Die Geldkreisläufe der Produktion: Beobachtungen der Wirtschaft Deutschlands im europäischen Zusammenhang
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Rezensionen für Die Geldkreisläufe der Produktion
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Buchvorschau
Die Geldkreisläufe der Produktion - Thomas von der Vring
Kap. 1. Einführung
Dieses Buch enthält eine Beschreibung der deutschen Volkswirtschaft in einer für wirtschaftspolitisch interessierte Laien verständlichen Sprache,
• um ein Gesamtbild zu zeigen,
• auf empirischer Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR),
• mit Blick auf die Geldkreisläufe der Volkswirtschaft,
• aus europäischer Sicht.
Aus europäischer Sicht bedeutet zweierlei:
• Wie die deutsche Wirtschaft von außen verstanden werden kann, aber auch
• welche Rolle sie in der Wirtschaft der Europäischen Union spielt.
1.1. Zur Methode
Die Beschreibung auf der Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zielt darauf ab, aufgrund von Statistiken die ökonomische Realität darzustellen. Dieser ungewöhnliche Ansatz bedarf einer Erklärung.
Im klassischen Wissenschaftsverständnis gibt es eine klare Unterscheidung zwischen Theorie und Empirie: Theorien sind Vermutungen über die Wirklichkeit, die erst dann als real, als der Wirklichkeit entsprechend gelten, wenn sie empirisch belegt sind. Anders ist dies in den Wirtschaftswissenschaften: Theorien gelten hier als anerkannt, wenn die Fachwissenschaftler ihnen überwiegend zustimmen. Auffällig insbesondere im Bereich der sogenannten Makroökonomie sind theoretische Meinungsverschiedenheiten zwischen Mehrheitsmeinungen Minderheitsmeinungen, die in der Öffentlichkeit politischen Lagern zugeordnet werden. Es fehlen in den Wirtschaftswissenschaften systematische Kriterien für die Unterscheidung von richtig und falsch.
Diese Besonderheit der Wirtschaftswissenschaften hat eine Ursache: den Datenmangel in Bezug auf die wirtschaftlichen Phänomene, die einer Erklärung bedurften. Entstanden sind die volkswirtschaftlichen Theorien aus Beobachtungen von Kaufleuten, ihnen nahestehenden Gelehrten und fürstlichen Beratern. Ein Beispiel aus der frühen Neuzeit: Als Folgen der Erbeutung riesigen Mengen südamerikanischen Goldes und Silbers durch Spanien wurden unerwartete Wirkungen beobachtet, die zu denken gaben: einerseits eine Inflation in Spanien, andererseits ein spanischer Importüberschuss zulasten der spanischen Produktion, der große Teile der Edelmetalle in die Nachbarländer fließen ließ. Solche Phänomene wollten Kaufleute und Staatenlenker erklärt wissen.
Über Jahrhunderte entwickelte sich die Nationalökonomie als ein theoretisches Lehrgebäude, das die beobachteten Phänome erklärt, dem aber weitgehend die empirische Prüfung fehlt. Im Laufe der Zeit ist der grundsätzliche Zweifel, der gegenüber Theorien angebracht ist, in den Hintergrund getreten, und die Theorien haben sich zu Tatsachen verdichtet.
Spät erst, nach dem 2. Weltkrieg, ist dem ökonomischen Datenmangel durch wachsende Datensammlungen abgeholfen worden. Die Staaten, voran die USA, installierten Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, deren Lücken nach und nach gefüllt wurden. Doch wesentliche Folgen hat dies für die Volkswirtschaftslehre nicht gehabt. Die langen Datenreihen der Statistikämter waren in Zeitschriften nachzulesen, und zur statistischen Verarbeitung der Daten, die Wurzelrechnungen erforderte, standen den Wissenschaftlern lange Zeit nur Rechenschieber zur Verfügung. Die aufkommenden Rechenzentren waren schwer zugänglich. Für Wissenschaftler verwendbare PCs gibt es erst seit der Mitte der 90er Jahre. – So lange blieben volkswirtschaftliche Theorien empirisch schwer überprüfbar.
In den 90er-Jahren haben im Gebiet der ökonomischen Empirie jedoch drei Revolutionen stattgefunden, die inzwischen jedem Fachkundigen eine empirische Theoriekritik möglich gemacht haben:
• In Deutschland wurden die gesamten Datenbestände des Statistischen Bundesamts, der Bundesbank und des Statistischen Amtes der Europäischen Union (EUROSTAT) zunächst auf CDs und wenig später über das Internet jedermann leicht verfügbar gemacht.
• Statistikprogramme zur wissenschaftlichen Verarbeitung solcher Daten auf PCs wurden entwickelt und von den Hochschulen zur Verfügung gestellt.
• Zu den herkömmlichen Jahresstatistiken traten Vierteljahresstatistiken.
Ein Beispiel verdeutlicht die Bedeutung der Vierteljahresstatistiken. In den 90er Jahren wurde in deutschen Fachkreisen über die Frage gestritten, um wie viel Prozent die Beschäftigung wachsen würde, wenn die Löhne um 1% gesenkt würden: die Lohnelastizität der Beschäftigung.
Eine korrekte empirische Untersuchung dieser Frage auf der Basis von Zeitreihen musste den Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Löhnen berechnen. Um aufgrund differenzierter statistischer Berechnungen signifikante Ergebnisse zu erhalten, brauchte man Zeitreihen von 20 bis 30 Gliedern. Auf der Basis von Jahreszahlen lautete die Aussage von Gebhard Flaig und Horst Rottmann in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 2004 (Note1.1.1
): In der Zeit von 1968 bis 1994 bestand in der westdeutschen Industrie eine Elastizität des Arbeitsvolumens in Bezug auf den Reallohn kurzfristig von -0,17 und langfristig von -0,37. Mit anderen Worten: Im Durchschnitt der Jahre 1968 bis 1994 "bewirkte" eine Senkung der Reallöhne um 1% kurzfristig eine Vermehrung der Beschäftigung um 0,17%. Das ist ein Durchschnitt aus 26 Jahren deutscher Wirtschaftsentwicklung vom Ende der Ära Ludwig Erhard bis nach der deutschen Vereinigung. Über die Gegenwart im Zeitpunkt der Veröffentlichung sagte dieses Ergebnis nichts aus.
Seit 1991 veröffentlicht das Statistische Bundesamt Vierteljahresstatistiken mit 4 Daten pro Jahr. Auf der Grundlage solcher Zeitreihen sind entsprechende Untersuchungen über einen Zeitraum von nur 7 Jahren möglich geworden. Die Forschungsergebnisse wurden dadurch deutlich näher an die Realität der Gegenwart gebracht.
In den letzten Jahrzehnten wurden die immer reichhaltigeren Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in vielfältiger Weise für die Wirtschaftswissenschaften erschlossen. Aber eine systematische Überprüfung der ökonomischen Theorien hat nicht stattgefunden. Charakteristisch sind die großen ökonomischen Simulatoren: EDV-Systeme, die versuchen, die Dynamik der ökonomischen Realität einzelner Länder auf der Grundlage der statistischen Daten abzubilden. Dabei werden den Simulatoren theoretisch begründete Zusammenhänge als Annahmen vorgegeben. Unterschiedliche Annahmen determinieren unterschiedliche Simulationen der Realität. Auf gleiche ökonomische Fragen liefern unterschiedliche Simulatoren unterschiedliche Antworten. Dem entsprechend konkurrieren einzelne Simulatoren mit einander um die Anerkennung ihrer Resultate. Auch daran wird der Mangel eines Wahrheitskriteriums in der Ökonomie offenbar.
In diesem Buch verzichte ich auf theoretische Argumentationen. Ich beschränke mich auf die Feststellung von empirisch geprüften Tatsachen. Auf diese Weise versuche ich es, die deutsche Volkswirtschaft und ihre Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten zu beschreiben. Dabei nehme ich besonders die vorherrschenden Vorstellungen über wirtschaftspolitische Zusammenhänge in den Blick.
Bei den empirischen Beobachtungen verfolgt unsere Darstellung eine besondere analytische Spur: den ökonomischen Geldkreislauf. Entsprechend der privatwirtschaftlichen Wirtschaftslogik wird Geld ausgegeben, um Geld zu verdienen. Die Geldströme bilden Kreisläufe, die sich ständig wiederholen. Diese regelmäßigen Wiederholungen im gesamtwirtschaftlichen Ablauf erlauben es uns, relativ stabile Regelhaftigkeiten in „der Wirtschaft" zu beobachten und kausale Wirkungszusammenhänge festzustellen, die politisch wichtig sind: vor allem jene, von denen die Entwicklungen von Einkommen und Beschäftigung abhängen.
Ein in unserer Volkswirtschaft dominierendes Beispiel ist der private Konsum mit einem Volumen von mehr als 50% des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Er ist Teil eines Geldkreislaufes:
• Unternehmen kaufen Vorprodukte und bezahlen Arbeitnehmerentgelte;
• die Arbeitnehmerentgelte fließen den privaten Haushalten zu;
• dazu kommen Renten, Pensionen und Sozialleistungen;
• die Unternehmer teilen Gewinneinkommen an private Haushalte aus;
• aus diesen verfügbaren Einkommen bezahlen die privaten Haushalte ihre Konsumaufwendungen,
• wobei sie einen relativ festen Anteil als Ersparnis behalten;
• die Bezahlung des Konsums fließt an die Unternehmungen zurück.
Alle diese Geldströme vollziehen sich in Wirklichkeit zwischen Konten von Banken. Zur Veranschaulichung unsers Beispiels stellen wir uns ein vereinfachtes Gesamtkonto aller Banken des Landes vor, in dem die Bestände aller Konten aller Banken zusammengefasst sind. In diesem Gesamtkonto sind
• alle Guthaben der Kunden gleich groß wie alle Verbindlichkeiten der Banken, und
• alle Verbindlichkeiten der Kunden gleich groß wie alle Forderungen der Banken.
Insgesamt sind alle Forderungen gleich groß wie alle Verbindlichkeiten.
Deshalb ist die Gesamtsumme aller Kontostände auf diesem Gesamtkonto zu jedem Zeitpunkt Null!
Und nun unterteilen wir diese Konten in zwei Gruppenkonten:
• Ein Konto mit allen Beständen der Einkommenskonten aller privaten Haushalte einerseits und
• ein Konto für alle übrigen Konten andererseits,
• mit der Konsequenz: die positiven Kontostände aller privaten Haushalte sind stets gleich groß wie die negativen Stände aller übrigen Konten.
Den Kern dieses Konsumkreislaufes stellt der Zusammenhang zwischen Verfügbarem Einkommen und Konsum der privaten Haushalte dar. Er entspricht dem monatlichen Spiel von Einkommen und Konsumausgaben in der Entwicklung eines typischen Girokontos eines Arbeitnehmerhaushalts: an einem Tag, in der Regel am letzten eines Monats, trifft das Gehalt ein und füllt schlagartig das Konto auf. Abgesehen von regelmäßigen Einmalzahlungen – Miete usw. – fließt dieses Geld zur Begleichung der laufenden Ausgaben bis zum Monatsende relativ stetig wieder ab. Die verbleibende Ersparnis weisen wir einem Sparkonto zu. Am Monatsende steht das Gehaltskonto wieder auf Null - bis das nächste Gehalt eintrifft.
Auch die Selbständigen überweisen regelmäßig Gewinneinkommen auf ihre Haushaltskonten. Die Gesamtheit aller Bezieher von regelmäßigen Gehältern, Renten, Pensionen und Gewinneinkommen in Deutschland empfangen so Monat für Monat etwa 140 Mrd. € (2016) auf ihren Konten – netto, die Steuern sind in der Regel schon abgezogen - , um sie durch Käufe von Gütern und Dienstleistungen oder durch Sparleistungen im Laufe des Monats wieder auszugeben. Sie konsumieren in der Regel 93% ihrer verfügbaren Einkommen, sparen also 7% (Note1.1.2
). Für ihren Konsum kaufen sie 56% des BIP. Aufgrund von langjährigen Beobachtungen können wir feststellen, dass sich die Sparneigung der privaten Haushalte wenig ändert. Wir können also davon ausgehen, dass der Anteil an den Masseneinkommen, der zum Kauf von Konsumgütern und Dienstleistungen verwendet wird, relativ konstant ist.
Wohlverstanden: Wir betrachten hier nur das Geld. Unternehmen bezahlen ihre Vorleistungen häuhg mit geliehenem Geld - Dispoktredit.
Wir stellen uns nun vor, wie sich dieser Geldkreislauf von Tag zu Tag auf unseren beiden Gesamtkonten abbildet. Unser sehr vereinfachtes Diagramm Dia1.1
veranschaulicht diesen Kreislauf: Jeden Monat überweisen die Arbeitgeber, Pensions- und Rentenkassen sowie Selbständigen kurz vor Monatsanfang Geld auf die Haushaltskonten. Nach den fälligen Monatszahlungen fließt dieses Geld im Verlauf des Monats stetig als Zahlungen an die Gesamtheit der übrigen Konten zurück. Damit werden die Käufe der Konsumgüter sowie die neuen Ersparnisse bezahlt. Am Monatsende sind die Stände der beiden Gesamtkonten Null.
Das zweite Diagramm Dia1.2
zeigt den Fall einer Erhöhung des Verfügbaren Einkommens (rot). Auch das erhöhte Einkommen wird bis zum Monatsende vollständig ausgegeben. Bei konstanter Sparneigung wachsen die Konsumausgaben proportional. Trotz erhöhter Einkommen sind auf beiden Konten die Stände am Monatsende null.
Wenn man nur das Geld betrachtet, dann könnte man den Kreislauf auch so sehen: Die Zahler von Gehältern, Pensionen und Renten sowie von privaten Gewinneinkommen leihen sich bei den Banken Geld, um es an die Haushaltskonten zu überweisen, von wo es im Laufe des Monats über Konsumkäufe und Ersparnisse zurückfließt. Dabei werden die kurzfristigen Kredite wieder getilgt.
Es liegt auf der Hand: Je mehr Arbeitnehmerentgelte die Unternehmen bezahlen, desto mehr Produkte werden verkauft. Warum wächst die Produktion dann nicht ständig? – Weil die Unternehmungen ihre Produktion nur ausdehnen, wenn dies mit ausreichenden Gewinnen verbunden ist. Wir werden diese Zusammenhänge im Kap. 5 prüfen.
Die Geldkreisläufe der Produktion haben eine Lücke: Die Ersparnis fehlt bei der Bezahlung der Produkte. Dieses Geld fließt über Banken und Kapitalmarkt letztendlich Unternehmen zu, die damit Investitionsgüter kaufen, welche ebenfalls im Produktionsprozess vorflnanziert, erzeugt und verkauft werden. Aus dem Kapitalmarkt fließt das Geld in den Geldkreislauf der Investitionen - wenn alles gut geht.
Die Pumpe der Geldkreisläufe treibt die Güterproduktion. An ihrem Anfang steht die Entscheidung der Arbeitgeber über die Höhe ihrer Ausgaben für Vorleistungen, Entgelte und Investitionen, die eng verknüpft ist mit ihrer Entscheidung über ihre Produktion. Das materielle Resultat ist die Erzeugung und der Verbrauch der Konsumgüter und die Anschaffung von Investitionsgütern. Das wirtschaftliche Resultat offenbart sich in der Abrechnung der Unternehmungen.
Diese Geldströme bilden einen System von Kreisläufen, die sich
ständig wiederholen. Die regelmäßigen Wiederholungen in den gesamtwirtschaftlichen Geldkreisläufen erlauben es uns, relativ stabile Regelhaftigkeiten in „der Wirtschaft" und in ihrer Entwicklung festzustellen. Gleichwohl entwickelt sich dieser Zusammenhang unaufhaltsam weiter, was uns zwingt, unsere Beobachtung von wirtschaftlichen Zusammenhängen immer wieder zu überprüfen.
1.2. Überblick über den Inhalt und Leseanleitung
Wir betrachten diese Geldkreisläufe mit Hilfe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, um Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen, die für die Entwicklung des BIP, der Einkommen und der Beschäftigung wichtig sind. Gestützt auf empirische Tests (Kap. 5) untersuchen wir stabile Zusammenhänge zwischen den Elementen dieser Kreisläufe. Dabei interessieren wir uns nur für bestimmende, deutlich erkennbare längerfristige Zusammenhänge, die einerseits eindeutig feststellbar sind und andererseits relevant genug, um für politische Entscheidungen hilfreich sein zu können. Unserer empirischen Tests zielen vor allem auf die Frage nach der relativen Stärke dieser Zusammenhänge.
Im Zentrum unserer Beobachtungen steht die Wirtschaft Deutschlands. Die Beobachtungen werden, soweit vergleichbare Daten zur Verfügung stehen, mit Beobachtungen aus der EU und aus den USA verglichen. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die Zeit seit dem Jahr 2000, nach der Einführung des EURO. Um den historischen Charakter der Befunde zu charakterisieren, werden teilweise auch ältere Daten herangezogen.
Die öffentlich zugänglichen Datenquellen, auf die wir uns stützen, stammen vor allem von:
• dem Statistischen Bundesamt,
• der Bundesbank,
• der IAB (Institut für Arbeits- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit),
• dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Energiedaten)
• EUROSTAT,
• der Europäischen Zentralbank (Statistical Data Warehouse),
• OECD,
• dem Federal Reserve Sytem (USA),
• der World Bank.
Im Text werden nicht immer die neuesten Wirtschaftsdaten angegeben. Die statistischen Tests beziehen sich zum Vergleich vielfach auf verschiedene Länder. Und ihre Erarbeitung hat mehrere Jahre in Anspruch genommen. Überdies hat die Einführung des Euro zu strukturellen Änderungen der europäischen Wirtschaft geführt. Deshalb beziehen sich die meisten Tests einheitlich auf die Periode 2000 bis 2014. Und dem entsprechend ist bei aktuellen Vergleichszahlen häuhg das Jahr 2014 gewählt worden.
Das Manuskript ist im Frühjahr 2019 abgeschlossen worden. Damit enden auch die Berichte über aktuelle Beobachtungen, z.B. Berichte über die Bekämpfung der Deflation durch die EZB - vgl. EXKURS 7.4.
Im Anschluss an diese Einführung behandeln wir im 2. Kapitel Geld, Geldvermögen und Schulden anhand der deutschen Geldvermögensbilanz, funktional gegliedert in 6 Sektoren der Gesamtwirtschaft. Im 3. Kapitel verfolgen wir, ebenfalls gegliedert in diese Sektoren, die Geldkreisläufe der deutschen Wirtschaft,
• vom Kauf der Vorprodukte,
• über die Zahlungen der Arbeitnehmerentgelte,
• die Verteuerung der Produkte und die Umverteilung der Einkommen durch den Staat,
• den Verkauf der Erzeugnisse,
• die Umverteilung und Übertragung von Einkommen
• den Kauf des BIP für Konsum, Investitionen sowie den Außenhandel,
• bis zur Zuordnung des Saldos aus Ersparnissen und Investitionen als Finanzierungssalden der Sektoren.
Diese Salden verlassen den Produktionskreislauf und fließen dem Geldvermögen zu.
Im 4. Kapitel beschreiben wir im Detail die Gliederungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und ihres Wachstums einschließlich des Energieverbrauchs im Vergleich zu den Klimazielen. Einkommensverteilung und Beschäftigungsentwicklung schließen sich an. Wir vergleichen dabei insbesondere Deutschland und die EU28.
Im 5. Kapitel untersuchen wir die Zusammenhänge der Entwicklungen der Geldkreisläufe. Dabei stützen wir uns auf die Befunde aus eigenen statistischen Tests, die wir so dokumentieren, dass sie nachvollziehbar sind. Das Resultat ist ein konsistentes System, das das Zusammenspiel der zentralen Größen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durchschaubar macht.
Der Staat mit seiner Steuererhebungsmacht handelt prinzipiell autonom. Im 6. Kapitel betrachten wir den Staatshaushalt und dessen Einflussmöglichkeiten auf die Geldkreisläufe, wobei wir Defizite und Schulden des Staates besonders im Blick haben.
Der Produktionskreislauf des Geldes ist nicht geschlossen. Von wachsender Bedeutung ist der Geldkreislauf des Kapitalmarktes. Im 7. Kapitel verfolgen wir den Weg des Geldes aus dem Produktionskreislauf heraus in den Kapitalmarkt und entweder daraus zurück - oder hinaus in die weite und intransparente Welt des globalen Finanzmarktes. Es geht um Sparen und Investieren, Vermögensverteilung, Finanzkrise und um die Geldpolitik der Zentralbank. Resümiert wird diese Kapitel mit Fragen nach den Ursachen eines nahezu linearen Niedergangs der Zinsen (Staatsanleihen) zwischen 1990 und 2015, in den USA, in Deutschland und in der Europäischen Währungsunion, von um 9% bis herunter auf 2% bzw. 0,5% in 2015.
Politische Schlussfolgerungen aus unseren Beobachtungen bilden das Schlusskapitel (Kap. 8).
Dieses Buch muss einen Widerspruch bewältigen: zwischen der detaillierten Präsentation von statistischen Daten und der Lesbarkeit eines Sachbuches für interessierte Laien. Als geeignetstes Darstellungsmittel boten sich farbige Diagramme an. Aber 100 Diagramme verkraftet kein Buch. Eine elektronische Buchausgabe erlaubt dagegen die Einfügung winziger Links in den Text, die per Mausklick neben dem Text die großseitige Darstellung von Diagrammen und Tabellen ermöglichen.
In den Text werden gelegentlich kleine, illustrierende EXKURSE eingefügt, zB. über die Hartz-Reform in Deutschland, über die Entstehung der Finanzkrise in den USA oder über das Anleihekaufprogramm der EZB, das in Deutschland Sorgen ausgelöst hat.
EXKURSE, Verweise auf andere Abschnitte und Links sind farbig gekennzeichnet:
• Notes, Fußnoten mit Quellenangaben oder Begriffserklärungen,
• Tabellen,
• Diagramme,
• Testergebnisse.
Testergebnisse dienen dem statistischen Beleg von Feststellungen und sind nur für Fachkundige gedacht. Große Tabellen bieten instruktive Überblicke. Einige Tabellen sind in zwei Versionen vorhanden, in Euro zu laufenden Preisen (n) und in % des BIP (p). Letztere veranschaulichen die Größenordnungen. Diagramme, soweit sie im Text angesprochen werden, sollen das Verständnis erleichtern. Die übrigen Diagramme illustrieren Zusammenhänge.
Kap. 2. Geld, Geldvermögen und Schulden
Was ist GELD?
Es fällt schwer, zu verstehen, was Geld ist. Das rührt daher, dass das Geld sehr unterschiedliche Funktionen hat:
• Als Zahlungsmittel dient es einerseits dem Kauf von Produkten aus der laufenden Produktion, andererseits dem Kauf von Geldvermögen oder von Sachvermögen.
• Es dient der Aufbewahrung als Geldvermögen.
• Es dient der Verleihung von Vermögen.
• Es dient schließlich als Maßstab für die Wertmessung.
Darüber hinaus hat Geld eine sehr unterschiedliche Bedeutung einerseits als Besitz, als Haben, als Forderung, und andererseits als Schulden. Diese verschiedenen Seiten von Geld können wir als Personen in der Regel leicht verstehen. Schwierigkeiten bereiten sie, wie die Finanzkrise gezeigt hat, im großen Zusammenhang der Politik, wenn es um Gläubiger und Schuldner geht.
Ein Blick auf die Bilanz der deutschen Geldvermögen Ende des Jahres 2014 soll dies verdeutlichen. Wir betrachten hier nur das Geldvermögen, in Euro: Tab2.1n
und in % des BIP: Tab2.1q
. Das Sachvermögen stellen wir ihm im Kapitel Kapitalmarkt gegenüber (Kap. 7.2).
Diese Bilanz der Deutschen Bundesbank enthält neben dem Geld auf den Bankkonten nur das Stückgeld – Münzen und Scheine, soweit es sich im Besitz der Banken befindet. Man weiß zwar, wie viel Stückgeld die Bundesbank in Euro insgesamt ausgegeben hat: bis Ende 2014 268 Mrd. Euro. Und man weiß auch, wie viel Bargeld die deutschen Banken in ihren Tresoren liegen haben: Ende 2014 230 Mrd. Euro. Aber in Bezug auf das außerhalb der Banken umlaufende Bargeld weiß niemand, in welchem Land es sich im Augenblick befindet oder gar wer es in einem Moment besitzt. Deshalb fehlt dieser Teil des Stückgeldes in dieser Vermögensbilanz. 2014 betrug er 38 Mrd. Euro. Das waren 1% des BIP.
Die Finanzstatistik der Bundesbank, die in unseren Tabellen (Tab2.1q
) dargestellt wird, fasst zur Erhellung von Zusammenhängen alle Geldbesitzer und Schuldner in 5 Gruppen mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Rollen zusammen:
• Private Haushalte und private Organisationen ohne Erwerbscharakter (PH): Dazu zählen auch die wie Unternehmen agierenden Selbständigen (Einzelunternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit), ein Mangel, der das Verständnis erschwert. Es gibt in Deutschland 3,7 Mio. Unternehmungen. Davon zählen 2,4 Mio. Einzelgesellschaften mit insg. 17% der Erwerbstätigen zu den Privaten Haushalten, davon 97% Kleinunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten. Die übrigen 1,3 Millionen Unternehmungen mit 83% der Erwerbstätigen bilden die Sektoren der Kapitalgesellschaften.
• Nichtbnanzielle Kapitalgesellschaften (NFK): alle Wirtschaftsunternehmen mit besonderer Rechtsform, ohne die Finanziellen Kapitalgesellschaften.
• Staat (St): Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung.
• Diese 3 Gruppen bilden zusammen die deutschen Nichtbanken (N.B)
• Finanzielle Kapitalgesellschaften (FK): das sind vor allem Banken und Versicherungen.
• Übrige Welt (ÜW), eine Zusammenfassung aller Geldvermögensbeziehungen zwischen Deutschland und dem Ausland.
Das Geldvermögen wird hier untergliedert:
• Währungsgold und Sonderziehungsrechte der Bundesbank: Gold ist Sachvermögen, also kein Geld. Sonderziehungsrechte als Guthaben gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sind dagegen Geld.
• Bargeld und Einlagen sind die Normalform der Geldvermögen, mit einem Anteil von 25%. Schuldner der Einlagen sind Banken. Bei den Gläubigern dominieren die Privaten Haushalte.
• Schuldverschreibungen mit 17% aller Geldvermögen sind alle Geldanlagen, in denen Fristen und Zinsen vertraglich festgelegt sind. Bei den Schuldnern dominiert der Staat, auch Staaten in der übrigen Welt. Die deutschen Staatsanleihen befinden sich seit vielen Jahren überwiegend in ausländischer Hand.
• Kurzfristige Kredite mit 5% und längerfristige Kredite mit 13%: kurzfristig = Tilgungsfrist bis ein Jahr. Bei den Schuldnern der kurzfristigen Kredite dominieren nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften und die Übrige Welt. Bei den längerfristigen Krediten der Privaten Haushalte handelt es sich vor allem um Immobilienkredite.
• Anteilsrechte mit 23%: verbriefte Eigentums- und Gewinnanteile, vor allem Aktien, bewertet zu Marktpreisen. Die Schuldner sind die Kapitalgesellschaften und die Übrige Welt.
• Versicherungstechnische Rückstellungen mit 7% sind aufgelaufene Ansprüche aus Versicherungsverträgen. Die Schuldner sind ganz überwiegend Versicherungen, die zu den Finanziellen Kapitalgesellschaften gehören. 37% aller Geldvermögen der Privaten Haushalte sind Versicherungsansprüche.
• Sonstiges.
Bei jedem dieser Geldvermögen steht dem Besitzer (Gläubiger) auf der Seite der Verbindlichkeiten ein Schuldner gegenüber. Interessant ist das Nettogeldvermögen, dh. das Geldvermögen minus Verbindlichkeiten. Die privaten Haushalte besaßen Ende 2014 ein Nettogeldvermögen von 3,8 Billionen Euro, die Finanziellen Kapitalgesellschaften von 0,6 Billionen Euro. Dies sind die Geldvermögensbesitzer. Die Nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften dagegen hatten 1,9 Billionen Euro Schulden, der Staat hatte 1,4 Billionen Euro Schulden, und die Übrige Welt hatte in Deutschland 0,9 Billionen Euro Schulden.
Die Pointe dieser Bilanz ist: Die Summe aller Geldvermögen ist identisch gleich der Summe aller Verbindlichkeiten. Bzw.: Die Summe aller Nettogeldvermögen ist Null. Das gilt auch für die einzelnen Zeilen der Salden, die zum Nettogeldvermögen beitragen: In jeder der Zeilen ist die Summe Null. Nur das Währungsgold ist eine Ausnahme: Es ist ein Sachwert, dem keine Forderung gegenübersteht.
Was bedeutet das? – Wir haben zwar eine gewisse Menge Bargeld. Aber wirkliches Geldvermögen hält man nicht bar. Jedes Geld, das wir auf Konten einer Bank eingelegt haben, ist eine Schuld dieser Bank uns gegenüber. Für alle Wertpapiere und Anteilsrechte bürgen deren Emittenten als Schuldner, für alle Versicherungsansprüche die Versicherungen. Jedes Geld auf Bankkonten, als Wertpapier oder als Versicherungsanspruch, das wir unser Eigen nennen, ist eine Forderung gegenüber Schuldnern. Mit