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Blütenträume: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als 99 Luftballons am Schlagerhimmel aufstiegen
Blütenträume: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als 99 Luftballons am Schlagerhimmel aufstiegen
Blütenträume: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als 99 Luftballons am Schlagerhimmel aufstiegen
eBook544 Seiten6 Stunden

Blütenträume: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als 99 Luftballons am Schlagerhimmel aufstiegen

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Über dieses E-Book

Der Ermittler Tobias Blank soll im Auftrag einer Versicherung die Diebstähle bei einer Spedition im Emsland untersuchen. Als Lagerarbeiter getarnt, beginnt er die Ermittlungen. Zunächst deutet alles darauf hin, dass Betriebsangehörige Waren aus dem Lager verschwinden lassen.
Doch der Verdacht bestätigt sich nicht.
Ein Mitarbeiter kommt unter fragwürdigen Umständen ums Leben.
Aus der Suche nach einem Dieb wird unvermittelt eine Morduntersuchung und aus Verdächtigen werden Verbündete.
Mit tatkräftiger Unterstützung zweier Fernfahrer kommt Blank der Wahrheit immer näher. Das gefällt den Verbrechern aber gar nicht. Erst wird ein Freund überfallen. Dann gerät der Detektiv selber in einen Hinterhalt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Juli 2015
ISBN9783732349180
Blütenträume: Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als 99 Luftballons am Schlagerhimmel aufstiegen

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    Buchvorschau

    Blütenträume - Hans-Joachim Haake

    „Pension Edeltraud" stand auf dem kleinen Emailleschild an der Hauswand.

    Es war bereits die dritte und leider auch letzte Adresse.

    Tobias Blank war auf der Suche nach einer Bleibe für die nächsten Wochen. Obwohl er keine besonderen Ansprüche stellte, war er in mancherlei Hinsicht wählerisch.

    Da der Ermittler einer nicht alltäglichen Beschäftigung nachging, musste die Unterkunft einige Mindestvoraussetzungen erfüllen. Zum einen war er gern allein, um über die Ereignisse des Tages in aller Ruhe nachzudenken. Aber zuweilen brauchte er auch einen neutralen Gesprächspartner, der ihn auf andere Gedanken brachte.

    Blank hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass ihm die banalen Probleme seiner Mitmenschen dabei halfen, die eigene Bodenhaftung nicht zu verlieren.

    Ob es auch diesmal erforderlich sein würde, musste sich erst noch herausstellen. Der neue Auftrag hatte Blank in eine Region verschlagen, die er bisher noch nicht besucht hatte. Die Stadt hieß Schüttorf, in der Grafschaft Bentheim und lag nahe der holländischen Grenze.

    Da Blank einen Sonntag als Reisetag gewählt hatte, an dem nicht alle Züge fuhren, musste er zweimal umsteigen. Es machte ihm nichts aus, da er mit kleinem Gepäck zu reisen pflegte. Dass es Leute gab, die selbst für einen kurzen Wochenendausflug mit mehreren Koffern unterwegs waren, konnte Blank nicht nachvollziehen. Zu gern hätte er einmal nachgesehen, was die so alles von ihrem Hausstand mitzuschleppen hatten. Nur so aus reiner Neugier. Sein Gepäck bestand lediglich aus einer Reisetasche mit dem Allernotwendigsten.

    Allerdings gehörten dazu auch einige Dinge, die leicht zu falschen Rückschlüssen hätten führen können. Um Missverständnissen oder gar Misstrauen entgegen zu wirken, hatte Blank diese Gegenstände in einem Geheimfach seiner Tasche vor neugierigen Blicken verborgen.

    Was Blank sonst brauchte, beschaffte er sich kurzfristig. Und zwar erst dann, wenn es wirklich erforderlich wurde. Genauso schnell konnte er sich dieser Sachen wieder entledigen, wenn sie nicht mehr benötigt wurden. So hielt sich der Umfang des Gepäcks stets in einem überschaubaren Rahmen.

    Ohne sich lange mit lästigem Packen von unnützen Dingen aufzuhalten, konnte Blank innerhalb von wenigen Minuten seinen Aufenthaltsort wechseln. Vor etwa vier Stunden war genau das geschehen. Blank hatte seinen bisherigen Aufenthaltsort in der Nordheide verlassen.

    Gleich nach der Ankunft, hatte Blank am Bahnhof das örtliche Telefonbuch durchgesehen und anhand des Stadtplanes solche Pensionen ausgewählt, die in der Nähe seiner zukünftigen Arbeitsstelle lagen. Da die Auswahl nicht besonders üppig war, hoffte Blank, dass er bei dieser Adresse Erfolg haben würde.

    Die ruhige Wohngegend, mit Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe, erschien auf den ersten Blick vielversprechend zu sein. Allerdings waren solche Rahmenbedingungen nicht der ausschlaggebende Faktor bei der Quartiersuche. Kurz gesagt, musste die Chemie stimmen.

    Erwartungsvoll drückte Blank auf den Klingelknopf.

    Kopetzki stand darauf und man brauchte nicht viel Fantasie, um auch den Vornamen zu erraten.

    Es dauerte geraume Zeit, bis eine ältere, hagere Frau, die Eingangstür öffnete.

    Frau Kopetzki wirkte gehetzt.

    Sie schaute den offensichtlich unerwarteten Besucher fragend an.

    Ihr ernster, besorgt wirkender Gesichtsausdruck entsprach so gar nicht den tiefen Lachfältchen, die sich um ihre Augen eingegraben hatten.

    Vielleicht kam er ungelegen oder die Frau hatte irgendeinen Kummer, dachte Blank. Er war sich aber nicht sicher.

    Jedoch beruhigte ihn ein anderer Umstand.

    Gleich, als die Frau die Tür geöffnet hatte, sagte ihm sein Gefühl, dass er sich mit dieser Person verstehen würde.

    Hierbei konnte sich Blank auf seine gut ausgeprägte Menschenkenntnis verlassen. Diese sympathische Zuneigung hatte er bei den anderen Adressen nicht gespürt.

    „Ich bin auf der Suche nach einem Zimmer", sagte Blank kurz und knapp.

    „Wie lange wollen Sie bleiben?", fragte sie ebenso zielgerichtet.

    Da Blank nicht genau wusste, wie lange ihn sein Auftrag hier festhalten würde, antwortete er: „Erst mal einen Monat, vielleicht auch länger."

    Der Gesichtsausdruck der Frau veränderte sich schlagartig.

    Die Aussicht auf einen Dauergast schien sie angenehm zu überraschen.

    Frau Kopetzki lächelte freundlich und bat Blank herein: „Kommen Sie bitte näher. Zurzeit habe ich keine Gäste. Sie können daher zwischen drei Zimmern auswählen."

    Blank folgte gern der Einladung, ging die drei Stufen hinauf und betrat den Flur.

    Frau Kopetzki war vorausgeeilt. Von der Küchentür aus rief sie: „Entschuldigen Sie meine Eile, aber ich habe einen Kuchen im Ofen, der sofort raus muss."

    Deswegen wirkte sie so besorgt, dachte Blank. Er schloss die Eingangstür und folgte ihr bis zur Küche. Im Türrahmen blieb er stehen.

    Die Hausfrau öffnete gerade die Ofenklappe. Ein Schwall warmer Luft ergoss sich in den Raum. Gleichzeitig erfüllte ein betörender Duft von Frischgebackenem die Küche.

    Blank fühlte sich in seine Kindheit versetzt.

    Er musste an seine Mutter denken.

    Trotz der vielen Arbeit hatte sie immer etwas Zeit erübrigt, um mit ihm, besonders in der Vorweihnachtszeit, zu backen. Es war für den kleinen Jungen das Größte gewesen, die selbst ausgestochenen Butterplätzchen durch die Glasscheibe des Ofens zu beobachten, wie sie langsam Farbe bekamen. Voller Ungeduld musste er dann abwarten, bis das Gebäck so weit abgekühlt war, dass man es endlich in den Mund stecken konnte.

    Beim Anblick des Kuchens, den Frau Kopetzki soeben auf den Untersetzer vor ihm auf dem Küchentisch abstellte, spürte Blank, genau wie damals, dass Wasser im Mund zusammenlaufen.

    „Puh, das war knapp", stöhnte Frau Kopetzki und zog sich die dicken Handschuhe aus.

    „Es duftet sehr verlockend", stellte Blank fest.

    „Wenn Sie möchten, stelle ich Ihnen ein Stück Käsekuchen zurück. Für mein Kaffeekränzchen heute Nachmittag bleibt noch genug übrig."

    Blank nahm das Angebot dankend an.

    Mit einem Topflappen in der rechten Hand löste Frau Kopetzki den Verschluss der runden Springform und sagte: „Nehmen Sie doch Platz. Jetzt habe ich mehr Zeit."

    Blank zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Dabei schweifte sein Blick in der Küche umher. Die für das Backen notwendigen Gerätschaften: Mixer, Küchenwaage, Rührschüssel, sowie eine angebrochene Tüte Mehl und die Schalen mehrerer Eier, lagen noch neben und in der Spüle herum.

    „Kann es sein, dass wir uns schon einmal begegnet sind?", fragte Frau Kopetzki und setzte sich, wobei sie den Besucher forschend ansah.

    Das passierte Blank hin und wieder. Wildfremde Menschen sprachen ihn an, weil sie glaubten, ihn zu kennen oder meinten, ihn schon einmal gesehen zu haben. Nicht etwa, weil Blank einer bekannten Persönlichkeit ähnelte.

    Ganz im Gegenteil.

    Sein Erscheinungsbild war eher farblos ohne irgendwelche individuellen äußerlichen Besonderheiten. So wie der nette Nachbar von nebenan, den man jeden Tag sieht und im nächsten Augenblick schon wieder vergessen hat. Durch und durch uninteressant. Gerade dieser Anschein eines ganz normalen Durchschnittseuropäers verleitete manchen Betrachter dazu, Blank mit einem Bekannten zu verwechseln, weil er von jedem Menschen irgendwie etwas abbekommen zu haben schien.

    In der Menge schien Blank völlig unterzugehen, beinahe so, als ob er unsichtbar wäre.

    Dass diese unauffällige Erscheinung einmal für seine Tätigkeit von besonderem Nutzen sein würde, hätte sich Blank früher nicht vorstellen können. Heute war er froh darüber und nutzte es für sich aus.

    Nur wenige Handgriffe genügten und Blank konnte sich mit Perücken, falschen Bärten oder einfach nur mit einer Brille, in eine andere Person verwandeln. Blank hatte diese Befähigung bis zur Vollkommenheit ausgebaut, wobei ihm sein schauspielerisches Talent und die Eigenschaft seine Stimme verstellen zu können, ebenfalls nützlich war.

    Die überwiegende Zeit blieb er aber der natürliche Tobias Blank, so wie jetzt auch, als er Frau Kopetzki widersprach: „Ich bin das erste Mal in diesem Teil des Landes. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind."

    „Es war auch nur so ein Gefühl, entschuldigte sich Frau Kopetzki, „irgendetwas hat mich wohl an einen Bekannten erinnert. Darf ich Sie dann fragen, was Sie in die Grafschaft geführt hat?

    Blank hielt es für angebracht so weit wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben.

    „Mein Name ist Tobias Blank und ich bin auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Von Freunden habe ich gehört, dass hier die Aussichten dafür ganz gut sein sollen."

    „Es gibt hier zwar einige größere Unternehmen. Aber, ob dort neue Mitarbeiter gesucht werden, kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn Sie wollen, kann ich mich gerne einmal umhören."

    Blank winkte ab und entgegnete: „Vielen Dank, aber das wird nicht notwendig sein. Ich habe bereits morgen ein erstes Vorstellungsgespräch."

    „Oh, da wünsche ich ihnen viel Erfolg."

    „Wenn ich mir dann die Zimmer ansehen könnte", erinnerte Blank an den eigentlichen Grund seiner Anwesenheit.

    „Natürlich. Wie ich schon sagte, können Sie zwischen drei Zimmern wählen. Alle mit getrenntem Wohn- und Schlafbereich, sowie einem Bad mit Toilette und Dusche. Das eine befindet sich gleich hier im ersten Stock. Die beiden anderen Appartements sind nebenan und durch separate Eingänge erreichbar."

    Blank war sofort angetan von dem Gedanken, eines der Zimmer nebenan zu nehmen. So konnte er vermeiden, der Frau ständig zu begegnen, falls es erforderlich sein würde, einmal ungesehen kommen und gehen zu müssen. Blank äußerte seinen Wunsch und Frau Kopetzki stand auf, um die entsprechenden Schlüssel zu holen.

    Mit einem sehnsüchtigen Blick auf den noch immer dampfenden Kuchen folgte Blank der Frau. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr zu sich genommen und sein Magen erinnerte ihn daran, dass es Mittagszeit war.

    „Wie sind sie eigentlich hergekommen?", fragte Frau Kopetzki auf dem Weg nach nebenan.

    „Mit dem Zug, antwortete Blank und um die nächste Frage abzuwehren, ergänzte er: „Mein Gepäck befindet sich noch am Bahnhof in einem Schließfach.

    Es gehörte zu Blanks bevorzugter Arbeitsweise, erst am Einsatzort zu entscheiden, ob ein fahrbarer Untersatz erforderlich war. Einen PKW hatte Blank noch nie besessen. Wenn es notwendig erschien, mietete er einen Wagen. Wobei er darauf achtete, stets einen Autotyp auszuwählen, der seiner jeweiligen Tätigkeit entsprach. Trat er beispielsweise als einfacher Arbeiter auf, so war es sicherlich nicht angebracht, mit einer Luxuslimousine vorzufahren. Es würde nicht zu der Rolle passen, die er darstellte. Mit einem entsprechenden Auto als Statussymbol konnte man erfahrungsgemäß relativ einfach den Eindruck erwecken, der landläufig mit einer bestimmten Berufsgruppe in Verbindung gebracht wird.

    Falls sich Blank für diese Unterkunft entscheiden würde, und alle Umstände sprachen bisher dafür, so wäre sein zukünftiger Arbeitsplatz etwa zwei Kilometer entfernt. Gerade noch im zumutbaren Bereich, um zunächst auf ein Auto verzichten zu können.

    Während der Wohnungsbesichtigung erklärte Frau Kopetzki, dass die früheren Nachbarn vor einigen Jahren ausgezogen waren. Ihr Mann und sie hatten daraufhin die Haushälfte gekauft. Da sie kinderlos geblieben waren, hatten sie beschlossen Fremdenzimmer einzurichten, um von den Mieteinnahmen ihren Lebensabend zu bestreiten. Leider hatte ihr Mann nicht mehr viel davon gehabt, denn vor zwei Jahren war er ganz überraschend gestorben. Ihre Witwenrente reichte zwar gerade so aus, um selbst über die Runden zu kommen. Aber für die Erhaltung des Doppelhauses war sie auf die Mieteinnahmen angewiesen, denn ihre Ersparnisse waren für den Hauskauf aufgebraucht worden.

    Bereits nach wenigen Minuten hatte Blank seine Entscheidung getroffen. Der untere Bereich dieser Doppelhaushälfte sollte für die nächsten Wochen sein neues Domizil werden.

    Frau Kopetzki schien sehr glücklich darüber zu sein und machte auch keinen Hehl daraus. Etwas verlegen schaute Blank aus der Wäsche, als die Vermieterin noch ein Angebot unterbreitete: „Wenn Sie möchten, können Sie neben dem Frühstück auch die anderen Mahlzeiten bei mir bekommen."

    Blank wollte sich in diesem Punkt noch nicht festlegen, bedankte sich aber für das überaus freundliche Angebot.

    Seine neue Wirtin übergab Blank die Hausschlüssel und verabschiedete sich.

    In aller Ruhe inspizierte Blank die Räumlichkeiten. Was ihm sofort angenehm auffiel, war der direkte Zugang zum Garten. Eine gläserne Schiebetür im Wohnzimmer, durch einen Vorhang verdeckt, führte unmittelbar hinter das Haus. Ansonsten entsprach die Einrichtung vollauf seinen Ansprüchen. Damit war die wichtigste Aufgabe, die sich Blank für den heutigen Tag vorgenommen hatte, erledigt.

    Zufrieden machte er sich auf den Weg zum Bahnhof, um die Reisetasche zu holen. Der Weg dorthin erschien ihm wesentlich kürzer zu sein. Das mochte daran liegen, das Blank nicht mehr suchend umherschauen musste. In der Nähe des Bahnhofs lockte ein Imbissstand mit frischer Bratwurst vom Holzkohlegrill. Blank nutzte die Gelegenheit für eine Zwischenmahlzeit, bevor er zum Schließfach ging.

    Nach dem warmen und trockenen Sommer sollte der vor der Tür stehende Herbst, wenn man den Vorhersagen glaubte, ebenso schön werden. Blank vertraute den Prognosen und hatte dementsprechend nicht viel Kleidungsstücke eingepackt. Wäsche zum Wechseln und eine strapazierfähige Arbeitsmontur sollten fürs Erste reichen.

    Der Rückweg zu seiner neuen Unterkunft dauerte etwas länger, da Blank einen Umweg machte, um sich den morgigen Weg zur Arbeit einzuprägen. Der Betrieb, der seinen Tagesablauf zukünftig bestimmen würde, lag im Gewerbegebiet von Schüttorf. Es handelte sich um eine Spedition, bei der sich Blank für einen Aushilfsjob im Lager vorstellen sollte. Er war sehr gespannt darauf, was ihn da erwarten würde.

    Das Blank in immer neue Identitäten schlüpfen musste, war in seiner ungewöhnlichen Tätigkeit begründet. Als Mitbetreiber einer Detektei war Blank auf verdeckte Ermittlungen spezialisiert. Seine Hilfe wurde meistens dann angefordert, wenn der Verdacht bestand, dass Betriebsangehörige in Zwielichtige Geschäfte verwickelt sein könnten. Getarnt als Mitarbeiter, mit den bereits erwähnten besonderen Eigenschaften, war es für Blank vergleichsweise einfach möglich, unauffällig nach den Ursachen von Unregelmäßigkeiten innerhalb einer Firma zu suchen.

    Warum er so gespannt darauf war, was ihn in Schüttorf erwarten würde, ist ganz einfach erklärt: Blank wusste nicht, aus welchem Grund die Spedition Holterberg die Dienste der Detektei angefordert hatte. Es mochte auf den ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen, so ganz ohne konkreten Anfangsverdacht Ermittlungen aufzunehmen. Aber diese Vorgehensweise hatte durchaus Methode. Denn nur so konnte er unvoreingenommen nach eventuellen Schwachstellen ausschauen. Oftmals war es für einen Außenstehenden eher möglich, objektiv die Betriebsabläufe zu betrachten, um so auf Anomalien aufmerksam zu werden.

    Die „Methode Blank", wie sein Freund Miko die Herangehensweise gern bezeichnete, kam Blanks Fähigkeiten sehr entgegen. Denn aufgrund seines unscheinbaren Auftretens und seiner charismatischen Ausstrahlung gelang es Blank problemlos, das Vertrauen der Kollegen zu gewinnen. Allein diese Wesenszüge reichten selbstverständlich nicht aus, um Betrügereien auf die Schliche zu kommen. Dazu gehörte auch Blanks untrüglicher Instinkt für Heimlichkeiten. Wann immer jemand versuchen wollte, ihn hinters Licht zu führen, erwachte dieser Spürsinn und dann konnte Blank zu einem ernst zu nehmenden Gegner werden.

    Wo und wann Blank seine Spürnase einsetzte, koordinierte sein Freund und Partner Miko. Eigentlich hörte er ja auf den Namen Maximilian Mikolajusewitsch. Aber, diesen Namen konnte kaum jemand fehlerfrei aussprechen, deshalb wurde er kurz Miko genannt. Also, dieser Freund, war der Initiator, das Rückgrat und der Motor - kurzum der Chef, einer landesweit operierenden Detektei.

    Da sich Miko mehr und mehr den organisatorischen Aufgaben zugewandt hatte, übernahm Blank die besonders heiklen Fälle.

    Dass die Freunde Geschäftspartner waren, wusste allerdings keiner der Mitarbeiter. Innerhalb der Detektei trat Blank als normaler Kollege und Mitarbeiter auf. Dieses Verhalten hatte einen ganz besonderen Grund. Denn es gab ein Geheimnis, dass die Männer verband. Es war ihr äußeres Erscheinungsbild. Sie waren sich zum Verwechseln ähnlich. Mehr noch, sie hätten sich als eineiige Zwillinge präsentieren können, obwohl sie nicht miteinander verwandt waren.

    Dieser außergewöhnliche Umstand hatte bei den Mitarbeitern schon mehrfach für Unruhe gesorgt und Miko einen legendären Ruf eingebracht. Manche behaupteten sogar, dass der Chef die Fähigkeit besaß, an zwei Orten gleichzeitig zu erscheinen.

    Das war natürlich kein Selbstzweck oder gar lustig. Als Berater in Sicherheitsfragen waren die Freunde darauf bedacht, den eigenen Laden sauber zu halten und vor schwarzen Schafen zu schützen. Deshalb tauchten Blank und Miko gelegentlich an getrennt liegenden Orten auf, um die Mitarbeiter unangemeldet zu kontrollieren. Nur wenn sie gemeinsam in Erscheinung traten, musste sich einer jeweils verkleiden. Meistens traf es Blank und deshalb hatte er im Geheimfach seiner Reisetasche stets einige entsprechende Utensilien dabei.

    Damit ihr Geheimnis so lange wie möglich unentdeckt bleiben konnte, war Blank als Einzelkämpfer unterwegs. Denn ein weiterer Geschäftszweig der Detektei waren verdeckte Ermittlungen in fast allen Bereichen der Wirtschaft. Wenn es darum ging, ungewöhnliche Vorkommnisse zu untersuchen wurde Miko gerufen. Er knüpfte die ersten Kontakte zu den Auftraggebern und verabredete die Einsatzmodalitäten. Erst dann kam auch Blank ins Spiel.

    Doch bevor er einen Auftrag übernahm, wollte er sich ein eigenes Bild machen. Das war die einzige Bedingung, die Blank mit Miko vereinbart hatte. Bisher waren sie gut damit gefahren und genauso waren sie auch jetzt vorgegangen. Nur Miko wusste, was in der Spedition Holterberg vorgefallen war.

    Blank musste erst seine Spürnase in den Wind halten, um festzustellen, wo es in dieser Firma stinkt. Er liebte solche Herausforderungen und freute sich auf den morgigen Tag.

    Für die erste Kontaktaufnahme kannte Blank nur den Namen eines Mitarbeiters, bei dem er sich vorstellen sollte. Alles Weitere würde sich dann ergeben. Ach ja, einen Hinweis hatte Blank von Miko erhalten. Irgendwann hatte der Freund damit begonnen, Blank stets einen Spruch mit auf den Weg zu geben. Kein konkreter Ermittlungsansatz, nur ein Tipp, den es zu entschlüsseln galt. Diesmal lautete er:

    Wie durch Zauberhand verschwinden Dinge durch die Wand.

    ******

    Frau Kopetzki hatte zum Frühstück alles aufgetischt, was ihre Küche hergab. Es hätte locker für vier Personen gereicht. Obwohl Blank ein ausgiebiges Frühstück zu schätzen wusste, fühlte er sich bei der Menge von Leckerbissen überfordert. Nach seiner obligatorischen zweiten Tasse Kaffee gab Blank auf und was da noch vor ihm auf dem Tisch stand, schien sich überhaupt nicht verringert zu haben.

    Offenbar hatte sich die Frau vorgenommen dafür zu sorgen, dass Blanks schmächtiger Körper in den nächsten Wochen einige Pfunde mehr auf die Rippen bekam.

    Nur gut, dass noch ein ordentlicher Fußmarsch vor ihm lag, dachte Blank, und bevor seine Wirtin auf die Idee kommen könnte, eventuell noch etwas aufzutragen, verließ er das Haus.

    Aufgrund des gestrigen Rundgangs kannte Blank den Weg und zielstrebig durchquerte er die ruhige Stadtrandsiedlung. Die Zufahrtsstraße zum Gewerbegebiet führte in einem leichten Bogen stetig bergauf. Beiderseits der Straße waren Schrebergärten angesiedelt. Hohe Büsche an der Straßenseite versperrten die Sicht auf die Laubenkolonie. Offensichtlich war dieses Areal, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gewerbegebiet, nicht attraktiv genug für Häuslebauer, dachte Blank. Wie zur Bestätigung donnerte in diesem Moment ein Lastwagen mit Anhänger an ihm vorbei und wirbelte eine Staubwolke auf.

    Sein Treff war um sieben Uhr, bei einem gewissen Herrn Liefke.

    Mit ausladenden Schritten ging Blank dieser Verabredung entgegen. Zwischen einigen hohen Pappeln hindurch, waren die Dächer von zwei größeren Gebäuden zu erkennen. Kurz bevor Blank die Baumreihe erreichte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Das Klappern der Schutzbleche hätte eigentlich schon ausgereicht, um auf sich aufmerksam zu machen, trotzdem betätigte der Radfahrer noch eine Fahrradklingel.

    Blank trat einen Schritt zur Seite.

    Der keuchende Radfahrer trampelte vorbei. Er hatte es augenscheinlich eilig, sodass Blank die Person auf dem Sattel nicht näher betrachten konnte. Von hinten fiel nur die leuchtend rote Strickmütze auf. Ohne sich umzusehen, kurvte der Mann um die Bäume herum und war im nächsten Augenblick außer Sicht.

    Ein weiteres Fahrzeug kam die Straße herauf und Blank beschleunigte seine Schritte.

    Um nicht noch einmal eingestaubt zu werden, ging er rasch an den Bäumen vorbei und betrat einen großflächig gepflasterten Platz.

    Linker Hand wurde der Platz von einer Tankstelle begrenzt. Daneben und dahinter parkten mehrere Lastwagen.

    Offenbar ein Rasthof, vermutete Blank.

    Sein Interesse galt allerdings mehr den zwei Gebäuden an der rechten Seite. Das Erste, umgeben von einem Maschendrahtzaun, beherbergte einen Gemüsegroßhandel, wie ein Schild an der Einfahrt anzeigte.

    In der Nähe der holländischen Grenze eigentlich kein Wunder, dachte Blank. Holland war schließlich als Exportland von allerlei Grünzeug bekannt.

    Blank setzte seinen Fußmarsch fort und erreichte das nächste Gebäude, dessen Stirnseite aus dunkelgrauen Backsteinen bestand. Zwischen steinernen Pfeilern, an der Vorderfront der lang gestreckten Halle, erkannte Blank drei massive Schiebetore. Vor den Toren befand sich eine überdachte Laderampe. An beiden Seiten jeweils eine Treppe. Der Hof war groß genug, um Lkws rückwärts an die Rampe fahren zu lassen. Ein Lastzugfahrer war auch gerade dabei den Anhänger von der Zugmaschine abzukuppeln.

    Blank musste in einem weiten Bogen um das Fahrzeug herum gehen. Dabei schaute er auf das flache Dach der Halle. Ein Schild zeigte an, dass er sein Ziel erreicht hatte.

    Dieses Gebäude gehörte zur Spedition Holterberg.

    Als die ersten Sonnenstrahlen über den Pappeln aufblitzten, betrat Blank die Treppe und ging hinauf auf die Rampe. Das erste Schiebetor war einen Spaltbreit geöffnet und Blank trat hindurch. Sein erster Eindruck wurde bestätigt. Er befand sich in einer Lagerhalle. Der Raum wurde durch eine schmale Fensterreihe unter dem Dach nur notdürftig erhellt. In dem Dämmerlicht waren nur die Konturen von unzähligen Kartons, Kisten, Fässern und sonstiger Waren zu erkennen.

    Angelockt von einem schwachen Lichtschimmer ging Blank weiter in die Halle hinein. Der Lichtschein kam aus einer einfachen Holzbaracke an der linken Wand. Die Bude diente offensichtlich als Büro, wie Blank feststellen konnte, als er durch die schmutzige Scheibe hinein sah. Im matten Licht einer Schreibtischlampe konnte er einen Stapel Papiere in der Mitte eines hölzernen Schreibtisches erkennen.

    Vom Büroinhaber war jedoch nichts zu sehen. Das primitive Geschäftszimmer war genauso menschenleer, wie die ganze Lagerhalle.

    Blank warf einen Blick auf seine Armbanduhr: drei Minuten vor sieben Uhr.

    Die trügerische Ruhe währte nicht lange.

    Eine Tür wurde zugeschlagen. Beinahe gleichzeitig wurde es taghell in der Halle. Unwillkürlich schaute Blank an die Decke. Zwischen der eisernen Stützkonstruktion konnte er eine Reihe Neonröhren dabei beobachten, wie eine nach der anderen kurz flackerte und dann hell erstrahlte.

    Hinter der Bürobaracke musste es noch einen Zugang zur Halle geben, dachte Blank gerade, als ein grauhaariger Mann um die Ecke kam. Er trug einen abgetragenen dunkelgrauen Kittel.

    So selbstbewusst, wie die Person auf ihn zu kam, konnte es sich nur um den Lagermeister Johann Liefke handeln, war sich Blank sicher.

    Der misstrauische Blick, mit dem der Ältere den Fremden ansah, war nicht zu übersehen. Das änderte sich nur unwesentlich, als sich Blank vorstellte.

    Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ Blank die gründliche, kritisch prüfende Musterung, über sich ergehen. Dass er mit seiner schmächtigen Figur nicht gerade dem Musterexemplar eines Lagerarbeiters entsprach, darüber war sich Blank durchaus bewusst. Doch was ihm an Muskelkraft fehlte, konnte er durch Ausdauer und Zähigkeit wieder wettmachen. Es gab einige Zeitgenossen, die es bitter bereut haben, dass sie Blanks Fähigkeiten unterschätzt hatten.

    Der Lagermeister schien seine Begutachtung abgeschlossen zu haben. Mit welchem Ergebnis war allerdings aus dem Gesicht nicht abzulesen.

    „Na schön, Herr Blank. Dann wollen wir mal sehen, was Sie zu leisten imstande sind", sagte der Kittelträger ohne irgendwelche Anzeichen von Emotionen.

    Offensichtlich war der Mann jemand, die nicht vorschnell ein Urteil über andere Personen fällte, dachte Blank.

    „Vor der Halle wartet bereits ein LKW, der abgeladen werden muss. Öffnen Sie das mittlere Tor und dann kann es losgehen."

    Blank nickte zur Bestätigung und wandte sich wortlos um. Auf dem Weg zum Tor blickte Blank über die Lagerwaren. Zu seiner Überraschung sah er am anderen Ende der Halle eine rote Mütze. Der Besitzer war zweifellos der Radfahrer von vorhin. Er hatte seinen fahrbaren Untersatz gewechselt und saß jetzt auf einem Gabelstapler. Mit traumwandlerischer Sicherheit lenkte der hagere Bursche das Gefährt an den Kistenstapeln und Stützpfeilern vorbei, ohne anzuecken.

    Offenkundig legte man hier im Lager mehr Wert auf Geschicklichkeit als auf Körperkraft, dachte Blank ermutigt und wandte sich seinem Auftrag zu.

    Die Lagertore waren an den Innenseiten mit einem eisernen Haken gesichert. Wie ihm aufgetragen worden war, entriegelte Blank das Mittlere. Am Boden befand sich eine Führungsschiene und oben waren die Schiebetore auf Rollen gelagert. Dadurch konnte das solide Tor mühelos bewegt werden.

    Auf der Rampe wartete bereits der Lkw-Fahrer, den Blank vorhin beim Abkuppeln gesehen hatte.

    „Wird auch Zeit, dass ihr endlich aufwacht", sagte der Mann vorwurfsvoll.

    Er machte einen gehetzten Eindruck.

    Blank nahm ihm die Bemerkung nicht übel, wusste er doch, dass die Fahrer im Transportgewerbe stets unter Zeitnot standen.

    Rotmütze brachte mit dem Gabelstapler einige leere Paletten, stellte sie auf der Rampe ab und war im Nu wieder weg. Der Fahrer begann sofort seine Ladung, welche aus handlichen Kartons bestand, darauf zu stapeln. Wortlos packte Blank mit an. Die Kartons waren nicht sehr groß, aber ziemlich schwer. Laut Beschriftung bestand der Inhalt aus jeweils sechs Einliterdosen Lackfarbe.

    Innerhalb einer halben Stunde waren fünf Paletten vollgepackt.

    Der Lagermeister erschien wie aus dem Nichts auf der Rampe. Offensichtlich hatte er aus seinem Bürofenster beobachtet, wie sich der Neue angestellt hatte, vermutete Blank.

    Der erste Einsatz als Lagerarbeiter war beendet.

    Blank fühlte sich geschafft, aber zuversichtlich, dass er sich ganz passabel geschlagen hatte.

    Der Fahrer bedankte sich bei Liefke, als der den Lieferscheindurchschlag abgezeichnet zurückgab.

    Rotmütze kam mit dem Stapler angebraust, nahm die erste Palette auf die Gabeln und hob sie etwas an. Mit einer schnellen Drehung am Lenkradknauf wurde das Transportgerät gewendet und verschwand in der Halle.

    Blank stand mit dem Rücken an den Torpfeiler gelehnt und krempelte die Ärmel um.

    Liefke forderte Blank auf, mit ins Büro zu kommen.

    „Schon mal in einer Spedition gearbeitet?", fragte er unterwegs.

    Nach der Praktischen, also die theoretische Prüfung, dachte Blank und antwortete: „In einer Spedition noch nicht. Aber einige Erfahrung in der Lagerarbeit konnte ich bereits sammeln."

    Tatsächlich hatte Blank in der Vergangenheit bereits im Lagerbereich Ermittlungen durchgeführt und ohne zu viel über seine bisherigen Arbeitgeber zu verraten, erläuterte Blank dem aufmerksam zuhörenden Lagermeister, seine bereits erworbenen Kenntnisse. Das Blank auch mit den im Lagerbereich obligatorischen Gerätschaften, wie Gabelstaplern und Kränen umgehen konnte, machte allerdings nicht sonderlich viel Eindruck.

    Im Büro setzte sich der Lagermeister gleich an seinen angestammten Platz hinter den Schreibtisch. Für Blank blieb ein alter Holzstuhl als Sitzgelegenheit. Mit kurzen, knappen Sätzen erklärte Herr Liefke die Aufgaben einer Spedition: Neben dem Transport von Waren und Gütern aller Art hatte sich die Firma Holterberg auch als Empfangsspediteur etabliert. Aus dem gesamten Bundesgebiet und bevorzugt von den Nordseehäfen wurden die Waren per Lkw angeliefert, sortiert und zwischengelagert, um dann mit kleineren Fahrzeugen an die Empfänger in der näheren Umgebung ausgeliefert zu werden. Die zu transportierenden Güter wurden im Nahverkehr auch Rollgut genannt und das Entgelt für den Transport als Rollgeld bezeichnet.

    Oberstes Ziel war es, die Waren so schnell wie möglich umzuschlagen, damit die Kapazität des Lagers nicht überschritten wurde und die Kunden nicht zu lange auf ihre bestellten Lieferungen warten mussten.

    Während des Vortrages war Blank aufgefallen, dass Herr Liefke seinen Kopf immer etwas zur Seite gedreht hatte. Nicht besonders auffällig, aber einem aufmerksamen Beobachter wie Blank, war es nicht entgangen.

    Abrupt beendete der Lagermeister seine Erklärungen mit den Worten: „Und noch eins! Damit wir uns gleich richtig verstehen, Saufen und Qualmen dulde ich hier nicht. Da verstehe ich keinen Spaß."

    „Kein Problem", entgegnete Blank wie aus der Pistole geschossen.

    „Gut. Alles was Sie sonst noch wissen müssen, werde ich Ihnen erklären, wenn es so weit ist."

    Aus dem Stapel Papiere, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, fischte Herr Liefke drei Lieferscheine heraus, übergab sie Blank und erklärte ihm seine nächste Aufgabe.

    Damit war er bis auf Weiteres entlassen.

    Allzu viel hatte er nicht erfahren, dachte Blank beim Verlassen des Büros. Insbesondere, worin sein eigentlicher Auftrag bestand, war er nicht einen Deut nähergekommen. Aber, das würde sich schon noch ergeben, beruhigte sich Blank, schließlich hatte der Arbeitstag gerade erst begonnen.

    Seine nächste Aufgabe erschien ihm nicht besonders schwierig zu sein. Die soeben angelieferten Farben mussten sortiert werden, da sie an drei verschiedene Empfänger ausgeliefert werden sollten. Wäre das beim Abladen schon bekannt gewesen, hätte man die Kartons gleich nach Empfängern sortiert, auf die Paletten packen können. So musste jeder Karton nochmals in die Hand genommen werden. In dieser Hinsicht gab es also durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten bei der Arbeitsorganisation, stellte Blank fest und nahm sich vor, das bei passender Gelegenheit dem Lagermeister gegenüber zu erwähnen.

    In der für ihn noch unübersichtlichen Halle brauchte Blank eine Weile, bis er den Platz fand, wo Rotmütze die Paletten abgestellt hatte. Es steckte bestimmt ein System dahinter, allerdings war Blank noch nicht darauf gekommen. Die Lagerflächen zwischen den Pfeilern entsprachen der doppelten Palettenbreite. Dazwischen war der Weg frei für den Gabelstapler. An den Pfeilern sah Blank Schilder hängen, welche auf verschiedene Firmen und Städte im Umkreis hinwiesen. Noch sagte ihm das nichts.

    Bei der Vielzahl von Gütern erschien es Blank fast unmöglich zu sein, den Überblick zu behalten. Noch unwahrscheinlicher kam es ihm vor, dass nur zwei Leute den Warenumschlag bewerkstelligen sollten. Blank kam zu dem Schluss, dass es noch weitere Mitarbeiter geben musste, und widmete sich seiner Aufgabe.

    Anhand der farblichen Kennzeichnung war es zwar kein Problem die Kartons den jeweiligen Empfängern zuzuordnen, aber es brauchte eine geraume Zeit, bis Blank die fünf Paletten durchgesehen und neu sortiert hatte. Zu guter Letzt überprüfte er noch, ob die Anzahl der Kartons mit den Angaben auf den Lieferscheinen übereinstimmte. Er versäumte auch nicht zu vermerken, dass einer der Kartons beschädigt war. Danach ging Blank zum Büro.

    Da der Raum leer war, legte Blank die Transportdokumente mitten auf den Schreibtisch, sodass sie der Lagermeister bei seiner Rückkehr nicht übersehen konnte.

    Ein schreckhafter Mensch wäre vermutlich zusammengezuckt, doch Blank drehte sich nur neugierig um.

    Jemand hatte ihm auf die Schulter getippt.

    Bisher hatte er Rotmütze nur flüchtig und aus der Entfernung gesehen. Nun blickte Blank in ein freundlich lächelndes, mageres und von Sommersprossen übersätes Gesicht. Unter der roten Strickmütze lugten ein paar blonde Locken hervor. Das Alter des Kollegen dürfte irgendwo zwischen 30 und 40 Jahren liegen, schätzte Blank.

    Auch Rotmütze musterte sein Gegenüber.

    Dann erschrak Blank doch etwas.

    „Grom mi", stotterte Rotmütze plötzlich. Es klang gequält und er verzog dabei sein Gesicht zu einer Grimasse.

    Blank verstand nur Bahnhof, denn offensichtlich hatte der Mann Probleme damit, sich zu artikulieren.

    Der Gabelstaplerfahrer lächelte wieder und streckte Blank die Hand entgegen. Intuitiv ergriff Blank die Hand. Ganz offensichtlich war er dem Kollegen sympathisch und auch Blank war nach dem ersten Schreck durchaus angenehm überrascht.

    Auch wenn Blank nicht verstand, was Rotmütze ihm mitzuteilen versuchte, die Geste war eindeutig. Blank sollte ihm folgen.

    Gemeinsam gingen sie aus dem Büro in das Lager. Wie Blank richtig vermutet hatte, gab es hinter der Baracke eine Tür. Rotmütze führte Blank durch einen Gang. Von den zwei Türen, die sich hier befanden, wähle sein Führer die Rechte aus.

    Der fensterlose Raum, den sie betraten, war mir einem länglichen Tisch und mehreren einfachen Holzstühlen möbliert. Das milchig-gelbe Licht der Deckenlampe spiegelte sich auf einer Reihe von fünf Blechspinden gegenüber der Eingangstür.

    Rotmütze ging zielstrebig zu einem kleineren Tisch an der rechten Wand. Darauf standen, neben mehreren leeren Flaschen, eine Kaffeemaschine und eine Tasche.

    Blank brauchte erst ein paar Atemzüge, um sich an den etwas eigentümlichen Geruch von Öl, Schweiß und abgestandener Luft zu gewöhnen.

    Sein Kollege nahm die Tasche, setzte sich auf den erstbesten Stuhl und begann den Inhalt auszupacken: eine Thermoskanne und ein Paket mit belegten Broten.

    Blank schloss die Tür und trat weiter in den Raum hinein. Jetzt konnte er auch den Getränkeautomaten sehen, der verdeckt hinter der Tür stand. Der rote Metallkasten nahm die Hälfte der Wand ein. In weißen geschwungenen Buchstaben konnte man den Namen eines weltweit bekannten Erfrischungsgetränkeherstellers lesen.

    Unwillkürlich verspürte Blank ein Durstgefühl.

    Hunger hatte er noch nicht nach dem umfangreichen Frühstück. Ein kühles Getränk wäre jetzt aber ganz nach seinem Geschmack. Blank schaute sich die Auswahl an, während er aus seiner Geldbörse etwas Kleingeld herausnahm. Als die Münzen in dem Geldschlitz verschwunden waren, drückte Blank einen der Auswahlknöpfe. Insgeheim hoffte er, dass hier auch regelmäßig nachgefüllt wurde, denn sein trockener Gaumen war bereit für eine Erfrischung.

    Nach einigen undefinierbaren Geräuschen im Inneren des Automaten polterte eine Flasche in das Ausgabefach. Blank suchte nach einem Flaschenöffner und entdeckte die entsprechende Vorrichtung an der rechten Seite des Automaten. Durch die Kohlensäure begann der Inhalt der Flasche zu sprudeln, und noch bevor die dunkle Flüssigkeit den Flaschenhals erreicht hatte, setzte Blank die Öffnung an die Lippen. Er ließ einen großen Schluck durch seine Kehle rinnen und genoss das Prickeln des kühlen Getränks.

    So vom Durst erlöst setzte sich Blank zu Rotmütze an den Tisch und nahm noch einen Schluck. Der Stuhl war zwar unbequem, trotzdem war Blank froh über die Ruhephase nach den ersten Anstrengungen des Tages.

    Der Schmalgesichtige kaute gedankenverloren an einem Happen von seiner Wurststulle und sah den neuen Kollegen freundlich nichtssagend an.

    Blank war unentschlossen und dachte, lieber schweigen, als etwas falsches sagen.

    Rotmütze schien auch keine Lust auf ein Gespräch zu haben. Er schluckte den letzten Bissen seines Frühstücks herunter und griff nach dem Kaffeebecher auf dem Tisch.

    Bald war es Blank doch unheimlich und er wollte den Kollegen ansprechen, da hörte er Schritte auf dem Flur.

    Rotmütze nahm keine Notiz davon. In aller Ruhe öffnete er den Deckel der Thermoskanne und füllte den Becher mit dampfendem Kaffee.

    Langsam kam Blank das Verhalten merkwürdig vor.

    Schwungvoll wurde die Zugangstür zum Aufenthaltsraum geöffnet.

    Neugierig drehte Blank seinen Kopf herum.

    Erst jetzt zeigte Rotmütze eine Reaktion. Aus den Augenwinkeln sah Blank ein sorgloses Lächeln über das Gesicht seines Tischnachbarn huschen. Offenbar kannte er den Mann.

    Für Blank war die Person unbekannt und Furcht einflößend.

    Die riesige Gestalt des Mannes füllte den Türrahmen fast vollständig aus. Und das nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe, wobei der Hüne den Kopf einziehen musste.

    Der Mann trug eine blaue Latzhose, mit breiten Trägern und einem Reißverschluss auf der Brust. Es musste sich um eine Sonderanfertigung handeln, dachte Blank unwillkürlich. Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass man diese Konfektionsgröße von der Stange kaufen könnte.

    Obwohl Blank schon einigen groß gewachsenen Personen über den Weg gelaufen war, so einem wuchtigen Exemplar war er noch nicht begegnet. Trotzdem musste der erste Eindruck korrigiert werden.

    Von diesem Riesen ging nichts Bedrohliches aus.

    Eher im Gegenteil.

    Mit den kurz geschorenen Haaren und den dunklen Bartstoppeln wirkte der Hüne wie ein zu groß geratener Teddybär. Der rundliche Kopf saß auf einem Stiernacken und die kleinen grünen Knopfaugen schauten irgendwie lustig aus dem Gesicht. All das erfasste Blank, als der Mann weiter in den Raum trat und den Kopf aufrichtete.

    „Ich glaube, du sitzt auf meinem Platz", dröhnte ihm die laute sonore Stimme des Goliaths entgegen.

    Diese provokative Ansage brachte Blanks Eindruck ins Wanken. Als der riesenhafte Mann einen Schritt näherkam und drohend seine Hände an den Hüften abstützte, spürte Blank doch ein etwas mulmiges Gefühl in der Magengegend.

    Er ließ sich allerdings nichts anmerken. Unbeeindruckt richtete Blank seinen Kopf nach oben und schaute dem Mann in die Augen. Sein Blick hatte ihn verraten, denn es war deutlich abzulesen, dass die drohend klingende Äußerung nicht ernst gemeint sein konnte.

    Dass sein Auftritt nicht die erwartete Wirkung hervorgerufen hatte, schien den Riesen zu irritieren, glaubte Blank in dessen Gesicht abzulesen. Er hoffte inbrünstig, dass er sich in seiner Einschätzung nicht geirrt hatte. Denn mit den zwei annähernd klodeckelgroßen, schwieligen Händen, die an behaarten Armen von den breiten Schultern herunter hingen, wollte Blank keine Bekanntschaft machen.

    Fast wie eine Erlösung erklang jetzt eine heiser klingende, krächzende Stimme: „Du brauchst keine Angst zu haben. Er will nur spielen."

    Hinter dem Hünen trat eine zweite Person hervor.

    Blank musste all seine Beherrschung aufbringen und sich das Lachen verkneifen.

    Gemessen an Blanks schmächtiger Statur, war dieser Mann zwar einen Kopf kleiner, dafür aber fast doppelt so breit. Dennoch erschien die Gestalt neben dem Riesen eher zwergenhaft. Wegen der geringen Größe wirkte die Figur des Mannes wie von einer mächtigen Presse zusammengedrückt. Der gedrungene Körperbau passte in den Proportionen nicht so recht zusammen. Die muskulösen Arme schienen übergangslos aus den Schultern zu wachsen, reichten beinahe bis zu den Knien und die relativ kleinen Hände wirkten wie aufgesteckt.

    Das bartlose Gesicht war leicht gerötet. Der Kleine trug eine abgenutzte, flache Schirmmütze, unter der nicht der Ansatz einer Haarlocke auszumachen war.

    Was Blank so amüsant fand, war der Umstand, dass der gnomenhaft wirkende Mann wie eine Miniaturausgabe des Größeren aussah. Das lag zweifellos daran, dass sie gleichartige Latzhosen trugen.

    Für Rotmütze schien das Auftauchen der zwei Männer völlig normal zu sein. Gleichgültig biss er ein Stück von seinem Brot ab und

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