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Tödliche Konsequenzen: Frank Baumann ermittelt
Tödliche Konsequenzen: Frank Baumann ermittelt
Tödliche Konsequenzen: Frank Baumann ermittelt
eBook392 Seiten4 Stunden

Tödliche Konsequenzen: Frank Baumann ermittelt

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Über dieses E-Book

Frank Baumann, Kölner Privatdetektiv mit Hang zu harter Rockmusik und italienischen Autos, ist eigentlich ganz zufrieden mit sich und der Welt. Zwar läuft sein Laden nicht ganz rund, andererseits funktioniert der CD-Player in seinem feuerroten Alfa einwandfrei. Was will man also mehr?
Aber Baumann ist wohl der Typ, der Ärger magisch anzieht. Bei einer nächtlichen Routineermittlung beobachtet er, wie ein bekannter Lokalpolitiker mit voller Absicht überfahren wird. Nachdem die Polizei seiner Mordtheorie nur wenig Begeisterung entgegenbringt, beschließt Baumann auf eigene Faust zu ermitteln. 
In der Folge entwickelt sich der Fall zu einer brandgefährlichen Mordermittlung. Nach und nach sterben weitere Kölner Honoratioren, jede Menge finstere Gestalten tauchen in Baumanns Kielwasser auf und er gerät immer tiefer in ein Dickicht aus kommunalpolitischen Mauscheleien, Wirtschaftskriminalität und Prostitution.
Als auf ihn ein Überfall verübt wird, bei dem Charlie, sein bester Freund, schwer verletzt wird, hat Baumann die Schnauze voll. Wird Zeit, ein paar Leuten klarzumachen, dass man Frank Baumann besser nicht ans Bein pinkelt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Dez. 2018
ISBN9783746977362
Tödliche Konsequenzen: Frank Baumann ermittelt
Autor

Udo Ulsperger

Udo Ulsperger liest selbst seit Jahrzehnten Kriminalromane und liebt hierbei ganz besonders Autoren wie Jörg Juretzka, die in ihren Romanen handfeste Handlung mit eigenwilligen Charakteren verbinden. Die Begeisterung für derartige Krimis hat letztlich zu seinem Entschluss geführt, sich selbst einmal in diesem Genre zu versuchen. Und natürlich teilen die wichtigsten Protagonisten - Frank Baumann und Charlie - seine eigene Vorliebe für Hard Rock und Heavy Metal, schnelle Autos, lockere Sprüche und andere Scherze. Der Autor wurde in Köln geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie im näheren Umfeld der Domstadt. Insofern ist es folgerichtig, dass die Liebe zu seiner Heimatstadt und den Eigenarten der Kölner*innen in seinen Krimis zum Ausdruck kommt. Sein Debutroman "Tödliche Konsequenzen" mit dem Kölner Privatdetektiv Frank Baumann erschien im Dezember 2018 und hat von Beginn an positive Reaktionen hervorgerufen. Erfolgreiche Lesungen folgten und schnell waren weitere Lesetermine vereinbart. Der Aufschwung wurde allerdings durch die Corona-Pandemie und den folgenden Lock-down abrupt beendet. Im Februar 2024 ist dann der Nachfolgeroman mit dem Titel "Im Morgengrauen wartet der Tod" erschienen. Die Reihe um den Privatdetektiv Frank Baumann wird fortgesetzt.

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    Buchvorschau

    Tödliche Konsequenzen - Udo Ulsperger

    1

    So eine Scheiße.

    So eine verfickte Scheiße, dachte Baumann und schnappte gierig nach Luft. Ein dünner Faden Erbrochenes hing an seinem unrasierten Kinn. Baumann wischte sich mit seinem nassen Jackenärmel über den Mund und sah hinüber zu dem Mann, der reglos und seltsam verrenkt, wie eine zerbrochene Gliederpuppe, auf dem Bürgersteig lag. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, nirgendwo wurde Licht eingeschaltet, nirgendwo öffnete sich eine Tür oder wurden fragende Stimmen laut.

    Baumann ging langsam hinüber zu dem Unbekannten, der blicklos in den nächtlichen Himmel starrte. Blut trat am Hinterkopf aus und vermischte sich mit dem Regenwasser zu einer hellroten Pfütze. Baumann hockte sich neben ihn und legte ihm zwei Finger an die Halsschlagader, konnte aber keinen Puls fühlen.

    Baumann nahm sein Handy und wählte den Polizeinotruf.

    Was für eine verfickte Riesenscheiße.

    Dabei hatte vor einer Stunde noch alles so easy ausgesehen:

    2

    Es schüttete wie aus Eimern.

    Baumann fluchte herzhaft und trat genervt gegen den Stamm der mächtigen Kastanie, unter der er Schutz gesucht hatte. Als wenn der arme Baum was dafür gekonnt hätte.

    Baumann schlug fröstelnd den Kragen seiner Lederjacke hoch, kniff die Augen zusammen und versuchte sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Was einfacher gesagt, als getan war. Denn die meisten der altersschwachen Straßenlaternen hatten schon vor Jahren den Dienst eingestellt. Fuck. Wie sollte man da was sehen bei diesem Dreckswetter?

    Warum Baumann dann überhaupt unterwegs war?

    Ganz einfach – er war Privatdetektiv.

    Frank Baumann

    Privatdetektiv

    So stand es jedenfalls auf seiner Visitenkarte. Und deswegen stand er hier sozusagen professionell rum. Unter der Kastanie, die ihn zwar gut vor neugierigen Blicken schützte, aber den Regen schon lange nicht mehr abhielt.

    Baumann hätte sich in den Arsch beißen können. Die letzten drei Tage hatte er den Eingang der Wenz`schen Behausung von seinem Auto aus observiert. Aber ausgerechnet heute hatte er sich in einem Anfall geistiger Umnachtung überlegt, dass sein knallroter Alfa vielleicht doch ein wenig auffällig wäre und hatte beschlossen, die Überwachung aus dem Grünzeug gegenüber fortzusetzen.

    Scheiß Idee.

    Baumann starrte die Straße runter, auf die es unentwegt pladderte. Mittlerweile hätte man in jeder Pfütze mühelos seinen Freischwimmer machen können. Baumann hasste diese Nässe, die Kälte sowieso und gerade auch mal wieder seinen verdammten Job. Er hätte Versicherungsvertreter bleiben sollen. Da würde er jetzt irgendwo in einer warmen Bude hocken, Kaffee trinken und alten Omis Rollatordiebstahlversicherungen andrehen. Aber nein, er musste ja unbedingt Privatdetektiv werden.

    Baumann kramte in seinen Taschen nach Aspirin. Jetzt bekam er auch noch Kopfschmerzen von dem Scheißwetter. Konnte aber auch an der Sauferei gestern Abend liegen. Oder die notgeile Tippse hatte ihm bei Pitter k.o.-Tropfen ins Glas gekippt. Ja, so musste es gewesen sein, dachte er und grinste dünn.

    Schon klar, klingt bescheuert. Ist auch bescheuert. Aber andere saufen sich ihre Frau schön, Baumann redet sich den Suff schön.

    Kein Aspirin.

    Baumann zuckte die Schultern.

    War sowieso was für Weicheier.

    Endlich. Ein feister Typ im Lodenmantel walzte mit kurzen, schnellen Schritten um die Straßenecke. Sein hochgeschlagener Mantelkragen, der regengetränkte Hut und ein grauer Schirm verdeckten das Gesicht. Zielsicher steuerte der Fremde den Eingang von Nr. 14 an und klappte seinen Schirm zu. Baumann stierte angestrengt durch den dichten Nieselregen. Obwohl er das Gesicht unter der schwachen Eingangsbeleuchtung nicht wirklich erkennen konnte, hatte er das unbestimmte Gefühl, dass er den Kerl schon mal irgendwo gesehen hatte. Aber er kam nicht drauf, denn noch bevor der Besucher die Türklingel betätigen konnte, öffnete Frau Wenz die Tür, warf einen besorgten Blick in die Nacht und ließ den Fremden ein.

    In der Küche brannte Licht. Der Besucher, inzwischen ohne Hut und Mantel, setzte sich an den Küchentisch. Frau Wenz werkelte übertrieben hektisch in der Küche, plapperte dabei ununterbrochen, kramte im Kühlschrank und stellte Gläser und Getränke auf den Tisch.

    Und zog resolut die Vorhänge zu.

    Super timing.

    Ein Königreich für ein Richtmikrofon, dachte Baumann und seufzte. Hatte er aber gerade genauso wenig parat wie die Lauscher von Superman. Baumann lehnte sich frustriert an die Kastanie. So ein beschissener Fuck!

    Regenwasser lief die kratzigen Riefen des Stammes hinab und weiches Harz pappte hartnäckig an seiner Jacke. Am liebsten hätte er jetzt hingeschmissen. Da er aber sowieso schon bis auf die Haut nass war, beschloss er zähneknirschend abzuwarten und dem Fremden zu folgen, wenn der sich wieder auf den Weg machte.

    Um sich abzulenken stellte er ein paar Überlegungen bezüglich wetterfester Kleidung für Privatdetektive an. Beheizbare Neoprenanzüge wären nicht übel, aber bei einer unauffälligen Beschattung eher hinderlich. Besonders mit Flossen. Oder wenn man pinkeln musste, ergänzte er, weil er jetzt tatsächlich musste. Baumann fummelte an seinem Reißverschluss. Prompt ging das Licht in der Küche aus. Baumann fluchte verhalten, vergaß seine Sextanerblase und duckte sich wieder in das Dunkel.

    Keinen Moment zu früh. Denn schon öffnete sich die Haustür und der Fremde erschien, verabschiedete sich per Handschlag von Frau Wenz, schlug seinen Mantelkragen hoch und nahm entschlossen den aussichtslosen Kampf gegen die Elemente auf. Jetzt hatte er auch noch den Schirm vergessen.

    Baumann grinste boshaft.

    Was für ein Blödmann.

    Am Ende der Straße wurde ein dunkler Volvo angelassen, gerade als sich Baumann aus dem nachtschwarzen Schatten seiner Lieblingskastanie schälen und die Verfolgung aufnehmen wollte. Unwillig sprang der Schwedenbrummer an und lief dann brabbelnd im Leerlauf.

    Wieso sitzt der Idiot denn bei so einem Scheißwetter im Auto und friert sich den Arsch ab?

    Vielleicht ist Schwiegermutter zu Besuch?

    Wär `ne Möglichkeit, beendete Baumann die Auseinandersetzung mit seinem Alter Ego und verzog sich wieder hinter die Kastanie.

    Verpiss dich endlich, Schwachkopf.

    Und als hätte er nur auf das Kommando gewartet, rollte der Volvo langsam mit abgeblendeten Scheinwerfern los.

    Wurde aber auch Zeit.

    Der Fahrer schaltete in den zweiten und dritten Gang, beschleunigte was die alte Karre hergab, polterte auf den Gehweg und fuhr den Fremden über den Haufen.

    Der Volvo hatte den Zusammenstoss wesentlich besser überstanden als Mister Unbekannt. Schwedische Wertarbeit eben. Baumann hatte auch mal überlegt, sich einen zuzulegen. Der Volvo verschwand mit durchdrehenden Reifen an der nächsten Kreuzung.

    Baumann wäre jetzt auch gerne verschwunden.

    Aber seine Beine wollten sich einfach nicht bewegen.

    Nur sein Magen wollte.

    Baumann kotzte seine Lieblingskastanie voll.

    3

    Drei Tage zuvor:

    Baumann saß in seinem Büro und langweilte sich zu Tode.

    Seit Tagen tote Hose. Keine eifersüchtigen Ehepartner, keine geklauten Luxusschlitten, keine misstrauischen Geschäftspartner oder mit der Vereinskasse durchgebrannten Kassenwarte.

    Noch nicht einmal verschwundenen Kids. Baumann grinste dünn. Die waren sowieso immer bei Freunden zu finden. Was im Übrigen nicht so einfach ist, wie es sich anhört, überlegte Baumann. Denn man musste die richtigen Freunde finden, also die, von denen die besorgten Eltern in der Regel nichts wussten. Fand man die, hatte man auch Kevin oder Timo gefunden. Bei den Mädels war das etwas anders, hier musste man den richtigen Freund finden, von dem die Eltern meistens noch viel weniger wussten.

    Baumann massierte sich frustriert die Schläfen. Noch nicht mal entführte Hunde oder entlaufene Katzen. Mit einem Wort: Der Laden lief beschissen.

    Gerade hatte Baumann beschlossen, zum Zeitvertreib eine Runde Onlinepoker zu zocken, als die Tür aufging und ein mickriger Schrat im Türrahmen Wurzeln schlug.

    „Was ist denn jetzt - rein oder raus?", wollte Baumann wissen.

    Null Reaktion.

    Baumann verdrehte die Augen, schwang die Beine von der vernarbten Schreibtischplatte, packte den Besucher an den Schultern und bugsierte ihn mit sanfter Gewalt auf den wackligen Besucherstuhl.

    „Kaffee?", fragte Baumann und schüttelte aufmunternd eine Glaskanne, in der eine undefinierbare Brühe schwappte.

    „Ich heiße Anton Wenz", antwortete der Schrat.

    Also keinen Kaffee. War wohl auch besser so. Der Postbote vor einer halben Stunde hatte nämlich plötzlich die quietschgelbe Farbe seiner Regenjacke angenommen, nachdem er einen Schluck von Baumanns Selbstgebrauten genossen hatte.

    Baumann pflanzte sich wieder in seinen abgenutzten Kunstlederchefsessel und musterte seinen potentiellen Mandanten diskret: schmächtig, unsteter Blick, Halbglatze. Dazu korrekter Einreiher, unauffällige Krawatte und Regentrench von undefinierbarer Farbe. Typ Großstadtchamäleon, verschwand fast vor der grauen Wand. Baumann hoffte nur, dass er nicht verschwand, bevor er ein paar Scheine locker gemacht hatte.

    Baumann nahm ungeachtet der Reaktion des Briefzustellers einen kräftigen Schluck aus seinem Kaffeebecher und schaffte es gerade noch, einigermaßen cool dabei rüberzukommen. Mann, was für `ne Plörre. Das nächste Mal war Katja wieder dran mit Kaffee kochen, soviel stand fest.

    Baumann beugte sich nach vorn, signalisierte ungebremste Aufmerksamkeit und Wenz taute langsam auf.

    „Schönes Büro", meinte er und starrte auf die gigantischen Silikonmöpse von Miss Januar, die hinter Baumann an der Wand hing.

    „Klar doch. Worum geht`s denn nun?"

    „Ja, also, ich bin Buchhalter und ich muss oft bis spät in die Nacht arbeiten. Besonders wenn Quartalsabschlüsse und Bilanzen rechtzeitig fertig werden müssen, verstehen Sie?"

    Baumann verstand und malte Kringel in seine Kladde.

    „In den letzten Tagen hatten mir Nachbarn berichtet, dass zwei- oder dreimal abends jemand bei meiner Frau gewesen wäre. Ein Mann, und er war immer so für eine Stunde geblieben! Natürlich wurde ich misstrauisch, denn Margot hatte diese Besuche mir gegenüber mit keiner Silbe erwähnt."

    „Haben Sie sie nicht danach gefragt?"

    „Nein, ich wollte nicht, dass sie denkt, ich sei eifersüchtig. Also beließ ich es dabei. Aber vorgestern, da fühlte ich mich plötzlich nicht gut und bin ungewohnt früh nach Hause gegangen und habe die beiden prompt erwischt!"

    „In flagranti?"

    „In der Küche. Als ich die Tür aufschloss, hörte ich, dass die beiden dort saßen und schäkerten. Wenz schlug die Hände vors Gesicht. „Seitdem bin ich völlig fertig.

    Baumann nickte mitfühlend. Seine Spezialität.

    Derweil kramte Wenz hektisch in seinen Manteltaschen und präsentierte nach kurzem Suchen ein zerknittertes Foto seiner Holden. Überrascht schnalzte Baumann mit der Zunge. Die Schreckschraube würde nicht mal dann `nen Schönheitswettbewerb gewinnen, wenn sie die einzige Teilnehmerin wäre, dachte er. Ganz Vollprofi, fing er sich aber sofort wieder.

    „Und was geschah dann?"

    „Ich habe nur noch gehört, wie sie sich für Donnerstagabend wieder verabredet haben und bin leise wieder gegangen. Stundenlang habe ich mich in den Straßen rumgetrieben und wusste nicht wohin."

    Wenz schniefte leise und unterdrückte mannhaft die aufsteigenden Tränen. Hoffentlich setzt der mir jetzt nicht die Bude unter Wasser, überlegte Baumann und schob vorsichtshalber ein Tempo über den Tisch.

    „Hören Sie, ich muss unbedingt wissen, was das zu bedeuten hat. Egal, was es kostet."

    Das hörte Baumann gern.

    Hätte er auch nur im Entferntesten geahnt, in was für einen Schlamassel er da gerade geraten war, er hätte Wenz achtkantig rausgeschmissen.

    4

    Heinrich Wolter konnte nicht schlafen.

    Der Hunger hielt ihn wach, weil er mal wieder nichts zu Abend gegessen hatte. Als sein Magen einmal mehr vernehmlich knurrte, stand er auf und tappte barfuß in die Küche.

    Unglücklich musterte er seinen fast leeren Kühlschrank. Seitdem Renate ihn verlassen hatte, arbeitete er abends zumeist derart lange im Büro, dass er noch nicht einmal zum Einkaufen kam. So blieb ihm oft nur das überteuerte Zeug vom Kiosk oder von der Tankstelle um die Ecke. Aber selbst davon hatte er fast nichts mehr da. Wolter seufzte frustriert, griff nach einem Joghurt und suchte das Verfallsdatum, als das Telefon klingelte.

    Wolter zögerte.

    Das war bestimmt wieder dieser Perverse, der schon ein paar Mal angerufen hatte. Sagte kein Wort, atmete nur ins Telefon und holte sich wahrscheinlich einen runter.

    Wolter hob trotzdem ab.

    „Hallo?"

    „…"

    „Wer ist denn da?"

    „…"

    „Jetzt hören Sie mal zu, Sie Spinner. Ich habe jetzt genug von Ihren Spielchen. Ich lasse eine Fangschaltung einrichten, ich zeige Sie an, hören Sie? Ich…"

    „Heinrich Wolter?", unterbrach ihn der Anrufer.

    Die Stimme war leise, heiser.

    „Ja, verdammt! Wer ist denn da?"

    „Mein Zorn wächst, Wolter. Tag für Tag. Und schon bald werde ich dich holen und meinen Rachedurst stillen."

    „Was reden Sie denn da? Sind Sie verrückt?"

    „Nicht mehr lange und ich werde kommen und dich holen. Lies die Zeitung, Wolter. Lies die Zeitung und du wirst verstehen."

    Wolter spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.

    Er sah auf das Display seines Telefons.

    Unbekannt wurde ihm dort angezeigt.

    „Hören Sie…", rief Wolter.

    Aber der Anrufer hatte schon aufgelegt.

    5

    Der Wecker veranstaltete einen infernalischen Lärm.

    Baumann tastete schlaftrunken nach der Höllenmaschine, bekam sie aber nicht zu fassen und stopfte sich das Kissen auf das Gesicht. Neuer Tag, neues Glück, schoss es ihm durch den Kopf. Wer dachte sich nur so einen bescheuerten Mist aus? Vermutlich die verdammten Chinesen. Für ihre Glückskekse.

    Nach einer Weile sah Baumann ein, dass eine geregelte Sauerstoffzufuhr unabdingbar für seinen physischen Fortbestand auf diesem schönen Planeten war und schmiss das Kissen ans Fußende. Er wälzte sich mühsam aus dem Bett, gab dem immer noch plärrenden Wecker einen herzhaften Tritt und schlurfte Richtung Küche.

    Kaffee, Rühreier, Dusche.

    In dieser Reihenfolge.

    Schon besser.

    Dann fiel ihm der gestrige Abend wieder ein und der Tag war im Eimer. Baumann schüttete sich Kaffee in seine Borussia Mönchengladbach Fantasse, pflanzte sich zwecks brainstorming an den Küchentisch und nippte an dem heißen Gebräu um seine grauen Zellen auf Betriebstemperatur zu bringen. Funktionierte nur nicht wie erhofft.

    Denn bevor sich in Baumanns malträtiertem Hirn auch nur der kleinste Gedanke manifestieren oder er sich gar zu einer ausgewachsenen Erkenntnis durchringen konnte, klingelte und klopfte es gleichzeitig. Baumann stöhnte wie Mc Enroe beim zweiten Aufschlag. Das konnte nur einer sein.

    Baumann schlich zur Wohnungstür, riss sie auf, grollte „Verpiss dich!" und knallte die Tür wieder zu.

    Soweit der Plan.

    Aber nicht mit Charlie.

    Nicht mit Charlie Wondrascheck.

    Der blockierte schneller als der gewiefteste Zeitungsdrücker den Türspalt mit seiner Stiefelette aus blauem Schlangenlederimitat. Baumann überlegte einen Moment, ob er die Fußspitze, die da so penetrant in seine Wohnung lugte, mit seinem Absatz plätten sollte, entschied sich aber mangels Absatz - weil barfuß - dagegen. Für die Zukunft würde er sich jedenfalls einen Hammer neben die Tür legen, soviel war klar.

    Baumann gab auf und die Tür frei.

    „Pflanz dich irgendwo hin und halt die Klappe", knurrte er den unwillkommenen Besucher an.

    „Dir auch einen guten Morgen", erwiderte Charlie fröhlich und drückte sich an Baumann vorbei.

    Baumann schloss die Tür und zählte langsam bis zehn. Er war sich sicher, dass er Charlie eines Tages umbringen würde.

    Kennengelernt hatten sie sich, als Baumann das abrupte Ende seiner langjährigen Beziehung mit Silvia im Alkohol ertränkte. Plötzlich stand Charlie neben ihm, ließ ihn besoffen schwafeln und trank enthusiastisch mit. Womit auch ohne empirische Studien hinreichend bewiesen wäre, dass übermäßiger Alkoholgenuss schlimme Folgen haben kann. Denn Charlie war wie ein streunender Köter, dem man einmal aus Mitleid etwas zu fressen gegeben hatte und den man dann nie wieder los geworden war.

    Dass sich bei ihm magere fünfundfünfzig Kilo auf hibbeligen hundertsechzig Zentimetern Körpergröße verteilten, seine Haare meistens wie mit dem Staubsauger geföhnt aussahen und die abenteuerliche Zusammenstellung seiner Klamotten regelmäßig zu Menschenaufläufen führte, machte die Sache nicht besser. Dazu langzeitarbeitslos und trotzdem, oder gerade deshalb, ständig guter Dinge. Das war Charlie, live und in Farbe.

    Mit anderen Worten, er ging Baumann richtig auf den Sack.

    Besonders heute.

    Ganz besonders heute.

    „Was ist los, Alter?, krähte Charlie, als Baumann hinter ihm ins Wohnzimmer trat. „Du solltest unbedingt weniger saufen, hab ich dir schon so oft gesagt. Dann haste morgens auch nicht so `nen Schädel.

    „Ich habe nicht gesoffen. Und den Schädel hast du gleich!"

    Charlies körperliche Unversehrtheit stand momentan wahrlich auf tönernen Füßen.

    Der schmiss sich ungeachtet dessen schwungvoll in den Sessel und wedelte aufgekratzt mit der Tageszeitung.

    DR. KERN - TÖDLICHER UNFALL

    schrie die Schlagzeile.

    „Haste schon gelesen?"

    „Nee, was denn?"

    „Hier, über den Stadtrat, den sie heute Nacht umgenietet haben."

    Baumann griff nach der Zeitung und las:

    Dr. Kern, Mitglied im Stadtrat und Spitzenkandidat der Freien Sozialen Union für das Amt des Ministerpräsidenten bei den anstehenden Landtagswahlen, wurde gestern Nacht bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt. Der Unfall ereignete sich im Rosenweg, einer wenig befahrenen Straße im Kölner Süden.

    Ein anonymer Anrufer benachrichtigte gegen 23:30 Uhr die Polizei. Die nur wenige Minuten später eingetroffene Streifenwagenbesatzung fand Dr. Kern tot am Strassenrand liegend. Die Todesursache steht noch nicht fest, aber alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Dr. Kern von einem Fahrzeug angefahren und in das Unterholz geschleudert wurde. Von Fahrzeug und Fahrer fehlt bislang jede Spur. Die Polizei sucht dringend nach Zeugen, die eine Aussage zum Tathergang machen können. Sachdienliche Hinweise können an jeder Polizeidienststelle abgegeben werden.

    „Ist doch gequirlte Kinderkacke", kommentierte Baumann und warf die Zeitung auf den Tisch.

    „Wie meinste denn das jetzt?"

    „Ich war dabei und hab alles gesehen. Und ich sage dir, das war kein Unfall, das war eiskalter Mord."

    Charlie beugte sich gespannt nach vorn. „Echt? Komm schon, Mann, erzähl!"

    Also erzählte Baumann und Charlies Kinnlade widerstand zunehmend weniger der Erdanziehungskraft.

    „Du sabberst mir den Tisch voll", meinte Baumann, als er fertig erzählt hatte.

    „Wahnsinn! Haste die Polizei gerufen?" sagte Charlie nach einer Weile.

    „Du hast doch gelesen, dass es gestern einen anonymen Anrufer gegeben hat. Was meinst du wohl, wer das gewesen ist? Hab den Vorfall gemeldet und bin abgehauen."

    Charlie zog eine Augenbraue hoch.

    „Jetzt nerv mich nicht. Ich geh heut noch hin und erzähl denen alles", schob Baumann hinterher.

    Immer noch oben.

    Die Augenbraue.

    Baumann hätte ihn klatschen können.

    „Was ist denn jetzt noch?"

    „Sach mal, Frank. Wieso passiert eigentlich immer dir so eine Scheiße?"

    „Charlie?"

    „Hmmm?"

    „Halts Maul!"

    6

    Hauptkommissar Gerd Schmickler von der Mordkommission Köln 1 war verdammt müde und entsprechend schlecht gelaunt.

    Seit Wochen vierzehn-Stunden-Tage, literweise Plörre, die man beim besten Willen nicht als Kaffee bezeichnen konnte und nachts im günstigsten Fall sechs Stunden Schlaf. Mit achtundvierzig steckte man so was nicht mehr ohne weiteres weg. Schmickler blickte deprimiert in den Spiegel über dem altertümlichen Waschbecken und strich sich durch die Haare, die raspelkurz auf seinem kantigen Schädel sprossen. Fast komplett grau, dachte er, aber wenigstens hatte er noch welche. Dann schüttete er sich eine handvoll Wasser ins Gesicht um die Müdigkeit zu vertreiben. Half nicht wirklich.

    Er kehrte zurück zu seinem Schreibtisch und stützte das Kinn auf die Fäuste. Waren das etwa die ersten Anzeichen für das Burn-out-Syndrom, von dem die übereifrige Polizeipsychologin permanent faselte? Wenn schon, damit würde er sich später befassen.

    Es war aber auch zum Mäuse melken. Kaum hatte er nach Monaten extrem harter Arbeit diesen schwierigen Fall in der Türsteher-Szene gelöst, da fuhr irgend so ein Idiot Dr. Kern über den Haufen. Und er hatte gleich einen neuen Mord am Hals. Jedenfalls, wenn man diesem Frank Baumann glauben konnte, der sich heute Morgen gemeldet hatte und mit dem er sich gleich in der neuen Espresso-Bar „Venezia" am Dom treffen würde. Möglicherweise war das derselbe Typ, der heute Nacht den Unfall zuerst gemeldet und dann einfach aufgelegt hatte. Leider hatten sie den Anruf nicht zurückverfolgen können. Prepaid-Handy. Also falls dieser Baumann das gewesen war, konnte der sich jedenfalls warm anziehen.

    Schmickler kramte nach seinem Notizzettel. Was war der? Privatdetektiv? Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Nachher doch wieder nur so ein Spinner, der sich wichtig machen wollte. Reine Zeitverschwendung so was.

    Schmickler ging noch einmal die Fotos vom Tatort und die Aufzeichnungen durch und suchte nach Hinweisen, die für eine Mordtheorie sprachen. Aber irgendwie konnte er sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Mitten in der Nacht, Dauerregen, schlechte Sichtverhältnisse und der Fahrer wahrscheinlich alkoholisiert. Für ihn ein klarer Unfall mit Fahrerflucht.

    Wieso also Mord?

    Warum sollte jemand Dr. Kern, einen hoch angesehenen Kommunalpolitiker mit nachweislich sozialer Ader, umbringen wollen? Soweit er wusste, war der Mann völlig integer. Glücklich in nach wie vor erster Ehe verheiratet, die Kinder studierten im Ausland, es gab keine Skandale, noch nicht einmal Skandälchen. Selbst die berüchtigte Kölner Klatschpresse hatte bisher noch nichts gegen ihn veröffentlicht.

    Andererseits, welcher Politiker hatte nicht Dreck am Stecken?

    War aber auch egal. Die Sache war ohnehin zu brisant, um nicht jedem noch so kleinen Hinweis nachzugehen. Dr. Kern war prominent und hatte beste Beziehungen. Hier durfte er sich keine Fehler erlauben. Denn wenn das stimmte, was dieser Baumann da am Telefon zum Besten gegeben hatte, würde mit Sicherheit bald die Presse die Messer wetzen und der Bürgermeister, der Polizeipräsident und der Alte würden hundert Meter gegen den Wind stinken, weil sie die Hosen gestrichen voll hatten.

    Schmickler holte tief Luft, nahm seine Jacke und ließ die Bürotür krachend ins Schloss fallen. Mal sehen, ob dieser Baumann wirklich auftauchte.

    7

    Chantal war beileibe kein Barbiepüppchen.

    Zwar waren ihre schulterlangen Haare von Natur aus strohblond, ein Erbe ihrer skandinavischen Mutter, aber sie war nicht schön im klassischen Sinn. Dazu standen ihre graublauen Augen etwas zu nah beieinander, war ihre Nase ein wenig zu groß und ihre Gesichtszüge zu hart. Und doch erntete sie anerkennende Blicke, wenn sie auf langen Beinen ihren knackigen Hintern durch die Gegend schwenkte.

    Dass sie gerade Anfang zwanzig war, war in ihrem Gewerbe ebenfalls Gold wert. Die geilen alten Säcke standen nun mal auf junges Gemüse. Lange würde das nicht mehr so gehen, das war ihr klar. Vier Jahre Straßenstrich hinterließen Spuren, die auch noch so viel Make-up irgendwann nicht mehr verbergen konnten.

    Autos rauschten vorbei, aufgewirbelten Dreck, welke Blätter und die Seiten einer weggeworfenen Tageszeitung wie einen Kometenschweif hinter sich her ziehend. Niemand hielt an oder fuhr auch nur langsamer. Chantal schauderte im kalten Luftzug, schlang sich die Arme um ihren Oberkörper und zog sich etwas zurück vom Straßenrand. Besser wurde es dadurch nicht. Hier war man völlig schutzlos dem schlecht gelaunten Aprilwetter ausgeliefert. Sie spuckte angewidert ihren Kaugummi aus. Scheiß Lage. Aber in der Innenstadt ging gar nichts mehr. Die Bullen waren total unter Druck, von wegen saubere Innenstadt, null Toleranz und so, und entsprechend rabiat.

    Chantal zitterte jetzt am ganzen Körper. Ihre neue schokoladenbraune Lammfelljacke, ein Geschenk von Manni, lag nutzlos im Wohnwagen. Sie wünschte sich verzweifelt, sie könnte sie anziehen und sich diesem wohligen Gefühl von Wärme und Geborgenheit hingeben. Aber dann würden die Freier ganz bestimmt nicht mehr anbeißen. Die wollten nun mal Fleisch sehen. Und Manni wäre wieder stinksauer. So wie letzte Woche, als er sie zum ersten Mal geschlagen hatte. In den Bauch, damit ihr Gesicht nicht verunstaltet wurde.

    Zunehmend nervös ging sie immer wieder die gleichen zehn Meter auf und ab. Dann blieb sie stehen, den Kopf schief gelegt, als lausche sie einem fernen Klang. Leise, unmerklich fast, breitete sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube aus. Sie wusste nur zu gut,

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