Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Auf halber Strecke
Auf halber Strecke
Auf halber Strecke
eBook270 Seiten3 Stunden

Auf halber Strecke

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Jan lebt in einer Welt aus Karrieren, Marken und Besitz. Vom Erfolg verwöhnt, verpokert er sich jedoch und verliert binnen kurzer Zeit alles, das ihm wichtig war. Er ist gezwungen, in eine kleine Wohnung zu ziehen, umgeben von schrägen und schrulligen Nachbarn. Erst als er sich auf sie und seine neue Situation einlässt, beginnt er sein einfaches Leben zu genießen. Er vermutet zugleich, dass echte Zufriedenheit irgendwo zwischen beiden Welten liegt. Doch erst als er barfuß und mit seinem letzten Geld in der Tasche ein Strandcafé an der Ostsee betritt, begreift er, dass es drei Dinge sind, die zum wahren Glück führen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Mai 2017
ISBN9783743927698
Auf halber Strecke

Ähnlich wie Auf halber Strecke

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Auf halber Strecke

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Auf halber Strecke - Christoph Smak

    Für Emilian

    Auf halber Strecke

    Christoph Smak

    © 2017 Christoph Smak

    Umschlag: Mr. Right, Hamburg

    Korrektorat: Nadine Schwab

    Verlag: tredition GmbH, Hamburg

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    ›Kannst Du bitte damit aufpassen, ja?‹, fährt Jan Martina an und versucht zeitgleich, die Flasche in ihren Händen und die Straße im Auge zu behalten. ›Ich habe keinen Bock, dass das Zeug auf die Sitze kommt.‹

    Er blinkt und zwängt den Wagen in den Großstadtverkehr des Silvesterabends.

    ›Oh nein, Champagner auf meinen Ledersitzen… Dujemene…‹, äfft Martina ihn nach und verfällt in ein betrunkenes Kichern, bevor sie wieder einen kräftigen Schluck nimmt.

    Jan schaut in den Rückspiegel.

    ›Na, hast Du es Dir hinten bequem gemacht?‹

    ›Naja, ich sitze auf dem einen Sitz und meine Beine liegen auf dem anderen.‹, antwortet Martinas Freundin, ohne den Blick von ihrem Handy zu nehmen.

    ›Tja, so ein Sportwagen hat hinten leider nur Notsitze, sorry.‹

    Er streckt sich, um ihren Oberkörper im Spiegel zu sehen. Als er vorhin um die Ecke bog, hatte sie noch einen dicken Mantel an. Und nachdem sie ihn auszog, um besser nach hinten durchzurutschen, musste Jan gerade Martina helfen, sich unfallfrei ins Auto zu setzen. Nun will er einige Blicke nachholen.

    Plötzlich vernimmt er aus den Augenwinkeln das Aufleuchten roter Bremslichter, schaut zur Straße und hämmert sofort den Fuß bis zum Anschlag auf die Bremse. Der Wagen neigt sich nach vorne, als er mit einem schrillen Quietschen abrupt stehen bleibt. Jans Sicherheitsgurt blockiert, zeitgleich gibt es einen lauten Knall.

    ›Scheiße!‹, ruft er, realisiert aber schnell, dass es keinen Auffahrunfall gab. Stattdessen ist die halbvolle Flasche Martinas Händen entglitten und ist gegen die Holzverkleidung im Wageninneren geknallt.

    ›Pass doch auf!‹, schreit er und streicht mit den Fingerspitzen über die Stelle, die die Flasche getroffen haben müsste.

    ›Na super, jetzt ist alles ausgelaufen!‹

    ›Reg Dich ab, Mann.‹, sagt Martina mit nun unüberhörbar betrunkener Stimme. ›Guck lieber auf die Straße.‹

    ›Ich hab´ Dir doch gesagt, dass Du aufpassen sollst.‹, zischt er durch die Zähne und muss sich zusammenreißen, sie nicht zusätzlich zu beleidigen, als hinter ihnen gehupt wird.

    ›Ja, ja! Seid ruhig da hinten!‹, ruft er in den Rückspiegel, als er den ersten Gang einlegt und mit laut aufröhrendem Motor hart beschleunigt. Seine Atmung beruhigt sich allmählich und bald wirft er einen erneuten Blick zu Martinas Freundin. Sie legt ihre Beine wieder quer über die knappe Rückbank und starrt auf ihr Handy.

    * * *

    Die Location ist genau nach Jans Geschmack. Direkt an der Elbe in der modernen Hamburger Hafencity gelegen, dennoch ohne den üblichen Touristen-Schnickschnack. Klare Linien, Glasfassade, gehobenes Mobiliar. Er macht viele Fotos und stellt sie online. Sollen ruhig alle sehen, wie er heute feiert, denkt er. Er hat sich alles selbst erarbeitet und darf es jetzt genießen. Während des Abends trinkt und feiert er ausgelassen und beeindruckt Gesprächspartner mit der Platzierung mancher Anekdote. Dabei achtet er besonders darauf, dass seine Manschettenknöpfe aus dem Anzug herausschauen, wenn er an seinem Drink nippt. Als er um Mitternacht auf dem Steg vor dem Club steht und in den von Raketen erleuchteten Himmel starrt, kann er nicht aufhören zu grinsen. Es ist nun der erste Januar und damit sein erster offizieller Tag als Managing Director bei Murray and Chase.

    Auch wenn dieses Gefühl ihn geradezu beseelt, ist er sich sicher, dass seine Reise gerade erst anfängt. Er fragt sich, wo er wohl am nächsten Silvesterabend stehen wird, wo in fünf oder zehn Jahren. Als er sich der enormen Karrieremöglichkeiten bewusst wird, erscheint ihm der jetzige Augenblick plötzlich nichtig und unbedeutend. Erst als er sich gedanklich dazu zwingt, es im Gesamtzusammenhang zu sehen, wird das Gefühl besser. Zugleich kommt in ihm der Wunsch auf, seine Entwicklung auf irgendeine Art festzuhalten. So könnte er einerseits im Vorfeld bereits die nahenden Veränderungen genießen, andererseits rückwirkend die genommenen Hürden zelebrieren. Die Idee, seine Gedanken demnächst regelmäßig auf Video zu bannen, verursacht bei ihm zunächst eher Unbehagen. Andererseits stellt er sich vor wie es wäre, wenn er heute eine Aufnahme von seinem jüngeren Selbst sehen könnte, der gleich nach dem Studium davon träumt, eines Tages Managing Director zu werden. Eines Tages ist jetzt, denkt Jan und grinst wieder vor sich hin.

    Während der restlichen Nacht lässt er sich endgültig gehen. Er trinkt, tanzt und lacht so laut er kann.

    * * *

    Am nächsten Morgen ist es der Durst, der ihn weckt. Mühevoll richtet er sich auf und berührt dabei flüchtig fremde Haut. Er zuckt zusammen, doch sofort erscheinen Fetzen nächtlicher Bilder, die ihn daran erinnern, wer dort liegt.

    Er stellt seine Füße auf das Parkett. Die Kühle des Bodenbelags lässt ihn wohlig erschauern. Auf dem Schlafzimmerboden liegen Kleidungsstücke verteilt. Er schaut nach hinten und sieht das braune Haar von Martinas Freundin. Vergeblich versucht er sich zu erinnern, wie sie heißt.

    Er ergreift sein Handy und schaut sich die Fotos der vergangenen Nacht an. Weil er sich nicht mehr an alles erinnert, interessieren ihn vor allem die zuletzt entstandenen. Zu den digitalen mischen sich nun erinnerte Bilder, Gerüche, Geschmäcker und Gesprächsfetzen. Zum Beispiel die, wie er sich mit dem Besitzer der Location unterhielt. Hinterher machte er sich bei seinen Bekannten über dessen schiefe Zähne lustig und äffte ihn mit übertriebenem Überbiss nach. Er erinnert sich, wie er den Barkeeper anfuhr, dass der Grashopper in London ganz anders schmecke. Ihm fällt ein, wie er auf der Rückbank des Taxis mit Martinas Freundin rummachte und Spitzen gegen den Fahrer feuerte. Er witzelte lautstark, dass er selbst für einen einzigen Tag Beratung dem Kunden mehr berechne, als der Fahrer im gesamten Monat verdiene.

    Jan schüttelt grinsend den Kopf, wodurch es in seinen Schläfen hämmert. Am liebsten würde er sich wieder rückwärts ins Bett fallen lassen, doch zunächst treibt ihn der Durst ins Bad. Beinahe rammt er mit der Schulter den Türrahmen, als er hinein wankt und seinen weißen Bademantel vom Haken nimmt. Er dreht das Wasser auf und trinkt davon. Danach hält er seinen Kopf unter die edle Wascharmatur. Eine Weile lässt er das kühle Nass über sich laufen und hofft, es würde die Kopfschmerzen mit wegspülen.

    Mit einem Handtuch schrubbt er sich die Haare grob trocken und blickt in den Spiegel. Die roten Augen, die blasse Haut und die aufgesprungenen Lippen zeugen von einer dieser Nächte, die man so schnell nicht vergisst. Zumindest die Teile, an die man sich noch erinnert.

    ›Oh Mann.‹, sagt er mit krächzender Stimme und macht sich daran, seine Haare wieder in Form zu bringen.

    * * *

    Vorsichtig positioniert Jan sein Handy auf dem Karton seiner Lederschuhe. Er beugt sich nach vorne, um sich selbst auf dem Bildschirm zu betrachten. Er ist mit dem Hintergrund noch nicht zufrieden und schaut sich im Wohnzimmer um, bis er eine schönere Ecke seines Appartements bestimmt. Daher muss das Handy samt des Schuhkartons auf dem Glastisch vorsichtig verschoben und gedreht werden. Mehrfach überprüft er, ob der Bildausschnitt jetzt besser gewählt ist.

    Er bemerkt dabei, dass er sich ein vorfreudiges Grinsen kaum verkneifen kann und konzentriert sich darauf, wieder die Kontrolle über seine Gesichtszüge zu erlangen und schlicht selbstzufrieden zu wirken.

    Sein dichtes, braunes Haar glänzt und er reckt sein markantes Kinn der Kamera entgegen. Zugleich setzt er sich aufrecht hin, um etwas größer zu wirken.

    Kurz bevor er die Taste betätigt, blickt er zur Seite und überlegt, ob er an dem geplanten Inhalt etwas ändern sollte. Er seufzt leise und startet kurzerhand die Aufnahme. Auf dem Handy erscheint ein kleines, rotes Licht. Er führt seine Hand zurück und legt sie lässig auf den Oberschenkel.

    ›Moin.‹, sagt er nach einigen Sekunden und fühlt sich einen Augenblick lang albern, schüttelt den Gedanken aber schnell ab.

    ›Heute ist der sechste Januar, Jahresanfang also und äh… ja… der für mich bis dato wichtigste Tag meines Lebens. Beziehungsweise war es der erste Januar, denn heute ist nur der vor dem…‹ Er stockt und presst die Lippen aufeinander. Einige Augenblicke später hat er die Aufnahme gelöscht und das Handy wieder positioniert.

    ›Hallo.‹, startet er erneut. ›Ich heiße Jan Wegner und bin seit wenigen Tagen offiziell der Managing Director bei Murray and Chase Consulting. Es waren sieben Jahre harter Arbeit. Aber das zahlt sich nun aus und es stellt einen bedeutenden Zwischenschritt in meinem Karriereplan dar.‹

    Er setzt absichtlich eine Pause ein und ist zufrieden mit der Szene. Zwischenschritt. Tolle Formulierung. Seine Worte, da ist er sich sicher, haben Größe, auch in Zukunft. Er nimmt sich vor, dieses Niveau unbedingt zu halten.

    ›Ich könnte an dieser Stelle alle Details erklären.‹, er öffnet zum Bedauern die Hände. ›Aber im Grunde sind diese nicht relevant. Wichtig sind die großen Steps, an denen man meine Gesamtstrategie erkennt. Und dass ich diese konsequent weiterverfolge, bis ich am Ziel bin. Die jetzige Stelle ist gut und wichtig, aber eben nur ein Etappenziel.‹

    Ihm wird klar, dass er sich wiederholt und lediglich andere Worte für bereits Gesagtes benutzt. Er blinzelt mehrfach und beleckt seine Lippen. Als ihm bewusst wird, dass die Kamera seine kurze Unsicherheit sicherlich wahrnimmt, hat er den Impuls, die Aufnahme erneut zu löschen und neu zu beginnen. Doch dann entscheidet er sich dafür, dass in dieser besonderen Situation eine kurze Irritation gut wirken könnte. Vielleicht, so denkt er, wird jemand eines Tages aufgrund solcher kleinen Details sagen, dass er trotz des Erfolgs dennoch bodenständig geblieben ist. Dieser Gedanke gefällt ihm und er fährt fort.

    ›Vor einigen Monaten sollte ich für einen Auftraggeber meiner Firma sein gesamtes Unternehmen zukunftsfähig machen. Das war ganz schön heftig, muss ich sagen. Ich habe alles auf links gedreht, völlig neue Strukturen geschaffen, massenhaft nutzlose Stellen gestrichen und...‹

    Er stockt und blickt in die Linse.

    ›Ach, jetzt verlaufe ich mich hier in kleinen Details. Kurzum, es war ein genialer Erfolg und darum hat man mir die Stelle des MD angeboten. Aber das ist noch nicht alles.‹

    Er schaut intensiv in die Kamera und versucht seine Stimme wohlklingend zu modulieren:

    ›In nur einem Jahr soll ich Partner werden.‹

    Er verweilt einige Sekunden nach vorne gebeugt und nickt.

    ›Das ist noch nicht offiziell, aber der einzig folgerichtige Schritt.‹

    Er lehnt sich zurück, wobei ihm seine Musikanlage im Hintergrund einfällt, welche er bis soeben die ganze Zeit mit seinem Körper verdeckte. Er lässt sich seinen Ärger darüber nicht anmerken.

    Er überlegt, was er noch hinzufügen soll, doch irgendeine Intuition sagt ihm, dass er es dabei belassen soll. Das war kurz und knapp. Zugleich aber auch wirkungsvoll. Genauso sollte es sein. Daher beendet er mit wenigen Worten die Aufnahme, lächelt zufrieden und betätigt die Taste, worauf die rote LED erlischt.

    * * *

    ›Und? Wie viele Mails haben nach dem Urlaub auf Dich gewartet?‹, fragt Lara und schaut über ihren Monitorrand.

    Jan klickt zwei Mal und sieht die rote Zahl hundertzwanzig am linken Rand seines Emailprogramms.

    ›Fast drei hundert.‹, antwortet er, ohne Laras Blick zu erwidern.

    ›Wow, heftig. Hast dann gleich wieder viel zu tun, was?‹

    ›Naja, so isses halt.‹, sagt er und ein stolzes Lächeln huscht über seine Lippen, was er aber schnell in den Griff bekommt.

    ›Und was hast Du so gemacht in den letzten Tagen?‹, fragt sie.

    ›Ach Du, das war ganz geil. An Silvester waren wir ja im Old Scotch, unten am Hafen. Das war...‹

    ›Ja! Hattest Du gepostet, hab ich gesehen.‹, unterbricht sie ihn.

    ›Genau. Das war echt der Hammer. Ich hatte die Karten über einen Kumpel gekriegt, weil normal kommt man da gar nicht rein. Also waren nur recht geile Leute da. Und sonst hab´ ich auch total viel unternommen. Brunchen, viel Socialising…‹, Jan war der erste, der dieses Wort benutzte, während alle anderen noch vom Treffen mit Freunden sprachen. Darauf ist er immer noch ein wenig stolz. ›Ich war mit einem Kumpel beim Spinning und jeden Abend war was los. Wir haben sogar im Tilda´s spontan einen Tisch bekommen, ohne vorher zu reservieren.‹

    ›Krass.‹, sagt Lara und schüttelt ihren blonden Lockenkopf.

    ›Jedenfalls hab´ ich echt viel gemacht. War schon ganz geil.‹

    Er vermutet, dass sie nun seine Aufzählung mit den langweiligen Tagen vergleicht, die sie so verbrachte. Also fragt er nach.

    ›Und bei Dir? Hast bestimmt auch eine schöne Zeit mit…‹, er stockt, doch dann fällt ihm der Name ihres Freundes wieder ein, ›…mit Jens gehabt, oder?‹

    ›Oh ja!‹

    Sie dreht sich mit ihrem Bürostuhl in seine Richtung.

    ›Wir haben megaspontan gebucht, sind nach Lissabon geflogen und haben uns dort mit Freunden getroffen.‹

    Jans Lächeln gefriert und er drückt die Maus fest zusammen. Ein kurzes Brodeln in ihm bringt den Gedanken zutage, dass sie es sich eigentlich nicht erlauben sollte, schließlich ist sie nur Junior-Beraterin.

    ›Also haben wir dort Silvester gefeiert.‹, fährt sie fort. ›Total schön! Kann ich Dir echt empfehlen. Und dann blieben wir noch zwei Tage und haben viel gemacht. Jens hat noch aus dem Studium Freunde dort und mit denen waren wir viel unterwegs. Lissabon ist so cool.‹

    Jan nickt als er vorgibt, sich für sie zu freuen. Dann richtet er sich in seinem Bürosessel auf, weil ihm etwas eingefallen ist.

    ›Wie geht es Jens eigentlich? Ist er eigentlich immer noch Assistenz in dieser einen Firma? Was stellen die noch mal her? Käse?‹

    Laras Lächeln weist plötzlich nur noch Reste der gerade noch überschwänglichen Begeisterung auf. Sie schaut zu ihm als wollte sie seine Aussage deuten. Dann verfinstert sich ihre Miene.

    ›Er ist Laborant in einem Lebensmittellabor.‹

    Sie wendet sich wieder ihrem Bildschirm zu und Jan beobachtet über den Rand seines Monitors, dass sie zwar darauf schaut, doch scheinbar gedanklich abwesend ist.

    Er holt Luft, um etwas zu sagen, was die Härte aus seiner Deklassierung nehmen könnte, kriegt aber nur ein leises Ach so heraus. Eine Zeit lang beschäftigt ihn die Sache noch, doch dann denkt er sich, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist und er keine Gewissensbisse haben muss, nur weil Jens unfähig ist, etwas Ordentliches aus sich zu machen.

    * * *

    ›Ach, das ist doch bescheuert!‹, ruft Jan und hebt die Hände vom Konferenztisch. ›Die wollten keine Nachbearbeitung haben. Das haben die nicht gebucht, weil die den Scheiß alleine machen wollten! Und jetzt, nachdem wir beraten haben und das Projekt abgeschlossen ist, soll ich nochmal da hin und unterstützen, weil die mit ihrem Scheiß nicht klar kommen?!‹

    ›Ja, nun beruhigen Sie sich, Herr Wegner.‹, beschwichtigt ihn Herr Powolny. ›Wir reden hier von zwei, maximal drei Tagen. Und wir wollen den Kunden halten, falls er...‹

    ›...falls er einen Folgeauftrag hat.‹, beendet Jan den Satz seines Vorgesetzten, verdreht die Augen und blickt in die Runde. Dabei meint er, bei Gregor ein hämisches Grinsen entdeckt zu haben. Er beißt die Zähne zusammen, um ihm nicht an den Kopf zu werfen, dass er ihn für völlig unfähig hält. Viel mehr schinde er bloß Eindruck durch seine Maßanzüge und die Anekdote, wie er bereits während der Unizeit ein Start-Up gründete. Und dass er es mit dickem Gewinn wieder verkaufte, wovon er sich den ersten Porsche leisten konnte. Dieser aufgeblasene, dürre Typ, mit seinen...

    ›Also? Kann ich mit Ihnen rechnen?‹, unterbricht ihn Herr Powolny.

    Jan stöhnt und schaut auf den Glastisch, auf dem seine Hände Schweißabdrücke hinterlassen haben. Wenn er erst Partner in diesem Unternehmen ist, werden einige Dinge anders laufen, denkt er. Und Gregor wird sein Grinsen schon noch vergehen. Seinem Vorgesetzten ebenfalls, weil Jan schon lange nichts von ihm hält.

    Er lässt sich weitere Sekunden Zeit und tut so, als hätte er tatsächlich eine andere Möglichkeit, als sich der ausdrücklichen Bitte zu fügen.

    ›Ja, ich fliege hin.‹, sagt er schließlich und atmet demonstrativ aus. ›Aber maximal für drei Tage! Und Frau Larsen soll nicht wieder so ein günstiges Misthotel buchen, wie das letzte Mal!‹

    * * *

    Als die Handykamera schon läuft, ist Jan noch damit beschäftigt, seine Krawatte zu lockern und zugleich einige Schlucke Bier aus der Flasche zu nehmen. Dieses Mal sitzt er auf seiner Couch und hat sich um den Hintergrund nicht weiter gekümmert.

    ›So, da bin ich wieder. Ich wollte ja ab und zu ein paar Erkenntnisse und Entwicklungen in die Kamera sprechen, damit ich sie eines Tage nutzen kann. Allerdings muss ich sagen, dass sich die Dinge nur langsam verändern. Zu langsam, wenn es nach mir geht. Ich bin nun über zwei Monate MD. Ich habe ein neues Büro bezogen, habe höherwertige Klienten bekommen und kriege mehr Gehalt, aber sonst hat sich nicht viel verändert. Wahrscheinlich wird das erst mit der Beförderung zum Partner richtig los gehen. Dann bekommt die Sache richtig Schwung.‹

    Er entdeckt einen Faden auf seinem weißen Hemdärmel und zupft ihn herunter.

    ›Aber auch dann ist es noch nicht das Optimum. Ich meine, was so richtig Eindruck schindet, auf mich jedenfalls, sind die Leute, die richtig groß im Business sind. Von denen man in der Zeitung liest. Ja, das wäre schon was. Dann würde jeder sagen, ja, der Jan, der hat es echt geschafft.

    Naja, wie auch immer. Ich muss mal zusehen, dass ich meine Entwicklung beschleunige. Und dann...‹, er hebt den Zeigefinger, ›dann beginnt das geile Leben erst so richtig!‹

    Er nimmt einen Schluck aus der Flasche.

    ›Sonst ist alles beim Alten, würde ich sagen. Also eine optimal geile Zeit, klar. Ich war viel unterwegs mit ein paar Leuten. In den geilsten Bars der Stadt und so. Und beim Spinning, Ärsche gucken.‹

    Er lacht.

    ›Ach ja, da fällt mir ein, die äh… die Freundin von Martina hat mich in den letzten Wochen einige Male angeschrieben. Ob wir uns nicht zum Kaffee treffen sollen oder so. Sie würde an mich denken und bla bla.‹

    Er seufzt und blickt an der Kamera vorbei.

    ›Nee, darauf habe ich so gar keinen Bock. Sie ist ja ganz nett, aber… das wäre irgendwie nicht passend. Keine Ahnung. Irgendwie… ist sie halt nicht so mein Typ. Sie hat zwar hammermäßige Beine, aber ich glaube, sie ist Referentin beim Marketing irgendeiner unbekannten Firma oder so. Oder war´s irgendwas mit Personal? Keine Ahnung, jedenfalls nichts so Dolles.‹

    Er schnaubt verächtlich und schaltet die Aufnahme aus.

    * * *

    ›So ein Mist!‹, zischt Jan durch die Zähne, als er sich hinunter beugt und die Spitze seines rechten Schuhs eingehend betrachtet. Er befeuchtet die Fingerspitzen seines Zeige- und Mittelfingers und versucht, den Kratzer zu entfernen. Das braune Leder drumherum wird dabei etwas dunkler, doch der helle Kratzer bleibt unbeirrt dort, wo Jan ihn soeben entdeckt hat. Es muss passiert sein, als er in München am Gate die Rolltreppen hochlief, um vor den anderen Passagieren im Flieger zu sein und am Laptop schon seine Arbeit aufzunehmen, während die Lahmen und Dummen dieser Welt immer noch ihren Sitzplatz suchen oder ihre Kunstledertaschen und Discounter-Jacken verstauen.

    Er starrt auf die Spitze der neuen Schuhe und überlegt, ob er schnell andere anziehen soll. Doch weil diese zum Gürtel abgepasst sind, müsste er auch diesen tauschen. Das an sich würde nur wenige Augenblicke dauern, doch damit ginge wiederum der Wechsel der Hose und des Hemdes einher.

    ›Verdammt!‹, ruft er wieder aus und seine Stimme hallt aus den Zimmern seines Appartements wieder. Als hätte sie eine schnelle Runde gedreht, um

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1