Das Resilienzgespinst: Resilienz zwischen Mythos und Möglichkeit
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Über dieses E-Book
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Unterhaltend und mit zahlreichen Beispielen aus dem prallen Leben zeigt der Autor in seiner neugierig-kritischen Bestandsaufnahme die Widersprüchlichkeit des Begriffs Resilienz und seiner Verwendung. Er lädt interessierte Laien genauso wie Professionelle aus Coaching, Beratung und sozialer Arbeit ein, mit ihm über Resilienz nachzudenken und eine alternative Sicht auf das Thema zu gewinnen.
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Buchvorschau
Das Resilienzgespinst - Christian Grüninger
I
INTRO
Wie dieses Buch entstand
Dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben, wird einen guten Grund haben. Denn in unserer bunten Welt oft verwirrender Vielfalt müssen wir ständig das auswählen, wovon wir glauben, dass es uns weiterbringt. Sonst meldet unsere geistige Festplatte Error – in Form von Stress, Krankheit, Zusammenbruch. Noch können wir die Speichersegmente nicht einfach löschen, die wir nicht mehr brauchen. Zum Glück, meine ich. Denn wie sollten wir entscheiden, was wir löschen sollen? Wie sollten wir wissen, was wir in Zukunft nicht mehr benötigen?
Schon sind wir mittendrin im Thema Resilienz, das um die Frage der Selbsterhaltung kreist. Wie können wir heute sagen, was übermorgen die „richtige"¹ Entscheidung gewesen sein wird? Diese Frage betrifft natürlich genauso einen Berater oder Coach. Sehr vereinfacht gesprochen macht es sich ein Coach zur Aufgabe, andere Menschen dabei zu unterstützen, ihre Situation zu verbessern. Hier führt kein Weg an der Frage vorbei, wie der Kunde Entscheidungen trifft, was er für relevant hält, wie er Situationen wahrnimmt und bewertet. Denn davon hängen sein Selbsterhalt und dessen Qualität ab. Insofern ist das Thema Selbsterhalt und Resilienz im Kontext von Beratung im Grunde immer präsent.
Vor diesem Hintergrund habe ich als beratend Tätiger vor einiger Zeit den Versuch unternommen, mich tiefer in das Thema einzulesen. Ich wollte unter dem Gesichtspunkt von Resilienz etwas über nützliche Grundauffassungen und bewährte Handlungskonzepte erfahren, um Hinweise für den praktischen Einsatz in meiner beruflichen Tätigkeit zu erhalten. Ich wollte mich dem Thema in einer offenen Vorgehensweise nähern, ohne dabei auf allzu viele abstrakte Diskurse einzugehen. Jedoch stand ich bald vor einer erstaunlichen Erkenntnis: Ich stellte fest, dass auch nach einiger Recherche keine trennscharfe Definition von Resilienz zu finden war. Deshalb stellte sich mir die Frage, was sich überhaupt hinter dem diffusen Begriff „Resilienz" verbirgt.
Wie gesagt: Das Bewusstsein für die hier angesprochene Problematik entwickelte ich ungewollt. Ursprünglich interessierte mich schlicht die Frage: Wie wird Resilienz im Spiegel der Literatur behandelt, und gibt es daraus abgeleitete Orientierungshilfen, die ich in einer Beratungssituation „Unter vier Augen"² anwenden kann? Gerade weil vieles, was ich las, so widersprüchlich war, ließ mich die Frage nicht mehr los, inwiefern sich Gedanken und Ideen rund um das Thema Resilienz für den Bereich Coaching und Beratung nutzen lassen. Ich wollte klären, ob beziehungsweise wie Erkenntnisse über Resilienz in der personenbezogenen Einzelberatung nutzbar sind – und ich wollte diesen Begriff von seiner Diffusität befreien, um Klarheit zu haben. Ich wollte sehen, ob Resilienz-Coaching auf den Punkt zu bringen ist und einem tragfähigen Konzept folgt beziehungsweise wenn nicht, warum. Denn trotz der Mehrdeutigkeit des Begriffs existieren erstaunlicherweise sehr wohl vermeintlich eindeutige Resilienz-Coaching-Angebote. Die verblüffende Anzahl von Büchern zum Thema legt diese Vermutung immerhin nahe.
Optimistisch machte ich mich deshalb weiter auf die Suche nach erhellender Fachliteratur, um festzustellen, dass es bislang nicht nur an einer klaren Definition von Resilienz mangelt, sondern offenbar auch eine einstimmige Konzeption zu der Frage fehlt, wie Resilienz und Beratung oder Coaching in einen Zusammenhang gebracht werden können. Doch während die soziologische, psychologische und pädagogische Forschung sich mit einer eindeutigen Definition des Begriffes schwertut, nahm ich erstaunt zur Kenntnis, dass die Coaching-Angebote, die ihrer Klientel Resilienz beziehungsweise Resilienzsteigerung versprechen, damit offenbar keinerlei Probleme haben. Vielmehr scheint sich das Thema trotz seiner Heterogenität und Unschärfe in der Coaching-Branche leicht eingrenzen zu lassen. Denn Trainingsund Coaching-Angebote schießen in diesem Bereich wie Pilze aus dem Boden und locken damit, psychisch widerstandsfähige Individuen zu modellieren.
Schon die Definition des Begriffes wirft anscheinend viele Fragen auf. Trotzdem wird Resilienz in vielen Angeboten als vermeintlich zugkräftiges Ross vor den Beratungskarren gespannt. Wenn aber Resilienz im Wissens- und Forschungsgebiet der Pädagogik und Psychologie ein schwer fassbares Thema ist, wie kann dann ein Berater versprechen, seine Kunden resilient zu machen? Ist Resilienz vielleicht gar kein so leistungsfähiges, effizientes Zugpferd, sondern eher ein störrischer Esel? Wenn ja, dann lässt sich leicht nachvollziehen, dass es schwer bestimmbar ist, wann der Karren wo ankommen wird. Anders gesagt: Wenn wir nicht einmal eindeutig sagen können, was Resilienz ist, wie wollen wir dann garantieren, dass wir jemandem zu Resilienz beziehungsweise zu mehr oder besserer Resilienz verhelfen werden? Sie merken schon, dass hier eine Gemengelage entsteht, die nach Klärung und Struktur verlangt. Dabei ist mit den genannten Aspekten die Problematik noch gar nicht umfassend umrissen. Um beim Bild des gelenkten Wagens zu bleiben, in dem der Berater oder der Coach seinen Kunden an ein gewünschtes Ziel begleitet: Wir müssen auch noch berücksichtigen, wer den Wagen lenkt und in welchem Gelände, also in welchen Umwelten, der Wagen unterwegs ist. Da kommen wir zum Thema der systemischen Beratung.
Was Sie erwarten können
Hier setzt dieses Buch an. Ich werde versuchen, das Gespinst aus Widersprüchen auf dem Gebiet Resilienz und Resilienz-Coaching darzustellen, um es danach zu entwirren und – aufbauend auf dem dadurch entstandenen Wissen und Bewusstsein – anschließend praxisorientierte Überlegungen zu der Frage zu entwickeln, wie sich die Erkenntnisse über Resilienz im Coaching, insbesondere in der Einzelberatung, nutzen lassen. In einem wissenschaftlichen Sinne handelt es sich bei den folgenden Ausführungen eher um die Generierung und weniger um die Prüfung von Hypothesen. Mein Anliegen ist es, über eine rein deskriptive Darstellung des Phänomens hinaus einen Beitrag zu der Frage zu leisten, welche Qualitätsanforderungen sich formulieren lassen, um Erkenntnisse über Resilienz in einer Einzelberatung guten Gewissens nutzen zu können.
Zahlreiche Grundgedanken, die ich im Kontext von Resilienz berücksichtigt habe, entstammen den im Literaturverzeichnis aufgeführten Publikationen. Mit den folgenden Ausführungen bezwecke ich explizit keine eigene Konzeptualisierung. Die von mir vorgestellten Ideen postuliere ich nicht als „neu". Ich möchte sie als Hinweise auf resiliente Prozesse verstanden wissen, die sich zum einen an konstruktivistischen, zum anderen an systemischen Positionen orientieren.
Eine Bestandsaufnahme bildet den Einstieg ins Thema Resilienz. Ich gehe der Frage nach, welche Auffassungen und Prinzipien sich hinter dem Begriff in der sozialwissenschaftlichen Forschung verbergen und stelle zugrunde liegende Mechanismen und Prozesse dar. Danach erkläre ich Resilienz anders – anhand von Büchern und Aufsätzen, die für das Thema interessante Erkenntnisse behandeln. In diesem Zusammenhang erörtere ich die möglichen Konsequenzen einer systemisch-konstruktivistischen Denkweise für das Phänomen Resilienz. Anschließend befasse ich mich mit möglichen resilienten Meta-Kompetenzen von Menschen und entwickle als Ergebnis Anregungen zur Behandlung des Themas Resilienz in Beratung und Coaching.
Betonen möchte ich allerdings, dass ich mich auch hier mit dem Phänomen Resilienz überwiegend auf der theoretischbegrifflichen Ebene befasse. Denn dieses Buch ist nicht als Ratgeber konzipiert, enthält demgemäß also nur begrenzt Handlungsanweisungen. Vielmehr bitte ich, meine Vorschläge für die praktische Nutzung des hier theoretisch erarbeiteten Wissens als behutsame Impulse zu verstehen. Ich beleuchte Resilienz aus mehreren Perspektiven, damit jeder auf der Basis breit gefächerter Informationen seine eigenen Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis ziehen kann. Selbstverständlich werden Sie dabei meine ganz persönlichen Thesen kennenlernen, denn auch ich konstruiere mir meine Wirklichkeit. Aber letztendlich wünsche ich mir, dass die folgenden Ausführungen Sie dazu einladen, über den Begriff Resilienz nachzudenken.
Kein Buch für die Schublade
Was für ein Buch soll aus diesem Ansatz entstehen? Und für wen? Wenn ich sage, dies ist kein Buch für die Schublade, so meine ich das im doppelten Sinne. Ich will mich nicht an formalen Kategorien orientieren wie Fach- oder Sachbuch, sondern an den Inhalten und dem Leserinteresse. Meine Ideen verständlich und gut lesbar zu vermitteln ist mir wichtiger, als formalen Kriterien zu entsprechen. Außerdem entsteht meiner Meinung nach nur dann ein authentisches Buch, wenn es die Interessenlage des Autors widerspiegelt. Ich komme einerseits mit Neugier auf die zugrunde liegende Theorie, auf den wissenschaftlichen Forschungsstand, andererseits aus der Praxis, also aus dem prallen Leben. Ich stelle mir vor, dass dieses Buch vor allem für Menschen interessant ist, die im Kontext von Coaching und Beratung arbeiten, oder auch für Menschen, die im weiten Handlungsfeld der sozialen Arbeit tätig sind und sich – als Professionelle, Berufseinsteiger, interessierte Laien oder Querdenker – an das Thema Resilienz herantasten. Aber der Inhalt wurzelt im theoretischen Denken. Er bezieht sich auf systemisch-konstruktivistische Erkenntnisse und Modelle und soll, selbst wenn dies kein wissenschaftliches Forschungsprojekt ist, auch für Freunde theoretischer Konstrukte anregende Lektüre bieten können.
Neben dem Coaching ist mein zweites Arbeitsgebiet die gesetzliche Betreuung, also ein völlig anderes Betätigungsfeld. Wer ein wenig mit den hier genannten Tätigkeitsbereichen vertraut ist, dem wird klar sein, dass man bei der Beschäftigung mit dem entsprechenden Fachwissen unweigerlich mit der Idee von Resilienz konfrontiert wird. So kam es, dass ich nun das Buch geschrieben habe, das ich eigentlich kaufen wollte – in der Hoffnung, dass Sie davon profitieren.
Am Anfang meiner Recherche und Überlegungen standen also Widersprüche und viele Fragen. Die resultierenden Erkenntnisse habe ich aus einer neugierigen Einstellung heraus erarbeitet. Es ist mir ein Anliegen, sie auch in dieser Sichtweise darzustellen und zu diskutieren.
Zwei Zugänge
Aufgrund meines beruflichen Hintergrundes nähere ich mich dem Thema als Autor aus zwei Perspektiven – der eines Coachs und der eines gesetzlichen Betreuers. Als Coach berate ich Menschen hinsichtlich ihrer Rolle in ihren Organisationen und stelle mit ihnen zusammen tiefer gehende persönliche Themen in den Mittelpunkt, die sich hauptsächlich aus beruflichen Handlungsfeldern ergeben. In meiner beruflichen Praxis als gesetzlicher Betreuer dagegen habe ich überwiegend mit Menschen zu tun, die durch eine Erkrankung oder sonstige Einschränkung an der Regelung vieler persönlicher Angelegenheiten gehindert sind. Das sind also Menschen, die häufig aus der gesellschaftlichen Norm herausfallen und manchmal zum Adressaten sozialer Hilfeleistungen geworden sind. Beide Berufsfelder haben für die Betroffenen mit Resilienz zu tun. So unterschiedlich die Zugänge zu diesem Thema auf den ersten Blick erscheinen mögen, sie haben bei näherer Betrachtung doch eine Menge gemein.
Die Menschen, die angesichts mitunter dramatischer Ereignisse in ihrem wirtschaftlichen, sozialen oder privaten Handlungsumfeld im Rahmen eines Coachings Unterstützung suchen, sind vielfach in starkem Maße verunsichert, insbesondere wenn die Betroffenen sich oder ihre Lebensgrundlage existenziell bedroht sehen. Auch gesetzlich betreute Menschen mit Behinderungen, die sich z. B. durch einen frühkindlichen Hirnschaden, durch Suchterkrankungen wie Alkoholmissbrauch oder psychische Erkrankungen wie Psychosen oder geriatrische Demenz ergeben haben, wissen, was es heißt, Probleme zu haben. Beide Gruppen mussten oder müssen zum Teil fürchterliche Lebensumstände im Kontext des eigenen Daseins bewältigen.
In meinen Arbeitsbereichen als Coach und als Betreuer durfte ich lernen, Menschen in ihren Lebenslagen mit Diskretion und Wertschätzung für ihre individuelle Situation zu begleiten. Die Grundlage meiner Arbeit bilden dabei Konzepte und Erkenntnisse der Systemtheorie, Muster und Modelle des Neuro-Linguistischen Programmierens, die Philosophie des Konstruktivismus sowie Tools der ressourcen- und lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Sowohl als Coach wie auch als Betreuer verstehe ich mich als möglichst neutrales und unabhängiges Gegenüber, das die jeweiligen Gesprächspartner wertschätzend beim Beobachten beobachtet und gemeinsam zusätzliche Optionen erarbeitet, die eine Veränderung beziehungsweise Verbesserung möglich machen.
Das von mir vertretene Menschenbild orientiert sich am autonomen, Realität konstruierenden Menschen, der über Glaubenssätze und Handlungsstrategien verfügt, um Absichten und Themen im Kontext der eigenen Lebensumstände zu realisieren. Ein freier und selbstverantwortlicher Mensch, dessen Freiheit ihre Grenzen im Idealfall an der Freiheit der anderen findet, ist die Maxime, an der ich mich ausrichte.
II
RESILIENZ
ZUR UNSCHÄRFE DES BEGRIFFES
Zwischen Missgeschick und Schicksalsschlag
Ob im beruflichen oder privaten Bereich: Alle Menschen stehen vor ähnlichen Herausforderungen, wenn es um die Bewältigung schwieriger Situationen geht. Einige kritische Entwicklungen und belastende Situationen im Leben sind zu erwarten. Auf sie kann man sich bis zu einem gewissen Grad einstellen, auch wenn das noch keine Lösung für den Umgang mit diesen Situationen ist. Doch stellen plötzliche und unerwartete Krisen eine noch größere Herausforderung dar und ziehen die Betroffenen in vielen Fällen schwer in Mitleidenschaft. Damit verbundene Selbstzweifel und Unsicherheit können Menschen bis an den Rand ihrer Existenz bringen. Besonders für diejenigen, die umsichtig handeln, ihr Dasein geplant und organisiert haben und konsequent danach leben, ist ein erschütterndes Ereignis oder ein Rückschlag oft nur schwer zu verkraften, weil die Aussicht auf persönlichen Erfolg in weite Ferne rückt. Mit persönlichem Erfolg ist hier keineswegs nur die Verwirklichung materieller Ziele gemeint, sondern positiv bewertete Ergebnisse in jedwedem Lebensbereich. Bereits oberflächlich betrachtet ergeben sich im Umgang mit Schwierigkeiten von Mensch zu Mensch deutliche Unterschiede. Jemand, der sich intensiv mit der Zukunft beschäftigt, der sehr sorgfältig plant, seine Zeit präzise einteilt, einen Hang zum Perfektionismus hat, wird wahrscheinlich anders auf ein Unglück reagieren als ein Mensch, der ganz im Hier und Jetzt lebt, rasch entscheidet, praktisch denkt und handelt.
Oft ist es doch so: Wenn Mutti stirbt, gibt es einen Tag Sonderurlaub, dann muss es aber auch gut sein. Wer jedoch Zeit braucht, um Niederlagen oder Schicksalsschläge zu verkraften, hat es nicht „drauf" oder Pech gehabt. In vielen Fällen müssen die Betroffenen zusehen, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage selbst wieder befreien. Zu den unmittelbaren Folgen eines seelisch verletzenden Ereignisses kommen die gesellschaftlich definierten, möglicherweise stigmatisierenden Vorstellungen erschwerend hinzu. Man muss gewissermaßen doppelt resilient sein. Das gilt in besonderem Maße für unsere Arbeitswelt, in der verfehlte Ziele oder gar eine Kündigung unsägliche Makel darstellen – im Gegensatz zur Hire-and-fire-Mentalität des US-amerikanisch geprägten Kulturraums, die sich zugegebenermaßen inzwischen auch hier immer mehr ausbreitet.
Viele Untersuchungen und Arbeiten betrachten kritische Lebensereignisse als Ausnahme, als eine seltene Besonderheit im Leben der meisten Menschen. Ich teile diesen Standpunkt nicht. Tägliche Probleme, Herausforderungen, Misserfolge sind normal. Resilienz hat nach meiner Einschätzung mit dem Umgang mit Misserfolgen und (seelischen) Verwundungen im Alltag zu tun. Selbstverständlich stellt sich hier sofort die Frage, was darunter zu verstehen ist. Wenn es nicht „rundläuft", dann ist das für den einen normal, eine kleine Unregelmäßigkeit, auf die eben spontan reagiert werden muss. Für andere kann die gleiche Situation oder sogar eine wesentlich weniger gravierende den ganzen Tag verderben. Der alltägliche Misserfolg kann genauso eine kaputte Glühlampe sein wie der Kühlschrank, der den Geist aufgibt. Während der eine es gelassen nimmt, wenn er im Stau steckt und seinen Flug verpasst, bekommt der andere fast eine Herzattacke, weil es schon wieder regnet, obwohl doch der Rasen dringend gemäht werden müsste. Wer legt fest, wann eine Situation ein Misserfolg oder eine Krise ist und wann nicht? Situationen, die nicht unserem Plan oder unserer Wunschvorstellung entsprechen, gibt es auf jeden Fall täglich zuhauf.
Resiliente Entwicklungen sind überall erkennbar
Ob Sie auf das eigene Leben blicken oder auf das von Freunden, Bekannten und anderen Mitmenschen: Immer lassen sich resiliente Entwicklungen erkennen. Der Umgang mit dem Tod nahestehender Menschen kann hier ebenso angeführt werden wie z. B. eine seit Jahren todkranke Oma, die trotzdem bei allen Familienfesten fröhlich mit den Enkeln spielt und singt. Oder nehmen wir die alleinerziehende Nachbarin mit neugeborenen Zwillingen, die morgens trotz unzähliger durchwachter Nächte noch freundlich grüßt. Auch der Freund, dem gekündigt wurde und der sich danach erfolgreich selbstständig gemacht hat, ist ein Beispiel für Situationen und Lebenslagen, in denen Menschen tagtäglich psychische Widerstandskraft beweisen. Selbst die Natur hält unerwartet immer wieder unliebsame Überraschungen für uns bereit. Gewitterschäden, Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen führen uns vor Augen, dass das Leben nicht nach Plan abläuft, und konfrontieren uns mit Krisen, die wir bewältigen müssen.
Jeder Mensch muss im Laufe des Lebens mit einer Vielzahl von Stresssituationen unterschiedlicher Intensität fertigwerden. Solche Ereignisse treffen nicht nur die anderen, sondern sind auch fester Bestandteil der eigenen Existenz. Leicht nachzuvollziehen ist das anhand von Unfallfolgen, Krankheit und Behinderung. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass Krankheit und Unglück einen festen Platz in unserem Dasein einnehmen. Im Jahr 2009 bezeichneten sich 15 % der deutschen Bevölkerung als gesundheitlich beeinträchtigt. Über die Hälfte aller Kranken und Unfallverletzten (54 %) waren bis zu maximal sechs Wochen krank oder unfallverletzt. 10 % der Menschen in unserem Land mussten im selben Jahr laut eigenen Angaben erhebliche krankheitsbedingte Einschränkungen im Alltag hinnehmen. Befragte zwischen 60 und 70 Jahren stuften ihren Gesundheitszustand nur noch etwa zu einem Viertel als gut oder sehr gut ein.³ Etwa jede zehnte Person in Deutschland ist heute behindert. Ende 2015 gab es in der Bundesrepublik ca. 7,6 Millionen amtlich anerkannte schwerbehinderte Menschen⁴, über 2,54 Millionen Menschen waren im Jahr 2012 pflegebedürftig.⁵
Seit Jahren bewegt uns außerdem die Arbeitslosigkeit, ob nun von der Bundesagentur für Arbeit verwaltet oder von den Jobcentern und Sozialämtern.