Ich bin nicht du: Mut zur eigenen Meinung
Von Erika Kuhn
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Über dieses E-Book
In diesem Buch wird aufgezeigt, wie wir dieser Manipulationsfalle entkommen können, um so ein wirklich selbstbestimmtes und freies Leben zu führen. Wie dies gelingen könnte, erfährt der Leser nicht anhand von neuen Ratschlägen, sondern durch eine Mischung von rationalen Argumenten, praktischen Beispielen und gleichnishaften Geschichten.
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Buchvorschau
Ich bin nicht du - Erika Kuhn
1 Mensch sein will kein Schwein … und Schwein sein will kein Mensch
Kein Tier ist so in aller Munde wie das Schwein. Dabei handelt es sich nicht um das Tier an sich, sondern um Redensarten, die das Schwein betreffen. Mütter beschweren sich über die Schweinerei im Kinderzimmer, Väter über das Ergebnis der Autowerkstatt, das unter aller Sau ist, Mitarbeiter werden von Vorgesetzten zur Sau gemacht, Kinder bekommen vom Lehrer zu hören, dass ihre Schrift kein Schwein lesen kann und Betrunkene werden mit „du volle Sau" betitelt.
Der Mediennutzer beschwert sich über die neueste Schweinerei in Politik und Gesellschaft und zahllose Ratgeber auf dem Buchmarkt weisen darauf hin, wie wir unseren inneren Schweinehund überwinden können.
Das Schwein wird im negativen wie im positiven Sinn gebraucht, es begleitet unseren Alltag. Der Ausruf Schweinerei dient zweifelsohne dazu, sein moralisches Entsetzen und seine Entrüstung zum Ausdruck zu bringen wie nachfolgende Geschichte von Iwan Krylow sehr treffend zeigt.
Ein Schwein, das auf einem Bauernhof lebte, hörte, wie sich die Menschen stets mit seinem Namen beschimpften.
Die Magd sagte zum Knecht: „Du hast mich belogen, du bist ein Schwein!"
Der Bauer sagte: „Dieser Händler ist ein Schwein, er hat uns betrogen!"
Und die Bäuerin schalt die Magd: „Wie schmutzig und unordentlich ist die Küche. Das ist doch eine Schweinerei!"
So ging es fort und das Schwein kränkte sich immer mehr und mehr darüber. Eines Tages, als es wieder zuhören musste, wie man seinen Namen missbrauchte, legte es sich in seinem Koben nieder und weinte. Im Stall war aber auch ein munterer kleiner Esel.
„Warum weinst du?" fragte er voll Anteilnahme das Schwein.
„An meiner Stelle würdest du auch weinen", schluchzte das Schwein. Und es erzählte alles dem Esel.
Der Esel hörte mitfühlend zu und sagte: „Ja – das ist wirklich eine Schweinerei!"
Doch auch im positiven Sinn begleitet das Schwein unseren Alltag. Bei einigen Gelegenheiten besitzt das Schwein auch ein günstiges Image. Es soll ja Glück bringen, obwohl dem Schwein selbst davon nichts bekannt ist.
Das Glück, welches das Schwein zu geben vermag, ist zunächst einmal es selbst. Wer ein Schwein besitzt, hat besonders in wirtschaftlich armen und unterentwickelten Kulturen „Schwein". Auch die Geschichte vom Hans im Glück weist darauf hin. Ein Schwein zu haben ist zwar weniger als eine Kuh, aber noch mehr als eine Gans. Schweineglück zu haben ist eigentlich unverdientes Glück. Entstanden ist es bei mittelalterlichen Wettspielen. Der letzte und eigentlich wertloseste Gewinn war ein Schwein. Also eigentlich ein Spottpreis. Wer einen Schweinepreis bekam, war des Spottes seiner Umgebung sicher.
Das Schwein kommt jedoch nicht nur in zahllosen Redensarten und Sprüchen vor, es dient dem chinesischem Horoskop als Tierkreiszeichen, spielt in Filmen mit und hat auch mit George Orwells „Farm der Tiere" Berühmtheit erlangt, indem zwei Schweine die geistigen Führer dieser demokratischen Farm sind, wohl deshalb, weil sie nun einmal zu den intelligentesten Tieren gehören. Alle sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen.
Auch in den Liedern der Gruppe „Die Prinzen" muss das Schwein als Metapher herhalten für negatives Handeln, Gemeinheit, Machoverhalten, Unehrlichkeit, Schlechtigkeit, Ellenbogenmentalität.
In der antiken Mythologie waren Schweine so, wie man sie sich gerne vorstellt: stark und gewalttätig, unheimlich und aggressiv, lebendig und wild – einfach Prachtstücke im Reich der Tiere. Damals waren Schweine allerdings noch wirklich Schweine.
Sie werden sich jetzt sicherlich fragen, was diese ganze Schweinerei mit dem Buchtitel „Ich bin nicht du" zu tun hat, und dass das Schwein kein Mensch sein will und der Mensch kein Schwein. Die vielen Redensarten um und übers Schwein haben sich in unserem Alltag etabliert und das arme Schwein muss auch bei mir als Metapher dafür herhalten, dass sich Vorurteile und Meinungen einschleichen und verbreitet werden, ohne dass wir darüber genaueres wissen, diese aber ungeprüft übernehmen und auch noch glauben.
Die Meinung, dass Schweine dumm, faul, schmutzig und gefräßig sind, lässt sich bei ausführlicher Beschäftigung mit dem Schwein locker widerlegen. Schweine sind sehr intelligente Wesen, sie spielen in Filmen mit, treten im Zirkus auf und machen sogar als Schnüffler Karriere bei der Polizei. Ebenso verhält es sich mit der angeblichen Faulheit. Schweine bewegen sich sehr gerne, sie bekommen heutzutage nur keine Gelegenheit mehr dazu. Sie sind schnelle Tiere und nehmen sogar an richtigen Wettrennen teil. Schmutzig sind sie auch nicht, sie haben nur andere Reinigungsmethoden als der Mensch. Sie reinigen sich in der Suhle, welche als die Badewanne des Schweins bezeichnet werden kann und schaben sich dann den ganzen Dreck an einem Baum ab.
Die Reihe der Vorurteile ließe sich noch weiter fortsetzen, doch ich will hier kein Buch über Schweine schreiben, sondern über die Frage, was wissen wir wirklich und was glauben wir einfach nur.
Tierpsychologen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass kein Tier dem Menschen so ähnlich ist wie das Schwein. Es ist genauso stressempfindlich wie der Mensch, Schweineorgane sind transplantationsfähig und das Schwein ist ein geselliges Tier. Es sucht die Gemeinschaft und hier verhalten sie sich wie jede Gemeinschaft. Wenn eines von ihnen eher zum Außenseitertum neigt oder schwach und hilflos ist, ein sogenannter Kümmerling, dem wird das Leben schwer gemacht.
Das Schwein ist weiterhin ein Allesfresser wie der Mensch im Unterschied zu jenen Tierarten, die entweder nur Grünfutter oder Fleisch fressen. Angeblich sind Schweine nicht so wählerisch in ihrer Speisekarte wie der Mensch. Heute müssen sie allerdings das fressen, was sie vorgesetzt bekommen. Und hier erinnern sie mich etwas an den Menschen, welcher heute zu jedem Thema eine Meinung und Ratschläge vorgesetzt bekommt, die er häufig ungeprüft, nicht gerade wählerisch und vor allen Dingen fertig zubereitet übernimmt.
Wir kaufen Fertigbackmischungen, Fertigsuppen, Fertigmenüs, wir genießen den schnellen Genuss von Fast Food. Man spart sich das Denken, was muss ich einkaufen, wie muss ich die Zutaten abwiegen, wie muss ich mischen, wie würzen, damit ein schmackhaftes Mahl herauskommt. Vieles davon bleibt schwer verdaulich oder sogar unverdaut im Magen liegen.
Mit den vorgefertigten Meinungen und Ratschlägen ist es ähnlich. Wir sammeln fertig zusammengestellte Ratschläge, was bequem ist, da wir uns nicht um die Zutaten im einzelnen kümmern müssen. Mit anderen Worten, wir brauchen uns nicht spezifisches Wissen zu den einzelnen Disziplinen aneignen, da uns Ratgeber dieses bereits fertig gekocht und zum sofortigen Verzehr anbieten. Die Zutaten kennen wir häufig nicht und so verlieren wir oft den Blick für die Notwendigkeit und Bedeutung dieser Mahlzeit, sprich den eigentlichen Nutzen für unsere Person. Serviert wird uns Hilfe zum Selbstbewusstsein, Hilfe bei Partnerproblemen, Hilfe für den Beruf, Hilfe für zahllose andere Bereiche des Lebens. Andere haben für uns gedacht und gekocht und wir brauchen es nur noch essen. Es verhält sich wie mit einer Mahlzeit im Schnellimbiss. Man wird schnell satt, ist aber bald wieder hungrig. Bei vielen Fertigmenüs beschäftigen wir uns intensiv mit den angegebenen Ingredienzien auf den Verpackungen und überlegen, welche gesundheitlichen Schäden wir wieder mal von zu viel E 104, E 471, E 129, Antioxidationsmitteln, Konservierungsstoffen oder sonstigen Beimischungen davontragen könnten.
Verfahren wir mit Ratgebern auch so? Viele spielen mit der Unsicherheit und Unwissenheit der Leser und kochen aus alten Zutaten eine neue Suppe, ohne jedoch zu erwähnen, was sie alles dazugegeben haben. Noch genialer ist es, wenn manche Ideen als Ergebnis einer göttlichen Eingebung verkauft werden, denn dem hat man ja wirklich nichts entgegenzusetzen. Oder?
Tagtäglich werden wir mit Dutzenden, ja Hunderten von Informationen, Meinungen und Wertungen bombardiert, die vorgeben, wahr und relevant zu sein.
Es wird im wahrsten Sinne des Wortes jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Einmal ist es die Rinderseuche, dann krebserregende Stoffe in den Lebensmitteln, dann verlängert Rotwein das Leben, am anderen Tag wird es durch ihn verkürzt. Einmal werden wir zu Essigtrinkern, weil dieser gerade in aller Munde ist und als äußerst gesundheitsförderlich dargestellt wird, dann zu Trennköstlern, Vitaminpillenschluckern, alles in allem, wir folgen brav den neuesten Presse- und Fernsehmeldungen, sozialen Medien und natürlich auch den Meinungen von Kollegen, Nachbarn und Freunden.
Es geht hier nicht um Ratschläge, Meinungen, Hilfen von Freunden, Partnern und anderen Menschen, welche für uns bedeutsam, kompetent, glaubwürdig, vertrauenswürdig oder was auch immer sind. Die Annahme dieser Meinungen kann für uns eine große Hilfe sein. Es geht um die ungeprüfte Übernahme von schnelllebigen Ansichten und scheinbarem Wissen, welches nicht zu jedem passt. Es geht auch nicht um die Meinungsfreiheit, eine der besten Errungenschaften moderner und demokratischer Gesellschaften, sondern um die Möglichkeiten des einzelnen, aus der Unzahl von Informationen die für ihn passende auszuwählen und nicht jeder Meinung und jedem selbst ernannten Meister zu folgen.
Eines Tages kam ein Bekannter zum griechischen Philosophen Sokrates gelaufen.
„Höre, Sokrates, ich muss dir berichten, wie dein Freund …"
„Halt ein, unterbrach ihn der Philosoph. „Hast du das, was du mir sagen willst, durch drei Siebe gesiebt?
„Drei Siebe? Welche?" fragte der andere verwundert.
„Ja! Drei Siebe! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir berichten willst, geprüft ob es auch wahr ist?"
„Nein, ich hörte es erzählen, und …"
„Nun, so hast du sicher mit dem zweiten Sieb, dem Sieb der Güte, geprüft. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht wahr ist – wenigstens gut?"
Der andere zögerte. „Nein, das ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil …"
„Nun", unterbrach ihn Sokrates, „so wollen wir noch das dritte Sieb nehmen und uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so zu erregen scheint."
„Notwendig gerade nicht …"
„Also", lächelte der Weise, „wenn das, was du mir eben sagen wolltest, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste weder dich noch mich damit."
Die gesamte esoterische und auch andere Literatur behauptet heute, dass wir selbst Schöpfer unserer Wirklichkeit sind. Und trotzdem boomt der Ratgebermarkt – ob Hilfe bei Geld, Erfolg, Aussehen, Essen, Gesundheit, Kommunikation und vielen anderen Themen. Wir scheinen Gurus zu brauchen, die unsere Wirklichkeit erschaffen. Die uns erzählen, dass wir uns unsere eigene Realität zwar selbst aufbauen, uns dann aber in teueren Seminaren vermitteln, wie diese für uns auszusehen hat.
Mit Persönlichkeitstraining, Erfolgstraining, Gesundheitstraining ziehen wir uns mitunter einen Schuh an, der eine oder mehrere Nummern zu groß oder zu klein ist. Alles wird in die Nähe der Machbarkeit gerückt, alles ist für alle möglich, wenn es nicht unmöglich ist. Nie mehr X sein oder wie man erfolgreich Y wird.
Ich kritisiere an den Erfolgstrainern und an den Ratgebern für alle Lebensbereiche nicht ihre Versprechen, wovon einige tatsächlich möglich sind, sondern dass sie den Faktor Zeit klein schreiben und dabei vergessen, dass jede Veränderung ein längerer Entwicklungsprozess und individuell sehr verschieden ist.
Was bei dem einen wirkt, kann bei dem anderen völlig erfolglos sein. Menschen sind Individuen, die sich dagegen wehren, aufgeteilt und klassifiziert zu werden. Also macht es auch wenig Sinn, so sein zu wollen wie die anderen. Nicht jeder Hut passt auf jeden Kopf, nicht jeder Schuh auf jeden Fuß und ein Schwein ist kein Mensch und ein Mensch kein Schwein.
Schweine wurden domestiziert, Menschen werden sozialisiert. Die Domestikation war die Nutzbarmachung von Wesens- bzw. Körpermerkmalen bestimmter Tierarten. Die Sozialisation macht uns in ihrem Verlauf zu nützlichen Mitgliedern einer Gesellschaft.
Die Domestizierung ist den Schweinen schlecht bekommen. Nicht nur, dass sie zum Massenartikel verkommen sind, sie haben sich auch dem Menschen anvertraut und sich ihm so sehr angepasst, dass sie, seit sich das Wildschwein als Hausschwein in der Nähe des Menschen befindet, ein Drittel ihrer Gehirnmasse eingebüßt haben.
Das heutige Schwein im Stall ist von seinem Halter abhängig. Es muss fressen, was ihm vorgesetzt wird, warten, bis geputzt ist und warten, bis es zur Wurst wird. Ein Schwein fragte einmal das andere: „Was willst du später einmal werden?, „Ist doch Wurscht
sagte das andere.
Verhaltensforscher haben in Versuchen festgestellt, dass Hausschweine, in die Freiheit ihrer natürlichen Umgebung gebracht, sehr schnell wieder ihre arteigenen Verhaltensmuster zeigen.
Auch unsere menschliche mentale Hygiene erfährt einen ungeheueren Auftrieb, wenn wir uns von den Zielen, Glaubenssätzen, Meinungen, Erwartungen und Vorstellungen anderer frei machen.
Gib dem Schwein die Freiheit wieder, wird es wieder zum Schwein. Gib dem Menschen wieder die Freiheit der eigenen Meinung zurück, wird er wieder zum …?
Vom Allesfresser zum Gourmet
Ob es dem Schwein bewusst ist, welcher Idylle es beraubt wurde, diese Frage kann und soll hier nicht beantwortet werden. Uns Menschen jedoch, die wir angeblich die Fähigkeit zum vorausplanenden Handeln und Denken haben, sollte bewusst sein, wie leicht wir oft ungeprüft die Meinungen anderer übernehmen.
Schopenhauer sagte einmal: „Glauben und Wissen verhalten sich wie die zwei Schalen einer Waage: In dem Maße, als die eine steigt, sinkt die andere." Oder wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an.
Es geht