ARBEITEN VERBOTEN: Ein Tatsachenroman
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Über dieses E-Book
Ein neuer Job ist wie ein neues Leben. Und es könnte alles so schön sein, wäre da nicht die gähnende Langeweile. Aber offenbar steht in dieser Firma die Zeit still, während einem die Kollegen das Leben schon mal schwer machen können. Da hilft nur eins: Zurückschlagen! So setzt sich von Episode zu Episode ein buntes Bild über das Arbeiten im Büro des deutschen Mittelstandes zusammen.
Daniel Reinke
Daniel Reinke hat in den 15 Jahren nach seinem Studium mehr Jobs gehabt als so manche in ihrem ganzen Leben. Viele unterschiedliche Branchen und Unternehmen mit ihren Eigenheiten durfte er so kennenlernen und voller Neugier betrachten. Der promovierte Kommunikationswissenschaftler bewegt sich dabei gerne im Mittelstand. Nach Zwischenstationen in Hannover und Berlin ist das Emsland zu seiner Wahlheimat geworden. Dort lebt Reinke mit seiner Familie, arbeitet für verschiedene Unternehmen als Marketingberater, macht Musik mit seiner Band und schreibt Geschichten über das Leben und Arbeiten. Nach der Veröffentlichung von Fachbüchern zur Musikindustrie ist „ARBEITEN VERBOTEN“ sein erster Roman.
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Buchvorschau
ARBEITEN VERBOTEN - Daniel Reinke
Die andere Hälfte
Arbeit ist das halbe Leben. Sagen sie immer. Wenn das so ist, möchte ich gerne mal wissen, was die andere Hälfte zu bieten hat.
I love Mittelstand
Am Rande jedes Dorfes in Deutschland findet sich ein Industriegebiet. Dessen Ausmaße lassen oft nicht erahnen, mit welchem Kaff man es zu tun hat.
Große, breite Straßen und riesige Firmengebäude, die Familiennamen in Großbuchstaben schultern. Gesäumt von unendlich langen Hallen aus grauem Wellblech oder schwarz glänzendem Glas, von polierten Stahlträgern eingerahmt. Mit gigantischen Parkplätzen voller gepflegter Mittelklasse-Neuwagen und rostenden gebrauchten Luxuslimousinen.
Das ist das Zuhause des deutschen Mittelstandes.
An jeder Einfallstraße stehen Informationstafeln, die das GlasfaserZeitalter preisen. Schnelles Internet in Reinform dort, wo das Leben sonst im Schneckentempo verläuft.
Überall, wo man hinsieht, entstehen noch mehr Hallen aus Blech, Bürogebäude aus Backstein und Parkplätze aus Schotter. Die Straßen aus dunkelblauem, glattem Teer werden gesäumt von grauen Kabelverteilerschränken, in denen sich irgendwelche Mbits tummeln.
Wo kommen bloß all die Unternehmen her, die sich in der Provinz ausbreiten wie Unkraut? Wo kommen all die Menschen her, die in den Rändern der ländlich zerfasernden Dörfer arbeiten?
Während bei Unternehmen in Großstädten Mitarbeiterparkplätze ein Entscheidungskriterium für Bewerber sind, schüttelt man hier nur verwundert den Kopf darüber. Denn hier sind sie Grundvoraussetzung für die Provinzpendler.
Oft sind diese Parkplätze nämlich übersät mit Autos, an denen auswärtige Kennzeichen prangen.
Weite Wege werden auf sich genommen, um im idyllischen Mittelstand zu arbeiten.
Offenbar finde nicht nur ich den Mittelstand attraktiv. Es fühlt sich gut an, damit nicht alleine zu sein.
Ich arbeite gerne bei Familienunternehmen mit ein paar hundert Mitarbeitern.
Die Atmosphäre ist freundlicher als in Konzernen mit mehreren tausend Angestellten. Da nimmt man doch gerne jeden Tag ein paar Kilometer mehr in Kauf. Weil das Miteinander angenehmer ist.
Dachte ich. Und dann fing ich diesen Job hier an…
Der Anfang vom Ende
Heute ist mein erster Tag im neuen Job. Ich bin jetzt Abteilungsleiter für Marketing. Mein erster Job als Führungskraft. Mit 32 Jahren ist das gar nicht so schlecht.
Etwas aufregend fühlt es sich schon an, ab morgen der Chef von jemandem zu sein. Wie die Mitarbeiter wohl drauf sind? Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass ich das schon schaffen werde. Schließlich bringe ich Erfahrung mit. Und auch Qualifikationen. Mein Studium liegt zwar schon fünf Jahre zurück, aber ganz umsonst war es dann doch nicht. Allerdings bin ich wegen des Jobs aus der großen Stadt in die Provinz gezogen. Zwar kenne ich hier niemanden, aber ich hoffe, dass ich durch die Arbeit nette Menschen kennenlerne.
Leicht nervös und vor allem sehr neugierig steige ich aus meinem Auto, das ich vor dem Gebäude auf dem Besucherparkplatz abgestellt habe.
Als der Personalchef mich vom Empfang abholt, werde ich schon etwas ruhiger. Immerhin bin ich jetzt schon mal drin.
Bei einer Tasse Kaffee heißt er mich herzlich willkommen und beginnt, seine formalen Themen runterzubeten, hakt dabei irgendwelche ominösen und für mich unverständlichen Punkte auf einem Zettel ab, den er sorgfältig auf einem Klemmbrett vor sich her trägt.
Er ist Ende 50 und macht diesen Job schon seit über 20 Jahren, wie er mir stolz erzählt. Ihm gefällt es hier so gut, dass er den Anfahrtsweg von einer Stunde gerne auf sich nimmt. So kommt er immer ganz entspannt zu Hause an und kann sich dort auf seine Familie konzentrieren.
Die lange Autofahrt hilft ihm beim Runterkommen. Sein Blick schweift zu dem gerahmten Foto auf seinem Schreibtisch, das zwei Kinder mit offenen Grinsemündern zeigt, in denen schiefe Zähne prangen. Ich kann nicht erkennen, ob es Jungs oder Mädchen sind.
Er rückt den Knoten seiner schwarzen, schmalen Krawatte zurecht und streift sich unsichtbaren Staub von den Ärmeln seines weißen Hemdes. Er richtet noch einmal seine Brille und händigt mir ein paar Dokumente aus, die ich sorgfältig lesen und am nächsten Tag unterschrieben in der Personalabteilung abgeben soll.
Der Personalchef spricht die Themen Schulungen und Einarbeitung an, hält plötzlich mitten im Satz inne und blickt auf seine Armbanduhr, die vibriert. „Oh, Frühstückspause!, sagt er dann mit einem Gesichtsausdruck, den die Models früher bei den ersten Zalando-Werbespots auch hatten, als ihr Paket ankam: Extrem überrascht und hocherfreut - nur dass er nicht vor Glück schreit, sondern schweigt. Er tippt kurz auf seine Smartwatch, legt Klemmbrett und Stift beiseite, um mir sodann zu erklären: „Wir machen immer 15 Minuten Frühstückspause um 9 Uhr 30.
Dann dreht er sich einfach etwas zur Seite und starrt aus seinem Fenster. Ohne etwas zu sagen. Das Telefon klingelt, aber er geht nicht ran. Ist ja Pause.
Ich bin irritiert. Leicht seltsam finde ich dieses Verhalten schon, denke mir aber zunächst nichts weiter dabei. Doch als er nach zwei Minuten keine Anstalten macht, irgendeine Art von Kommunikation mit mir einzugehen, entschuldige ich mich ebenso wortkarg und begebe mich auf die Suche nach den Toiletten. So richtig weiß ich nicht, was hier los ist, aber ich versuche, darüber hinwegzusehen. Ich lasse mir etwas mehr Zeit als nötig, wasche mir sehr gründlich die Hände, gehe dann zurück in das Büro des Personalchefs. Dort finde ich ihn noch immer in derselben Position: Er sitzt in stoischer Ruhe auf seinem Drehstuhl, sein Blick schweift aus seinem Bürofenster. Er hat freie Sicht auf den gegenüberliegenden kommunalen Abfallwirtschaftsbetrieb, der von orangen Fahrzeugen gesäumt und von grauen Betonbauten eingerahmt ist. Ein überaus traumhafter Ausblick.
Ich setze mich wieder auf meinen Platz, fummele ein wenig in den Unterlagen herum, tue so, als ob ich etwas lesen würde, beobachte aber heimlich den Personaler.
Bis er plötzlich wieder an sein Handgelenk fasst und auf seine vibrierende Smartwatch tippt. Sein Gesicht versucht sich an einem freundlichen Ausdruck und ist dabei redlich bemüht. Er räuspert sich kurz, während er sich wieder mir und unseren Unterlagen zuwendet. Seine Ausführungen zu dem, was für mich nach schnödem Papierkram aussieht, lassen keinen Zweifel daran, wie wichtig es ihm ist: „Der Onboardingprozess muss protokollgetreu abgeschlossen werden. Wir wollen uns ja nicht jetzt schon ins Chaos stürzen, nicht wahr?"
Nachdem wir mit unseren Punkten durch sind, bringt er mich runter in die Marketingabteilung, um mich den Kollegen und Mitarbeitern vorzustellen, wie er sagt. Wir finden EINEN Mitarbeiter, der sich als die ganze Abteilung herausstellt. Ich hatte zwar mehr erwartet, freue mich aber, dass ich mir nur einen Namen merken muss. Er heißt Ronnie.
Dass hier heute nur ein Mitarbeiter sitzt, irritiert mich sehr. Beim Vorstellungsgespräch wurde mir die Abteilung noch als Team mit fünf Leuten angepriesen. Was auch einer der Gründe war, weshalb ich diesen Job so interessant fand und ich das Angebot angenommen habe. Daher verwirrt mich diese gähnende Leere an den Schreibtischen der Abteilung ein wenig.
Ich frage den Personaler, wo denn die ganze Truppe ist. Vielleicht sind sie alle im Urlaub? Er kneift die Augen zusammen und verzieht die Mundwinkel. Sein Blick weicht meinem aus. Mit einem Räuspern windet er sich und kommt nur widerwillig zur Sache: „Wir haben die Personalstruktur in den letzten Wochen etwas umgebaut."
Sie haben was? Bitte einmal fünf Euro ins Phrasenschwein.
Er stammelt weiter drauf los und versucht sich in Erklärungen. „Die Kolleginnen waren nicht mehr zu halten. Und… nun ja - dass Sie als Nachfolger geplant waren, wissen Sie ja." Tatsächlich bestand das Team ursprünglich aus vier Leuten, ich wäre die fünfte Person gewesen. Aber meine Vorgängerin hatte offenbar sehr großes Talent darin, Mitarbeiter und Vorgesetzte gleichermaßen zu vergraulen. Daher hatten seit meinem Vorstellungsgespräch zwei Mitarbeiterinnen gekündigt. Meiner Vorgängerin hingegen wurde noch am Tag der Unterschrift auf meinem Arbeitsvertrag fristlos gekündigt. Nur der Kollege Ronnie saß bis heute seine Zeit ab. Deshalb ist er auch als einziger Marketingkollege verblieben.
Ich fange jetzt also einen ganz anderen Job an, als ich dachte. Warum haben die mir nicht Bescheid gegeben? Diese Frage spukt durch meinen Kopf und mengt sich unter tausend Gedanken, die mich ein wenig an meiner Entscheidung für diesen Job zweifeln lassen.
„Am besten, Sie sprechen den Chef gar nicht erst auf Ihre Vorgängerin und die Personalsituation in der Abteilung an. Der ist da ziemlich gereizt."
Der Personaler schwitzt. Ich kann die Ränder unter seinen Achseln auf dem weißen Hemd sehr deutlich sehen. Es ist ihm mehr als nur unangenehm.
Ich wundere mich zwar sehr über diese neuen Erkenntnisse, sage aber erst einmal nicht viel dazu. Stattdessen versuche ich, für uns beide positiv nach vorne zu blicken: „Dann ist es ja gut, dass ich jetzt da bin!" Mit einem Lächeln untermauere ich meine halbironische Bemerkung, die vom Personaler mit einem erleichterten Schnaufen samt Kopfnicken quittiert wird.
Am nächsten Tag meldet Ronnie sich krank. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Aber seitlich an seinem Schreibtisch klebt ein sehr großes Foto, das ihn von der Seite zeigt. Wenn jemand