zwei verstorben sind.¹,¹

    Beschreibung des Ereignisses:

    Das hypothetische Modi-SARS-Virus ist mit dem natürlichen SARS-CoV in fast allen Eigenschaften identisch. Die Inkubationszeit (…) beträgt meist drei bis fünf Tage, kann sich aber in einem Zeitraum von zwei bis 14 Tagen bewegen. Fast alle Infizierten erkranken auch. Die Symptome sind Fieber und trockener Husten (…). Die Letalität (Anteil der Erkrankten, die als Folge der Infektion sterben) ist mit 10% der Erkrankten hoch, jedoch in verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Kinder und Jugendliche haben in der Regel leichtere Krankheitsverläufe mit Letalität von rund 1%, während die Letalität bei über 65-Jährigen bei 50% liegt. Die Dauer der Erkrankung unterscheidet sich ebenfalls in Abhängigkeit vom Alter der Patienten; jüngere Patienten haben die Infektion oft schon nach einer Woche überwunden, während schwerer erkrankte, ältere Patienten rund drei Wochen im Krankenhaus versorgt werden müssen, auch Behandlungsbedarf von bis zu 60 Tagen wurde für SARS-CoV beschrieben (…) Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über Tröpfcheninfektion, da das Virus aber auf unbelebten Oberflächen einige Tage infektiös bleiben kann, ist auch eine Schmierinfektion möglich. Mit Auftreten der ersten Symptome sind die infizierten Personen ansteckend. Dies ist der einzige Unterschied in der Übertragbarkeit zwischen dem hypothetischen Modi-SARS und dem SARS-CoV – der natürlich vorkommende Erreger kann erst von Mensch zu Mensch übertragen werden, wenn eine Person bereits deutliche Krankheitssymptome zeigt. Zur Behandlung stehen keine Medikamente zur Verfügung (…). Ein Impfstoff steht ebenfalls für die ersten drei Jahre nicht zur Verfügung. Neben Einhaltung von Hygienemaßnahmen können Schutzmaßnahmen in dem Sinne also ausschließlich durch Absonderung Erkrankter bzw. Ansteckungsverdächtiger, sowie den Einsatz von Schutzausrüstung wie Schutzmasken, Schutzbrillen und Handschuhen getroffen werden. Absonderung, Isolierung und Quarantäne sind aber nur von begrenzter Wirksamkeit, da schon bei Beginn der Symptomatik einer sehr ausgeprägte Infektiösität besteht. Die Infektionskrankheit breitet sich sporadisch und in Clustern aus. Eine Übertragung findet insbesondere über Haushaltskontakte und im Krankenhausumfeld, aber auch in öffentlichen Transportmitteln, am Arbeitsplatz und in der Freizeit statt. ²

    Wo passiert das Ereignis?/Welches Gebiet ist durch das Ereignis betroffen?

    "Das Ereignis tritt global auf (hauptsächlich Asien, Nordamerika, Europa). (…) bei einem natürlichen „echten" Ausbruchsgeschehen wäre mit geografischen Unterschieden zu rechnen, deren Komplexität hier nicht abgebildet werden kann. "³

    Warum hat man bei der Modi-SARS-Simulation einen SARS- ähnlichen Virus zugrunde gelegt?

    "Die Wahl eines SARS-ähnlichen Virus begründet sich auch damit, dass die natürliche Variante 2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an seine Grenzen gebracht hat. "⁴

    Wann passiert das Ereignis?

    "Das Ereignis beginnt im Februar in Asien, wird dort allerdings erst einige Wochen später in seiner Dimension/Bedeutung erkannt. "⁵

    Welche Geschehnisse führen zu diesem Ereignis?/Wodurch wird das Ereignis ausgelöst?

    "Der Erreger stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde. Da die Tiere selbst nicht erkranken, war nicht erkennbar, dass eine Infektionsgefahr bestand. "⁶

    Im weiteren Verlauf der Pandemie-Simulation wird bis ins Detail und mit zum Teil kaum fassbarer Übereinstimmung die gegenwärtige Situation quasi vorweggenommen. Allein die Mortalitätsrate, die mit 10% angenommen wurde, hat sich bislang glücklicherweise als zu hoch herausgestellt.

    Als vorläufiges Résumé können wir daher festhalten:

    Die Covid-19-Pandemie hat also schon längst stattgefunden (perfectum), als Simulation in der Theorie.

    Dass man es zuließ, dass sie nun zur bitteren Realität wurde, ist ein Verbrechen. Nicht irgendein Verbrechen, sondern das perfekte Verbrechen. Die Perfektion des Verbrechens liegt darin, dass wir alle zugleich Täter und Opfer sind. Natürlich ist das perfekte Verbrechen nicht wirklich perfekt, denn dann ließe es sich ja nicht rekonstruieren. Doch dafür ist es umso verbrecherischer:

    Es geht um nichts weniger als um die Ermordung der Realität so far, um Tod und Schicksal vieler Menschen, die der Pandemie und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen zum Opfer fallen.

    2. Covid-Pandemie und Shutdown verursachen ein Übermaß an Realität: Der Baudrillard-Moment

    Das Gewisse der Maske, ihre Deutlichkeit, ist von Ungewissem geladen"

    (Elias Canetti, Die Befristeten)

    Ein Opfer wie die Realität stirbt nicht von einem Tag auf den anderen.

    Schon in den 1970er Jahren hat der französische Philosoph, Soziologe und radikale Denker Jean Baudrillard den Todeskampf des Realen beschrieben und warnend das Dämmern der Epoche der Simulation beschworen, den Eintritt in eine Hyperrealität, in der sich virtuelle und reale Wirklichkeit untrennbar miteinander vermischen, von Adrian Lobe vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie wie folgt beschrieben:

    "Auch heute erreichen uns die Ereignisse des Pandemiegeschehens über Computermodelle und Simulationen, wobei man gar nicht weiß, was sich in einer globalen Gesellschaft schneller verbreitet: das Virus oder die (Des-)Information darüber. Alles rast, und doch steht alles still – das ist das Gefühl, das einen dieser Tage beschlich. Die Paradoxie, auf die Baudrillard hinweist, ist jene, dass gerade die moderne Gesellschaft wegen der Mobilität und Beschleunigung in ihrem Innersten, in ihren Zielbestimmungen immobil geworden (ist)– sie dreht sich immer schneller um die eigene Achse, verliert aber in einem Anfall von kollektivem Schwindel die eigenen Ziele aus den Augen. "⁷

    Es bedurfte erst einer beispiellosen Pandemie, um das wahre Ausmaß des Verbrechens, der Ermordung der Realität, vollends deutlich werden zu lassen. Mit dem Shutdown erfolgt die Ablösung der bisherigen Realität ("Realität so far) durch eine für uns alle völlig neue Realität (Realität from now on").

    Die Corona-Pandemie wird so zum Baudrillard-Moment: Simulation und Wirklichkeit fallen zusammen. Wir erleben eine Verwüstung des Realen, eine völlig irreal anmutende Wirklichkeit, in der mit einem Schlag nichts mehr so ist wie zuvor. Doch bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass wir in Wirklichkeit mit einem Übermaß an Realität konfrontiert sind, wie Baudrillard bereits vor Jahrzehnten hellseherisch diagnostiziert hat:

    "Wir leben in der Illusion, das Reale sei es, was uns am meisten fehlt; doch im Gegenteil: die Realität hat ihren Gipfel erreicht. Vor lauter technischer Performanz haben wir einen solchen Grad an Realität erreicht, daß man sogar von einem Übermaß an Realität sprechen kann, das uns weitaus verängstigter und verwirrter zurückläßt als der Mangel an Realität, den wir wenigstens durch Utopie und Phantasiewelten kompensieren konnten. Zum Übermaß an Realität dagegen gibt es weder Kompensation noch Alternative. Negation, Überschreitung sind nicht mehr möglich, denn wir befinden uns schon jenseits. Keine negative Energie aus der Kluft zwischen dem Idealen und dem Realen mehr – nur eine Überreaktion aufgrund der Unterkühlung des Idealen und des Realen, aufgrund der totalen Positivität des Realen. "⁸

    Ein Übermaß an technischer Performanz hat uns ein Übermaß an Realität beschert und so blieb als Antwort auf die zunehmende Steigerung der Realität durch die Covid-19-Pandemie letztlich nur die Überreaktion des Shutdowns als Ausweg übrig – die Ermordung der Realität.

    Im vorliegenden Band geht es um den Versuch einer institutionellen Autopsie am Leichnam der Realität so far. Wir sind der Auffassung, dass eine Autopsie im medizinischen Sinne den Kern unserer Intuition auf den Punkt bringen kann:

    Eine situationsbedingte Analyse eines komplexen Systems unter Stress, um dessen innere Logik und seine strukturellen Schwächen deutlich werden zu lassen. Eine institutionelle Autopsie beruht auf der Überlegung, dass das hochdynamische und wechselseitige Zusammenspiel zwischen Institutionen und individuellen und kollektiven Handlungen in Zeiten der Normalität für eine rein analytische Vorgehensweise zu komplex erscheint. Insofern nutzen wir den Shutdown als Zusammenbruch eines Gesamtsystems bzw. seiner Subsysteme und sehen darin eine Möglichkeit, das komplexe Set an institutionellen Arrangements einer postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaft und dessen Verwundbarkeit/Anfälligkeit für außergewöhnliche Krisen (Katastrophen) zu sezieren und so sichtbar zu machen.

    Unserer Untersuchung liegt die Vermutung zugrunde, dass es sich bei der Covid-19-Katastrophe um ein beispielloses Systemversagen, konkret: eine fundamentale Krise des Denkens und damit einhergehend um ein völlig unzureichendes Verständnis bezüglich komplexer Probleme handelt, was sich schon lange vor der Katastrophe andeutete, aber durch das aktuelle Geschehen nun vollends zum Vorschein kommt, ja regelrecht greifbar wird, wie die Ausführungen des Philosophen Markus Gabriel in einem Interview mit der NZZ zeigen:

    "Bald laufen alle Menschen mit Masken herum, aber in Wahrheit erleben wir die grosse Demaskierung: Alle Behauptungen, Berechnungen, Manöver, Dynamiken, Abläufe sind in der Krise sichtbar geworden. Dafür brauchte es den sozusagen unsichtbaren Hauch eines Virus, das wie ein Gespenst herumspukt und uns im Wahn technokratischer Unverwundbarkeit unerwartet getroffen hat. "⁹

    Der vorliegende Band gliedert sich in zwei Teile: einer Beschreibung der Autopsie und Pathologie des Denkens so far mit entsprechenden Befunden und einer hypothetischen Antizipation der Realität from now on mit entsprechenden Thesen (Therapieansätze).

    Doch beginnen wollen wir mit dem Shutdown, einem vorher nie dagewesenen abrupten und völligen Stillstand von Öffentlichkeit.

    3. Shutdown oder: The Machine Stops

    „Der Wahnsinn, dem wir alle verfallen waren, wurde endlich unterbrochen"

    (Leila Shïmani, frz. Schriftstellerin)

    "Eine peinigende Vorstellung: daß von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Geschichte nicht mehr wirklich war"

    (Elias Canetti, Die Provinz des Menschen)

    Man mag es kaum glauben, aber auch der Shutdown wurde schon längst beschrieben, und zwar vor mehr als 100 Jahren (!), konkret im Jahr 1909, als Science-Fiction-Kurzgeschichte mit dem Originaltitel The Machine stops, verfasst von E.M. Forster, deren Inhalt wir kurz wiedergeben wollen:¹⁰

    Die meisten Menschen sind nicht mehr in der Lage, auf der Oberfläche der Erde zu leben. Jedes Individuum lebt unterirdisch in Isolation in einem standardisierten Raum, der alle körperlichen und spirituellen Bedürfnisse durch eine omnipotente, globale Maschine befriedigt. Reisen sind erlaubt, aber unpopulär und selten nötig. Kommuniziert wird über eine Skype-ähnliche Technologie, über die die Menschen ihre einzige Tätigkeit abwickeln: den Austausch (sharing) von Ideen und dem, was als Wissen (knowledge) gilt.

    Die beiden Protagonisten, Vashti und ihr Sohn Kuno, leben an entgegengesetzten Enden der Welt. Vashti ist zufrieden mit ihrem Leben, das wie das der meisten Menschen darin besteht, endlos Ideen aus zweiter Hand zu entwickeln und zu diskutieren. Kuno hingegen ist ein Rebell und sinnesorientiert. Er überredet die zögernde Vashti, die mit unwillkommener persönlicher Interaktion verbundene Reise zu seinem Raum auf sich zu nehmen. Dort erzählt er ihr von seiner Ernüchterung mit der mechanisierten, keimfreien Welt. (…) Während die Zeit vergeht kommt es zu zwei wichtigen Entwicklungen. Die Atemmasken, die Besuche der äußeren Welt ermöglichen, werden nicht mehr bereitgestellt. Die meisten begrüßen dies, weil sie skeptisch und ängstlich gegenüber Erfahrungen aus erster Hand und jenen sind, die diese Erfahrungen suchen.

    Zum zweiten nimmt die Maschine einen göttlichen Status ein und wird verehrt. Die Menschen vergessen, dass die Maschine menschengemacht ist, und behandeln sie als mythische Entität, deren Bedürfnisse ihre eigenen verdrängen. Wer die Göttlichkeit der Maschine bestreitet, gilt als „unmaschinell" und wird mit Heimatlosigkeit bestraft. Der Korrekturapparat, der die Maschine wartet, versagt, aber Besorgnis darüber wird von der Hand gewiesen, da die Maschine als omnipotent gilt.

    Kuno wird in einen Raum in Vashtis Nähe verlegt und glaubt, dass die Maschine zu versagen beginnt. Kryptisch teilt er ihr mit: „Nicht mehr lange, und die MASCHINE steht still."

    Vashti lebt ihr Leben weiter, aber Defekte machen sich bemerkbar. Zunächst nehmen die Menschen den Verfall als Marotte der Maschine hin, der sie nun vollständig unterwürfig und dienstbar sind, doch die Verschlimmerung schreitet voran, da das Wissen um die Reparatur der Maschine verloren gegangen ist.

    Am Ende kollabiert die Maschine apokalyptisch und reißt die Zivilisation mit sich. Kuno gelangt in Vashtis zerstörten Raum, und bevor sie hinscheiden, erkennen sie, dass die Verbindung des Menschen zum wirklichen Leben das ist, was wahrlich von Bedeutung ist. Nur die verbliebenen Oberflächen-Menschen können die Menschheit wiedererstehen lassen und eine Wiederholung des Irrtums der Maschine verhindern.

    In der F.A.Z. vom 27. Mai 2020 berichtet Thomas Thiel über einen Shutdown der Rechensysteme:

    Als systemrelevant gelten, je nach Kontext, nicht nur Supermärkte und große Banken, sondern auch Supercomputer. Ohne deren Rechenleistungen läuft heute in zentralen Bereichen der Forschung nicht mehr viel. Man stelle sich also vor, die leistungsfähigsten Forschungsrechner in Deutschland wären außer Betrieb. Genau das ist geschehen. Vor zwei Wochen wurden die drei größten deutschen Rechner, der Hawk in Stuttgart, der Supermuc in Garching und der Juwels in Jülich von einem Hackerangriff komplett lahmgelegt. Weitere Angriffe trafen Hochleistungsrechner an den Universitäten in Dresden, Karlsruhe und Freiburg, die seither ebenfalls „down sind. (…) So hat die Wissenschaft mit zwei Arten von Viren zu kämpfen. Während Digitalisierung im einen Fall als Lösung präsentiert wird, ist sie im anderen Fall die Achillesferse."

    4. Autopsie und Pathologie des Denkens so far – Anamnese und Befunde

    „Versuchen wir doch, uns ein wenig diesen ganzen Lärm aus dem Hirn zu spülen "

    (Jacques Lacan, Die Ethik der Psychoanalyse)

    „Erarbeitet euch stattdessen, was ich denke, was Enicharmon dachte, was Urizen dachte, was Gutsch dachte, was HoYang dachte, was ChiBo-Sing dachte, was Lafcadio Hearn dachte, was Carlyle, dachte, was Mirabeau über die Französische Revolution gesagt hat"

    (E.M. Forster, Die Maschine steht still)

    Bei unserer Autopsie des Denkens so far werden wir uns einer Reihe von aufmerksamen Denkern unterschiedlicher Disziplinen quasi als Pathologen bedienen, die schon lange vor der Corona-Katastrophe auf die Pathologie des Denkens in postmodernen techno-kapitalistischen Gesellschaften hingewiesen und vor den damit verbundenen Gefahren eindrücklich gewarnt haben. Bedauerlicherweise sind sie im Lärm einer dem Digitalisierungswahn anheimgefallenen Gesellschaft so far und einer dadurch ausgelösten Drift in die Hyperrealität völlig untergegangen. Aber ihre Laborbefunde sind allesamt dokumentiert, wie wir nachfolgend sehen werden.

    Befund Nr. 1: Die Covid-Pandemie als Bedeutungsepidemie: Viralität als zwangsläufige und natürliche Folge einer Hoch-Entropie-Kultur: Die Rifkin-Prophezeiung

    „It is an epidemic of meanings"

    (Paula A. Treichler, How to have Theory in an Epidemic)

    „…wir müssen es im Kopf behalten, dass überintegrierte Systeme ihren eigenen Untergang erzeugen und Viren sind ein Mittel dazu"

    (Jean Baudrillard, Virustheorie)

    This is a dramatic shortcoming of our education system, as without some understanding of what entropy means it is essentially impossible to comprehend what is going on in the environment… "

    (Guy Deutscher, The Entropy Crisis)

    Wenn wir fortfahren, die Wahrheit des Entropiegesetzes zu ignorieren und die Rolle, die es für die Festlegung des allgemeinen Kontextes, in dem sich unsere physische Welt entfaltet, spielt, werden wir das nur unter dem Risiko unserer eigenen Auslöschung tun können"

    (Jeremy Rifkin, Entropie. Ein neues Weltbild)

    Covid-19 ist nicht nur (Über-)Träger einer potenziell lebensgefährlichen Virusinfektion, sondern auch Träger von Information. Das Auftreten eines neuartigen Erregers, nicht vorhandene Impfstoffe und die damit auftretenden multiplen, für unsere Generation größtenteils neuartigen Folgeprobleme, stellen insofern einen informationellen Super-GAU dar. Wer die Covid-Pandemie lediglich als globale Gesundheitskrise wahrnimmt und die Lösung des Problems ausschließlich in der Entwicklung eines Impfstoffes sieht, springt zu kurz, wie wir im Folgenden zeigen wollen.

    In einem Gespräch mit Julia Emcke äußert der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl folgende, in der F.A.S. vom 26. April 2020 wiedergegebene These:

    "Es fehlt das Eingeständnis, dass sich die gegenwärtige Situation nicht auf eine Generalformel bringen lässt."¹¹

    Unseres Erachtens scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein:

    Es fehlt die Einsicht, dass sich die gegenwärtige Situation sehr wohl auf eine Generalformel bringen lässt, namentlich im thermodynamischen Phänomen der Entropie.

    In seinem Buch Entropie. Ein neues Weltbild aus dem Jahr 1982 erläutert Jeremy Rifkin dieses universale Naturprinzip wie folgt:

    Das Entropiegesetz wird als führendes Paradigma über den nächsten Abschnitt unserer Geschichte bestimmen. Albert Einstein bezeichnete es als das Hauptgesetz der gesamten Wissenschaft; Sir Arthur Eddington hielt es für das oberste metaphysische Gesetz des gesamten Universums. Das Entropiegesetz ist gleich dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Der Erste Hauptsatz besagt, daß der Betrag der gesamten Materie und Energie des Universums konstant ist und daß ihm weder etwas hinzugefügt noch genommen werden kann. Nur die Erscheinungsform kann sich ändern, nicht aber die Essenz. Der Zweite Hauptsatz stellt fest, daß Materie und Energie nur in eine Richtung verändert werden können, nämlich von einer nutzbaren Form in eine nichtnutzbare, von einer verfügbaren in eine nichtverfügbare, von einer geordneten in eine ungeordnete. (…) Wann und wo immer auf der Erde oder im Universum eine geordnete Struktur geschaffen wird, geschieht dies nach dem Entropiegesetz auf Kosten einer größeren Unordnung in der jeweiligen Umgebung.¹²

    Stark vereinfacht könnte man sagen, dass Unordnung wesentlich wahrscheinlicher ist als Ordnung, was mit unserer täglichen Erfahrung auch tatsächlich übereinstimmt: Wenn wir nämlich die Dinge sich selbst überlassen, machen sie keine Anstalten, sich zu geordneten Strukturen zu formieren – im Gegenteil – wenn wir nicht mittels Organisation, soll heißen: Einsatz von Energie, eingreifen und wieder Ordnung schaffen, nimmt die Unordnung immer weiter zu.

    Wie Rifkin bereits vor 40 Jahren in drastischen Worten vorweggenommen hat, haben wir statt einer geordneten Welt, in Wirklichkeit eine Hoch-Entropie-Kultur geschaffen, die das Ausmaß an Unordnung und Anfälligkeit für Schocks und Katastrophen immer deutlicher zum Vorschein bringt und es immer schwieriger werden lässt, Ordnung aufrechtzuerhalten, und teurer, Ordnung durch intelligente Re-Organisation weiterzuentwickeln:

    "In einer hochentropischen Kultur ist alles darauf ausgerichtet, einen hohen Energiezufluß zu erhalten und auszubauen, er allein dazu dient, materiellen Überfluß zu schaffen. (…) Wir haben »Realität« auf das reduziert, was man messen, quantifizieren und testen kann. Wir verleugnen Qualität, Geist und Metaphysisches. Wir sind in einen Dualismus verfallen, der unseren Geist vom Körper, unseren Körper von der uns »umgebenden« Welt trennt. Wir haben materiellen Fortschritt, Effizienz und Spezialisierung über alle anderen Werte gestellt. Dabei haben wir die Familie zerstört, die Gemeinschaft, die Tradition. Alle moralischen Zielsetzungen haben wir vernachlässigt, abgesehen von unserem unerschütterlichen Glauben an unsere Allmacht und unseren Anspruch, auf dieser Erde unbegrenzt das zu tun, was uns vorteilhaft erscheint. Jetzt fallen unser Weltbild und unser Sozialsystem genau dem Prozeß zum Opfer, der zu ihrer Entstehung führte. Wohin wir auch blicken, die Entropie unserer Welt nimmt erschütternde Ausmaße an. Inmitten dieses wachsenden Chaos kämpfen wir nur noch um unsere Selbsterhaltung. "¹³

    Auch wenn es die meisten Zeitgenossen nicht wahrhaben wollen, weil sie sich schon viel zu sehr an die Annehmlichkeiten technologischen Fortschritts gewöhnt haben: Technologiekonzerne wie Microsoft, Google, Facebook, Amazon usw. haben in nur wenigen Jahren eine dramatische Zunahme von Ordnung in die Welt gebracht, aber gleichzeitig auch eine noch dramatischere Erhöhung der Unordnung unserer Umgebung bewirkt, die schon vor der Corona-Pandemie allenthalben sichtbar geworden ist. Am deutlichsten lässt sich dies anhand des Overtourism festmachen: Ordnungs- und Buchungsmaschinen in Union mit Billigairlines degradieren Lebensräume zu sogenannten Erlebnisdestinationen, zu Party- und Konsumzonen, die in kürzester Zeit über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Strukturen nachhaltig zerstören; kurzum: sie bewirken für die Einheimischen eine unverantwortliche, unzumutbare und mutmaßlich irreversible Verunstaltung ihres Lebensmittelpunkts.

    In Ihrer Arbeit Das Virus als Medium schreibt die Kulturwissenschaftlerin Susanne Ristow:

    "Kulturen der Verunreinigung entstehen dort, wo die Gefahr der Kolonialisierung der Lebenswelt durch systemische, technische, bürokratische und ökonomische Imperative, die sich im Zuge der Komplexitätssteigerung verselbständigt haben, überhand nehmen und lebensfeindlich, also statisch werden. "¹⁴

    Für Ristow ist das Virus als Medium der Aneignung und Subversion insofern auch ein Mittel, die systembedingten Muster und Verhaltensweisen einer Gesellschaft aufzubrechen, Fehlentwicklungen sichtbar zu machen und dadurch überhaupt neue Formen kultureller Ordnung zu ermöglichen.

    Da unser Leben und Wohlbefinden elementar von Ordnung (Negentropie) anhängig ist, wird es immer schwieriger für uns aus einer ungeordneten entropischen Umgebung noch genügend Ordnung zu absorbieren. Das Leben wird dann immer anstrengender, weil unser täglicher Energieeinsatz im Umgang mit diesen Problemen immer weiter zunimmt und zudem auch noch größtenteils zerstreut wird (Dissipation). Der Entropiepreis, den wir für diese Entwicklung bezahlen müssen, wird also täglich größer. Insofern

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